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Weißt du noch? Vater und Tochter blättern Fotoalben vom Frankreich-Urlaub in den 70-er Jahren durch. Die Erinnerungen kommen hoch - quälende Erinnerungen und die Wahrheit - die erdrückende Wahrheit. In alter Tradition Auf dem Land - am Niederrhein - wird sie gepflegt, die alte Tradition. Da ist man erst Nachbar, wenn man einen Nachbarschaftskaffee gegeben hat und darf den Brautleuten erst einen Kranz binden, wenn man dazu gehört ... Ein Schritt in die Ewigkeit Die Erbtante soll durchgeknallt sein? Sie hört Geräusche auf dem Dachboden? Umso besser. Da will sich der Mann der Nichte mal umschauen und ihr ein wenig Angst machen.
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Seitenzahl: 38
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Ingrid Schmitz
EIN SCHRITT IN DIE EWIGKEIT
Ingrid Schmitz - Mörderisch liebe Grüße - 5. Teil
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel
Weißt du noch?
In alter Tradition
Ein Schritt in die Ewigkeit
Impressum neobooks
Ich schloss die Tür auf und rief „Hallo Paps!“ in den Flur. Er sollte sich nicht erschrecken, wenn ich plötzlich im Wohnzimmer auftauchte. Wie jeden Montagmorgen versperrte der Korb mit den leeren Flaschen den Hauseingang. Ich schob ihn beiseite. „Paps? Paaaps!“
Da hörte ich eine weibliche Stimme. Hatte er etwa Besuch? Von einer Frau? Undenkbar. Je näher ich kam, desto lauter erzählte die Redakteurin vom Fernsehsender etwas über das Alter und die Pflegeheime. Bisher ein Tabuthema für ihn, und jetzt schaute er sich die Reportage freiwillig an? Hatte er seine Meinung geändert? Im Wohnzimmer roch es nach ungelüfteten Fernsehnächten. Ich ging zum Fenster und öffnete es. Da sah ich ihn schlafend im Sessel sitzen. Na so was, noch vor zehn Minuten hatte er mich am Telefon zusammengestaucht und gefordert, ich solle ihm sofort die Fotoalben zurückbringen. Ich beugte mich zu ihm. Es war ein gewohnter Anblick. Paps mit der Fernsehzeitung auf dem Schoß, der Brille auf der Nase, den Mund halb geöffnet und die weißen Haare wirr vom Kopf abstehend. Wie immer sah sein Gesicht fahl aus. Er sollte sich mehr an der frischen Luft bewegen, damit sein Körper nicht so schwach wurde. Nur um sein Gehirn musste ich mir keine Sorgen machen. Zumindest sein Langzeitgedächtnis war für einen 82-Jährigen phänomenal.
Ich rüttelte an seinem Oberarm, wollte ihn wachbekommen. Es gelang mir nicht. So dringend konnte es also nicht gewesen sein, was er zu besprechen hatte, sonst hätte er mich schon an der Tür begrüßt. Skeptisch sah ich zu ihm.
„Komm schon, die Nummer zieht nicht mehr bei mir“, sagte ich halblaut, mit ein wenig Ironie in der Stimme, obwohl ich sauer auf ihn war. Zu oft hatte er sich tot gestellt, nur, um mich zu ärgern, mir zu zeigen, wie das Gefühl wohl ist, wenn er nicht mehr da wäre.
„Paps? Papa?“ Er rührte sich nicht. Ich fühlte seine kalte Stirn, die kühlen Wangen, schaute auf die leicht bläulichen Lippen, die an sich nichts Neues waren und dennoch … Langsam stiegen Zweifel in mir auf und Tränen, durch die ich alles verschwommen sah. Vor diesem Moment hatte ich mich am meisten gefürchtet. Ich legte meinen Kopf auf seine Brust, umschlang sie mit beiden Armen. Er ließ es zu. Ein sicheres Zeichen dafür, dass … Ich zwang mich zur Ruhe, da erst spürte ich durch seine Weste die laue Wärme, die von seinem Oberkörper ausging. Ich hörte sein Herz, leise, ganz leise pochen. Sein Brustkorb hob und senkte sich dabei, langsam, dann immer heftiger. Paps schlug die Augen auf und drückte mich abrupt von sich weg.
„Da bist du ja endlich. Gib mir meinen Stock!“ Er sprach heiser, hustete sich seine dunkle und für sein Alter erstaunlich kräftige Stimme zurück.
Ich versuchte ruhig durchzuatmen, das Zittern unter Kontrolle zu bekommen. Der Schreck saß mir gewaltig in den Gliedern. Flüchtig wischte ich mir die Tränen aus dem Gesicht und bückte mich nach seinem Gehstock. Ich ärgerte mich am meisten über mich selbst. Schon wieder war ich auf ihn hereingefallen. Wie hatte ich nur glauben können, dass er sich jemals änderte? Auch das Kommandieren würde er nie sein lassen, noch nicht einmal auf dem Totenbett.
„Hast du die Fotos dabei?“ Er rückte seine Brille zurecht.
„Welche Fotos?“ Ich ließ ihn zappeln. Gestern hatte ich die Alben in einem Versteck in seinem Schrank gefunden und heimlich mitgehen lassen. Heute Morgen hatte er es bemerkt.
„Na, die aus Frankreich – habe ich doch gesagt.“ Er raufte sich die Haare, was seiner wirren Frisur nichts anhaben konnte.
„Sag bloß …“
„Ganz ruhig. Moment.“ Ich verstand nicht, was an den Fotos unseres Frankreichurlaubs von ?79 – ich war damals zehn Jahre alt – so wichtig sein sollte. Warum hatte er sie versteckt? Die meisten Bilder gaben mir Rätsel auf. Wieso hatte er zum Beispiel einen baufälligen Schuppen fotografiert? Was hatte es mit dem Katzenteller in Nahaufnahme auf sich? Warum befand sich dieser versiegelte Umschlag im Album? Ich hatte mich nicht getraut, ihn zu öffnen. Lächerlich. Als wenn ich eine Tracht Prügel befürchtete, so wie ich sie damals oft bekommen hatte, weil ich ungehorsam war. Ich ging in den Flur, wo mein Beutel mit den Alben stand.
„Mach das Fenster zu, wenn du zurückkommst“, rief er mir hinterher.