Ein Kriegsende - Siegfried Lenz - E-Book

Ein Kriegsende E-Book

Siegfried Lenz

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Beschreibung

"Ich gestehe, ich brauche Geschichten, um die Welt zu verstehen." Die Vielfalt der Themen und die Entwicklung eines unvergleichlichen Stils treten in den Erzählungen von Siegfried Lenz deutlich hervor. Brillant verdichtet er auf engstem Raum und mit außerordentlicher Intensität Situationen und die Gefühlswelten seiner Figuren. In der Tradition der deutschen Novelle, der russischen Erzählung und der angelsächsischen Kurzgeschichte stehend, hat Siegfried Lenz die kurze Form zu einer in der Gegenwartsliteratur beispielhaften Meisterschaft geführt. "Lenz schreibt unglaubliche und letztlich, da mit künstlerischen Mitteln beglaubigt, doch glaubhafte Erzählungen; sie mögen einem bisweilen unwahrscheinlich vorkommen, aber sie sind immer wahr." Marcel Reich-Ranicki Diese eBook-Ausgabe wird durch zusätzliches Material zu Leben und Werk Siegfried Lenz ergänzt.

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Seitenzahl: 52

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Siegfried Lenz

Ein Kriegsende

Erzählung

Hoffmann und Campe Verlag

Ein Kriegsende

Unser Minensucher glitt mit kleiner Fahrt durch den Sund, und sie hoben nur einmal den Blick und drehten sich weg. Von ihren Fischkuttern, von ihren Prähmen und verworfenen Holzstegen linsten sie zu uns herüber, schnell und gleichmütig, anscheinend gleichmütig, und kaum daß sie uns aufgefaßt hatten, wandten sie sich ab und stapelten weiter ihre Kisten mit Dorsch und Makrele, schrubbten die Decks, schlugen die Netze aus oder setzten mit weggetauchtem Gesicht die letzten Tabakkrümel in Brand. So wie sie durch uns hindurchsehen konnten, wenn wir ihnen in den krummen Straßen der kleinen Hafenstadt begegneten, so registrierten sie interesselos jedes Auslaufen von MX12, tauschten keine Signale, taxierten nicht, sahen sich nicht fest; mitunter kehrten sie uns sogar den Rücken zu, wenn wir mit entkleidetem Buggeschütz vorbeiglitten, und arbeiteten nur heftiger, fast erbittert. Sie schienen sich an MX12 gewöhnt zu haben, an den grauen Minensucher, sie ertrugen seine beherrschende Silhouette vor dem getünchten, kastenförmigen Gebäude des Hafenkommandanten, ertrugen sie, indem sie achtlos über sie hinwegblickten – nicht alle, aber doch die meisten in diesem stillen dänischen Hafen, in dem wir in den letzten Monaten des Krieges stationiert waren.

Die Ufer traten zurück, der Sund öffnete sich, bei schwachem Wind hängten sich Möwen übers Achterdeck, wie für alle Fälle. Wir passierten die Mole, der weißgelackte Leuchtturm glänzte in der Sonne, wir passierten die bröckelnde Festung, in der einst ein umnachteter König seine letzten Jahre verbracht hatte. Unsere schwach auslaufenden Bugwellen leckten die Steine, hoben die kleinen vertäuten Boote an und ließen sie dümpeln. Keines unserer Geschütze war besetzt.

Fern, im Schutz der Inseln, in ihrem vermeintlichen Schutz, ankerte eine heimatlose Armada: alte Frachter, Werkstattschiffe, Schlepper und Lastkähne. Sie waren aus den Häfen des Ostens geflohen, die nun verloren waren, sie hatten sich mit ihrem letzten Öl, mit letzter Kohle westwärts retten können, einzeln und in trägen Konvois, über eine unsichere Ostsee, die gesprenkelt war von Treibgut. Seit Wochen lagen sie auf Warteposition, doch sie erhielten keine Erlaubnis, die wenigen verbliebenen Häfen anzulaufen, deren Piers von Kriegsschiffen besetzt waren.

Es frischte nicht auf, feiner Dunst lag über der See, als wir das mächtige Wrack passierten, einen ehemaligen Truppentransporter, der mit nur geringer Krängung auf Grund lag, am Rande des Fahrwassers. Die sanfte Dünung spülte über die rostigen Plattformen der Flak, warf sich klatschend an den Aufbauten hoch, fiel zurück und floß in schäumenden Zungen ab. Auf den Spieren, signalhaft aufgereiht, saßen Mantelmöwen, die hin und wieder einzeln abschwangen und nach knappem Rundflug wiederkehrten. Immer noch liefen wir kleine Fahrt. Der Kommandant rief einige von uns zur Brücke, er sah wie abwesend über die See, als er unseren Auftrag bekanntgab, er sprach in wechselnder Lautstärke, mitunter fiel er ins Platt. Kurland also; wir hatten den Auftrag bekommen, nach Kurland zu laufen, wo eine eingeschlossene Armee immer noch kämpfte, sich eingrub und widerstand mit dem Rücken zur Ostsee, obwohl alles verloren war. Wir gehen nach Libau, sagte der Kommandant, wir werden im Hafen Verwundete an Bord nehmen und sie nach Kiel bringen. Befehl vom Flottillenkommando. Er knöpfte die Uniformjacke über dem Rollkragenpullover zu, suchte den Blick des Steuermanns und stand eine Weile da, als erwartete er etwas, eine Frage, einen Einspruch, doch weder der Steuermann noch ein anderer sagte ein Wort zu unserem Auftrag, sie harrten nur schweigend aus, als verlangten sie zu dieser Nachricht eine Erläuterung. Der Kommandant ließ das Zwillingsgeschütz besetzen.

Am Ruder stehend, hörte ich, wie sie den Kurs erwogen. Seit die Häfen in Pommern und Ostpreußen verlorengegangen waren, lief kein Geleit mehr ostwärts, dem wir uns hätten anschließen können; wir mußten versuchen, allein durchzukommen, fern von der Küste, um nicht von ihren Flugzeugen entdeckt zu werden. Der Kommandant sprach sich für einen nordöstlichen Kurs aus, am schwedischen Gotland vorbei; er schlug vor, an schwedischen Hoheitsgewässern weiterzulaufen, um dann, auf südöstlichem Kurs, die Ostsee nachts zu überqueren. Der Steuermann sagte: Wir kommen nicht durch, Tim, und der Kommandant darauf, zögernd und wie immer ein wenig abweisend: Ich war noch nie in Libau, vielleicht ist das die letzte Gelegenheit. Sie stammten aus demselben Nest in Friesland, vor dem Krieg hatten beide Fischdampfer gefahren, beide als Kapitän.

 

Wir liefen mit Marschgeschwindigkeit auf einem Kurs, den allein der Kommandant bestimmt und abgesteckt hatte; die See krauste sich, ein Torpedoboot passierte uns in sehr schneller Fahrt. Durch das Glas waren überall in den Gängen Soldaten mit Verbänden zu erkennen. Zum Schluß, sagte der Kommandant, fahren alle als Lazarettschiff. Der Himmel war klar, hoch über uns zerliefen Kondensstreifen. Zwei leere Schlauchboote trieben auf dem Wasser, unsere Hecksee ließ sie torkeln. Der Funkmaat brachte einen Notruf auf die Brücke, den ein sinkendes Schiff abgesetzt hatte, ein großes Wohnschiff, die »Cap Beliza«; sie meldete Minenexplosion. Über die Karte gebeugt, ermittelte der Kommandant die Unglücksstelle; wir konnten ihnen nicht zu Hilfe kommen, wir standen zu weit ab. Es ist Wahnsinn, Tim, sagte der Steuermann, wir kommen nie durch bis Libau. Sie tauschten wortlos ihren Tabak, stopften gleichzeitig die Pfeifen und steckten sie an. Ihre Flugzeuge, sagte der Steuermann, ihre Flugzeuge und U-Boote: östlich von Bornholm räumen die alles ab. Wir haben einen Auftrag, sagte der Kommandant, in Kurland warten sie auf uns.