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Neuanfang mit Mord … der erste Fall für Alex Duggins
Die spannende Cosy Crime-Reihe der New York Times-Bestsellerautorin Stella Cameron endlich auf Deutsch
Nach dem Scheitern ihrer Ehe fällt Alex Duggins in ein tiefes Loch. Sie möchte einen Neuanfang wagen und kehrt darum in die Gegend zurück, in der sie aufgewachsen ist. Im kleinen englischen Dorf Folly-on-Weir kauft sie den örtlichen Pub, der kurz vor der Pleite steht. Leider ist nicht jeder von ihrem Eindringen in den gewohnten Dorfalltag begeistert und die Bewohner machen ihr das Leben schwer. Doch als Alex bei einem winterlichen Spaziergang in den Hügeln oberhalb von Folly über eine Leiche stolpert, sind die Streitigkeiten mit den Dorfbewohnern vergessen. Der Hals des Toten wurde mit einem Pfeil durchbohrt. Und plötzlich befindet sich Alex im Mittelpunkt der Ermittlungen. Kann sie ihren Namen reinwaschen und den wahren Mörder finden?
Erste Leserstimmen
„Eine neue Cosy Krimi-Reihe mit weiblicher Ermittlerin? Da musste ich zuschlagen und wurde nicht enttäuscht!“
„Die Cotswolds als Setting und der spannende Fall haben mich vollkommen in den Bann gezogen.“
„Es kommt echtes Agatha Christie-Feeling auf, großartig!“
„unterhaltsam, charmant und wirklich fesselnd.“
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Seitenzahl: 408
Nach dem Scheitern ihrer Ehe fällt Alex Duggins in ein tiefes Loch. Sie möchte einen Neuanfang wagen und kehrt darum in die Gegend zurück, in der sie aufgewachsen ist. Im kleinen englischen Dorf Folly-on-Weir kauft sie den örtlichen Pub, der kurz vor der Pleite steht. Leider ist nicht jeder von ihrem Eindringen in den gewohnten Dorfalltag begeistert und die Bewohner machen ihr das Leben schwer. Doch als Alex bei einem winterlichen Spaziergang in den Hügeln oberhalb von Folly über eine Leiche stolpert, sind die Streitigkeiten mit den Dorfbewohnern vergessen. Der Hals des Toten wurde mit einem Pfeil durchbohrt. Und plötzlich befindet sich Alex im Mittelpunkt der Ermittlungen. Kann sie ihren Namen reinwaschen und den wahren Mörder finden?
Deutsche Erstausgabe Juni 2021
Copyright © 2022 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten
E-Book-ISBN: 978-3-96817-818-9 Taschenbuch-ISBN: 978-3-96817-909-4 Hörbuch-ISBN: 978-3-96817-834-9
Copyright © 2013 by Stella Cameron Titel des englischen Originals: Folly
Published by Arrangement with Stella Cameron Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.
Übersetzt von: Lennart Janson Covergestaltung: Buchgewand unter Verwendung von Motiven von shutterstock.com: © leolintang, © David Hughes depositphotos.com: © Devon, © jakubzasun Korrektorat: Susanne Meier
E-Book-Version 10.11.2022, 11:25:36.
Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.
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Neuanfang mit Mord … der erste Fall für Alex DugginsDie spannende Cosy Crime-Reihe der New York Times-Bestsellerautorin Stella Cameron endlich auf Deutsch
Wie lange hatte es gedauert, ein Leben für immer zu verändern? Eine Minute, neunzig Sekunden – die er zuhörte und kaum verstand, während zwei Männer seine junge Unschuld zerstörten und ein weiteres Kind sterben ließen?
Nach diesem Tag war nichts mehr wie zuvor. All die folgenden Tage und Jahre hatten zu dieser Nacht der Hoffnung und Angst geführt.
„Komm schon, Bogie, bei Fuß“, rief Dominic. „Wir erfrieren, wenn wir nicht in Bewegung bleiben.“
Er konnte den Hund in der Dunkelheit überhaupt nur sehen, weil sich sein dunkelgraues Fell von der wachsenden Schneedecke unter ihren Füßen abhob. Die Flocken wurden mit jedem Augenblick dicker.
Bruder Dominic hielt an und beobachtete Bogie, der in Zeitlupe, einem winzigen Turnierpferd gleich, herantrottete und jede Pfote anhob, als würde sie brennen.
„Na gut, wir wärmen uns gegenseitig ein wenig.“ Er hob seinen kleinen, grauen Kameraden hoch und schob ihn in den alten Tweedmantel. „Jetzt müssen wir aber weiter. Das ist ein geliehener Mantel und ich muss ihn Percy zurückbringen.“
Mit dem Hund zu sprechen, war ein Genuss, den sich Dominic für Momente aufbewahrte, in denen die beiden allein waren. Er lächelte bei dem Gedanken. Sie waren selten so allein wie jetzt, mitten in der Nacht auf diesem Hügel in den Cotswold Hills, die bei Tageslicht so spektakulär waren, doch so erbarmungslos, wenn jeder Schritt ein Glaubensakt war.
Er hatte sich die Kapuze seiner Kutte übergezogen, um seinen Kopf zu bedecken und ein wenig die Kälte abzuwehren. Der alte, braune Stoff war bereits durchnässt und fror langsam ein.
Die Stille wirkte vollkommen. Außer wenn ein Windstoß eisige, blattlose Äste aneinanderstoßen ließ.
Kein einziges Fahrzeug war ihm auf dieser schmalen Straße begegnet, die sich vom winzigen Dorf unter ihm den Hügel hinaufzog. Es gab hier einige verstreute Gehöfte, alle mit Verbindungswegen zur Straße. Doch die Menschen dort lagen mittlerweile vermutlich schlafend in den Betten.
Von der Straße aus war keines dieser Gebäude zu sehen.
Bogie kroch näher heran und presste seine feuchte Schnauze an Dominics Hals.
Der Wind frischte auf und wehte ihm direkt entgegen. Er lehnte sich hinein und schob sich weiter voran. Der Schnee wurde ihm ins Gesicht geblasen und sammelte sich in seinem Kragen.
Er verschränkte die Arme über dem Hund und schob die nackten Hände unter die Arme.
Es musste getan werden.
Alte Fehler mussten richtiggestellt, mit Lügen rasch aufgeräumt werden, um des Friedens willen; seines eigenen mehr als dem der anderen Beteiligten. Die Herausforderung bestand darin, Geheimnisse ans Licht zu bringen, ohne Unschuldige in Mitleidenschaft zu ziehen.
Sein Glaube hätte ihm die Angst um sein eigenes Leben nehmen sollen, doch er war immer noch ein Mensch. Und sein erster Versuch der freundschaftlichen Kontaktaufnahme war nicht gut ausgegangen.
Unter ihm lag das Dorf Folly-on-Weir, doch er konnte nur wenige nadelkopfgroße erleuchtete Fenster ausmachen.
Ein Licht hüpfte den Hang hinauf und kam recht nah, wie er fand. Er hielt an. Es sah nach dem Licht einer Laterne aus, die sich in der Hand eines Menschen hob und senkte.
Weg war es.
Vor sich sah er nur den dunklen Umriss des Waldes, der hier an die Straße grenzte.
So konzentriert er auch hinsah, er bekam das hüpfende Licht nicht wieder zu Gesicht. Gesellschaft wäre ihm willkommen gewesen, doch er sollte nicht darauf hoffen.
Seit seiner letzten Schlafstatt war der Marsch lang und häufig mühsam gewesen.
Der Wind trug eine Stimme heran. Dominic blieb wieder stehen und lauschte angestrengt, doch seine Vorstellungskraft musste ihm einen Streich gespielt haben.
„Hilfe!“
Diesmal war es keine Einbildung. Die Stimme kam aus Richtung Wald und Bogie, der sich reckte, um etwas sehen zu können, nahm ihm die letzten Zweifel.
„… verletzt!“
Ohne zu zögern, verließ Dominic die Straße und schlug sich zum Wald durch. Der unebene Boden war tückisch und brachte ihn mehrfach zum Straucheln, doch er stapfte weiter, während ihm das Blut in den Schläfen pochte.
Die steife, nasse Kapuze fiel ihm in den Nacken.
Als er zwischen den Stämmen angekommen war, verlangsamten sich seine Schritte. Er musste Bogie absetzen und sich an Ästen festhalten, während er weiterlief.
„Oh, Gott sei Dank“, rief ein Mann. „Ich sehe Sie, kommen Sie weiter. Hier drüben.“
Dominic lief schneller, machte sich keine Gedanken um die Situation, die er vorfinden mochte, und schrie beinahe erleichtert, als er eine kauernde Gestalt sah.
Als sie nur noch ein Schritt voneinander trennte, erhob sich der Mann und hielt seine Taschenlampe so, dass Bruder Dominic ihn und die Tatsache, dass er sich zum Angriff bereitmachte, besser sehen konnte.
Er wusste, dass es zu spät war, doch er musste es mit Vernunft versuchen. „Warum sind Sie hier?“, fragte er.
„Ich sorge dafür, dass Sie keinen Schaden mehr anrichten können“, sagte der andere Mann. „Denn ich werde nicht zulassen, dass Sie alles verderben, Bruder. Sie hätten verdammt noch mal nicht herkommen dürfen.“
Zurückgezogen und friedlich.
Anfang des vergangenen Jahres war Alex Bailey-Jones aus London in die Cotswold Hills heimgekehrt, nach Folly-on-Weir, in der Absicht, sich in der vertrauten Umgebung zu vergraben und zu beschäftigen, um nicht in der Vergangenheit zu leben.
Bislang schlug sie sich gar nicht so schlecht, auch wenn sie einige neugierige Blicke derjenigen erntete, die sie einst bereitwillig zurückgelassen hatte.
Schnee bedeckte die gefrorenen Blätter und Zweige, die unter ihren Füßen knackten. Die Baumkronen über ihr waren kahl.
Jetzt fiel nur noch ein feiner, eisiger Schneewirbel. Sie blinzelte und drehte den Kopf zur Seite.
Der Wald lag auf einer Anhöhe über dem Dorf. Hier oben in den umliegenden Hügeln gab es Wohnhäuser und Gehöfte, jedes weit genug von den anderen entfernt, um nicht einsehbar zu sein.
Am höchsten Punkt im Westen stand, was die Einheimischen den Zahn nannten – die zerklüfteten Überreste des Tinley Towers, der Prunkbau, auch Folly genannt, dem das Dorf einen Teil seines Namens verdankte.
Die Welt wurde still.
Grauer Himmel hing erdrückend über weißgrauen Feldern und den Hügeln jenseits des Dorfes. Dünne Rauchfahnen, die sich über den Schornsteinen erhoben, und Lichter hinter kleinen Bleiglasfenstern zeugten davon, dass der Morgen in Folly-on-Weir früh begann. Wie auch die unvermeidlichen Hundebesitzer auf der Dorfwiese, ein paar abgehärtete, passionierte Menschen, die Bälle durch die klirrend kalte Luft warfen. Ihre fröhlichen Begleiter ließen sich von der Kälte offensichtlich nicht beeindrucken und rannten an dem langen Teich entlang.
Alex’ Atem hinterließ weißen Nebel in der Luft und sie schluckte schwer. Dankbarkeit und Traurigkeit waren eigenartige, aber vertraute Gefährten. Dies war ihre Zukunft, dieser Ort, und was immer sie hier aus ihrem Leben machen würde. Es war die einzige Zukunft, die sie wollte, und das Beste daraus zu machen, schien eine gute Gelegenheit zu sein, um die Wunden der Vergangenheit zu heilen. Dreiunddreißig war ein gutes Alter, ein großartiges Alter, um auf einen Neuanfang zu hoffen.
Links des Dorfzentrums, verdeckt von einem Kamm, lag ein kleiner, schäbiger Bereich, bekannt als Underhill. Alex war dort bei ihrer alleinerziehenden Mutter aufgewachsen, wenngleich sie in Folly-on-Weir zur Schule gegangen war, während Lily Duggins im einzigen Pub des Dorfs gearbeitet hatte, wie sie es auch heute noch tat.
Trotz des tristen Morgens präsentierten sich die Gebäude rund um den Schulhof in lieblichen, warmen und einladenden Steinfarben. Das Corner Cottage mit seinem Strohdach und dem einzelnen, zweistöckigen Giebel zog wie üblich Alex’ Blick auf sich. Vor einigen Jahren war sie endlich in der Lage gewesen, ihrer Mutter dieses kleine Eigenheim zu kaufen, und Lilys stille Freude machte sie beide glücklich.
Als sie aus dem Wald trat, blickte Alex zurück, zwischen den alten Buchenstämmen hindurch und vorbei an der mit Schnee verzierten Rinde jüngerer Bäume und Schösslingen. Die strengen Linien der Zweige und scharfen Dornenranken des Unterholzes hoben sich wie zerbrochene, schwarze Knochen vor dem bläulichen Schleier ab. Zu schade, dass Schock und Verlust nötig gewesen waren, um ihr die Augen für diese kleinen Schönheiten der Natur zu öffnen, die überall zu finden waren.
Sie bemerkte einen weiteren Farbton, grau, ganz flüchtig. Da und gleich wieder verschwunden. Der Atem blieb ihr im Halse stecken.
Etwas hatte sich bewegt.
Wahrscheinlich ein Hase oder eine Taube – vielleicht ein Wiesel. Die waren hier schon gesichtet worden.
Alex blickte mit zusammengekniffenen und tränenden Augen in den hellen Schnee und sah, dass sich der Schatten erneut bewegte. Er schien sich kurz zu erheben und sich dann wieder hinabsinken zu lassen, bis er außerhalb ihres Blickfelds war.
Tausend kleine Nadelstiche prickelten zwischen ihren Schulterblättern bis zu ihrem Nacken und ihren Haaransatz hinauf. Ihre eigene, ursprüngliche Warnung vor drohender Gefahr.
Sie zog den grünen Wollschal fester um den Kragen ihres schweren, schwarzen Mantels und schob sich die Kapuze etwas weiter über ihr kurzes Haar, ehe sie sich wieder dem Tal zuwandte. Es war Zeit zu gehen. Es hatte keinen Zweck, sich mit eingebildeten Geistererscheinungen aufzuhalten.
Das Black Dog Inn lag rechts von ihr, etwas zurückgesetzt von der Dorfwiese. Auf dem mit Laternen behangenen Vorplatz aßen und tranken die Menschen während eines Großteils des Jahres. Die bunten Lichter erzeugten jetzt wie jeden Morgen ein einladendes Funkeln, ungeachtet des Wetters.
Sie roch den schwachen Duft eines Holzfeuers.
Meistens lief Alex morgens zu Fuß den Hügel hinunter zur Arbeit, doch ab und zu fuhr sie mit ihrem Land Rover über die schmale Straße zwischen dem Dorf und den Gebäuden in den Hügeln – wenn sie in das nahe gelegene Bourton-on-the-Water, Broadway oder noch weiter weg musste.
Das Black Dog gehörte jetzt ihr; tatsächlich hatte sie beschlossen, aus London in die Heimat zurückzukehren, als sie gehört hatte, dass Will und Cathy Cummings, die Vorbesitzer, vielleicht verkaufen mussten, um ihre Schulden zu begleichen. Jetzt führten die Cummings das Haus und lebten weiterhin dort. Und Lily, die früher die Barfrau der Cummings’ gewesen war, kümmerte sich nun um die sieben Gästezimmer und die Reservierungen für das kleine Restaurant. Die Einnahmen wuchsen allmählich. Solche Dinge brauchten Zeit, doch alles entwickelte sich in die richtige Richtung.
Eine gute Lösung.
Oder nicht? Manchmal bemerkte Alex rasche Blicke der Cummings’, entweder in ihre Richtung oder zueinander, die nicht die Freundlichkeit zeigten, die sie ihr sonst offen entgegenbrachten. Abgesehen von ihrer gescheiterten Ehe war sie die örtliche Erfolgsgeschichte: Die junge Frau aus bescheidensten Verhältnissen, die sich als Grafikerin und Abteilungsleiterin in der prestigeträchtigen Werbefirma ihres Ehemanns einen Namen gemacht hatte. Nach ihrer Hochzeit hatte Mike sie zur gleichberechtigten Partnerin gemacht. Doch Geld und Erfolg wirkte unterschiedlich auf Menschen, und hinter ihrem Rücken hatte seine Suche nach neuem Nervenkitzel das vergiftet, was Mike und sie gehabt hatten. Die Kluft war nicht mehr zu überbrücken, egal wie sehr Mike es auch hatte versuchen wollen.
Alex konnte sich nicht gegen das Gefühl wehren, dass es in Folly jene gab, die gerne gesehen hätten, wie sie mittellos und gescheitert nach Hause zurückgekrochen käme. Manche Menschen hielten nichts von denen, die Größeres im Sinn hatten …
Sie blickte noch immer zum Pub und spürte einen Anflug von Verblüffung bei dem Gedanken, dass er ihr gehörte. Der Weg den Hügel hinab bot ihr täglich einen tollen Blick auf das Haus und reichlich Genugtuung.
Der Hang war hier so steil, dass Alex kurze, schnelle Schritte machte und die Hacken ihrer Kurzstiefel in die Erde rammte, um nicht den Halt zu verlieren.
Eine eisige Windböe überraschte sie. Ihre Lippen und Nase reagierten augenblicklich und sie legte sich eine behandschuhte Hand über die untere Gesichtshälfte.
Ein Stöhnen, das zu einem gequälten Klagelaut anschwoll, erschreckte sie. Sie zuckte erschüttert zusammen und blickte sich mit pochendem Herz und flauem Gefühl in alle Richtungen um.
Das Geräusch ertönte erneut. Schmerz oder Verzweiflung – oder beides. Und wer immer es ausstieß, befand sich im Wald, oberhalb von Alex und linker Hand.
Sie betastete das Handy in ihrer Tasche. Ich glaube, ich habe einen Schrei gehört – die Person könnte in Gefahr sein. Constable Frye würde herangeeilt kommen und sehr freundlich sein, doch sie käme sich albern vor, ihn nach einem Geräusch suchen zu lassen.
Als Nächstes hörte sie ein Wimmern und dieses Mal wirbelte sie herum und lief wieder auf die Bäume zu. Warum hatte sie nicht in Betracht gezogen, dass sie ein festsitzendes Tier hören könnte?
Der Instinkt führte sie nach links. Ein erneutes Heulen versicherte ihr, dass sie noch immer in der richtigen Richtung unterwegs war. Kurz tauchte das Bild eines Fangeisens vor ihrem inneren Auge auf. Diese Teile machten ihr gehörig Angst, aber sie wusste, wie man sie öffnete.
Sie konnte über ihr am Hang kein anderes Lebewesen ausmachen. Das tat sie zu dieser Tageszeit ohnehin selten. Mit offenem Mund keuchend, lehnte sie sich in den Hang und versuchte, schneller zu laufen – blieb jedoch mit dem Fuß unter einer Wurzel hängen.
Der Sturz war spektakulär, doch weitgehend schmerzfrei, abgesehen von dem Schnee und dem Dreck, der sich in ihrer Kapuze und ihrem lockigen, schwarzen Haar verfing – und in Augen, Nase und Mund.
Zu einem anderen Zeitpunkt hätte sie über sich selbst gelacht, doch nicht an diesem Morgen. Zuerst musste sie ihre Handschuhe sauberklopfen, dann Gesicht und Haar vom Schmutz befreien.
Das Heulen war jetzt dauerhaft zu hören und klang, als sei es nicht von dieser Welt. Das trostlose Klagen einer Totenglocke.
Alex erhob sich wieder, strauchelte in ihrer Eile erneut, lief aber weiter. Sie blickte sich nach einer Spur von Tony Harrison um, der mit seinem Hund auf dem Rückweg von seiner täglichen Wanderung durch die Hügel sein musste. Tony arbeitete mit den Nutztieren der umliegenden Höfe, doch seine Kleintierchirurgie lag im Dorf. Er war ihr nächster Nachbar in den Hügeln und lebte in einem Ziegelbau, der sich deutlich von den hiesigen Steingebäuden unterschied und von einem wunderschönen Garten umgeben war. Sie begegnete dem großen, stillen Mann regelmäßig auf ihrem Weg ins Dorf. Wo war der örtliche Tierarzt, wenn man ihn brauchte?
Aus dem Wald kam ein Hund auf sie zugeschossen, nicht groß, vielleicht fünf oder sechs Kilo schwer, der nicht identifizierbare Fetzen in seinem wolligen, hauptsächlich grauen Fell hängen hatte. Er sah Alex, kläffte heiser und schoss wieder davon. Seine Ohren mit ihren schwarzen Spitzen flatterten auf und ab.
Das Signal war deutlich: Folge mir. Erhitzt und schwitzend, dann kalt genug, um zu frieren, rannte Alex schlurfend los und hielt den Blick auf den Pfad gerichtet, den der Hund genommen hatte. Sie lauschte angestrengt auf weitere Geräusche, entweder von dem Hund oder vielleicht von einem anderen Tier, das bei ihm gewesen war.
Sie versuchte, nicht an die Geschichten von heulenden Hunden zu denken, deren Besitzer verletzt waren – oder tot. Doch eines der ihr verhassten Bilder huschte halb durchsichtig durch ihre Gedanken. Einen entsetzlichen Augenblick lang sah sie wieder diesen hell erleuchteten Korridor vor sich, spürte das Flüstern der Leute … blickte in ein offenes Grab. So ein kleines Grab. Und der Klagelaut, dessen Echo durch ihre Erinnerung hallte, war ihr eigener gewesen.
Alex spürte Feuchtigkeit auf ihren Wangen und wischte sie weg. Albern, dumm – wie unnötig, jetzt wieder dieses Bild vor Augen zu haben. Es war Teil einer Aura, die sie vor einer Panikattacke erlebte, doch dankbarerweise sank sie jetzt nur noch selten an diesen dunklen Ort.
Wieder war ein Heulen zu hören, dieses Mal viel näher.
Verdeckte Geröllhaufen machten ihr das Gehen schwer. Alex benutzt ihre Hände, um das Gleichgewicht zu halten, und griff nach allem, was sie erreichen konnte, auch wenn ihr die eisigen Zweige durch die Finger glitten. Ihr Atem ging in kurzen, dampfenden Stößen und entlockte ihrem Hals raue Töne. Sie durfte der Panik nicht nachgeben.
Das Heulen des Hundes war anhaltendem, jammerndem Jaulen gewichen, und als sie ihn endlich wieder sah, saß er da und starrte in ihre Richtung, die wolligen Ohren an den Kopf angelegt.
„In Ordnung“, sagte sie, um ihn zu beruhigen. „Es ist alles in Ordnung. Bist du verletzt? Armer Junge. Guter Junge.“ Als sie näherkam, streckte sie dem Hund eine behandschuhte Hand entgegen.
„Dieses klumpige, kalte Zeug tut deinem Hintern bestimmt nicht gut“, sagte sie. Er hatte sich auf einem Schneehaufen niedergelassen, aus dem Steine und Zweige hervorragten. „Dummer Junge. Komm schon, ich finde heraus, wohin du gehörst.“
Er rührte sich nicht, bis auf das Zucken seiner Ohren, die sich dabei ein wenig aufstellten. Sanfte, braune Augen starrten und flehten sie an.
Alex blieb stehen – und verstummte.
Das kleine Tier hob den Kopf und stieß ein weiteres Heulen aus.
Im Schnee hinter ihm sah sie roten Flecken. Ein schockierendes, rostiges Scharlachrot und sie begriff langsam, dass es ein einzelner großer Fleck war. Je mehr sie sich umblickte, desto mehr konnte Alex ausmachen. Und manches von dem, was aus dem Schnee emporragte, waren keine Steine, sondern Tweed.
Sie kroch verzweifelt umher, wühlte, schob Schnee beiseite, zog an dem Stoff und hörte ihr eigenes Schluchzen.
Lass es nur ein weggeworfener Mantel sein, oder so etwas. Lass es keine Person sein. Sie fühlte sich der Ohnmacht nahe.
Ihre rechte Hand schloss sich um etwas Festes. Steif gefroren und fest. Die blutverschmierte rechte Hand eines Mannes. Der Ringfinger stand in einem grauenerregenden Winkel ab und musste ausgerenkt oder gebrochen sein.
Sie konnte nicht innehalten, um einen Notruf abzusetzen. Vielleicht hatte sie nur noch Sekunden, um ihm zu helfen. Er lag mit dem Gesicht nach unten und war zu schwer, um ihn zu bewegen. Sie konnte bloß sein Gesicht freiräumen.
Blutverschmiertes, kurzes, beinahe rasiertes, ergrauendes Haar.
„Wachen Sie auf“, sagte Alex. „Bitte wachen Sie auf. Sie werden erfrieren, wenn Sie hierbleiben. Bitte wachen Sie auf. Stehen Sie auf!“ Sie rüttelte an seiner Schulter, hörte aber wieder auf, aus Angst, ihn zu verletzen.
Sein schmales, feines Gesicht war zum Teil sichtbar. Es war mit Flecken aus Blut, Schlamm und Schmutz beschmiert. Das Blut hatte ihm sogar die Augen zugeklebt und unter seinem Körper konnte sie noch mehr dunkles Rot ausmachen. Der Schnee hatte das geronnene Blut teilweise überdeckt – so viel Blut. Ein Puls. Den musste sie als Erstes finden. Um den Hals des Mannes war brauner Wollstoff gewickelt, den sie auf einer Seite wegzog, um seine Kehle freizulegen.
Alex wiegte sich auf den Knien vor uns zurück und bemerkte das Knurren des Hundes kaum. Ein Dartpfeil – wie es sie für Gelegenheitsspieler im Pub gibt, der Messingschaft und die gelben Steuerfedern blutbefleckt – hatte ein Loch gerissen und musste die Halsschlagader punktiert haben.
Sie würde diesen Mann nicht mehr aufwecken.
Dank der Doktoren James und Tony Harrison, die im Gefolge von Constable Frye aufgetaucht waren, etwa eine halbe Stunde vor dem Großaufgebot der Polizei, war Alex aus dem kalten und furchterregenden Wald in die Wärme des Black Dogs entlassen worden.
Doc James war Tonys Vater und der örtliche Landarzt.
Die Atempause vor der Befragung würde nicht lange anhalten, doch sie hatte vor, das Beste aus ihrer Bedenkzeit zu machen. Die beiden Harrisons hatten Detective Inspector Dan O’Reilly zu verstehen gegeben, dass Alex drohte, unter dem Schock zusammenzubrechen und Sedierung notwendig werden könnte (unter der sie tagelang keine Fragen beantworten würde), wenn er sie nicht vom Hang herunterbringen lassen würde.
Als der Polizeiwagen mit dem blaugelben Schachbrettmuster am Pub eingetroffen und in den Hof hinter dem Gebäude eingebogen war, hatte Alex eine Reihe von Gesichtern an den Fenstern des Schankraums gesehen.
Drinnen hatte ihre Mutter auf sie gewartet, um ihr zu berichten, wie sich die Nachricht unter den Einheimischen verbreitet hatte, doch als Alex sich dazu zwang, hinter der Bar aufzutauchen, war sie immer noch schreckhaft und hätte sich lieber versteckt.
Verstecken, hatte Lily Duggins ihr eingebläut, war etwas, das sie nicht taten.
Am Blutigen Samstag, wie irgendein Witzbold den Tag bereits getauft hatte, hatten die Einheimischen zu viel Zeit, um im Black Dog herumzulungern, Fragen zu stellen und sich Antworten auszudenken, die ausschließlich auf Spekulationen beruhten.
„Da sind Sie ja, Alex.“ Major Stroud, schon lange im Ruhestand und Teil des Pub-Inventars, verkündete laut den Augenblick ihres Eintreffens. „Wird auch Zeit. Sie können nicht ewig vorgeben, dass nichts vorgefallen sei, das wissen Sie. Es wäre das Beste, den albernen Gerüchte mit der Wahrheit Einhalt zu gebieten. Erzählen Sie uns alles.“ Seine Nase wirkte knolliger und violetter als sonst, und der Blick aus seinen kleinen, wässrigen Augen durchbohrte Alex.
Will Cummings, gerade damit beschäftigt, ein Bierfass zu wechseln, warf Alex einen mitfühlenden Blick zu. Seine Frau war nicht so entspannt. Cathy Cummings zapfte schmallippig und so schnell sie konnte Bier und rammte Gläser unter die Hähne für Hochprozentiges. Sie war eine zarte, blonde Frau und ihr schmales Gesicht verriet, wie angespannt sie war. Alle bezeichneten sie als überempfindlich, doch für Alex schien es, als würde sie heute überreagieren. Etwas Schreckliches war geschehen, doch Cathy würde es nicht besser machen, wenn sie darunter zusammenbräche. Cathy war etwas jünger als Will, das glaubte Alex zumindest, vermutlich Anfang fünfzig, während er etwa Ende fünfzig sein dürfte. Ihr war schon häufig aufgefallen, dass er sie eher wie eine Jugendliche denn wie eine Erwachsene behandelte; geradezu väterlich.
„Der ganze Haufen hat sich draußen rumgetrieben“, sagte Will. „Ich habe sie früher reingelassen, ehe jemand da draußen erfriert.“
Normalerweise öffneten sie gegen zehn und bis zum Mittag erschien nur die Kaffee-und-Kuchen-Fraktion.
Alex roch den Kaffee und frisches Teegebäck, doch für die meisten Gäste war ein Todesfall auf dem Hügel eine gute Ausrede für einen kleinen oder auch nicht ganz so kleinen Schluck von etwas, das die Nerven beruhigt.
Die kaum gebremste Aufregung wurde nur dadurch im Zaum gehalten, dass die Gäste wussten, welche ernste Reaktion von ihnen erwartet wurde, sodass sich der Geräuschpegel auf ein gedämpftes Brummen beschränkte.
Alex rieb ihre immer noch kalten Handflächen seitlich an ihrer Jeans. Ihr Verstand weigerte sich, das Gesehene zu verarbeiten, und ihr fiel nichts ein, was sie hätte sagen können. Sie hatte wohl tatsächlich einen Schock erlitten, konnte sich aber nicht dazu durchringen, sich einen Brandy einzuschenken.
Will übernahm das für sie und stellte ihr ein volles Schnapsglas auf das hölzerne Bord unter den kopfüber hängenden Flaschen mit Hochprozentigem. Stämmig, leutselig und mit schütterem Haar – er war der perfekte Pub-Betreiber. „Das wird helfen“, sagte er zu Alex.
Sie nickte und trank einen Schluck; die angenehme Hitze wanderte nach unten. Die Polizisten, die auf Constable Fryes Anruf hin aufgetaucht waren, hatten sie eine Stunde lang am Hang festgehalten. Während sie zitternd die offiziellen ärztlichen Vorgänge an der Leiche und die professionellen Aktivitäten an der Unglücksstelle verfolgt hatte, überhäufte man sie entweder mit Fragen oder ließ sie mit der Situation allein. Sie hätte die beiden Harrisons küssen können, als sie zu ihrer Rettung kamen. Was die beiden dem Detective erzählt hatten, war nicht weit ab von der Wahrheit gewesen. Es hätte sie selbst nicht überrascht, wenn sie ohnmächtig geworden wäre oder sich übergeben hätte – oder beides.
Die Wärme des Feuers und der Körper, die sich an der Bar drängten, tat Alex gut. Die Gerüche von Bier und dampfend heißen Fleischpasteten waren vertraut und beruhigend.
„Ich sage Ihnen, Alex“, dröhnte Major Stroud. Sein schaumbefleckter Schnurrbart zog sich wie ein eisengrauer Klettverschluss über seine Oberlippe. „Wir sind alle auf Ihrer Seite. Keiner von uns glaubt, dass Sie mehr als nur eine unglückliche Zeugin waren, aber Sie müssen uns auf den neusten Stand bringen. War da wirklich so viel Blut, wie behauptet wird?“
Cathy Cummings klammerte sich an die Kante der Bar und ihre Augen füllten sich mit Tränen.
Der Brandy hatte bereits angefangen, Alex zu beruhigen. Sie rieb Cathy über den Rücken und schüttelte mit einem Blick zum Major den Kopf. „Was wissen Sie schon. Vielleicht war es mein geheimes Hobby, im Wald Leute umzulegen.“
Jemand lachte – der dicke Kev Winslet – und ein Kichern machte die Runde.
„Ich sollte keine Witze machen“, sagte Alex peinlich berührt. „Manche Menschen werden zu den unpassendsten Zeitpunkten albern, wenn sie etwas erschüttert hat. Es tut mir leid. Ich kann nichts dazu sagen, Major“ – die Polizei hatte ihr deutlich gemacht, dass sie den Mund halten sollte – „wir werden bald hören, was die Behörden uns wissen lassen wollen.“
Alex machte sich an Cathys Seite an die Arbeit, bediente Kunden und kümmerte sich um Schweinefleischpasteten, Cornish Pastys und Würstchen im Blätterteig – die üblichen Pub-Gerichte –, die sie in schnellem Takt in der Mikrowelle aufwärmte. Mit einer Gabel angelte sie eingelegte Zwiebeln und Schottische Eier aus einem riesigen Glas voller Essig und Gewürze. Doch sie musste sich immer wieder bewusst auf ihre Tätigkeit konzentrieren, um nicht die Bilder des Mannes mit der schrecklichen Halswunde zu sehen, oder daran zu denken, dass er auf dem gefrorenen Boden ausgeblutet war. Ganz allein, abgesehen von dem kleinen Hund.
Sie bekam Gänsehaut auf den Armen.
„Hören Sie mal“, sagte Major Stroud. „Wollen Sie uns nicht wenigstens ein paar Kleinigkeiten erzählen? Mann oder Frau, wenigstens so viel? Wie kam das Opfer um?“
Alex schüttelte den Kopf. „Wir werden bald alle mehr wissen als uns lieb ist. Man hat mir verboten, darüber zu sprechen. Die Polizei wird bald vorbeikommen und Fragen stellen. Nicht dass ich davon ausgehe, hier könnte jemand etwas wissen.“
So, das war bereits mehr, als sie hätte erzählen dürfen. Alex schloss entschieden den Mund.
„Das denke ich auch“, sagte die alte Mary Burke von ihrem Sitzplatz neben ihrer jüngeren Schwester Harriet aus. „Klatsch hat noch nie etwas besser gemacht.“ Wobei Mary dafür bekannt war, gelegentlich ein wenig zu tratschen. Die Schwestern, beide ehemalige Lehrerinnen, führten einen kleinen Teeladen, in dem auch Bücher und Handarbeiten angeboten wurden.
Durch den bogenförmigen Durchgang zu dem kleinen Restaurant konnte Alex ihre Mutter an der Rezeption sehen. Lily begegnete dem Blick ihrer Tochter und lächelte ermutigend, dann widmete sie sich wieder dem Buch mit den Reservierungen und benahm sich, als sei nichts Ungewöhnliches vorgefallen. Soweit Alex sich erinnern konnte, war Lily schon immer eine stille Frau gewesen. Jetzt stand sie ganz professionell da, in ihrem schwarzen Kleid und ihrer üblichen Haltung. Sie war eine hübsche Frau, im Vergleich zu Alex von klassischer Schönheit, und hatte eine geschickte Hand, wenn es um Make-up ging. Lily wusste in jeder Situation, was zu tun war.
„Ich vermute, sie haben Doc Harrison dort hinaufgerufen“, sagte jemand.
„James oder Tony Harrison?“, fragte Major Stroud und wirkte ob des resultierenden Gelächters verstimmt.
Kev Winslet, der auf dem Derwinter-Anwesen als Wildhüter arbeitete, sagte: „Doc James, nehme ich an, es sei denn, Doc Tony behandelt jetzt auch Menschen.“ Er fiel in das Gelächter ein.
Tony Harrison hatte, so erzählt man es sich, seinen Vater enttäuscht, indem er die Veterinärmedizin wählte, statt sich der Praxis des älteren Harrison anzuschließen. Im Jugendalter hatten sich Tony und Alex angefreundet, zwei vom selben Schlag, beide stille und resolute Menschen. Tony war mehrere Jahre älter und bereits an der Universität gewesen, als Alex das Stipendium für das renommierte Slade Art College in London erhalten hatte.
Heute Morgen, oben am Hang, hatten sowohl James als auch Tony Harrison ihr stilles Mitgefühl gezeigt.
„Alex?“, fragte Mary Burke mit ihrer kräftigen Stimme. „Würden Sie uns bitte bedienen?“
Mary war Alex einer der liebsten Menschen im Ort, so wie Harriet, die mit ihr an dem Tisch in der Kaminecke saß. Die Flammen erzeugten ein Glühen auf den vom Alter gezeichneten Gesichtern und weißen Haaren der Frauen und funkelten auf den polierten Messingplaketten zur Dekoration von Pferdegeschirren, die an dem Kaminsims aus knorrigem Eichenholz hingen.
„Komme“, sagte Alex und zwang sich zu einem Lächeln, doch als hätte er gewusst, dass über ihn gesprochen wurde, wählte Tony Harrison exakt diesen Augenblick, um mit dem grauschwarzen Hund aus dem Wald in den Armen hereinzukommen. Tonys grüne Barbour-Wachsjacke war offen, damit er das Tier an seinen warmen Körper drücken und es mit einem Teil seiner Jacke einhüllen konnte. Seine Gummistiefel quietschten auf dem Holzboden und ließen schlammige Fußabdrücke zurück.
Sein Auftritt ließ Stille einkehren.
„Ich bin nur auf der Durchreise“, sagte Tony. „Ich muss dieses Kerlchen in die Praxis bringen, um ihn zu untersuchen. Ich dachte, ich frage mal, ob sich jemand daran erinnert, ihn irgendwann schon mal gesehen zu haben.“
Es folgte Gemurmel und einige drängten für einen genaueren Blick heran. Reverend Restrick von der winzigen St. Aldwyn’s Church erhob sich aus einem Sessel, der vom Rest der Bar abgewandt war, und kam herum, um den Hund unterm Kinn zu kraulen. Er war ein dicker Mann mit einem herzlichen Lächeln und sagte: „Jemand vermisst dich, nicht wahr, kleines Kerlchen?“
„Er ist gut genährt“, sagte Tony, „wenngleich er im Augenblick vermutlich sehr hungrig ist. Der Name auf seinem Halsband lautete Bogie. Er ist kein Streuner.“
Niemand hatte irgendwelche Erkenntnisse, doch Alex hob die Klappe in der Bar, ging zum Hund und bot ihm ihre Hand an. „Hallo, Bogie. Armer Junge.“ Eine Hundezunge betastete zögerlich eine ihrer Fingerspitzen, doch aus Bogies Kehle drang ein schwaches Fiepen und das Tier zitterte heftig.
Alex sah Tony an. „Ich bin froh, dass du ihn geholt hast. Er …“ „Ja, ich weiß“, sagte der Tierarzt und schnitt ihr mit einem warnenden Blick das Wort ab. „Ich sorge dafür, dass es ihm gutgeht. Ich mache mich lieber auf den Weg. Ruf mich an, wenn du hörst, dass jemand nach ihm sucht.“
Tonys freundliche, dunkelblaue Augen erinnerten Alex daran, dass er sich als Kind immer auf die Seite der Außenseiter geschlagen hatte – sie selbst eingeschlossen – und dass er ein sehr guter Freund gewesen war, bis er seinen Heimatort verlassen hatte.
„Gehört er dem Mordopfer?“, fragte Major Stroud und streckte sein Kinn in Tonys Richtung vor. „Oder sollte ich sagen, gehörte?“
Tony blickte von Alex’ gehobener Augenbraue zu dem streitlustigen Gesichtsausdruck des Majors, und fragte: „Welches Mordopfer?“
Nach einer knappen Stunde tauchten zwei Detectives auf. Alex hatte am Fundort der Leiche bereits mit beiden gesprochen, wo sie ihr mitgeteilt hatten, dass sie aus Gloucester kamen. Ermittler des Morddezernats, da war sie sich sicher, und das wirkte so unwirklich.
Der Dartschrank war nicht abgeschlossen; ein Punkt, den Detective Inspector Dan O’Reilly bald nach seinem Eintreffen kritisierte.
O’Reilly war mit einem Detective Sergeant Bill Lamb in einem Zivilwagen zum Pub gekommen und hatte verlangt, den Pub bis auf Weiteres zu räumen.
Die Besucher schlurften grummelnd nach draußen, während Lily die Burke-Schwestern und einige der Stammgäste, inklusive Major Stroud und Reverend Restrick, in die gemütliche Privatbar führte, die immer noch altmodisch als Snug bezeichnet wurde. Sie ließen sich auf den abgewetzten Gobelin-Lehnstühlen an dunklen Eichentischen nieder. Die Stille hielt nur so lange an, bis sich die Tür hinter Lily geschlossen hatte.
„Danke, Mum“, sagte Alex, lächelte und neigte den Kopf in Richtung der Snug, von wo bereits leise Stimmen zu hören waren.
Lily sagte: „Mach dir keine Sorgen. Es ist eine schreckliche Geschichte, aber die Leute werden bald das Interesse daran verlieren.“ Ein wenig Grau zog sich durch ihr Haar, das ansonsten so dunkel und lockig war wie Alex’ eigener Schopf. Sie hatten beide die ovalen, grünlichen Augen, für die Alex als junges Mädchen gehänselt und von anderen Kindern als Hexe bezeichnet worden war. Lily fuhr fort: „Aber wir wollen doch keine Stammkunden vor den Kopf stoßen. Sie werden in der Snug zufrieden sein. Das ist einer der Momente, in denen ich mich freue, dass wir zu den Pubs gehören, die immer noch eine haben. Ich bin an der Rezeption. Schlechte Nachrichten verbreiten sich schnell. Wir haben großen Andrang fürs Restaurant – ich schätze, Neugier füllt die Tische. In der Küche sind alle in hellem Aufruhr.“
Die Cummings hatten sich bereits in ihre Wohnung zurückgezogen. Zögerlich und unsicher kehrte Alex in den Pub zurück, wo ein Mann in blauem Overall, der bei jeder Bewegung wie Papier raschelte, Schachteln mit Dartpfeilen aus dem Dartschrank holte und in Plastikbeuteln verstaute. Der Mann war sehr groß und schmal und sein Kopf streifte die Girlanden aus getrocknetem Hopfen, mit denen die freiliegenden Balken geschmückt waren. Er ging wortlos, mit mehreren gelben Hopfenstücken in den dunklen Haaren.
Die Detectives deuteten auf einen Tisch und sie setzten sich zusammen dort hin. Die beiden Männer waren gut gekleidet. Nichts an ihnen schrie „Detective“. Alex hegte die Vermutung, dass O’Reillys dunkelgrauer Anzug wohl nicht von der Stange kam.
„Kannten Sie ihn?“, fragte er ohne Vorrede.
„Den Toten?“ Alex zog sich ein wenig vom Tisch zurück, ehe sie fortfuhr: „Nein. Ich habe ihn noch nie gesehen. Zumindest glaube ich das. Mit all dem …“ Sie wandte den Blick ab und flüsterte: „Ich habe nicht wirklich einen gründlichen Blick in sein Gesicht geworfen. Armer Mann. Niemand sollte so sterben.“ Ein Anflug von Wut überraschte sie. „Niemand sollte derart in ein anderes Leben eingreifen. Das ist krank und böse.“
„Warum werden diese Dartpfeile nicht eingeschlossen?“, fuhr O’Reilly fort, ignorierte damit ihre Kommentare und wiederholte seine vorherige Bemerkung, während der Detective Sergeant Notizen machen. „Oder sind sie normalerweise eingeschlossen?“
„Nie“, erklärte Alex. „Der Schrank hängt hoch oben an der Wand und Kinder kommen ohnehin nie ohne Begleitung in die Bar. Mit der Punktetafel darüber wissen die meisten Menschen wahrscheinlich nicht einmal, dass es den Schrank gibt.“
Auf der Tafel waren noch die mit Kreide geschriebenen Punkte eines vergangenen Spiels zu sehen. „Die Pfeile, die wir hier aufbewahren, sind für Gelegenheitsspieler. Seriöse Spieler bringen ihren eigenen Satz mit. Wissen Sie, ob es einer unserer Pfeile war, der …“
O’Reilly fiel ihr ins Wort: „Das Black Dog hat ein eigenes Dart-Team, oder?“
„Vizemeister der Liga“, sagte Alex. „Wir sind stolz auf sie.“
„Wir brauchen später eine Liste mit ihren Namen, in Ordnung?“, fragte O’Reilly. Sein irischer Akzent klang jetzt angenehm, er sprach mit recht sanfter Stimme. Er hatte dunkle, nachdenkliche Augen und seine Hände, die auf dem Tisch ruhten, wirkten mit den langen Fingern besonders ausdrucksstark. Alex begriff, dass er ein Mann war, der Vertrauen erweckte.
„Würden Sie bitte im Detail durchgehen, was am heutigen Morgen geschehen ist?“ Es sprach der Detective Sergeant. „Fangen Sie bitte beim Verlassen Ihres Hauses an.“
„Ich fand ihn erst, nachdem ich bereits durch den Wald gelaufen und dann umgekehrt war.“
„Manchmal hilft es, vorne zu beginnen, um zu sehen, ob alles so ist, wie in Ihrer Erinnerung. Dabei könnten Ihnen kleine Details wieder einfallen. Wo wohnen Sie?“ Er klang nicht bedrohlich.
„Lime Tree Lodge. Im Dimple. So haben wir die Gegend immer genannt. Gleich auf der anderen Seite des großen Hügels. Es ist wie ein flaches, ovales Tal. Ich habe hier natürlich auch ein Zimmer. Nur für alle Fälle.“
Alex hörte sich über Dinge schwatzen, die niemand wissen wollte, und räusperte sich. Um sich zu sammeln, rieb sie die Stelle zwischen ihren Augenbrauen.
Lamb schrieb, als würde er bei einer Vorlesung Notizen machen und zurückfallen. „Warum beschlossen Sie heute Morgen, zu Fuß zu gehen?“, fragte er, ohne sie anzusehen. Sie blickte auf die Oberseite seines Kopfes und sein glattes Haar, das kurz genug war, um aufrecht zu stehen, war ordentlich frisiert. „Miss Bailey-Jones?“, hakte er nach.
„Ms.“, korrigierte sie ihn unwillkürlich. „Ich laufe morgens so oft ich kann – fast immer.“
„Selbst bei Schnee?“ Blaue Augen, mit seltsam unschuldigem Blick, fragten sie, ob sie wirklich von ihm erwartete, ihr zu glauben.
Alex antwortete aufgeregt: „Es fiel fast kein Schnee mehr. Leider. Ich liebe es, durch fallenden Schnee zu laufen. Lassen Sie mich Ihnen etwas zu trinken holen.“
„Wir sind im Dienst“, sagte Lamb unverzüglich.
„Ich meine Kaffee“, sagte Alex und verspürte eine leichte Befriedigung.
Beide Männer schüttelten den Kopf und murmelten Dankesworte.
„Ihnen gehört dieser Laden?“, fragte O’Reilly. Er kramte eine zerknitterte, weiße Papiertüte aus seiner Jackentasche, die offensichtlich von den enthaltenen Süßigkeiten ausgebeult wurde.
„Das habe ich bereits gesagt, ja.“ Der Mann lächelte leicht. Ein gutes Gesicht, auf schöne Weise vom Leben gezeichnet, mit vielen Lachfalten und Anzeichen für häufiges Stirnrunzeln. Die krumme Narbe an seinem Kiefer sah nicht besonders alt aus. Er bot die Tüte Alex und dem Sergeant an. Als sie beide ablehnten, wühlte er darin herum, holte ein klebriges, gelbes Zitronen-Brausebonbon heraus und hielt es zwischen den Fingern.
„Um welche Zeit haben Sie die Lime Tree Lodge verlassen?“, fragte er.
„Kurz vor sieben. Wir öffnen normalerweise um zehn, aber die Leute warteten bereits vor der Tür, daher haben wir sie früher hereingelassen. Will und Cathy Cummings führen den Pub sehr gut – sie wohnen hier – aber es gibt viel zu tun, bevor wir öffnen können, und dafür bin ich gerne hier. Es ist nicht so, als würden sie mich brauchen, aber ich bin da, um mit anzupacken. Abends bleibe ich nicht lange.“
Die beiden Männer starrten sie an, bis sie glaubte, wieder mehr als nötig gesagt zu haben.
„Gibt es einen Mr. Bailey-Jones?“, fragte Lamb.
An Mike zu denken, brachte die Traurigkeit zurück. „Wir sind geschieden.“
„Ich verstehe“, sagte Lamb. „Gehen Sie immer durch den Wald? Das scheint ein recht einsamer Abschnitt des Weges zu sein.“
„Der ganze Weg ist einsam. Still beschreibt es besser. Dort verkehren kaum Menschen.“
O’Reilly lutschte das Brausepulver aus der Mitte seines Bonbons und Alex lief bei dem Gedanken an die Säure das Wasser im Mund zusammen.
„Die Cummings wohnen hier?“, fragte Lamb.
Alex hoffte, dass sie nicht bei jedem Thema sämtliche Informationen doppelt hören wollten.
„Sie sagten, Sie seien in den Wald zurückgegangen, weil sie das Jaulen eines Hundes gehört hatten.“
„Ja.“ Zum dritten oder vierten Mal.
„Sie sind nicht besonders vorsichtig, oder?“ O’Reilly schob sich den Rest des Bonbons in eine Backe. Er schien Menschen eher anzustarren als sie anzusehen, und das verunsicherte Alex. „Ganz allein da oben, mit einem Tier, das gefährlich hätte sein können, und Sie laufen einfach zurück, um … was zu tun?“
Ein Anflug von Übelkeit regte sich in ihrer Magengrube. „Ich wollte sehen, ob das Tier verletzt war und Hilfe brauchte.“
„Sie sagten, Sie hätten den Hund herumlaufen sehen.“ Lamb und sein Vorgesetzter wechselten sich bei den Fragen ab.
„Ich sagte, dass ich die Bewegung eines Tiers gesehen habe. Zuerst fragte ich mich sogar, ob es ein Vogel sein könnte.“
Der Blick von Lambs unschuldigen Augen ruhte auf ihrem Gesicht. „Aber Sie haben vom Heulen eines Hundes gesprochen. Wie kommen Sie auf einen Vogel?“
„Ich sagte“, wiederholte sie langsam und deutlich, „dass ich glaubte, eine Bewegung gesehen zu haben, und nicht mit Gewissheit wusste, was es war. Ich lief weiter, hörte ein Heulen, das nach einem Hund klang, fing an, über Fallen nachzudenken, und kehrte um.“
„Fallen?“ Lamb wirkte verwirrt.
„Ich dachte, möglicherweise steckt ein anderes Tier in einer Falle und das Tier, dessen Bewegung ich gesehen hatte, heult, um Hilfe zu rufen.“ Und sie verlor sich in Einzelheiten. „Das tun sie, wenn sie zusammen unterwegs sind. Wie im Rudel – sie kümmern sich umeinander. Oder es hätte das Tier sein können, das ich gesehen hatte, das in der Falle saß … Oh, ich weiß es nicht. Ich habe eben so reagiert. Manche interessieren sich eben gelegentlich mehr für Tiere als für ihre Mitmenschen. Ich liebe Tiere.“ Sie blickte auf ihre Hände, dann wieder zu O’Reilly.
Er lächelte sie halbwegs freundlich an. „Wir werden darauf zurückkommen.“
Ein dritter Mann kam mit einem braunen Umschlag in die Bar. „Sie haben damit ihr Bestes gegeben“, sagte er. „Aber zeigen Sie sie lieber vorsichtig herum.“ Er zuckte mit den Schultern.
„Danke.“ O’Reilly nahm den Umschlag und ließ mehrere Fotos herausgleiten. Er hielt sie hoch, sodass sie die Bilder nicht sehen konnte, und Lamb stand auf, um ihm über die Schulter zu schauen.
„Da draußen ist eine Frau.“ Der dritte Mann neigte den Kopf in Richtung der Tür, die in den Pub führte. „Sie sah den Umschlag und fragte, ob ich Fotos des Opfers hätte. Ich habe das weder bejaht noch verneint, aber sie ist schier durchgedreht, warf die Arme herum und sagte, sie müsse denjenigen sehen, der hier das Sagen hat – und das Opfer. Das hat sie gesagt – sie will das Opfer sehen.“
O’Reilly runzelte die Stirn. „Wir müssen Sie bitten, in einem anderen Zimmer zu warten, Ms. Bailey-Jones. Bitte bleiben Sie hier. Schicken Sie die andere rein, Madden.“
„Wer ist es?“, fragte Alex, unfähig den Mund zu halten.
Lamb murmelte: „Sie kann es ruhig wissen.“
„Natürlich“, sagte der Mann, Madden. „Sie sagte, sie sei eine der ManagerInnen hier. Cathy Cummings.“
Um sechs Uhr lag Cathy Cummings im Bett und war von Dr. James Harrison ruhiggestellt worden. Alex war überaus dankbar, die Abendschicht eintreffen zu sehen, und schickte Will zu seiner Frau.
Sie hatte keine Ahnung, was zwischen Cathy und O’Reilly vorgefallen war, doch danach hatte die Frau schluchzend in den Armen ihres Mannes gelegen.
Lamb und O’Reilly hatten Alex noch zwei Stunden lang befragt und waren dann gegangen. Nicht ohne sie zu informieren, dass sie zurückkommen würden, wenn sie noch mehr zu besprechen hätten.
Sobald sie die Gelegenheit hatte, verließ Alex die Bar und wünschte sich nach wie vor, sie hätte fragen können, warum Cathy den Toten hatte sehen wollen. Bislang hatte sie noch keine Möglichkeit gefunden, an Informationen zu gelangen, doch das würde sich hoffentlich bald ändern.
„Bleibst du heute Nacht bei Lily?“
Alex zuckte zusammen und wirbelte herum, nur um Tony Harrison zu entdecken, der mit Bogie in den Armen im Vorraum des Pubs auf einer Holzbank saß. Sie blinzelte, war zu erschöpft und verwirrt, um etwas zu sagen, aber dennoch froh, ein freundliches Gesicht zu sehen.
Tony stand auf und lächelte. Er hatte sich über die Jahre kaum verändert. Sein dunkelblondes Haar war immer noch lockig und ein wenig zu lang, weil er niemand war, der besonders viel Wert auf seine Frisur legte, aber vielleicht waren die Falten an seinem Mund etwas tiefer geworden. Ihr wurde bewusst, wie sehr sie an diesem Tag vertraute Gesichter und alte Freunde um sich brauchte.
„Nein“, sagte sie. „Ich bleibe nicht bei Mum. Warum sollte ich?“
Er blickte auf seine Füße. „Nur so. Ich hörte, du hattest heute ein unerwartetes Drama zu ertragen, als die Polizei hier war. Ich wäre früher gekommen, um zu sehen, ob ich etwas tun kann, aber ich hatte einen vollen Tag.“
Ein Pärchen aus Underhill, Frank und Gladys Lymer, stapfte ins Foyer. Beide rieben sich die Oberarme. „Alles in Ordnung?“, fragte Frank in Alex’ Richtung. „Es ist kalt genug zum Erfr… es ist verdammt kalt“, fing er sich.
Gladys, eingehüllt in einen grauen Kunstpelz-Mantel rollte mit den Augen und scheuchte ihren Ehemann in den Pub.
„Es ist nett, dass du dir Sorgen machst“, sagte Alex zu Tony und bemerkte, dass sich seine eigene Hündin, ein blondes Border-Terrier-Mädchen, unter die Bank gezwängt hatte und ihr Herrchen aus traurigen, braunen Augen ansah. Alex grinste. „Schmollt Katie? Sie ist es nicht gewohnt, dich teilen zu müssen.“
„Sie ist nur erschöpft, wie wir alle“, sagte er. „Und ein wenig argwöhnisch. Das ist ganz normal. Wann gehst du nach Hause? Du hast den Rover nicht hier.“
„Nein. Ich konnte kaum denken, als …“ Eigenartig, er musste sich nach ihrem Auto umgesehen haben. „Ich werde mich von meiner Mum zurückfahren lassen.“
„Deshalb bin ich hier. Ich kann fahren, wann immer du bereit bist. Dann müssen wir deine Mutter nicht rausscheuchen.“ Sie wollte ablehnen, bremste sich aber. Warum jemandem gegenüber albern und undankbar wirken, den sie seit ihrer Kindheit kannte? Außerdem musste er von jemandem etwas über Cathys Zusammenbruch gehört haben, wahrscheinlich von seinem Vater, der möglicherweise mehr über die Gründe wusste.
Und es tat gut, zu wissen, dass jemand tatsächlich darüber nachdachte, wie es ihr ging.
„Danke. Das ist wirklich lieb.“ Und wäre sie ein besserer Mensch, hätte sie sich für den Plan geschämt, mehr Informationen aus ihm heraus zu kitzeln. „Ich werde meine Sachen holen.“
Tony hatte seinen eigenen Land Rover vor dem Pub abgestellt, den sie jetzt Seite an Seite verließen, mit Katie zwischen ihnen.
Katie sprang fröhlich in einen der Zwinger im Kofferraum, doch Bogie winselte mitleiderregend, als Tony ihn in einen der anderen steckte.
„Lass mich ihn halten“, sagte Alex. „Das wird ihm vermutlich besser gefallen.“
Tony öffnete ihr die Beifahrertür, ließ sie einsteigen und setzte ihr Bogie auf den Schoß. Der Hund kuschelte sich so eng an sie, dass sie kaum ihren Gurt anlegen konnte.
„Ich bin überrascht, dass er nicht versucht, von uns wegzukommen“, sagte Alex, als Tony neben ihr saß und den Motor startete. Sie strich durch die kurzen, drahtigen Locken des Hundes, der daraufhin vorsichtig über ihren Handrücken leckte.
„Tiere unterscheiden sich gar nicht so sehr von uns. Man weiß nie, wie sie auf einen Schock reagieren.“
Sie sah ihn an und dachte an Cathy Cummings.
Ihr kam eine andere Idee: „Warum wollte die Polizei Bogie nicht untersuchen? Er könnte Blut …“
„Hatte er. Ich habe mich selbst um die Untersuchung gekümmert – und habe Proben genommen.“
„Aber …“ Aber was? Aber war das nicht eigenartig, wenn Tony Harrison nach dem Wissensstand der Polizei ein Verdächtiger sein könnte? Plötzlich fühlte sie sich nicht mehr wohl in ihrer Haut.
„Aber was?“ Er war auf die schmale Straße zwischen den Cottages und dem Anger eingebogen und nahm Kurs auf den Feldweg, der sich in die Hügel hinaufschlängelte. „Ich habe so etwas früher schon gemacht.“
Es war so dunkel, dass sie den See in der Mitte des Angers nicht mehr sehen konnte, obwohl das Glitzern der Schneereste auf dem Gras noch auszumachen war. „Das war ein schrecklicher Tag.“
Tony grunzte. „Ich habe nicht das Gefühl, dass die Polizei schon Fortschritte gemacht hat, du etwa?“ Er sah sie an. Sein Gesicht war kantig und wirkte im Licht des Armaturenbretts grimmig.
„Nein.“ Tatsächlich hatte sie keine Ahnung, was man vielleicht schon herausgefunden hatte. „Aber sie würden uns wohl nicht von ihren Fortschritten erzählen.“ Sie war mit einem alten Freund zusammen. Warum konnte sie sich nicht entspannen?
„Der Tote hatte keine Brieftasche oder sonst irgendetwas bei sich, womit man ihn hätte identifizieren können.“
„Das haben Sie dir gesagt?“
„Nein.“ Er lächelte sie an und sah plötzlich ganz anders aus: freundlicher, mehr wie der Junge, den sie gekannt hatte. „Ich war dort, als sie nachgesehen haben.“
„Sie fragten, ob ich ihn kenne“, sagte Alex und wurde durchgeschüttelt, während sie bergauf fuhren. „Ich habe eigentlich kaum einen richtigen Blick auf ihn werfen können.“
Der Hund zitterte und sie spürte seine feuchte Schnauze an ihrem Hals. Unwillkürlich rieb sie ihre Wange an seinem Kopf.
Tony schien in Gedanken verloren zu sein.
„Haben sie … war er umgedreht, als du dort warst? Hast du sein Gesicht gesehen?“ „Ich habe eine Menge Blut gesehen, aber ja. Wer immer diese Sache mit dem Dartpfeil veranstaltet hat, wollte sichergehen, dass sein Opfer nie wieder aufsteht.“ Tony schüttelte den Kopf. „Ich nehme an, er hat das Teil reingestochen und die Arterie aufgerissen.“
Alex erschauderte. „Ich glaube nicht, dass ich das so genau wissen will.“ Sie rieb ihre Finger fest aneinander. „Könnte er sich das Leben genommen haben?“
„Ich habe gesagt, dass ich ihn nicht kenne, doch da ist etwas, das an mir nagt.“ Er registrierte Alex’ Frage und blähte die Backen auf. „Was weiß ich schon über Selbstmord? Das wäre ein recht extremes Vorgehen dafür. Aber vieles ist möglich.“
Tony schaltete runter. Der Boden war eisig und der sternlose Himmel ließ Alex vermuten, dass noch mehr Schnee fallen würde, ehe die Nacht um war.
Sie wartete darauf, dass er fortfuhr.
Als er das nicht tat, fragte sie: „Was ist es, das an dir nagt?“
Er schwieg weiterhin und als sie zu ihm blickte, waren seine Augen schmal und seine Gesichtszüge in grimmigen Linien erstarrt.
„Was ist los Tony?“, hakte sie nach.
„Nichts. Ich erwarte ständig, zu hören, dass die Polizei bereits weiß, wer er ist.“
Aber da war noch etwas gewesen, etwas Wichtiges, sonst hätte er nichts gesagt.
„Halt“, sagte Alex in scharfem Ton und ohne nachzudenken. „Fahr an die Seite und lass uns darüber sprechen.“
„Es ist glatt. Ich sollte lieber nicht anhalten.“