Ein Pint mit Mord - Stella Cameron - E-Book
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Ein Pint mit Mord E-Book

Stella Cameron

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Beschreibung

Das Böse wartet hinter der Idylle … ein neuer Fall für Alex Duggins
Die spannende Cosy Crime-Reihe der New York Times-Bestsellerautorin Stella Cameron endlich auf Deutsch

Endlich kehrt wieder Ruhe in das beschauliche englische Dorf Folly-on-Weir ein. Doch der Schein trügt, denn nur kurz nachdem Pubbesitzerin Alex Duggins sich von den letzten Mordermittlungen erholt hat, wird eine Frau vermisst. Wenig später finden sie und ihr Freund Tony die Leiche in einem verfallenen Brunnen eines alten Herrenhauses. Wer um alles in der Welt könnte ihren Tod gewollt haben, und das auf so brutale Art und Weise? Während Gerüchte und Spekulationen das Dorf überfluten, wird eine weitere Frau angegriffen. Dabei entdecken Alex und Tony, dass hinter einem unschuldigen Gesicht ein gerissener und rachsüchtiger Geist lauert. Trotz der Warnungen der Polizei, sich nicht einzumischen, gerät Alex in das Visier eines skrupellosen Mörders, der beschlossen hat, dass sie zu viel weiß. Wird Tony sie auch dieses Mal retten können?

Weitere Titel dieser Reihe
Mord mit Schuss (ISBN: 9783968178189)

Erste Leserstimmen
„Endlich geht es weiter mit der spannenden Cosy Crime-Reihe über Alex Duggins!“
„Das ist wirklich ein sehr unterhaltsamer Roman mit sympathischen Charakteren.“
„ein fesselnder Fall, grandioses Setting und Spannung pur“
„Der zweite Teil der Krimi-Reihe hat mich total begeistert!“

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Seitenzahl: 440

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Über dieses E-Book

Endlich kehrt wieder Ruhe in das beschauliche englische Dorf Folly-on-Weir ein. Doch der Schein trügt, denn nur kurz nachdem Pubbesitzerin Alex Duggins sich von den letzten Mordermittlungen erholt hat, wird eine Frau vermisst. Wenig später finden sie und ihr Freund Tony die Leiche in einem verfallenen Brunnen eines alten Herrenhauses. Wer um alles in der Welt könnte ihren Tod gewollt haben, und das auf so brutale Art und Weise? Während Gerüchte und Spekulationen das Dorf überfluten, wird eine weitere Frau angegriffen. Dabei entdecken Alex und Tony, dass hinter einem unschuldigen Gesicht ein gerissener und rachsüchtiger Geist lauert. Trotz der Warnungen der Polizei, sich nicht einzumischen, gerät Alex in das Visier eines skrupellosen Mörders, der beschlossen hat, dass sie zu viel weiß. Wird Tony sie auch dieses Mal retten können?

Impressum

Deutsche Erstausgabe September 2021

Copyright © 2024 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten

E-Book-ISBN: 978-3-96817-821-9 Taschenbuch-ISBN: 978-3-96817-986-5 Hörbuch-ISBN: 978-3-96817-993-3

Copyright © 2015, Stella Cameron Titel des englischen Originals: Out comes the evil

Published by Arrangement with Stella Cameron Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Übersetzt von: Lennart Janson Covergestaltung: Buchgewand unter Verwendung von Motiven von stock.adobe.com: © evannovostro shutterstock.com: © Ollie Taylor Korrektorat: Dorothee Scheuch

E-Book-Version 21.08.2024, 16:24:06.

Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.

Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

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Ein Pint mit Mord

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Ein Pint mit Mord
Stella Cameron
ISBN: 978-3-96817-993-3

Das Böse wartet hinter der Idylle … ein neuer Fall für Alex DugginsDie spannende Cosy Crime-Reihe der New York Times-Bestsellerautorin Stella Cameron endlich auf Deutsch

Das Hörbuch wird gesprochen von Chantal Busse.
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Für Jerry

Prolog

Sexbesessene Schlampe? Pamela Gibbon war dreiundvierzig. Sie war eine sportliche, attraktive und erotische Frau. Und sie genoss die Gesellschaft jüngerer Männer – nur einer zu einer Zeit. Und die Männer genossen sie – sehr sogar. Aber sie hatte im Dorfpub von Folly-on-Weir abstoßende, spitze Kommentare zu hören bekommen und wenn man sie dort heruntermachte, dann auch andernorts.

Sie blieb gerade lang genug im Eingang zur öffentlichen Bar des Black Dog stehen, um das spöttische Kichern in einer Gruppe aus Männern und Frauen mitzubekommen, die sie vielleicht nicht als Freunde, doch zumindest als freundschaftliche Bekanntschaften betrachtet hatte. Aufgeschlossen zu sein, sollte sie nicht zur Zielscheibe des Spotts machen können.

Zehn Jahre lang hatte sie unter diesen Leuten gelebt. Sie und ihr mittlerweile verstorbener Ehemann hatten ihr Haus gekauft, Cedric Chase, und dort bis zu Charles’ Tod gelebt. Pamela hatte nie erwogen, wegzuziehen. Sie liebte das Dorf, und auch wenn sie nicht sonderlich gesellig war, wechselte sie mit den meisten Einheimischen zur Begrüßung mindestens ein Lächeln und ein Nicken.

Röte stieg an ihrem Hals empor. Sie war an diesem Abend nur in den Pub gekommen, um Hugh Rhys vielleicht noch ein letztes Mal zu sehen. Hugh war der neue Betreiber, den Alex Duggins, die Besitzerin, eingestellt hatte, um eine offene Stelle zu besetzen. Er hatte eine rohe Lebendigkeit an sich und Pamela genoss es, in die intelligenten Unterhaltungen hineingesogen zu werden, die er anzuziehen schien. Pamela fand ihn auch in anderer Hinsicht anziehend, auch wenn sie gerade mit Harry Stroud völlig zufrieden war und es wohl auch bleiben würde, besonders jetzt. Sie mochte Harry, sehr sogar, und hatte beinahe gehofft, ihn ihm Black Dog anzutreffen …

Scheiß auf sie. Sie würde verdammt noch mal tun, was sie wollte; auch wenn das mit einschloss, sich mitten in der Nacht mit Harry Stroud in einem verfallenen Turm in der Ruine eines Herrenhauses zu treffen, und dort zu tun, was sie lachen, schwitzen und lustvoll schreien ließ. Das, was von dem alten Ebring Manor übrig war, die zerklüfteten Außenmauern des Hauses aus dem 14. Jahrhundert, ein schwer beschädigter Rundturm, ein Stück einer verstärkten Mauer entlang des Flusses Windrush, die leeren Hüllen einiger riesiger Räume und ein oder zwei Kamine, die fehl am Platz wirkten – wenigstens lag all das zu weit außerhalb, um die einheimischen Kinder oder gar kühne Touristen anzulocken. Und Ebring war nicht berühmt.

Wenige Stunden nachdem sie dem Black Dog den Rücken gekehrt hatte, verließ sie um kurz vor Elf ihr Haus am Rand von Folly-on-Weir und lief durch die Seitengassen zum Nachbardorf Underhill. Das silbrige Licht des zunehmenden Mondes reichte ihr, um den Weg zu finden, doch sie zuckte zusammen, wenn Vögel aus den Hecken aufstiegen oder andere Tiere ihren nächtlichen Aktivitäten nachgingen.

Vielleicht hatte sie Harry an diesem Abend gar nicht treffen wollen, nicht ehe sie den Spott gehört hatte. Ab und zu ließ sie ihn gern warten, dachte sich eine Ausrede aus, wenn sie sich das nächste Mal begegneten, nur um sein Interesse wachzuhalten. Nicht dass sie das nötig gehabt hätte. Sie fühlte sich damit lediglich begehrenswerter – und originell – und Harry machte es leidenschaftlicher. Aber nein, das war nicht, was sie an diesem Abend vorhatte. Es war an der Zeit für eine ernstere Unterhaltung. Eigentlich war die längst überfällig. An diesem Abend rannte sie beinahe den Hang hinauf, um ihn zu treffen. Wenn es ihr so ging wie jetzt, dauerte es zu lange, ihren Ort zu erreichen.

Zuerst hatte es sie genervt, dass sie sich nicht bei ihm treffen konnten. Sie lebte allein, doch da es Harry so wichtig war, wollte sie um jeden Preis vermeiden, dass ihre neugierige Haushälterin Gerüchte verbreitete – als hätte sie nicht gerade den Beweis gehört, dass diese Gerüchte längst umgingen.

Es bestand immer die Gefahr, dass einer von ihnen gesehen wurde – nicht in den Ruinen, aber beim Verlassen des Dorfes, zu Fuß und zu verschiedensten Tageszeiten. Doch diese Gefahr hatte nur zum Reiz der Sache beigetragen. Sie ging nicht davon aus, dass es noch lange eine Rolle spielen würde.

Sie lächelte in die kühle Dunkelheit und atmete den Duft des nahenden Frühlings ein. Die Erde war noch hart und kalt, wenngleich sie schon die ersten Narzissen gesehen hatte, die mit ihren hellgrünen Trieben das Licht suchten. Die Blüten würden dieses Jahr spät kommen und klein bleiben.

Obwohl es bereits so spät war, machte der dezente Duft der Glockenblumen die Nacht sanft und träumerisch. Der richtige Frühling würde dieses Jahr sehr spät kommen.

Der Himmel gleich einer großen, schwarzen Samtschüssel voller zerborstener Kristallsplitter. Es war eine herrliche, mysteriöse Nacht.

Sie brauchte eine Weile, um die Straße nach Underhill zu überqueren und sich dann in die Hänge über Folly-on-Weir zu schlagen. Ein Autofahrer, der sie im Scheinwerferlicht entdeckte, würde vielleicht anhalten, um zu sehen, ob alles in Ordnung war. Ein solcher Zwischenfall wäre mehr als peinlich. Und sie wusste, dass Harry vermeiden wollte, dass seinem Vater, dem Bürgermeister, Gerüchte über sein Liebesleben zu Ohren kamen. Major Stroud erwartete von seinem Sohn, ein „angemessenes, junges Mädchen“ zu heiraten. Harry lebte im Haus seiner Eltern; dem größten und eindrucksvollsten Haus des Dorfes.

Das Erbe war ein großes Thema in Harrys Leben; der Ärmste. Doch es musste nicht so bleiben. Sie hatte die Absicht, dabei zu helfen, Major und Mrs. Stroud diese Macht abzunehmen.

Ein einzelnes Fahrzeug näherte sich von rechts und sie sprang in den Schutz eines Busches zurück und duckte sich. Falls der Fahrer des Wagens sie bemerkt hatte, hatte er oder sie den eigenen Augen nicht getraut und hatte nach wenigen Sekunden wieder Gas gegeben – oder vielleicht hatte sie sich dieses Zögern nur eingebildet.

Die Stunden, die sie im Sattel verbrachte, hielten sie in Form. Sie war dankbar für die kräftigen Beine einer Reiterin und trabte los. In dem großen Flachmann, den sie unter einer Tweedjacke an ihren Körper gebunden hatte, schwappte der Großteil einer Flasche Clos des Saveurs ’76 Bas-Armagnac hin und her. Harry hatte eine Schwäche für edlen Cognac, und Pamela teilte sie. Und er kannte sich aus. Dieser Tropfen würde ihn glücklich machen. Sie hatte außerdem eine schwere, grüne Segeltuchtasche dabei. Darin waren das Fernglas, das sie Harry zurückgeben wollte, und eine Schachtel mit La Florentine Marron Glaces, die Harry sehr gerne aß, besonders, wenn sie nach dem Sex beieinander lagen. Die kleinen, kandierten Maronen aus Italien waren nur eine der vielen Delikatessen, an denen er Gefallen gefunden hatte.

Mächtige Bäume säumten den Hügelkamm, auf den sie sich zubewegte. Sie beschleunigte ihre Schritte. Harrys Nachricht war auf ihrem Anrufbeantworter gelandet, während sie auf dem Weg zum Black Dog gewesen war. Zum Glück hatte sie die Nachricht nicht übersehen, als sie niedergeschlagen zurückgekehrt war.

Als sie die Bäume erreicht hatte, holte sie ihre kleine Taschenlampe heraus und folgte einem vertrauten, wenn auch kaum erkennbaren Pfad, den sie mit ihren regelmäßigen Besuchen angelegt hatten. Wenige Minuten später erreichte sie eine Lichtung, auf der die Überreste von Ebring Manor im Mondlicht glitzerten.

Sie schaltete die Taschenlampe aus und lief weiter. Jeder Schritt war ihr vertraut.

Am Fuß des Turms hielt sie enttäuscht an. Üblicherweise empfing Harry sie hier, doch nicht heute Nacht. Ihr Herzschlag beschleunigte sich. Sie hatte ihm nicht geantwortet, auch wenn sie das ohnehin nicht immer tat. Doch er hatte sich angehört, als würde er sie erwarten. Wenn er glaubte, sie würde nicht kommen, wäre er auch nicht hiergeblieben. Sie atmete schneller und Tränen der Frustration brannten in ihren Augen. „Harry?“, flüsterte sie die steinerne Wendeltreppe empor.

Der niedrige Turm wirkte wie eine Echokammer. Selbst ein Flüstern wurde auf schaurige Weise nach oben getragen.

Nichts.

Sie stieg vorsichtig über zerbrochene Steine und halb fehlende Stufen, bis sie die Spitze erreichte, doch sie fand ihn nicht. Es war die perfekte Nacht. Sie müssten sich nicht unter einer Plane zusammenkauern, um trocken zu bleiben, wenngleich es kein Ungemach war, sich an Harry zu kuscheln. Der Großteil des Daches fehlte, doch unter dem übrigen Stück lagerten sie ihre Vorräte und beruhigten sich mit dem Gedanken, sie einfach wieder aufstocken zu können, wenn sie je gefunden und mitgenommen würden. Pamela legte die Tasche mit dem schweren Fernglas ab, starrte vorbei an den zerfallenen Mauern des Turms in die Dunkelheit und wartete.

Allein würde ihr hier oben bald kalt werden. Dieses Mal würde sie es sein, die am Fuß der Treppe ausharrte und nach ihrem Liebhaber Ausschau hielt. Der Turm wurde vom schwachen Mondlicht erhellt, doch jenseits des Eingangs wartete die Dunkelheit. Sie trat hinaus, lehnte sich an die raue Mauer und füllte ihre Lunge mit der reglosen Luft.

Plötzlich war ein schwaches Licht zu sehen – am Boden, nur wenige Meter von ihr entfernt. Es war ein schmaler Lichtstrahl; kurz zu sehen, dann wieder fast erloschen. Wieder heller, dann kaum noch auszumachen. Dann blieb er an und leuchtete durch das kreisrunde Gitter auf einem alten Brunnen nach oben. Wie oft hatte sie versucht, Harry davon zu überzeugen, mit ihr das schwere, alte Gitter beiseitezuschieben und die Sprossen hinunterzuklettern, die in die Innenwand getrieben worden waren. „Diese Stufen müssen irgendwo hinführen“, hatte sie gefolgert. Er wollte es nie tun. Sie kniff die Augen zu und konnte hören, wie er sie ermahnte, nicht ihre Gesundheit aufs Spiel zu setzen. Es sei zu gefährlich.

Sie blickte noch einmal hinüber. Das schwache Licht leuchtete jetzt gleichbleibend. Sie ging näher heran – und unterdrückte einen Schrei. Sie legte sich eine Hand auf den Mund. Der Brunnen war offen. Nur wenige Schritte mehr und sie hätte hineinstürzen können.

Jemand hatte das Gitter weit genug angehoben, um es zur Seite zu schieben, bis es fast vollständig im Gras lag.

Der Lichtstrahl von unten erlosch.

Sie ließ sich auf die Knie sinken, krabbelte auf allen Vieren zur Kante und richtete ihre kleine Taschenlampe in den Brunnen, wo sie die obersten der rostigen Metallsprossen sehen konnte, die in die steinerne Wand verankert waren.

Harry! Sie grinste. Er musste geglaubt haben, sie mit dem Beweis dafür empfangen zu können, dass ihre kleine Obsession nichts Interessantem galt. Vermutlich hatte er vor, herauszuspringen und sie zu erschrecken.

Sie steckte ihre Taschenlampe ein, legte ihre Tasche oben ab, ließ ein Bein in das Loch sinken und tastete herum, bis sie sicher auf einer Metallsprosse stand. Sie hielt sich oben am Rand fest, auf dem sonst das Gitter geruht hatte, und konzentrierte sich auf einen geräuschlosen Abstieg. Wenn er nicht merkte, dass sie herunterkam, wenn sie nah genug herankäme, dann würde er schon merken, wer sich heute erschrecken würde!

Sie konnte ihre Taschenlampe immer nur kurz zu Hilfe nehmen, da sie beide Hände brauchte, doch sie leuchtete vorsichtig auf ihre Füße und sah, dass sich die Sprossen in der Dunkelheit verloren.

Harry musste das Licht längst bemerkt haben. Das Ganze fühlte sich nicht mehr nach Spaß an.

Ihre Haut wurde feucht und ihr wurde schlecht, doch sie würde nicht umkehren. Harry mochte ihre mutige, wenn auch ruhige Persönlichkeit.

Nach wenigen Sprossen musste sie sich auch mit den Händen am Metall festhalten. Sie steckte die Taschenlampe ein und ließ sie dort.

Glas splitterte. Es musste Glas gewesen sein, auch wenn das leise Geräusch nur kurz zu hören gewesen war.

Ein Klirren. Dann Stille und ein weiteres Klirren.

Etwas Festes traf sie an der rechten Schulter. „Sei nicht albern“, rief sie und wedelte mit dem Arm. Gleich darauf streifte ein kalter Gegenstand die Seite ihres Gesichts, glitt durch ihr Haar, über ihre Kopfhaut und war wieder verschwunden. Sie wedelte mit einer Hand über ihren Kopf und lehnte sich an die Wand. Sie schaltete ihre Taschenlampe wieder ein und richtete sie nach oben, sah aber nur die Öffnung über sich und verschwommenen Lichtschein, der mit der Dunkelheit verschmolz.

Ihre Muskeln zuckten, sie schüttelte sich, klammerte sich an die Sprossen und rang darum, ruhig zu atmen. Das war Wahnsinn. Sie würde hier verschwinden.

Ihr Herz hörte auf, ihr schmerzhaft bis zum Hals zu schlagen, und sie steckte die Taschenlampe wieder weg. Sie streckte entschlossen die Arme vor und kletterte Sprosse um Sprosse nach oben, bis ihre Fingerspitzen über den kalten Metallrand glitten und Erde und Kies spürten.

Pamela spürte nasse Tränen auf ihren Wangen. Sie hustete und ließ mit einer Hand los, um sich die Augen zu wischen, ehe sie sich wieder festhielt.

Mit offenem Mund versuchte sie, so viel Sauerstoff aufzunehmen, wie ihre flachen Atemzüge es erlaubten, und sich nach draußen zu ziehen.

Der Schmerz traf sie ohne Vorwarnung, verbrannte ihre Finger, ihre Hände und ihre Arme. Ihr abgehackter Schrei: „Hil-fe“, fand kaum einen Weg an dem Erbrochenen vorbei, gegen das sie kaum ankämpfen konnte. Das Gitter war wieder an seinen Platz zurückgefallen und hatte ihre Finger unter seinem entsetzlichen Gewicht zerquetscht.

Für einige Augenblicke – sie wusste nicht, wie lange – baumelten ihre Beine in der Luft. Sie konnte an nichts Anderes denken als an den brennenden, alles vereinnahmenden Schmerz. Tropfen fielen ihr ins Gesicht und sie schmeckte Blut. Ihr eigenes Blut von ihren eigenen Händen.

„Ich bin hier unten.“ Es kam nur als gewürgtes Flüstern heraus, und sie richtete all ihre Kraft darauf, lauter zu sprechen. „Hilfe. Ich bin im Brunnen eingesperrt.“

Sie hörte das Kratzen des Gitters, blickte aus brennenden Augen nach oben und sah, dass es wieder zur Seite bewegt wurde. Ein winziger Spalt tat sich auf, während jemand es unter lautem Grunzen mit aller Kraft anhob.

Ihre Sicht verzerrte sich – ihre Wahrnehmung war schwammig. Standen ihre Füße wieder auf einer Sprosse? Sie würgte und versuchte, ihre zerschmetterten Hände zu bewegen, doch sie hatte kein Gefühl in den Fingern.

„Ich kann mich nicht festhalten“, schrie sie als sie merkte, dass sie nach hinten rutschte. „Packen Sie meine Handgelenke.“ Sie schrie erneut.

Zwei starke, glatte Hände lösten ihre aufgeplatzten Finger.

Gummihandschuhe, dachte sie, wie die eines Arztes.

Er musste sie nicht stoßen, einfach nur loslassen.

Im Fallen schlug Pamelas Kopf gegen die Steinwände.

Unter lautem Klirren, das wellenartig durch die Stille zu ihr drang, fiel das Gitter wieder an seinen Platz zurück.

Eins

„Das Auge muss raus.“

„Oh nein“, sagte Alex. „Gibt es keine Möglichkeit, es zu retten?“

„Es ist zu stark beschädigt. Immerhin sieht das rechte Auge nicht allzu schlimm aus. Leichte Bindehautentzündung aber kein Ausfluss. Man kann den trockenen Schorf auf der Cornea des linken Auges sehen und es ist stark geschwollen. Nichts deutet auf übriggebliebenes Sehvermögen hin. Wir müssen uns sofort darum kümmern.“

Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr.

„Musst du zurück?“

„Nein. Ich bleibe hier, während du dich darum kümmerst.“ Sie hatte keine Ahnung, ob die Katze jemandem gehörte. „Ich habe deine Assistentin gar nicht gesehen, als ich reinkam.“

„Heute ist kein Praxistag“, erklärte Tony Harrison. „Radhika kommt erst später. Zum Glück war ich hier.“

„Das habe ich ganz vergessen.“ Sie zuckte mit den Schultern und sagte: „Tut mir leid.“

Er hielt den Kater fest, den sie in einer Mülltonne im Hof ihres Pubs gefunden hatte, dem Black Dog. Das Tier wirkte eher tot als lebendig, das orange gefleckte Fell war matt, die Ohren zerfurcht und von Kämpfen vernarbt und der langbeinige Körper hing schlaff in Tonys Armen.

„Ich werde loslegen. Ich lasse dich wissen, wie es ihm geht.“

„Ich frage mich, wem er gehört“, sagte Alex. „Ich habe ihn noch nie zuvor gesehen.“

Tony blickte vom Kater zu Alex. Er lächelte leicht, doch seine Mundwinkel zogen sich nach unten, was bedeutete, dass er gleich etwas sagen würde, was ihm nicht gefiel. „Ich glaube nicht, dass er irgendjemandem gehört. Wenn wir ihn durchbringen, werden wir entscheiden müssen, was aus ihm werden soll.“

„Kannst du dich allein um sein Auge kümmern?“, fragte Alex, die den Tränen näher war, als sie zugeben würde. „Jemand muss ihn weggeworfen haben.“

„Oder er war auf der Suche nach Futter“, sagte Tony. Sein schmutzig blondes Haar kräuselte sich rund um sein Gesicht und war überall sonst zerzaust, so wie immer. Der einzige Tierarzt von Folly-on-Weir zog zwar die Blicke auf sich, aber nicht, weil er sich um Details wie regelmäßige, modische Haarschnitte kümmerte. „Ich schaffe das allein. Es ist zwar nicht optimal, aber sobald er schläft, habe ich keine Probleme mehr.“

„Schläft?“

„Betäubt ist.“

Sie legte ihre Weste und Cardigan auf einem Stuhl im Wartezimmer der kleinen Klinik ab und rollte die Ärmel hoch. „Ich kann helfen. Sag mir nur, was ich tun soll.“ Sie mied seinen Blick. „Los, er sieht nicht gut aus.“

Ohne ein weiteres Wort führte er sie in seinen kombinierten Untersuchungs- und Operationsraum. Er hatte ihr erzählt, dass er einen eigenen Operationsraum entwerfen ließ, doch fürs Erste kam er so zurecht.

„Ich werde dich nicht fragen, ob du dich dem wirklich gewachsen fühlst, aber wenn du es dir anders überlegst, sag mir einfach, dass du gehst.“

Sie schnaubte. „Mach dir keine Sorgen um mich. Ich war schon immer blutrünstig.“

Tony lachte kurz, holte eine Heizmatte und ein Handtuch aus einer Schublade und legte beides auf den Stahltisch. Er legte den Kater auf den Tisch und steckte die Heizmatte ein. „Armes Kerlchen“, sagte Tony, als der Kater keine Anstalten machte, sich zu bewegen.

„Er scheint schon bewusstlos zu sein“, sagte sie besorgt. „Wird er sterben?“

„Legen wir los, Schwester.“ Er setzte eine Injektion und das ohnehin lethargische Tier entspannte sich binnen Sekunden. „Ich werde ihn intubieren und anfangen, ihm etwas Flüssigkeit zu geben, für den Fall, dass er Probleme bekommt und sie braucht. Zuerst ein wenig Lidocain-Spray, damit er weniger Schmerzen im Rachen spürt und wir es etwas leichter haben. Leg deine Hand auf seinen Kopf und greif den Oberkiefer, um ihn aufzuhalten … gut. Du bist ein Naturtalent.“

Während er den Tubus einführte, das Auge des Tieres mit Kochsalzlösung ausspülte und Fell und Wimpern zurückschnitt, sprach Tony kein Wort. Alex streichelte den bewusstlosen Kater.

Tony hob den Blick zu ihr. „Jetzt müssen wir das Handtuch, auf dem er liegt, gegen ein trockenes austauschen, und ihn für die Operation zurechtlegen. Sein Kopf muss an diesem Ende liegen. Kannst du das übernehmen, während ich das Operationsbesteck zurechtlege und saubermache?“

„Ja, natürlich.“ Sie war überzeugt, alles schaffen zu können, was diesem Kater half, und tat, wie ihr geheißen.

„Danach wasch dir gründlich die Hände.“

Alex tat, was er von ihr verlangte, und war froh, beschäftigt zu sein – zu beschäftigt, um ihrem rumorenden Magen Beachtung zu schenken.

„Enukleation des Auges“, sagte Tony und blickte sie über seine Maske hinweg an. Seine dunkelblauen Augen waren dunkler denn je. Doch er ging so sachlich mit der Situation um, dass sie wusste, dass er sich in dieser Situation am wohlsten fühlte, mit einem Patienten. „Mit diesem Schnitt erreiche ich den Muskel. Reich mir bitte diese Schere, die gebogene.“

Sie folgte seinen Anweisungen und bemerkte, dass er sie noch einmal ansah, als versuche er abzuschätzen, ob sie ohnmächtig werden würde. „Interessant“, sagte sie, obwohl sie sich etwas schwach fühlte. „Ich komme mir nützlich vor, obwohl ich es nicht bin.“ Sie lachte.

„Du bist wundervoll, aber das wussten wir schon.“ Es lag kein Lachen in seinem Blick.

Alex richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf den Kater. Sie und Tony waren sehr gute Freunde und könnten problemlos mehr werden, wenn im richtigen Augenblick die richtigen Dinge geschahen.

„Ich trenne sämtliche Muskeln ab, um den Augapfel freizulegen und das Auge herauszunehmen“, sagte er. „Keinen Moment zu früh – es tritt Eiter aus.“

Alex biss die Zähne zusammen und sah nicht allzu genau hin.

„Klemme alles ab, inklusive Nerven und Blutgefäße. Zwei Ligaturklammern. Trenne den Augapfel ab. Spüle die Augenhöhle mit Kochsalzlösung aus.“ Wieder ein Blick zu ihr, ehe er fortfuhr. „Gebe etwas Ampicillin – die Augenhöhle sieht sauber aus, doch bei so etwas besteht immer ein Infektionsrisiko. Und ein Risiko für Blutungen. Ich trenne dieses kleine Stück Gewebe ab, in dem die Wimpern saßen, damit die Haut zusammenwächst, und jetzt mache ich zu.“

Damit endete die Lehrstunde. Er nähte die Wunde zu und trat mit erhobenen, behandschuhten Händen zurück. „Gute Arbeit, Schwester Duggins. Ich glaube, ich könnte eine weitere Assistentin gebrauchen. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob das mit einer Ausbildung am Arbeitsplatz funktioniert, aber das finden wir schon heraus.“

Sie streichelte erneut den Kater. „Du kannst dir mich gar nicht leisten“, sagte sie. „Er ist kurzatmig.“

„Aber regelmäßig“, sagte er. „Du musst bestimmt zurück, aber vielen Dank für deine wundervolle Hilfe. Du bist eine begabte Frau.“

Sie hatten in der Vergangenheit schon einige scheußliche Dinge durchgemacht und sie war nie schwach geworden oder zusammengebrochen. Der Gedanke brachte sie zum Lächeln. „Harrison und Duggins. Notfall GmbH.“

Dieses Mal dauert sein Blick lange genug, um ihr Unbehagen zu bereiten. Sie bewegten sich auf einem schmalen Grat, während sie herauszufinden versuchten, wozu sie beide bestimmt waren, sodass es regelmäßig beinahe schmerzhaft wurde.

„Das klingt nicht schlecht“, sagt er schließlich. „Dieses Kerlchen wird jetzt warmgehalten und unter Beobachtung gestellt, falls Infektionen oder Blutungen auftreten. Radhika wird bald hier sein. Sie wird ihn bemuttern.“

Alex nickte. „Du hast Glück, dass sie aufgetaucht ist, als du sie brauchtest.“ Tonys letzte Assistentin hatte gekündigt, um zu heiraten, doch vor einigen Monaten war Radhika ins Dorf gezogen, eine umwerfend schöne Inderin Mitte zwanzig. Sie hatte genau die Fähigkeiten in der Krankenpflege, die Tony brauchte.

Neben ihrer wundervollen Fürsorge für die Tiere war Radhika gut organisiert und ihr gelang, was Alex für unmöglich gehalten hätte, sie führte Tonys Praxis reibungslos. Sie war eine Freundin von Vivian Seabrook, die den Stall der Derwinters führte. Die wiederum waren die Großen Landbesitzer und die selbsternannten „Gutsherren“ der Gegend. Warum Radhika allerdings in ein kleines, englisches Dorf gezogen war, blieb ein Geheimnis.

„Du musst nicht hierbleiben“, sagte Tony, während er eine dünne Decke aus einer Wärmeschublade holte. „Ich lege ihn zu mir ins Büro, bis Radhika hier ist.“

Alex machte sich bereits Sorgen um die Zukunft des Katers. „Soll ich Aushänge machen, um zu sehen, ob ihn jemand vermisst?“

Er streckte die Hand aus und strich ihr durch die kurzen, dunklen Locken, was sie lächeln ließ. „Ganz die Fürsorgliche, Alex. Mach im Dog einen Aushang, wenn du magst. Von dort aus wird es sich herumsprechen. Wir müssen eigentlich nur Harriet und Mary Burke davon erzählen – die beiden sind besser als ein Megafon.“

Den betagten Schwestern gehörte Leaves of Comfort, der örtliche Tee- und Buchladen, und sie bekamen von ihrem Stammplatz im Dog alles mit, was im Dorf vor sich ging.

„Da hast du wohl recht“, sagte Alex. Sie beugte sich über den zerzausten, bewusstlosen Kater und gab ihm durch ihre Maske einen Kuss auf den Kopf, ehe sie die ablegte. „Na gut, ich will dir nicht im Weg stehen. Wenn du magst …“

„Tony, wo bist du?“, bellte eine vertraute, männliche Stimme und verhinderte damit die Einladung zu Bier und Pastete zur Mittagszeit, die Alex beinahe ausgesprochen hätte.

Tonys Vater, Doc James, der Dorfarzt, trat ein. Selbst mit dem weißen Haar und dem Netz aus Falten, mit denen das Leben sein kantiges Gesicht gezeichnet hatte, war die Ähnlichkeit zwischen Vater und Sohn unverkennbar.

Doc James musterte den Kater kritisch. „Hat der arme Kerl ein Auge verloren? Wie geht es ihm?“

„Das wissen wir in ein paar Stunden.“

„Er sieht wie ein gestandener Kämpfer aus. Wie alt?“ Er sah Alex an, die mit den Schultern zuckte.

„Alex hat ihn ihm Müll gefunden“, sagte Tony. „Vielleicht ein Jahr, achtzehn Monate.“

Doc James betrachtete die Szene, die sich im Raum bot, hob die Augenbrauen, sagte aber nichts.“

„War die Polizei schon hier?“

Tony hob den Kater an, wickelte ihn in die Decke und lief zur Tür. „Warum sollte die Polizei herkommen? Hast du mich wieder als Alibi benutzt?“

„Nein.“ Doc James ließ sich kein Lächeln entlocken. „Waren sie schon im Dog, Alex?“

„Nein.“ Sie sah ihn fragend an, während sie Tony in sein Büro folgte. Er hatte zwei Käfige unter seinem Fenster stehen und legte den immer noch bewusstlosen Kater in einen davon. Er schaltete einen kleinen Heizlüfter ein und zog ihn seitlich an die offene Käfigtür.

Seine Hündin, eine große, sandfarbene Terrier-Dame namens Katie, kam ins Zimmer, blickte neugierig in den Käfig und legte sich beinahe hinein, mit dem Kopf auf den Pfoten und wachsamem, besorgtem Blick.

„Katie hat auch eine Begabung für Patientenpflege“, sagte Tony. „Was ist denn los, Dad?“

„Die Polizei durchsucht die Gegend. Constable Frye war bei mir. Er ist nicht mehr unser Dorfpolizist, aber es war ihm wichtig, mit mir zu sprechen. Sie versuchen, einen zeitlichen Ablauf zusammenzustellen.“

Alex richtete ihre ganze Aufmerksamkeit auf ihn. Eine Erinnerung an vergangene Wachsamkeit schickte einen Schauer über ihren Rücken. Tonys Berührung an ihrem Arm ließ sie zusammenzucken. „Was?“ Sie schrie beinahe.

„Alles gut, alles gut, keine Sorge. Wir leben jetzt in einer anderen Zeit.“

Er hatte gemerkt, dass sie alarmiert war. „Aber am selben Ort“, sagte sie angespannt.

„Prue Wally hat erst am frühen Morgen gemerkt, dass etwas nicht stimmt.“ Doc James wirkte besorgt. „Das ist das Problem bei Leuten, die einen ungewöhnlichen Tagesrhythmus haben – oder überhaupt keinen Rhythmus. Sie suchen nach Pamela Gibbon.“ Prue war Pamela Gibbons Haushälterin.

Der kleine Bach, der an dem Cottage vorbeifloss, in dem Tony seine Praxis unterhielt – eines in einer Reihe von Cottages, wie auf einem Postkartenmotiv –, war plötzlich viel zu laut. Und auch das gelegentliche Quaken der Enten draußen.

„Sie geht erst nachmittags ins Cedric Chase und fand es nicht ungewöhnlich, als das Haus vorgestern verlassen war. Gestern fiel ihr auf, dass die Post vom Vortag noch auf dem Tisch im Flur lag, wo sie sie deponiert hatte, und neue Post hinter der Tür am Boden lag.

Er zuckte mit den Schultern. „Das muss nichts bedeuten. Manche Menschen sind ziemlich sorglos, was solche Dinge angeht. Aber sie durchsuchen das ganze Dorf und jedes leerstehende Gebäude in der Gegend, daher dachte ich, ich sollte dich warnen, wenn sie nicht schon hier waren.“

„Dad, hör auf, um den heißen Brei herumzureden. Spuck einfach aus, was du denkst.“

„Du hast dieses Jahr schon genug durchgemacht. Du brauchst nicht noch weiteres Herumgestocher der Polizei. Frye meinte, dass sie vielleicht das Sondereinsatzteam brauchen, wenn es schlecht läuft.“

Alex erstarrte innerlich. Sie schluckte und sagte: „Sie meinen, Inspector O’Reilly?“

Der Mann zuckte mit den Schultern. „Wenn er den Kürzeren zieht, vermutlich schon.“

„Ist Prue auch etwas zugestoßen?“ Tony sprach langsam. „Oder geht es nur um Pam Gibbon?“

Doc James breitete die Hände aus und blickt zur Decke. „Wie kann ein kleiner Ort so verflucht sein? Prue geht es gut, sie ist erschüttert, aber wohlauf. Pamela Gibbon scheint verschwunden zu sein. Niemand wüsste, dass bei ihr etwas im Argen gelegen hätte. Alex’ neuer Pubbetreiber sagte, sie sei vor wenigen Tagen im Pub gewesen …“ Er räusperte sich. „So vertraut und freundlich wie sie immer mit den, ähm, Männern ist, meinte er. Die Polizei glaubt, sie könnte schon seit zwei Tagen verschwunden sein – vielleicht sogar drei. Ihr Auto steht in der Garage und sie war nicht auf dem Anwesen der Derwinters, um nach ihrem Pferd zu sehen. Anscheinend macht sie das sonst jeden Tag, komme, was wolle.“

„Sie könnte sich einige Tage freigenommen haben“, sagte Alex, doch sie hörte ihren eigenen Herzschlag. „Sie hat hier keine Verpflichtungen.“

„Wer kennt sie denn überhaupt gut genug?“, fragte Tony. „Ich habe nie etwas über ihre Familie gehört und ich glaube nicht, dass sie mit ihrem Ehemann Kinder hatte.“

Doc James’ Gedanken waren anderswo: „Pamela hat sich kein Taxi gerufen und bislang findet sich niemand, der sie zum Bahnhof gefahren oder im Bus gesehen hätte“, sagte er. „Zu Fuß würde sie nicht weit kommen.“

„Wenn sie O’Reilly schicken, oder einen ähnlichen Beamten“, sagte Tony, „dann vermuten sie Fremdeinwirkung.“

Alex flüsterte: „Mord.“

Zwei

Hugh Rhys war einer dieser Männer, die von Frauen umschwärmt wurden wie üppige Rosenblüten von Bienen.

Er hatte nichts ansatzweise feminines oder rosenartiges an sich. Er war sportlich gebaut, groß und hatte eine Anziehungskraft … ebenmäßige Gesichtszüge, perfektes, kurzgeschnittenes, dunkles Haar und ebenso dunkle Augen, die auch ohne die Hilfe seiner begehrenswerten Lippen lächeln konnten. Hugh hatte eine Ausstrahlung, die wellenartig seinen furchtlosen Blick auf das Leben verbreitete. Selbst Alex sah ihn manchmal an und fragte sich, warum ein Mann wie er in einem kleinen, englischen Dorf so glücklich war, wo er neben der Arbeit wenig Beschäftigung zu haben schien – abgesehen von der Leidenschaft für sein überragend schönes, marineblau und weiß lackiertes Frazer Nash BMW-Cabrio, Baujahr 1937.

Er nickte, als sie aus dem Hinterzimmer des Pubs kam, und wandte sich von der ungewöhnlich großen Menge von Nachmittagskundschaft ab. Liz Hadley, die im nahen Broadway einen schlecht laufenden Kleiderladen führte und im Dog aushalf, flitzte geschäftig hin und her und stellte die Wünsche der Kunden zufrieden.

„Riechen Sie das?“, fragte sie, als sie an Alex vorbeikam, und rollte die Augen zurück, als würde sie vor Wonne ohnmächtig werden. „Würste und Bacon der Cotswold Landwirte. Die gehen weg wie geschnitten Brot. Simple Suppers packt die jetzt ab. Ich glaube, wir sollten die verkaufen, wenn die Leute das wollen.“

Alex schüttelte den Kopf. „Ganz die Unternehmerin, Liz. Ich glaube, einige der hiesigen Läden würden uns links liegen lassen, wenn wir anfangen, abgepackte Würste zu verkaufen, aber sie riechen wirklich gut. Ich bin allerdings dafür, dass wir uns mit den Leuten gutstellen, besonders, wenn wir Geschäfte mit ihnen machen.“

Liz lächelte und eilte weiter.

„Sie kommen gerade rechtzeitig“, sagte Hugh mit gesenkter Stimme und seinem starken, schottischen Akzent. Seinen walisischen Namen hatte er nie erklärt. „Sie haben Constable Frye und einen weiteren Polizisten verpasst, die nach Pamela Gibbon fragten. Sie können sie nicht finden.“

„Doc James kam zu Tonys Praxis und hat uns davon erzählt. War Harry Stroud heute schon hier? Ich habe ihn hier gelegentlich mit Pamela plaudern sehen.“

„Heute noch nicht“, sagte Hugh. „Und wenn man dem Gerede im Dorf Glauben schenkt, haben die beiden andernorts mehr als nur geplaudert. Kennen Sie einen Detective Inspector O’Reilly?“

„Ja“, sagte Alex knapp. „Er war schon mal in Folly-on-Weir.“

„Die Beamten meinten, er könnte wieder herkommen.“ Er beobachtete sie genau. Als sie nicht antwortete, fragte er: „Wie geht es dem kleinen Kater? Er sah halb tot aus.“

„Tony musste das geschwollene Auge rausnehmen. Es war schon entzündet und blind.“

„Vielleicht wäre der Tod besser gewesen.“

Sie sah Hugh an. „Wenn ich je eine schlimme Augenentzündung habe, werde ich mich von Ihnen fernhalten. Er ist ein toller Kater.“

Hugh grinste. „Wenn Sie das sagen. Ich denke, er ist ein wilder und fieser Kerl, dieser Kater. Aber Frauen stehen ja auf böse Jungs, nicht wahr?“

Alex musste sein Lächeln erwidern. Sie sah sich um und verschaffte sich ein Bild darüber, wer hier war, angefangen bei den Stammgästen an der Bar. Harrys Vater, Major Stroud, gehörte zum Pubinventar und sie war erleichtert, ihn mit seinem üblichen Humpen bei Harriet und Mary Burke vom Teeladen sitzen zu sehen. Alex’ Hund Bogie schaffte es, sich mit angelegten, schwarzen Ohren am Feuer aufzuhalten, aber so weit wie möglich von Major Stroud entfernt. Der Hund hatte ansonsten graues Fell und war eine Terrier-Mischung, möglicherweise mit älteren Pudel-Einflüssen. Er war ihr treu ergeben.

Alex fiel auf, dass diese Sitzgruppe ungewöhnlich war. Der Major stand sonst gern an der Bar und genoss sein männliches Publikum, wenn sie ihm mal zuhörten.

„Er ist direkt zu ihnen gegangen“, sagte Hugh, als hätte er ihre Gedanken gelesen. „Hat nicht einmal ein Wort an seine üblichen Kameraden verloren.“

„Ich glaube, das könnte etwas damit zu tun haben, das Pamela wandern war“, sagte Alex. „Ich hoffe, sie taucht wieder auf, und zwar bald.“

„Sie könnte sich irgendwo mit Harry herumtreiben“, sagte Hugh. „Ihn habe ich auch schon seit einigen Tagen nicht mehr gesehen. Ich wette, dass Stroud deshalb nervös ist. Er versucht, den Schein zu wahren und sich normal zu verhalten, aber das gelingt ihm nicht.“

„Man glaubt, dass Pamela schon seit zwei oder drei Tagen verschwunden sein könnte.“ „Wenn sie schon so lange fort ist …“

„Exakt“, sagte Alex. „Das ist zu lange, als dass wir nicht mit dem Schlimmsten rechnen müssten.“

Hugh lehnte sich zu ihr. „Sobald das rauskommt – vorausgesetzt, sie kommt nicht zurück – werden wir von Reportern überrannt. Höchstwahrscheinlich wird der Bürgermeister irgendetwas sagen, was er hinterher bereut.“

„Ich hoffe, dass sie zurückkommt“, sagte Alex. „Ich will gar nicht über die Alternative nachdenken.“

Harriet Burke wedelte mit einer Hand, was ihre Aufmerksamkeit erregte. Das Wedeln wurde zu einem dringlichen Winken. Major Stroud und Mary Burke blickten angespannt in ihre Richtung.

„Einmal nachschenken?“, fragte Alex und eilte zu ihnen. „Eine Pastete mit Rind und Zwiebeln würde auch gut passen. Ich hörte, dass George’s sich heute selbst übertroffen hat. Wir haben auch ein wenig Kuchen bestellt, um zu sehen, ob wir ein paar Naschkatzen im Haus haben.“

„Hat sich dieser O’Reilly schon bei Ihnen gemeldet?“, fragte Mary und ignorierte ihren Monolog gänzlich. Sie packte mit einer Hand ihre Gehhilfe und lehnte sich vor, um Alex durch ihre Brillengläser anzusehen, die so dick wie Bullaugen waren. „Sie würden bestimmt als Erste von ihm hören. Wir wissen alle, dass er etwas für Sie übrighat.“

Der Kommentar überraschte Alex. Sie und Detective Inspector Dan O’Reilly waren gut miteinander ausgekommen, als er erst vor wenigen Monaten in einem Mordfall in der Nähe des Dorfes ermittelt hatte – meistens jedenfalls – doch es war das erste Mal, dass sie jemanden andeuten hörte, es könnte mehr als das gewesen sein.

„Und?“, hakte Major Stroud nach, und ihr Blick fiel auf seinen perfekt geschnittenen, borstigen, grauen Schnurrbart. „Haben Sie etwas gehört?“

„Nein“, sagte Alex knapp. Sein fordernder Ton ärgerte sie. „Kann ich Ihnen irgendetwas bringen?“

Harriet Burke, das Haar so weiß wie das ihrer Schwester, aber kürzer und ohne den spanischen Kamm, den Mary gern in ihrem Haarknoten trug, hielt Alex’ Blick und lächelte sie bedeutsam an. Was dieses Lächeln bedeuten sollte, entging Alex.

Das Gesicht des Majors war rot angelaufen. „Würden Sie es uns überhaupt erzählen?“

„Was ist denn los?“, fragte Alex. „Warum sagen Sie nicht einfach, was Sie denken? Und fürs Protokoll, Major: Ich hätte keinen Grund abzustreiten, vom Inspector gehört zu haben, wenn es so wäre.“

Er schnaubte in seinen Schnurrbart.

„Wo ist Harry?“ Alex sprach jetzt sanfter und lächelte. „Das ist das Problem, wenn man irgendwo zum Inventar gehört. Wenn man nicht da ist, wird man vermisst.“

„Sie halten sich wohl für subtil“, blaffte er. „Es werden schon Fragen über Harry und diese Frau gestellt. Dabei ist es doch offensichtlich. Da war nie etwas zwischen ihnen. Nie mehr als eine gelegentliche Unterhaltung. Das war alles.“

„Mit dieser Frau meinen Sie die arme Pamela Gibbon?“, fragte Mary unschuldig. „Wo könnte sie sein? Man sollte doch meinen, irgendjemand würde es wissen. Und sie ist nicht mit ihrem Auto gefahren, wenn ich recht gehört habe.“

„Das habe ich auch gehört“, sagte Alex schnell, um Major Stroud abzulenken.

„Ich habe sie neulich erst gesehen“, sagte Mary. „Sie ist keine Sammlerin wie Sie, Alex, aber sie kommt gelegentlich auf einen Tee in den Laden und geht die Bücher durch, die neu reingekommen sind. Sie hat auch ein oder zwei gekauft.“

„Oh“, sagte Alex mit gespieltem Entsetzen. „Ich hoffe, Sie haben sämtliche Kinderbücher versteckt, die ich vielleicht kaufen möchte.“ Sie sammelte seltene Ausgaben von Kinderbüchern.

„Irgendwas über Pferde – was niemanden überraschen dürfte“, sagte Mary. „Und eine alte Ausgabe eines Kama Sutra Buchs. Von denen war sie fasziniert. Dabei verlor sie diesen Ausdruck reiner Unschuld.

Alex schluckte und versuchte, nicht zu Major Stroud zu blicken.

„Nun“, sagte Harriet. „Davon hättest du mir erzählen sollen. Ich bin nicht zu alt, um zu wissen, was das Kama Sutra ist, und du auch nicht, Mary, also wisch dir diesen albernen Blick aus dem Gesicht.“

„Das könnte ein Geschenk für Harry gewesen sein“, sagte Mary. „Es heißt, er hätte viele Interessen.“

Es war schwer, nicht zu lachen. Mary hatte einen bösartigen Sinn für Humor und beide Frauen, pensionierte Lehrerinnen, die Alex als kleines Mädchen unterrichtet hatten, machten manchmal spitze Bemerkungen, die verletzend sein konnten.

„Sie erfinden da Dinge“, geiferte der Major. „Harry ist heute in London. Er hat eine wichtige und geschäftige Arbeit. Er kommt später zurück. Und weder braucht noch will er dieses Buch.“ Sein Gesicht nahm einen violetten Farbton an.

„Gewiss.“ Harriet lächelte. „Ein Mann von Welt wie er. Er wird gewiss jeden Moment zur Tür hereinspazieren. Er hält heute Abend einen Vortrag für die Frauengruppe – drüben in dem alten Fraueninstitut. Vielleicht geh ich auch hin, jetzt da es aussieht, als könnte es interessant werden. Wie nennen sich die Mitglieder noch mal? Gehen Sie auch hin, Alex?“

Sie dachte kurz nach. „TA. So heißt die Gruppe. Die Frauen werden wissen, wofür das steht. Sie werden eine von ihnen fragen müssen.“

„Vivian Seabrook weiß alles darüber.“

„Die Frau, die den Stall und die Reitschule oben auf dem Anwesen der Derwinters führt?“ Der Major runzelte die Stirn. „Sie sieht aus wie eines der Pferde. Und Harry wird für sie und die anderen missmutigen Frauen über Gott weiß was sprechen. Vermutlich wird er ihnen erklären, warum sie einen Mann in ihrem Leben brauchen, wenn sie wissen, wo ihr Platz ist.“ Er lachte mehr durch die Nase als durch den Mund; ein trötendes Schnauben. „Wobei ich glaube, dass Vivian lieber selbst ein Mann wäre.“

„Würden Sie uns bitte entschuldigen, Major?“, fragte Alex freundlich. Der Mann war unglaublich derb und steckte in einem anderen Jahrhundert fest, doch üblicherweise war er eher unterhaltsam als lästig. „Harriet und Mary haben etwas mit mir zu besprechen. Sagen Sie Hugh, dass Sie für mich eine der neuen Fleischpasteten verkosten sollen. Es gibt welche mit Steak und Ale. Ich weiß, dass Sie die am liebsten mögen.“ Sie hob Bogie in ihre Arme und schaffte es so, zu Boden zu blicken, bis Major Stroud aufgestanden war und sich seine Schnürschuhe aus braunem Wildleder entfernten.

Mary sagte: „Lach nicht, Harriet“, und schaffte es, ernst zu klingen.

„Er ist ein Idiot“, sagte Harriet. „Ich werde nie herausfinden, wie seine Frau ihn erträgt. Und da ich schon mal ehrlich bin, sein Sohn ist ebenfalls ein Idiot. Wofür steht TA?“

Alex schmiegte sich an Bogies Schnauze an ihrem Hals. „Ich wusste, dass Sie fragen würden. Sie werden Vivian fragen müssen.“

„Sie macht mich nervös. Kompetente Pferdefrauen machen mich immer nervös.“

„Harriet! Sie ist eine starke Frau, genau wie Sie. Seien Sie nett.“ Alex setzte sich auf den Stuhl, den der Major gerade geräumt hatte. Bogie fiepte laut und zufrieden, als sie in sich auf den Schoß legte.

Alex betrachtete die Girlanden aus getrocknetem Hopfen, die sich um die vom Alter geschwärzten Holzbalken wanden. Sie wurden langsam brüchig und es wäre bald an der Zeit, sie durch neue zu ersetzen. Das Kaminfeuer war immer der Mittelpunkt des Pubs. Der Flammenschein wurde von den Messingplaketten des aufgehängten Pferdeschmucks reflektiert und verlieh den Gesichtern der alten Schwestern einen rosaroten Farbton.

Eine Absolventin der Slade School of Art, eine erfolgreiche Grafikerin und dann Abteilungsleiterin in der Werbefirma ihres Ehemannes, Mike Bailey-Jones, war Pubbesitzerin geworden. Mittlerweile liebte sie dieses Haus.

Das Rumoren an der Bar täuschte über die Stille hinweg, die sich am Tisch beim Feuer ausgebreitet hatte. Harriet und Mary wirkten auch nachdenklich, doch Alex spürte, dass sie an einem neuen Trommelfeuer aus Fragen und Kommentaren arbeiteten.

„Wie geht es dem Kater?“, fragte Mary plötzlich.

Alex zuckte zusammen. „Tony musste das entzündete Auge rausnehmen, doch ich glaube, mit liebevoller Zuwendung wird es ihm gutgehen.“

„Armes Kerlchen“, sagten die Schwestern einstimmig.

„Ich werde einen Aushang machen, um zu sehen, ob ihn jemand aufnehmen will. Er ist ein Kämpfer und Sie hätten sehen müssen, wie tapfer er bei der Operation war.“

Harriet und Mary sahen sich mit bedeutsamem Blick an. „Heißt das, Sie sind bei ihm geblieben?“

„Es ist kein Praxistag, deshalb kommt Radhika erst später. Tony hat mir erklärt, wie ich helfen kann – nicht dass ich viel mehr getan hätte als den Kater zu streicheln.“

Der bedeutsame Blick der Schwestern wich einem selbstgefälligem und Harriet sagte: „Er traut Ihnen zu, ihm zu helfen, weil er weiß, dass Sie dem gewachsen sind.“

„Sie beide haben einander gewiss gern“, fügte Mary hinzu. „Es ist vermutlich etwas schwierig, wenn man in der Kindheit befreundet war.“ Sie räusperte sich.

Alex ermutigte keine der beiden, in dieser Richtung fortzufahren … mit alles andere als subtilen Andeutungen über eine mögliche Beziehung mit Tony. Sie verbrachte ohnehin schon zu viel Zeit mit der beunruhigenden Frage, wohin das mit ihnen beiden führen sollte, und ob sie den ersten Schritt wagen sollte, falls sie das überhaupt wollte. Sie hatte immer wieder das Gefühl, er würde sie beobachten und darauf warten, dass sie ihm signalisierte, wie sie fühlte. Oder vielleicht bildete sie sich nur ein, zu sehen, was sie sich wünschte.

Sie bemerkte eine Bewegung im Augenwinkel und drehte sich um. Lily Duggins kam durch den Durchgang, der zum Restaurant- und Gasthausbereich des Black Dog führte. Alex’ Mutter führte mit der Gelassenheit langjähriger Erfahrung diesen hektischeren Teil des Geschäfts. Lily hatte im Dog gearbeitet, seit sie sich als alleinerziehende Mutter um ihre kleine Tochter gekümmert hatte.

Sie winkte Alex zu. Die Ähnlichkeit zwischen Mutter und Tochter konnte niemandem entgehen. Die silbrigen Strähnen in Lilys dunklen Locken wurden zahlreicher und sie war im Gegensatz zu Alex eher von klassischer Schönheit, doch sie hatten die gleichen grünen Augen, die die Kinder als Hexenaugen bezeichnet hatten, als Alex noch zur Schule ging.

„Entschuldigen Sie mich für eine Minute“, sagte sie zu den Schwestern. „Man verlangt nach mir.“

„Was ist los?“, fragte sie, als sie ihre Mutter erreichte.

„Komm mit.“ Sie führte Alex in das leere Restaurant. „Du hast schon von Pamela Gibbon gehört?“

„Ja. Ich habe Angst um sie.“

„Ich glaube, ich habe sie gesehen“, sagte Lily und flüsterte nur. „Abends, vor drei Tagen. Ich war auf dem Weg vom Cottage hierher.“ Lily lebte im Corner Cottage, an der High Street, direkt gegenüber des Black Dog. Ein Haus in einer Reihe aus Cottages, die an die Dorfwiese grenzten.

Alex wurde erst heiß und dann kalt. „Warum glaubst du, sie gesehen zu haben? Wo war sie?“

„Ich fürchte, ich habe dir zu große Hoffnungen gemacht. Sie kam aus dem Dog – aus dem Haupteingang – doch sie reagierte nicht, als ich nach ihr rief.“

„Aber du bist dir sicher, dass sie es war?“

„Es war dunkel“, sagte Lily. „Sie eilte davon, doch sie musste mich gehört haben.“

„Vielleicht auch nicht, Mum. Wenn sie in Gedanken und in Eile war. Und du bist wir wirklich sicher, dass sie es war?“

Lily zuckte mit den Schultern. „Soll ich der Polizei davon erzählen?“

„Verdammt“, sagte Alex durch zusammengebissene Zähne. „Warum hört das nicht auf? Ein Mord in Verbindung mit dem Dorf und diesem Pub war mehr als genug. Wir brauchen kein weiteres Verbrechen dieser Art … Tut mir leid“, fuhr Alex fort. „Ich sollte nur an Pamela denken und wir wissen noch gar nicht, ob sie nicht beschlossen hat, einfach für eine Weile zu verschwinden.“ Ihre Mutter runzelte die Stirn und legte die Fingerspitzen an ihrem Kinn zusammen, eine vertraute Geste, wenn Lily Duggins unter Stress stand. „Pamela war schon immer etwas distanziert, zumindest bei anderen Frauen, aber sie ist ein guter Mensch und lebt gern in Folly. Sonst hätte sie nach dem Tod ihres Ehemannes einfach gehen können. Sie hat sich hier ein Leben aufgebaut.“

„Das ist wahr.“ Es sprach aber auch dagegen, dass Pamela einfach aus einer Laune heraus verschwinden würde, um eine Reise zu machen, oder etwas in der Art. Damit fühlte Alex sich nicht besser. „Ich will, dass sie einfach wieder auftaucht. Ich werde mehr auf sie zugehen und versuchen, ihr zu zeigen, dass sie den Menschen hier etwas bedeutet.“

Ihre Blicke begegneten sich. Sie wussten beide, dass sie sich Mühe gab, nicht zu glauben, dass Pamela Gibbon etwas Schlimmes zugestoßen war.

Tony kam mit wehender Barbour-Jacke ins Restaurant. Er hatte sich die Hose in die Stiefel gesteckt und wirkte verstört und aufgebracht. Aber sein Anblick wirkte auch verlässlich und beruhigend. „Lily“, sagte er, „entschuldigen Sie die Unterbrechung, aber ich würde mir Alex gern ausleihen, wenn ich darf.“

Alex packte ihre Mutter am Arm. „Unternimm noch nichts, in Ordnung? Warte, bis ich von meinem Krankenbesuch beim Kater zurückkomme.“

Bogie stürmte voraus und die äußere Tür fiel hinter ihnen ins Schloss. Tony blieb stehen und blickte mit zusammengekniffenen Augen in den blauen Himmel hinauf. „Es geht nicht um den Kater. Er ist wohlauf. Kannst du mir helfen, etwas nachzustellen, oder wie sie es nennen? Sobald es heute Abend dunkel ist? Ich hoffe, dass ich mich irre, aber ich glaube, ich habe eine Frau gesehen, die sich an der Straße in den Hügeln versteckte. Das war vor drei Tagen, wenn ich mich recht entsinne. Es war eine dieser spontanen Entscheidungen. Falls da jemand war, wollte die Person nicht gesehen werden. Deshalb fuhr ich weiter. Verdammt, ich wünschte, ich wäre meinem ersten Instinkt gefolgt und hätte angehalten.“

Drei

Später am Abend kauerte Alex an der Stelle, die Tony ihm gezeigt hatte: Neben einer Gruppe von Büschen an der Straße. Seine Scheinwerfer erhellten ihr blasses Gesicht, als er auf der anderen Straßenseite vorbeifuhr. Wie er sie gebeten hatte, duckte sie sich, als er fast auf ihrer Höhe war, und wurde damit unsichtbar.

Er wendete und hielt auf dem steinigen Grasstreifen knapp hinter Alex. Sie lief ihm mit schnellen, knirschenden Schritten entgegen, als er dicht gefolgt von Bogie aus dem Land Rover sprang. „Konntest du mich sehen? Hat es geklappt?“

„Verdammte Scheiße, warum habe ich nicht angehalten?“ Die Frustration überwältigte ihn. Er stopfte Bogies Leine in eine seiner Manteltaschen, ließ die Taschenlampe in die andere fallen, schob dann beide Hände unter den Mantel und stemmte sie in die Hüfte. „Ich habe dich gut genug gesehen.“

„Und jetzt machst du dir Vorwürfe, weil Pamela vermisst wird? Das ergibt doch keinen Sinn. Du weißt doch noch nicht mal, ob sie es war, die du gesehen hast – oder ob da überhaupt jemand war. Gerade wusstest du, wo ich war und hast nach mir Ausschau gehalten. Natürlich hast du mich gesehen.“

Die rationale Erklärung half nicht dabei, den Knoten in seinen Eingeweiden zu lösen. „Danke.“

Alex nahm seinen Arm mit beiden Händen. „Du gibst dir zu schnell die Schuld, mein Freund. Viel zu schnell. Du bist der rücksichtsvollste Mann, den ich kenne. Du hast eine Entscheidung gefällt, und es war in dem Augenblick die richtige.“ Sie umarmte ihn schnell und lehnte sich an ihn.

Ein besserer Mann wäre nicht so froh gewesen, zu hören, wie sehr sie ihm vertraute; und hätte nicht darüber nachgedacht, einen Vorteil zu nutzen. Er verbrachte viel Zeit damit, genau darüber nachzudenken: Einen Vorteil gegenüber Alex zu finden und ihn zu nutzen. Sie hatten Arbeit vor sich und mussten schnell sein, wenn sie auch nur die kleinste Hoffnung haben wollten, Pamelas Schicksal positiv zu beeinflussen.

Er rieb ihre Hände und gab ihr einen leichten Kuss auf den Kopf. „Ich hoffe, da hast du recht.“ Die Vorsicht, bei Alex nicht zu schnell oder zu stürmisch vorzupreschen, hatte ihm eine Gelegenheit genommen, mehr aus ihrer Beziehung zu machen. „Der rücksichtsvollste Mann“, den sie kannte. Er wollte nicht, dass sie ihn so sah.

„Wohin würde man von den Büschen aus gehen – bei dieser Dunkelheit? Bist du neulich auch zu dieser Zeit hier vorbeigefahren? Es ist noch nicht allzu spät, aber man kann nicht viel sehen.“

Als sich Alex von ihm löste, hätte er beinahe geseufzt. „Sie – oder wer immer das war – wartete vermutlich darauf, ungesehen die Straße überqueren zu können.“

„Es gibt hier irgendwo einen Trampelpfad, der in die Hügel hinaufführt“, sagte Alex. Sie trug Jeans und eine Daunenweste über Rollkragenpullover und Cardigan, die Kleidung, die sie auch am Morgen bei ihm in der Praxis getragen hatte.

„Komm mit, und du bleibst in der Nähe, Bogie.“ Sie überquerte schnellen Schrittes die Straße und suchte sorgfältig zwischen Wildsträuchern und Büschen. Bogie folgte ihr schnüffelnd und spitzte die schwarzen Ohren. Ein Hund auf Mission mit seinem Frauchen.

Tony steckte die Autoschlüssel ein und folgte ihnen.

Die kühle Brise fühlte sich an, als würde sie Regen bringen, doch der Mond schlich immer noch über den bedeckten Himmel und leuchtete silbrig durch einen Vorhang aus dünnen, pechschwarzen Wolken.

„Alex.“ Er erinnerte sich daran, hier mal mit seiner Hündin Katie einen Spaziergang gemacht zu haben. „Ich glaube, es gibt einen Pfad, der ganz rauf führt zu …“

„Ebring Manor?“, unterbrach sie ihn. „Oder was noch davon übrig ist. Bogie und ich waren schon mal dort. Sieht aus, als hätte er den Pfad wiedergefunden.“

„Wenn uns das weiterbringt, wäre es fast zu einfach“, sagte er. „Nimm meine Hand, wir beeilen uns ein wenig.“

Sie lachte und keuchte. „Anders gesagt, ich brauche die Hilfe eines stärkeren Mannes.“

„Ja. Ich sollte stärker sein. Ist daran irgendetwas verkehrt?“

Sie nahm seine Hand und lehnte sich in den Hang. „Ich bin nicht stolz“, sagte sie. „Ich finde Männer und ihre Egos manchmal komisch. Ich würde nicht den Platz mit dir tauschen wollen. Das Ganze wäre vielleicht einfacher, wenn wir den Weg kennen würden.“

Er hielt an, damit sie beide zu Atem kommen konnten. „Ich bekomme das Gefühl, dass dieser Pfad recht regelmäßig benutzt wurde.“ Der Kegel seiner Taschenlampe schwenkte vor ihnen hin und her. „Er wirkt ausgetreten.“

Eine unerwartete Brise wurde zu Wind, rauschte durch die beinahe kahlen Bäume und schlug ihnen die Skelette der letzten Winterblätter ins Gesicht. Er sah zu Alex. Das Licht der Taschenlampe ließ ihre grünen Augen funkeln und er erinnerte sich daran, dass die Kinder sie hexenartig genannt hatten. Sie hatte sich von den Kindern engstirniger Eltern viel gefallen lassen müssen, inklusive geflüsterter Beleidigungen wie „Bastard“. Er war froh, dass er da gewesen war, und älter und größer als ihre Mobber.

Ihre natürliche Schönheit hatte ihm schon immer gefallen. Die Gefühle, die damit einhergingen, waren immer nur stärker geworden.

„Hatte ich erwähnt, dass Harry nicht beim heutigen Frauentreffen im Gemeindesaal aufgetaucht ist?“

Er blieb stehen. „Was sagst du da? Du hast mir nichts erzählt. Hat ihn überhaupt jemand gesehen?“

„Er rief an, um zu sagen, dass er in der Stadt bleiben muss. Immerhin ließ er sie wissen, dass er nicht kommen würde.“

Tony schob einen tiefhängenden Ast aus dem Weg. „Wer immer mit ihm gesprochen hat, hat gewiss gefragt, ob Pamela bei ihm ist. Nicht dass er das hätte bestätigen oder verneinen müssen. Wir können nur hoffen, dass sie bei ihm ist.“

„Was für ein eigenartiger Abend“, sagte Alex, als sie weiterstapften. „Das Wetter gibt sich alle Mühe, unheilvoll zu sein. Oder bilde ich mir das nur ein? Ich liebe jede Jahreszeit an diesem Ort. Zu blöd, dass ich ihn für zwei Jahre verlassen musste, um herauszufinden, wie schön er ist.“

Er warf ihr wieder einen kurzen Blick zu und drückte ihre Hand. Sie wussten genug übereinander, um keine alten Wunden aufzureißen, aber sie waren sich auch beide bewusst, dass sie noch immer mit diesen Wunden lebten.

Bogie war vorausgeschossen und nicht mehr zu sehen. Tony trat zusammen mit Alex aus den Bäumen heraus und blickte auf den Umriss dessen, was einst das alte Ebring Manor gewesen war, mondbeschienen und fahl stand die Ruine auf einer Erhöhung. Der niedrige Rundturm und einige wenige Teile des ursprünglichen Gebäudes ragten scharfkantig in den violetten Himmel empor. Die Wolken sahen jetzt aus wie der Rauch eines schwelenden Feuers.