Ein ganzes Leben in zwei Tagen - Herbert Döring - E-Book

Ein ganzes Leben in zwei Tagen E-Book

Herbert Döring

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Beschreibung

Mitreißende Duelle, das Auf und Ab eines zwei Tage dauerndes Wettkampfes - und ganz am Ende der 1500-m-Lauf, in dem Zehnkämpfer nochmals Alles bis zur völligen Erschöpfung geben: das »Faszinosum Zehnkampf« reicht in seiner Bedeutung weit über das rein Sportliche hinaus. Neben den Highlights von Zehnkämpfen werden Motivation, Training, Werdegang und nicht zuletzt die Rückschläge der »Könige der Athleten« beschrieben. Der evangelische Theologe und frühere Leichtathlet Herbert Döring verfolgt die Zehnkampfszene seit vielen Jahren und schildert auch eigene Eindrücke und Beobachtungen als Zuschauer vor Ort.

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Herbert Döring, evang. Pfarrer, Jahrgang 1955, lebt in Bonn.

Nach jahrelangen Beobachtungen und Recherchen zum Thema Zehnkampf konnte er nach seiner Pensionierung im Juli 2019 die Ergebnisse in diesem Buch veröffentlichen.

Beruflich war er seit 1984 in der Gemeinde, Jugendarbeit, Krankenhausseelsorge und Schule tätig. Von 2001-2019 nahm er eine Schulpfarrstelle an einem Berufskolleg in Köln wahr mit der Erteilung des Faches „Evang. Religion.“

Seine Beziehung zur Leichtathletik basiert auf seiner aktiven Zeit als Mehrkämpfer und später Weitspringer in den Jahren 1968-83 in verschiedenen Vereinen der Städte Füssen, Erlangen, Bonn, Göttingen und Aachen.

Im Jahr 2012 erschien sein erstes Buch mit dem Titel: „Von wegen trittsicher.“ Auf den Spuren einer Jugend in Füssen.

Herbert Döring

EIN GANZES LEBEN IN ZWEI TAGEN

Von Höhen und Tiefen des Zehnkampfs

Engelsdorfer VerlagLeipzig2020

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de/DE/Home/home_node.html abrufbar.

Copyright (2020) Engelsdorfer Verlag Leipzig

Alle Rechte beim Autor

Coverfotos © A.Döring/M.Lux

Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)

www.engelsdorfer-verlag.de

INHALT

Cover

Über den Autor

Titel

Impressum

Vorwort

I Weltrekorde

II Ergebnisse, Punkte und ihre Präsentation

III Trainieren, trainieren, trainieren

IV Duelle bei Europa- und Weltmeisterschaften

V Zauberwort Motivation

VI Verletzungen, Stürze und Abstürze

VII Anfänge

VIII Auf dem Olymp

IX Einkünfte, Sponsoren, Medien

X Der 1500-m-Lauf

WAS NOCH FEHLT

Literatur und Quellen

VORWORT

Dieses Buch hätte ich auch dann geschrieben, wenn deutsche Zehnkämpfer in den letzten Jahren keine herausragenden Erfolge erzielt hätten. Wenn Arthur Abele 2018 in Berlin nicht Europameister und Niklas Kaul 2019 in Doha mit gerade mal 21 Jahren nicht überraschend Weltmeister geworden wären.

Die Dramatik und das Faszinosum Zehnkampf zu thematisieren ist m. E. weitgehend unabhängig von beeindruckenden deutschen Erfolgen aller Anstrengung und Recherchen wert. Allerdings hat es diese Erfolge in den letzten Jahrzehnten – abgesehen von einer Durststrecke in den Jahren 1997-2012 – gegeben und machten den Zehnkampf in Deutschland überaus populär.

Mir liegt einerseits daran, die Höhepunkte von Erfolgen und Duellen im Zehnkampf der letzten Jahrzehnte zu beschreiben. Andererseits wird die Wegstrecke, die Motivation und die Anfänge der Protagonisten dieser Königsdisziplin der Leichtathletik dargestellt, um deutlich zu machen, wie die Erfolge überhaupt möglich waren und durch welche Niederlagen, Abstürze und Verletzungen sie geführt wurden.

Es soll nicht nur die besondere Leistungsbereitschaft von Zehnkämpfern gewürdigt werden, sondern ihre Persönlichkeit und die individuellen Wege, die sie in den Jahren ihrer Karriere zurückgelegt haben.

Man kann vor der immensen Trainingsleistung eines international erfolgreichen Zehnkämpfers nur den Hut ziehen. Sie verbringen viele Monate fast unter Ausschluss der Öffentlichkeit in Trainingshallen und Krafträumen. Nur selten gelingt es ihnen, die Trainingsmonate von September/Oktober bis Mai ohne Verletzungen und Rückschläge zu absolvieren. Ganz zu schweigen von Anforderungen, die Verband, Verein, Sponsoren, Medien und nicht zuletzt Beruf, Ausbildung bzw. Studium zusätzlich an sie stellen. Im Übrigen ist zz. die Konkurrenz in der deutschen Zehnkampfszene so stark, dass möglicherweise der eine oder andere Athlet die Olympischen Sommerspiele 2021 in Tokio trotz herausragender Leistungen verpassen könnte.

Meine Beschreibung der Höhen und Tiefen des Zehnkampfs in den letzten Jahrzehnten stellt keine lückenlose Geschichte des Zehnkampfs dar. Die Freiheit, Schwerpunkte zu setzen, habe ich mir genommen. Aus verständlichen Gründen werden alle Olympischen Spiele seit dem Jahr 1964 ausführlich geschildert, denn der Titel „König der Athleten“ für Zehnkampf-Olympiasieger reicht in seiner Bedeutung über einen Weltrekord oder Weltmeistertitel weit hinaus.

Der Fünf- bzw. Siebenkampf der Frauen wird von mir nur am Rande behandelt. Es wäre wünschenswert, die beeindruckenden Erfolge deutscher und internationaler Siebenkämpferinnen in den letzten Jahrzehnten ausführlich zu würdigen, doch dies hätte den Rahmen dieser Beschreibung gesprengt.

Meine Beziehung zum Zehnkampf begann bereits im Alter von elf Jahren mit dem Weltrekord von Kurt Bendlin im Mai 1967 in Heidelberg. Generell wäre dieses Buch ohne den Zehnkämpfer Bendlin nicht geschrieben worden, denn er übte diese Disziplin – nicht nur nach meiner Wahrnehmung – mit einer unnachahmlichen Ausstrahlung und vorbildlichen Einstellung aus. Manche Zehnkämpfe konnte ich als Zuschauer in den letzten Jahren selber verfolgen, sodass ich auch eigene Beobachtungen und Eindrücke in diesem Buch schildern kann.

Meine Zeit als aktiver Leichtathlet in den Jahren 1968-83 im Mehrkampf und später Weitsprung mit Erfolgen und Titeln auf Kreis-, Bezirks- und vereinzelt Landesebene für die Vereine TSG Füssen, LG Erlangen, LC Jägermeister Bonn, TG Göttingen und TG Aachen motivierte mich, den Zehnkampf während der ganzen letzten Jahrzehnte auf nationaler und internationaler Ebene intensiv zu beobachten, Material zu sammeln und zu recherchieren. Insbesondere stehen mir durch diese eigenen Erfahrungen die Probleme und Freuden des Trainingsalltags eines Leichtathleten deutlich vor Augen.

Ich hoffe, dass sich meine Zehnkampfbegeisterung dem Leser mitteilt und er oder sie nachvollziehen kann, welche enormen Leistungen die „Könige der Athleten“ vollbringen. Der Buchtitel ist ein Zitat des amerikanischen Zehnkämpfers Ashton Eaton, der als jeweils zweimaliger Weltrekordler, Weltmeister und Olympiasieger hautnah erlebt hat, welche Dramatik und auch Lebensphilosophie in zwei Tagen Zehnkampf liegen.

Bedanken möchte ich mich bei den verschiedenen Trainern meiner Jahre als Leichtathlet und bei Freunden, die mich als Zuschauer von Mehrkämpfen begleitet und meine Freude an der Leichtathletik geteilt haben.

Vor allem danke ich meiner Frau Angelika und unserer Tochter Linn, die mich beim Verfassen dieses Buches tatkräftig unterstützt haben.

I WELTREKORDE

Den Weltrekord des deutschen Zehnkämpfers Kurt Bendlin am 13/14. Mai 1967 in Heidelberg habe ich nicht ohne Grund bereits im Vorwort erwähnt. Erstaunlicherweise berichtete das Fußballmagazin „Kicker“ ausführlich über die beiden Wettkampftage mit subtropischen Temperaturen. Ich las damals mit meinen elf Jahren diesen Bericht mit wachsendem Interesse. Im Heidelberger Universitätsstadion waren nur 300 Zuschauer anwesend, die den für Bayer 04 Leverkusen startenden 24-jährigen Sportstudenten bei seinen herausragenden 4:19,4 Minuten über 1500 Metern anfeuerten. Im Ziel musste der neue Weltrekordler wegen seiner völligen Erschöpfung aufgefangen werden. So realisierte er erst später, dass er den Weltrekord des Amerikaners Russel Hodge um 89 Punkte auf 8319 Punkte verbessert hatte.

Noch im Jahr vorher konnte er verletzungsbedingt keinen Zehnkampf bestreiten. Zudem hatte er sein Training komplett umgestellt, um angesichts seines enorm starken Oberkörpers und seiner überproportional entwickelten Armmuskulatur seine Schnell- und Sprungkraft sowie seine Sprintfähigkeit auszubauen. Die im Vergleich mit anderen Zehnkämpfern geringe Körpergröße Bendlins mit 1,78 m ist erwähnenswert. Sein Körperbau sollte später den Künstler Arno Breker zu einer Bronze-Plastik inspirieren.

Die vergleichsweise geringe Zuschauerzahl in Heidelberg soll nicht darüber hinwegtäuschen, welche Resonanz dieser Rekord damals in Zeiten des bundesrepublikanischen Wirtschaftswunders auslöste. Sportjournalisten wählten Bendlin im gleichen Jahr zum „Sportler des Jahres“, und er wurde wenige Wochen nach seinem Weltrekord Deutscher Vize-Meister im Speerwurf mit 79,36 m. Er zog sich dabei jedoch eine Absplitterung im Ellenbogen seines Wurfarms zu, die ihn während der nächsten Jahre massiv behindern sollte.

Über die beiden Wettkampftage von Heidelberg und die Zeit danach gibt es einige Geschichten. Der plötzlich in die Öffentlichkeit geworfene Bendlin verbrachte Teile der Nacht nach dem Wettkampf im Wald in der Nähe des Geschehens, um alleine zu sein und Abstand zu gewinnen. Tage später belagerten nach Bendlins eigener Schilderung Journalisten das Haus seiner Mutter, die jedoch keine Auskunft geben wollte oder konnte, wo ihr Sohn gerade steckte. Als die Luft rein bzw. ohne Journalisten war, begab sich der öffentlichkeitsscheue Athlet unaufgeregt und seelenruhig zur Wohnung seiner Mutter. Aus heutiger Sicht erscheinen solche Erzählungen wie aus der Zeit gefallen. Später sollte Bendlin sehr wohl Auskunft über seinen Werdegang und seine Motivation in Sachen Zehnkampf geben, z. B. bei einem Gespräch im Aktuellen Sportstudio des ZDF nach seinem Rekord und in einem ausführlichen Artikel im „Stern“ im November 1969.

An den beiden Zehnkampftagen nahm Bendlin literweise ein spezielles Teegetränk mit Salzlösung zu sich, um den enormen Flüssigkeits- und Gewichtsverlust auszugleichen. Seine Kugelstoßleistung von 14,50 m blieb zwar hinter den Erwartungen zurück, doch seine auf einer Aschenbahn erzielten 47,9 Sekunden über 400 m ließen am Ende des ersten Tages bereits aufhorchen. Im erwähnten Bericht des „Kicker“ stand zu lesen, dass sein Trainer Bert Sumser Bendlin nach diesem Lauf fast barsch auffordern musste, sein exzessives Auslaufen endlich zu beenden. Während der beiden Tage addierten seine Betreuer fieberhaft die jeweils erzielten Punktzahlen, um herauszufinden, ob ein neuer Weltrekord möglich war. Nach eigener Aussage beteiligte sich der Hauptakteur an diesen Rechenexempeln nicht. Nur wenige Insider können im Übrigen die 89 Punkte einordnen, mit denen Kurt Bendlin den alten Weltrekord überboten hatte. Es sind über 100 m gerade mal 35 hundertstel Sekunden.

Bendlins Rekord hielt zweieinhalb Jahre. Im Dezember 1969 steigerte der Amerikaner Bill Toomey den Weltrekord auf 8417 Punkte. Selten hat sich ein Zehnkämpfer in einem Jahr mehr angestrengt, um den bisherigen Rekord doch noch zu überbieten: Toomey brachte es 1969 auf nicht weniger als neun Zehnkämpfe, bevor er am Ende des Jahres seine Laufbahn erfolgreich mit dem neuen Weltrekord beendete.

Zwei weitere deutsche Zehnkämpfer sollten in der 80er Jahren den Zehnkampfweltrekord verbessern: Guido Kratschmer und Jürgen Hingsen. Die Umstände bei dem Weltrekord des Mainzer Zehnkämpfers Kratschmer in Bernhausen am 13./14.6.1980 hatten etwas Tragisches: wegen des am 15. Mai 1980 von der deutschen Bundesregierung beschlossenen Boykotts der Olympischen Sommerspiele in Moskau im gleichen Jahr versuchte sich der Silbermedaillengewinner von 1976 in Montreal als Kompensation für die entgangene Olympiateilnahme erfolgreich an einem neuen Weltrekord. Man kann sich seine Enttäuschung und Wut im Bauch unschwer vorstellen, mit der er diesen Wettkampf absolvierte – im Wissen, dass ein Olympiasieg ungleich mehr wert ist als ein noch so spektakulärer Weltrekord. Dieses Jahr 1980 wäre sein Jahr gewesen. Viele Jahre später zog Kratschmer das Resümee, dass er erst im Nachhinein so etwas wie Zufriedenheit oder Stolz über seinen Weltrekord empfinden konnte. Er wäre an den beiden Tagen von Bernhausen auch noch nicht technisch ausgereift an den Start gegangen, denn der Saisonhöhepunkt sollte erst bei Olympia in Moskau passieren. Kratschmer bezeichnete die beiden Tage seines Weltrekords als seinen schwersten Wettkampf.

Die erste Disziplin, den 100-m-Lauf in 10,58 Sekunden, empfand er alles andere als locker. Über 110-m-Hürden glänzte er mit 13,92 Sekunden. In dieser Disziplin wurde er 1978 in Köln Deutscher Meister. Am Ende musste er – noch dazu bei großer Hitze – alle Kräfte mobilisieren, um mit 4:24,15 Minuten im 1500-m-Lauf den Weltrekord von Daley Thompson um gerade mal 19 Punkte auf 8667 Punkte zu verbessern. Der überaus athletische Kratschmer verkörperte und lebte seinen Sport – nicht nur nach meinem Eindruck – sehr überzeugend und glaubwürdig. Er war geerdet, trat bescheiden und ohne jegliche Allüren auf, bezog jedoch bei Bedarf durchaus Position, z. B. was die seiner Meinung nach inkonsequente Handhabung von Nominierungskriterien durch den DLV im Jahr 1988 für die Sommerspiele in Seoul anlangte. Auch nach seiner aktiven Wettkampfzeit als Zehnkämpfer blieb er viele Jahre im Seniorensport mit hervorragenden Leistungen der Leichtathletik treu. Rückblickend auf seine 16 Jahre Zehnkampf bezeichnete er sich als „zufriedenen Pechvogel.“

In den Jahren 1982-84 verbesserte der Krefelder Zehnkämpfer Jürgen Hingsen den Weltrekord nicht weniger als drei Mal. Seine Weltrekordleistung von 8798 Punkten (neue Wertung: 8832 Punkte) vom 8./9. 6. 1984 in Mannheim ist trotz herausragender Resultate deutscher Zehnkämpfer in den letzten Jahren und Jahrzehnten bis heute das beste Zehnkampfresultat eines Deutschen: 100 m: 10,70 Sekunden – Weit: 7,76 m – Kugel: 16,42 m – Hoch: 2,07 m – 400 m: 48,05 Sekunden – 110-m-Hürden: 14,07 Sekunden – Diskus: 49,36 m – Stab: 4,90 m – Speer: 59,86 m – 1500 m: 4:19,75 Minuten. Die Bezeichnung Modellathlet trifft auf Hingsen und seine idealtypischen Maße bei 2,00 m Körpergröße mit enormen athletischen und auch koordinativen Fähigkeiten zweifellos zu. In Mannheim blieb er lediglich im Speerwurf hinter den Erwartungen zurück. Fast unmittelbar nach seinem Zieleinlauf über 1500 m wurde er – noch in Wettkampfmontur – nach Mainz ins Aktuelle Sportstudio des ZDF gefahren, um Fragen zum Rekord und seinen Aussichten bei den Olympischen Spielen in Los Angeles zu beantworten. Selbstbewusst sprach Hingsen davon, dass er mit seinem Rekord dem hartnäckigen Konkurrenten Daley Thompson gezeigt hätte, wo der Hammer hängt. Längst hatten die Medien in den 80er Jahren die Zeichen der Zeit erkannt, indem sie ausgiebig über die Helden oder Superstars der Sportszene berichteten, sei es über Hingsen, Tennisspieler Boris Becker oder die für die DDR laufende Eiskunstlaufläuferin Katarina Witt. Hingsen schien diesen Medienhype bereitwillig mitzumachen. Tage vor seinem olympischen Zehnkampf Wochen später in Los Angeles absolvierte er einen Helikopterrundflug über die Millionenstadt L.A. und die Pazifikküste. Strenge Leichtathletiktraditionalisten oder -puristen hätten ihn wahrscheinlich lieber auf dem olympischen Sportgelände bei einer weiteren Trainingseinheit gesehen.

Auch in den nächsten Jahren wurde der Zehnkampfweltrekord immer wieder verbessert. Besonders viel Wirbel war viele Jahre später mit dem Angriff auf die magische 9000-Punkte-Grenze durch den Tschechen Roman Sebrle im Jahr 2001 im österreichischen Götzis verbunden. Seit 1999 waren diese 9000 Punkte fast in unmittelbarer Reichweite der internationalen Zehnkampfszene, denn der Landsmann von Sebrle, Thomas Dvorak, hatte in diesem Jahr 8994 Punkte erzielt, das Ergebnis allerdings sehr gelassen kommentiert, indem er feststellte, dass ihm die 9000 Punkte nicht wirklich wichtig sind. So jubelte er bereits auf den letzten Metern des 1500-m-Laufs und verschenkte dadurch das Erreichen der 9000 Punkte.

Der deutsche Zehnkämpfer Frank Busemann hingegen hätte die 9000 Punkte als erster Zehnkämpfer liebend gerne geknackt. Dass ihm dann am 26./27.5. 2001 Roman Sebrle mit 9026 Punkten zuvorkam, hat ihn nach eigener Aussage mächtig gewurmt.

Der Hype um diesen Weltrekord in Götzis war immens: wer das jährliche Mehrkampf-Meeting in dem kleinen Ort Götzis, diesem „Mehrkampf-Mekka“ zwischen Bodensee und Liechtenstein mit Blick auf die Alpen in dem glänzend präparierten und doch überschaubaren „Mösle-Stadion“ erlebt hat, wird nachvollziehen, wie sehr sich die Organisatoren jedes Jahr ins Zeug legen, um für die Athletinnen und Athleten den Rahmen zu bieten, um Topleistungen abzurufen. Götzis scheint der perfekte Ort zu sein, um einen solchen „Weltrekord mit Ansage“ wie im Jahr 2001 zu ermöglichen. Der über viele Jahre in der Weltspitze des Zehnkampfs erfolgreiche Athlet Sebrle hat es den Veranstaltern über Jahre gedankt, indem er am Mehrkampf-Meeting in Götzis Jahr um Jahr teilnahm und dabei fast immer Topleistungen ablieferte.

Dass Sebrle der Weltrekord gelang, war trotz der erwähnten optimalen Bedingungen längst kein Selbstläufer, denn auch bei diesem Weltrekord sollte es auf den abschließenden 1500-m-Lauf ankommen. Ich zitiere aus dem 2009 erschienenen Buch über 35 Jahre Götzis mit dem Titel „Zeitsprünge“: „Wird Sebrle nochmals aufschließen können? Oder verlassen ihn jetzt, 350 Meter vor dem Ziel, die Kräfte? Hat er sich verausgabt? War es das? Ist der Traum vom historischen Weltrekord ausgeträumt? Sebrle mobilisiert ausgangs der Gegengeraden nochmals all seine Energien und bei der 200-m-Marke ist er wieder zu Zsivoczky aufgelaufen. Er hat sein Tief überwunden und er macht einen bärenstarken Eindruck. Ausgangs der Zielkurve setzt der 88 Kilogramm schwere und 1,86 Meter große Modellathlet gar zum Überholen an …“ (a.a.O., S. 34). Augenzeuge Rolf Sommer vom Stemwede-Fanclub gab danach seine Eindrücke wieder: er empfand großen Respekt für die offensichtliche Unterstützung für Sebrle durch seine Mitstreiter. Nach seiner Wahrnehmung wäre ohne die Hilfestellung durch zwei oder drei Kollegen beim 1500-m-Lauf dieser Weltrekord nicht möglich gewesen.

Die 9026 Punkte von Götzis sollten die nächsten elf Jahre nicht überboten werden. Erst dem 24-jährigen Amerikaner Ashton Eaton gelang bei der amerikanischen Olympiaausscheidung 2012 in der amerikanischen Universitätsstadt Eugene (Oregon) eine Verbesserung um 13 Punkte auf 9039 Punkte. Trotz seiner früheren massiven Schwäche in den drei Wurfdisziplinen präsentierte sich Eaton in diesem Jahr in herausragender Form. In der Regenschlacht von Eugene schien erst während der achten Disziplin, dem Stabhochsprung, die Sonne. Bis heute in einem Zehnkampf unerreicht sind die von Eaton bei seinem Weltrekord über 100 m erzielten 10,21 Sekunden und seine 8,23 m im Weitsprung. Über 1500 m benötigte er nach eigener Aussage keinen Schrittmacher, stattdessen würdigte er die Unterstützung durch die Zuschauer, die ihn zu überragenden 4:14,48 Minuten trieben. Die wetterbedingten Widrigkeiten vor allem am ersten Tag führten mit Sicherheit dazu, dass der erstaunlich schlanke, 185 cm große Athlet noch einige Punkte liegen ließ. Der neue Weltrekordhalter zeigte sich danach nicht nur stolz, sondern – einschließlich Tränen – demütig. Er dachte vermutlich an seinen Werdegang und daran, wieviel Fortune nötig ist, um 9000 Punkte zu übertreffen. Noch vor drei Jahren hatte er bei den Leichtathletik-Weltmeisterschaften in Berlin im Alter von 21 Jahren mit 8061 Punkten den 18. Platz belegt. Aller Anfang ist – gerade für einen Zehnkämpfer – schwer. Sportartikelhersteller Nike prämierte seinen Rekord mit 750 000 US-Dollar.