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Der erfolgreichste Jagdautor, Gert v. Harling, blickt auf 66 Jahre Jagd zurück. Doch sein Buch ist nicht nur Autobiographie, sondern vor allem eine Sammlung an spannenden, amüsanten und faszinierenden Geschichten über die Jagd, die Tiere und die Natur in Deutschland und in vielen anderen Ländern auf dieser Welt. Auch seine tiefen Jagdkenntnisse und seine besondere Einstellung zur Jagd kommen nicht zu kurz. Untermalt werden seine Erlebnisse mit den vielseitigen Bildern aus seinen privaten Alben und mit den stimmungsvollen Aufnahmen des bekannten Jagd- und Naturfotografen Frank Eckler. Ein Leben für die Jagd wurde 2021 zum Jagdbuch des Jahres gewählt und erhielt den ersten Platz in der Kategorie Belletristik. Diese ganz besondere Auszeichnung wurde von der WILD UND HUND verliehen.
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Seitenzahl: 316
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© eBook: 2021 GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, Postfach 860366, 81630 München
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Projektleitung: Fabian Barthel
Lektorat: Angelika Glock
Bildredaktion: Petra Ender, Angelika Glock
Covergestaltung: kral & kral design, Dießen a. Ammersee
eBook-Herstellung: Lea Stroetmann
ISBN 978-3-96747-078-9
1. Auflage 2021
Bildnachweis
Coverabbildung: Natascha Klebl
Fotos: Frank Eckler, Adobe Stock, Remo Engelbrecht, Angelika Glock, Gert v. Harling, Martin Lösch, Michael Schlenther, Shutterstock, Hans-Jürgen Wege
Aquarelle: Leonore v. Harling
Syndication: www.seasons.agency
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GRÄFE UND UNZER Verlag Grillparzerstraße 12 81675 Münchenwww.graefe-und-unzer.de
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Dieses Buch widme ich der Schöpfung Gottes, der Natur und allem, was sie bedeutet, sowie meiner Frau, meinen Kindern und Enkeln, damit sie wissen, wie es einmal war, auch wenn es nie wieder so sein wird.
Die Jagd bestimmte seit jeher meinen Lebenslauf. Auf dem Ansitz finde ich Entspannung, und mir kommen Episoden, Begegnungen und Abenteuer in den Sinn, die niederzuschreiben ich in meinen bisher erschienenen Büchern vergessen habe.
Als ich Kind war, lag auf dem Nachttisch meiner Mutter ein Buch mit dem Titel »Ich vergaß zu sagen – Heiteres aus der Schublade«. Die Erwachsenen diskutierten begeistert über dieses Werk, ein Bestseller von Heinrich Spoerl. Es liegt mir fern, den Titel neu aufleben zu lassen (gleichwohl man mir nach fast 70 Jahren keine Plagiatsvorwürfe machen könnte), aber er hätte sich auch für das vorliegende Buch geeignet, denn vieles, was ich erlebte, vergaß ich in meiner Autobiografie »Jagen gegen den Wind« zu erwähnen. Daher hatte ich, als ich zu schreiben begann, den Arbeitstitel »Was ich noch sagen wollte – Jagdliches aus der Schublade« gewählt, denn wenn einer auf Safari geht, dann kann er was erzählen. Meine Jagdleidenschaft führte mich in viele Länder dieser Erde. Allein rund drei Dutzend Mal habe ich den afrikanischen Kontinent bereist. In meinem Gepäck befanden sich Trophäen und Geschichten. Viele dieser Geschichten gingen den Weg über meinen Schreibtisch in den Buchhandel. In 66 Jagdjahren kam dabei eine beachtliche Strecke heraus an Anekdoten und Aufsätzen, Erzählungen und Erinnerungen. Noch habe ich den Grund meiner Schublade aber nicht erreicht …
Für die einen fängt das Leben mit 66 Jahren erst an, ich nutze über 66 Jahre intensiven Jagens für einen Blick zurück über Wald und Veld (»Land außerhalb der Stadt«, wie das offene, ebene Grasland der subtropischen Höhengrassteppen im südlichen Afrika genannt wird) und alle Kontinente dieser Erde.
Als Kurfürst Johann Georg von Sachsen 1656 in die ewigen Jagdgründe wechselte, vermeldete das sächsische Jagdregister eine Strecke von 116.906 Wildtieren, die der barocke Landesherr während seiner 45-jährigen Regierungszeit erlegt habe. Das waren nach Adam Riese sieben Wildtiere am Tag.
Ich habe in meinem Leben nicht annähernd so viel Wild erlegt, aber die Jagd bestimmte meinen Lebenslauf. Ich habe von ihr gelebt, meinen Unterhalt damit verdient, mehr geschossen, musste mehr schießen und mehr Zeit in der Natur verbringen als der Durchschnittsjäger. Ich habe ein Leben geführt, das für andere ungewöhnlich ist. Es bestand nicht nur aus Freude, war Arbeit oder auch knallhartes Geschäft, bedeutete Entbehrungen, verbunden mit Strapazen.
Und wenn ich jetzt im Alter immer noch jage, erlaube ich mir die Überheblichkeit, nur wenn ich Freude daran habe, ein Stück Wild zu schießen, sei es eine spezielle Herausforderung, weil andere Jäger an der Nachstellung verzweifeln, es mit herkömmlichen Strategien nicht zur Strecke bringen oder eine besondere Trophäe in Aussicht steht. Das war früher nicht immer der Fall.
Passiv auf einem Hochsitz zu warten, um kunstlos ein Tier zu töten, Jagderfolg dem Zufall zu überlassen, sofern es Zufall überhaupt gibt, oder auf sein Glück zu vertrauen, dafür konnte ich mich nie begeistern. Das bedeutet nicht, dass ich den Ansitz ablehne. Im Gegenteil. Ich finde Entspannung, sehe und lerne stets Neues, und manchmal bleibt Zeit zum Träumen in die Vergangenheit. Und dabei kommen mir Episoden, Begegnungen und Abenteuer in den Sinn, die niederzuschreiben ich in meinen bisher erschienenen Büchern vergessen habe.
Lassen Sie mich meinen Parforceritt durch 66 Jägerjahre mit einem Traum beginnen, einem Albtraum:
Körperliche Strapazen und fortschreitendes Alter haben auch bei mir Spuren hinterlassen. Ich erinnere mich an den Ausspruch meines Stiefvaters: »Junge, denk an deine Rente, irgendwann wirst du älter und vielleicht auch einmal krank …« Es ist wohl ein Privileg – oder eine Arroganz der Jugend: Im Vollbesitz ihrer jugendlichen Kräfte, hört sie nicht auf die Alten.
Dann erwischte es auch mich. Ich brauchte ein neues Knie. Die Beschwerden waren kaum noch auszuhalten. Ein Jagdfreund operierte mich. Er eröffnete mir am nächsten Tag, ich müsste das operierte Bein einmal täglich bis zur Schmerzgrenze belasten. Als ich in dem Vierbettzimmer, links ein stöhnender Bettnachbar, rechts lautes Schnarchen, nicht schlafen konnte, griff ich meine Krücken und schleppte mich auf den Flur des Krankenhauses. Mutig wollte ich die Treppe nehmen, griff das Geländer und bewältigte die erste Stufe. Da fielen meine Krücken zu Boden und landeten scheppernd im Erdgeschoss. Mich durchfuhr ein entsetzlicher Schmerz. Mit Mühe setzte ich mich auf den eisig kalten Steinfußboden. Später rutschte ich schweißgebadet zurück in mein Zimmer. Mein Puls raste. Wie ich ins Bett gekommen bin, weiß ich nicht, erinnere mich nur noch an wahnsinnige Schmerzen.
In meiner Verzweiflung schluckte ich eine Handvoll Tabletten, von denen ich täglich lediglich eine halbe einnehmen sollte, es folgten grauenvolle Albträume: Ich schwamm durch einen Fluss, hinter einem Krokodil her, das ein Holzbein im Maul hatte. Kaum war es vor mir weggetaucht, fand ich mich auf einer Palme wieder, unter der ein Elefant auf einem Holzbein rumtrampelte. Anschließend zerrte ich meine Prothese mit aller Kraft aus dem Fang eines Leoparden und schrie dabei so laut, dass bereits das halbe Krankenhaus zusammengelaufen war und man mich im Bett festband. Als ich erwachte, redeten mehrere Gestalten in weißen Kitteln beruhigend auf mich ein.
Danach hatte ich keine Albträume mehr und verließ nach drei Tagen humpelnd das Hospital.
Kurz darauf bekam ich einen Herzschrittmacher. Ein großes Problem vor dem Eingriff war, den Professor davon zu überzeugen, dass das Gerät in die linke, nicht, wie von ihm gewünscht, in die rechte Schulter implantiert wird. Als ich ihm den Grund erläuterte, ich bin Rechtsschütze, musste ich ihm von meinen Jagdabenteuern erzählen.
Während der Operation unterhielten wir uns angeregt. Immer wieder schüttelte der Chirurg den Kopf, lachte, grinste und schien sich wenig auf seine ursprüngliche Arbeit zu konzentrieren. Im Grunde war es eine lustige Operation.
Der Berufsjäger Carlo Engelbrecht begleitete mich auf der Jagd in der Republik Südafrika.
Ernst Wiechert, der ostpreußische Heimatdichter, wuchs in einem einsamen Forsthaus auf. Eines seiner Bücher beginnt mit den Worten: »Am Anfang meines Lebens war der Wald …« Das trifft auch auf mein Leben zu. Es war nicht der Zeitgeist des 21. Jahrhunderts, der das Waldbaden erfunden und aus ihm eine Art Ersatzreligion gemacht hat. Ich habe mich schon als kleiner Junge mehr in der freien Natur aufgehalten als im Hause, habe früh gelernt, über Gottes unnachahmliche Schöpfung zu staunen, und mir diese Fähigkeit des Staunens bis heute erhalten.
In meinem Büro, auf dem Nachttisch im Schlafzimmer, in der Diele zwischen all den Gehörnen und Geweihen hängen Bilder meines Elternhauses und erinnern an eine unbeschwerte Jugend, wie sie heute wohl kaum noch jemand nachvollziehen oder erleben kann.
»Ubi bene, ibi patria!« Wo ich mich wohlfühle, da ist mein Vaterland, meine Heimat. Ursprünglich Bostel oder Borstel (Wohnstätte, Siedlung) genannt, erhielt der Ort seinen heutigen Namen durch die Familie von Feuerschütz, die zum ersten Mal im Jahr 1430 urkundlich erwähnt wurde.
Über 200 Jahre waren sie Erbherren auf Feuerschützenbostel, bis 1679 die männliche Linie ausstarb. Es folgte ein häufiger Wechsel der Besitzer. 1834 übertrug König Wilhelm IV. das Lehen an den Landkommissar Franz von Harling aus dem benachbarten Eversen. Seitdem befindet sich das Gut, nunmehr in der sechsten Generation, im Besitz der Familie von Harling.
Auf diesem einsam gelegenen Forstgut in der Lüneburger Heide wuchs ich auf, seit frühester Jugend in Einklang mit Natur, Land- und Forstwirtschaft, in enger Berührung mit Jagd, Hunden und Pferden. Die Liebe zum ländlichen Leben wurde zu meiner Passion, die zeitlebens andauerte und überall Mittelpunkt meines Lebens blieb.
Getrübt wurde die Zeit höchstens durch Jagdverbot, wenn meine Brüder und ich in den gepflegten Rabatten rund um das Herrenhaus mit dem Luftgewehr die kostbaren Rosen, der ganze Stolz und die größte Freude meiner Großmutter, »pflückten« oder auf dieselbe Art die mit Holzklammern an langen Leinen aufgehängte Wäsche »abnahmen«.
Auf dem einsamen Rittergut, auf dem ich meine traumhafte Jugend genießen durfte, gab es noch Kühe, Rinder, Pferde, Schweine, Hühner und natürlich Jagdhunde. Besonders prägend für meine spätere Jägerlaufbahn war Axel, die Dachsbracke unseres Wildmeisters. Wertvoll und prägend nach der alten Weisheit der Rüdemänner: »Erfahrener Jäger erzieht jungen Hund, erfahrener Hund erzieht jungen Jäger«, Axels Stammbaum reichte wahrscheinlich weiter zurück als meiner.
Mit Tieren war ich jedenfalls von Kindesbeinen an vertraut.
Meine Geschwister und ich wuchsen mit ihnen auf und lebten mit ihnen. Liebe und Respekt vor unseren Mitgeschöpfen war eine Selbstverständlichkeit, genauso wie der Respekt vor Eigentum.
Dem Lauf der Zeit folgend, sind Pferde und Jagdhunde heute die einzigen tierischen Mitbewohner auf dem Hof.
Wir lernten bereits als Kinder, dass auch Jäger unverzichtbare Aufgaben in der ihnen anvertrauten Schöpfung erfüllen. Ich habe es zwar nicht »ökologisch« genannt, aber diese Verantwortung verinnerlicht, als hätte ich Ökologie studiert.
Den ökologischen Gedanken, Schutz der Umwelt, Regeln der Nachhaltigkeit, haben meine »altgrünen« Vorfahren, Jäger, Forstleute oder Landwirte, schon viel früher gedacht und praktiziert, als es heutigen »Neugrünen«, selbst ernannten Tier- und Umweltschützern, in ihr von Ideologie verstelltes Weltbild passt.
Meine Mutter stellte uns Kindern jedes Jahr ein kleines Stück ihres Gemüsegartens zur Verfügung. In dem durften wir nach Herzenslust pflanzen, jäten und ernten. Jeden Frühling war es das Gleiche: Wir steckten kleine Samenkörner in die Erde und erwarteten gespannt das Wunder der Natur, aus ihnen eine Pflanze wachsen zu sehen. Hatten wir es mit dem Gießen zu gut gemeint, zerwühlte ein Maulwurf die Beete oder pickten Vögel die Saat aus dem Boden, beruhigte uns Mutter damit, dass der liebe Gott alles zu seiner Zeit regeln werde. Und das traf auch immer zu: Wenn unsere Hoffnung kleiner wurde, wir das Vertrauen auf die Zuverlässigkeit des lieben Gottes zu verlieren begannen, sprossen doch Pflanzen aus der Erde, da so reichlich gesät worden war, dass nie alle Samen untergingen. Und jedes Mal gab es Freude und Staunen. Wir betrachteten es eben als Wunder, eine jährlich voraussehbare, aber aufregende Wiederkehr.
Eine Dachsbracke war mir in meiner Jugend ein stets treuer Gefährte.
Wenn der Vater mit dem Sohne … oder: Auf Taubenjagd mit meiner Tochter
Meine Kinder sind durch einen langen Stammbaum vorbelastet, auf dem schwerlich ein männliches Familienmitglied zu finden ist, das nicht Land- oder Forstwirt, zumindest Jäger war.
Mein Sohn Moritz folgte der alten Familientradition und studierte Forstwissenschaften. Allerdings nennt er sich nicht wie seine Vorfahren »Forstmeister«, diese schöne alte Bezeichnung ist in der Beamtenwelt verschwunden, sondern Dipl.-Forstwirt. In Göttingen war er bei der »Tanne«, einer der traditionsreichen forstakademischen Studentenverbindungen aus Hannoversch Münden, aktiv. Wäre er zur ATG, der Andree’schen Tischgesellschaft, einer ebenfalls alten forstakademischen Studentenverbindung, gegangen, bei der viele meiner Vorfahren Mitglied waren, wäre er immerhin Harling VII. gewesen. Enttäuscht war ich, als einigen Füchsen anlässlich einer Einladung zur Bockjagd von einem Alten Herrn, einem Forstamtsleiter, Anfang Mai auf die Frage nach der Freigabe eröffnet wurde: »Alles, was Hörner hat!«
Auch über die jagdliche Erziehung im Studium durch einige Professoren war ich nicht glücklich. In Erinnerung habe ich den Rat eines Professors: »Das einzige wirksame Mittel gegen Rotwild ist die .30.06« und »Das einzige gute Reh ist ein totes Reh«
Manche Böcke vereinen alle Lehrbuchweisheiten über das Lebensalter in sich, man kann schon bei der ersten Begegnung sagen, wie alt sie sind. Bei anderen tut man sich dagegen schwer.
Nächtelange Diskussionen mit meinem passionierten Sohn vor seiner Jägerprüfung sollten mich davon überzeugen, dass ich herzlich wenig Ahnung vom Ansprechen des Rehwildes habe, die Altersbestimmung vielmehr denkbar einfach sei.
Im Vorbereitungskurs auf die Prüfung ging es um falsche und richtige Böcke. Meine Einwände, das vermittelte Wissen entbehre jeglicher wissenschaftlicher Grundlage, sei nach meinen Erfahrungen Nonsens, wurden von meinem Herrn Sohn mitleidig belächelt. Was die Altersansprache des Rehwildes betreffe, seien meine Kenntnisse antiquiert, glaubte er.
Ein Sechser – besser ein ungleich verecktes Sechserchen – war es, der mir Kopfzerbrechen bereitete. Mehrfach beobachtete ich den Bock auf dem großen Wildacker. Stets nur kurz, zu kurz, um ihn genau anzusprechen. Einmal erschien er jung, ein anderes Mal war ich sicher, einen »Geheimrat« vor mir zu haben. Dann hatte ich Muße, ihn mit dem Spektiv zu beobachten, und er kam mir wieder sehr alt vor.
Otto von Bismarck, sein Name wurde in meinem Elternhaus nur ungern erwähnt, mein Großvater war strammer Anhänger des Welfenhauses, schrieb ihn stets ohne »c« und argumentierte, diesen Namen müsse man sich nicht merken, ebendieser Bismarck soll gesagt haben: »Der einzige Augenblick in meinem Leben, in dem ich wirklich glücklich gewesen bin, war, als ich meinen ersten Hasen erlegte.« Das kann ich nachempfinden. Als mein erster Bock lag, ein jämmerlicher Knopfer, ging es mir ähnlich. Ich fühlte mich endlich erwachsen, endlich als vollwertiger Jäger. Und nun durfte ich mit meinem Sohn ins Revier, damit auch er seinen ersten Rehbock schießen würde.
Moritz kann es kaum erwarten, und so stapfen wir denn los: ein junger, vor Passion und Ungeduld strotzender und ein älterer, abgeklärter Jäger.
Den Schäferdamm entlang pirschen wir, der Sohn seinem Begleiter unsicher immer wieder von der Seite einen Blick zuwerfend, der Vater routiniert, wohlwollend, hin und wieder seinen hoffnungsvollen Sprössling unauffällig musternd.
Am alten Wildacker kriechen wir in ein Gebüsch, das gute Deckung und genügend Blickfeld bietet. Der Wind steht günstig.
Ein fragender Blick meines Sohnes – erst zur Kanzel, dann zu mir –, und ich schüttele den Kopf. »Vom Hochsitz aus zu schießen überlassen wir den Alten«, flüstere ich. Unverständnis spricht aus der Reaktion des Jungjägers.
Mir kommen mit einem Mal die fast unwirklich scheinenden Nächte in einem Iglu in den Sinn, in dem mein Freund Michael und ich vor Jahren nach einer Gänsejagd an der Hudson Bay wegen der ungünstigen Wetterverhältnisse festgehalten waren. Das Buschflugzeug konnte uns nicht wie geplant abholen. Drei Tage verbrachten wir mit Inuits auf engstem Raum und verkürzten uns die Zeit mit Erzählen von Anekdoten.
»Wie jagt ihr in Deutschland?«, fragte mich damals der Chef der Eskimos. Ich berichtete von Abschussplänen, die vorschreiben, wie viel Wild man schießen darf und wie stark es zu sein hat, erzählte von Revieren, die 100 oder 200 Hektar groß sind, von Kanzeln, Wildäckern, geharkten Pirschsteigen, bis ich unterbrochen wurde. »Nun gut, das ist Wildmanagement, aber was macht ihr, wenn ihr jagen wollt?« Die Frage hatte mich beschämt. Wenn ich heute, gewissermaßen von der Natur isoliert, auf einer Kanzel sitze, denke ich oft an den Ausspruch dieses Inuks.
Mein Sohn stupst mich behutsam an und reißt mich aus meinen Gedanken. Ein Igel marschiert schnaufend ein paar Meter entfernt an uns vorbei.
Wenige Meter weiter bewegen sich Dornenzweige, dann hüpft eine Mönchsgrasmücke so nahe heran, dass man sie hätte greifen können.
Kurz darauf beobachten wir zwei bunt schillernde Käfer, und als die Dämmerung hereinbricht, jagen sich zwei Mäuse fast über unsere Stiefelspitzen. Beobachtungen, die uns in einer Kanzel entgangen wären.
Als es dunkel ist, ziehen wir zufrieden heimwärts, freuen uns an den Glühwürmchen und dem Ruf des Kauzes, während die fast volle Scheibe des Erdtrabanten – Schweinesonne nennen manche den Mond – hinter den Kiefern aufsteigt und die Nacht fast zum Tage macht.
Am nächsten Morgen sitzen wir vor Tagesanbruch wieder in dem Gestrüpp, genießen den stimmungsvollen Sonnenaufgang und das anschwellende Konzert der Vögel. Ja, und dann erhalte ich einen gewaltigen Stoß in die Seite. Auf 70, 80 Gänge zieht ein Bock auf den Wildacker. Ein herrliches Bild: das von der aufgehenden Sonne beschienene, rot leuchtende Reh im frischen Grün zwischen glitzernden Tautropfen und mit dem dunklen Kiefernwald als stimmungsvollem Hintergrund. Dazu zahllose Vögel, die allesamt auf ihre Art den anbrechenden Tag begrüßen. Ich brauche kein Glas, um ihn als alt anzusprechen, zumal ich auch ungleich vereckte Sechserstangen erkenne.
Die Morgen- und Abenddämmerung ist die schönste Zeit für die Jagd.
Ein fragender, auffordernder Blick des jungen Jägers, Kopfnicken, dann auch Kopfnicken meinerseits. Wir sind uns einig, vor uns steht der erhoffte Alte. Behutsam geht die Büchse in Anschlag.
Aus den Augenwinkeln bemerke ich, wie mein Sohn vom Jagdfieber geschüttelt wird. Die Gewehrmündung wackelt wie Espenlaub.
»Wenn er breit steht, schieß!«, flüstere ich und konzentriere mich auf das Reh.
Durch das Fernglas erkenne ich fast jede Einzelheit des Gehörns, den massigen Träger und den mürrischen Gesichtsausdruck.
Dabei wird meine Geduld auf eine harte Probe gestellt. Moritz zielt und zittert, setzt die Waffe ab, atmet tief durch, legt wieder an, starrt angestrengt durch das Zielfernrohr, zittert und zielt, holt hörbar tief Luft, atmet schnaufend aus, versucht sich zur Ruhe zu zwingen, ohne Erfolg. Das Jagdfieber macht ihm einen bebenden Strich durch die Rechnung. Als der Schuss bricht, sichert der Bock in unsere Richtung, zieht weiter und trollt, als mein Filius sich bemüht, leise zu repetieren, zum Waldrand, wo er kurz verhofft – und dann verschwindet.
In gedrückter Stimmung machen wir uns auf den Heimweg.
Plötzlich sitzt mitten auf dem Weg ein Hase. Er wirkt überlebensgroß und mümmelt an einem riesigen Sauerampfer. Wenn er sich gemächlich vorwärtsbewegt – der Ausdruck »hoppeln« trifft hier gewiss nicht zu –, sieht das unbeholfen, schwerfällig aus. »Er hat viele, viele Feinde –alle, alle wollen ihn fressen«, zitiert mein Sohn, als wir Meister Lampe lange genug durch unsere Ferngläser bei der Morgentoilette zugeschaut haben. »Warum fällt dem jungen Jäger dies gerade jetzt ein?«, überlege ich und erkläre: »Es gibt in der Tierwelt keine Feindschaft, das Verfolgen eines Hasen durch Habicht, Marder oder Fuchs entspricht dem ewigen Naturgesetz des Fressens und Gefressenwerdens.«
Am Abend sitzen wir wegen des Windes am selben Wildacker unter einem riesigen Holunderbusch. Holuntar, »Baum der Holler«, nannten ihn unsere Vorfahren und hatten ihn Frau Holle geweiht. Üppig ranken sich Märchen und Sagen um diesen seltsamen Strauch, aus dessen Zweigen wir als Jungen Blasrohre oder Flöten bastelten und der in der Heilkunde seit uralten Zeiten einen hervorragenden Platz einnimmt. Ein Hauch Geborgensein geht von seinem grünen, mit weißen Lichtern winkenden Blätterdach aus.
Wunderbar, wie die Abendröte die Landschaft verzaubert. Kleine Fliegenkreisen in Schwärmen über uns. In Tanzgruppen heben sie sich in die Höhe, als drehten sie sich um eine Spindel. Dann kommen alle wieder gleichzeitig herab, Hals über Kopf zitternd, ohne je aneinanderzustoßen. Ein herrliches Spiel. Unglaublich, dass Hunderttausende solcher Winzigkeiten so einen großartigen Lufttanz aufführen können, immer in derselben schmalen Säule, ohne einander zu berühren. Die kleinen Insekten schlagen Purzelbäume, eines aufwärts, eines abwärts. Eines hüpft beim Fliegen, ein anderes kreist wie im Tanz, und keines stört dabei das andere.
Ein Häher streicht lautlos auf uns zu, schwingt sich krächzend in jäher Wendung herum und wird vom Schutz der dichten Kiefernäste aufgenommen.
Dann arbeitet sich ein blauschwarz glänzender Mistkäfer umständlich durch das Laub zu unseren Füßen. Als es zu dämmern beginnt, gesellt sich am anderen Ende der Fläche, zu weit für einen sicheren Büchsenschuss, ein Reh zu der bereits ausgetretenen Ricke. Der Alte? Ankriechen wäre ein Wettlauf mit der aufkommenden Dunkelheit, und so betrachten wir den Bock durch unsere Gläser, bis es stockfinster ist und wir nach Hause schnüren, sicher, den alten Bock am kommenden Morgen zu erlegen. Doch mit des Geschickes Mächten …
Dreimal harren wir noch an dem Wildacker, aber der Bock lässt sich nicht blicken. Moritz schießt schließlich einen anderen Bock.
Mehrere Male sitze ich dann allein am großen Wildacker, ohne Rehwild in Anblick zu bekommen. Erst im Sommer, als ich vom Frühansitz heimwärts ziehe, beobachte ich am Rand, von Gestrüpp verdeckt, ein Reh. Durchs Glas erkenne ich schließlich ein Gehörn, und dann besteht kein Zweifel, auch wenn ich nicht viel von ihm sehe, es ist der ominöse Sechser.
Ob der Wind umgeschlagen ist oder küselt, weiß ich nicht, jedenfalls äugt der Bock starr zu mir herüber, und ich gehe in eine Down-Lage, vor der jeder Hundeführer Hochachtung gehabt hätte. Flach wie eine Flunder liege ich am Boden, warte auf den Augenblick, in dem das Haupt wieder in das Gestrüpp eintaucht.
Dann robbe ich los, spärlich gedeckt durch das morgendlich feuchte Gras. Als mich noch knapp 70 Gänge von dem Bock trennen, tritt er auf den Wildacker aus und steht breit wie eine Zielscheibe. Behutsam setze ich mich auf den Hosenboden und bringe die Büchse auf meinen Knien in Anschlag.
Nach dem Schuss ist der Bock verschwunden. Eine breite Spur im Gras zeigt aber den Weg, den er geflüchtet ist. Dieser letzte Weg ist betaut von dunklem Herzschweiß.
Eine Amsel schießt zeternd davon. Etwa 20 Gänge weiter entdecke ich den roten Bock zwischen braunem Farnkraut wie hingebettet auf einigen Trieben der wild wuchernden Brombeeren, die gierig versuchen, die von Menschen urbar gemachte Fläche für die Natur zurückzuerobern.
Fast alles hat planmäßig geklappt. Spannendes Entdecken, aufregendes Ankriechen, der Schuss gut, und ich hätte eigentlich zufrieden sein müssen. Stattdessen ärgere ich mich über meine Ansprechkünste. Vor mir liegt nämlich ein zweijähriger Bock. Sein jugendlichbuntes Gesicht und der schmale Träger lassen es auf den ersten Blick erkennen.Trotzdem werde ich meinem Grundsatz untreu und schärfe dem Bock den Äser auf, um die Zähne in Augenschein zu nehmen. »Postmortale Klugscheißerei« nannte dies unser im Pulverdampf ergrauter Wildmeister. Der Erlegte wird durch die Entstellung nicht älter. Grübelnd breche ich ihn auf, schultere ihn und stapfe heimwärts.
Zu Hause wird der »Kindermord« schweigend zur Kenntnis genommen.
Drei Wochen später erzählt mir mein Bruder am Telefon, dass er einen uralten Bock erlegt habe, ich den Falschen geschossen hätte.
Später, als er mir den gebleichten Schädel seines wohl über acht Jahre alten Bockes zeigt, den er am alten Wildacker erlegt hat, wird mir der doppelte Sinn seiner Worte klar. Das Gehörn sieht meinem zum Verwechseln ähnlich, es kann sich nur um Vater und Sohn handeln.
Meine Tochter Trixi, ausnehmend tierlieb, ist eine begeisterte Reiterin und begnadete Hundeführerin. Ihr größter Wunsch seit Kindesbeinen war ein eigener Jagdhund. Nachdem sie mit 15 den Jugendjagdschein gemacht hatte, führte sie innerhalb weniger Jahre zwei Kleiner-Münsterländer-Hündinnen erfolgreich bis zur VGP.
Sie heiratete einen Juristen. Als sie bei ihrer Verlobung von einer Tante gefragt wurde, ob ihr Zukünftiger denn auch Jäger sei, antwortete sie: »Sonst hätte Pappusch ihn doch gar nicht ins Haus gelassen!«
Mütterlicherseits stammt mein Schwiegersohn von einem großen Weingut, das war uns sehr willkommen. Da auch in seiner Familie in der Mehrzahl Jäger waren, musste ich mir keine Sorgen machen, ob meine aus dieser Beziehung hervorgehenden Enkel die Passion erben würden …
Schwarzes Rehwild – ein besonderes Erbe.
Wie wachsam doch bereits die jungen Kitze sind!
Mein ältester Enkelsohn, Claus Georg, wurde als erstes Enkelkind ziemlich verwöhnt, war sehr vorsichtig, fast ängstlich, und nicht übermäßig selbstständig. Zu meinem Verdruss war er auch beim Essen wählerisch, kurzum, nicht der wirkliche Traum eines Großvaters. Mich versöhnte, dass er immer gerne mit mir auf die Jagd gehen wollte, was ich aber lange Zeit ablehnte. Irgendwann ging es nicht anders, wir zogen los und bestiegen gemeinsam einen Hochsitz an einer Wildwiese. Meine Hündin lag unter der Leiter. Als es dämmerte, trat ein Kitz aus. Ich schoss, und es brach etwa 50 Meter vor uns zusammen. Nach der üblichen Wartezeit befahl ich dem Jungen kurz und bündig, er möge zu dem verendeten Stück gehen, ich würde in der Zwischenzeit das Auto holen. Unverständnis, dann war es Panik im Gesicht des Kleinen, aber ich blieb hart und beruhigte ihn, die Hündin würde ihn zum Anschuss führen. Auf längere Diskussionen ließ ich mich nicht ein, verschwand, stellte mich hinter einen dicken Baum und beobachtete, wie der Knirps zögerlich, dann mutiger dem Hund folgte. Schließlich, es war schon fast dunkel, gesellte ich mich zu den beiden und brach das Kitz auf. Anfangs schaute der Kleine angeekelt, dann immer interessierter zu und ließ sich sogar überzeugen, einen Vorderlauf zu halten. Schließlich überreichte ich ihm die Leber mit den Worten: »Bitte halte sie fest, die wollen wir nachher gemeinsam essen.« Pures Grauen war in das Gesicht des Jungen geschrieben. Er griff nach der glitschigen Masse und drückte sie, weil sie ihm aus den Händen zu gleiten drohte, verzweifelt an seine Brust. Damit war der Bann gebrochen.
Als wir nach Hause kamen, war das Entsetzen bei Mutter und Großmutter gleichermaßen groß, als sie den Sprössling in die Arme schließen wollten. Er sah furchterregend aus, als hätte ich ihn abgestochen. Eine Brustseite war voller Schweiß, sein Gesicht glich dem eines Indianers auf dem Kriegspfad, aber Claus Georgs begeisterter Bericht rehabilitierte mich. Enthusiastisch schilderte er, wie wir gemeinsam das Reh geschossen, es mit vereinten Kräften aufgebrochen hatten und dass er bitte schön nun endlich die Leber essen möchte. Seitdem habe ich viele wunderschöne Stunden mit meinem Enkelsohn auf der Jagd verbracht.
Meine Enkeltochter, Josephine, zwei Jahre später geboren, ist wie meine Tochter ebenfalls ungemein tierlieb, naturbegeistert, liebt Hunde und Pferde, schoss schon als Sechsjährige, wie ihr Bruder, sicher mit dem Luftgewehr und ist immer interessiert, wenn es um das Thema Jagd geht.
Als mein Schweißhund eines schönen Tages eine Ratte auf dem Rasen gegriffen und abgetan hatte, nahm ich ihm die Beute fort, schaute mich nach allen Seiten aufmerksam um, und als ich keinen heimlichen Beobachter erspähte, entsorgte ich den ungeliebten Mitbewohner, indem ich ihn kurzerhand über den Maschendraht unseres Grundstücks warf. Mittags erzählte ich den Kindern von der Heldentat meiner Hündin und beichtete, dass ich den Unhold in die Büsche des Nachbarn geschmissen hätte. Als wir uns an den Mittagstisch setzten, kam meine Enkeltochter stolz, die Ratte hocherhoben am Schwanz tragend, hinzu und präsentierte sie begeistert ihrer Großmutter, die diese »Tierliebe« nur sehr verhalten teilte. Die Kleine war über den hohen Drahtzaun geklettert und hatte die Ratte aus dem dichten Brennnesselgewirr apportiert. Mein Stolz war grenzenlos.
Irgendwann konnten wir uns Trixis Hundewunsch nicht mehr widersetzen. Bevor sie ihren Jugendjagdschein löste, überraschten wir sie mit einer Kleinen Münsterländerin. Der Züchter Emmo Schröder war begeistert von meiner Tochter und der Art, wie sie mit den Hunden umging. Der Grundstein für eine besondere Freundschaft zum Zwinger »vom Birkenbusch« und zur Rasse Kleiner Münsterländer war gelegt.
»Tessa und Trixi müssen sofort kommen, du natürlich auch, die Tauben fressen uns arm.« Die Reihenfolge der Namen, die Emmo am Telefon gewählt hatte, war bezeichnend. »Comtesse vom Birkenbusch«, genannt Tessa, wurde selbstverständlich zuerst eingeladen, vor meiner Tochter, und dann als Anhängsel der Alte.
Es ist Ende Juli, als wir drei ins Münsterland fahren – die passionierte Hündin mit meiner nicht minder passionierten Tochter und ich. Seit Wochen ist es wahnsinnig heiß.
Je näher wir unserem Ziel kommen, desto mehr Tauben sehen wir. Auf Hochspannungsleitungen sitzen sie in langen Reihen, die Stoppelfelder sind übersät mit ihnen, goldgelbe Strohreste erscheinen wie von einem graublauen Teppich bedeckt. Selbst auf umgebrochenen Sturzäckern: Hunderte nahrungssuchende Tauben.
So halten wir uns nicht lange mit der Begrüßung auf, sondern fahren direkt ins Revier. Emmo postiert mich in ein Maisfeld. »Zum Taubentheater in die dritte Maisreihe«, verabschiedet er sich und setzt Trixi samt Tessa rund 100 Meter weiter am Rand des großen Feldes ab.
Die grünen Stauden sind übermannshoch. Ab und zu raschelt es leise – es ist aber nur der leichte Windhauch, der mit den Blättern spielt.
Ich habe gerade meine Flinte geladen, als sich über den Spitzen der Maisstauden vier Punkte nähern, Tauben! Rasend schnell schießen sie vorüber. Im Fortfliegen fehle ich doppelläufig und denke an den Rat unseres Wildmeisters, den er mir auf dem Gänsestrich einbläute: »Du musst dich zwingen, die Gans vorn vorbei zu schießen.« Es gelingt mir so tatsächlich, aus dem nächsten Flug heraus eine Dublette zu schießen. Da erhasche ich aus den Augenwinkeln erneut acht oder zehn der grauen Flieger. Wieder fehle ich.
Bei Trixi fällt ein Schuss. Ich sehe Tessa über den trockenen Acker stürmen und ihre erste Taube bringen.
Über den Maispflanzen erscheint ein weiterer Flug. Zwei Schüsse fallen, eine der Geringelten klatscht auf die Stoppeln. Trixi schnallt die Hündin. In Windeseile ist sie heran und bringt die Beute ihrer Führerin. Aufgeschreckt durch unsere Schüsse, sind nun viele Tauben in der Luft, doch das Dreivierteljahr, während dessen ich nur selten die Flinte in den Händen hatte, hat mir den Blick für Entfernungen und Fluggeschwindigkeiten geraubt, und nach wenig mehr als eineinhalb Stunden sind meine Patronenvorräte erschöpft. 25 Vögel haben wir erlegt, Trixi den Löwenanteil.
Nach kurzer Pause und »Aufmunitionierung« sitzen wir ungefähr 50 Meter voneinander entfernt in einem Brennnesselschlag. Um uns herum Tauben, Tauben, Tauben. Einzeln, in kleinen Flügen oder großen Schwärmen streben sie ihren Ruhebäumen zu: eine Pappelreihe an der Hauptstraße links, ein Erlenhorst an einem kleinen Teich in unserem Rücken und die alte Eiche mit der gewaltig ausladenden Krone, unter der ich hocke. Der Wind weht den Geruch von Stroh und frisch gemähtem Getreide zu uns herüber. Tessa konzentriert sich auf den klaren Himmel, wo Tauben streichen, wohin das Auge auch blickt. Selbst dicht stehende Brennnesseln halten die Hündin nicht ab, mit wild wedelnder Rute zu suchen und zu apportieren. Finderwille, Bringfreude und Jagdpassion überwiegen. Kommt sie mit einer Taube im Fang zurück, wischt sie, sobald sie ihre Beute abgegeben hat, angewidert die Flaumfedern mit den Pfoten aus dem Fang, aber schon bald sind ihr die weichen Federchen nicht mehr unangenehm.
Trixi und ich verharren in gespanntem Warten. Der Hündin mag es genauso gehen. Jede Mücke, die vorbeischwebt, jede Fliege, deren Flügel im Licht aufleuchten, lässt uns zusammenzucken, den Schaft der Flinte fester umfassen, bis das Auge die Täuschung realisiert.
Da – über 30 Gänge entfernt fliegt eine Taube quer zur Baumreihe. Ich wage den weiten Schuss. Nachdem die zweite Ladung den Lauf meiner Flinte verlassen hat, quittiert die Beschossene die Schrote und schwingt sich in einer Birke zwischen Trixi und mir ein. Es dauert lange, bis meine Tochter sie in einer Astgabel entdeckt und schießt.
Dann schießen wir erneut. Federn stäuben, eine der Beschossenen segelt davon, gleitet tiefer, kommt vor einem Zaun noch einmal hoch, überfliegt den Draht und fällt zu Boden. Ohne den Befehl abzuwarten, rast die passionierte Hündin los, überrennt die Stelle, wo die Taube runterging, kommt aber schließlich mit ihrer Beute zurück. Ich vermeine ungeheuren Stolz in den Augen meiner Tochter zu erkennen.
Durch Dornen und Disteln Ich wechsele meinen Stand erneut. Doch nun streichen die graublauen Flieger weit entfernt. Noch einmal wandere ich weiter und kauere im Schatten einer Eiche, als die nächste Taube anstreicht. Hoch ist sie, sehr hoch. Das Korn der Flintenläufe verdeckt den Wildkörper, überholt ihn, die Schrotgarbe verlässt den rechten Lauf, und in einer Wolke aus Federn geht die Taube zu Boden. Tessa stürmt in großen Sprüngen heran und apportiert.
Trixi sitzt tief geduckt rund 50 Meter entfernt unter einer Erle, gut gedeckt von Brennnesseln. Die Hündin kann ich nicht ausmachen.
Ich träume mit offenen Augen und merke nicht, wie meine Tochter aufspringt. Erst als zwei Schüsse fallen und Tauben davonstreichen, schrecke ich hoch. Eine sehe ich zu Boden gleiten, höre Trixi »Apport!« rufen und verpasse zwei Tauben, die fast über meinen Kopf fliegen.
Unter den Läufen der Hündin staubt der trockene Ackerboden bei jedem ihrer Sprünge, und als sie abrupt verhält, ihre Beute aufnimmt, verschwindet sie in einer dichten braunen Staubwolke.
Diese Farben zu malen ist nur die Natur imstande: ein Stieglitz inmitten blühender Kornblumen und Margeriten.
Die Jagd auf Täubin und Tauber birgt viele Facetten.
Tessa apportiert zuverlässig eine Stockente – sehr zur Freude meiner Tochter!
Zweimal streichen Tauben zwischen Trixi und mir. Die junge Jägerin verharrt bewegungslos, glaubt, die Tauben kämen mir näher, schießt dann doch, und ich freue mich über ihre Dublette.
Dann sitzt Tessa hechelnd neben mir. Als die nächste Taube vom Himmel fällt, prescht sie vor, muss aber zweimal nachfassen, bevor sie vorschriftsmäßig bringt.
Ein Bussard streicht vorüber, verfolgt von einem aufgeregten Schwarm Schwalben und den aufmerksamen Blicken Tessas. Elstern schackern in den Büschen. Über dem Feld rüttelt ein Turmfalke.
Als ich Tessa hinter den Behängen kraule, entdecke ich eine vollgesogene Zecke. Geduldig lässt die Hündin die Prozedur über sich ergehen, als ich sie von dem Plagegeist befreie.
Da kommt in rasantem Flug eine Taube auf mich zu. Im Mitschwingen verschwindet sie, just als ich schieße, hinter den Baumkronen. Blätter, Zweige, dünne Äste prasseln herunter, mit ihnen fällt auch der Vogel in den dichten Bewuchs. Dort, wo er heruntergegangen ist, wippen die blauen Blüten der Disteln. Als Tessa ihre Beute sucht, gerät das ganze Gestrüpp in Aufruhr. Die Hündin lässt sich von Dornen und Disteln aber nicht abhalten. Ab und zu erkenne ich ihre wedelnde Fahne, kurz darauf erscheint sie mit der Taube im Fang. Immer wieder schüttelt sie sich, um die weichen Federchen loszuwerden, die dann vom Wind schwerelos fortgetragen werden, über den Erdboden dahinschweben und schließlich im dichten Bewuchs hängen bleiben.
Gebannt beobachtet Tessa einen Kohlweißling, der über die trockenen Stoppeln dahingaukelt. Leichter Wind spielt in den hohen Gräsern. Ab und zu bewegt eine leichte Brise Zweige und Blätter, bringt aber keine Abkühlung, als wir über drei Dutzend Tauben zum Auto tragen.
Tessa, die noch vor wenigen Stunden ausgelassen vor uns hersprang, trottet nun hechelnd hinter uns her. Schließlich springt sie ins Auto. Während wir Beute und Gewehre verstauen, streckt sich die Hündin wohlig aus und beobachtet uns.
Am nächsten Morgen sitzen Trixi und ich etwa 20 Meter voneinander entfernt unter knorrigen Erlen. Es ist trotz der frühen Morgenstunden bereits recht heiß. Die Maisblätter des angrenzenden Ackers fächeln uns etwas Kühle zu, die Szenerie weckt Erinnerungen an spannende Entenjagden in hohem Schilf.
Die Tauben streichen so, dass ich gegen die Sonne schießen muss. Deshalb wechsele ich in den Schatten einer anderen Erle, doch da ist die Deckung nicht optimal. Die Tauben eräugen selbst die kleinste Bewegung und drehen ab. Schließlich finde ich einen Platz, der mir zusagt, doch mit der wandernden Sonne muss ich meinen Stand erneut ändern, um nicht von den aufmerksamen Fliegern eräugt zu werden. Eine Taube stäubt auf, als sie meine Schrote erreicht, fliegt weiter, steilt hoch, überschlägt sich und fällt 150 oder auch 200 Meter entfernt wie ein Stein zu Boden, liegt, weithin sichtbar, auf den dunkelbraunen Stoppeln. Freudig stürmt Tessa los, um sie zu apportieren.
Nach zehnminütiger Atempause beschießt Trixi eine quer vorbeistreichende Taube, die daraufhin im Gleitflug heruntergeht, sich am Rain drückt und dann davonflattert. Doch schon hat Tessa sie gegriffen und bringt sie freudig zu ihrer Führerin.
Der Verkehr auf den Straßen um uns herum wird stärker. Auf den Feldern beginnen die Menschen zu arbeiten. Als es nahezu Mittag ist, brennt die Sonne so heiß, dass die Außentemperaturen höher sind als die Körpertemperaturen des Wildes. Da die Vögel kaum Witterung abgeben, wird es für den Hund zunehmend schwieriger, sie zu finden, das Auge muss mehr arbeiten als die Nase, wir sind uns einig: Tessa hat eine Pause verdient. Auch Vater und Tochter zieht es in die schattige Kühle.
Unter Schatten spendenden Erlen rasten wir.
Während Trixi die Strecke legt, Tessa jede ihrer Bewegungen aufmerksam beobachtet, denke ich mit Wehmut an die spannende Frühjahrsjagd, das Anspringen des rucksenden Ringeltaubers während der Balz, die heute verboten ist.
Ich träume von Tagesstrecken in Südamerika mit über 500 Vögeln und von den vielen Tauben im Flugwildparadies Kuba. Dort stellte ich den unterschiedlichsten Arten nach, auf dem Flug zu ihren Äsungsplätzen, manchen beim abendlichen Einfall in den Schlafbäumen, anderen mittags beim Anflug zu den Tränken. Besonders spannend war eine Taubenart, die sich in den großen Hirsefeldern drückte und wie Rebhühner mit Vorstehhunden bejagt wurde.
Unvergesslich auch das Jagen auf Ringeltauben im Süden Englands. Dort schoss ich von 20 bis 30 Meter hohen schwankenden Holzkonstruktionen aus, die in die Kronen besonders hoher Bäume genagelt waren, massenweise Tauben, wenn sie in der Dämmerung ihre Schlafplätze aufsuchen wollten. Eine wahrhaft wackelige abenteuerliche Angelegenheit.
Ich denke auch an eine Taubenjagd, die mich bereits als Kind abschreckte. Entdeckten die Jungen unserer Landarbeiter ein Taubennest, warteten sie, bis die Jungvögel ersten Flaum angesetzt hatten. Dann banden sie je einen Ständer mit Bindfaden an einen Zweig. So konnte der Nachwuchs, flügge geworden, das Nest nicht verlassen, und die geduldigen Altvögel fütterten, bis die Tauben feist genug für einen guten Braten erschienen.
Meine Tochter ist der Ansicht, ein Kapitel über Kleidung gehöre nicht in ein Buch für Jäger, Mode sei eine Domäne der Frauen. Doch grün, grün, grün waren stets alle meine Kleider …