Ein bezaubernder Dschinn oder ein unerwartetes Erbe - Sophie R. Nikolay - E-Book

Ein bezaubernder Dschinn oder ein unerwartetes Erbe E-Book

Sophie R. Nikolay

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Beschreibung

Als Patrick das Haus seiner Oma erbt, ist er sich nicht bewusst, was sie im Testament mit "dem gesamten Inventar" meinte. Beim Ausräumen findet er etwas, das seine Welt total durcheinander wirbelt. Einen Flaschengeist - unerhört frech und überaus sexy. Doch so anziehend der auch ist, ein Dschinn ist und bleibt ein Geist - oder?

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Seitenzahl: 242

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Sophie R. Nikolay

Ein bezaubernder Dschinn oder ein unerwartetes Erbe

Impressum

© dead soft verlag, Mettingen 2024

http://www.deadsoft.de

© the author

Cover: Irene Repp

http://www.daylinart.webnode.com

Bildrechte: © Blue – stock.adobe.com

© Silvie – stock.adobe.com

1. Auflage

ISBN 978-3-96089-690-6

ISBN 978-3-96089-691-3 (ebook)

Inhalt:

Als Patrick das Haus seiner Oma erbt, ist er sich nicht bewusst, was sie im Testament mit „dem gesamten Inventar“ meinte. Beim Ausräumen findet er etwas, das seine Welt total durcheinander wirbelt. Einen Flaschengeist – unerhört frech und überaus sexy. Doch so anziehend der auch ist, ein Dschinn ist und bleibt ein Geist – oder?

Es gibt Tage, da hätte ich auch gerne einen Dschinn …

Zu diesem Buch

Liebe Leserinnen und Leser,

die Idee zur Geschichte entstand in einem Gespräch über die Serie ‚Bezaubernde Jeannie‘. Als Kind fand ich sie faszinierend, doch war ich immer der Meinung, dass ein Flaschengeist ein Mann sein müsste. Der Funke war entzündet und Arshaq (damals noch namenlos) war geboren. Fehlte nur noch ein netter Kerl, dem der Dschinn gehörig auf die Nerven gehen kann …

Die Musik aus seinen Kopfhörern übertönte den Verkehrslärm, als Patrick den Gehweg entlanglief. Allerdings verfehlte Robbie Williams Stimme an diesem Tag die sonst übliche entspannende Wirkung. Die Unruhe kribbelte in Patricks Bauch und hatte sich seit dem Erhalt des Schreibens eine Woche zuvor stetig vergrößert. Seine Schritte führten ihn an gepflegten Altbauten vorbei, bis er die Haustür erreichte, neben der ein Messingschild angebracht war. Sein Ziel. Notariat Joachim Amberger.

Er nahm einen tiefen Atemzug, schaltete die Musik aus und verstaute die Kopfhörer in der Jackentasche. Anschließend strich er sich mit einer fahrigen Geste das Haar zurück, schob die Tür auf und folgte dem Wegweiser in den ersten Stock.

Im Haus roch es nach Bohnerwachs und Politur. Die wuchtige Eichentür, an der ein weiteres Schild Notariat Amberger, Termine nach Vereinbarung verkündete, war geschlossen. Patrick drückte den Klingelknopf daneben, worauf der Summer ertönte und er die Tür öffnen konnte. Er trat ein und straffte die Schultern. Im Vorraum saß eine ansprechend gekleidete Frau mittleren Alters, die ihm zulächelte.

„Guten Tag. Was kann ich für Sie tun?“, erkundigte sie sich.

„Hallo. Mein Name ist Patrick Koster, ich habe einen Termin.“ Er wollte gerade den Brief aus der Tasche ziehen, da stand sie auf.

„Ja. Sehr schön. Damit sind Sie vollzählig. Wenn ich Sie bitten dürfte“, meinte sie und wies auf eine Flügeltür, die in den Nebenraum führte. Patrick nickte nur und folgte ihr.

„Ihre Eltern sind schon eingetroffen. Kann ich Ihnen etwas anbieten? Kaffee, Tee, Wasser?“

„Nein, danke.“ Er würde jetzt nichts herunter bekommen. Patrick schluckte gegen den Kloß in seinem Hals an und trat nach ihr in den Raum. Ein Tisch nahm fast die gesamte Fläche ein. Bis zur Decke reichende Regale reihten sich an die hintere Wand, gefüllt mit unzähligen Büchern. Vor den hohen Fenstern stand eine Sitzecke. Dort saßen sich seine Eltern und ein älterer Mann im schwarzen Anzug gegenüber.

„Guten Tag Herr Koster.“ Der Mann erhob sich und hielt ihm die Hand entgegen, welche Patrick pflichtbewusst schüttelte. Der Händedruck war angenehm, nicht zu fest und trotzdem ernsthaft. „Kommen Sie, setzen Sie sich“, forderte der Notar ihn auf. Seine freundliche und fast großväterliche Ausstrahlung half ein wenig, dass Patricks Magen sich nicht mehr ganz so bleischwer anfühlte.

„Hi“, richtete er knapp an seine Eltern, wobei der Gruß eigentlich nur seiner Mutter galt. Sein Vater betrachtete seine Fingernägel, als gäbe es auf ihnen Weltbewegendes zu entdecken. Patrick kommentierte das mit einem dezenten Grunzen und setzte sich mit größtmöglichem Abstand zu den beiden hin.

„Aus meinem Schreiben haben Sie entnehmen können, warum ich Sie hergebeten habe. Nun, da Sie alle zugegen sind, werde ich Ihnen den letzten Willen Ihrer verstorbenen Mutter, respektive Großmutter, verlesen. Die Erblasserin, Agathe Koster, hat von ihrem Testierrecht Gebrauch gemacht.“ Er räusperte sich, griff nach einer ledergebundenen Mappe und setzte eine Lesebrille auf. Es herrschte Totenstille im Raum und Patrick hörte sein Blut in den Ohren rauschen.

Er schielte zu seinen Eltern hinüber. Seine Mutter saß steif da, die Hände verkrampft ineinander verschränkt, sodass diese um die Knöchel weiß schimmerten. Es tat ihm leid, sie so zu sehen. Es war offensichtlich, dass sie den Blickkontakt mit ihm unfreiwillig mied. Sein Vater wippte mit der Fußspitze und wandte die Augen nicht vom Notar ab. Patrick wusste, er würde ihn nur ansehen, wenn es unbedingt sein musste. Bei der Beerdigung, die sechs Wochen zurücklag, war es genauso gewesen. Sie hatten nicht mal ein Wort miteinander gewechselt.

Papier raschelte und der Notar räusperte sich erneut.

„Ich verlese nun den letzten Willen von Agathe Koster, geborene Schmitt: Mein Sohn, Edgar Koster, und dessen Ehefrau Iris, sollen nach meinem Tod meine Münzsammlung bekommen. Der Wert der Sammlung entspricht dem gesetzlichen Pflichtteil. Mein Enkel, Patrick Koster, soll nach meinem Tod mein Haus inklusive des gesamten Inventars erhalten. Meine Entscheidung begründe ich ausschließlich mit folgenden Worten:

‚Weil du, Edgar, deinen eigenen Sohn wie einen Aussätzigen behandelst, nur weil er homosexuell ist und sein Leben nicht nach deinen Vorstellungen lebt.‘

Mein Barvermögen aus den Sparverträgen soll, nach Begleichung der Bestattungskosten und aller sonstigen Auslagen, dem Kinderhospiz Sterntaler zugutekommen. Damit mein letzter Wille eingehalten wird, beauftrage ich das Notariat Joachim Amberger mit der Testamentsvollstreckung. Die angemessene Vergütung ist bereits entrichtet worden. Gezeichnet, Agathe Koster, 17. Mai 2017.“ Der Notar pausierte kurz. Patrick hörte, dass sein Vater ungehalten schnaubte.

„Bevor Sie sich zu Wort melden, Herr Koster“, bremste Amberger ihn aus, „möchte ich Ihnen Folgendes sagen: Ihre Frau Mutter hat dieses Testament handschriftlich in meinem Beisein aufgesetzt. Sie war im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte. Es gab keine Zweifel an ihrer Testierfähigkeit.“

Patrick blickte auf die Mappe in den Händen des Notars. Er konnte es kaum glauben. Seine Oma überließ ihm das Haus? Das Testament war im vergangenen Jahr geschrieben worden, da hatte er schon in Berlin gelebt und weit weniger Zeit mit ihr verbracht, als vor seinem Umzug. Selbst die Telefonate mit ihr waren die letzten Monate seltener geworden und doch bekam er mehr als sein Vater. Der gerade in Rage geriet. „Das kann unmöglich Ihr Ernst sein!“

Er sah zu seinem Vater, der puterrot im Gesicht war und sichtlich um Fassung rang. Seine Mutter hingegen war so blass wie die wollweiße Wand hinter ihr und hatte die Lippen aufeinandergepresst.

„Herr Koster, was Ihre Frau Mutter hier aufgesetzt hat, ist rechtlich gesehen vollkommen in Ordnung. Ein Testament muss weder vernünftige noch von dritten nachvollziehbare Begründungen aufweisen.“

„Ich bin der Sohn und das Haus steht mir zu. Deshalb habe ich nie selbst eins gekauft!“

„Da irren Sie sich. Sobald ein Testament vorhanden ist, greift die gesetzliche Erbfolge nicht mehr. Sie sollten den letzten Willen Ihrer Frau Mutter respektieren.“

„Das ist ein Witz!“, schrie sein Vater.

„Ach ja?“, Patrick starrte ihn an. „Wie du dich hier verhältst, das ist ein Witz.“

„Du … du! Was weißt du schon? Und überhaupt, was willst du mit dem Haus? Du wohnst ja nicht mal hier! Und Sie …“, er wandte sich an Amberger, „Sie prüfen nach, von welchen Werten wir hier sprechen.“

Der Notar räusperte sich tadelnd. „Das kann ich Ihnen sagen. Wie Ihre Frau Mutter wusste, entspricht der Wert der Münzsammlung Ihrem Pflichtteil, dürfte sogar noch ein wenig mehr einbringen, sofern Sie die Sammlung gut veräußern. Das Barvermögen beläuft sich auf etwa siebzigtausend Euro und der Marktwert der Immobilie mitsamt Inventar und Grundstück wurde auf knapp dreihunderttausend geschätzt. Einsicht in die genauen Zahlen kann Ihnen meine Sekretärin, Frau Lays, geben. Fragen Sie sie nach.“ Er wies mit der Hand zur Tür, die in den Vorraum führte.

Patrick lehnte sich zurück, während sein wutschnaubender Vater an ihm vorbei in Richtung Tür marschierte. Wenn er ehrlich war, überraschte ihn die Aufteilung nicht. Trotzdem hätte er nie für möglich gehalten, dass er das Haus bekäme. So ganz wollte die Erkenntnis nicht sacken. Sie schien zu sperrig, um aufgenommen werden zu können.

„Von Ihnen benötige ich noch ein paar Angaben, um die Grundbucheintragung ändern zu lassen. Sofern Sie das Erbe annehmen wollen.“ Der Notar sah ihn an.

Patrick überlegte nicht lange. Auch wenn er sich mit seinem Chef nicht wegen einer Versetzung einigen könnte, hergeben würde er das Haus keinesfalls. Notfalls würde er es vermieten.

„Ähm, ja. Es ist zwar überraschend aber ja, ich nehme das selbstverständlich an“, sagte er und hoffte, selbst ins Haus einziehen zu können. Es wäre schön, seine Mutter wieder in der Nähe zu haben.

„Das freut mich.“ Amberger schlug die Mappe zu und nahm die Brille von der Nase.

„Kommst du zurück? Ich meine, wirst du im Haus wohnen?“, fragte seine Mutter leise. Der hoffnungsvolle Ausdruck auf ihrem Gesicht ließ ihn lächeln.

„Ja, das werde ich. Zumindest versuche ich es, auch wenn er“, er wies mit dem Daumen zum Vorzimmer, „dann an die Decke geht.“

Sie strahlte, überbrückte die Distanz zwischen ihnen und umarmte ihn. Er wurde sich in diesem Moment bewusst, wie sehr ihm das gefehlt hatte. Er roch den Duft ihres Shampoos und fühlte sich in seine Jugend zurückversetzt, als die Umarmungen seiner Mutter ihm immer Kraft gegeben hatten.

„Iris! Wir gehen“, dröhnte die gepresst klingende Stimme seines Vaters von der Tür her. „Und lass den Jungen los, das ist ja widerlich! Wer weiß, wo der seine Finger hatte.“

Patrick verdrehte genervt die Augen. Seine Mutter richtete sich auf, bedachte ihn mit einem entschuldigenden Blick und eilte aus dem Raum. Die Tür wurde zugeknallt.

„Es tut mir leid“, wandte Patrick sich an den Notar, der die Szene stirnrunzelnd betrachtet hatte. „Wie unschwer zu erkennen war, ist mein Vater ein herrischer Mann.“

„Nun, junger Mann“, begann Amberger und legte den Kopf leicht schräg. Ein kleines Lächeln umspielte seinen Mund. „Ich bin ihm nie zuvor begegnet, aber Ihre Großmutter war mir eine liebe Freundin. Ich ahnte, dass diese Reaktion kommen würde. Um es mit Agathes Worten zu sagen: Er ist ein homophober Idiot.“

Patrick riss erstaunt die Augen auf, worauf Amberger kicherte. Es passte gar nicht zu seinem großväterlichen Erscheinungsbild.

Zwei Wochen später stand Patrick in der Einfahrt seines neuen Heims. Als Kind hatte er fast die gesamten Ferien bei seiner Oma verbracht, doch jetzt als Eigentümer davorzustehen, war eigenartig. Befremdlich und auf gewisse Weise beruhigend, als käme er nach einer langen Reise nach Hause.

Er seufzte, griff seine Umhängetasche mit einigen Lebensmitteln darin und zwei der sieben ungefalteten Umzugskartons. Er klemmte die Pappe unter den Arm, als er die Tür aufschloss. Es roch etwas muffig und dezent nach der Seife, die seine Oma immer benutzt hatte. Wehmut erfasste ihn. Und ein schlechtes Gewissen, wobei das absolut unnötig war. Dennoch tat es ihm leid, die letzten zwei Jahre so weit weg gewesen zu sein. Seine Arbeit hatte ihn nach Berlin geführt, in die Zentrale des Softwareunternehmens, für das er tätig war. Nun war er zurück, in der Niederlassung, in der er seine Ausbildung absolviert hatte. Zurück in der Heimat. Zurück, ohne vom herzerwärmenden Lächeln der Oma begrüßt zu werden. Zurück, ohne den Duft nach Apfelkuchen, den sie so oft für ihn gebacken hatte …

Er schob die bedrückenden Gedanken beiseite und sah sich um. Wo sollte er nur anfangen? Für ihn stand fest, dass er ein Großteil der Möbel behalten würde. Jedes Stück verband er mit einer Erinnerung. Er stellte die Kartons an die Flurwand, öffnete ein Fenster im Wohnzimmer und eins in der Küche und stieg die Holztreppe hinauf.

Oben waren zwei Schlafzimmer und ein Bad. Unter dem Dach befand sich ein einziges Zimmer, welches man über eine Wendeltreppe erreichte. Große Fenster bis zur Giebelspitze erhellten den Raum, der keinen eigentlichen Zweck besaß. Als Patrick zuletzt dort gewesen war, hatte nur eine Sitzgruppe aus Rattan Geflecht da gestanden. Sein jetziges Ziel war allerdings nicht jenes Zimmer unter dem Dach. Er lief über den Flur, wobei der Teppich jeden seiner Schritte schluckte. An der zweiten Tür blieb er stehen. Als er sie öffnete, sah er auf den ersten Blick, dass alles so war, wie immer. Das Bett mit Tagesdecke und Zierkissen, das Regal daneben gefüllt mit Comics, Kinder- und Jugendbüchern sowie einigen ‚Schätzen‘, die er im Laufe der Jahre gefunden und dort hingestellt hatte. Vom Stein mit der glänzenden Ader bis zu dem Pinienzapfen. Das Zimmer, das vor gefühlten Ewigkeiten zu seinem geworden war, unverändert und stets bereit, den Feriengast aufzunehmen. Nur dass Patrick schon lange kein Feriengast mehr war. Seine letzten Schulferien lagen fünf Jahre zurück und seit er in Berlin lebte, war er nur zu ihrem Geburtstag im Juli und zu Weihnachten da gewesen.

Er stellte die Tasche auf das Fußende vom Bett und trat ans Fenster. Beim Blick nach draußen stutze er. Im linken Nachbargarten tollte ein Hund auf der Wiese herum, eine junge Frau warf ihm wiederholt eine Frisbeescheibe zu. Patrick kannte sie nicht – er schlussfolgerte, dass sie erst nach seinem letzten – leider zu kurzen Besuch – an Weihnachten eingezogen sein musste. Er glaubte, sich zu erinnern, dass seine Oma ihm vom Verkauf des Hauses erzählt hatte. Patrick öffnete das Fenster und winkte seiner neuen Nachbarin – sofern sie es denn war – kurz zu, da ihr Blick just in diesem Moment zu ihm nach oben gewandert war. Sie grüßte zurück und wurde sofort wieder von ihrem Hund in Beschlag genommen. Patrick wandte sich ab und seufzte. Als er zuletzt in diesem Zimmer war, ging es seiner Oma noch gut. Mit ihren fünfundachtzig Jahren kam sie ganz gut alleine im Haus klar. Den Garten hatte sie geliebt, doch dieser wurde ihr zum Verhängnis. Eine missachtete Verletzung, vermutlich von Dornen, hatte sich entzündet und schließlich zu einer Blutvergiftung geführt. Viel zu spät hatte sie sich untersuchen lassen. Die Ärzte in der Klinik konnten ihr nicht mehr helfen. Und nun stand er hier und wusste nicht, wo er anfangen sollte. Er entschied sich für die Möbel.

Bewaffnet mit einem Post-it Block und Kuli wanderte Patrick durchs Haus. Er schieb entweder ‚behalten‘ oder ‚weg‘ auf die neonfarbenen Papierchen und pappte sie an die Möbelstücke. Beim zweiten Rundgang stellte er fest, dass er neunzig Prozent mit ‚behalten‘ markiert hatte. Dummerweise ließ sich das nur schwer realisieren, es sei denn, er würde sich von einem Teil seiner eigenen Möbel trennen. Seufzend ließ er sich schließlich in der Küche auf einen Stuhl sinken und trommelte mit den Fingerspitzen auf der rustikalen Tischplatte herum. Den Tisch würde er behalten, doch den Rest der Küche würde er gegen seine eigene eintauschen. Auf den Komfort seiner modernen Küchenzeile wollte er nicht verzichten.

Wenn er an den Berg an Arbeit dachte, den er nun vor sich hatte, bereute er den Entschluss, Berlin den Rücken gekehrt zu haben. Aber das Haus von Oma Tata, wie er sie als kleiner Junge immer genannt hatte, aufzugeben, wäre nicht infrage gekommen. Es war sowieso zu spät. Seine Möbel befanden sich in einem Zwischenlager der Spedition, die alles transportiert hatte. Sein Arbeitsplatz war geändert und in einer Woche wurde er im Büro erwartet. Da er bis dahin das Meiste erledigt haben wollte, trat er sich gedanklich selbst in den Hintern und legte los.

Bis weit nach Mitternacht packte er. Allein im Wohnzimmer füllte er sieben Kartons, ehe er müde die Treppe nach oben stieg. Gähnend beschloss er, die Dusche auf den kommenden Morgen zu verschieben.

Patrick wurde unsanft geweckt. Durch das offene Fenster schallte lautstarkes Hundegebell zu ihm herauf, dabei war es noch nicht mal richtig hell. Ein Blick auf seine Armbanduhr zeigte kurz nach fünf.

„Ist das zu fassen!“, murrte er. Da der Hund fröhlich weiter kläffte, kletterte er aus dem Bett und trat ans Fenster. In der Morgendämmerung konnte er weder den Hund noch dessen Besitzerin ausmachen.

„Fängt ja gut an“, murmelte er.

Nun, wo er schon mal auf war, entschloss er, sich zu duschen und nach einem Kaffee mit dem Ausräumen der Schränke weiterzumachen.

Das Duschen ging sehr schnell – mangels warmen Wassers. Er hatte schlichtweg vergessen, den Heizkessel einzuschalten. Entgegen der Meinung seines Vaters, der ihn oft als Weichei beschimpft hatte, war er das keinesfalls. Nach der kalten Dusche lief er nackt über den Flur ins Zimmer zurück, schlüpfte in Boxershorts und kurze Hosen. Auf dem Weg hinunter zog er sich ein T-Shirt an.

Während die Kaffeemaschine ihren Dienst tat, suchte er in den Taschen seiner Jeansjacke die Zigarettenschachtel. Kurz darauf wurde er fündig. Er wusste, er würde im ganzen Haus keinen Aschenbecher auftreiben können – seine Oma hatte nie einen Hehl daraus gemacht, was sie vom Rauchen hielt: Nichts. Jetzt im Haus zu rauchen fühlte sich irgendwie falsch an, also wartete er auf den Kaffee, den er dann mit nach draußen nahm.

Trotz der frühen Uhrzeit war es schon angenehm warm. Im Laufe des Tages würde daraus wieder brütende Hitze werden. Der Hund hatte inzwischen sein Gebell eingestellt, sodass Patrick seinen Kaffee in der morgendlichen ‚Ruhe‘ genoss, die durch das Vogelgezwitscher ziemlich idyllisch wirkte.

Er schüttelte eine Zigarette aus der Schachtel und zündete sie an. Als er den Rauch ausblies, hörte er das Garagentor des rechten Nachbarhauses aufgehen. Es quietschte wie eh und je, was ihm ein belustigtes Schnauben entlockte.

Er fragte sich, ob da noch die gleichen Leute wohnten. Ein älteres Ehepaar, dessen Enkel Dirk - wie er selbst - häufig in den Ferien zu Besuch gewesen war. Wie oft sie zusammen Fußball gespielt hatten oder zum nahen See schwimmen gegangen waren, konnte er nicht mehr aufzählen. Die gemeinsamen Aktivitäten hatten schlagartig geendet, als Patrick ihm gestanden hatte, dass er schwul ist. Seit dem Tag hatte er Dirk nicht wiedergesehen. Über das Warum hatte er sich nie Gedanken gemacht – es war offensichtlich. Die anfängliche Enttäuschung war erst in Wut umgeschlagen, bis er sich damit abgefunden hatte. Menschen, die ihn nicht akzeptierten, wie er war, wollte er nicht um sich haben.

Patrick löschte die Glut in der Erde, stand auf und warf den Filter in der Küche in den Mülleimer. Dann machte er sich an die Arbeit. Er hatte sich vorgenommen, nach dem Wohnzimmer das Schlafzimmer seiner Oma zu räumen. Da die Sachen zum Wegwerfen zu schade waren, hatte er eine Wohltätigkeitsorganisation gefragt, ob Interesse an der Wäsche und anderem Inventar bestünde. Für den späten Nachmittag hatte sich ein Mitarbeiter angekündigt, der einen Teil der Sachen gleich mitnehmen wollte.

Um kurz nach zehn war er mit dem Wohnzimmer fertig. Sein Magen knurrte. Er ignorierte es, doch das Grummeln verschwand dadurch nicht. Also gab er sich geschlagen und machte sich auf den Weg zum Supermarkt. Am Vortag hatte er bloß Mineralwasser, Kaffee, Kekse und Milch mitgebracht. Die Reste aus seiner alten Wohnung.

Eine halbe Stunde später kam er mit zwei vollen Einkaufstüten beladen zurück. Es war keine gute Idee gewesen, mit leerem Magen einkaufen zu gehen, denn Patrick hatte weit mehr in den Wagen gepackt, als er eigentlich haben wollte. Das ärgerte ihn, aber wahrscheinlich war er nicht der Einzige, dem das passierte. Nun packte er seine Errungenschaften aus und hielt inne, als erneut ein Rumoren aus seinem Bauch erklang. Irgendwie hatte es sich angehört wie ‚Rührei‘.

„Ist ja gut, kriegst ja was“, brummte er seiner Körpermitte zu.

Frisch gestärkt machte Patrick sich wieder ans Werk. Bewaffnet mit einer Rolle blauer Müllsäcke und zwei Kartons stieg er die Treppe nach oben. Das Schlafzimmer seiner Oma zu betreten hatte etwas Eigenartiges an sich. Schon als Kind war er nicht gerne hineingegangen. Es hatte sich immer falsch angefühlt, in einen so persönlichen Bereich einzudringen.

Die Luft im Raum war abgestanden, weshalb er ans Fenster trat und es weit öffnete. Die Hitze von draußen war ihm lieber als der Sauerstoffmangel hier drin. Anschließend sah er sich genauer um. Das Bett war gemacht und mit einer Tagesdecke aus den Sechzigern versehen. Der Nachttisch war aufgeräumt, doch auf der Kommode lag eine Staubschicht, die vermuten ließ, dass hier seit Wochen nicht gründlich geputzt worden war.

Patrick seufzte und zog eine Tüte von der Rolle. Als er sie aufschüttelte, wirbelte er Staub auf, sodass ihm die Nase kribbelte. Er zog Grimassen, um das kitzelnde Gefühl zu vertreiben, und öffnete den Kleiderschrank. Hinter der ersten Tür verbargen sich Bett- und Tischwäsche. Fein säuberlich gestapelt und nach Farben sortiert. Er packte alles in den Sack.

Hinter den nächsten beiden Türen befand sich die Kleidung, die er auch in Tüten verpackte. Bei dem einen oder anderen Stück blitzte eine Erinnerung in ihm auf – an besondere Tage und Gelegenheiten, bei denen Oma Tata das Kleidungsstück getragen hatte.

Um nicht in Sentimentalitäten zu verfallen, machte er rasch weiter. Nachdem der Schrank leer und vier große Tüten voll waren, wandte er sich der Kommode zu. Da sich im Kleiderschrank weder Nacht- noch Unterwäsche befunden hatten, nahm er an, dass sie darin zu finden seien. Mit spitzen Fingern zog er die erste Schublade auf. Allein der Gedanke, Büstenhalter und fleischfarbene Schlüpfer ausräumen zu müssen, verursachte bei ihm eine Gänsehaut. Da half es auch nicht, daran zu denken, dass die Sachen einer geliebten Person gehört hatten.

Das Schicksal meinte es gut mit ihm, denn in der Lade befanden sich Socken aller Art. Als er hineingriff, fiel sein Blick auf einen Bilderrahmen, der auf der Kommode stand. Das Glas war staubig, dennoch erkannte er sich selbst. Das Foto zeigte ihn als sechsjährigen Rotzlöffel, mit Schultüte im Arm und einem schiefen Grinsen im Gesicht. Seine von der Sonne gebleichten, strohblonden Haare waren wild durcheinander. Inzwischen hatte er sie wachsen lassen, und die Naturlocken waren nicht mehr so störrisch. Auf dem Bild war die Welt noch in Ordnung gewesen. Sein Vater mit stolzgeschwellter Brust im Hintergrund, seine Mutter - mit einem Lächeln auf den Lippen - etwas versetzt daneben. Damals war ihr Haar lang gewesen, genauso blond und gelockt wie seines. Nicht das Einzige, das Patrick von ihr hatte. Sie teilten die gleichen grünen Augen und besaßen beide ein hilfsbereites Wesen. So plötzlich an den Tag der Einschulung erinnert zu werden, rief die Illusion einer heilen Welt hervor.

Ein leises Lachen kam ihm über die Lippen und er griff nach dem Rahmen. Die Fotografie wollte er auf jeden Fall behalten, auch wenn aus dem stolzen Vater von damals ein Arsch geworden war.

Mitten in der Bewegung hielt er inne, denn hinter dem Bilderrahmen mit dem silbernen, verzierten Rand entdeckte er eine Vase, die eine eigenartige Form besaß. Zudem verwunderte ihn der Umstand, dass diese mehr Staubablagerungen zu haben schien als der Rest der Kommode. Und gesehen hatte er sie auch noch nie, bei keinem seiner Besuche. Was allerdings nichts heißen musste. Schließlich war er nicht oft im Schlafzimmer gewesen.

Patrick stellte das Bild wieder hin, griff stattdessen nach der kleinen Vase, deren blaue Farbe nur zu erahnen war. Der Bauch passte gerade so in seine Hand.

„Was …?“, rutschte es ihm heraus, als er sah, dass die Vase am Ende des schlanken Halses einen Deckel besaß.

„Geheimer Schnapsvorrat Oma?“, murmelte er und zog an dem Deckel, der wie ein Stopfen aussah. Zugleich wischte er einen Teil des Staubes ab, der dem Glas anhaftete.

Es zischte, kaum dass er den Pfropfen rausgezogen hatte, Qualm stieg auf und Patrick ließ das Gefäß erschrocken fallen. Der Rauch breitete sich aus und obwohl diese Menge nie und nimmer in die kleine Vase gepasst hätte, sah er gebannt zu, unfähig irgendetwas zu tun.

Der Rauch lichtete sich, wie Nebel in der Disco, und Patrick blinzelte verwirrt. Da stand ein Kerl …

„Jesses! Whoa! Agathe! Warum verflucht hast du mich so lange eingequetscht? Da drin ist es enger als in Cleopatras Arsch! Warte nur ab, wenn ich mich fertig sortiert hab … verfickte Kacke, ich weiß gar nicht, was mir nicht eingeschlafen ist!“, zeterte der aus dem Nichts aufgetauchte Typ, der sich streckte und mit geschlossenen Augen den Kopf kreisen ließ, sodass es knackte.

Patrick starrte ihn an. Er zweifelte an seinem Verstand. Sah er da vor sich wirklich einen Kerl – nur in Hosen?

„Agathe, ich sag‘s dir …“, schimpfte er weiter, stockte und blickte Patrick mit offenem Mund an.

„Heilige Scheiße!“, rutschte es Patrick raus.

„Das kannst du laut sagen! Meine Fresse, mein Auftritt war jetzt nicht der ruhmreichste.“

Patrick blinzelte. Dann sah er sich suchend um. War er bei ‚Versteckte Kamera‘ oder so gelandet? Das war doch gerade nicht wirklich passiert!? Männer tauchten nicht einfach aus dem Nichts auf – und schon gar nicht so einer! Der gestählte Oberkörper, die kräftigen Arme und das markante Gesicht glichen einer Adonis Statue. Die eigenartige schwarze Hose erinnerte ihn irgendwie an den Orient. Und Schuhe hatte der Kerl auch keine an!

„Äh – wer oder was bist du?“, fragte Patrick vorsichtig. Er wusste nicht, ob er die Antwort hören wollte.

„Das könnte ich dich ebenfalls fragen. Wo ist Agathe? Mit der hab ich noch ein Hühnchen zu rupfen! Mich so lange schmoren zu lassen …“

Patrick blickte auf die Vase, bückte sich und nahm sie in seine Hand. Dann sah er zu dem Bild von einem Mann, der eher in einen Kleiderschrank passen würde, als in dieses winzige blaue Ding.

„Äh … du warst nicht echt hier drin?“

Der Kerl verschränkte die Arme vor der nackten Brust. Der Blick, der Patrick aus den dunklen Augen seines Gegenübers traf, wirkte belustigt.

„Natürlich war ich das. Es ist kein Vergnügen, jahrelang darin festzusitzen, das sag ich dir. Über zehn Jahre! Ich kann meine Zehen nicht spüren. Von anderen Körperteilen mal ganz abgesehen. Dabei weiß ich gar nicht, was ich angestellt habe, dass sie mich nicht mehr gerufen hat.“ Er zog einen Schmollmund, der wie ein Kussmund aussah.

Patrick vertrieb den Gedanken, trat zwei Schritte zurück und ließ sich auf das Bett sinken. Er schüttelte ungläubig den Kopf.

„Ein Flaschengeist?“, fragte er – mehr an sich gerichtet, als an den barfüßigen Kerl, der ihn abwartend ansah. „So was gibt’s doch nur im Film …“ Vor allem, wenn der angebliche Geist wirkte wie ein Mann aus Fleisch und Blut. Obendrein auch noch verdammt sexy war.

„Ja, klar! Wäre ich sonst hier? Außerdem bin ich kein schnöder Flaschengeist. Ich bin ein Dschinn!“ Das letzte Wort betonte er überdeutlich.

„Was? Wie bei Aladdin? Warum wohnst du dann nicht in so einer hübschen Lampe?“

Der Dschinn verzog das Gesicht. „Die waren zu der Zeit wohl aus. Also, wo steckt sie?“

„Wer?“

„Agathe!“

„Tut mir leid, aber mit ihr wirst du nicht mehr reden können. Sie ist gestorben.“

„Och, schade. Dabei war es immer so lustig mit ihr … bis sie mich eingesperrt hat.“ Er verzog das Gesicht. Was wohl wie eine beleidigte Miene wirken sollte, sah ziemlich komisch aus. Zumindest für Patrick, der sich ein Lachen nicht verkneifen konnte.

„Ja, ja. Lach ruhig. Ich schlussfolgere: Da Agathe nicht mehr unter uns weilt und ich einige Jahre verpasst hab, musst du der Rotzlöffel sein, der sie immer besuchen kam und ich währenddessen mein kuscheliges kleines Heim nicht verlassen durfte.“

„Sie war meine Oma, ja. Und ja, ich habe sie oft in den Ferien besucht. Ich fasse es nicht … Du warst damals echt schon hier?“ Patrick schnaubte. „Oh Mann, ich rede mit jemandem, den es gar nicht geben kann!“

„Bla, bla, bla. Immer das Gleiche. Siehst du mich, oder nicht?“

Patrick verdrehte die Augen. „Ja, ich sehe dich. Ich weiß nur gerade nicht, was das über meinen Geisteszustand aussagt.“

„Na ja, über deinen Verstand kann ich mir kein Urteil bilden. Deine Augen und Ohren funktionieren einwandfrei. Und, wie darf ich meinen neuen Meister anreden?“

„Was?“

„Hab mich geirrt, hast doch was an den Ohren. Oder bist schwer von Begriff … Wie heißt du?“

„Patrick. Hab‘ schon verstanden, was du gemeint hast, nur das Wörtchen Meister verwirrt mich etwas.“

Jetzt rollte der Dschinn mit den Augen. Er begann, mit seinen Fingern auf dem Arm zu trommeln, und seufzte vernehmlich, als wäre er genervt. „Ein Crashkurs: Ich bin der Dschinn, du hast mich gerufen. Folglich bist du mein Meister und ich dir zu Diensten. So ist das, wenn man an einer Wunderlampe reibt. Und nun Meister Paddy, was kann ich für dich tun?“, leierte er herunter.

„So ist das“, erwiderte Patrick und schmunzelte. Irgendwie machte die Sache Spaß, obwohl er sie weiterhin für einen Scherz hielt. Irgendwo mussten Kameras versteckt sein und der Adonis war ein guter Schauspieler. „Wenn ich dein Meister bin, will ich, dass du Patrick sagst und nicht Paddy. Hast du einen Namen oder bist du einfach nur der Dschinn?“

„Ich besitze keinen festen Namen.“

„Oh, gut. Dann heißt du jetzt Abdul, was meines Wissens nach Diener bedeutet.“ Patrick verkniff sich ein Lachen, denn sein Gegenüber hatte entsetzt die Augen aufgerissen. Er fing sich jedoch recht schnell.

„Oh nein! Das wird mir ja gar nicht gerecht! Ich bin doch kein gewöhnlicher Diener“, begehrte er auf. „Jesses nee! Ein Diener! Pah! Ich zeig dir mal was und danach diskutieren wir über meinen Namen.“ Kaum ausgesprochen drehte er sich einmal um sich selbst, erfasste die Lage im Raum und erkannte offensichtlich, was Patrick dort gemacht hatte. Der Dschinn klatschte in die Hände, wies mit den Zeigefingern auf die Tütenrolle, dann auf die Kommode. Patrick klappte die Kinnlade runter, als sich eine Tüte von der Rolle spulte und aufblähte, sich die Schubfächer der Kommode öffneten und alles, was darin war, in die Tüte wanderte. Von Zauberhand! Absolut treffsicher war der Flug der Wäsche nicht – ein Stapel Stofftaschentücher und ein Bündel Seidenstrümpfe fiel daneben – was der Dschinn mit einem Achselzucken abtat.

„Ich bin noch nicht ganz aufgetaut“, entschuldigte er sich.