Ein Herbst in Wales - Land und Leute, Märchen und Lieder - Julius Rodenberg - E-Book

Ein Herbst in Wales - Land und Leute, Märchen und Lieder E-Book

Julius Rodenberg

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Beschreibung

Dieses eBook: "Ein Herbst in Wales - Land und Leute, Märchen und Lieder" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Julius Rodenberg (1831-1914) war ein deutscher Journalist und Schriftsteller. Aus dem Buch: "David Tomos Bowen kannte einen Farmer, den die Feen sehr plagten. Sie besuchten den Bach, der neben seinem Hause floß und waren so boshaft, daß ihr größtes Vergnügen darin bestand, den Thon aus dem Grunde des Baches zu holen und kleine Kügelchen, mit denen sie spielten, daraus zu machen. Was für ein Spiel es eigentlich war, konnte er nicht entdecken. Das Waßer aber wurde von dieser Wirthschaft so muddig, daß das Vieh nicht mehr daraus trinken wollte, und wenn sich der Farmer einmal über diese Aufführung beklagte, so wiederholten sie seine Worte stets mit Spott und Gelächter und hüpften weg. Ein kleines Mädchen aus der Nachbarschaft aber, das ihnen diese Thonkügelchen machen half, bekam zum Lohn dafür Geld von ihnen, ward eine sehr reiche Frau und gieng später nach London, wo ein großer und vornehmer Mann sie heirathete."

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Julius Rodenberg

Ein Herbst in Wales - Land und Leute, Märchen und Lieder

e-artnow, 2015 Kontakt: [email protected]
ISBN 978-80-268-4750-2

Inhaltsverzeichnis

An den Ufern des Mersey.
Über Strom, Thal und Hügel.
Die Farm.
Zur walisischen Geschichte.
Der Schulmeister von Llanfairfechan.
Conway und Llandudno.
Mutter Moll.
Walisische Kindermärchen
Annus Domini.
Eine Mythologie des Todes.
Zur walisischen Poesie und Musik.
Lieder und Sprüche der Waliser.
Bangor.
Caernarvon und Llanberis.
Von Capel-Curig nach Llangollen.
Sarah's Hochzeit.
Abschied und Heimkehr.

– Von Dir und Deinem Volk hab' ich gedacht Du lebtest, nach der vor'gen Tage Pracht, Schweigsam in Deinen Bergen, spröd wie Erz – Dein Stolz war mir bekannt, – doch nicht Dein Herz! Doch nun, da ich geschaut Dein Antlitz recht, Dein blühend Thal, Dein ewig jung Geschlecht, Und Deiner Frauen Mund, der süß in Scham Sich öffnet – nun, da ich vernahm, Daß rings das Land noch klingt von Harfenschall, Der mächtig rauscht, wie Deiner Waßer Fall: Nun kenn' ich Dich! – kenn' Deine Lust, Dein Weh', Die tief und ewig sind, wie Deine See!

Der edlen Frau

Baroness Lionel von Rothschild

auf Gunersbury bei London

mit herzlicher Verehrung

zugeeignet.

Am 1. Mai 1857.

Gnädige Frau! Dieß Buch gehört Ihnen. Nicht blos, weil Ihr Geist über den Blättern schwebte, indem ich schrieb, oder weil ich es mit der Feder geschrieben habe, die Sie mir zum Ersatz für die Feder von Segontium verehrten; dieß Buch gehört Ihnen, weil ich Ihnen die Anregung dazu verdanke. Aus den walisischen Hochlanden kam ich nach London herein, recht wie eine verlorene Seele. Nach dem Bergwind, der mir dorten gerauscht, nach den stillen blauen Seen, die mir dorten geleuchtet – nach dem ganzen, schönen Hochlandstraum erwachte ich auf einmal im Londoner Herbstnebel und befand mich so nüchtern, so sehr nüchtern! Ernst und verschloßen alle Häuser – ernst und verschloßen alle Herzen; ich irrte durch die unabsehbaren Straßencolonnen und suchte Menschen. Ich war verstimmt, und ward es immer mehr. Doch Sie wißen, Gnädige, das Schicksal gewährt uns unsre Wünsche, »aber auf seine Weise, um uns Etwas über unsre Wünsche gewähren zu können.« Es führte mich in Ihre Nähe. Es war ein Tag, wie ich ihn in meinem Leben nicht gesehn hatte. Gunersbury lag ganz in Nebel. Aber Sie – ein sanfter, glänzender Stern – ließen mich doppelt empfinden, wie das Licht Ihrer Seele aus Sphären ströme, die kein Nebel der Welt verdunkeln kann. Mir ward so wol davon, daß ich's am ruhigen Schlage des Herzens fühlte. Auch die ländliche Einsamkeit, die Sie umgab, die lang vermißte Ruhe, der frische Hauch des Friedens, der über die Wiesen und Seen von Gunersbury hereinwehte – der Ton idealer Begeisterung, mit der Sie über die uns gemeinsamen Interessen des Judenthums sprachen, und die Art, wie sich mit dieser so edlen Neigung ein offner und angeregter Sinn für alles Schöne in deutscher Literatur, Kunst und Wißenschaft verband: dieß zusammen wirkte so beruhigend und besänftigend auf mich, daß sich das Gleichgewicht meiner Seele freundlich wieder herstellte. Ja, an diesem Tage sollte mir Alles denkwürdig werden, selbst die Heimkehr. Der Nebel hatte sich in selten gesehener Schwere niedergesenkt. Alles war verhüllt; man sah Nichts, man hörte kaum Etwas und hatte nur das Gefühl des Unermeßlichen und Unendlichen um sich. Die Laternen strahlten von ihren zu Himmelhöhe emporgewachsenen Pfählen dicke, fast greifbare Lichtmassen in den Dunst hinein und feurig schoßen die Wagenlichter vorüber. Fast diabolisch wurde die Scene, als Knaben mit flackernden Kienholzfackeln über den Weg hin- und herliefen und die Omnibusse, einer hinter dem andren, von einem Laternenträger geführt, wie eine Geistercaravane vorüberzogen. War das Alles geschehn, um mir zu zeigen, welch ein »kalter Nebel« zwischen London und Gunersbury liege; oder vielmehr, um mich fühlen zu laßen, daß nur ein freudig angeregtes Gemüth dazu gehöre, um selbst den Nebel poetisch zu finden? In jenen Tagen stieg der Gedanke in mir auf, meine walisischen Reiseskizzen dichterisch auszumalen und zu einem Ganzen zu ordnen. Der Gedanke ward mir lieb und werth und er ward es mir immer mehr, je natürlicher er sich mit den geistigen Anregungen verband, die ich – gnädige Frau! von Ihnen empfieng. – Ich habe Sie hernach noch mehrere Male gesehn und von jeder Begegnung ist mir eine schöne Erinnerung geblieben. Wie reizend war der Gang am Rande des Teiches, in dem der versinkende Tag sich spiegelte; – unter den gestreckten Aesten der Ceder, die sich über uns weit und mächtig dachten! Wir sprachen von Thomas Moore und seinen orientalischen Dichtungen.

Herrlicher aber hätte sich das Bild. das Sie mir hinterlaßen haben, nicht vollenden können, als durch den Nachmittag, an welchem ich Abschied von Ihnen nahm. In einem der dunkelsten Gäßchen der City, in Bell Lane stand der herrschaftliche Wagen aus Gunersbury. Der stattlich gallonierte Kutscher saß stolzer auf seinem Bocke da, als drinnen in der dämmernden Halle einer jüdischen Armenschule die Erste ihres Volkes auf einem hölzernen Schemelchen. Ja, edle Frau, so erhaben, so menschlich groß sah ich noch keine Fürstin, als Sie – umgeben von zwei liebenswürdigen Töchtern – unter den vierhundert armen, verlaßenen Kindern ihres Volkes – den Hülflosen ein Trost – ihren Glaubensschwestern ein Vorbild und uns – die wir bewundernd von fern stehen – das Ideal einer Frau, die, auf den Höhen des Lebens geboren, nicht nur mit dem Glanz alles Dessen geschmückt ist, was hohe Bildung und mächtige Stellung gewähren: sondern auch mit einem Herzen voll Liebe und Opferfähigkeit in die Tiefen hinabsteigt, um die Nacht des Elends und der Unwißenheit zu erleuchten und zu erwärmen . . .

Von alle Diesem mächtig bewegt, verließ ich London und England. Und in dieser Stimmung war es, daß ich mein Buch unternahm und vollendete. Zwar steht es mit den geschilderten Eindrücken in keiner äußerlichen Verbindung. Aber das ist die Macht des weckenden Frühlings, daß er mit einem Athem hier das Kornfeld und die Rebe und dorten, hoch im Gebirge das Alpenkraut knospen und blühen läßt; und das ist die Macht des edlen Frauenherzens, daß es hier in bescheidener Verborgenheit Segen schafft und Freude bereitet, und dort in Poetenherzen halbvergeßne Träume und halbverschollne Erinnerungen zu neuem und schönerem Leben erweckt. –

Gnädige Frau! – nehmen Sie darum das Buch, das ich Ihnen schulde und mit herzlicher Verehrung hiermit überreiche!

Für die Leser,

welche meinem Buche ein paar freie Stunden zu schenken gedenken, erlaube ich mir noch folgende Bemerkungen hinzuzufügen. Es war nicht mein Plan, ein gelehrtes Buch zu schreiben; ich war vielmehr darauf bedacht den Eindrücken, die der Herbstaufenthalt in Wales meinem Herzen und meinem Geiste hinterließ, eine künstlerisch abgerundete Form zu geben. Aber da es mir zugleich darum zu thun war, dem allzustarken Vordrängen der Subjectivität – einem Fehler, den man bei Reisewerken mit Recht tadelt, obwol er nirgends so aus der Natur der Sache zu entspringen scheint, als grade hier – zu begegnen: so habe ich mit den persönlichen Erinnerungen die Ergebnisse meiner Studien über Wales und die Waliser verwebt. Was dem Bucht an subjectiver Frische verloren gieng, hat es, wie ich denke, an objectivem Gehalt gewonnen. Ob die Mischung in der Weise geschah, daß man die beiden Bestandtheile meine Werkchens nicht mehr als besondre empfindet: das zu beurtheilen muß ich der Milde der Leser anheimgeben. In Bezug auf die Theile des Buches, welche kymrische Überlieferungen nur in eine, dem deutschen Publikum zugängliche, Form gebracht haben, nämlich die Märchen, Volksliedchen und Melodieen, bin ich meinen Lesern noch einige Erklärungen schuldig.

Was die Märchen anbelangt, so glaube ich, daß ich eine ziemlich vollständige Sammlung der s. g. kymrischen Mabinogi's gegeben habe. Einen Theil derselben verdanke ich zwar Croker's »Fairy Legends« (London, 1831), einen andren der »Fairy Mythology« von Keightley (London, 1850); allein viele der schönsten von denen, die ich mitgetheilt habe, finden sich weder in der einen noch in der andren Sammlung.

Die Volksliedchen (Pennillion) fand ich in den »Musical and Poetical Relicks« von E. Jones (London, 1784) und dem »Cambro Briton« (London, 1819–22) zerstreut. Ich habe sie im Geiste, obschon nicht regelmäßig im Versmaße des Volkes, das sie gesungen hat und noch singt, in's Deutsche übertragen und glaube, daß dieß der erste Versuch ist, diese anmuthigen Liedchen der Waliser in unsre Sprache einzuführen.

Das Arrangement der zum Schluße des Buches mitgetheilten walisischen Volksmelodieen verdanke ich der Güte meines theuren Freundes, des Königlich Hannoverschen Hofcapellmeisters Dr. Heinrich Marschner. Gewis war Niemand mehr berufen, die einfach herzigen Harfenweisen des walisischen Volkes für den Gesang umzuschaffen, als er, der unter allen Tondichtern der Neuzeit als der volksthümlichste geschätzt wird. Die Aufnahme dieser, gleichsam als Probe mitgetheilten, Lieder wird darüber entscheiden, ob wir demnächst eine größere Sammlung walisischer Melodieen mit Text dem deutschen Publikum vorlegen dürfen oder nicht. Ihm aber, dem Componisten des »Vampyr«, des »Templers« und »Hans Heiling« danke ich hiermit noch einmal für die Bereitwilligkeit, mit welcher er mein Buch mit seiner Kunst und einem Namen geschmückt hat! –

J. R.

An den Ufern des Mersey.

Inhaltsverzeichnis

Ich war drei Tage in Liverpool und befand mich im Kreiße lieber Verwandten wol und munter. Verwandte im fremden Lande zu finden, ist immer doppelt angenehm. Wenn man die Heimat eben verlaßen hat, ist das Herz noch weich, und wie jeden unangenehmen Eindruck einer ungewohnten Umgebung empfindet man auch den Blick und das Wort der Liebe, die ja überall dieselbe bleibt, unendlich tiefer. Und so, nach der Seite des Gemüthes, die der Deutsche stets am Schwersten überwindet, zufrieden gestellt, nimmt man allmälig auch an Allem, was uns bisher fremd war, gern seinen Antheil; man hat seine Freude daran wie an einem schönen Geisteswerke, das aus seiner Sprache in die unsre übersetzt worden ist. Vorzüglich zog mich einer meiner Vettern an, der nicht nur nach jeder Seite hin sich als guten und tüchtigen Engländer zeigte, sondern auch als gebildeter und gelehrter junger Mann meine ganze Achtung verdiente und erwarb. Man wird vielleicht über diese Würdigung stutzen; aber ich glaube nicht, daß ich Ungehöriges darin gesagt habe. Denn des Engländers erstes und größtes Lob ist, ein »Engländer« zu sein; Bildung und Gelehrsamkeit empfehlen ihn erst in zweiter Linie. – Mit diesem Vetter, den ich früher schon in Paris gesehn hatte, so daß es nicht an Anknüpfungspunkten fehlte, durchstreifte ich seine Vaterstadt. Liverpool hatte für mich des Interessanten sehr viel; es war die erste englische Stadt, die ich sah und außerdem liegt es dicht an der See. Ich liebe die See mehr, als man sonst bei Leuten, die mitten im Gebirge geboren sind, zu finden pflegt. Die Odyssee, das »ewige Lied der Abenteuer« war die Freude meiner Kindheit – mehr noch bezauberte mich unsre Gudrun, die liebe schöne Königstochter, die weiße Gewande am Strande des Meeres wäscht – und seit ich dieses Meer, das deutsche Meer, nun selber an den Felsen Helgolands hatte rauschen hören, seit der Zeit blieb das Meer immer mein Traum und meine Sehnsucht! –

Sogleich am Tage nach meiner Ankunft in Liverpool begaben wir uns an die Gestade des Mersey und die Docks. Die Liverpooler Docks, größer und bedeutender als die von London oder irgend einer andern Seestadt der Welt, ziehen sich stundenlang, nach der ganzen Länge der Stadt, von dem Meer bis tief in den Mersey hinab, welcher mit breitem, majestätischem Spiegel das Meer fortzusetzen scheint. Liverpool und sein Hafen ist der Vermittler zwischen der alten und der neuen Welt. Diesen Thurm, diese Dämme grüßt der feuchte Blick des Australienfahrers, wenn er nach monatlanger Seefahrt den theuren Boden des Festlandes zuerst wieder betreten soll; hierher sendet Brasilien seine Farbehölzer und die Havannah ihre Tabacke, hierher Mittelamerika seinen Zucker und seinen Caffee, hierher Nordamerika die Haut und die Hörner des Büffels. Und auf einem dieser Dreidecker zu stehen, wenn im Takelwerk der Wind flattert und am Bugspriet ein brauner Matrose hängt, um die salzschaumzerfreßne Gestalt – den Lord Canning oder den heiligen Georg oder die Amazone – zur neuen Fahrt neu zu firnissen . . . . oder am Uferdamm zu wandeln und den stämmigen Mastenwald zu sehn und das seltsame Leben, welches darin herrscht; die ungeheure Bewegung auf dem Waßer, welche durch das stete Ankommen und Abgehen von Dampfschiffen der Uferstationen verursacht wird; das Arbeiten der Menge in den Warehouses, welche durch unterirdische Eisenbahnen noch wunderbarer belebt werden; das Raßeln und Dröhnen der Frachtkarren, welche durch das undurchdringliche Gewühl des Strandweges hinauf und herab sich bewegen . . . . das Alles zu hören, das Alles zu sehn, das war eine Lust, das war eine Freude! –

Poetischer gestaltete sich die Scene, als wir Abends aufs Neue herankamen, um mit einem Dampfer nach New-Brighton überzusetzen. Anfangs dämmerten alle Ufer und jener bläuliche Duft, wie man ihn nur auf einer englischen Abendlandschaft erblicken kann, verschönte die Hügel und Wälder, die sich an ihnen landeinwärts erhoben. Nach der Seeseite war der Blick ganz frei und das Waßer glänzte vom letzten Abendscheine. Auch der Leuchtthurm mit seinen wechselnden Flammen – bald golden und bald purpurroth – strahlte schon in die Dämmrung hinaus. Auf dem Schiffe war Musik, die den Wellenschlag harmonisch begleitete. Je dunkler der Himmel ward, um so mehr blitzte ein Licht nach dem andern herauf; hier vom einen und vom andren Ufer, dort im Waßer an den Schiffen, an den Böten, die durch die Nacht segelten und an den Mast eine Laterne aufgezogen hatten. Immer mehr, immer mehr – und endlich sahn wir uns in unendlichen Lichteralleen auf beiden Seiten, als deren mächtigster Punkt am Ende die Kuppel des Leuchtthurms erschien. Dahinter begann die ungeheure Nacht des Weltmeeres. Nicht weit von demselben, am Hafendamm von New-Brighton legte unser Schiff an und wir stiegen eine Weile hinaus. Wir sahen, auf die Holzplanken gelehnt, die Wellen im weißen Sand sich verlaufen; wir hörten das dumpfe Brausen des Waßers und des Windes aus der nebligen Ferne . . . .

Komm mit uns, komm mit uns! Was willst Du am Lande? Der Winde Gebraus Lockt Dich hinaus, Lockt Dich zum Meere, lockt Dich zum Strande!

Komm mit uns, komm mit uns! Zu schweifen, zu träumen In Flugsand und Sturm, Wenn um den Thurm Möven flattern und Springfluthen schäumen . . . .

Komm mit uns, komm mit uns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Das Übrige konnte ich nicht mehr verstehen. Es verklang im Sturme . . . .

Als wir heimkehrten und durch die erleuchteten Gaßen des Strandes kamen, schallte Musik, besonders der schrillende Dudelsack, aus den Kneipen, wo die Matrosen tranken, sangen und tanzten. All' meine rechte Freude hatt' ich in Liverpool nur vom Meere. Allein, um nicht unhöflicher zu scheinen, als ich war, mußte ich mich doch noch über Mancherlei freuen oder wundern, was die Liverpooler ihren Gästen zu zeigen haben. Wer ein Bild vom unendlichen Gewühl einer Hafenstadt haben will, kann es nirgends beßer haben, als hier. Eine Straße wird ganz von Schwarzen und Halbschwarzen bewohnt, drei, vier andre von ewig betrunkenen Schifferdirnen, ein ganzes Stadtviertel zeigt Laden an Laden, die den auslaufenden Seemann und sein Schiff für die Weltreise versorgen, oder dem heimkehrenden langentbehrte Genüße gewähren. Aus diesem Gewirr meist enger und schmutziger Gaßen erheben sich zwei großartige Gebäude, das Customhouse – ein Zollhaus, ich glaube bedeutender selbst als das zu London – und das Sailors-Home, ein casernenartig angelegtes, vom Prinz Albert gegründetes Institut, in welchem die Matrosen für die Zeit ihres Bleibens am Lande ein gegen Diebstahl und sonstige Unfälle gesichertes Unterkommen finden. Weiter hinauf, am entgegengesetzten Stadtende liegt die St. Georges' Hall: »Artibus, Judiciis, Consiliis« – der Kunst, dem Gericht, dem Rathe gewidmet; ein Gebäude, das mir mit Stolz gezeigt wurde und das ich mit Vergnügen sah, da ich durch dasselbe aufs Neue belehrt wurde, wie der Engländer das, was das Leben als nützlich oder nothwendig erkennt, von dem, was es angenehm macht, auch nicht einmal räumlich trennen mag. Dieses Haus ist ein glänzendes Bild von dem Reichthum der Stadt; der Concertsaal mit seinen Säulen von blauem, seinen Wänden von rothem Marmor, seinen riesigen Dimensionen und seiner verschwenderischen Pracht bis ins Kleinste, hat vielleicht seines Gleichen nicht. Dicht nebenan tagten die Assisen. Viel Zuhörer beiderlei Geschlechts waren anwesend; das Interesse an den öffentlichen Dingen ist in England ein ganz andres, als bei uns. An der Leichtigkeit und Ungezwungenheit der Formen und der großen Präcision, mit der trotzdem Alles von Statten ging, bemerkte man, wie geläufig den Engländern diese segensreiche Institution ist, während bei uns Alles dagegen schwerfällig und darum doch gar nicht bedeutender erscheint. Endlich will ich noch der Freibibliotheken fürs Volk gedenken, die einer nähern Würdigung, ja einer Nachahmung in Deutschland werth wären. – So viel ich erfuhr, kennt man Etablissements dieser Art, in welchen die arbeitende Classe in einem wohl erleuchteten und zur Winterszeit geheizten Raum sich unentgeltlich durch Lectüre unterhalten oder belehren kann, erst seit drei Jahren und bis jetzt außer Liverpool nur in den Städten Hull, Manchester, Birmingham. Der Zudrang ist sehr groß, der Lesesaal wird von früh acht bis Abends zehn Uhr nicht leer; jede Stunde, die der Arbeitsmann frei hat, begibt er sich hierher, um zu lesen, und neben technischen Werken sind es, mit Ausschluß des Romans, besonders die der englischen Dichter, welche – nach den von den Bibliothekaren sehr genau geführten Tabellen – zumeist begehrt werden. Diese poetische Empfänglichkeit des englischen Volkes, neben seiner so sehr aufs Praktische gerichteten Lebensthätigkeit ist überraschend; aber sie ist Thatsache und kann nöthigenfalls statistisch am Consum der einschlagenden Bücher nachgewiesen werden. Der Catalog ist reichhaltiger, als bei uns der mancher gelehrten Anstalten zu sein pflegt; königliche Munificenz hat die Reihen der Bücher durch kostbare Prachtwerke geschmückt, jede Gesellschaft, jede Verlagshandlung schätzt es sich zur Ehre, das, was sie ediert, hierherzuschenken. Im Uebrigen trägt die Stadt die Kosten der Erhaltung und Verwaltung. Mir gewährte es eine große Freude, das lesende Publikum zu überschauen. Da sitzt auf den Holzbänken der Lehrjunge im Schurzfell und mit rußigem Gesicht neben dem ergrauten Meister des Handwerks; ein Jeder emsig über sein Buch gebückt, der Eine lächelnd, der Andre mit ernstem, theilnehmend gespannten Gesicht, wie ihn eben der Gegenstand berührt. Es ist keine Frage, daß in dieser Weise nachhaltiger als durch viele andre bisher versuchten Bestrebungen das Edle befördert, dem Verderblichen im Volke entgegengearbeitet wird; ob man aber bei uns in dem Theile des Volkes, für welchen die besprochene Einrichtung ganz besonders geschaffen ist, auf gleich lebhaften Antheil rechnen dürfte – darüber ließe sich noch streiten.

Den letzten Nachmittag so wie überhaupt das Andenken an Liverpool verschönten meine Freunde mir durch einen Ausflug, den sie veranstalteten, um mir die Umgegend zu zeigen. Wir fuhren durch hochgewölbte Castanienalleen hinaus, das Laub war schon vom nahenden Herbste ein wenig gebräunt und im Abendwinde sank hier und da ein Blatt an die Erde. Da ich von Jugend auf ein starkes Gefühl für die Schönheit des Herbstes in mir genährt habe, so that mir der Blick auf diese Landschaft, nachdem ich einige Tage nur das Meer gesehen hatte, besonders wol. Endlich kamen wir auch hier wieder ans Seegestade und sahen über dem unbegrenzten, glänzenden Waßerspiegel die Sonne niedergehen. Der Strand war hier kahl und öde; ein Theil der Gesellschaft hatte sich nach einem Gerüste begeben, in welchem eine Schaluppe zur Ausbeßerung aufgewunden war. Ich stand allein neben einer jungen Dame, die sich gern mit mir unterhielt, weil sie eine Deutsche war und seit langer Zeit zuerst wieder mit einem Deutschen zu reden Gelegenheit hatte. Ich für meinen Theil freute mich, Jemanden zu haben, der, wie ich selber, Alles, was uns umgab, als etwas Fremdes empfand. Denn wenn man auch unter allen Umständen das Bedürfnis hat, so hat man doch nur da die Lust sich mitzutheilen, wo unser Erstaunen oder unsre Freude aus verwandter Stimmung erwidert werden. – Mit der Dämmrung, die sich am Meeresstrande nach Sonnenuntergang plötzlich und durch den kühleren Luftzug auf empfindliche Weise fühlbar macht, kehrten wir ins Land zurück und kamen in ein stilles Dörfchen, das meine Freunde Childwall nannten. Hier waren wir auf einmal wieder mitten im Grünen, ja mitten im Frieden, und um diesen auf eine ahnungsvolle Weise zu erhöhen, mußte dem Wirthshause, in welchem wir eingekehrt waren, um den Thee zu nehmen, gegenüber sich ein Friedhof über einen sanften Hügel hinabziehn, auf dessen Höhe eine Capelle mit Glockenthurm stand. Auf der andern Seite dagegen, von dunklen Bäumen überrauscht, erblickten wir einen halb zerfallenen Edelsitz, der nur in seinen untern Theilen noch von dürftigen Leuten bewohnt zu werden schien. Zwischen beiden so ehrwürdigen Gegenständen, die ihm als Grenze dienten, ging der Blick auf das Meer, das nur noch wie ein lichter Streifen durch den Nebel schien, auf die Landschaft bis an den breiten Mersey, und ganz im fernen Hintergrunde traf er auf Berge, die als eine scharfgezackte, violettgefärbte Maße den weicheren Nachthimmel schnitten. Es waren die Berge von Wales, die ich an diesem Abend zum ersten Male sah.

Meine deutsche Freundin hatte auf unsrem Spaziergange eine Rose gebrochen, die sie einer Landsmännin, an welcher ihr Herz sehr hieng, über das Meer senden wollte. Sie bat mich scherzend, dem Papiere, in welches sie die Blume schlug, einige Worte mitzugeben, und da ich solchen Spielereien überhaupt geneigt bin, so beschrieb ich die letzten Eindrücke in folgenden Versen, welche zugleich meinem Bilde als ein friedlicher Schluß dienen mögen:

Fern wogt die See; der Nebel steigt Und zieht vom Strand herauf. Es schweigt Das Leben, das am Tag mit Lärmen Dieß Thal erfüllt. Der Herbstwind nur Streicht durch den Wald und durch die Flur, Und einzeln noch die Vögel schwärmen.

Wie sanft empfindet sich die Nacht Wenn sie uns naht so hehr und leise, Wenn sie in süß gewohnter Weise Uns Frieden in die Seele lacht! Wie überschaut man dann so gerne Die vor uns liegt, die Dämmerferne – Hier die Capelle, die so tief Beschattet ist von dunklen Bäumen – Kein Glockenhall . . . . die Luft entschlief Und Dämmrung herrscht in ihren Räumen Dort über'm Bergeshange thront Das alte Schloß; um seine Mauern – Von nächt'gen Vögeln nur bewohnt – Spinnt sich der Efeu dicht; es schauern Die Blätter leis, und Nebel huscht Um seines Thurmes graue Zinnen. An seinem Fuße, breit umbuscht Von Birken – drauf das weiße Linnen Gespenstisch hängt – die Hütte steht. Wie golden leuchtet auf dem Heerde Das Feuer! Aus dem Rauchfang weht Bläulicher Dampf, und auf der Erde, Von ihrer Kinder muntrer Schaar Umgeben, ruht die Mutter. Neckend Durchweht ihr langes, blondes Haar Der Wind, und sich behaglich streckend Am Holzgelände lehnt ihr Mann. –

Von Weitem seh ich Alles an, Mein Herz an diesem Bilde labend!

Fern wogt die See; der Nebel steigt Herauf vom Strande – Alles schweigt, Und über'm Thale liegt der Abend.

Über Strom, Thal und Hügel.

Inhaltsverzeichnis

Am andren Mittage begab ich mich an die Docks hinunter, um meine Reise nach Wales anzutreten. Es war ein sonnig klares Herbstwetter, der Himmel rein und in seiner ganzen Tiefe blau, das Waßer golden durchstrahlt und die Landschaft dahinter vom feinsten Duft überhaucht. Auf dem Fluße herrschte wieder das rege Treiben, welches in dieser klaren Stunde durchaus heiter erschien. Am Ufer lagen drei oder vier Dampfböte so dicht neben einander, daß man von dem einen auf das andre bequem hätte hinüberschreiten können; sie waren alle von einer bunten und lebhaften Menge besetzt, von denen die Meisten nur die kurze Fahrt nach der einen oder andren Station des gegenüberliegenden Ufers beabsichtigten. In der Mitte des Stromes jedoch lichtete ein Segelschiff die Anker, und der Wind trug den Abschiedsgesang der Matrosen zu uns herüber. Diese halb wehmuthsvollen, halb hoffnungsreichen Klänge wurden sogleich wieder von einem Dampfer übertönt, welcher mit Blechmusik an Bord den Strom lustig heraufzog, und da nun allmälig auch ein Boot nach dem andern, zuletzt auch das, worauf ich mich befand, vom Ufer stieß, so war plötzlich das Bild, welches meinen Geist mit so verschiedenen Eindrücken beschäftigt hatte, verschwunden und der nächste Augenblick sah neue Schiffe und neue Menschen kommen und gehn. Ich indessen schwamm schon auf der Breite des Stromes und erfreute mich an dem, was mir zu beiden Seiten die malerischen Ufer boten. Rechts Liverpool und in seinen Docks stundenweit das Gewirr der Masten, Taue und Stangen, in denen die weißen Segeltücher flatterten – Alles dürr und starr wie ein Wald zur Winterszeit mit Schneestreifen und Sonnenschein; in der Mitte, weithinaus über den Mersey bis ins Meer sah man die Schiffe und ihre Segel auf dem blauen Horizont, indessen links anmuthige Hügel mit Garten, Wald und Landhäusern das Gestade von New-Brighton bis Egremont und Birkenhead schmückten, so daß sich ein wirksamer Contrast von Ruhe und Bewegung natürlich ergab und durch den Strom angenehm ausgeglichen wurde.

In Birkenhead verließ ich das Schiff und begab mich auf die Eisenbahn, die von hier zunächst nach Chester führt. Der Zug lief durch grüne Wiesen und üppige Waldflur, und nur zuweilen noch schimmerten von fern der Mersey und seine bewimpelten Schiffe herauf. In Chester sollte ich nun sogleich bemerken, daß ich schon auf der Schwelle des fremden Landes stände, dessen Volk, Sitte und Sprache wol lange schon meine Theilnahme, ja meine Sehnsucht angeregt hatten, das meinem Verständnis aber nur durch liebevolle Versenkung allmälig sich erschließen sollte. Ich hatte mir vorgenommen, an diesem Tage nach Aber zu fahren, welches in einer der freundlichsten Thalschluchten von Nord-Wales gelegen, dem Reisenden als angenehmer und vortheilhafter Aufenthalt ganz besonders empfohlen worden war. Nun trat ich an den Schalter und forderte ein Billet nach Aber – allein der Offiziant verstand mich nicht und ich mußte mein Verlangen wiederholen. Jedoch wollte auch das noch nicht helfen; der Mann ward ungeduldig und ich sehr verlegen, da ich gar nicht begreifen konnte, wie ein anscheinend so einfaches Wort, welches nur aus vier Buchstaben bestand, anders gesprochen werden könnte, als ich es in einem meiner Versuche bereits gethan haben mußte. Indes gab es kein andres Mittel, ihm verständlich zu werden, als den Namen ihm geschrieben darzureichen, worauf er ihn nun seinerseits aussprach, und zwar so dunkel und schnarrend, daß ich noch heute, nach mannigfacher Übung, nicht sicher wäre, den rechten Ton zu treffen. Er gab mir hierauf mein Billet und ich ward in einen Wagen gewiesen, wo außer mir noch ein älterer Herr mit zwei jungen Damen saß, die dem Anscheine nach seine Töchter waren. Ich saß dem Herrn gegenüber schweigsam und innerlich unruhig, denn je mehr ich mich dem Ziele meiner Reise näherte, um so mehr empfand ich, wie sehr ich da in's Ungewiße hineinfahre. Es ist immer meine Art – vielleicht meine Unart – gewesen, vor einer größeren Reise mir einen Plan nur im Allgemeinsten zu entwerfen und alles Einzelne dem Zufall zu überlaßen, woraus mir denn im Leben schon viele Nachtheile und manche Vortheile erwachsen sind. Ja, so weit geht meine Abneigung gegen das Concrete, daß ich es immer vermied, Bilder von solchen Gegenden zu sehen, nach denen ich mich am Meisten sehnte; wodurch sich mit der Reise selbst ein fantastisches Interesse und eine Spannung verbindet, die – da sie zuletzt doch auf practische Hindernisse zu stoßen befürchten muß – schließlich auch zur Unruhe gesteigert wird. Allein auf der andren Seite besitze ich ein glückliches Gemüth, das sich, wenn auch das Entfernte es einmal aufregt, doch leicht wieder am Nächsten zurechtfindet und zwanglos erheitert.

Hinter Chester traten sogleich die Gebirge heran, zuerst ganz entfernt in bläulichem Schimmer, während zur rechten Seite eine breite, sanftgefurchte Sandfläche mit einzelnen Waßerstreifen, etwas weiter sogar Böte, die schräg auf dem Trocknen lagen, anzeigten, daß hier die See beginne und nun gerade die Ebbe eingetreten sei. Da sich diese und ähnliche Ansichten immer nur durch die Fensterreihe betrachten ließen, an deren beiden Seiten die Mädchen saßen, so hatte ich zugleich Gelegenheit, mich an der Frische und Anmuth ihrer Gesichter zu erfreuen und hielt dabei zur Entschuldigung unsres alten Klopstock's Verse bereit:

Schön ist, Mutter Natur, Deiner Erfindungen Pracht, Auf die Fluren verstreut, – Schöner ein froh Gesicht.

Bei Mostyn gewann die Landschaft einen bestimmten Charakter, der sich schöner und reicher entfaltete, je weiter unser Wagenzug vorwärts drang; ja, sie verrieth hier schon im Voraus, was der Reisende von dem Walisischen Hochland zu erwarten habe, wo ihn der Fußpfad, wie hier die Bahnstraße, zwischen Meer und Gebirge von Überraschung zu Überraschung führt. Es rauschte uns zur Linken ein kräftiger, saftig grüner Eichwald, aus dessen Mitte, über einem Felsvorsprung, eine Burg emporstieg, die mit ihrem weißen Gemäuer aus so lieblicher Faßung um so pittoresker leuchtete. Zugleich schweifte nun der Blick zur offnen See hinaus, die hier zwischen dem Walisischen Gestade und den Küsten von Irland wogt. Solch eine Fahrt hatt' ich im Leben noch nicht gemacht; denn selbst die belgische Bahn, von Verviers nach Lüttich, die mich immer so sehr entzückte, kann ich mit dieser nicht vergleichen. Man hat dort wie hier die grüne gesegnete Landschaft und die Gebirge, mächtig und malerisch gruppiert; aber man hat in Wales noch dazu die See, und immer so dicht, daß man meinen sollte, der Wellenschlag müße die Räder der Locomotive bespülen. – Neben der See zog sich nun auf eine Weile das Gebirge als graue und steile Felsmaße, welcher die Abenddämmerung einen wunderbar zarten, ins Violette spielenden Farbenton lieh, dahin. Dann aber plötzlich, bei Rhyl, öffnete sich ein weites Thal, das mit der Aussicht auch die Seele des Beschauers wolthätig weitete. In mächtigem Umkreiß begrenzten es die bläulichen Gebirge, von denen sich eins über das andre aufthürmte, und die nur spärlich hier und da bewaldet, aber an vielen Stellen mit einzelnen Gebäuden belebt erschienen, so wie man näher an sie herankam. Die Scenen und Bilder wechselten rasch; bald war die See sichtbar, bald verschwand sie auf längere Zeit. Dann aber bei Abergele lag sie wieder in ihrer ganzen Weite und Ausdehnung mit Schiffen im Abendroth vor uns; das Rauschen und Branden ihrer Wogen verkündete, daß die Fluth zurückgekehrt sei; und wenn die See zur Zeit der Ebbe etwas durchaus Traumhaftes, ja etwas Todtes hat, so erweckt sie durch den volleren Schlag ihrer Fluth Leben und Lebenslust und da sich dieser Wechsel vor den Augen des Zuschauers täglich mehrere Male begiebt und stets durch die Sinne auf das Gemüth wirkt, so liegt vielleicht darin der große und heilsame Zauber, den betrachtende Naturen stets von ihr empfinden. Hier stellte sich dem belebten Wellenspiel sogleich auch eine höchst wirksame Uferlandschaft entgegen, die zu der unendlichen Waßerebne, die an so vielen anderen Gestaden geheimnisvoll im Sande verläuft, einen scharf markierten Contrast bildete. Auf einer duftig bewaldeten Hügelkette lag ein Städtchen und hoch darüber, in grüner Waldschlucht, stattliche Burggebäude mit Thürmen und Zinnen im Halbkreiße, unter den Felsen rauschte die See. Hier muß sich die Bahn mehrere Male durch die mächtigen Uferfelsen hindurcharbeiten, und es gewährte dann jedes Mal eine große Überraschung, wenn man aus der Nacht eines dieser minutenlangen Tunnel herauskam und plötzlich dicht vor sich die uferlose See erblickte, so dicht, daß man glaubte, der ganze Zug müße da hineinsausen.

Mit meinen Reisegefährten kam ich bald in ein Gespräch; die Damen erlaubten mir zu rauchen und ihr Vater sagte mir, sie seien auf einer Vergnügungsreise nach Irland begriffen. Daß ich kein Engländer sei, hatten sie mir zwar schon am ersten »th« angemerkt, welches mir das Schicksal auszusprechen gab. Allein sie waren dennoch sehr freundlich; vielleicht gar deshalb. Denn ich beobachtete bei dieser Gelegenheit, wie späterhin noch oft, daß die Engländer gegen Fremde viel offener und zuvorkommender sind, als gegen die eigenen Landsleute. Ich erklärte meine Absicht, in Wales zu bleiben, und da wurde das Gespräch durch den neuen Reiz der Landschaft unterbrochen, welcher einen Jeden von uns zur Betrachtung einlud. Wir sahen, da wir eine Weile auf die äußern Dinge nicht viel Acht gehabt hatten, unsren Horizont von einer violett schimmernden Gebirgsferne geschloßen und durch die Dämmrung erblickten wir vor uns die Reste der alten, durch Sage und Geschichte berühmten Burg Conway. Noch einmal legte sich ein Tunnel in den Weg, und durch ihn fuhr der Train in den Bahnhof, dicht unter den Ringmauern der alten Veste, unten mit Schlingkraut umwunden und bis in die höchsten Thurmscharten hinauf mit Efeu. Wenn man auf so raschen Fahrten zum Denken nur die Zeit hätte, so wäre gewis kein Gedanke natürlicher gewesen, als der, die alten Ritter auf ihren Streitrossen in diesem Augenblick sich belebt vorzustellen und sich einzubilden, aus den dämmrigen Fenstern der Thürme grüßten schöne Frauen in den Burghof hinunter. Aber ein anderes Ross hat alle den morschen Staub unter seine Hufe getreten, das schnaubende Dampfross, das treibende Motiv, ja das Symbol unsrer Zeit; und alles Eisen der feudalen Zwingherrlichkeit scheint umgegoßen zu sein, um ihm den Weg zu bereiten, auf welchem es gradlinig, aller Romantik zum Hohne, dahingeht.

Solche Gedanken tauchen auf, tauchen unter; der nächste Augenblick erzeugt vielleicht die grad entgegengesetzten.

Auf dem Bahnhof von Conway, und schon vom Beginn meiner Reise durch walisisches Land war mir ein seltsames Symbol aufgefallen, das an der Front öffentlicher Gebäude so wie am Schlage der Eisenbahnwagen zu sehn, wol einen nationalen Bezug haben mußte und meine Wißbegierde darum nur um so mehr anregte. Es bestand aus einem Stirnreifen, wie man sich ihn um das Haupt mittelalterlicher Herrscher denkt, von drei Straußenfedern überwallt. Auf der unteren Biegung des Bandes waren die Buchstaben: »ICH DIEN« zu lesen, unter denen ich mir ein mir unbekanntes walisisches Wort dachte. Da ich aber unterrichtet zu sein wünschte, so durfte ich wol wagen, mich an meinen Reisegefährten zu wenden, mit dem ich nun schon auf dem Gesprächsfuße stand. Ich ging auch nicht fehl; denn wenn der Engländer im Allgemeinen schon mit den geschichtlichen Ereignissen seines Vaterlandes bei Weitem genauer und bis in alle Einzelheiten vertrauter ist, als wir dieß bei unsren Landsleuten finden möchten, so kam hier noch hinzu, daß mein Gewährsmann, wie sich späterhin noch ergab, an der Grenze von Wales wohnhaft und durch sonstige Beziehungen zu diesem Land und seinen Leuten, auch mit ihrer besondern Geschichte wol vertraut war. Er erzählte daher, mich und seine Töchter belehrend, daß dieses Zeichen das Wappen des Prinzen von Wales sei, welches wir in London sowol als Abzeichen seiner Dienerschaft, als auch an allen öffentlichen Gebäuden, die zu dem königlichen Prinzen in einem Bezuge ständen, so wie auf seinem Thronseßel im Sitzungssaale des Oberhauses sehen würden. Über Ursprung und Bedeutung ward alsdann Folgendes mitgetheilt: Nachdem Edward I. Wales und die Waliser in einem sehr grausamen Kriege seinem Scepter unterworfen hatte, versprach er den zwar besiegten, aber heimlich grollenden Baronen in einer Versammlung zu Ruddhlan, er werde ihnen einen Fürsten geben, der in ihrem Lande geboren sei und kein Wort Englisch weder reden noch verstehen könne. Die walisischen Herren, an eigene Fürsten gewöhnt, nahmen diese Botschaft, die ihnen den Schein der Selbstständigkeit zu gewähren schien, mit Freude und Jubel auf; wurden aber sehr bitter enttäuscht, als bei einer folgenden Zusammenkunft der schlaue Monarch ihnen seinen – vor einigen Tagen – zu Caernarvon, auf walisischem Grund und Boden geborenen Kronprinzen, der in so zarter Jugend allerdings das Englische so wenig reden als verstehen konnte, vorzeigte. Von dieser Zeit an hieß jeder englische Thronfolger »Prinz von Wales.« Der dritte derselben, der gefeierte schwarze Prinz, Sohn Eduards III. fügte diesem Titel nun auch das noch jetzt gebräuchliche Emblema hinzu. In der Schlacht von Crecy nämlich wurde der König von Böhmen, der sich mit seinen Hülfsvölkern in dem französischen Heere befand, erschlagen, und der ritterliche Führer der englischen Macht, der Prinz von Wales, setzte des Erschlagenen Kronreifen mit den drei Straußenfedern und der, an dieser Stelle stolzen Inschrift: »Ich dien'« auf das jugendliche, von schwarzen Locken umwallte Haupt, so daß nun eines deutschen Fürsten Stirnzier und eine deutsche Devise den Walisern für alle Zukunft sagen mußten, daß sie aufgehört hätten, frei zu sein!

Mir aber, dem Deutschen, wurde zugleich die seltene Verlegenheit bereitet, mich von einem Engländer über zwei Worte des deutschen Mittelalters belehren zu laßen. – Gleichwol mußte ich ihm sehr dankbar sein, und da er nun fragte: ob ich längere Zeit in Wales zu bleiben gedächte? so entgegnete ich ihm – seine Zuvorkommenheit durch Vertrauen erwidernd – daß ich nach Wales gereist sei, um daselbst das Volk, seine Sprache, Sitten und Sagen und was es sonst noch Eigenthümliches und Wißenswerthes für mich haben möchte, zu erforschen und daß ich deshalb wol längere Zeit bleiben würde und zwar in der Gegend von Aber, die nicht so sehr von Touristen heimgesucht und darum für meine Zwecke wol die beste sei. Da er zu wißen wünschte, ob ich mir schon einen Wohnplatz ausersehen habe, so mußte ich ihm gestehen, daß ich in diesem Punkte ganz ohne Rath sei, daß ich mir nur ausgedacht hätte, in einer Farm zu leben und mich sehr freuen würde, wenn er mir Belehrung geben könnte und wollte. Worauf er mir sagte, daß er, als Inhaber eines Productengeschäftes zu Chester vielfache Beziehungen zu diesem und anderen Theilen von Wales habe, und gern – wenn ich auf seine Empfehlung Etwas gäbe – mir eine Farm bezeichnen wollte, auf welcher ich in der Nähe des Dorfes Aber bei guten und vermögenden Landleuten bequem und mit Vergnügen wohnen würde. Er schrieb mir darauf auf seine Karte den Namen der Farm und ihrer Bewohner, fügte einen Gruß hinzu und gab sie mir. Ich konnte ihm für seine Güte nicht herzlich genug danken, denn in der That befreite sie mich von einer Verlegenheit, die mir größer zu werden schien, je mehr ich mich dem Orte näherte, wo ich – ohne Kenntnis des Volkes und seines Landes längere Zeit und zu einem Zwecke zu bleiben vorhatte, dessen Realisierung, außer vom Zufall – der auch bei solchen Forschungen seine Rolle spielt – doch auch noch sehr davon abhieng, daß ich gleich von Anfang an recht in das Leben selbst eingeführt würde.

So kamen wir, bei tiefer Dämmrung, in Aber an. Wir nahmen herzlichen Abschied von einander, wünschten uns gegenseitig auf unsren Fahrten ins Land der alten Celten Heil und Segen, und dann war ich mit einem Sprunge auf dem Boden der Romantik – auf der Erde Arthur's und der Tafelrunde, und indem ich durch Felder auf der einen und flüsternde Hecken auf der andren Seite den breiten Fußpfad zum Wirthshaus hinaufstieg, war mir, als könne in jedem Augenblicke Puck sich über den Weg kollern – als säh' ich schon die Feen heranschweben, um mich in ihren Reigen zu locken – als müße mit dem Monde zugleich, der sich mit mattem Schein durch die hellgeränderten Wolken arbeitete, die sanfte Fee Morgana ihren Zauberglanz über die ruhig athmenden Wälder ausbreiten!

Die Farm.

Inhaltsverzeichnis

Früh des andern Morgens, da ich erwachte, lockte ein blauer Himmel und die Sonne, welche über mächtigen Waldgebirgen schien, ins Freie. Das Dörfchen liegt malerisch in dem Thale eines Bergwaßers, das nicht weit davon ins Meer fällt, wie denn Aber in der walisischen Sprache den Ort bedeutet, an welchem ein Fluß in die See mündet. Mit der Naivität eines Kindes giebt dieses Volk jedem Ding den Namen, den es durch seine Lage, seine Gestalt oder besondern Ausdruck zu fordern scheint.

Die walisischen Dörfer zeichnen sich in ihrer allgemeinen Anordnung nicht sehr von denen aus, die man in England oder Deutschland sieht. Jedoch der Bau des einzelnen Hauses ist verschieden und erinnert nicht wenig an die Schweizer Bauart, da die Natur ja überall das Zweckmäßige und Nothwendige von selbst hervorruft. Gegen das häufig einfallende Regenwetter deckt ein Wetterdach, das von Ständern getragen wird, und gegen die Stürme des Meers und der Gebirge sind die freien Wände noch durch besondre Steinwälle geschützt, aus deren Ritzen und Fugen nicht selten ein bunter Blumenflor aufblüht, der diese Schutzmauern durchaus heiter verdeckt. – Auf dem Wege durchs Dorf sah ich mich überall aufs Unangenehmste von Kindern und – Schweinen aufgehalten, die auf dem Boden lustig und ungeniert durcheinander krabbelten. Die Fruchtbarkeit der walisischen Frauen ist in England sprüchwörtlich geworden, und was die Schweine betrifft, so ist das Ansehn und die außerordentliche Achtung, derer sie sich hier erfreuen, ein ehrwürdiger Überrest des Druidenthums, dem die Sau heilig war! Ich, für meinen Theil, war froh als ich die Landstraße gewonnen hatte, die mich unter schattigen Ulmen aufnahm; rechts die Hügel waren mit Feldern und Wäldern bedeckt, und links durch Obstbäume schimmerte das sonnebeglänzte Meer. Fröhlich wanderte ich meines Wegs dahin und gelangte zu der Farm Wern, die ich mir zum Wohnsitz auserkoren hatte. Die Farm lag auf der Höhe eines sanftansteigenden Hügels, von stattlichem Gehölz bekränzt und im Hintergrunde ganz von den Gebirgen umschloßen. Nach der Meerseite zu begränzte sie ein hoher Birkenhagen, durch welchen ein Thorweg hinein führte. Ich schritt den Kiesweg hinan und trat in den Blumengarten vor der Farm. Ein Hund schlug an und sogleich erschien in der Thüre ein Weib, artig gekleidet und den besten Eindruck gewährend. Ich hielt sie für die Hausfrau und hatte mich nicht getäuscht, wie sich später ergab. Um sogleich auf das zu gelangen, was mich hierher geführt, reichte ich ihr die Karte des Kaufmanns von Chester. Allein sie lächelte nur – denn sie konnte nicht lesen! Darauf theilte ich ihr meine Absicht mit, bei ihr zu wohnen. Sie lächelte wieder – denn sie verstand kein Englisch. Mittlerweile waren auch einige Kinder herausgetreten, der Hund knurrte und die Verwirrung ward immer größer; so daß die gute Frau sich schließlich nicht anders mehr zu retten wußte, als indem sie mit einigen mir unverständlichen Worten sich kehrte und ins Haus ging, die Kinder lachend, der Hund bellend hinterher. So stand ich denn allein und wartete. Über ein kurzes trat auch die ganze Gesellschaft wieder heraus; dießmal aber war mit derselben noch ein schönes Kind im Bunde, ein Mädchen von etwa 17 Jahren, stark gebaut und schlank, mit dunkelbraunen Augen, frischen Wangen und nußbraunem Haar, welches sie hinter die Ohren zurückgestrichen trug. Indem sie hervortrat, versteckten sich die Kleinen kichernd hinter der Schürze ihrer Mutter und sahen erwartungsvoll ihre ältere Schwester an. Diese, nachdem sie ihre Mutter angesehn hatte, dann lachte und verschämt niederblickte, begann endlich: »Ich heiße Sarah, und bin die älteste Tochter im Hause. Ich kann ein wenig Englisch. Ich sollte den Herrn nach seinem Begehr fragen!« – Sie hatte diese Sätze hastig, einen hinter den andern herausgestoßen, und trat, nachdem sie geendet hatte, ganz geröthet bis unter das nußbraune Haar, zurück und an die Seite ihrer Mutter, welche die Hand auf ihre Schulter legte. »Liebe Sarah,« erwiederte ich, »ich wünsche, wofern ich Euch durch jene Karte gut genug empfohlen scheine, für einige Zeit in Eurer Farm Aufnahme zu finden.« Mit Hülfe meiner schönen Dollmetscherin und nachdem mich Alle verstohlen, der Eine von dieser, der Andre von jener Seite angesehn hatten, ward ich bald mit der Mutter Handels einig. Nun ward auch die Großmutter, eine rüstige Matrone, die dem Fremden zu Ehren schon eine riesige weiße Bandhaube aufgesetzt hatte, hereingerufen und gemeinsam beschloßen, daß Hugh, ein sechzehnjähriger, frischer Bursch mit Wamms und Krämpenhut, gleich meine Sachen aus dem Wirthshaus heraufschaffen sollte. Der Umzug war rasch bewerkstelligt und schon am Mittag, nachdem mich nun auch der vom Feld heimgekehrte Hofherr, Mr. Williams mit stummem Händedruck willkommen geheißen hatte, war ich in der Farm Wern wohnlich eingerichtet.