Ein skandalöses Angebot - Sandra Brown - E-Book

Ein skandalöses Angebot E-Book

Sandra Brown

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Beschreibung

Denn nur die Liebe zählt ...

Als Lauren Holbrook von ihrer Arbeitgeberin Olivia Lockett das skandalöse Angebot erhält, deren verlorenen Sohn Jared zu heiraten und dann für einen Erben des Lockett-Imperiums zu sorgen, willigt die sanfte junge Frau ein. Sie hat keine andere Wahl und hofft, dass ihre tiefen Gefühle für Jared stark genug sind, den Preis für eine Vernunftehe zu zahlen. Doch hinter Jareds Fassade als wilder Rebell steckt ein einfühlsamer Mann, der zu tiefen Gefühlen fähig ist – und sich die Liebe nicht diktieren lassen möchte ...

• Die romantische Seite der Sandra Brown!
• Ein bewegender Liebesroman voller großer Gefühle, der zum sehnsüchtigen Mitfiebern einlädt!

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Seitenzahl: 552

Veröffentlichungsjahr: 2009

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Sandra Brown

Ein skandalösesAngebot

Roman

Aus dem Amerikanischenvon Beate Darius

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Die Originalausgabe erschien unter dem Titel »Hidden Fires« bei Warner Books Inc., New York, a Time Warner Company.
Copyright © Sandra Brown, 1982 Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2008by Blanvalet Verlag, München, in derPenguin Random House Verlagsgruppe GmbHNeumarkter Str. 28, 81673 MünchenCovergestaltung: Johannes Wiebel | punchdesign,nach einer Originalvorlage von HildenDesignCoverfoto: S. Hammid/zefa/CorbisMD · Herstellung: HNISBN : 978-3-641-03031-5V003
www.blanvalet.de
www.penguinrandomhouse.de
Inhaltsverzeichnis
 
Buch
Autorin
Liste lieferbarer Titel
Widmung
Liebe Leserinnen und Leser,
 
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
 
Liebe Leser und Leserinnen,
Copyright
Buch
Autorin
Sandra Brown arbeitete mit großem Erfolg als Schauspielerin und TV-Journalistin, bevor sie mit ihrem Roman »Trügerischer Spiegel« auf Anhieb einen großen Erfolg landete. Inzwischen ist sie eine der erfolgreichsten internationalen Autorinnen von Psycho-Thrillern, die mit jedem ihrer Romane die Spitzenplätze der internationalen Bestsellerlisten erreicht! Sandra Brown lebt mit ihrer Familie abwechselnd in Texas und South Carolina.
 
Weitere Informationen finden Sie unter www.sandra-brown.de
Liste lieferbarer Titel
Celinas Tochter (35002) · Die Zeugin (35012) · Blindes Vertrauen (35134) · Trügerischer Spiegel (35192) · Im Haus meines Feindes (35289) · Nacht ohne Ende (35447) · Schöne Lügen (35499) · Ein Hauch von Skandal (36273) · Nachtglut (35721) · Kein Alibi (35900) · Betrogen (36189) · Envy – Neid (36370) · Sündige Seide (36388) · Scharade (36470) · Verliebt in einen Fremden (36519) · Ein Kuss für die Ewigkeit (36620) · Crush – Gier (36606) · Wie ein Ruf in der Stille (36695) · Zum Glück verführt. Roman (36694) · Rage – Zorn (36838) · Weißglut (36986; ET 6/08)
Eisnacht (geb. Ausgabe, Blanvalet 0222 – ET: Januar 2008)
Für MichaelDanke für deine Engelsgeduld
Liebe Leserinnen und Leser,
dieser Roman erschien ursprünglich unter meinem Pseudonym Laura Jordan.
Die Handlung spielt um die Wende zum 20. Jahrhundert in Hill Country, einer faszinierend schönen Gegend in Texas. Der Roman erzählt die Geschichte der zauberhaften, wohlbehüteten Lauren Holbrook und des draufgängerischen Viehzüchters Jared Lockett. In einer Vernunftehe gefangen, finden die beiden nach vielen hitzigen Auseinandersetzungen, turbulenten Eifersuchtsszenen und Momenten voller Leidenschaft und Passion endlich zusammen das ersehnte Liebes- und Lebensglück.
Ich freue mich, Ihnen die romantische Liebesgeschichte von Lauren und Jared heute vorzustellen, und wünsche Ihnen viel Spaß bei der Lektüre.
 
Ihre Sandra Brown
1
Kaum war die junge Frau auf den Bahnsteig von Austin getreten, schlug ihr die Wärme eines sonnigschwülen Septembertages entgegen. Im Zug war es heiß gewesen, glutheiß wie in einem Backofen. Ihr sonst porzellanheller Teint schimmerte rosig erhitzt, winzige kohlschwarze Locken hatten sich aus ihrem streng frisierten Chignon gelöst und kringelten sich feucht unter den Bändern ihres Sommerhuts. Sie fächelte sich mit einem Spitzentaschentuch ein wenig Luft zu, während ihr Blick über die Menschenmenge glitt, auf der Suche nach dem hochgewachsenen, weißhaarigen Mann mit dem braunen Stetson.
Nach der Ankunft des Nachmittagszuges aus Fort Worth drängten sich die Leute auf dem kleinen Bahnhof. Die einen umarmten ihre heimkehrenden Angehörigen, andere wiederum winkten ihren Lieben zum Abschied. Hektisches Stimmengewirr in Englisch und Spanisch, untermalt vom dampfenden Zischen und Pfeifen der Lokomotive, steigerte sich zu einer ohrenbetäubenden Kakophonie. Kofferträger eilten geschäftig hin und her, manövrierten Gepäckkarren durch das Gewühl alter Damen, Geschäftsleute und Kinder.
Mexikanische Frauen in weiten, farbenfrohen Kleidern schoben sich über den Bahnsteig und boten Süßigkeiten, Blumen und texanische Souvenirs zum Verkauf. Vaqueros – spanische Cowboys – lehnten lässig an der Bahnhofsmauer, spielten mit ihren Lassos, drehten Zigaretten oder spähten missmutig zu dem wartenden Zug. Sie zogen einen wilden Pferderitt durch die texanischen Weiten den engen Eisenbahnabteilen allemal vor.
Heimlich beobachteten sie die junge Frau, die ihren schwanengleichen Hals nach jeder ankommenden Kutsche reckte. Ihre hellwachen grauen Augen umwölkten sich zusehends, zumal der Bahnhof sich langsam leerte. Mit raschelnden Röcken trippelte sie in ihren hochgeknöpften Stiefeln ziellos auf dem Bahnsteig hin und her.
Als Letzte schwangen sich die Vaqueros in den Zug, der nach Fort Worth zurückfuhr. Die meisten warfen vorher noch einen begehrlich-lasziven Blick zu der Fremden, die trotz der Hitze und ihrer erkennbaren Nervosität kühle Gelassenheit zur Schau trug.
Ein langer, schriller Pfiff, Stahl kreischte auf Stahl, und der Zug ruckelte in einer beißenden Qualmwolke über das Gleis, nahm Fahrt auf und verschwand.
Die Passanten zerstreuten sich. Die mexikanischen Händlerinnen bedeckten die Waren in ihren Körben mit Tüchern, die Gepäckträger zogen ihre Karren in den Schatten des Bahnhofsgebäudes und hielten Siesta.
Die junge Reisende in dem marineblauen Sergekostüm mit weißer Bluse und Strohhut stand schließlich einsam und allein neben ihrem wenigen Gepäck.
Sobald er das junge Mädchen entdeckte, schob Ed Travers sich aus der Tür des Bahnhofsgebäudes. Zog hastig die Weste über dem beachtlichen Leibesumfang stramm und stampfte zu ihr.
»Miss Holbrook?«, erkundigte er sich höflich. »Miss Lauren Holbrook?«
Als sie ihren Namen hörte, hellte sich ihr Gesicht auf. »Ja«, antwortete sie lächelnd und enthüllte makellos weiße Zähne. »Ja, ich bin Lauren Holbrook. Hat Ben … ähm … Mr. Lockett Sie geschickt, um mich abzuholen?«
Ed Travers ließ sich seine Verblüffung nicht anmerken. Stattdessen grinste er freundlich. »Nein, Miss Holbrook, nicht direkt. Ich bin Ed Travers, der Bahnhofsvorsteher. Tut mir leid, dass Sie warten mussten, aber ich hatte Probleme mit dem Telegrafiergerät …« Er hielt inne und hätte sich auf die Zunge beißen mögen, dass er die ohnehin heikle Situation zusätzlich komplizierte. »Bedaure, dass Sie hier draußen in der Gluthitze warten mussten. Kommen Sie mit, ich erkläre Ihnen alles.« Er winkte einem Kofferträger, der sich widerstrebend aus dem Schatten löste und Laurens Gepäck auflud.
Mr. Travers deutete zum Ende des Bahnsteigs und bot ihr höflich seinen Arm. Lauren zögerte. »Aber Mr. Lockett sagte doch …«
»Mr. Lockett wollte sie abholen, Miss Holbrook, das ist richtig, aber er ist krank geworden und bat mich …«
»Ben ist krank?«, fragte sie hastig. Sie wurde blass und umklammerte hektisch den Arm des Stationsvorstehers.
Ihre Reaktion verwunderte Ed Travers. Wieso fing sie dauernd von Ben Lockett an? Was verband das Mädchen mit dem alten Schwerenöter? Sie war hübsch, keine Frage. Und Ben hatte seit jeher einen Blick für schöne Frauen gehabt. Jeder in Texas wusste, was für eine Ehe Ben mit Olivia führte, trotzdem gab ihm dieses Mädchen Rätsel auf. Woher stammte sie? Und wieso kam sie nach Texas, um Ben Lockett zu besuchen? Sie war höchstens zwanzig und Ben gut über sechzig. Vielleicht Verwandtschaft? Wie ein Flittchen sah sie nicht aus. Und weshalb sollte Ben sich eine Geliebte halten? Er hatte …
»Mr. Travers, bitte.« Lauren, die händeringend auf seine Erklärung wartete, fragte sich im Stillen, warum der nette, freundliche Herr sie derart unverhohlen taxierte. Heimlich ärgerte sie sich, dass Ben nicht gekommen war, nachdem sie die anstrengende Reise von North Carolina auf sich genommen hatte. Sicher, er hatte ihr seinerzeit erklärt, dass er jemand anderen zum Bahnhof schicken werde, falls er in Coronado verhindert sei. »Ist Mr. Lockett krank?«, wiederholte sie.
»Sie meinen Ben?«, murmelte Travers abwesend. Dann räusperte er sich und setzte hinzu: »Nein, Jared sollte Sie vom Bahnhof abholen, aber der ist krank geworden.«
Er schob seine Hand unter ihren Ellbogen, führte sie gentlemanlike über die verwitterten Holzbohlen der Plattform.
»Jared?«, fragte sie erstaunt.
Grundgütiger! Sie kannte Jared nicht?! Aber dann – dann kam diese reizende junge Frau ja tatsächlich wegen Ben. Was führte er dieses Mal im Schilde? Er war berühmt-berüchtigt für seine makabren Scherze und bösen Streiche, mit denen er seine Mitmenschen des Öfteren in peinliche Bedrängnis brachte. Trotzdem ging Bens bisweilen makabrer Humor bestimmt nicht so weit, dass er seinen Schabernack mit der braven kleinen Miss Holbrook trieb, oder? Ed Travers hatte gleich gemerkt, dass sie ungewöhnlich naiv und vertrauensselig war – selbst im Jahr 1903 eine Seltenheit.
»Jared ist Bens Sohn, Miss Holbrook«, antwortete er geduldig. »Hat Ben ihn denn nie erwähnt?«
Lauren lachte fröhlich. »Aber ja, das hat er. Der Name war mir bloß entfallen.« Unversehens verdüsterte Besorgnis ihre Miene. »Jared ist krank?«
»Kann man so sagen«, grummelte Travers. Er fasste ihren Arm fester und führte sie die Treppe hinunter. Laurens Blick fiel auf ein am Straßenrand abgestelltes Fuhrwerk. Die grüne Farbe blätterte von den Seitenwänden, die Räder waren lehmverkrustet. Die beiden Gespannpferde standen unter einem hohen Pekannussbaum, wo sie an ein paar vertrockneten Grasbüscheln rupften.
Ein drittes Pferd, ein prachtvoller Palomino, war am Ende des Wagens festgebunden. Er warf seine helle Mähne temperamentvoll nach hinten und wieherte, als protestierte er gegen die Unverschämtheit, an einem derartigen Wrack festgemacht zu sein.
»Miss Holbrook, offen gestanden kam Jared schon gestern Abend in die Stadt, um Sie abzuholen. Heute Morgen fühlte er sich … ähm, tja … nicht wohl und bat mich, Sie nach Coronado zu bringen. Ich fürchte, die Fahrt wird nicht besonders angenehm. Bitte nehmen Sie es mir nicht krumm, aber dieses altersschwache Vehikel war das einzige, was ich auf die Schnelle auftreiben konnte.«
»Ach, das macht doch nichts.« Sie lächelte. Ed Travers wurde schwindlig von ihrem strahlenden Gesicht und ihrer sanften Stimme. Armer Irrer, schalt er sich und hastete zu dem Wagen.
Der Bahnhofsvorsteher half Lauren auf den Kutschbock. Als der Träger ihr Gepäck schwungvoll auf den grob gezimmerten Holzboden knallte, vernahm sie ein gedämpftes Stöhnen.
Sie drehte sich um und machte große Augen, als sie den hoch gewachsenen Mann gewahrte, der lang ausgestreckt auf der Ladefläche lag. »Mr. Travers!«, entfuhr es ihr. »Er ist doch nicht etwa verletzt, oder?«
»Nein«, antwortete Travers. »Nur ein bisschen indisponiert. Er wird es überleben, auch wenn er sich derzeit wünscht, er wäre lieber tot.« Letzteres brummelte er so leise, dass Lauren es nicht mitbekam.
Sie sank auf die wacklige Sitzbank. Das zerschlissene braune Lederpolster wies an manchen Stellen tiefe Risse auf, aus denen die Füllung hervorquoll. Die verrosteten Sprungfedern ächzten unter ihrem geringen Gewicht. Sie hielt den Blick stur auf die Straße gerichtet.
»Ich muss noch mal kurz in mein Büro, Miss Holbrook, um meine Vertretung einzuweisen. Danach geht es sofort los.« Ed Travers tippte sich abermals an den Hut und stapfte zurück ins Bahnhofsgebäude. Der Träger schlurfte hinterher.
Lauren seufzte. Hmm, ein schöner Empfang, aber was soll’s? Öfter mal was Neues, giggelte sie in sich hinein. Froh und erleichtert, dass sie die Reise nach Texas heil überstanden hatte. War es wirklich erst drei Wochen her, dass sie sich von Ben verabschiedet hatte? Ihr kam es vor wie eine halbe Ewigkeit. Seit seinem Besuch bei ihren Pflegeeltern und der spontanen Einladung nach Coronado war eine Menge passiert.
Sie hatten zusammen im Salon des Pfarrhauses gesessen. Lauren servierte den Tee, wie jedes Mal, wenn Reverend Abel Prather und seine Frau Sybil Gäste hatten. Die beiden waren mittleren Alters und hatten Lauren zu sich genommen, als ihr Vater, selbst Geistlicher, vor acht Jahren verstorben war. Sie hing an den Prathers, die tief gläubig und konservativ waren. Wenn sie Besuch hatten, dann meistens befreundete Seelsorger oder Mitglieder aus der kleinen Gemeinde.
Ihr Gast an dem betreffenden Tag war eine der seltenen Ausnahmen von der Regel gewesen. Ben Lockett hatte in den drei Kriegsjahren gemeinsam mit dem jungen Kaplan Prather in der Konföderiertenarmee gedient. Trotz ihrer unterschiedlichen Lebensperspektiven mochten die beiden Männer einander und hatten sich eine Menge zu erzählen.
Nach dem Krieg war Ben aus seiner Heimat Virginia in das unbekannte Texas gezogen. Er gehörte zu den ehrgeizigen jungen Männern, die die Ärmel hochgekrempelt und sich in den unberührten Weiten dieses Landes ein eindrucksvolles Imperium aufgebaut hatten. In den vierzig Jahren seit Kriegsende war Ben Lockett ein einflussreicher Viehbaron geworden.
Lauren war beeindruckt von dem großen, breitschultrigen Texaner, der trotz seines fortgeschrittenen Alters kein Gramm Fett angesetzt hatte. Das immer noch dichte, schneeweiße Haar trug er streng aus der Stirn gebürstet, blaue Augen blitzten verschmitzt unter buschig wei ßen Brauen, als hätte er die ganze Welt zum Freund. Aber wehe, man reizte ihn! Wenn er wütend war, wurde sein Blick stechend wie Eisnadeln.
Mit seiner tiefen, wohlmodulierten Stimme meinte er: »Miss Holbrook, jetzt erzählen Sie mir doch mal, was Sie über Texas wissen. Wir Texaner sind nämlich sehr stolz auf unser Land, müssen Sie wissen.« Er zwinkerte ihr fröhlich zu.
»Ich … ich weiß nicht besonders viel über Texas, Mr. Lockett«, stammelte sie aufrichtig. »Ich hab über die Schlacht von Alamo gelesen, das heutige San Antonio, und ich weiß, dass der Staat inzwischen unabhängig ist. Ansonsten beschränken sich meine Kenntnisse auf die Umschläge der Groschenheftchen, die im Kolonialwarenladen ausliegen. Darauf sind Zugüberfälle, riesige Viehherden und Saloons abgebildet. Keine Ahnung, ob man das für bare Münze nehmen kann.«
Ben warf den Kopf zurück und brüllte vor Lachen, dass die chinesischen Figurinen, die überall in Sybil Prathers mit Nippes vollgestopftem Salon standen, bedrohlich zu wackeln anfingen.
»Natürlich passieren bei uns Zugüberfälle, und ich selbst bin auch schon in dem einen oder anderen Saloon gewesen – der Herr möge mir verzeihen, Abel. Ich hab auch schon ein paar Rinderherden bis nach Mexiko runtergetrieben.« Er machte eine Kunstpause. »Vielleicht sind die Abbildungen, die Sie da gesehen haben, gar nicht so falsch, Miss Holbrook.« Er maß sie für einen langen Augenblick, ehe er vorschlug: »Wieso kommen Sie nicht einfach mit und machen sich selbst ein Bild von Texas?«
Lauren verschlug es vollkommen die Sprache.
»Ben, du machst wohl Witze! Alter Scherzbold.« Abel lachte.
»Da sei Gott vor! Meine arme Lauren fährt mir nicht nach Texas. Nachher wird sie noch von Indianern skalpiert!«, entrüstete sich Sybil. Ein Entsetzenslaut brachte die gerüschte Stoffpartie über ihrem wogenden Busen zum Erzittern.
»Was für ein absurder Vorschlag!«, kam es von William.
William. Stimmt, William Keller war auch da gewesen.
Lauren schauderte trotz der brütenden Hitze. Sie verbannte William kurzerhand in den hintersten Winkel ihrer Gehirnwindungen, zumal er ihr das Wiedersehen mit Ben Lockett bloß vergällt hätte.
Ein weiteres Stöhnen, dieses Mal gefolgt von leisem Fluchen, riss sie aus ihrer Träumerei. Zaghaft drehte sie den Kopf zu dem indisponierten Jared. Ihr Blick erfasste einen kunstvoll mit Silbernägeln beschlagenen Sattel aus schwarzem Leder. Ihr Gepäck stand ganz hinten im Wagen, neben seinen Füßen.
Er ist verflixt groß, schoss es Lauren nach einem kurzen Blick auf Bens Sohn durch den Kopf. Zudem schlank und gut gebaut. Nach diesem ersten flüchtigen Eindruck inspizierte sie ihn genauer und zunehmend faszinierter.
Er trug schmal geschnittene schwarze Reithosen, die in kniehohen schwarzen Lederstiefeln steckten. Lauren errötete über den figurbetonten Sitz – der Stoff umspannte seine langen, muskulösen Beine wie eine zweite Haut.
Ihr stockte der Atem, als sie die verräterische Ausbuchtung in Höhe seines Schritts gewahrte. Das anschmiegsame Material hob diesen Teil seiner Anatomie deutlich hervor. Für Lauren mit ihrer ungemein prüden Erziehung ein Ding der Unmöglichkeit. Wie konnte jemand nur so schamlos freizügig sein im Umgang mit seinem Pe… äh … mit seiner Person?, überlegte sie.
Sie spürte, wie ihre Handflächen in den Handschuhen zu schwitzen begannen. Und riss kurz entschlossen den Blick von seinem Schritt.
Er trug ein erdfarbenes Hemd, das salopp im Hosenbund steckte. Die Hemdknöpfe waren bis auf die untersten beiden geöffnet, und der weich aufklaffende Stoff enthüllte einen trainierten Brustkorb, der sich unter Jareds Atemzügen gleichmäßig hob und senkte. Goldbraun gekräuselter Flaum schimmerte im Sonnenlicht, das durch die belaubten Äste des Pekannussbaums flimmerte.
Lauren hatte noch nie eine entblößte Männerbrust gesehen. Doch, ein einziges Mal, als ein Mitglied aus Reverend Prathers Gemeinde hohes Fieber gehabt hatte und eine der verheirateten Frauen ihn hatte baden müssen. Der Kranke war kugelrund gewesen, seine Haut schweinchenrosa, seine Brust schwammig und unbehaart. Kein Vergleich mit Jared Lockett.
Lauren spürte ein sonderbares Kribbeln in der Magengegend und schluckte schwer.
Jared Lockett stöhnte erneut, und sie hielt erschrocken den Atem an. Hoffentlich war er nicht wach geworden und registrierte, dass sie ihn freimütig begutachtete. Leise seufzend presste er eine sehnige, braun gebrannte Hand auf seinen flachen Waschbrettbauch. Auf seinem Handrücken spross sonnengebleichter Flaum.
Laurens Blick wanderte von den Schultern über den breiten Nacken zu seinem Kopf und … war maßlos enttäuscht! Sein Gesicht wurde von einem schwarzen, breitkrempigen Cowboyhut verdeckt. Ob Bens Sohn wohl gut aussah?, rätselte sie, neugierig geworden.
Weiterhin mit den körperlichen Vorzügen des Fremden beschäftigt, merkte sie gar nicht, dass Ed Travers zurückgekehrt war.
Sie fuhr ertappt zusammen, als er trocken bemerkte: »Alle Unklarheiten beseitigt. Ich denke, wir können losfahren.«
»Es ist wirklich sehr nett von Ihnen, dass Sie mich hinbringen, Mr. Travers.« Sie wunderte sich, dass ihre Stimme so gefasst klang, obwohl ihr prickelnde Schauer über die Haut jagten.
»Kein Problem. Das mach ich doch gern für Sie«, versicherte Travers ihr eilends.
Er fasste die Zügel und lenkte die Pferde durch die belebten Straßen. Auf ihrer Fahrt durch Austin überholten sie Kutschen, Einspänner und Reiter. Automobile, wie Lauren sie in Raleigh gesehen hatte, fehlten hier in diesem Straßenbild noch.
Sie genoss die kleine Rundfahrt durch die texanische Hauptstadt. »Sie sind sicher sehr stolz auf Ihr Regierungsgebäude. Ich habe darüber gelesen. In natura ist es noch eindrucksvoller als auf den Bildern.«
Travers griente. »Der rote Granit stammt aus einem Steinbruch in unmittelbarer Nähe der Lockett-Ranch.«
»Keypoint«, versetzte Lauren. Ben hatte in den höchsten Tönen von seiner Ranch geschwärmt. Und von einem Ohr zum anderen gegrinst, als sie Keypoint als Name für eine Ranch sehr gelungen fand.
Bei der Erinnerung lächelte Lauren. Travers, der sie aus den Augenwinkeln beobachtete, dachte sich seinen Teil. Aha, Keypoint war ihr mithin ein Begriff. Wusste sie auch, wer dort lebte? Betont beiläufig erkundigte er sich: »Waren Sie schon mal in Texas, Miss Holbrook?«
»Nein. Umso mehr freue ich mich über Bens Einladung und dass ich eine Weile bei seiner Familie wohnen kann.«
Der Planwagen machte einen ruckelnden Satz, da Travers unvermittelt an den Zügeln riss. Sie würde wo wohnen? In dem Haus in Coronado? Oder in Keypoint? Beides wäre unvertretbar. Dieses naive Mädchen war immerhin ein völlig unbeschriebenes Blatt. War Ben, dieser Verrückte, jetzt völlig übergeschnappt?
Sie ließen die Stadt hinter sich und rollten über eine viel befahrene Straße nach Westen. Als Lauren die Hutnadeln aus ihrer Kopfbedeckung zu ziehen begann, warnte Travers: »Ich würde das an Ihrer Stelle nicht tun, Miss Holbrook. Die Sonne brennt hier erbarmungslos heiß vom Himmel. Nachher holen Sie sich noch einen Sonnenbrand auf Ihrem hübschen Näschen.«
Lauren nickte, rückte den Hut zurecht und schlüpfte stattdessen aus ihrer Kostümjacke. Ein leichter Fahrtwind kühlte ihre erhitzten Wangen.
Nachdem sie sich wieder gesetzt hatte, vertiefte Travers sich erneut in seine Gedanken. Es war nicht hinnehmbar, dass eine anständige Frau mit Jared Lockett unter einem Dach lebte!
Bens Sohn war ein notorischer Schürzenjäger und berüchtigt für seine Trinkexzesse. In seiner Jugend hatte es immer bloß geheißen: Der Junge muss sich die Hörner abstoßen. Inzwischen über dreißig, erregte er mit seinen ständigen Affären und Eskapaden den Zorn der Öffentlichkeit. Wann würde der Bursche endlich anfangen, sich manierlich aufzuführen, und Verantwortung für sein Leben übernehmen? So bald sicher nicht, sinnierte Travers dumpf.
Erst letzten Monat hatte Jared am Bahnhof von Rosenburg für Ärger gesorgt. Er und seine Zechkumpane verbrachten den Nachmittag im Harvey House mit Saufen und Glücksspiel und benahmen sich wie der letzte Abschaum. Irgendwann hatte Lockett einer der Kellnerinnen ein unsittliches Angebot gemacht. Die jungen Damen, die bei der Restaurantkette der Santa Fe Railroad arbeiteten, vertraten strikte moralische Wertvorstellungen: wenn Angebot, dann Heiratsantrag mit hübschem Häuschen. Vor der Ehe lief ansonsten gar nichts.
Als das Mädchen sich gegen seine Annäherungsversuche sträubte, war Jared aggressiv geworden, und die Geschäftsführung hatte ihm Lokalverbot erteilt. Vorher hatte er aber noch Mobiliar und Geschirr zertrümmert und ein paar von den Gästen krankenhausreif geschlagen. Zu sechst schafften sie es schließlich, ihn zu überwältigen.
Tja, seufzte Travers, vermutlich war es besser, dass die junge Frau von Jareds Missetaten nichts ahnte. Bestimmt wäre sie vor Schreck in Ohnmacht gefallen.
»Ist es im September immer so heiß in Texas?«, versuchte Lauren den Bahnhofsvorsteher in ein Gespräch zu verwickeln. Im Salon der Prathers hatte sie sich gelegentlich in höflicher Konversation geübt. Mr. Travers behandelte sie zwar sehr nett, jedoch befremdete es sie, dass er sie mit einer Skepsis musterte, als käme sie von einem anderen Stern.
»Ja«, antwortete er mit einem entwaffnenden Grinsen. »Erst gegen Ende Oktober wird es bei uns kühler. Meistens ist es im September sogar noch wärmer als im Juni oder Juli. Ist es bei Ihnen auch so heiß?« Er warf ihr einen fragenden Blick zu, und sie enttäuschte ihn nicht.
»Sie meinen in North Carolina? Ich komme aus Clayton, einem kleinen Ort im Umkreis von Raleigh. Nein, bei uns ist es in den Sommermonaten gewiss nicht so heiß wie hier.«
»Und dort lernten Sie Ben kennen?«, hakte er nach. Auf ihr bekräftigendes Nicken hin bohrte er weiter: »Und was hat Ben nach Clayton in North Carolina verschlagen?«
Lauren erzählte ihm von der Freundschaft zwischen dem Reverend und dem Rancher. »Sie hatten jahrelang miteinander korrespondiert, und auf seinem Rückweg von einer Geschäftsreise nach New York beschloss Ben spontan, seinem alten Freund einen Besuch abzustatten.«
»Wie lange leben Sie schon bei Ihren Pflegeeltern?« War er zu neugierig? Er mochte sie nicht brüskieren – nicht dass er nachher noch Ärger mit den Locketts bekäme! Sie antwortete ihm jedoch bereitwillig und offen.
»Mein Vater war Geistlicher in Abel Prathers Gemeinde. Der Reverend ist der Vorsteher des Kirchenkreises. Als Dad starb, war ich zwölf. Die Prathers gaben mir ein neues Zuhause.«
»Und Ihre Mutter?«, erkundigte Travers sich behutsam.
»Sie starb nach einer Totgeburt. Ich war damals drei.« Ihre Stimme klang unvermittelt weich und wehmütig. Travers beobachtete, wie ihre Finger nach der kleinen Schmuckuhr tasteten, die an ihrer Bluse festgesteckt war, etwas oberhalb ihrer sanft gerundeten Brüste.
Die kleine Brosche war das einzige Andenken, das sie an ihre Mutter hatte. Abgesehen von dem Hochzeitsfoto ihrer Eltern. Bedauerlicherweise konnte sie sich absolut nicht mehr an die hübsche, zierliche Frau erinnern, die auf dem Bild verschüchtert in die Kamera blickte. Wenn sie angespannt oder nervös war, nestelte Lauren unwillkürlich an der Ansteckuhr. Es war eine Marotte von ihr.
Nach dem Tod seiner jungen Frau hatte Gerald Holbrook sich rigoros in seine Arbeit gestürzt. Hatte gebetet und meditiert, theologische Glaubenssätze verfasst und flammende Predigten für seine Gemeinde vorbereitet. Um seine kleine Tochter hatte sich währenddessen die jeweilige Haushälterin gekümmert. Lauren, die wusste, dass er sie im Grunde seines Herzens liebte, trug es ihrem Vater nicht nach, wenngleich sie ein wenig Nähe und Vertrautheit sehr begrüßt hätte. Ihr Dad lebte eben auf einer höheren Bewusstseinsebene – genau wie Gott.
Sie war ein wohlerzogenes Kind, still und folgsam saß sie neben ihrem Vater, wenn er in seiner Bibliothek arbeitete. Sie lernte schon früh lesen, und die Buchhelden wurden zu ihren Spielgefährten und Vertrauten. Die Klassenkameraden wussten mit dem »Pfaffenkind« nicht viel anzufangen. Lauren war sich selbst genug, sie fand immer irgendetwas, womit sie sich beschäftigen und ablenken konnte.
Nach Gerald Holbrooks Tod zog Lauren zu den Prathers und fügte sich ohne zu murren in deren Lebensrhythmus ein. Selbst kinderlos, nahm das gutherzige Pastorenehepaar das heranwachsende Mädchen mit offenen Armen auf. Großzügig ermöglichten sie Lauren Klavierunterricht. Sie war musisch begabt, und das Klavierspiel kam für sie gleich nach der Literatur.
Ihre Pflegeeltern erzählten jedem, wie stolz sie auf Lauren waren. Sie hatte sie nie belogen oder gar enttäuscht.
Außer bei William. Wie ungerecht sie sich ihr gegenüber verhalten hatten!, schoss es Lauren durch den Kopf. Sie konnte doch wirklich nichts dafür!
»Miss Holbrook?«, wiederholte Ed Travers zum dritten Mal und riss sie schließlich aus ihren brütenden Gedanken.
»Verzeihen Sie, Mr. Travers. Was meinten Sie eben?« Lauren fühlte sich ertappt und errötete unter dem breitkrempigen Strohhut.
»Ich fragte, ob Sie einen Schluck Wasser möchten.« Er tastete hinter der Sitzbank nach einer frisch gefüllten Wasserflasche.
»Danke, gern.« Lauren, die noch nie aus einer Flasche getrunken hatte, fühlte sich ähnlich wie die ersten Siedlerfrauen, als sie den Kopf zurückbog, das Behältnis an die Lippen setzte und ein winziges, damenhaftes Schlückchen in ihre Kehle rinnen ließ.
2
Laurens Kopf schnellte ruckartig herum. Es fehlte nicht viel, und sie hätte sich den Nackenwirbel ausgerenkt. Jared zog den Hut tiefer ins Gesicht. Schob sich in eine andere Lage und ließ dabei Muskeln spielen, von deren Existenz Lauren gar nichts geahnt hatte. Typen wie er liefen einem in Clayton, North Carolina, schließlich nicht jeden Tag über den Weg. Seine lasziven Bewegungen waren abstoßend und anziehend zugleich, ähnlich denen einer geschmeidig schönen, gefährlichen Raubkatze.
Sie blickte zu Ed Travers, dessen Gesicht knallrot anlief. »Ich bin untröstlich, Miss Holbrook. Bitte, überhören Sie, was er gesagt hat. Er ist …«
Sie unterbrach ihn mit einer Gegenfrage. »Was hat er denn eigentlich?«, erkundigte sie sich vorsorglich. Womöglich war Bens Sohn ernsthaft krank.
»Er … öhm … hat einen in der Krone.« Als sie ihn daraufhin mit verständnislosem Blick ansah, erklärte Travers ungnädig: »Na ja, er hat gestern Abend zu tief ins Glas geschaut.« Sollte sie doch ruhig wissen, was Jared für einer war. »Und jetzt ist er …«
»Betrunken?«, fragte sie ungläubig. »Er hat einen Rausch oder so?« Sie starrte mit vor Entsetzen geweiteten Augen zu dem lang hingestreckt daliegenden Cowboy. Sie war zwanzig Jahre alt und noch nie beschwipst gewesen. An Erntedank und Weihnachten mal ein Gläschen Sherry oder Wein waren das Äußerste an Alkoholexzess im Hause der Prathers gewesen.
Jared schien in einen erneuten Dämmerschlaf geglitten zu sein. Gedämpfte Schnarchgeräusche entwichen dem schwarzen Stetson.
»Ja. Bitte regen Sie sich nicht auf, Miss Holbrook. Es ist nicht das erste Mal. Wir können froh sein, dass der Sheriff ihn in dem Zustand nicht aufgegriffen und in eine Ausnüchterungszelle gesperrt hat, wo er seinen Rausch hätte ausschlafen müssen. Gottlob kam Jared heute Morgen in mein Büro gewankt und bat mich, Sie am Bahnsteig abzufangen und Sie beide dann nach Coronado zu fahren. Eine Stunde vor Ihrer Ankunft ist er dann aus den Latschen gekippt.«
»Ben erzählte mir, dass er jemanden schicken würde, falls er nicht selbst nach Austin kommen könnte. Sein Sohn war bestimmt nicht allzu glücklich darüber, dass er dazu verdonnert wurde, was meinen Sie?«
»Das spielt keine Rolle. Er hat den Anweisungen seines Vaters Folge zu leisten. Trotz ihrer gelegentlichen Differenzen respektiert Jared seinen Dad.«
Lauren warf einen skeptischen Blick über ihre Schulter. »Ich kann mir kaum vorstellen, dass Jared Lockett vor irgendwem oder irgendwas großartig Respekt hat.«
Ed Travers schmunzelte, derweil er den Wagen um ein weiteres Schlagloch lenkte. »Da haben Sie wohl Recht, Miss Holbrook.«
Eine längere Pause schloss sich an. Er hing seinen Gedanken nach, Lauren betrachtete die vorüberziehende Landschaft.
Ben hatte ihr erzählt, dass er in den höheren Lagen von Texas lebte, und das stimmte. Die Landstraße westlich von Austin führte über sanft ansteigende, mit braun verdorrtem Gras bedeckte Bergrücken. Rechts unter ihnen schlängelte sich ein von Zypressen gesäumter Fluss, Vieh graste unter schlanken Zedernstämmen.
Obwohl die Sonne bereits sank, kühlte es sich kaum ab. Lauren fühlte, wie winzige Schweißperlen sich von ihrer Stirn lösten und über ihre Schläfen rollten. Sie hätte am liebsten den Hut heruntergerissen, die Nadeln aus dem Chignon gelöst und ihre wilden Locken in der leichten Brise geschüttelt.
Die Pflege von Laurens Haaren hatte noch jede Haushälterin zur Verzweiflung gebracht. Mrs. Dorothea Harris, eine verbitterte Witwe und der letzte Hausdrachen vor Gerald Holbrooks Tod, hatte fortwährend gestöhnt, dass auf dem Kopf der Kleinen genug Haare für sechs Kinder sprießen würden. Jeden Morgen band sie ihr so feste Zöpfe, dass dem Mädchen Tränen in die Augen traten. Sie habe eben das dichte schwarze Haar ihrer Mutter geerbt, beteuerte ihr Vater, und darauf war Lauren stolz.
Natürlich durfte sie den Hut nicht abnehmen, geschweige denn ihre Haare offen tragen. Sie besuchte die Locketts, und für eine junge Dame schickte sich dergleichen in der Öffentlichkeit nicht.
Missmutig betrachtete sie die dünne Staubschicht auf ihrem dunkelblauen Rock. Ihr grauste vor der Ankunft in diesem wenig präsentablen Aufzug. Was mochte Ben von ihr denken? Ob er seine Einladung nicht inzwischen schon bereute? Lauren legte großen Wert darauf, dass sie bei seiner Familie einen guten Eindruck machte.
Sie wischte hektisch über den Stoff, aber vergeblich. Der Staub war überall.
Ed Travers sagte: »Hier ist es wegen der Trockenheit sehr staubig. Ben muss mit Engelszungen auf Sie eingeredet haben, sonst hätten Sie das milde Klima von North Carolina bestimmt nicht verlassen, um in diese verdorrte Einöde zu kommen.« Es war ihm weiterhin schleierhaft, was es mit Lauren Holbrooks Besuch bei den Locketts auf sich haben mochte.
Lauren lachte. »Er musste mich nicht lange überzeugen. Ich bin auch gar nicht enttäuscht. Ich finde es schön hier.«
»Wie lange werden Sie bleiben?«, rutschte es ihm heraus.
Sie schlug hastig die Augen nieder und ballte die Hände zu Fäusten. »Ich … ich … das steht noch nicht fest.« Sie fasste sich wieder und fuhr fort: »Es hängt von Mrs. Lockett ab. Ich soll nämlich ihre Sekretärin werden.«
Ed Travers fiel fast von der Sitzbank. Olivia Lockett mit einer Privatsekretärin? Was für eine Nummer zog der alte Ben da wieder ab?
Er schluckte schwer, bevor er mit sich überschlagender Stimme fragte: »Was sollen Sie denn für Mrs. Lockett machen?«
»Wissen Sie, ich habe meinen Pflegeeltern jahrelang geholfen, ihre Gäste zu unterhalten, sie bewirtet und zwanglos mit ihnen geplaudert – was man halt so macht. Ben dachte, ich könnte Mrs. Lockett diesbezüglich ein bisschen unter die Arme greifen. Außerdem kann ich ihr bei ihrer Korrespondenz helfen. Die Dauer meines Besuches hängt davon ab, ob sie mich mag und ob wir uns verstehen«, antwortete Lauren. Während sie ihm ihre Zukunft schilderte, versuchte sie sich mental damit anzufreunden.
Die Ärmste, sann Travers. Er tippte darauf, dass Olivia Lockett das hübsche junge Ding umgehend in den nächsten Zug nach Hause setzen würde. Olivia duldete nämlich keine Konkurrenz neben sich. Ein vernichtender Blick aus ihren kühlen, grünen kreolischen Augen, und das arme Kind wäre völlig verschüchtert.
Intuitiv fühlte Lauren Travers’ Bedenken. So ähnlich war es ihr auch gegangen, als Ben ihr aus heiterem Himmel dieses Angebot gemacht hatte. Sie war völlig perplex gewesen.
 
Es hatte missratenen Lammbraten und ungewürztes Gemüse gegeben, das Standardgericht aus Sybil Prathers Küche. Lauren schämte sich insgeheim, weil das Essen nahezu ungenießbar war, und atmete erleichtert auf, dass Ben Lockett mit scheinbarem Appetit seinen Teller leerte. Allerdings nahm er nicht nach.
Nach dem Essen hatte Lauren sich auf Drängen der Prathers ans Klavier gesetzt und den Gästen vorgespielt. Ihre Stücke kamen wie üblich gut an, allerdings machte sie der jubelnde Applaus der Prathers ziemlich verlegen.
Sybil, ihre üppigen Rundungen in ein rosa gerüschtes Nachmittagsensemble gepresst, thronte auf einem scheußlich gemusterten Polstersofa neben ihrem Gatten. Bedauerlicherweise hatte sie ein Händchen weder für Mode noch für die Gestaltung des Hauses. Ihr Motto lautete: »Mehr ist besser.« Dunkler Samt und schwere Brokatstoffe nahmen einem die Luft zum Atmen. Kerzenleuchter und Vasen aus dunklem Kristallglas unterstrichen das düstere Ambiente. Tapeten mit altmodischen Drucken und ein rostbrauner Teppich mit großen Blumen in Gelb- und Orangetönen dominierten die gute Stube.
Die Pastorenfrau strahlte vor Stolz, als Abel ihre preisgekrönten Rosen erwähnte. Zu ihrer Verblüffung und zu William Kellers Empörung bat Ben darum, Lauren möge ihm den viel gepriesenen Garten zeigen.
Es war ein schöner, lauer Abend, als Lauren Ben durch den kleinen Rosengarten führte. Leise ertönte der Gesang der Zikaden, und sie setzten sich auf eine schmale Bank.
»Züchten Sie Rosen in Texas, Mr. Lockett?«
»Oh ja. Ich habe einen mexikanischen Gärtner, der sich in Coronado um die Gartenpflege kümmert. Seine Rosen sind noch viel prachtvoller und duftender als Sybils. Ich glaube, sein Geheimnis ist die eine oder andere Schaufel Pferdemist.«
Eine kleine Pause schloss sich an. Lauren wusste nicht recht, wie sie auf seinen unappetitlichen Einwurf reagieren sollte. Dann lachten beide spontan.
»Danke, dass ich Ihnen den Garten zeigen durfte«, hob sie an. »Abel und Sybil richten es für gewöhnlich so ein, dass ich mit William eine Weile allein bin.«
»Und das mögen Sie nicht?«
Sie schauderte. »Um Himmels willen, nein, ganz bestimmt nicht.«
William Keller war fünfunddreißig, ein junger Prediger, der einer kleinen Gemeinde außerhalb von Clayton vorstand. Lauren konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass er unter seinem Mäntelchen der Frömmigkeit ehrgeizig und berechnend war. Ständig versuchte er, den Bischof mit seinen strengen moralischen Wertvorstellungen und seiner grenzenlosen Nächstenliebe zu beeindrucken.
Dummerweise witterten die Prathers in William den idealen Ehekandidaten für Lauren. Mindestens dreimal am Tag beteten sie ihr seine Vorzüge vor, gleich einer bitter schmeckenden Medizin, die man regelmäßig einzunehmen hat, damit sie Wirkung zeigt.
Die junge Frau hatte in puncto ehelicher Pflichten lediglich eine vage Vorstellung. Schlimm genug, mit ihm in einem Raum zu sein – eine Heirat kam gar nicht infrage! Lieber wollte sie als alte Jungfer sterben.
Lauren, die für gewöhnlich vorbehaltlos auf Menschen zuging, fand William unattraktiv, langweilig und bigott. Es widerte sie an, dass er jeden Blickkontakt mied, wenn man sich mit ihm unterhielt. Er war groß, hatte Hängeschultern und dünnes Blondhaar, das ihm dauernd in die von blassblonden Wimpern umrahmten, ausdruckslosen hellen Augen fiel. Seine Nase war eine mittlere Katastrophe und ließ sich am besten mit Riechkolben umschreiben. Kurzum, William war für Lauren ein rotes Tuch.
Ben Lockett räusperte sich geräuschvoll, brachte das Thema jedoch nicht wieder auf den jungen Mann. Stattdessen fragte er: »Was machen Sie denn so, Miss Holbrook?« Lauren schaute ihn unschlüssig an. Darauf setzte er erklärend hinzu: »Ich meine, womit beschäftigen Sie sich hier? Leben Sie gern bei den Prathers?«
Sie antwortete ihm mit erfrischender Direktheit. »Die Prathers sind liebe Leute, und es war sehr nett von ihnen, dass sie mich nach dem Tod meines Vaters bei sich aufnahmen. Ich hatte keine Angehörigen. Vater hatte ein bisschen was gespart, aber das mochten sie nicht annehmen. Ich hatte eigentlich vor, Musikstunden zu geben oder Lehrerin zu werden und mein eigenes Geld zu verdienen, aber davon wollen die Prathers nichts hören. Sie möchten nicht, dass ich eine Arbeitsstelle annehme.«
»Und deshalb spielen Sie die Gesellschafterin für ihre Gäste? Und das ist alles?« Er lächelte warm, und sie fasste seine Äußerung nicht als Kränkung auf.
»Es ist kein besonders aufregender Job, nicht?«, meinte sie schulterzuckend. »Ach ja, ich arbeite natürlich ehrenamtlich für die Kirche, kümmere mich um Behinderte und Kranke und helfe jungen Müttern im Haushalt. Ich spiele sonntags im Gottesdienst die Orgel und unterrichte in der Sonntagsschule.« Sie schüttelte sich innerlich – igitt, das klang ja schaurig langweilig.
»Haben Sie schon mal daran gedacht, eine eigene Familie zu gründen? An eine Heirat und Kinder?« Seine tiefblauen Augen bohrten sich beschwörend in ihre.
»Ich … nein, nicht wirklich«, sagte sie verlegen und schlug die Augen nieder.
»Wissen Sie, wenn ich eine Entscheidung treffen muss, reite ich am liebsten für ein paar Tage allein aus. Ich bin gern allein, allein mit meinem Pferd und Mutter Natur.«
»Und wohin reiten Sie dann?«, fragte sie zunehmend interessiert.
»Ich reite die Zäune ab, um mich zu vergewissern, dass sie noch stehen und intakt sind. Bisweilen versuchen Viehdiebe nämlich, unsere Rinder zu stehlen, oder irgendein Schafzüchter treibt seine Herde heimlich an Wasserstellen auf Lockett-Gebiet, ohne für die Weidenutzung zu bezahlen.«
Lauren atmete tief ein und langsam wieder aus. »Das klingt … so … traumhaft, spannend, aufregend. Mir fehlen die Worte.«
»Ja, stimmt. Von allem etwas.« Er betrachtete versunken seinen Fingerknöchel. »Warum begleiten Sie mich nicht einfach nach Texas?«, wiederholte er sein Angebot mit mehr Nachdruck als am Nachmittag im Beisein der Prathers.
»Das ist nicht Ihr Ernst, Mr. Lockett.«
»Oh doch, Miss Holbrook. Ich bin ein alter Cowboy, der immer sagt, was er denkt.«
»Aber wovon in Himmelherrgottsnamen sollte ich dort meinen Unterhalt bestreiten?« Es war ein Ding der Unmöglichkeit, trotzdem lockte sie die Vorstellung von einem solchen Abenteuer.
»Meine Frau engagiert sich sehr für Kunst und Kultur und nimmt aktiv am Gesellschaftsleben von Coronado teil. Dort wohnen wir. Die Stadt ist ungefähr einen halben Tagesritt von Austin entfernt. Ich bin die meiste Zeit auf Keypoint oder dienstlich unterwegs. Ich denke, sie könnte jemanden mit Ihren Fähigkeiten gut gebrauchen. Sie sind eine charmante Gesellschafterin, eine ausgezeichnete Pianistin und sehr belesen, außerdem könnten Sie ihre Korrespondenz erledigen und dergleichen. Na, was meinen Sie?«
Als sie nicht antwortete, führte er seinen Standpunkt weiter aus: »Natürlich würden wir Ihnen ein Gehalt zahlen, und Sie bekämen ein Zimmer in unserem Haus. Mein Sohn hat nie geheiratet, deshalb haben wir reichlich Platz. Tja, das mit den Enkelkindern wird wohl nichts werden. Ich hatte nämlich gehofft, ich würde irgendwann Großvater.« Eine längere Pause schloss sich an, und als Lauren zu ihm spähte, starrte er versunken auf die Rosenbüsche. Er riss sich aus seinen Gedanken und fuhr fort: »Und noch eins. Ich möchte, dass Sie sich bei uns wie zu Hause fühlen und nicht wie eine Angestellte.« Er grinste gewinnend.
»Und wieso machen Sie mir den Vorschlag? Wenn Mrs. Lockett eine Sekretärin wollte, hätte sie vermutlich längst eine gefunden.«
Er zuckte wegwerfend mit den Achseln. »Ganz bestimmt sogar. Wahrscheinlich ist meine Frau noch nie auf die Idee gekommen, sich eine zu suchen. Kommen Sie, sagen Sie ja.« Er zwinkerte ihr unter buschigen weißen Brauen zu.
»Mr. Lockett, ich weiß Ihr Angebot wirklich zu schätzen«, sagte Lauren ernst, »aber mein Platz ist hier. Mein Vater hätte es so gewollt.«
»Ihr Vater ist tot. Und Sie leben. Aber Sie werden vor Langeweile irgendwann eingehen wie eine Primel, wenn Sie hier nicht mal rauskommen.«
Lauren fuhr zusammen, da er abrupt aufstand und sich ungeduldig die Beine vertrat. Als er sich wieder zu ihr drehte, musterte er sie gütig, und seine Stimme klang nachsichtig-milde.
»Lauren«, redete er sie mit ihrem Vornamen an, »ich weiß, dass Sie es gewohnt sind, widerspruchslos zu gehorchen. Und ich bewundere Ihr Pflichtgefühl. Andererseits sind Sie neugierig, lebenshungrig und möchten etwas von der Welt sehen. Sie könnten eine Weile bei uns bleiben, und wenn es nicht klappt oder wenn Sie Texas und die Locketts wider Erwarten nicht mögen sollten, dann kaufe ich Ihnen eine Rückfahrkarte nach Clayton. Kein Problem.«
Wäre sie vernünftig gewesen, hätte sie seine Einladung augenblicklich angenommen! Stattdessen murmelte sie mit gesenktem Kopf: »Mr. Lockett, tausend Dank für Ihre Einladung, aber ich kann hier nicht weg.« Sie schüttelte wehmütig den Kopf. »So bin ich eben erzogen worden, pflichtbewusst und folgsam. Vermutlich werde ich bei den Prathers versauern. Sie brauchen mich. Es würde ihnen das Herz brechen, wenn ich sie im Stich ließe.«
»Und was ist nach dem Tod der beiden? Was machen Sie dann, gesetzt den Fall, Sie haben nicht schon vorher diesen William Keller oder irgendeinen anderen Langweiler geheiratet?«
»Ich bin sicher, die Prathers haben Vorsorge für mich getroffen.«
Er seufzte schwer und wirkte so geknickt, dass Lauren es sich beinahe noch anders überlegt hätte. Er sah unvermittelt um Jahre gealtert aus, der Blick seiner tiefblauen Augen war betrübt.
»Telegrafieren Sie mir umgehend, falls Sie es sich noch anders überlegen sollten. Es ist mein voller Ernst. Meine Einladung steht.«
»Danke, Mr. Lockett«, erwiderte sie höflich. Fast entschuldigend setzte sie hinzu: »Ich will wahrhaftig nicht so werden wie die Prathers.« Gleich darauf ruderte sie entsetzt zurück: »Nein, nein, so hab ich das nicht gemeint …«
»Ich weiß, was Sie meinen, Miss Holbrook. Sie möchten Ihren Horizont erweitern, anders als die Prathers, korrekt?«
»Ja! Was Sie sagen, stimmt.«
»Also, vergessen Sie nicht, sollten Sie es sich noch anders überlegen …«, wiederholte er leise, während sie den Rückweg antraten.
 
Die Sonne brannte mit gnadenloser Härte auf den Planwagen. Lauren fühlte sich wie erschlagen. Ihre Schulter- und Rückenmuskulatur schmerzte von der steifen Sitzhaltung auf der ungemütlichen Lederbank. Obwohl sie durstig der Wasserflasche zusprach, war ihre Kehle wie ausgedörrt von dem aufwirbelnden Straßenstaub, den sie permanent einatmete. Sie hatte die Hoffnung schon fast aufgegeben, dass sie ihr Ziel jemals erreichen würden. In diesem Augenblick deutete Ed Travers mit einem Kopfnicken nach vorn und sagte: »Das ist Coronado.«
Der Wagen rumpelte soeben über einen Felsgrat, was Lauren einen Panoramablick auf die kleine Stadt eröffnete, in der Ben lebte, wenn er nicht auf seiner Ranch war. Während die Pferde den Abhang hinuntertrabten, fragte sie interessiert: »Wie viele Einwohner hat die Stadt?«
»Hmm, so etwa dreitausend«, erwiderte Travers.
»Und wie weit ist die Ranch von hier entfernt? Ich meine Keypoint?«
»Ungefähr drei Stunden Ritt nach Westen.«
Um ihre Enttäuschung über diese deprimierende Auskunft zu überspielen, lenkte sie ihr Interesse auf Coronado. Sie beobachtete, wie die Leute auf der Hauptdurchgangsstraße hinter vorgehaltener Hand tuschelten. Sie erkannten den prachtvollen Palomino-Hengst, der hinten am Wagen festgemacht war, und dachten sich wohl ihren Teil.
Lauren war gespannt auf das Wiedersehen mit Ben und nicht zuletzt auch auf die Bekanntschaft mit Mrs. Lockett. Zwischen Ben Lockett und ihrem verstorbenen Vater lagen Welten. Der Rancher war stattlich, zupackend und herzlich, Gerald Holbrook dagegen war ein schmächtiger, ernster Mann gewesen, der selbst gegenüber seiner eigenen Tochter reserviert geblieben war. Sie mochte Bens sonore Stimme und seinen bisweilen abgründigen Humor und freute sich bereits darauf, ihn wieder in seinem Element zu erleben.
Travers lenkte den Wagen auf eine breite, baumbestandene Allee, die aus dem Stadtkern nach Süden hinausführte. Noch bevor er die Pferde in Richtung Auffahrt dirigierte, erhaschte Lauren durch die Bäume hindurch einen Blick auf das bombastische Anwesen.
Das Haus war ein Schmuckstück. Im viktorianischen Stil erbaut, war es dezent mit Stuck verziert. Eine anmutig geschwungene Balustrade zog sich um die Veranda, die das Haus auf drei Seiten umgab. Im ersten Geschoss befanden sich Erkerzimmer, deren Giebel von reizenden Zwiebeltürmchen gekrönt wurden. Die drei hohen Fenster auf der Frontseite waren mit ziegelroten Holzläden versehen, die einen hübschen Kontrast zu der freundlich hellen Hausfassade bildeten. Das Eingangsportal war ebenfalls terrakottafarben gestrichen und wurde von zwei riesigen Tontöpfen mit blühenden roten Geranien flankiert. Trotz der glühenden Sommerhitze erstrahlten die Zinnien, Petunien und Rosen in den Blumenrabatten vor dem Treppenaufgang in einem bunten Pastell. Die sattgrüne Raseneinfassung war makellos gepflegt.
»Oh, wie wunderschön«, wisperte Lauren beinahe ehrfürchtig. Erst langsam realisierte sie, dass sie endlich angekommen waren.
Travers sprang schwerfällig vom Kutschbock und stapfte zur Rückseite des schäbigen Fuhrwerks. Er hob Laurens Gepäck heraus und stellte es neben den breiten Treppenaufgang, der zum Portal hinaufführte. Dann kehrte er erneut zu dem Planwagen zurück und rüttelte Jared Lockett unsanft. »Na los, Jared, wachen Sie auf. Sie sind zu Hause.«
Beiläufig vernahm Lauren ein mürrisches Stöhnen unter dem schwarzen Hut. Sie hatte nur Augen für das bezaubernde Haus. Schließlich reichte Ed Travers ihr eine Hand und half ihr beim Absteigen. Sie rückte ihren Hut zurecht, so gut das ohne Spiegel möglich war, und klopfte den Staub von ihrem marineblauen Rock. Gerade als sie ihre Jacke überstreifen wollte, sprang Jared hinten von der Pritsche.
Sie stockte mitten in der Bewegung und starrte zu der bemitleidenswerten Gestalt. Er lehnte an der Beplankung des Wagens und hielt sich den Kopf, als würde der sonst von seinen Schultern rollen.
Abwesend strich er sich mit den Fingern das sonnengesträhnte, braune Haar nach hinten. Es fiel ihm spontan in wilden Wellen wieder ins Gesicht, da er sich vorbeugte und die Hände auf die Knie legte. Er atmete mehrmals tief durch. Lauren hatte Angst, dass er sich übergeben müsste, doch dann richtete er sich langsam zu seiner vollen Länge auf. In diesem Augenblick entdeckte er die junge Frau, die ihn mit widerwilliger Faszination beobachtete.
Die Schatten wurden bereits länger, und Lauren nahm sein Gesicht nur undeutlich wahr. Hatte er dunkle Augen? Er blinzelte fortwährend, bemüht, den Blick auf die Fremde zu fixieren.
Seinen sinnlichen Mund umspielte ein sardonisches Feixen, als er kaum merklich die Schultern straffte, zu ihr stakste und zwei, drei Schritte vor ihr stehen blieb. Wie paralysiert verharrte sie. War der Mann von allen guten Geistern verlassen? Einfach unerhört, wie dieser Jared sich benahm, kam es ihr zu Bewusstsein.
Er presste eine Hand auf die linke Seite seiner Brust, die unter dem lässig offenstehenden Hemd hervorblitzte, und sagte schleppend: »Stets Ihr getreuer Diener, Miss Ho… Hol…Holberk.«
Er verbeugte sich spöttisch vor ihr. Schwankte und kippte vornüber. Um einen schmerzhaften Sturz zu verhindern, umschlang er beherzt und ganz ungeniert ihre Taille und sank an ihren Busen. Sie japste entsetzt auf, während er sich zufrieden seufzend an ihre Brust kuschelte, ungeachtet der Tatsache, dass er eine groteske Figur abgab. Intuitiv glitten seine Hände zu ihrem Steiß, und er zog sie eng an sich.
Sie fühlte seinen warmen Atem durch ihre dünne Leinenbluse hindurch. Einen Herzschlag lang wähnte Lauren sich einer Ohnmacht nahe. Überwältigt von dem drängenden Wunsch, seinen Kopf an ihre weiblich weichen Rundungen zu betten.
Unvermittelt trat Travers hinter dem Wagen hervor, packte Jared wütend an den Schultern und riss ihn von ihr weg.
»Lockett! Mein Gott, Mann, Sie sind ein Tier.«
Das Tier ging grinsend über den Affront hinweg und torkelte erneut zu dem Karren.
Ein Mexikaner kam hinter dem Haus hervorgelaufen, um Jared zu helfen, währenddessen sprang die Eingangstür auf, und eine Frau trat auf die herrschaftliche Veranda.
Lauren schwirrte der Kopf. Es ging alles so schnell, die Dinge schienen ihr zu entgleiten. Sie hatte sich auf ein Wiedersehen mit Ben gefreut. Der lebenskluge Ben hätte mit der peinlichen Situation umzugehen gewusst. Schnell schlüpfte sie in ihre Kostümjacke und wandte sich zu der Frau, die an der Balustrade stand und zu ihr herunterblickte.
Die junge Frau lächelte scheu. Sie passierte ein kleines Eisentor und lief zur Treppe. Vor der untersten Stufe blieb sie stehen und schaute skeptisch nach oben. Eine innere Stimme warnte sie, nicht weiterzugehen. Die Gestalt auf der Veranda ähnelte einer Harpyie, die fest entschlossen war, ihr Revier zu verteidigen.
»Mrs. Lockett, ich habe …«
»Ja, danke, Mr. Travers«, unterbrach Olivia Lockett den Bahnhofsvorsteher scharf. »Suchen Sie sich für die Nacht ein Zimmer, ja? Wir werden Sie selbstverständlich für Ihre Zeit und Mühewaltung entschädigen.«
Damit war der Fall Ed Travers für sie erledigt. Er nickte zum stummen Einverständnis, wich Lauren jedoch nicht von der Seite.
»Sie sind also Miss Holbrook«, konstatierte die Dame des Hauses.
Eine kurze Feststellung, und Lauren antwortete ebenso knapp: »Ja, Lauren Holbrook.«
Die Frau mochte eine Idee größer sein als Lauren. Ihre Haare waren dunkel, dabei fiel ihr eine silbrig schimmernde Strähne apart in die Stirn. Sie war schlank und hielt sich kerzengerade wie eine hoheitsvolle Königin. Ihr matt olivfarbener Teint war faltenlos. Im Dämmerlicht ließ sich die Farbe ihrer Augen zwar schwer ausmachen, dennoch fühlte Lauren sich von deren raubvogelartiger Schärfe durchbohrt.
Sie trug ein grünes Kleid aus einem schweren, erlesenen Stoff, das weder Fältchen noch Stäubchen oder sonst einen Makel aufwies. Lauren, staubig und verschwitzt, wünschte sich unsichtbar. Aus der Mimik der Frau sprach kühle Distanziertheit.
»Ich bin Olivia Lockett. Ich nehme an, Sie hatten eine angenehme Reise.« Sie wartete die Antwort nicht erst ab, sondern fuhr in demselben frostigen Ton fort: »Ich vermute nur, Sie haben die Reise umsonst gemacht, Miss Holbrook. Ich vermag nämlich nicht nachzuvollziehen, was sich mein Gatte dabei dachte, als er Sie nach Coronado einlud.«
Olivia Locketts harte Worte trafen Lauren wie eine schallende Ohrfeige. Wo war Ben? Offenbar hatte Mrs. Lockett sie erwartet. Und wieso dann diese unverstellte Abneigung? Sie stammelte: »Ich … ich bin sicher, wenn wir uns zusammensetzen und in Ruhe darüber sprechen … Ben kann Ihnen alles erklären …«
»Kommen Sie mit Jared klar, Pepe?«, unterbrach Olivia die junge Frau ungehalten.
»Si, Señora Lockett«, sagte der Mexikaner eilends. Er stützte Jared, der betrunken in sich zusammensackte.
»Schätze, er war letzte Nacht wieder mal sturzbetrunken«, bemerkte Olivia. Lächelte sie etwa?, überlegte Lauren. Nein, das hatte sie sich bestimmt bloß eingebildet. Welche Mutter wäre schon begeistert, ihren Sohn in einem solchen Zustand zu sehen?
Lauren weiterhin ignorierend, wandte Olivia sich abermals an Pepe. »Bring Jared in den Stall und sieh zu, dass er wieder nüchtern wird«, versetzte sie eisig. »Miss Holbrook, ich lasse einstweilen Ihr Gepäck hochbringen.«
Lauren fasste das als Aufforderung auf, ins Haus zu kommen. Grundgütiger, wo steckte Ben bloß – war er auf Keypoint? Wieso ließ er sie so schmählich im Stich?
3
Lauren verschlug es die Sprache. Tickte Olivia Lockett nicht mehr ganz richtig? Das hochmütige Gesicht mit den stechenden Augen zeigte keine Regung.
»Das kann nicht sein«, hauchte Lauren kaum hörbar.
»Bedaure, aber es stimmt, Miss Holbrook. Es ging ihm schon eine ganze Weile nicht besonders. Und nach seiner Rückkehr aus New York erzählte er mir, dass er dort einen Herzspezialisten konsultiert habe.« Sie stockte und blickte zu ihrem Sohn, der, von Pepe gestützt, um die Hausecke wankte. »Gestern Abend hatten Ben und Jared eine heftige Auseinandersetzung. Irgendwann stürmte unser Sohn wütend aus dem Haus, und kurz darauf hatte mein Mann einen Herzinfarkt. Er starb in den frühen Morgenstunden«, wiederholte sie.
Laurens Augen füllten sich mit Tränen. »Mein tief empfundenes Beileid«, murmelte sie. Was sollte sie jetzt bloß machen? »Ich wusste nicht, dass er herzkrank war. Bitte, glauben Sie mir, Mrs. Lockett.«
Olivia heftete den Blick auf die junge Frau und sagte in demselben schroffen Tonfall wie zuvor bei Pepe: »Das können wir später noch erörtern. Die nächsten Tage bleiben Sie erst einmal hier. Elena wird sich um Sie kümmern. Bitte halten Sie sich tunlichst in Ihrem Zimmer auf. Ich weiß nämlich nicht, wie ich Außenstehenden Ihr plötzliches Auftauchen erklären soll, verstehen Sie?«
Lauren nickte stumm.
Sie schaute sich suchend nach Ed Travers um, der an dem kleinen Eisentor stehen geblieben war und ratlos seinen Hut in der Hand drehte. Die Nachricht von Ben Locketts Tod hatte ihm offenbar die Sprache verschlagen.
»Vielen Dank für Ihre Hilfe, Mr. Travers. Sie waren sehr nett zu mir«, rief Lauren ihm zu.
Der Bahnhofsvorsteher erwiderte höflich: »Stets zu Ihren Diensten, Miss Holbrook. Wenn ich irgendwas für Sie tun kann, lassen Sie es mich wissen.« Dabei gestikulierte er fahrig mit den Händen.
»Danke«, murmelte Lauren.
»Mrs. Lockett, wenn Sie einverstanden sind, informiere ich die Leute über B… Mr. Locketts Ableben.«
»Die Beerdigung ist übermorgen um zwei Uhr. Ich weiß Ihre Unterstützung zu schätzen, Mr. Travers. Und Ihre Diskretion.«
Letzteres klang verdächtig nach einer Drohung. Ed Travers nickte, setzte seinen Hut auf und stapfte zurück zu dem Wagen.
Lauren folgte Olivia ins Haus und war beeindruckt.
Sie betraten eine lang gestreckte Eingangshalle, rechts und links gesäumt von Türen, die zu den Zimmern im Parterre abzweigten. Der Treppenaufgang, der sich auf der gegenüberliegenden Seite des Portals befand, mündete im ersten Geschoss in eine großzügige Galerie.
Lauren und Olivia gingen die geschwungene Freitreppe nach oben, passierten einen langen, hell erleuchteten Flur mit Türen, hinter denen vermutlich die Schlaf- und Gästezimmer lagen. Am Ende des Ganges öffnete Olivia eine Holztür – die Paneele waren in edlem Weiß gestrichen wie alle Türen und Vertäfelungen im gesamten Haus. Lauren folgte ihr in das Zimmer und schaute sich erst einmal um. Aha, hier sollte sie sich also die nächsten Tage vergraben wie ein Maulwurf!
Nun hab dich mal nicht so, es hätte schlimmer kommen können!, redete sie sich zu. Immerhin handelte es sich um eines der Erkerzimmer, die ihr von außen so gut gefallen hatten. Und es war hübsch möbliert, das Eichenparkett mit geschmackvollen Teppichläufern bedeckt. Eine fein geklöppelte Spitzendecke lag über das große Himmelbett gebreitet. Die Wände waren mit einer zart mimosengelben Tapete mit dezent floralem Muster beklebt. Ihr Blick erfasste Ankleidespiegel und Waschgarnitur, ein Bücherregal, einen Schaukelstuhl vor einem runden Tisch und das Nachtschränkchen neben dem Bett. Überall standen frische Blumen. Die Vorhänge waren zugezogen, gleichwohl würde das Zimmer am Morgen bestimmt von strahlend hellem Sonnenlicht durchflutet. Ben hatte ihr den Aufenthalt so angenehm wie möglich machen wollen.
»Es ist zauberhaft, Mrs. Lockett. Danke.«
»Gut, dann macht es Ihnen bestimmt nichts aus, sich die paar Tage bis nach der Beerdigung in diesem Zimmer aufzuhalten.«
Lauren wäre zwar gern zu Bens Beerdigung gegangen, mochte sich deswegen aber nicht mit seiner Witwe anlegen.
»Das Bad ist dort.« Sie deutete auf eine Tür. »Auf der anderen Seite befindet sich eine weitere Tür, die immer verschlossen ist. Sie brauchen also keine Sorge zu haben, dass Sie jemand stört.«
Oder dass ich jemanden störe, sinnierte die junge Frau.
»Elena wird Ihnen später das Abendessen aufs Zimmer bringen. Wenn Sie irgendetwas brauchen, sagen Sie es ihr ruhig. Ich habe es so eingerichtet, dass Elena sich in den nächsten Tagen ausschließlich um Sie kümmert.« Sie war schon halb aus dem Zimmer, als Lauren noch etwas einfiel.
»Mrs. Lockett, das mit Ihrem Mann tut mir aufrichtig leid. Er war …«
»Ja«, fiel Olivia ihr ins Wort. »Gute Nacht, Miss Holbrook.«
Lauren sank in den Schaukelstuhl und versuchte sich zu sammeln. Sie überdachte, was sie seit ihrer Ankunft erfahren hatte.
Ben Locketts Tod war geradezu unfassbar. Schon seit Wochen hatte sie sich auf das Wiedersehen mit dem herzerfrischend fröhlichen, liebenswerten Mann gefreut. Und jetzt war er tot, und ihre Zukunft bestenfalls ungewiss.
Sie gähnte, unversehens sterbensmüde. Die langen Tage und schlaflosen Nächte im Zug, die beschwerliche, staubige Reise von Austin nach Coronado, dann dieser stockbesoffene Widerling, der sich hatte volllaufen lassen, während sein Vater mit dem Tod rang, und anschließend die Konfrontation mit Olivia. Das hatte an ihren Nerven gezerrt. Lauren bettete den Kopf auf das Polster des Schaukelstuhls und schlief auf der Stelle ein.
Von einer aufgebrachten Stimme wurde sie aus dem Schlaf gerissen. Jemand zerrte an ihrem Arm. Nein, nicht, sofort aufhören, dachte sie. Ich will jetzt nicht aufwachen und mir weitere Katastrophen anhören müssen. Ich will schlafen.
Daran war indes kein Denken. Lauren klappte widerstrebend die Lider auf und blickte in schwarz schimmernde, glutvolle Augen. Sie gewahrte ein hübsches, dunkelhäutiges Gesicht, ein warmes, fürsorgliches Lächeln. Die Stimme senkte sich schließlich zu einem mitfühlenden Singsang.
»Arme Señorita. Die Señorita ist so müde, dass sie im Sessel eingeschlafen ist. Ts, ts, ohne ihren Hut abzusetzen! Kein Abendessen? Kein Bad? Elena wird Ihnen helfen, si?«
»Sie sind Elena? Ich bin Lauren. Schön, Sie kennen zu lernen.« Lauren atmete innerlich auf. Endlich mal ein freundliches Wesen in diesem seltsamen Haus.
»Sie sind sehr schön, Señorita. Nach einem heißen Bad fühlen Sie sich gleich besser. Ich lasse Wasser für Sie ein. Sie ziehen sich in der Zwischenzeit aus, si?«
Elena trat zurück, und Lauren bemerkte ihren stark gerundeten Leib, der ihre fortgeschrittene Schwangerschaft dokumentierte. Hatte Olivia es deshalb so »eingerichtet«, dass das Mädchen sich nur um sie zu kümmern brauchte? Ihr Zustand war zweifellos ein Ärgernis für die Familie Lockett und die erwarteten Trauergäste.
Elena war höchstens sechzehn oder siebzehn und machte keinen Hehl aus ihrer baldigen Niederkunft. Sie trug keinen BH, und die Spitzen ihrer üppigen Brüste malten sich dunkel unter der weißen Spitzenbluse ab.
Fröhlich schwatzend watschelte sie ins Bad. Redete wie ein Wasserfall, dabei wechselte sie temperamentvoll vom Englischen ins Spanische. Als sie in das Gästezimmer zurückkehrte, schimpfte sie mit Lauren, weil sie sich noch nicht entkleidet hatte.
»Señorita, Ihr Badewasser wird kalt, und Ihr Abendessen auch. Kommen Sie, Elena hilft Ihnen.«
Lauren war schockiert, als das mexikanische Mädchen sie umdrehte und ihr mit flinken Fingern die Bluse aufknöpfte. Gleichwohl war sie zu müde, um zu protestieren. Eilends entledigte Elena sie ihrer Kleider.
Als sie in Korsett, Leibchen und spitzengesäumter Pluderhose vor ihr stand, schüttelte Elena missfällig den Kopf.
»Ts, ts, ein Korsett! Die Señorita ist gertenschlank! Sie bekommen ja kaum Luft.« Sie löste die Häkchen und Ösen und warf das beanstandete Kleidungsstück achtlos zu den anderen Sachen.
Als sie ihr Hemd und Hose ausziehen wollte, schob Lauren schamhaft Elenas Hände fort. Hastig glitt sie in das geschmackvoll ausgestattete Badezimmer. Sie sank in das dampfend heiße Wasser und versuchte, sich zu entspannen. Nach einer Weile kam das Hausmädchen hereingestampft. Lauren japste erschrocken auf. Seit frühester Jugend hatte sie niemand mehr nackt gesehen!
»La Señorita ist fertig? Kann ich Ihnen die Haare waschen, si?«
»Nein!«, protestierte Lauren, währenddessen versuchte sie verzweifelt, ihre Blößen zu bedecken. Als sie Elenas gekränktes Gesicht sah, setzte sie schnell hinzu: »Ich kann das selbst machen.«
»Wieso sollten Sie? Ich bin doch da«, sagte Elena mit herzerfrischender Logik. »Señor Lockett sagen: Kümmere dich um die junge Lady, und das mache ich auch.« Bei der Erwähnung seines Namens bekreuzigte sie sich über ihrem gewaltigen Busen.
Sie fing an, die Haarnadeln aus Laurens Hochsteckfrisur zu ziehen, woraufhin dieser die schwarzen Haare bis zur Taille herabfielen. Fröhlich drauflosplappernd goss das mexikanische Mädchen ihr krügeweise warmes Wasser über den Kopf. Dann schamponierte sie hingebungsvoll die dichten Strähnen. Es war pure Magie. Elenas geschickte Kopfhautmassage war himmlisch entspannend.
»Señor Lockett sich so auf Ihr Wiedersehen gefreut. Er uns allen gesagt, die hübsche Lady bleibt bei uns. Er befohlen, dass Zimmer gemacht wird. Er selbst nachgesehen, ob alles in Ordnung.« Bevor Lauren protestieren konnte, zog Elena sie aus der Wanne.
Zwecklos, ihre Blößen zu bedecken. Elena schien ihre Schamhaftigkeit völlig fremd. Dass Laurens Haut rot anlief wie bei einem Krebs, schob sie vermutlich auf das hei ße Badewasser.
Sie mochte jetzt nicht an Ben denken. Dafür war ihre Trauer noch zu frisch. Also wechselte sie das Thema und fragte freundlich interessiert: »Wann kommt denn das Baby?«
»Quién sabe? Wenn kommt, dann kommt.« Die junge Mexikanerin zuckte mit den Schultern und lachte.
»Was macht denn Ihr Mann?«
»Oh, er sehr guter Vaquero auf der Lockett-Ranch. Sein Name ist Carlos. Er sein sehr guter Mann«, meinte sie mit einem schwärmerischen Augenaufschlag zu Lauren, die das Thema höchst befremdlich fand und von Neuem errötete.
»Dürfen Sie denn überhaupt noch arbeiten? In Ihrem Zustand?«
Die Mexikanerin lachte glockenhell. »Señorita, ich lebe hier. Carlos wohnt auf der Ranch, und ich wohne hier. Wenn wir frei haben, wir kommen zusammen, bei seiner Mama in Pueblo.«
Lauren war entsetzt. »Aber Sie würden doch bestimmt lieber zusammenziehen, in eine eigene Wohnung, oder?«
»Si, aber wir müssen auch essen. Und ohne Geld geht gar nix.« Sie giggelte.
»Verstehe«, murmelte Lauren, obwohl sie überhaupt nichts mehr kapierte. Dieses verrückte Texas und seine Bewohner waren ihr ein Buch mit sieben Siegeln.
Im Schlafzimmer nahm Elena ein Nachthemd aus dem Koffer und zog es der jungen Frau über den Kopf. Lauren sah unschlüssig zu, wie die Bedienstete mit einem großen Tablett hantierte. Offenbar hatte sie es vorhin mit hochgebracht und auf dem Tisch abgestellt. Sobald das Mädchen die Deckel von den Schüsseln hob, erfüllten köstliche Düfte den Raum, und Lauren lief das Wasser im Mund zusammen. Sie konnte sich kaum entsinnen, wann sie das letzte Mal etwas gegessen hatte.