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Dieser Band enthält folgende Romane: Eine Sache des Herzens (Sandy Palmer) Als die Bäuerin vom Schranz-Hof starb, hatte sie ihrer Tochter Marei das Versprechen abgenommen, auf dem Hof zu bleiben. Und Marei hielt ihr Versprechen. So vergingen die Jahre, und aus dem Dirndl war eine fesche junge Frau geworden, die nur die Sorgen um den Hof und die beiden kleineren Brüder kannte. Nur sie allein kannte die Sehnsucht, die sie manchmal erfasste, wenn sie ihre Altersgenossinnen lachen und tanzen sah, unbeschwert das Glück der Jugend genießend. Zweimal schon hatte Marei geglaubt, dem Mann fürs Leben begegnet zu sein, aber beide Male hatte der hartherzige Bauer die Freier vom Hof gejagt. Das Glück seiner Tochter war ihm weniger wert als der Hof.
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Ein Flirt auf der Alm: Bergroman Doppelband
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Eine Sache des Herzens
Kann denn Flirten Sünde sein?
Dieser Band enthält folgende Romane:
Eine Sache des Herzens (Sandy Palmer)
Als die Bäuerin vom Schranz-Hof starb, hatte sie ihrer Tochter Marei das Versprechen abgenommen, auf dem Hof zu bleiben. Und Marei hielt ihr Versprechen. So vergingen die Jahre, und aus dem Dirndl war eine fesche junge Frau geworden, die nur die Sorgen um den Hof und die beiden kleineren Brüder kannte. Nur sie allein kannte die Sehnsucht, die sie manchmal erfasste, wenn sie ihre Altersgenossinnen lachen und tanzen sah, unbeschwert das Glück der Jugend genießend. Zweimal schon hatte Marei geglaubt, dem Mann fürs Leben begegnet zu sein, aber beide Male hatte der hartherzige Bauer die Freier vom Hof gejagt. Das Glück seiner Tochter war ihm weniger wert als der Hof.
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von
Alfred Bekker
© Roman by Author / COVER A.PANADERO
© dieser Ausgabe 2023 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
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Heimatroman von Sandy Palmer
Der Umfang dieses Buchs entspricht 126 Taschenbuchseiten.
Als die Bäuerin vom Schranz-Hof starb, hatte sie ihrer Tochter Marei das Versprechen abgenommen, auf dem Hof zu bleiben. Und Marei hielt ihr Versprechen. So vergingen die Jahre, und aus dem Dirndl war eine fesche junge Frau geworden, die nur die Sorgen um den Hof und die beiden kleineren Brüder kannte. Nur sie allein kannte die Sehnsucht, die sie manchmal erfasste, wenn sie ihre Altersgenossinnen lachen und tanzen sah, unbeschwert das Glück der Jugend genießend. Zweimal schon hatte Marei geglaubt, dem Mann fürs Leben begegnet zu sein, aber beide Male hatte der hartherzige Bauer die Freier vom Hof gejagt. Das Glück seiner Tochter war ihm weniger wert als der Hof.
Ein CassiopeiaPress Buch CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von
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© Roman by Author
© dieser Ausgabe 2021 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
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Das kleine Menschenkind lag brüllend auf dem Kissen und strampelte mit den Beinen.
„Um den Buben brauchst du dir keine Sorgen zu machen, Pflüger-Bäuerin, der ist gesund“, sagte Apollonia Zurbriggen, die Hebamme von Karchenwald.
Die Bäuerin nickte verständnisvoll. Dann seufzte sie:
„Ja mei, Loni, wenn das schon so lang her ist seit dem letzten Kind, dann verlernt man halt alles.“
Die Hebamme lachte.
„So lang ist das gar net her, Bäuerin! Die Walburga ist sechs und geht g‘rad in die Schule. Beim Schranz-Bauern haben wir denselben Fall. Da ist der Gustl sechs, und nun kommt noch was Kleines.“
Sie legte den kleinen Buben resolut in die Wiege und sah sich in der Stube um.
Die Pflüger-Bäuerin verstand den Blick.
„Bring den Kaffee rein, Liesi!“, rief sie. „Du setzt dich noch, Loni, und trinkst einen Schluck?“
„Eigentlich hab ich gar keine Zeit net“, sagte die Apollonia und ließ sich schon auf den Stuhl neben dem Tisch fallen, „aber man muss ab und zu auch ein bissel das Leben genießen.“
Die älteste Tochter trat ein und trug eine Kaffeekanne und zwei Tassen auf dem Tablett. Auf einem Teller lag ein Stück Napfkuchen.
„Grüß Gott, Liesi!“, rief die Hebamme gerührt aus. „Was bist du für ein stattliches Madel geworden! Ja, ja, die Zeit vergeht. Vor achtzehn Jahren hatte ich dich hier auf dem Kissen liegen.“
Sie tätschelte dem Madel den nackten, runden Arm.
„Rundlich warst du schon immer, Liesi. Das schadet aber nix, du bekommst doch einen Mann. Wie steht denn die Sach‘ mit dem Schranz-Toni?“
Die Liesi wurde bis unter die blonden Kraushaare rot und schaute zur Seite.
„Ach, Loni …“
„Sie schämt sich“, sagte die Bäuerin und legte der Hebamme den Kuchen vor. „Nimmst du Zucker in den Kaffee, Loni? Dem Toni scheint‘s ernst zu sein. Er ist sehr oft bei uns!“
„Gut so!“, ermunterte die Apollonia. „Der Schranz-Hof ist der größte im Dorf, und der Toni wird Hoferbe, Madel!“
„Und der Hof ist voller Kinder wie bei uns!“, maulte die Liesi und schob die Lippen vor. „Bis ich da Herrin werd‘, bin ich alt!“
„Das ist nun mal net anders“, wies sie die Mutter zurecht und sah nach der Uhr. „Halb sechs, Liesi, setz‘ die Abendsuppe auf! Unsere Leut‘ kommen bald heim.“
Das Madel ging.
„Sie machen die Rüben aus“, sagte die Bäuerin. „Diesmal herbstet es früh. Wir haben Oktober, und es ist kalt wie im Dezember. Hast du auf dem Rad net gefroren?“
„Dafür ist Speck gut und wollene Unterhosen!“, lachte die Apollonia über das ganze rote Gesicht und schlug sich auf die breiten Schenkel. „Aber was ich noch sagen wollt‘, auf dem Schranz-Hof ist man noch weniger entzückt von dem Nachwuchs als bei euch. Viere sind schon da, und jetzt kommt das fünfte.“
„Auf dem Hof waren immer viele Kinder und viel Streit“, meinte die Pflüger-Bäuerin. „Da haben alle einen harten Schädel und alle sind schweigsam und verschlossen. Der Toni ist auch so einer. Stark ist er ja und gesund und groß, ein Prachtbursche. Aber ob meine Liesi es bei ihm gut haben wird, das ist noch die Frage.“
„Du bist zu weich, Bäuerin“, tadelte die Apollonia. „Das kommt aus deines Vaters Familie, die waren alle weich. Dein Mann ist anders.“
Sie dachte an den Pflüger-Bauern mit den schmalen Lippen und den kalten grauen Augen.
„Die Liesi hat die Augen von deinem Mann, Bäuerin. Und ihre stattliche Mitgift wird dem Schranz-Anton schon gefallen. Die haben nur reiche Frauen geheiratet, die Leut‘ vom Schranz-Hof,
Frauen, die rechnen und arbeiten konnten, und die haben sie dann auch anständig behandelt. Von Liebe ist da freilich net viel die Red‘. Aber das macht solchen Menschen nix aus.“
Plötzlich schob die Liesi den windzersausten Schranz-Xaver zur Tür herein.
„Da! Er will zur Apollonia! Auf dem Schranz-Hof hat‘s ein Unglück gegeben.“
„Was für ein Unglück?“, fragte die Apollonia seelenruhig und trank den letzten Schluck Kaffee.
„Das Mutterl ist vom Heuboden gefallen – ganz hoch runter!“, stotterte der Bub. „Dann könnt‘ sie net wieder auf und schrie. Der Vater und der Toni haben‘s dann ins Bett getragen, und nun jammert‘s immer noch. Sie sagt, ‘s geht los, Apollonia, du sollst kommen.“
Der Zwölfjährige zog die Nase hoch, fuhr sich mit den gespreizten Fingern durch den blonden Schopf und schwieg.
„Schöne Geschichten!“, sagte Apollonia Zurbriggen gottergeben. „Dann lass uns sofort gehen, Bub, es wird dringend sein. Schad‘ um deinen Kaffee, Bäuerin. Und glaub‘ mir‘s, der Bub ist gesund.“
Sie nahm ihr großes Wolltuch mit den Fransen von der Stuhllehne. Dann ergriff sie ihre Tasche.
„Los, Xaver! Und putz dir mal die Nase!“
Die Hebamme Apollonia Zurbriggen verlor in keiner Lebenslage die Nerven. Das war Voraussetzung für ihren Beruf.
Sie fuhren hintereinander auf dem Feldweg. Die Apollonia voraus und Xaver respektvoll hinterdrein. Rechts und links dehnten sich Felder und Viehweiden. Nach dem Dorf Karchenwald zu wurde der Boden besser; der Hof des Pflüger-Bauern lag jenseits des Baches hinter einem Waldstück und war sozusagen ein Außenseiter unter den Höfen, die sich sonst in einem Kreis um die Kirche und die Schule scharten.
Als die beiden den Wald hinter sich hatten und über die Brücke, die über den Bach gebaut war, hinübergefahren waren, konnten sie den Schranz-Hof schon liegen sehen.
Ein paar hundert Fichten standen ein wenig abseits der Straße, und unter ihnen erhoben sich gut
zwölf bis fünfzehn Gebäude, die zum Hof gehörten.
Das Wohnhaus trug über der Tür die Jahreszahl 1649.
Anton Schranz, der jetzige Bauer, stand unter der Tür des Wohnhauses und sah der Apollonia sorgenvoll entgegen.
„Kommst endlich? Es ist höchste Zeit!“
Und dann ging er ihr voraus durch alle Zimmer zur Schlafkammer.
Die Apollonia war vom Rad herunter wie der Wind und ließ es dem Xaver entgegenfallen, der selber eilig abgestiegen war. Im Gehen nestelte sie das Wolltuch los. In der Wohnstube hörte sie schon das Stöhnen der Bäuerin.
Der Schranz-Bauer umklammerte in der Schlafkammer mit eisenharten Fäusten die Bettkante und wies zu seiner Frau hin.
Die sah freilich traurig genug aus. Die Bäuerin lag auf dem Rücken und hatte die Knie hochgestellt. Ihr Kopf und die Schultern warfen sich in wilden Krämpfen herum, und ihre Lippen waren zusammengepresst.
Apollonia Zurbriggen hatte im Nu ihre Tasche abgestellt und schickte den Bauern hinaus. Dann untersuchte sie die Frau.
Schließlich kam sie wieder in die Küche und verlangte warmes Wasser, Tücher und Schüsseln.
Marei, die sechzehnjährige Tochter, gab ihr alles. Am Herd kochte die Magd. Die Jungmagd und die Kinder saßen mit ängstlichen Augen um den Tisch. Der Bauer lehnte am Schrank, und seine Wangenknochen mahlten.
Später rief ihn die Apollonia in die Schlafkammer. Er musste helfen, die tobende Bäuerin festzuhalten. Und so wurde nach knapp drei Stunden, so gegen neun Uhr abends, ein Wesen auf dem Hof zur Welt gebracht, das einmal ein Mensch und zwar ein Bub hatte werden sollen; jetzt aber war es noch gar nichts, ein kleines, armseliges Nichts, das nicht mehr lebte, als es geboren war.
Das Schlimmste aber war, dass die Kraft der Mutter in einem nicht zu dämmendem Blutstrom dahinfloss. Alle ihre Kunst und Erfahrung wandte die Hebamme an, aber nichts half. Schließlich sah sie den Bauern starr an;
„Hol den Doktor, Schranz-Bauer!“
Der wusste, was die Stunde geschlagen hatte. Niemals bisher war der Doktor auf den Hof gerufen worden – auch nicht, als die vier anderen Kinder das Licht der Welt erblickt hatten. Der Bauer ging hinaus und sagte laut in der Küche: „Der Doktor muss her – es steht schlecht.“
Der Toni, der Älteste, ging selbst und kam mit dem Arzt in dessen Wagen zurückgefahren. Und Dr. Gruber gab der Bäuerin eine Spritze, die einen momentanen Erfolg hatte.
„Bleiben Sie hier, Frau Zurbriggen!“, riet er ernst. „Wenn‘s wieder losgeht, muss sie sofort ins Krankenhaus.“
Dann fuhr er wieder fort.
Marei, die Tochter, brachte den Xaver und den sechsjährigen Gustl zu Bett. Auch die Jungmagd des Hofes ging schlafen. Toni und die Großmagd saßen weiter am Tisch und starrten dumpf vor sich hin.
Nach Mitternacht erschien der Bauer wieder auf der Schwelle der Schlafkammer.
„Ruf einen Wagen, Toni!“, sagte er. „Wir müssen sie fortbringen.“
Es war das erste Mal, dass die Bäuerin ihren Hof verließ. Und sie mochte wohl selber wissen, wie ernst es um sie stand, denn sie schickte die Apollonia hinaus und ließ die Marei zu sich rufen.
„Deine Mutter will dich sprechen“, sagte die Hebamme und wischte sich die Augen, denn die Sache ging selbst ihr nahe, obwohl sie von Berufs wegen gegen die Ereignisse von Geburt und Tod abgestumpft war.
Scheu betrat das Madel das Krankenzimmer.
Als es sich dem Bett näherte, öffnete die Bäuerin die Augen. Sie lag jetzt lang ausgestreckt, die Hände offen und matt neben dem sich unter der Bettdecke ab-zeichnenden Körper ausgestreckt. Ihr Gesicht war eingefallen und bleich, die Lippen darin waren wie ein blauer Strich.
„Marei“, flüsterte die Mutter, „ich muss jetzt fortgehen vom Hof. Ich hab Angst, was aus euch allen wird, wenn ich – wenn ich net zurückkommen sollt‘.“
„Aber du wirst doch zurückkommen, Mutterl!“, rief Marei ein wenig zu laut, um die Mutter über die Angst täuschen zu können, die hinter der betonten Zuversicht lauerte.
„Das weiß nur Gott“, sagte die Bäuerin ruhig. „Ich muss mein Haus bestellen, wenn ich‘s verlasse. Ich hab niemanden als dich, Marei! Versprich mir, dass du für Xaver und Gustl sorgen wirst nach besten Kräften und Gewissen, wie ich‘s getan hab.“
„Nach besten Kräften und Gewissen!“, wiederholte die Marei feierlich.
„Du wirst auf Vater und Toni achtgeben. Du weißt, sie streiten oft. Die Wirtschaft kennst du schon, du bist ein ernstes und zuverlässiges Madel.“
Marei schwieg und starrte aus angstgeweiteten Augen die Mutter an. War das ein Abschied für immer?
Die Mutter schien unendlich matt. Sie schöpfte zitternd Atem und verlangte noch einmal: „Versprich mir, dass du den Hof und die anderen net verlassen wirst, eh‘ net der Kleinste, eh‘ net der Gustl für sich selber sorgen kann! Du musst an meine Stelle treten, Marei.“
Ihre Stimme erstarb.
„Ich verspreche es, Mutterl!“, sagte Marei erschüttert und berührte die kalte Hand unter der Bettdecke.
Dann kam der Wagen. Die Mutter wurde mit einer Trage behutsam hineingehoben. Der Vater fuhr mit. Als die Apollonia sich nach der Abfahrt des Autos verabschiedete und in Begleitung von Toni auf ihrem Rad heimwärts fuhr, dachte sie: Die Schranz-Marei, sie kann einem leid tun! Außerdem ist sie ganz anders. Das ist net der Schranz‘sche Schlag.
Und vor ihrem geistigen Auge tauchten die Blondköpfe mit den hellen Blauaugen auf, zwischen denen Mareis Gesichtchen wie eine fremde Blume blühte.
Als der Bauer aus dem Städtchen zurückkam, war die Bäuerin schon tot. Auch im Krankenhaus hatte man der Blutungen nicht mehr Herr werden können. Nach zwölf Stunden war Maria Schranz eingeschlafen.
Nun kamen die Beisetzung und die große Leichenfeier. Sie musste ja großartig sein, denn es war nun einmal die Bäuerin vom größten Hof des Dorfes, die da gestorben war.
Die Marei arbeitete bis zum Umfallen, half beim Backen und Kochen, besorgte Blumen, ordnete die Stuben, kleidete die Geschwister und tat alles, was eine Erwachsene tut. Der Schmerz in ihr fand gar keinen Raum im Wirbel dieser Tätigkeit. Fast unwirklich schien es ihr, als die Erdschollen auf den Sargdeckel polterten und sie der Mutter die letzten Astern aus dem Garten ins Grab warf.
Als schließlich der Pfarrer und die vielen Trauergäste gegangen waren, saßen nur noch die engeren Verwandten in der großen Stube beisammen. Der Toni, still wie immer, lehnte in der Ofenecke, Marei hatte den Platz am untersten Ende des Tisches, der Vater in der Mitte.
„Nun sag mal, Anton“, verlangte Onkel Franz zu wissen, der drunten im Städtchen Reutlingen lebte, „wie ist das denn eigentlich gekommen mit der Maria?“
Der Schranz-Bauer sah ihn unbefangen an und antwortete ihm wahrheitsgemäß: „Sie ist von der Leiter gefallen – auf dem Heuboden von der Leiter gefallen.“
„Was hat eine schwangere Frau auf der Leiter zu suchen?“, räsonierte die Sixta, die Schwester des Bauern, die mit Franz Loibl verheiratet war, und sah ihren Bruder kopfschüttelnd an. „Warum musst‘ sie denn da hinaufsteigen?“
„Sie musst‘ ja net“, sagte der Bauer verärgert. „Sie tat‘s eben. Sie wollt‘ Stroh und Kienäpfel vom Boden holen, denn das Feuer war ausgegangen.“
„Das könnt‘ doch die Magd tun!“, ließ sich Cousine Lisbeth vernehmen.
Sie war aus der Loibl‘schen Familie und hatte nicht geheiratet, aber dennoch wusste sie alles besser, und Frau Sixta ärgerte sich ständig, dass sie ein Zimmer in ihrem Hause hatte, ein testamentarisch bestimmtes Zimmer.
„Die Magd war beim Melken“, sagte der Schranz-Bauer kurz.
„Und sonst war niemand im Hause?“, fragte die Therese, die Schwester der Verstorbenen, spitz vom oberen Ende des Tisches her. Sie hatte ihren Schwager nie leiden können. Die tote Bäuerin hatte wohl manchmal nach ehelichen Streitigkeiten ihr Herz bei der einzigen Schwester ausgeschüttet.
„Nein, wir haben die Rüben reingeholt, und alle waren beim Abladen“, sagte der Bauer und sah sie finster an.
„Alle net“, fuhr ihm die Therese dazwischen, „denn du hast doch neulich gesagt, dass ihr Streit miteinander hattet, als die Maria stürzte.“
„Kruzitürken!“
Der Bauer hieb mit der flachen Hand auf den Tisch, dass die Teller und Tassen tanzten. „Soll das ein Verhör sein? Werd‘ ich hier verdächtigt?“
„Du musst zugeben“, hüstelte Tante Ottilie aus dem benachbarten Dorf Feldenwang, die auch unverheiratet war und zu der Familie gehörte, der die Tote entstammte, „dass es sehr sonderbar ist! Ihr hattet in letzter Zeit viel Streit, mein‘ ich. Die Therese sagt‘s.“
Zustimmung heischend sah sie zu Therese hinüber und legte den kleinen, vertrockneten Vogelkopf schief.
„Ja, viel Streit“, echote Therese gehässig. „Die Maria war net begeistert über das fünfte Kind, net wahr?“
„Zum Teufel!“, schrie der Bauer. „Glaubt ihr, dass ich sie von der Leiter geworfen hab? Der Hof hätt ‘auch noch zehn Kinder ernährt, und die Maria war ein gesundes Weib. – Dummer Weiberklatsch, das alles!“
Damit verdarb er sich alles bei den Frauen.
„Die arme Maria“, lächelte Therese spitz und hinterhältig, „sie hatte net viel zu lachen! Die viele Arbeit, die vielen Kinder und einen Mann wie dich! Denn du musst doch zugeben, du bist ein Grobian, Anton!“
„Denk‘, was du willst!“, brummte der Bauer mürrisch und stützte die Ellbogen auf den Tisch. „Die Maria war eine gute Frau, und ich hab wahrhaftig nix dazu getan, sie ins Unglück zu bringen.“
Bei den letzten Worten war er halb aufgesprungen und schlug ein paarmal mit der Faust auf den Tisch.
„Du brauchst uns net rauszuschmeißen, wir gehn auch so“, sagte Therese hochnäsig. „Und dass du‘s weißt, Anton, uns siehst du net wieder!“
Damit erhob sie sich und ging zur Tür, und ihr Mann, der bisher schweigend der Auseinandersetzung gefolgt war, sah den Schranz-Anton bedauernd an, zuckte die Schultern und lief dann hinterdrein.
„Ich will auch gehn“, meinte Tante Ottilie, „es wird mir sonst zu dunkel. Lass dir‘s gut gehen, Anton, behüt‘ euch Gott, Toni und Marei!“
Sie erhob sich.
„Eigentlich“, sagte der Bauer langsam, „eigentlich hatte ich gedacht, Tante Ottilie, du könntest auf den Hof kommen und die Stelle von der Maria einnehmen, bis der Gustl groß ist.“
Es fiel ihm sichtlich schwer, er überwand sich ordentlich bei diesen Worten, aber er tat es aus Sorge um den Hof und die Kinder.
„Aber wo denkst du hin?“, ließ sich Tante Ottilie hüstelnd vernehmen. „Dazu bin ich schon zu alt und net mehr gesund genug! Und das Zusammenleben mit Mannsleuten bin ich auch net gewöhnt. Das ist nix für mich.“
Und sie nickte allen sehr flüchtig zu und ging so schnell wie möglich hinter den beiden anderen her.
„Das war schlecht, Anton“, meinte die Sixta, seine Schwester, und winkte mit der Hand ab. „Du hättest net so auftrumpfen sollen! Aber ich kenn dich. Du hattest schon immer einen Dickschädel. Ich kann dir auch net helfen, so gern ich‘s auch möcht‘, denn ich hab selber die große Wirtschaft und die Kinder, du weißt ja.“
Sie hatte recht, aber man konnte auch deutlich hören, dass sie froh war, dass es so war.
„Nein, und ich kann auch net!“, sagte Lisbeth rundheraus. „Ich würd‘ mich hier totheulen, wo alles so düster und ungemütlich ist. Und dann hab ich auch Angst vor Toten. Am End‘ wird die Maria wiederkommen …“
„Kruzitürken, hör‘ endlich auf!“, polterte der Bauer böse. „Ich kann‘s schon net mehr hören! Die Maria ist von der Leiter gefallen, weil sie rückwärts nach mir geguckt hat, denn ich stand unten und schimpfte. Donnerwetter, darf ein Mann, dem kalt ist, net mehr schimpfen? Bin ich deswegen ein Mörder? Niemand konnt‘ ahnen, dass so was draus wird, und ich bin weiß Gott am härtesten gestraft. Du bist narrisch, wenn du mehr darin siehst!“
Die Lisbeth erhob sich beleidigt.
„Ich bin net narrisch“, sagte sie und drückte das Kinn gegen den Hals. „Aber du bist wirklich kein Mensch, mit dem ich zusammenleben möcht‘. Mir tun nur die armen Kinder leid.“
Eine halbe Stunde später waren sie alle fort und das Haus leer wie nie zuvor. Die Mägde räumten das Geschirr weg, und der Bauer ging in die Stube, wo er seine Bücher führte, schob die Hände in die Taschen und rannte auf und ab.
Die Marei brachte die Kleinen zu Bett. Dann stellte sie dem Toni das Abendbrot hin und trug dem Vater einen Teller Suppe in die Stube. Er rannte hin und her und sah sie nicht an, bis sie fast wieder zur Tür hinaus war. Dann rief er sie zurück.
„Marei!“
„Ja, Vater?“ Bebend, verloren zitterten die zwei Worte im großen Raum.
„Komm hierher, Marei I Du hast‘s gehört, keiner will zu uns kommen. Sie haben Angst vor mir, sie geben mir die Schuld am Tod der Mutter. Denkst du auch so?“
„Nein, Vater, ich net!“
Die blauen Augen sahen ihn fest und ehrlich an.
„Und was soll werden, Marei? Wir müssen eine Fremde auf den Hof nehmen.“
„Nein, Vater, die Großmagd und ich, wir schaffen‘s schon!“
„Du?“
Er sah ungläubig auf sie herab, die so klein und zart vor ihm stand.
„Du bist doch noch ein Kind.“
„Ich bin eine Schranz“, sagte sie ruhig. „Ich werd‘s schon schaffen. Außerdem gab ich der Mutter mein Wort!“
„Was heißt das?“
„Sie wollt‘, dass ich ihre Stelle einnehm‘, wenn sie net wiederkäm‘. Ich musst‘ ihr versprechen, für euch alle zu sorgen, bis der Gustl groß ist.“
„Hm! Das traute sie dir zu?“
Er sah auf seine Tochter hinab, forschend, wankend, um einen Entschluss ringend.
Der große, unbeholfene Mann in seiner Hilflosigkeit rührte sie sehr. Sie lächelte tapfer.
„Ich trau‘s mir auch zu, Vater.“
„Also denn“, sagte er tief atmend, „mach‘s gut, Marei! Es ist ein hartes Stück Arbeit. Versprich mir, dass du net davonlaufen wirst!“
„Ich versprech‘s!“, antwortete sie und legte ihre kleine Hand in die seine.
Dann zog sie sie schnell wieder zurück, nahm das Tablett und floh hinaus. Draußen schluchzte sie trocken auf und unterdrückte es gleich wieder.
Sie war sich bewusst, dass sie ihre Jugend dem Hof opferte. Aber ihre Seele war bereit zu diesem Opfer.
Das war der trübseligste Winter, den der Schranz-Hof je erlebt hatte.
An allen Ecken und Enden fehlten die Hände der Bäuerin, nicht nur beim Backen der Christstollen und beim Schmücken des Weihnachtsbaumes.
Die Marei tat, was sie konnte, um die Mutter zu ersetzen. Die Wirtschaft lief ja fast von selbst, und die Großmagd war umsichtig und verlässlich. Xaver und Gustl hatten sich angewöhnt, mit allen Sorgen zu Marei zu kommen, die so erwachsen aussah in ihrem schwarzen Kleid, über ihre Jahre hinaus verständig, wusste die Marei Rat zu geben und Frieden zu stiften, wo es nottat.
Aber da, wo es am nötigsten war, war sie machtlos. Der Vater und der Toni gingen einander aus dem Wege, sie grüßten sich kurz, mehr aber nicht, und wenn der Vater einen Befehl gab, der dem Toni nicht passte, dann hatte der Sohn eine Art, die Lippen spöttisch zu verziehen, die Marei ängstlich machte.
Der Toni war viel bei den Pflügers. Marei wusste, dass er Liesis wegen hinging. Die Liesi war achtzehn und Toni einundzwanzig. Waren sie nicht noch zu jung für eine Ehe? Aber es konnte keinen Zweifel geben, dass der Toni eine Heirat wollte.
Die Liesi auf dem Schranz-Hof als Herrin! Marei seufzte und fürchtete sich vor der Zukunft.
Der Vater dagegen schien erfreut von diesen Aussichten. Er sah in der Schwiegertochter nur eine Arbeitskraft.
So wurde es April. Die Luft war mild und schmeckte nach warmem Regen.
Nach dem Abendbrot hatte der Toni die Mütze vom Haken genommen und „Pfüet di Gott!“ gesagt. Natürlich ging er wieder zu den Pflügers. Das war immer noch besser, als wenn er sich sonst irgendwo herumtrieb.
Die Marei stand im Kinderzimmer. Rechts und links saßen Xaver und Gustl in den Betten und hatten die Hände gefaltet, und Marei stand in der Mitte auf den gescheuerten Dielen und sprach die Worte mit: „Müde bin ich, geh zur Ruh‘…“
Ach ja, sie war müde, so ungeheuer müde und erschöpft! Von sechs Uhr früh bis nachts um zehn war sie auf den Beinen, und es gab keine Minute, die ihr gehörte.
„Schlaft gut!“, sagte sie freundlich, als das Gebet beendet war.
„Nacht, Marei!“
„Gut‘ Nacht!“
Sie löschte das Licht. Gustls Socken mussten noch gestopft werden, und die Abrechnung der Molkerei und des Eierhändlers warteten noch auf Bearbeitung.
Langsam ging sie in die Wohnstube und rieb sich die Augen. Sie waren müde, diese jungen Augen, ganz einfach übermüdet. Und ein langer Abend lag noch vor ihnen.
Währenddessen traf der Toni die Liesi am Waldrand.
Ein sachtes Rieseln kam herab, ein angenehmer Regen – Frühlingsregen. In der Dämmerung erhoben alle Vögel ihre Stimmen zu einem vieltönigen Konzert.
Keine der neuen Knospen im Gezweig war in der Dunkelheit des Waldes mehr zu erkennen. Aber Liesis blondes Haar leuchtete.
„Ich muss zurück, Toni, es fängt an zu regnen. Bringst du mich heim?“
„Bleib doch noch, Liesi! Es ist so warm, und unter den Bäumen ist‘s trocken. Ich hab mich so gefreut auf dich und diesen Abend.“
„Gut, ein paar Minuten.“
Sie schmiegte sich an ihn. Er hatte den Arm um ihre runde Schulter gelegt.
„Liesi, ich muss dich was fragen.“
Etwas beengte ihm die Kehle, er war sehr erregt.
„Na, frag‘ schon!“
„So einfach ist das net, Liesi! Bist du mir gut?“
„Wär‘ ich denn sonst hier?“
Sie lachte hell auf und warf den Kopf zurück. Ihr Gesicht leuchtete in der Dunkelheit.
Er riss sie an sich und küsste sie.
„Liesi, du …“
Reglos standen die Bäume in der stillen, regensatten Luft. Doch all das drängende Leben, das dieser weiche Vorfrühlingstag geweckt hatte, konnte noch keine Ruhe finden. Vom Felde her schrie schrill das Rebhuhn, irgendwo schnatterte ein verliebter Erpel. Auf den Weiden muhten die Kühe, die man schon hinausgebracht hatte. Die Fledermäuse huschten im Zickzack am Grabenrand, und bleiche Motten taumelten umeinander. Am immer dunkler werdenden Himmel zog eine schmale Mondsichel herauf, immer wieder von kleinen, vorüberziehenden Wolken verdeckt.
„Nun muss ich aber wirklich gehen!“
Liesi machte sich verlegen los. Sie strich über das Haar und zupfte an der Bluse. Tonis Küsse brachten sie in Erregung.
„Ich wollt‘ dich ja was fragen.“
,„Ja, Toni.“
Sie wartete und sah auf den Boden.
„Willst du meine Frau werden, Liesi?“
„Deine Frau? Wann? Toni – jetzt schon?“
Sie dehnte die Worte.
„Warum fragst du? Natürlich jetzt. Ich will net mehr warten. Wenn ich dich nach Hause bring‘, kann ich gleich mit deinen Eltern reden!“
„Nein, nein, heut‘ net! Wir sind ja noch so jung, Toni, und – bei euch müsst‘ alles anders sein.“
„Was müsst‘ anders sein?“
Er hielt sie an den Schultern mit einem harten Griff ein Stückchen von sich ab.
„Was passt dir net bei uns?“
„Ich mag net fremder Leut‘ Kinder großziehen!“, platzte sie heraus. „Ich will mich net mit der Schwägerin streiten, und mich vom Schwiegervater nur belehren lassen. Wenn ich Bäuerin bin, will ich mein Reich für mich allein haben, verstehst du?“
„Oh, sehr gut!“
Er lockerte den Griff seiner Hände und ließ die Arme herunterfallen.
„Du willst also net auf den Schranz-Hof. Der Hof passt dir wohl net?“
Seine Stimme klang kalt und enttäuscht.
„Der Schranz-Hof passt mir schon“, sagte die Liesi kleinlaut. „Es ist ein schöner Hof, ein großer Hof …“
„…nur mit etwas zu viel Drum und Dran“, lachte er bitter. „Ich weiß schon, wie du‘s meinst. Tja, das ist ja denn wohl eine Absage, net wahr?“
Ein Funken Hoffnung war noch in seiner Stimme.
„Du bist schnell damit fertig“, wurde sie jetzt böse. „Man kann doch warten, wir sind doch noch jung.“
„Warten, bis etwas Besseres kommt, und inzwischen den Toni für alle Fälle festhalten, wie? Nein, Liesi, so net! Der Gustl ist sechs und der Xaver zehn. In zehn Jahren erst ist Platz auf dem Hof. Glaubst du, ich will so lang warten?“
„Ich auch net!“, rief Liesi ärgerlich. „Ich kenn‘ diese Wirtschaft von daheim. Ich will das net. Dann heirat‘ ich lieber einen Beamten.“
„Hast am End‘ schon einen?“, rief der Toni wütend vor Enttäuschung. „Dann geh doch! Geh, warum bist du noch hier? Geh!“
„Ich geh auch!“ sagte sie patzig. „Ich pfeif auf deinen Hof!“
Und dann drehte sie sich um und lief im Dunkeln davon.
So ist das also, dachte der Toni enttäuscht. Zu unserem Treffen im Wald kommt sie, aber auf den Hof und heiraten will sie net. Dieser verfluchte Hof! Keine wird dahin wollen!
Am nächsten Tag goss es in Strömen. Keiner konnte draußen etwas tun, sie waren alle ans Haus gefesselt.
Xaver und Gustl waren nass von der Schule heimgekommen und tobten nun durch das Haus. Marei jagte mit trockenen Kleidungsstücken hinterher. Der Bauer saß mürrisch in der Stube über den Büchern. Der Toni drückte sich herum.
Schließlich rief der Schranz-Bauer seinen Sohn zu sich.
„Wir wollen vergleichen“, sagte er. „Lies du die Zahlen vor, ich hak‘ ab!“
Eine Weile ging alles gut. Monoton klang Tonis Stimme beim Vorlesen.
„Fünfzehn Doppelzentner Hafer, zehn Doppelzentner Gerste …“
Dann sah der Bauer auf.
„Wie steht‘s mit der Pflüger-Liesi und dir? Gibt‘s bald Hochzeit?“
Der Sohn begegnete fest dem Blick des Vaters.
„Nein, daraus wird nix!“
„Was heißt das, Bub? Habt‘s euch gestritten?“
„Es ist aus für immer. Sie will net Bäuerin werden auf unserem Hof.“