Eine Leiche für Perrot - C'rysta Winter - E-Book

Eine Leiche für Perrot E-Book

C'rysta Winter

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Beschreibung

Die hinreißend schöne Braut Lady Lucy Atterberry liegt tot am Ufer des Weidenhofsees. Keiner der noblen britischen Hochzeitsgäste will den Mord bemerkt haben. Wie wunderbar passt es da, dass sich Achille Perrot, Enkel des großen Hercule Poirot, unter den Gästen befindet. Gemeinsam mit Inspector Jeff, den die Liebe ans diesseitige Ufer des Ärmelkanals gespült hat, macht er sich in einem Labyrinth aus Lügen und Halbwahrheiten auf die Suche nach dem Mörder. Zu allem Überfluss taucht während der Ermittlungen eine Spielkarte auf. Die Karte des Todes. Bald darauf verschwinden drei ältere Damen. Wie gut, dass Achille Perrot nicht nur die Vorliebe für einen Schnurrbart, sondern auch die exzellenten grauen Zellen seines Vorfahren geerbt hat. Ein Krimi der feinen englischen Art, eingebettet in Heidekraut- und Heidschnucken-Idylle, die jedoch trügerisch ist.

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Seitenzahl: 335

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Ähnliche


 

 

C’rysta Winter

 

Eine Leiche für Perrot

 

 

 

 

Der erste dokumentierte Fall des Achille Perrotseines Zeichens Enkel des Hercule Poirot

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

KrimiEditionRutenmühle

 

 

 

 

Das Buch

 

Die hinreißend schöne Braut Lady Lucy Atterberry liegt tot am Ufer des Weidenhofsees. Keiner der noblen britischen Hochzeitsgäste will den Mord bemerkt haben. Wie gut passt es da, dass sich Achille Perrot, Enkel und einziger Nachkomme des großen Hercule Poirot, unter den Gästen befindet. Gemeinsam mit Inspector Jeff, den die Liebe nach Lower Saxony verschlagen hat, macht er sich in einem Labyrinth aus Lügen und Halbwahrheiten auf die Suche nach dem Mörder.

Ein Krimi der feinen englischen Art, eingebettet in Heidekraut- und Heidschnucken-Idylle, die jedoch mörderisch ist.

 

 

Die Autorin

 

C‘rysta Winter ist freie Krimiautorin. Sie lebt in der Abgeschiedenheit eines Mühlendorfes im nordwestlichen Teil Niedersachsens. Ein Ort, wie geschaffen zum Krimischreiben. Mit dem vorliegenden Roman schickt die Autorin erstmalig den Detektiv Achille Perrot, seines Zeichens Enkel des Hercule Poirot, auf eine spannende Mördersuche.

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

 

©2020 C’rysta Winter, Krimi Edition Rutenmühle

Herausgeberin: C’rysta Winter, Rutenmühle

ISBN: 978-3-75262-623-0

www.crysta-winter.de

 

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form ohne schriftliche Genehmigung der Herausgeberin reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme vervielfältigt oder verbreitet werden.

 

©2020 Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand, Norderstedt.

Lektorat und Korrektorat: Anja Feldhorst, Prignitz

Umschlaggestaltung unter Verwendung von Motiven von Adobe Stock und Shutterstock: C’rysta Winter

Layout und Satz: Lektor-hoch-drei, www.lektor-hoch-drei.de

 

 

 

 

Für

Svenja und Finn

 

 

 

*

 

Die Morddomäne – lower saxony

hierzulande allerdings besser bekannt unter der Bezeichnung Niedersachsen

 

*

 

Der Mordschauplatz

 

Hochzeitsfeierlichkeiten, eingebettet in Heidekraut- und Heidschnucken-Idylle, die jedoch mörderisch ist

 

*

 

Die Darsteller und das, was sie unterscheidet

 

Achille Perrot – Enkel des großen Hercule Poirot, der von seinem innig geliebten Vorfahren nicht nur das exzellente Schnüffelgen geerbt hat

 

John Harold Jeff, der Spätere – ermittelnder Nachkomme des legendären Inspector Japp von Scotland Yard, den die Liebe ins Land der Heideköniginnen verschlagen hat

 

Lucy Atterberry – hinreißend schöne Braut, der die Liebe zum Verhängnis wird

 

Henry Atterberry – hinreißend schöner Bräutigammit Hang zur Theatralik

 

Lady Joanna Hampton– die nicht nur wegen der Hochzeit ihrer Tochter Lucy nach Deutschland reist, sondern auch um eine alte Rechnung zu begleichen

 

Bürgermeister Wilhelm Baden – der eine eigenwillige Hochzeitsrede aus seiner Anzugtasche zieht und auf der Suche nach seinem Namenskärtchen Schwierigkeiten bekommt

 

Sophia – Dame mit apricotfarbenem Sonnenhut, die jemanden zur Rede stellt und das besser gelassen hätte

 

Drei weitere Damen– die alle das gleiche Geheimnis hüten

 

Magda – junge Frau,die bei Perrot um Beistand nachsucht

 

Florence Thomson – Kellnerin,die diverse Weinflaschen entkorkt, aber selbst lieber Barista Stout trinkt

 

Anna – die aus guten Gründen ihren zweiten Vornamen und ihren Nachnamen verschweigt

 

Pfeife rauchender Gentlemen – der sein besonderes Augenmerk auf einen Tascheninhalt richtet

 

Detective ConstableLisa Langeloh – die eigentlich Polizistin ist, aber ihren Chef auch lieber mit Inspector anspricht

 

Detective ConstableDirk Weidenthal – ebenfalls Polizist und in dieser Eigenschaft mit einem sehr eigenwilligen siebten Sinn ausgestattet

 

Finnegan – räuberischesKind, das eine Entdeckung macht

 

Achtzig Hochzeitsgäste – denen die Ereignisse zwar auf den Magen, aber nicht auf die britische Gesundheit schlagen

 

Zwanzig Hochzeitsgäste – die am Ort der Handlung heimisch sind

 

Benn – Airedaleterrier, der sehr gelehrig ist, aber Verständnisprobleme hat

 

Drei weitere Airedaleterrier – der Gattung canis lupos mit dem Zusatz familiaris, was jedoch nicht immer zutrifft

 

Ein Welsh Corgi Cardian – dermit hinreißend blauen Augen ausgestattet ist, die aber in der Regel geschlossen hält

 

C.W. die dem Intellekt des Hercule Poirot erlegen ist und die Meinung vertritt, dass dieser große Geist nicht ohne Nachkommen bleiben darf

 

A.C. die hoffentlich diesem Ansinnen nur Positives abgewinnen kann

 

*

 

1. Kapitel

AN EINEM FREITAG, morgens um dreizehn Minuten nach sechs, schlug Lucy Atterberry ihre großen blauen Augen auf. Sie klappte sie auf wie eine Schlafaugenpuppe. Übergangslos. Und genauso übergangslos war sie hellwach. Ebenso wie Benn, der Airedaleterrier, der neben ihrem Bett sein Lager hatte. Sie reckte den Rest Müdigkeit aus ihrem Körper und klatschte ein paarmal in die Hände. Heute würde sie Henry Atterberry heiraten. Den Mann, den sie liebte. Da fiel es nicht weiter ins Gewicht, dass sie bereits seit zehn Jahren mit ihm verheiratet war. Doppelt hält besser, hatte Henry gesagt und endlich einmal wieder auf diese vertraute Weise gelächelt, dass sie erleichtert zurückgelächelt hatte. Danach waren die Ideen für das Fest nur so aus ihm herausgesprudelt. Lucy hatte nicht so genau zugehört. Sie hatte das Glitzern in seinen Augen betrachtet. Diesen erdbraunen Augen, die an manchen Tagen glänzten wie dunkler, schwerer Boden nach einem Sommerregen. Lucy hatte erst wieder auf seine Worte geachtet, als Henry sagte, dass sie sich nicht beunruhigen müsse. Der See sei nicht tief. Wunderschön sei er. Eingebettet in die Soltinger Heide. Und klein sei er. Westentaschenformat, hatte er hinzufügt und um seinen Mund waren diese beiden Falten entstanden. Das Boot würde auf einer Art Schiene durch den See gleiten. Und er würde sie in Empfang nehmen. Am gegenüberliegenden Ufer. Zusammen mit all den anderen Hochzeitsgästen. Lucy hatte genickt und ihre Angst vor dem Wasser einfach heruntergeschluckt und sich stattdessen auf die vielen bunten Luftballons gefreut, die sie mit Henry in den Himmel aufsteigen lassen würde.

Lucy setzte sich in ihrem Bett auf und blickte zum Fenster hinüber. Der wilde Wein an der Fassade des Hauses war in den letzten Jahren immer höher hinaufgeklettert und in diesem Spätsommer an den Fenstern ihres Zimmers angekommen. Die gezackten, spitzen Enden der Blätter waren bereits kräftig rot verfärbt. Erst vor ein paar Tagen waren ihr auf der Terrasse vor der Bibliothek ein paar herabgefallene Blätter aufgefallen. Sie hatte sie aufgesammelt und in die große Schale mit dem blauen Rand gelegt. Einige Zeit würden sie dort auf dem Tisch im Esszimmer ein schöner Anblick sein. Ein Gruß aus dem Garten. Der Garten. Benn legte seine Pfote auf die Bettdecke, als dächte auch er an diesen Sommertag zurück.

Lucy war mit Benn herumgetollt und hatte ihn Stöckchen aus der Luft fangen lassen. Benn war aus dem Stand einen Meter hochgesprungen. Zielsicher schnappte er die dünnen Birkenäste auf. Irgendwann entdeckte Lucy an einem der Fenster im ersten Stock Henry. Sie hatte hinaufgeblickt mit diesem vagen Gefühl, beobachtet zu werden. Lucy hatte Henry zugewunken. Komm herunter. Er hatte den Kopf geschüttelt. Aber dann stand er doch plötzlich neben ihr mit diesem Lächeln, das sie so sehr liebte.

Sie waren im Garten umhergerannt und hatten sich kühne Verfolgungsjagden mit Benn geliefert. Irgendwann hatte sich Henry atemlos auf die Terrasse zurückgezogen und Lucy war wieder auf das Stöckchenwerfen verfallen. Henry hatte vorgeschlagen, sie solle Fleischbrocken an den Birkenästen befestigen. Er war sicher, Benn werde dann noch höher springen. Lucy war der Vorschlag unangenehm gewesen. Sie verband mit dieser Vorstellung etwas Raubtierhaftes.

Henry war nicht weiter auf ihren Einwand eingegangen. Aber Lucy spürte seine Enttäuschung darüber, dass sie seine Anregung nicht aufgreifen wollte. An einem der folgenden Tage kam ihr die Idee, Benn Hundekuchenkringel an eine Leine zu hängen. Er sprang tatsächlich noch höher und Lucy brachte ihm bei, nicht nach den Hundekuchen, sondern den losen Enden der Bindfäden zu schnappen. Sie und Benn waren mächtig stolz auf dieses Kunststück. Und später hatte auch Henry nach ihrer kleinen Vorführung bewundernd Beifall geklatscht.

Lucy lehnte ihren Oberkörper aus dem Bett. „Hör zu, Benn. Heute werden wir nicht spielen und es wird keine Hundekuchen für dich geben. Heute wirst du dich wie ein wohlerzogener Hund benehmen. Wir werden da draußen in der Heide auf dem Weidenhof einen wundervollen Tag verbringen. Umringt von lila Heideblüten und von lieben Menschen. Ich werde wie von Geisterhand gezogen über das Wasser gleiten. Direkt hinein in Henrys Arme. Alle werden klatschen. Es wird ein herrliches Fest geben. Wir werden in der Scheune essen und tanzen mit all den netten Gästen und glücklich sein … na ja, vielleicht nicht mit allen Gästen.“ Lucy schlug mit Schwung die Bettdecke zurück und drückte Benn einen Kuss auf die Nase.

„Komm, mein Lieber. Zeit unseren Prinzen hinter seiner Dornenhecke wach zu küssen.“

An demselben Freitag, nachmittags um zwölf Minuten nach fünfzehn Uhr, glitt Lucy Atterberry in ihrem cremefarbenen Brautkleid in einer reich mit Blumen geschmückten Barke über den See. In ihren weit aufgeklappten Puppenschlafaugen spiegelten sich die bunten Luftballons am Himmel wider. Doch Lucy Atterberry sah sie nicht mehr. Lucy Atterberry war tot.

Etwa zur gleichen Zeit, unweit des Sees, dirigierte Charlotta von Wieling eine kleine Gruppe von Damen in das ansonsten leere Gartencafé des Weidenhofes. Schweigend nahmen die vier an den Holztischen mit Blick auf die Hochzeitsscheune Platz. Allesamt ältere Damen. Und alle blickten sie zum Himmel und zu den Ballons hinauf. Nur eine nicht. Die Dame mit dem apricotfarbenen Sonnenhut blickte nicht hinauf. „Es ist zu spät“, murmelte sie. „Der Vorhang ist schon auf.“

Annähernd zweihundert Schritte von dieser Damengruppe entfernt zog ein untersetzter, makellos nostalgisch gekleideter Herr jenseits der sechzig die Tür des Weidenhof-Gästehauses hinter sich ins Schloss. Einen Moment verharrte er auf dem Sandsteintritt vor dem Eingang des kleinen reetgedeckten Speichers. Er bedachte seine Herberge mit einem wohlmeinenden Lächeln. Er hatte eine gute Wahl mit diesem Domizil getroffen. Allerdings hätte er eine günstigere Jahreszeit für das Wiedersehen mit seinem Freund, Inspector Jeff dem Späteren, wählen sollen. Zumindest eine kühlere. Er warf einen Blick auf seine Taschenuhr. Bis zum Zeitpunkt der Einladung waren es noch dreieinhalb Stunden. Da konnte sich einiges verändern. Zum Beispiel könnten sich Wolken vor die Sonne schieben. Keine bedrohlichen. Sondern diese kleinen, weißen, die wie Luftschiffe dahinsegelten und gelegentlich Momente der Abkühlung zuließen. Prüfend blickte der Herr zum Himmel hinauf.

„Keine Wolken. Keine Abkühlung. Aber Luftballons.“ Mit diesen Worten betrat er den schmalen, von Rosen und Kugelahorn gesäumten Weg. Zielstrebig steuerte er das Gartencafé und einen der freien Tische unter einem Sonnenschirm an. Es war zu heiß, um vor dem Reiseantritt in das einige Kilometer entfernte Dorf seines Freundes noch einen geruhsamen Rundgang über das Gelände des Weidenhofs zu unternehmen. Dem kleinen See des parkähnlichen Anwesens hatte er bereits gestern, kurz nach seiner Ankunft einen Besuch abgestattet. Da waren die Temperaturen am Nachmittag noch wesentlich angenehmer für eine Erkundung der Örtlichkeiten gewesen.

Der Herr hatte den Platz vor der Scheune erreicht. Die riesigen Flügeltore der Hochzeitsscheune standen einladend offen. Eine vorbeieilende Kellnerin trug eine Schale gefüllt mit Eiswürfeln ins Innere des Gebäudes.

Im Vorbeigehen warf er einen Blick auf die allerletzten, ein wenig hastig durchgeführten Handgriffe für eine Hochzeitsfeier. Die weißen Hussen auf dem Gestühl. Das elegante Porzellan. Die Vielfalt der unterschiedlichen Wein- und Wassergläser. Die in Weiß und Rosa gehaltenen Blumenarrangements auf den Tischen.

All das nahm er mit einem wohlwollenden Nicken zur Kenntnis. Hier würden Hochzeitsfeierlichkeiten stattfinden, die niemand so schnell vergessen könnte. Dessen war er sicher.

Der Duft eines köstlichen Soufflés ließ ihn für einen Moment seine Schritte verlangsamen. Er hoffte inständig, Jeff würde ihm anlässlich seiner Einladung keine schwere, regionale Kost auftischen. Er kannte die dyspeptische Speisenvorliebe seines britischen Freundes. Zumindest die der traditionellen Küche seines Geburtslandes. Ihm selbst stand der Sinn angesichts der herrschenden Temperaturen eher nach kleinen, überschaubaren Portionen. Nach etwas Leichtem. Wie Bachforelle auf Feldsalat.

„Mon dieu, diese Hitze ist murderous.“

Der Herr hatte die vierköpfige Gruppe der Damen im Gartencafé erreicht. Er verbeugte sich nonchalant in Richtung der kleinen Gesellschaft, wobei er mit einer formvollendet ausgeführten Geste seinen Matlot lüftete. Seine Aufmerksamkeit wurde von dem Gesicht unter einem apricotfarbenen Sonnenhut angezogen. „Nicht wahr, Madame? Diese spätsommerliche Hitze ist in der Tat mörderisch.“

Da diese zwar kurze, aber durchaus launige Bemerkung seitens der Dame ohne Erwiderung blieb und lediglich ihre Brille, die an einer filigranen Kette an ihrem Hals baumelte, durch einen tiefen Atemzug in Bewegung geraten war, deutete der Herr mit einem kaum wahrnehmbaren Neigen seines Kopfes eine erneute Verbeugung an. Dann setzte er seinen Weg zum Schatten spendenden Sonnenschirm fort. Dort angekommen strich Achille Perrot, der Enkel des großen Hercule Poirot, mit einer fast identischen Bewegung wie sein von ihm innig geliebtes Vorbild nachdenklich seinen Schnurrbart entlang.

Inspector John Harold Jeff, der Spätere, seit nunmehr fünfzehn Jahren schon nicht mehr im britischen Staatsdienst, sondern im Auftrag der Soltinger Kriminalpolizei unterwegs, japste nach Luft. Was er jetzt brauchte, war ein kühles, dunkles englisches Bier. Ein Relikt und ein unveränderliches Bedürfnis, das er mit hinübergerettet hatte in seine Wahlheimat diesseits des Ärmelkanals und das sich ebenso wenig abschütteln ließ wie seine englische Dienstbezeichnung und seine Liebe zur britischen Krone. Was der Inspector allerdings jetzt nicht brauchte, war eine attraktive weibliche Leiche, die, bereits passend zum traurigen Anlass mit Blumen dekoriert, am Ufer eines kleinen Sees im Sand lag.

Aber genau diese Einzelheiten fand er bei seiner Ankunft auf dem Seegelände des Weidenhofes vor. Was er ansonsten noch vorfand, wie herumtollende Hunde, die sich bereits des unvermeidlichen polizeilichen Absperrbandes bemächtigt hatten, den ebenfalls wie tot wirkenden Bräutigam und annähernd einhundert Hochzeitsgäste, die sich zu einem verstörten Pulk festlich gekleideter Menschen hinter der Absperrung und neben dem Hochzeitsbogen zusammengeschlossen hatten, ignorierte er einstweilen. Und das aus einem nachvollziehbaren Grund. Jeffs Hals war von der Hitze wie ausgedörrt und er hatte nicht die geringste Ahnung, ob er das unbeschadet überstehen würde. John Harold Jeff räusperte sich. Das war das Einzige, wozu er stimmlich momentan in der Lage war.

Er winkte zwei Polizisten heran, denen eine genickte Arbeitsanweisung genügte und sofort zogen sie das Boot höher auf den Strand. Es knirschte spröde und trocken unter dem Rumpf, als es auf einem schmalen Streifen Kies zum Liegen kam. Zeitgleich zischte ein kleines Geschoss durch die Luft. Der Inspector griff sich an den Hals. Strauchelte. Fing sich wieder. Strauchelte erneut und sank direkt neben dem Kopf der Toten auf die Knie und in den Sand.

Perrot, der sich angesichts der herrschenden Temperaturen in weiser Voraussicht mit einer Erfrischung versorgt hatte und seit geraumer Zeit abseits der Hochzeitsgäste nicht nur die Vorgänge am See beobachtete, sondern ebenfalls eine hölzerne Stangenkonstruktion in unmittelbarer Nähe des Gewässers in Augenschein genommen hatte, eilte nun angesichts des Vorfalls mit großen Schritten über die Rasenfläche hinunter zum Ufer. Wobei er mit der linken Hand und fast schon akrobatischem Geschick das Tablett mit einer Karaffe angenehm temperierten Mineralwassers balancierte. Dem er eigens mit einem Spritzer Limone den entscheidenden Geschmack und unter Hinzugabe mehrerer frischer Pfefferminzblättchen die entscheidenden lebenserhaltenden Geister hinzugefügt hatte.

„Désolé.“ Perrot fegte mit einer nahezu ruppigen Bewegung seiner rechten Hand die beiden wie versteinert dastehenden Polizisten zur Seite. Jeff starrte ihn aus glasigen Augen an.

„Trinken Sie“, befahl Perrot.

Jeff griff nach dem Glas wie ein Ertrinkender nach dem ausgeworfenen Rettungsring.

„Ein Schuss.“ Er röchelte. „Hier.“ Der Inspector deutete auf seinen Hals.

Perrot würdigte die gerötete Stelle lediglich mit einem kurzen Seitenblick. „Beruhigen Sie sich, mein Freund, das war kein Schuss. Jedenfalls kein herkömmlicher.“ Perrot füllte das Glas erneut.

„Trinken Sie. Doppelt hält besser.“

Jeffs Stimme klang nach dem zweiten Glas dieses belebenden Getränks beruhigend kräftiger. „Perrot, Sie Teufelskerl. Woher wussten Sie …?“

Perrot goss ein drittes Mal Wasser in das Glas. „Woher ich wusste, dass Sie am Verdursten waren? Wusste ich nicht, mein lieber Freund. Wusste ich nicht. Reine Intuition. Wie auch übrigens die Annahme, dass Sie es sein würden, der zum Unglücksort gerufen wird. Allerdings … nachdem ich nicht umhin konnte, den augenscheinlichen Tod dieser jungen Lady hier, erhärtet durch die Aussage des Notarztes, zur Kenntnis zu nehmen, war vielleicht auch ein wenig Wunschdenken dabei, denn …“ Perrot lächelte und forderte Jeff auf, auch noch den Inhalt des dritten Glases zu leeren. „In Anbetracht der Diagnose, die der gute Doktor mit der Bezeichnung Hitzschlag auf seinem amtlichen Formular vermerkt hat, und ferner in Würdigung der Tatsache, dass diese junge tote Braut hier nicht im Entferntesten den Eindruck einer derartig gebrechlichen Konstitution vermittelt, war mir sehr daran gelegen, die Sache noch einmal genauer unter die Lupe zu nehmen. Und das nichts lieber als mit Ihnen gemeinsam, mein Freund.“

Jeff nickte erfreut sein Einverständnis in Perrots leicht gebräuntes Gesicht. „Ich stimme Ihnen zu, Perrot. In allen Punkten. Tod am Tag der Vermählung … durch Hitzschlag. Nun ja, Perrot, da werden Sie Ihre grauen Zellen aktivieren und ich meine Nase sehr intensiv in die Ermittlungen versenken müssen. Denn da werden sich Fragen auftun. Viele Fragen. Und ganz sicher muss auch das ein oder andere mysteriöse Rätsel gelöst werden.“ Der Inspector rieb sich instinktiv die schmerzende Stelle an seinem Hals.

„Nun, mein lieber Freund, dann will ich, bevor wir uns dem Fall in aller gebotenen Ausführlichkeit zuwenden, vorher noch das geheimnisvolle Schussrätsel auflösen.“

Perrot griff kurzerhand in die kleine Spalte zwischen Hemdkragen und Jackett des Inspectors. Mit einem befriedigenden Lächeln förderte er einen centgroßen, bläulich schimmernden Stein zutage. „Beim Heraufziehen hat das Boot die Kieselsteine am Ufer verdrängt. Und mindestens einer bekam dadurch den, nun ja … den Flitsch-Effekt eben.“

„Flitsch-Effekt“, wiederholte Jeff. Er fixierte sein Gegenüber mit einem schwer zu definierenden Gesichtsausdruck, während er erneut die schmerzende Stelle befühlte. „Auf jeden Fall wird das einen mordsmäßigen Fleck geben und meine Frau wird eine Erklärung von mir verlangen. Deutsche Frauen neigen zu umfangreichen Nachfragen. Jedenfalls meine.“

Perrot konnte sich nur mit Mühe ein Blinzeln verkneifen. Ihm war bekannt, dass die Angetraute seines Freundes diesem zwar mit Herzenswärme zugetan, aber zweifelsohne ebenfalls eine wortgewaltige, im Leben stehende Frau war, der man schwerlich ein Xfür ein U vormachen konnte.

„Perrot.“ Jeff ließ sich nicht anmerken, ob er die mimischen Bemühungen seines Freundes durchschaut hatte. „Es ist heiß. Dort drüben wartet ein verzweifelter Bräutigam. Ebenso warten da verzweifelte Gäste. Alle sind durstig. Und hungrig wahrscheinlich ebenfalls. Trotzdem werden sie sich alle keinen Millimeter vom Ufer wegbewegen, bevor ich ihnen nicht erläutert habe, ob hier bei dieser armen Lady meiner Meinung nach Fremdverschulden vorliegt oder nicht. Das heißt, wenn ich verhindern will, dass es dort drüben ebenfalls zu Dehydrierung oder sonstigen Schwächeanfällen kommt, muss ich zügig arbeiten. Meine Standfestigkeit ist allerdings noch nicht als ausreichend einzustufen … Perrot, würden Sie mir assistieren?“

Perrot deutete eine Verbeugung an. „É un piacere per me, caro mio.“

Jeff starrte Perrot an. „Perrot, Sie sprechen italienisch? Ich dachte, Sie sprechen nur französisch.“

Perrot lächelte milde. „Ich will diese Frage und die anschließende Bemerkung Ihrer noch nicht gänzlich wieder hergestellten Konstitution zuschreiben. Ich bin ein Weltbürger, lieber Jeff. Überall zu Hause. Und natürlich spreche ich die Sprachen meiner Heimatländer. Wie sonst könnte ich in der Lage sein, an den unterschiedlichsten und abgelegensten Orten den polizeilichen Ermittlern unter die Arme zu greifen. Aber um auf Ihre Frage zurückzukommen. Ja, mein Freund. Ich assistiere Ihnen. Es wird mir ein Vergnügen sein.“

Jeff nickte ein paarmal hintereinander, wie um den Pakt zwischen sich und Perrot zu bestätigen. Dann richtete er sich auf und streifte ein Paar der obligatorischen Handschuhe über. Aufmerksam betrachtete er die Tote.

„Ich sehe kein Blut. Zumindest nicht aus dieser Position. Derbe Gewaltanwendung durch eine schwere oder scharfe Tatwaffe scheint also ausgeschlossen. Aber die Tote hat graublau angelaufene Lippen.“ Jeff kräuselte seine Stirn. Ein Ausdruck, der ihm ein besorgtes Aussehen verlieh. „Da muss ich nicht lange herumrätseln, Perrot. Ich tippe auf Tod durch Ersticken.“

Perrot schnaubte verhalten durch die Nase. „Tod durch Ersticken? Wären da nicht Würgemale an Hals und Kehlkopf zu erkennen? Mit Verlaub, aber ich sehe nichts dergleichen. Oder gehen Sie davon aus, die Tat sei mit einem dieser Sitzkissen verübt worden, die auf den Gartenstühlen herumliegen? Oder zumindest mit etwas Ähnlichem.“

Jeff ließ nicht nach, seine Stirn in kleine Falten zu legen. „Perrot, wenn Sie meinen Ausführungen in Teilen oder im Ganzen widersprechen, dann bitte ich Sie, sich ebenfalls herunterzubeugen. Ich möchte den Oberkörper dieser bedauernswerten Lady anheben, um nach konkreteren Hinweisen zu suchen. Und ich glaube, dass ich die dort aller Voraussicht nach auch finden werde.“

Jeff strich die halblangen Haare der Toten im Nacken behutsam beiseite. „Dachte ich es mir. Kein Blut oder sonstige Hinweise auf Gewaltanwendung zu erkennen. Aber das hier.“

Der Inspector wies mit dem Zeigefinger auf einen gut stecknadelkopfgroßen, tiefroten, bläulich umrandeten Punkt knapp unterhalb des Haaransatzes der Toten. „Ein Einstich, Perrot. Kaum sichtbar. In einem anderen Zusammenhang könnte man ihn durchaus für den Stich eines Insekts halten. Aber dieser rote Punkt ist alles andere als ein Insektenstich. Hier wurde ein spitzer Gegenstand in den Nacken der Braut gestoßen. Die Verletzung liegt zwischen dem zweiten und dritten Halswirbel. Tatwaffe vorerst nicht benennbar.

Mein lieber Perrot, dieser Stich ist tief gegangen. Das Rückenmark wurde verletzt. Das führt zu einem markanten Schock in der Wirbelsäule. Da können Sie sicher sein. In dieser Höhe ist das Atemzentrum betroffen. Es kollabiert gewissermaßen. Keine Würgemale, aber diese Verletzung führte unmittelbar zum Erstickungstod. Kein Hitzschlag, Perrot. Diese Todesursache buchstabiert man anders. Das war … Mord.“

Wären Perrot Beifallsbekundungen dieser Art nicht zuwider gewesen, er hätte durch die Zähne gepfiffen, um seiner Bewunderung Ausdruck zu verleihen. „Daher auch die blauen Lippen. Kompliment, mein lieber Jeff. Diese Einschätzung hat Rechtsmedizinerqualitäten.“

„Ach, Perrot. Verabschieden Sie sich von Kriminalfällen, die durch Fernsehprogramme geistern. Die Analyse des ermittelnden Inspectors, zusätzlich zur Diagnose des Arztes, der den Totenschein ausstellt … ich halte sie für unverzichtbar. Da braucht es medizinisches Wissen, um ein zügiges eigenes Einschätzen der Todesursache vorzunehmen. Auch wenn die von rechtlicher Seite natürlich immer als vorläufig zu betrachten ist und mein Vorgehen bei meinen Kollegen von der Rechtsmedizin regelmäßig eine mittlere Krise auslöst … wenn ich vor denen am Tatort bin. Trotzdem … es erhöht die Chance auf eine schnelle Ergreifung des Täters, wenn ich versuche, mir, sobald ich eintreffe, ein eigenes, differenziertes Bild von den Umständen zu machen. Nicht um alles in der Welt würde ich darauf verzichten.“

Jeff nickte wie zu seiner eigenen Bekräftigung und Legitimation für sein sehr spezielles Vorgehen, und Perrot meinte, ein kämpferisches Blinken in den Augen des Inspectors zu erkennen.

„Und Perrot. Medizinisches Wissen hatte ganz eindeutig auch der Täter. Da wusste jemand, was er tat. Das war zielgerichtet und akkurat durchgeführt. Mein Freund, da war ein Fachmann am Werk.“

Perrot wiegte seinen Kopf hin und her. „Oder eine Fachfrau, die wusste, was zu tun war. Jedoch augenfällig jemand, der wenig Zeit hatte, seine heimtückische Tat durchzuführen. Hier … es sind einige lange Haare von der Toten herausgerissen. Und, Jeff, sehen Sie diese leichte Verletzung der Haut links neben der Halswirbelsäule? Da ist der Täter mit dem Mordwerkzeug entlanggeschrammt. Das war eine schnelle, vielleicht sogar hektisch ausgeführte Tat.“

Jeff bettete die Tote behutsam in ihre ursprüngliche Position zurück.

Perrot ließ nachdenklich ein paar Kiesel durch seine Finger gleiten. Zwanzig Kiesel rieselten in das große Ganze zurück. Und jeder von ihnen war eine unbeantwortete Frage. Er richtete sich auf und ließ seinen Blick über den See schweifen. Auf der gegenüberliegenden Uferseite befand sich ein schmaler Schilfgürtel. Kaum zehn Schritte breit. Am rechten, sanft geschwungenen Ufer des Gewässers wuchs eine Trauerweide. Dort stand einsam, aber einladend eine Bank. Die langen, biegsamen Zweige des Baumes spendeten ihr ein Gemisch aus Sonne und Schatten. Über der Wasseroberfläche segelten Schwalben, die auf ihrer Jagd nach Mücken kleine Flugwunder vollbrachten. Sie teilten sich ihren Lebensraum mit Libellen, die sich auf den länglichen Blättern der Schilfpflanzen sonnten oder über den Seerosen schwirrten. Perrot seufzte leise. Das hier war ein wunderbarer Ort, sich die Ehe zu versprechen, bis dass der Tod sie scheide.

„Jeff, mein Freund, an diesem See findet man keine ausreichende Deckung. Es gibt keinen vor Blicken verborgenen Platz, der diesen heimtückisch durchgeführten Mord ermöglicht hätte. Nur dieser schmale Schilfgürtel auf der anderen Seite. Selbst die Trauerweide kommt als Blickschutz nicht in Betracht. Sie steht viel zu weit vom Ufer entfernt.“

Der Inspector wandte den Kopf und blickte auf die Tote. Zwei Fliegen krochen über ihre Hände. Trotz der spätsommerlichen Hitze rieselte beim Anblick der Insekten eine Gänsehaut über seinen Nacken. Jeff war froh, dass Perrot erneut das Terrain absuchte. Er hätte sich bei einer unprofessionellen Schwäche ertappt gefühlt.

Perrot blickte betrübt in das Gesicht der jungen Frau. „Mein lieber Freund, nach meinem Ermessen war der Mord in diesem einsehbaren Gelände nicht durchführbar. Und doch ist er geschehen. Unter den Augen von einhundert Gästen, wenn ich die Menschenmenge dort am blumenverzierten Hochzeitsbogen richtig einschätze. Alle standen am diesseitigen Ufer. Voller Erwartung. Da war einhundert Mal ungeteilte Aufmerksamkeit. Ich bin sicher, mein Freund, da hat kein Kampf zwischen Täter und Opfer stattgefunden. Sonst hätte doch irgendetwas, das geräuschvolle Aufflattern eines Vogels beispielsweise oder das wogende Schilf, zumindest einen kleinen Hinweis darauf liefern müssen, dass da nicht alles mit rechten Dingen zugeht. Sie muss ihn gut gekannt haben, ihren Mörder. Alles andere ist kaum vorstellbar. Aber selbst so ist es für den Täter ein heikles Unterfangen gewesen. Den Kopf des Opfers mit einer Hand fixieren, mit der anderen die Tat ausüben und gleichzeitig das Boot ruhig halten. Da war Muskelkraft gefordert. Und … wilde Entschlossenheit.“

Jeff nickte zustimmend. Er hofft inständig, dass die Kollegen aus der Söhmheide bald eintrafen. Er musste weg vom Ufer. Weg aus dieser trügerischen, fliegenumsummten Nachmittagsidylle. Hinein in das vertraute Ritual der Ermittlungsarbeit.

Perrot war plötzlich ohne Vorankündigung mit gesenktem Kopf einige Meter am Ufer Richtung Trauerweide gegangen. Dann hatte er akribisch die hölzerne Stangenkonstruktion in der Nähe des Ufers in Augenschein genommen. Jetzt kam er mit schnellen Schritten zurück.

„Dieser Mordfall, mit all seinen Gegebenheiten, mit seinen Fragen und Unwägbarkeiten … mein Freund, das wird eine besonders kniffelige Aufklärungsarbeit.“

Der Inspector hatte nicht den Eindruck, dass Perrot sich von diesen Aussichten negativ beeindrucken ließ. Er wusste, Perrot würde jetzt erst recht die Ärmel hochkrempeln, jedes noch so kleine Detail überprüfen und seine grauen Zellen zu Höchstleistungen treiben. Und er würde jedem, der sich versucht fühlen könnte, die Ermittlungen nicht tatkräftig mit Aussagen zu unterstützen, unmissverständlich klar machen, dass er nicht eher ruhen würde, als bis der Täter überführt und dingfest gemacht worden war.

Perrot nickte dem Inspector zu. „Kommen Sie, mein Freund. Dort drüben naht Ihr mobiles Einsatzteam mit allen notwendigen Utensilien. Dann wird der Bestatter auch nicht mehr lange auf sich warten lassen. Für uns genau der richtige Zeitpunkt, mit den Befragungen zu beginnen.“ Perrot warf einen letzten, beinahe fragenden Blick auf die Tote, als hoffte er, sie würde ihm auf geheimnisvolle Weise einen Hinweis geben.

Jeff klopfte sich notdürftig den Sand von der Hose. Er blickte hinüber zu den Gästen am Hochzeitsbogen. „Ja, Perrot. Bringen wir Licht ins Dunkel. Irgendwo dort drüben in der Menschenmenge muss er ja stecken … der Wolf im Heidschnucken-Pelz.

Perrot lachte verhalten. „Sie haben sich gut eingelebt im Land der Heideköniginnen.“

„Was hilft’s, Perrot? Englands Königshaus ist weit. Doch irgendein gekröntes Haupt, das braucht es halt.“

Henry Atterberry hatte in bewundernswerter Selbstbeherrschung noch am See eine kurze Ansprache gehalten und mit fast zorniger Vehemenz darum gebeten, alle Gäste mögen sich trotz des schrecklichen Ereignisses hinauf in die Hochzeitsscheune begeben. Dort werde in Kürze wie geplant das Büffet bereitgestellt. Niemand solle sich von dieser schändlichen Tat einschüchtern lassen, vielmehr möge jeder mit aller Kraft die Ermittlungen unterstützen.

Perrot und Jeff hatten die Hochzeitsgesellschaft angeführt. Vorbei an der Remise und an der riesigen uralten Pappel, deren Rinde so runzelig wie das wettergegerbte Gesicht alter Schäfer war und deren Stamm im Laufe der Zeit zu so unvorstellbaren Ausmaßen heranwachsen konnte, dass es der ausgestreckten Arme dreier Menschen bedurfte, ihn zu umfassen. Es war eine stille Prozession gewesen, die in festlichen Roben hinauf zur Scheune strebte.

Nun standen Perrot und Jeff im Inneren des Gebäudes, in der Nähe des Eingangstores. Vor sich Menschen mit tränenverschleierten Blicken auf der Suche nach ihren Plätzen. Hinter sich ein ausladendendes Blumengesteck aus fliederfarbenen Rosen und weißen Hortensienblüten. Jeff verließ seinen Posten neben Perrot und ging wenige Schritte hin und her. Dann rückte er nah an Perrot heran.

„Hören Sie, Perrot. Angesichts all dieser Menschen, die so unübersehbar erschüttert an uns vorbeiziehen, frage ich mich, ob wir uns nicht auf einem Irrweg befinden, wenn wir den Täter ausschließlich unter den Hochzeitsgästen suchen. Perrot … irgendetwas gefällt mir an dieser Vorgehensweise nicht. Da gibt es etwas Diffuses, schwer Greifbares. Aber es lässt meine Synapsen vibrieren.“

Jeff tupfte sich mit seinem Taschentuch kleine Schweiß-perlen vom Kinn. Unruhig ließ er seinen Blick durch die Scheune schweifen. Einige der Gäste hatten bereits an den Tischen Platz genommen. Andere standen in kleinen Gruppen zusammen und unterhielten sich leise. Überall wurden Arme tröstend um zuckende Schultern gelegt. Wurden Köpfe an Revers geschmiegt. Schweigsame, in schwarz gekleidete Kellner füllten hier und da Wassergläser oder reichten Canapés. Auf allen Tischen standen fünfarmige Leuchter, die ihr diffuses Kerzenlicht nur knapp über die Tischkante hinaus entfalteten. Alles andere lag in einem fast beklemmenden Dämmerlicht. Der Inspector konnte sich dieser Stimmung nicht entziehen.

Perrot rollte mit den Augen. „Es besteht nicht der geringste Anlass, an der Täterschaft mindestens einer Person dieser illustren Gesellschaft zu zweifeln. Auch wenn das angesichts der zutief betroffenen Mienen der Herren und dem herzergreifenden Schluchzen manch einer Dame schwer vorstellbar scheint, gehe ich sogar noch einen Schritt weiter … selbst ein Komplott kann ich vor dem Hintergrund dieses hinterhältigen Tötungsdeliktes nicht ausschließen.“

„Im Grunde stimme ich Ihnen zu, Perrot. Aber es ist dieses Sackgassengefühl, das mich irritiert. Sie wissen doch, diese Straße, die nirgendwo hinführt. Außer vielleicht zu einer Tür in einem Bretterzaun. Aber wenn ich diese Tür öffne, dann stelle ich fest, dass es eine Drehtür ist. Und schon befinde ich mich wieder an meinem Ausgangspunkt. Wie haben Sie vorhin so treffend bemerkt: Es war eine Tat, die eigentlich undurchführbar war, weil hundert Augenpaare auf den See gerichtet waren. Irgendjemand hätte den Mord bemerken müssen. Es gibt keine Deckung. Außer diesem überschaubaren Schilfgürtel und dem kleinen Bootssteg. Und Perrot … wer zum Henker ermordet eine wunderschöne Braut quasi vor den Augen des Bräutigams?“

„Mein lieber Freund, was ist los mit Ihnen? Wir stehen erst am Anfang unserer Ermittlungen. Noch vor Kurzem haben Sie dort unten am See bei der Analyse der Todesursache eine Glanzleistung vollbracht. Sie haben dem Bräutigam eine exzellente Zusammenfassung des möglichen Tatherganges präsentiert, ohne seinen Schmerz wesentlich zu vertiefen. Sie haben sich als Ermittler bestens eingeführt, aber jetzt wirken Sie auf mich wie ein Schwan mit gestutzten Flügeln.“

„All diese Menschen, Perrot.“ Jeff tupfte erneut an seinem Kinn herum. „Offenbar ist das gesamte britische Establishment angereist. Einheimische können Sie hier doch an einer Hand abzählen. Wie soll ich mich denn da als Ermittler dieser gemischten Gesellschaft präsentieren? Als Engländer? Als … eingebürgerter Abtrünniger?

„Mein lieber Jeff. All Ihre Bedenken zeugen von einer … nun ja, Zerrissenheit. Aber lassen Sie mich dazu sagen, ganz gleich wie Sie das innerlich empfinden. Sie sind und bleiben doch ein Europäer. Und da liegt das entscheidende und auch verbindende Moment.“

Perrot räusperte sich dezent. Ein geübtes Ohr hätte durchaus einen freundschaftlichen Lacher in diesem Geräusch ausmachen können.

„Bei allem Respekt, aber das, was Ihre Synapsen da an schwer greifbaren, diffusen Botschaften fabrizieren … mein lieber Jeff, Sie haben Ermittlungslampenfieber.“

Der Inspector sog einige Male geräuschvoll Luft durch die Nase. Er musste Perrots beschämende Diagnose dementieren oder ihr wenigstens einen weniger blamablen Anstrich verleihen. Ein schwer atmender, beleibter Herr verhinderte das vorerst. Er hatte sich aus einer kleinen Gruppe von Gästen gelöst und trat ein wenig zögerlich auf Jeff und Perrot zu. Mit der rechten Hand strich er sich über die steife Hemdbrust. Mit der linken versuchte er im Gehen, etwas aus der Innentasche seines in die Jahre gekommenen Jacketts hervorzuzerren. Perrot blickte ihm aufmerksam entgegen.

„Baden.“ Der Herr nickte zur Begrüßung. „Bürgermeister Baden. Sollte die Trauung vollziehen.“ Er stellte sich etwas breitbeinig hin, wie um seinem Auftreten eine amtliche Gewichtung zu verleihen. Mit einem entschlossenen Ruck zog er endlich einige zusammengerollte Blätter hervor.

„Hier. Die Rede. Alles fein ausgearbeitet und mit Schreibmaschine getippt. Und nun? Was nun?“ Der Bürgermeister streckte Jeff sein Manuskript entgegen, der es mechanisch an sich nahm und ebenso mechanisch an Perrot weiterreichte. Der rollte die Blätter auseinander, allerdings ohne einen Blick darauf zu werfen. Perrot stieg ein leichter Geruch nach Mottenkugeln in die Nase.

„Mein werter Herr Bürgermeister.“ Perrot rollte die Blätter wieder zusammen. „Womit kann ich Ihnen behilflich sein? Möchten Sie im Zusammenhang mit Ihrer ausgearbeiteten Festschrift und dem Mord an Lucy Atterberry vielleicht ein Aussage machen?“

„Wie? Ich verstehe nicht ganz ….“ Der Herr Bürgermeister konnte in seiner jetzigen bedauernswert instabilen Verfassung der Frage offenbar weder einen tieferen noch einen ermittlungstechnischen Sinn entnehmen. Er habe eine Rede geschrieben. So wie sonst auch. Nicht mehr und nicht weniger. In diesem Fall ein wenig abgewandelt vielleicht, ja, aber im Grunde doch seit Jahren unverändert. Weil er sie so verstehe, die Ehe. Als Stromkreis nämlich. Mit zwei Polen. Positiv und negativ. Und solange diese beiden Pole hübsch getrennt voneinander blieben, sei alles gut. Erst wenn sich positiv und negativ direkt berührten, käme es zu einem verheerenden Kurzschluss.

„Und“, fügte er mit einem gewissen Stolz hinzu. „Das ist immer gut angekommen bei den Brautleuten. Oft werde ich zu einem späteren Zeitpunkt sogar darum gebeten, eine Abschrift der Rede anzufertigen.“

Perrot lächelte freundlich. „Eine sehr interessante, vieldeutige Interpretation der Ehe. Ich bin sicher, sie wird allen Paaren eine anschauliche Versinnbildlichung der Eheschließung und des Danach vor Augen führen. Nur leider … in diesem speziellen, tragischen Fall wird es kein Danach geben. Die Braut ist ermordet worden. Die Verfassung des Bräutigams gibt ebenfalls ein wenig Anlass zur Sorge und ...“

Der Herr Bürgermeister sog Luft durch die Nase und ließ sie geräuschvoll wieder zum Mund herausstreben. Es war für Perrot nicht ersichtlich, ob dieses Geräusch im Zusammenhang mit seinen Hinweisen auf die Ermordete und die Verfassung des Bräutigams stand oder doch eher Schwäche offenbarte.

„Nun, mein lieber Herr Bürgermeister, wir stehen zum jetzigen Zeitpunkt noch ganz am Anfang unserer Ermittlungen und da wäre es außerordentlich hilfreich, bekämen wir von einer Person des öffentlichen Lebens einen … nun ja, Fingerzeig.“

„Ja, am Anfang. Auch die Braut stand ganz am Anfang. Von ihrem Leben nämlich. Und das ist jetzt erloschen. Man hätte sie eben nicht allein lassen sollen, da unten am See. Wer kommt denn auch bloß auf so eine lausige Idee. Von Rechts wegen hätten ja beide ins Boot gehört. Nicht nur die Braut. Auch der Bräutigam. Aber der stand wohl lieber auf der anderen Seite. Wenn Sie verstehen, was ich meine.“

„Nun ja. Nein, ich verstehe nicht ganz. Wenn Sie Ihre Bemerkung etwas konkreter fassen könnten. Es wäre in der Tat um einiges aufschlussreicher, eine bildlichere Aussage zu erhalten.“ Perrot nickte aufmunternd.

„So, also … bildlicher.“ Der Bürgermeister schien zu überlegen, wie anschaulich er wohl seine Missbilligung formulieren dürfe. „Also was ich sagen will, ist … das war doch alles für eine so zierliche Frauensperson viel zu viel Aufregung. Da hätte der Kavalier unbedingt die ganze Zeit an ihrer Seite bleiben müssen. Früher, zu meiner Zeit, wäre das nicht denkbar gewesen … die Dame des Herzens allein so einer Lage auszusetzen und einfach nur so dazustehen ...“ Der Bürgermeister fuhr sich mit der Hand über die Augen.

Perrot deutete auf einen unbesetzten Stuhl in der Nähe. „Wenn Sie vielleicht kurzzeitig eine kleine Erholungspause einlegen möchten und vielleicht ein Glas Wasser …“

Bürgermeister Baden schüttelte verneinend den Kopf. „Danke, aber es geht schon wieder. Es ist die Hitze und die Aufregung, die mir zu schaffen machen. Und eigentlich habe ich ja meinen angewiesenen Platz. Vor der Trauung hatte ich mich schon einmal hier umgesehen, damit ich hinterher nicht lange suchen muss. Aber jetzt kann ich mich nicht erinnern, wo der Tisch mit meiner Karte stand. Allerdings bin ich nicht sicher, ob es nach diesem Ereignis noch wichtig ist … oder ob sich hier jetzt jeder irgendeinen Platz …“

Bevor Jeff Anstalten machen konnte, dem Bürgermeister zu signalisieren, dass auch er in Anbetracht der Situation dem persönlichen Bedürfnis und nicht der Etikette den Vorrang einräumen würde, griff Perrot dem Bürgermeister unterstützend unter den Arm.

„Wenn Sie mögen, werde ich Ihnen bei der Suche nach Ihrem Namenskärtchen behilflich sein. Allerdings würde ich gern vorher eine Frage an Sie richten. Gibt es Informationen in Ihrem Redemanuskript, die eher persönlicher Natur sind? Anekdoten über das Brautpaar vielleicht, die einen privateren Blick auf die Zusammenhänge ermöglichen?“

Der Herr Bürgermeister verstand nicht gleich. „Ich habe eine Rede geschrieben. Wie sonst auch. Nicht mehr und nicht weniger. In diesem Fall vielleicht ein wenig ab-gewandelt, ja, das habe ich sie wohl, aber sonst ist sie seit Jahren unverändert ...“

„Nun, mein lieber Herr Bürgermeister, dann danke ich Ihnen für Ihre Ausführungen. Wenn Sie sich jetzt meiner Führung anvertrauen wollen, dann können wir uns gemeinsam auf die Suche nach Ihrem Platz begeben.“

Perrot reichte das Redemanuskript an den erfreut nickenden Bürgermeister zurück. Es erforderte einiges Geschick, den schwer lenkbaren Mann durch die Tischreihen zu manövrieren und dabei gleichzeitig die Namen auf den Tischkarten zu entziffern. Die allgemeine Sitzplatzsuche und das vorherrschende Dämmerlicht erschwerten die Suche zusätzlich. Perrot wollte schon seine Stimme erheben, um für kurze Zeit um eine ausreichende Illuminierung zu bitten. Doch bevor er dieses Ansinnen in die Tat umsetzen konnte, regte sich in Bürgermeister Baden eine vage Erinnerung.

„Ich glaube, ich habe vorhin …“ Der Bürgermeister wies mit ausgestrecktem Arm auf einen der Tische in der Nähe der rückwärtigen Ausgangstür. „Dort. Ich glaube, dort ist sie.“

Perrot konnte nicht mit Bestimmtheit sagen, ob der Bürgermeister seine Namenskarte gesichtet hatte oder mit seinem Ausruf die Dame meinte, die im Türrahmen stand. Auch konnte Perrot wegen des ausgestreckten Arms seines Schützlings nicht genau erkennen, ob es die gleiche Person mit dem apricotfarbenen Sonnenhut war, deren flüchtige Bekanntschaft er bereits im Cafégarten gemacht hatte. Doch bevor Perrot Gelegenheit hatte, sie näher in Augenschein zu nehmen, hatte sie sich bereits von ihrem Standort zurückgezogen und war seinen Blicken entschwunden.

Perrot ließ den Bürgermeister, der sich plötzlich mit erstaunlicher Beweglichkeit an einer Reihe Gäste vorbeischlängelte und bereits im Begriff war, seinen Sitzplatz einzunehmen, bedenkenlos stehen und eilte zur Tür. Etwas an dem Verhalten der Frau erregte seinen Argwohn. Er wollte der Sache unverzüglich auf den Grund gehen. Perrot konnte nach dem Dämmerlicht der Scheune und den fast grellen Lichtverhältnissen draußen nur schemenhaft Umrisse von parkenden Autos erkennen. Lediglich einen einzelnen Herrn, der sich dem Geruch nach dem Rauchen einer Zigarre widmete, konnte er im Gegenlicht ausmachen. Perrot gab einen unwilligen, verärgerten Laut von sich. Er hatte das Gefühl, als sei ihm ein Fisch von der Angel gegangen.

Lady Joanna Hampton blickte mit ihren großen blauen Augen umher. Ihr war weder der kleine Zwischenfall mit dem Bürgermeister noch Perrots behändes Eilen zur Tür entgangen. Allerdings hatte sie keine Veranlassung gesehen, den Grund für all das herauszufinden. Sie war bereits am Rätseln und hoffte in ihrem mehr sommerlichen als festlichen Kleid schon seit einiger Zeit auf eine hilfreiche Eingebung hinsichtlich der Sitzplatzordnung. Perrot, der in die Scheune zurückgekehrt war und einen gewissen Unmut in ihren vom wohlsituierten Landleben gebräunten, aber nicht mehr ganz jungen Zügen zu erkennen glaubte, verbeugte sich galant.

„Gestatten Sie, dass ich mich vorstelle. Achille Perrot, Madame. Wie ich sehe, streifen Sie ein wenig ratlos zwischen Tischen und Gestühl umher. Ich glaube, den Grund zu kennen. Wenn Sie gestatten und Sie mir Ihren Namen nennen, könnten wir der Sache vielleicht gemeinsam zum Erfolg verhelfen.“

„Monsieur Perrot, wenn Sie im Gegenzug davon absehen, mir mit salbungsvollen Worten Ihr Beileid zum Tod meiner Tochter auszusprechen, wäre das durchaus eine Möglichkeit. Auch im Hinblick darauf, mich setzen zu können und etwas zu essen. Und mich danach vielleicht ein wenig von diesem furchtbaren Drama zu erholen.“

Perrot bemühte sich um einen nicht allzu entsetzten Gesichtsausdruck. „Madame, Sie sind die Mutter der Braut? Verzeihen Sie, wenn ich überrascht wirke …“

Die Dame winkte mit einer gleichgültigen Geste ab. „Ich kann mir vorstellen, dass Sie etwas anderes erwartet haben. Etwas Distinguierteres. Aber ich bin die Mutter der toten Braut. Da können Sie Gift drauf nehmen. Mein Name ist Lady Joanna Hampton.“

Perrot konnte sich nicht erinnern, jemals vorher in seinem Leben einer ähnlich unkonventionell agierenden Dame gegenüber gestanden zu haben. Geschweige denn einer ähnlichen, fast bizarr anmutenden Situation unterworfen gewesen zu sein. Er löste sie formgewandt.

„Madame, ich stehe zu Ihren Diensten.“