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Einen ganzen Tag wandert Daniel Brühl durch seine Heimatstadt Barcelona: vom Tibidabo, Barcelonas Hausberg, über die von den Touristen heimgesuchten Ramblas bis zu seinem lauschigen Lieblingsviertel Gràcia. Dabei begegnet er eingefleischten Boule-Spielern, Fußballstars des FC Barcelona und streitlustigen Gemüsehändlern. Er erinnert sich an seinen knorzigen andalusischen Opa, der Stierkampfreporter war, an sommerliche Gelage mit Crema catalana und an Marie, seine erste Liebe, die er mit einem Sprung vom Fünf-Meter-Turm beeindrucken wollte. Spazieren, flanieren, feiern – das kann man nirgendwo so gut wie in Barcelona. Eine Hommage an die coole, provinzielle, große, kleine, herrliche Stadt am Meer. Das Buch ist durchgehend vierfarbig illustriert - Daniel Brühl und seine Freunde haben ihre Lieblingsorte in Barcelona fotografiert.
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© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2012
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Konzept und Illustrationen im Innenteil:
Darius Ghanai
Satz und eBook bei LVD GmbH, Berlin
ISBN 978-3-8437-0011-5
Für Hanno
EINLADUNG
Ein Buch über Barcelona soll ich schreiben. Ich habe mich auf meine Lieblingsparkbank auf dem Hügelchen Putxet gesetzt, mir die Stadt von oben angeschaut und nachgedacht. Ein persönliches Buch soll es werden, ein Buch, in dem ich davon erzähle, was mir seit meiner Geburt in dieser Stadt widerfahren ist, welche besonderen Menschen ich hier im Laufe der Zeit kennengelernt habe, welche versteckten Orte ich abseits der Ramblas und des Gaudí-Parks gefunden habe.
Was mache ich in Barcelona am liebsten? Spazieren gehen, flanieren, war mein erster Gedanke. Das kann man nirgendwo so gut wie hier – vom Berg zum Meer und zurück, von Sonnenauf- bis -untergang. Genau. Ein langer Spaziergang soll das Buch werden. Es muss eine ehrliche Liebeserklärung an diese herrliche Stadt werden, kein Kitsch in rosa »Vicky Cristina Barcelona«-Farben. Ich will auch schildern, was mir in unserer 34-jährigen Liebesbeziehung auf den Sack gegangen ist, und da gibt es einiges. Es ist leicht, Barcelona nicht zu mögen. Diese Phase habe ich auch schon durch. Provinziell, geizig, klein kann man diese hippe, architektonisch saucoole Metropole plötzlich finden. Unser Krach ist überwunden, mittlerweile sind wir wieder glücklich zusammen. Darüber will ich schreiben.
Bei diesem phantastischen Tag, meine lieben Leser, handelt es sich um eine Montage, ein Medley verschiedener wunderschöner Momente, die ich im Laufe der Jahre in Barcelona erlebt habe, von meiner Kindheit bis heute.* Ich würde mich freuen, wenn ich mit meiner kleinen Geschichte einen Anreiz geben kann, um Euch auf die Suche nach Eurem perfekten Tag in meiner Lieblingsstadt zu schicken.
Also, viel Spaß bei der Lektüre, geht zum Kühlschrank, nehmt Euch eine Fanta Orange oder Sprite, kippt ein wenig nicht allzu guten Rotwein dazu, zwei Eiswürfel und setzt Euch. Salut i força al canut!
* Die Karten, die den Kapiteln vorangestellt sind, zeichnen meinen Spaziergang durch Barcelona nach. Da ich auf diesem Weg einige gedankliche Abzweigungen nehme, spiegeln sie nicht immer die im jeweiligen Kapitel beschriebenen Orte wider.
Hier oben, auf dem Berg Tibidabo, versteht man den Teufel und das miese Geschäft, das er Jesus vorgeschlagen haben soll. »… et dixit illi haecTIBIomniaDABOsi cadens adoraveris me«, lauten jene Zeilen aus der Bibel, die davon handeln. Auf Deutsch: »… und sagt zu ihm, all dies geb ich Dir, wenn Du vor mir auf die Knie gehst und mich anbetest …«
Wer könnte dem widerstehen?
Es ist früh, so sieben Uhr, und ich schwöre, ich war selten so früh wach in dieser Stadt. Heute habe ich mich aufgerafft, denn ich wollte unbedingt einmal den Sonnenaufgang über Barcelona von hier oben genießen. Der beste Platz dafür ist das Café Mirablau. Ein Klassiker, gastronomisch nichts Besonderes, aber mit einer Glasfront, die eine der schönsten Panoramasichten auf Barcelona überhaupt preisgibt. Der Kellner, verschlafen und muffig, brummt auf meine Bestellung hin irgendwas vor sich hin. Typisch für Spanien. Oder hat er mich bloß nicht verstanden?
»Un cortado y un sandwich mixto«, habe ich bei ihm bestellt, einen Kaffee und einen Toast mit Käse und Schinken. Vielleicht wollte er mich ja nicht verstehen. Ich probier’s auf Katalanisch: »Un tallat i un biquini.«
Endlich bringt er es. »Aquí tens«, bellt er, als er zurückkehrt und Tassen und Teller auf den Tisch wirft: »Hier hast du’s.« Ich suche mir den Sitzplatz, der am weitesten von ihm entfernt ist.
Eigentlich mag ich diese Muffigkeit, diese aus den tiefsten Fasern der Eingeweide herausgepresste, völlig hemmungslos zur Schau gestellte, unverschämte schlechte Laune. Denn mein Opa war genauso.
Aus Málaga, Andalusien, war er zunächst nach Madrid gezogen. Doch in den fünfziger Jahren ließ er sich in Barcelona nieder und arbeitete als Journalist und Stierkampfkritiker. Seine Frau hatte er immer im Schlepptau, sie folgte ihm so treu ergeben, wie es sich für die damalige Zeit gehörte (und in Spanien teilweise nach wie vor gehört). Ich sehe ihn noch heute vor mir, wie er mit einer Decke vor dem Fernseher sitzt, stoisch, ernst, eine Ducados-Zigarette – schwärzesten Tabak also – in der einen Hand hält und eine Thermoskanne mit brühend heißem Kaffee vor sich stehen hat.
Ich habe das Wohnzimmer immer mit einem Gefühl wahnsinniger Ehrfurcht betreten, habe mich kaum an den Sessel herangetraut, an dem er in meinen Kinderaugen festgewachsen schien. Ehrfurcht sage ich? Ach was, es war viel mehr als das. Szenische Angst.
Seine Aufmerksamkeit wollte ich, um jeden Preis, und ich wusste, dass man sich etwas echt Spannendes überlegen musste, um diesen alten Mann zu beeindrucken. Keine läppischen Kindereien, kein unmännliches Rumgeheule wie »Der Santi hat meinen Ball geklaut« oder so. Nein, nein. Gut erzählte Geschichten wollte er hören, nicht zu lang, aber mit Pointe und heldischem Epos. Seinetwegen ging’s deshalb bei mir mit dem Lügen los. Denn am liebsten hörte er Geschichten über Fußball. Und das, wozu ich auf dem Fußballplatz imstande war, hatte so rein gar nichts mit den Heldentaten und unfassbaren Toren zu tun, von denen ich ihm erzählte.
Vor seinen Augen malte ich in den schillerndsten Farben aus, wie ich Phantasietore schoss, erzählte, wie ich von der Mittellinie aus auf das gegnerische Tor zulief, Gott und die Welt umdribbelte, wie es Pelé oder Alfredo Di Stéfano zu Jugendzeiten meines Opas gemacht hatten und in jenen Tagen Diego Maradona oder heute Lionel Messi. Von den anderen Jungs, das immerhin stimmte, wurde ich Brrrreme, Clinzmann oder Coolerrrr genannt und als Deutscher immer automatisch gewählt. Deutschland war ja damals eine Riesennummer im Fußball, Europa- und Weltmeistertitel lagen gar nicht so lange zurück, deshalb mühten sich auch die Spanier ab, Namen auszusprechen, die sich für sie anhörten, als ob jemand Schrauben verschluckt hätte: Brehme, Klinsmann, Kohler. Ich hatte ein fußballerisches Gütesiegel, einen Made-in-Germany-Stempel unter den Sohlen.
»Und«, fragte mein abuelo dann mit Augen, die noch mehr funkelten als meine, »wie hoch habt ihr gewonnen?« Versteht sich von selbst, dass unser Gegner in meiner Erzählung selbst dann mit fliegenden Fahnen untergegangen war, wenn sie uns auf ebensolche Weise geschlagen hatten.
»Und welche Mannschaft wart ihr?«, wollte Opa immer wissen, und auch da musste ich flunkern. Denn auf diese Frage konnte und durfte es nur eine Antwort geben: Real Madrid. Nach wie vor seine Lieblingsmannschaft, auch wenn er jetzt in der Stadt des ärgsten Konkurrenten wohnte.
»Und die anderen?«
»Na, der FC Barcelona«, sagte ich jedes Mal wie aus der Pistole geschossen und erntete jedes Mal ein: »Sehr gut, mein Junge.« Dann sagte er endlich: »Setz dich auf meinen Schoß!« Das war nicht bloß eine große Ehre. Ich habe es geliebt. Denn der Geruch von meinem spanischen Großvater war wunderbar, er roch nach Agua Brava, dem Rasierwasser von Puig, Tabak und langem Leben.
Nach ein paar Minuten war dann aber auch genug mit Umarmen, die finstere Miene wurde wieder aufgesetzt, ein hala! dahingerotzt, ein Wort, das so viel heißt wie »auf!«, und schon hatte er mich mit einem Klaps hinauskomplimentiert. Die Audienz war vorbei. Ich zog dann zu meiner Oma weiter, um an eine der Magdalenas zu kommen, die sie aus dem Ofen geholt hatte und deren Duft sich in der Luft mit den Rauchschwaden vom Opa balgte.
Ja, ich sage immer noch Magdalenas, obwohl sie nun auch in vielen spanischen Lokalen Muffins genannt werden, seit die Amis den Kaffee entdeckt haben. Muffins, bah! Kann man mich mit jagen – mit dem Wort. Aber schlechte Laune bei älteren spanischen Herren, die liebe ich! Liebe ich so sehr wie diesen Tag, der sich anschickt, herrlich zu werden.
Langsam bequemt sich die Sonne hervor, schiebt sich über die Stadt, wälzt sich über die Küste und das Barceloneta-Viertel, wo früher bloß Fischer lebten, lässt die dunklen, verwinkelten Gässchen des Barri Gótic erstrahlen, durchflutet das Schachbrett des Eixample und die vornehme Zona Alta, Sant Gervasi, Sarrià, Pedralbes: die ganze Stadt, die nun zu meinem Zufluchtsort werden wird. Denn die Touristen lassen nicht lange auf sich warten. Schon fliegt die Tür auf, die ersten Scharen betreten das Café.
Zeit zu zahlen.
Zeit zu gehen.
Als Kind bin ich oft in die Tram gestiegen, die vorm Café Mirablau ihre Endstation hat und von dort wieder herunterfährt. Doch manches Mal bin ich auch zu Fuß hinuntergelaufen, und das mache ich immer noch gern. So wie jetzt. Ich pfriemele das Kopfhörerkabel auseinander, stecke mir die Stöpsel in die Ohren, drücke auf »Play« und kämpfe dann mit starren Beinen dagegen an, die abschüssige Serpentinenstraße zu rasch bergab getrieben zu werden. An Ecken, wo ich mich unbeobachtet fühle, singe ich mit:
»Con una canción sencilla/
Tres notas y una bandera/
Tan blanca como el corazón /
Que late en tu cuerpo de niña /
Y quiero que vengas commigo /
A cualquier otra parte …«
»Ein einfacher Song /
Drei Noten und eine Fahne /
So weiß wie das Herz /
Das in deinem Kinderkörper schlägt /
Und ich möcht, dass du mit mir /
irgendwo anders hinkommst …«
Eine Hymne der barcelonesischen Band Dorian, ein Popsong wie eine eisgekühlte Zitronenlimoflasche, die man sich am Strand bei gleißendem Sonnenlicht an die Stirn hält.