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In die Villa des Unternehmers Müller wird eingebrochen. Ärgerlich, aber nicht wirklich schlimm. Schließlich hat man Geld ohne Ende. Dummerweise ist der Einbruch aber auch der Start einer sehr besonderen Erpressung. Der Erpresser will Müller demütigen. Geld spielt für ihn keine Rolle. Ein Spiel mit sehr ungleichen Waffen beginnt und bringt Müller und seine Frau Yvonne in Situationen, die von den beiden unterschiedlicher kaum aufgenommen werden können. Welche Rolle spielt Beatrice, die Betreiberin eines Erotikladens, die einen unübersehbaren Hang zu Fesselspielen hat und nur allzu begierig ist, Yvonne mit Latex, Lack und Edelstahlschmuck bekannt zu machen? Eines ist sicher: Wenn das alles vorbei ist, wird der Weg zurück zum alten Leben kaum noch zu finden sein.
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Seitenzahl: 344
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Prolog
Samstag 30.4 / Sonntag 1.5.
Montag 2.5.
Dienstag. 3.5.
Mittwoch 4.5.
Donnerstag 5.5.
Freitag 6.5.
Samstag 7.5.
Sonntag 8.5.
Montag 9.5.
Dienstag 10.5.
Mittwoch 11.5.
Donnerstag 12.5.
Freitag 13.5.
Samstag 14.5.
Sonntag 15.5.
Montag 16.5.
Dienstag 17.5.
Mittwoch 18.5.
Donnerstag 19.5.
Freitag 20.5.
Samstag 21.5.
Sonntag 22.5.
Montag 23.5.
Dienstag 24.5.
Mittwoch 25.5.
Donnerstag 26.5.
Freitag 27.5.
Epilog
Mehrere Seile wanden sich kunstvoll um ihren Körper. Die Arme waren auf ihrem Rücken so zusammengebunden, dass die Unterarme unbeweglich aufeinanderlagen und sie mit den Händen den Ellenbogen des jeweils anderen Armes umfassen konnte. Ihr Oberkörper und ihre Oberschenkel bildeten eine gerade Linie. Die Unterschenkel waren bis zu den Oberschenkeln hochgezogen. An den Seilen, die ihren Oberschenkelansatz, ihre Taille und ihre Brust umschlossen, waren weitere Seil angebracht, die an einer Öse befestigt waren, die von der hohen Decke an einer Kette herabgelassen war. Da die junge Frau keinen Kontakt zum Boden hatte, schwang sie sehr langsam um die eigene Achse und schaute voller Lust in die Kamera.
„Noch eine Runde Liebchen und du bist erlöst.“
Sehr viel länger hätte sie die Position auch nicht mehr ausgehalten. So aber konnte sie nochmals ihren Kopf nach hinten werfen und dadurch das Seil in eine sanfte Pendelbewegung versetzen.
Kurze Zeit später kam der Fotograf zu ihr und ließ sie langsam zum Boden herab, wo er der Reihe nach die Seile löste. „Du warst mal wieder super. Ich verstehe gar nicht, wie du das so lange aushalten kannst.“
„Liegt alles nur an dem, der einen fesselt Marc. Und du bist einfach gut darin. Ich habe noch keinen Bondagekünstler erlebt, der das Gewicht meines Körpers so gut auf die Seile verteilen kann, wie du.“
„Naja.“ Wie immer konnte Marc mit dem Lob nicht wirklich umgehen. Zu ihrer Freude wurde er rot und zog es vor, nicht weiter auf seine Künste einzugehen.
„Nimm dir einen Kaffee oder was immer du möchtest. Wenn das für dich okay ist, dann geht es in einer halben Stunde mit den Edelstahlmanschetten weiter.“ Er hielt ihr einen Bademantel hin. „Und zieh dir den hier über. Du weißt, dass ich immer Angst habe, meine Models könnten sich erkälten, wenn sie nach einem Shooting mit dem ganzen Schweiß auf dem Körper aus dem warmen Scheinwerferlicht rausgehen.“
Sie nahm den Mantel mit einem dankbaren Lächeln und ging in den kleinen Aufenthaltsraum neben dem Studio.
Sie war sehr gespannt, wie das nächste Shooting würde. Bisher hatte sie immer nur Fotos machen lassen, bei denen ihr Körper auf das Kunstvollste mit Seilen verschnürt war. Die Stahlbänder würden eine ganz neue Erfahrung für sie sein. Als sie gemütlich mit einer Tasse Kaffee in einem der Sessel saß und sich die Stellen massierte, an denen die Seile gesessen hatten, schweifte ihr Blick durch den Raum. Auf dem Tisch lagen verschiedene Fotomagazine kreuz und quer durcheinander. Sie konnte nicht anders und musste sie zu einem ordentlichen Stapel zusammenlegen. Danach hätte sie am liebsten die Glasplatte des Tisches geputzt. Nicht, dass sie wirklich dreckig war. Wenn Marc in seinem Atelier neben der Unordnung in seinem Aufenthaltsraum auch noch Schmutz geduldet hätte, wäre sie niemals zu den Shootings bereit gewesen. Trotzdem waren auf der Glasplatte einige Fettflecken, wie sie entstehen, wenn man mit den Händen auf die Platte kommt. Statt aber zu putzen war sie von dem fasziniert, was sie in der Ablage unter der Tischplatte sah.
Die Stahlmanschette glänzte, als ob sie gerade frisch poliert wäre. Sie war von innen mit einem weichen schwarzen Stoff gefüttert, der oben und unten über den Stahl hinausschaute und einen wunderbaren Kontrast zu dem glänzenden Edelstahl bot. Sie nahm das Teil vorsichtig hervor und betrachtete es genauer. Das Schloss war geöffnet und mit einem starken Ring versehen, der nach dem Schließen der Manschette dazu dienen würde, verschiedene Fesseln zu befestigen. Bisher war sie immer davon ausgegangen, dass solche Manschetten mit einem simplen Vorhängeschoss verschlossen würden. Dieses Schloss aber würde nach dem Schließen nicht mehr als Schloss zu erkennen sein und hatte damit für ihr Empfinden viel mehr Stil. Wenn der Ring nicht so eindeutig wäre, hätte das Ganze schon fast als extravagantes Schmuckstück angesehen werden können.
Kurzentschlossen legte sie die Manschette um ihren Hals, ließ das Schloss einrasten und betrachtete sich in dem Wandspiegel. Was sie sah, gefiel ihr außerordentlich gut. Sie hatte keine Ahnung, weswegen sie das nicht schon viel früher ausprobiert hatte.
„Liebchen, kannst du weitermachen oder brauchst du noch Pause?“ Marcs Stimme aus dem Studio hatte, wie immer, diesen besonderen fragenden Unterton.
„Ich komme!“
Sie nahm noch den letzten Schluck Kaffee und ging ins Studio zurück. Nachdem sie sich im Spiegel gesehen hatte, konnte sie es kaum abwarten noch mehr von diesen wundervollen Manschetten angelegt zu bekommen.
Als Marc sie sah, gefror sein freundliches Lächeln für einen Moment. „Wo hast du denn diesen netten Schmuck her?“
„Der lag auf der Ablage von dem Tisch dahinten.“ Sie zeigte Richtung Aufenthaltsraum. „Hätte ich den nicht nehmen dürfen?“
Marc kratzte sich am Hinterkopf. Da sie schon lange mit ihm arbeitete, wusste sie, dass es irgendein Problem gab.
„Eher mein Fehler. Du weißt, dass du immer alles ausprobieren kannst, was hier rumliegt. Aber das hätte ich nicht rumliegen lassen sollen.“
„Was ist so besonderes daran, außer dass es super aussieht.“
Er fasste sich ans Kinn. „Gut, dass es dir gefällt, denn du wirst das jetzt ungefähr einen Monat lang tragen müssen.“
Sie schaute ihn sprach los an und fing danach haltlos an zu lachen. „Du schaffst es immer wieder mich auf den Arm zu nehmen. Komm lass uns anfangen. Ich kann gar nicht abwarten, was für Manschetten du sonst noch hast.“
Damit ging sie zu der kleinen ausgeleuchteten Bühne.
„Liebelein?“, fing er vorsichtig an.
„Marc sei jetzt ruhig und leg los!“
Er schien nicht ganz glücklich aber fing dann doch an, ihr Manschetten um die Knöchel und die Handgelenke zu legen. Danach zeigte er ihr einen im gleichen Material gefertigten Keuschheitsgürtel und erklärte, wie der zu tragen wäre. „Die Leute, die etwas härter drauf sind, befestigen dann auch noch Dildos daran. Eigentlich kann ich mir nicht so wirklich vorstellen, dass das schön ist. Wir lassen das natürlich aus. Ich leg dir den dann mal an, oder?“
„Nur zu Marc. Dafür bin ich schließlich hier. Hauptsache, du wirfst den Schlüssel nicht weg“, scherzte sie.
Eine knappe Stunde später hatte er sie in den verschiedensten Positionen festgekettet und war endlich mit allen Posen, die er sich vorgenommen hatte, durch.
„Dann will ich dich mal erlösen.“
Nach kurzer Zeit hatte er bis auf die Halsmanschette alles entfernt und hielt ihr den Bademantel hin.
Sie zeigte auf ihren Hals „Ich finde die zwar wirklich hübsch, aber wenn du die auch noch entfernen würdest?“
Wieder fasste er sich an den Hinterkopf. „Ich hatte schon befürchtet, dass du mich nicht ernst genommen hast. Die kann ich wirklich nicht öffnen. Ich arbeite im Moment an einem Zeitschloss. Du hast eines meiner ersten Exemplare um den Hals. Heut Morgen war der Mechanismus noch geschlossen. Ich nehme an, er ist bei der Bondagesession aufgegangen. Dann hast du das Teil gefunden, dir umgelegt und wieder geschlossen. Ungefähr in einem Monat springt der dann wieder auf.“
Automatisch fasste sie sich an den Hals und zog an dem Stahlband, das sich natürlich nicht öffnete. Marc schaute sie dabei mit einem Lächeln an, das sie nicht richtig deuten konnte. „Ich hoffe mal, dass du das jetzt nicht lustig findest“, wollte sie wissen.
„Doch, eigentlich schon. Keine Ahnung wie viele von denen, die zu meinen Shootings kommen in ihrem tiefsten Inneren davon träumen in so eine Situation zu geraten. Was wird schon groß passieren? Du bist eine Zeit der absolute Blickfang. Das ist alles.“
„Dass mir das peinlich sein könnte ist jetzt nichts, was dir in den Kopf kommt?“
Marc nahm für kurze Zeit theatralisch eine Denkerpose ein. „Nein, aber ich hätte noch etwas Gleichwertiges für deine Handgelenke und Knöchel anzubieten.“
„Spinnst du jetzt völlig oder was?“
„Wenn du hier noch länger rumzickst, dann wirst du dieses Studio mit solchen Manschetten verlassen. Ich kann doch nichts daran ändern, dass du so neugierig bist. Ich habe dir lange genug die Gelegenheit geboten einigermaßen stilvoll aus der Nummer rauszukommen. Jetzt habe ich keine Lust mehr dazu. Also schau, dass du Land gewinnst.“
Sie wusste nicht, ob sie mehr durch die Worte oder den völligen Wegfall des Singsangs, der so völlig dem Klischee der Schwulen entsprach, schockiert war. Jedenfalls war die Ansage deutlich genug.
Die Kellnerin kam an den Tisch des Paares um die Reste der Hauptspeise abzudecken.
„Hat es Ihnen geschmeckt?“
„Meinen Sie das ernst Fräulein?“ Er sprach nicht übermäßig laut, aber laut genug, um die Gespräche an den Nachbartischen verstummen zu lassen. „Der Beilagensalat war fad und die Putenbrust zäh. Ansonsten war alles sehr ordentlich.“ Er wendete sich zu seiner Begleiterin „Wie war dein Essen?“
„Mir hat es sehr gut geschmeckt.“
Die Kellnerin dankte mit einem freundlichen Blick und verschwand mit dem Versprechen die Reklamation weiterzuleiten, in der Küche.
„Willi, der Gast an Tisch 7 fand den Salat fad und die Pute zäh.“
Der Koch funkelte die Kellnerin zornig an. „Was bildet der sich denn ein? In Wirklichkeit hat der noch nie ein so hervorragendes Essen zu sich genommen! Tisch 7 sagtest du Beate?“
Die Kellnerin nickte. Der Koch schaute nur kurz durch das kleine Spinksloch in der Türe.
„Der schon wieder. Der will mich ruinieren. Gib ihm und seiner Frau einen Schnaps. Serviere ihr einen schlechten und ihm einen guten.“
„Die Frau war aber den ganzen Abend sehr höflich“, protestierte Beate.
„Eben drum. Mach einfach. Du wirst schon sehen.“
Beate stellte die beiden Schnapsgläser vor ihre Gäste. „Der Koch bittet dies als kleine Wiedergutmachung anzunehmen. Sehr zum Wohle.“
„Bestimmt geben Sie meiner Frau den guten, weil sie immer so brav ist und mir irgendetwas völlig kaputtes Billiges. Ich kenne Läden wie diesen. Das können Sie mir glauben!“
Bevor die Kellnerin den Mund zum Protest öffnen konnte, hatte er die Gläser getauscht und seines gierig heruntergekippt. Als seine Frau sein Gesicht sah, nahm sie ihr Glas und nippte einmal daran. „Der ist gut. Danke an den Koch“, beschied sie der Kellnerin mit einem freundlichen Lächeln.
„Die Rechnung“, kam krächzend von ihrem Gegenüber.
Als sie das Restaurant verlassen hatten, hakte sich Yvonne bei ihrem Mann unter. „Wieso bist du bloß immer der Meinung, dass alle dir nur Böses wollen MM?“
„Es muss doch erlaubt sein, sich über das Essen zu beschweren!“
Sie schaute ihn fragend an. „Hat es denn wirklich nicht geschmeckt?“
„Die Kellnerin ist mir einfach auf den Keks gegangen. Die musste ich unbedingt in ihre Schranken weisen.“
„Ach MM. Die hat doch auch nur ihren Job gemacht. Und dass sie nicht so aussieht, wie dein Schönheitsideal, da kann sie doch nichts zu.“
Er strich ihr über die Hand. „Vermutlich hast du recht meine Liebste. Wir wollen das Thema jetzt abschließen.“
„Mit anderen Worten: Du hast keine Lust darüber zu sprechen und verstehst auch gar nicht, warum der ein oder andere mit deinen Auffassungen Probleme hat.“
„Ich hätte es nicht besser sagen können.“
„Du bist in solchen Dingen wirklich ein hoffnungsloser Fall, MM.“
Nicht zum ersten Mal ärgerte sich Yvonne darüber, dass er ungern über seine Fehler reden wollte und dieses Thema immer schnell mit ‚Vermutlich hast du recht’ oder ‚Wir wollen ein anderes Mal darüber reden’ abtat. Als sie am Ende der Einkaufsstraße angekommen waren, winkte MM ein Taxi heran, das sie nach Hause brachte.
„Yvonne, scheinbar ist mein Schlüssel kaputt. Probiere du bitte mal.“ MM wackelte an dem Schloss, ohne dass der Schlüssel richtig hineingleiten wollte.
„Kann es sein, dass das Schloss einfach kaputtgegangen ist MM?“ Yvonnes versuchte ebenfalls erfolglos den Schlüssel hineinzustecken.
„Wäre schon seltsam. Das hat ja bisher noch nicht einmal gehakt. Ich probiere mal den Nebeneingang.“
Kurze Zeit später öffnete er die Türe von innen.
„Schau dir das mal an.“ Er nahm sie an der Hand und zog sie zu dem Dielenschrank. Dort klebte ein Bild, das eine voll bewaffnete Comic-Heldin mit unvermeidlicher Traumfigur zeigte. Die Bildunterschrift lautete. „Das mit dem Schloss tut mir leid. Ich wollte schon immer mal Sekundenkleber in so ein Schloss reindrücken. Ihr werdet den Verlust verschmerzen. Vermutlich werdet ihr - wo ich gerade schon beim Sekundenkleber war – den Verlust sogar schon in wenigen Sekunden vergessen haben, wenn ihr nämlich euren schönen kleinen Tresor inspiziert habt.“
Weiter kam MM nicht. Er rannte in sein Arbeitszimmer. Das Bild, das den Tresor verbergen sollte, stand auf dem Boden. Der Tresor war geöffnet und leer. MM ließ sich schwer auf den Schreibtischstuhl fallen und starrte den Tresor an.
„Oh Gott.“ Yvonne stand in der Türe und hielt sich beide Hände vor den Mund. „Du musst die Polizei rufen. Bei uns wurde eingebrochen.“
Er drehte sich zu ihr um
„Bist du von allen guten Geistern verlassen. Das, was da drin war, ist ausnahmslos Schwarzgeld. Das weißt du doch. Soll ich der Polizei etwa sagen, dass mir schätzungsweise eine Millionen Euro an Schwarzgeld geklaut worden ist?“
Yvonnes Augen wurden in plötzlicher Panik groß. „Mein Schmuck! Hoffentlich hat der meinen Schmuck nicht gefunden!“
Sie war bereits die Treppe hoch, als er ihr halblaut antwortete „Dann kaufen wir eben neuen Schmuck. Kein Grund sich so aufzuregen. Frauen machen um ihren Schmuck ohnehin viel zu viel Aufhebens.“
Eine halbe Stunde später hatten sie das gesamte Haus durchsucht, fanden aber keine weiteren Einbruchsspuren mehr. Der Einbrecher hatte nur den Safe geknackt und war mit dessen Inhalt verschwunden.
„Was für eine Dreistigkeit, uns dann auch noch so einen Zettel an den Schrank zu heften. Als ob er genau wüsste, dass wir nicht zur Polizei gehen können. Außerdem, warum glaubt der, dass er uns einfach duzen kann? Kennt der uns, oder was?“
Als keine Antwort von seiner Frau kam, schaute er sich zu ihr um. „Yvonne, wo bist du?“ „Hier MM. Im Flur. Ich glaube, du solltest den Rest von dem Zettel auch noch lesen. Das ist ja wohl echt ein starkes Stück.“
„Aber ihr sollt eine Chance haben, euer Schicksal und das von all dem bedruckten Papier zu beeinflussen. Ich habe mir da ein kleines Spielchen ausgedacht. Eigentlich sind es mehrere kleine Spielchen, aber dazu später mehr. Hier kommt das erste Spiel:
Gesucht ist eine Stadt, die ihr heute besuchen sollt. Ich darf doch davon ausgehen, dass Mitternacht bereits vorbei ist? Also habt ihr beide Zeit. Schließlich ist Sonntag. Das Spiel ist nicht wirklich schwer, denn ich gebe euch die Koordinaten des Gebäudes, in dem ich euch um 12 Uhr erwarte: 50° 56′ 26″ N, 6° 57′ 30″ E“
MM schaute Yvonne entgeistert an. „Der ist allen Ernstes der Meinung, dass wir in der Gegend herumfahren, nur weil der das will. Das kann der sich abschminken. Ich werde doch nicht anfangen, nach der Pfeife von irgend so einem dahergelaufenen Dieb zu tanzen. Sobald ich den erwischt habe, zerlege ich den und seine jämmerliche Habe in seine Einzelteile und damit ist die Sache beendet.“
Yvonne wandte leise ein „Dafür musst du aber erst einmal wissen, wer das überhaupt ist.“
MM funkelte seine Frau böse an. „Das ist nur eine Frage der Zeit. Die Aufgabe, die ich nicht bewältigen kann, muss erst noch erfunden werden.“
„Lass uns erstmal einen Kaffee trinken MM. Wir müssen überlegen, was zu tun ist.“
„Du kannst gerne einen Kaffee machen. Das ist lieb von dir, aber das Überlegen überlässt du besser mir. Ist schließlich auch alleine mein Geld, das dieser Mensch gestohlen hat.“
Als der Kaffee, den er dann natürlich doch ohne einen weiteren Kommentar genommen hatte, geleert war, eröffnete er ihr „Wir werden zum Schein auf sein Spiel eingehen. Dadurch gewinnen wir wertvolle Zeit. Jetzt geht es erstmal ins Bett. Morgen müssen wir ausgeschlafen sein. Hast du schon gecheckt, in welcher Stadt sich die angegebenen Koordinaten befinden?“
„Mach ich gleich MM.“
Am Anfang ihrer Beziehung hatte sie sich noch darüber geärgert, wenn MM ihr nicht zutraute über ein Problem vernünftig nachzudenken, aber andererseits von ihr abhängig war, sobald es um Recherchen im Internet ging. Inzwischen fand sie das nur noch amüsant. Sie googelte die Koordinaten und hatte das Ergebnis schon auf dem Schirm. „Köln. Um genau zu sein, ist es das Römisch Germanische Museum.“ rief sie über die Schulter in die Wohnung.
„Köln“, er verzog angewidert das Gesicht. „Da findet doch immer dieser furchtbare Christopher Street Day statt. Hoffentlich grapschen mich da keine Schwulen an.“
„Meinst du nicht, dass du da etwas übertreibst? Erstens besteht Köln nicht nur aus Schwulen. Und zweitens packen Schwule nicht irgendwelche Männer an, nur weil sie Schwule sind. Schließlich wirst du ja auch nicht andauernd von Hetero-Frauen angepackt oder?“
„Machst du dich jetzt für Minderheiten stark oder was ist hier los?“
„Ich versuche nur, dir klar zu machen, dass du bezüglich Schwuler ein ziemlich dickes und unlogisches Vorurteil hast.“
„Das ist kein Vorurteil.“
„Was dann?“ In Yvonnes Blick lag ehrliches Interesse an seiner Antwort.
„Das verstehst du nicht.“ Er machte eine wegwerfende Handbewegung und dampfte Richtung Badezimmer ab.
Nach einer kurzen Nacht standen sie bereits um 11Uhr auf dem Roncalliplatz direkt vor dem Museum.
Schon auf der Autofahrt hatten sie gerätselt, wie die Kontaktaufnahme zu dem Dieb wohl stattfinden würde. Vermutlich hatte er einen öffentlichen Platz gewählt, damit er eine bessere Chance hatte, wieder in der Menge zu verschwinden. Sie sahen die große Einkaufsstraße, in der sich die Touristen dicht drängten. Ideale Bedingungen, um unterzutauchen. Um die Zeit zu überbrücken gingen sie noch kurz in den Dom, der direkt neben dem Museum steht.
Als sie um punkt 12Uhr das Museum betreten wollten, tippte jemand auf MMs Schulter.
„Sind Sie MM und Yvonne?“
Vor ihnen stand einer der jungen Skateboarder, die sich auf dem Platz tummelten.
„Das sind wir allerdings.“ MM schaute den jungen Mann prüfend an.
„Ich soll Ihnen das hier geben.“
Er reichte MM einen Briefumschlag und fuhr ohne besondere Eile wieder zu seinen Kumpels zurück.
„Hey warte. Wer hat dir den Brief gegeben? Wie sah der aus?“
Der Skateboarder machte eine elegante Kehrtwende und stellte sich mit leicht angenervtem Gesichtsausdruck vor MM.
„Ich hab’s mir doch gedacht. Von wegen einfacher Job. Passen Sie auf. Mich hat so ein Typ mit Sonnenbrille, Trenchcoat und Hut angelabert. Der sah so aus, als ob der gerade aus irgend so einem bescheuerten Agentenfilm ausgestiegen wäre. Auffällig unauffällig. Er hat mir irgendetwas von einer Verfolgungsjagd unter Freunden erzählt und mir das Bild hier von Ihnen gegeben.“ Er zog ein zerknicktes Foto aus der Hosentasche und gab es MM. „Hat mir erzählt, dass ich nur bis 12 warten muss und war weg.“
„Wieviel Geld hat er dir gegeben?“
„Das geht Sie nichts an. Ich darf mich empfehlen?“
Er machte eine förmliche Verbeugung und war weg. Diesmal reagierte er nicht auf das Rufen von MM.
„Was steht denn in dem Brief?“, wollte Yvonne wissen.
MM riss den Brief auf und las ihn laut vor.
„Ich gratuliere. Ihr habt euch dafür entschieden mit mir zu spielen. Macht euch einen schönen Tag in Köln. Den nächsten Hinweis findet ihr morgen in eurer Post.“
MM starrte den Brief lange Zeit an. Schließlich fing er an zu Lachen. „Das kann alles nur ein Scherz sein. Du wirst sehen, wenn wir zuhause sind, wird irgendeiner meiner Freunde auftauchen und sich furchtbar über den gelungenen Scherz amüsieren. Und ich bin drauf reingefallen“
„Wer könnte das sein?“, dachte Yvonne laut nach. „Eigentlich haben wir doch keine richtigen dicken Freunde.“
MM sah sie kurz an und nahm sie dann gut gelaunt in den Arm „Am besten wir gehen erstmal in eines der Wirtshäuser und essen etwas von der einheimischen Kost. Die sollen hier besonders gute Hähnchen zubereiten.“
Wenig später war seine Laune wieder auf einem Tiefpunkt angekommen. „Noch nie in meinem Leben hat man mich aus einem Gasthaus rausgeworfen.“
„Du hättest die Karte eben besser lesen sollen, bevor du dir den ‚halven Hahn’ bestellt hast“, wandte Yvonne ein.
„Dieser komische Kellner hat doch nur darauf gewartet, dass irgend so ein Tourist in die Falle geht. Ich habe nur von meinem Recht Gebrauch gemacht, mich über dieses Benehmen zu beschweren.“
Yvonne lächelte ihn an. „Und er hat sich das nicht gefallen lassen, mein liebster MM.“
Er schaute sie liebevoll an. „Du bist wirklich die Einzige, die mir so etwas sagen darf. Also gut, ich bin bereit, das auf sich beruhen zu lassen.“
Sie blieben noch einige Stunden in der Stadt und waren erst am späten Abend wieder zuhause.
„Herr Müller, unter der Post ist eine Warensendung, die persönlich an Sie gerichtet ist.“
„Wenn das da drauf steht, dann halten Sie keine langen Reden, sondern legen Sie sie ganz normal zur Post“, blaffte MM seine Sekretärin an. „Ich werde die dann schon noch früh genug zu Gesicht bekommen.“
Die Sekretärin war diese Behandlung scheinbar gewohnt, da sie ihm ohne sichtbare Gefühlsregung antwortete: „Das hätte ich gemacht, wenn der Umschlag sonst keine besonderen Auffälligkeiten aufweisen würde. Es ist aber ein Foto von Ihnen und ihrer Gattin abgedruckt, das sie vor einem mir unbekannten Hintergrund zeigt. Offenbar eine Fotomontage.“
„Und das sagen Sie mir erst jetzt? Geben Sie schon her!“
Sie reichte ihm den Umschlag und verschwand schnellen Schrittes aus seinem Büro.
Ein Blick reichte ihm, um zu erkennen, dass das Foto bei ihrem Besuch in Köln aufgenommen war. Es zeigte sie, als der Skateboarder ihm den Brief aushändigte. Der Hintergrund allerdings war durch ein großes Plakat ersetzt, das für den Christopher Street Day warb. Als er den Umschlag öffnete, fand er ein kurzes Schreiben und eine CD.
„Dies ist das zweite Spiel und damit auch eure zweite Städtereise. Auf der CD befindet sich ein kleines Spiel. Es ist sehr einfach programmiert. Ich hoffe, ihr seid deshalb nicht enttäuscht. In dem Spiel müsst ihr einige Lösungen finden, die ich in den Bereich des Allgemeinwissens einordnen würde. Seid also bitte nicht beleidigt, wenn ihr euch unterfordert fühlt. Sobald alle Aufgaben gelöst sind, erscheint ein Hinweis auf die nächste Stadt. Diesem Hinweis möchte ich euch bitten zu folgen.“
„Frau Schütich, ich komme heute nicht mehr rein. Falls etwas Unaufschiebbares anliegt, schicken Sie mir eine SMS.“ Bevor die Sekretärin etwas erwidern konnte, war er schon durch die Türe. Sie griff zum Telefon „Schütich hier, er kommt heute nicht mehr rein. Du hast die Wette gewonnen.“ Sie lauschte in den Hörer. „Ja, ich hätte es mir denken können. Egal. Treffen wir uns heute Abend bei mir? Ich koche. Wettschulden sind Ehrenschulden.“
Der restliche Arbeitstag war, wie immer, wenn der Chef nicht im Haus war, sehr entspannt und deshalb auch sehr effektiv.
Bereits aus dem Auto rief MM die Detektei Triebel an.
„MM hier. Ich brauche den Chef in 30 Minuten bei mir zuhause.“
Er beendete das Gespräch, bevor ihm eine Antwort gegeben werden konnte. In seinem Haus angekommen rief er nach Yvonne „Der Erpresser hat sich wieder gemeldet. Hier ist eine CD mit einem Spiel. Setz dich damit auseinander und bring mir gleich die Lösung. Ich habe für so einen Quatsch keine Zeit. Gleich kommt Triebel.“
„Schön, dass du schon da bist liebster MM. Ich freue mich auch dich zu sehen.“
Der Tonfall war Anklage genug. MM schaute seine Frau überrascht an, ging aber nicht weiter darauf ein.
„Stell dir vor, der Erpresser hat mir Post ins Büro geschickt. Das hier ist der Umschlag.“
Er hielt ihr das Foto hin.
„Er hat uns also bei der Übergabe beobachtet. Da hätten wir auch drauf kommen können.“
„Hast du gesehen, was da im Hintergrund auf dem Plakat steht? Ich will gar nicht wissen, wer außer der Schütich den Umschlag gesehen hat. Unverschämt. Der will mich in meiner eigenen Firma zur Unperson machen.“
Bevor Yvonne etwas entgegnen konnte, klingelte es an der Tür.
„Das wird Triebel sein. Sobald du das Spiel gelöst hast, kommst du dazu und sagst uns die Lösung.“
Yvonne blieb mit hochgezogener Augenbraue zurück. Für MM war sie im Moment einfach nur eine nützliche Bürokraft. Alles, worauf es jetzt ankam, war funktionierendes Personal. Er öffnete Triebel die Türe, führte ihn sofort in sein Arbeitszimmer und legte streng chronologisch dar, was bisher passiert war.
Währenddessen begann Yvonne sich mit Hilfe des Internets durch die Fragen durchzuarbeiten, die ihr von dem Programm auf der CD gestellt wurden.
Als MM von Köln erzählte, konnte sich Triebel nicht mehr zurückhalten.
„Die Fahrt nach Köln hätte schon das Ende der Erpressung sein können. Es war doch sonnenklar, dass der Erpresser beim ersten Rendezvous vor Ort sein würde, um zu prüfen, ob Sie auch brav auftauchen würden.“
MM brauchte einen Moment um seinen Ärger über die Unterbrechung und den Rüffel von Triebel herunterzuschlucken, gestand seinen Fehler dann aber doch widerwillig ein.
„Wann ist das nächste Treffen?“ wollte Triebel wissen.
MM zeigte auf den Umschlag. „Der war heute in der Büropost.“
Triebel zog sich Handschuhe an und holte den beigefügten Zettel aus dem Umschlag. Nachdem er ihn durchgelesen hatte, fragte er nach der CD.
„Die habe ich meiner Frau gegeben. Sie ist gerade dabei das Spiel zu lösen, das hier angekündigt ist.“
Der Detektiv schaute ihn entgeistert an. „MM, Sie wollen mir doch jetzt bitte nicht erzählen, dass Sie mit der CD einfach so auf ihren Computer gegangen sind?“
„Was soll denn passieren? Meinen Sie der Computer löst sich gleich in Luft auf oder was?“ war die unaufgeregte Antwort.
„Schon mal was von Viren, Trojanern und all den anderen Sachen gehört, die einen Computer heutzutage befallen können? Sie können doch nicht die CD von einem Wildfremden, noch dazu einem Erpresser, einfach so in ihren Computer packen. Wo steht der Computer?“
Als sie zu Yvonne kamen, schaute diese gerade verwundert auf den Drucker.
„Ist irgendetwas Besonderes passiert Yvonne?“
Sie schaute zu MM. „Bis jetzt gerade nicht. Ich habe eben die letzte Frage beantwortet. Keine Ahnung, weshalb der Drucker jetzt druckt.“
Alle drei schauten auf das frisch bedruckte Blatt.
„Es ist nicht überliefert, ob er eine kennen gelernt hatte, aber wenn doch, dann hätte er sagen können, er habe hier Anna kennen gelernt, wobei er mit einem leichten Lächeln um die Lippen sicherlich dem Wort ‚hier’ eine besondere Betonung gegeben hätte. Man hätte meinen können, dass das Wort mit dem nachfolgenden Wort verschmolzen wäre.“
Auf dem Bildschirm erschien „mission accomplished“.
„Was soll das denn bedeuten?“ MM schaute Yvonne fragend an.
„Das hat Bush doch damals gesagt, als er glaubte, seine Soldaten hätten mal so eben den Irak erobert“ erklärte Yvonne ihm.
„Das weiß ich natürlich. Ich will wissen, was das jetzt hier auf meinem Bildschirm bedeutet.“
Im gleichen Moment wurde der Bildschirm schwarz.
MM drückte auf die Tastatur, bewegte die Maus, aber nichts passierte. Schließlich machte er den Computer über den Hauptschalter aus und startete ihn gleich wieder. Nach kurzer Zeit meldete sich der Computer mit unzähligen Fehlermeldungen und der Empfehlung eine alte Systemwiederherstellungsdatei aufzurufen.
„Habe ich Ihnen doch gerade noch gesagt. Auf der CD war mit Sicherheit ein fetter Virus programmiert, der jetzt Ihren Computer demoliert hat“, erklärte Triebel. „Am besten, Sie lassen da einen Experten ran. Vielleicht kann der ja noch etwas retten. Waren denn wichtige Daten auf dem Rechner?“
MM schüttelte nur den Kopf. „Nein, der Computer hier ist eigentlich mehr zum Spielen und für das Internet da. Den habe ich schnell ersetzt.“
„Wenigstens wissen wir jetzt, was er mit ‚mission accomplished’ gemeint haben könnte“, warf Yvonne ein. „Wahrscheinlich war das der Moment, in dem er wusste, dass der Computer nicht mehr zu gebrauchen ist.“
„Vielen Dank Yvonne, da wäre ich jetzt nicht drauf gekommen.“ MM war schlechter Laune.
Zurück im MMs Arbeitszimmer stellte Triebel die Frage nach dem Sinn der gedruckten Botschaft. „Der Hinweis auf die nächste Stadt, die Sie besuchen sollen?“
MM nickte. „Das ist wohl zu vermuten. Fragt sich nur, wo die in dieser Botschaft versteckt sein kann.“
„Ich glaube, dass das nicht besonders schwer ist MM.“ Yvonne hörte sich optimistisch an. „Die ganzen anderen Rätsel aus dem Spiel waren mit dem Internet sehr einfach zu lösen. Eigentlich sogar teilweise ohne Internet“
Beide Männer schauten sie erwartungsvoll an.
„Ich würde einfach ‚hieranna’ als Suchbegriff eingeben und dann mal schauen was so kommt. Schließlich hat er doch besonders großen Wert darauf gelegt, dass die beiden Wörter so ausgesprochen werden sollen, wie ein einziges Wort.“
„Okay, nimm dir den Laptop und schau, was du herausfindest“, forderte MM sie auf.
Als sie gerade den Laptop aufklappte, klingelte es an der Türe. „Eilzustellung für Herrn Müller.“ MM nahm den Brief entgegen. Bevor er ihn öffnen konnte, nahm Triebel ihm den Brief aus der Hand.
„Sie wollen doch nicht schon wieder mögliche Spuren verwischen?“
MM streckte die Hand aus, um den Brief wieder zurückzufordern.
„Ich darf doch wohl noch meine Post öffnen. Sie sollten sich lieber um diesen Erpresser kümmern.“
Triebel schaute MM herausfordernd an. „Wann haben Sie das letzte Mal eine Eilzustellung mit geschäftlichen Unterlagen nach Hause zugestellt bekommen?“
„Noch nie, aber irgendwann ist immer das erste Mal.“
„Wenn mir diese Bemerkung erlaubt ist: Sie machen es Ihrem Erpresser wirklich einfach. Schauen Sie doch mal auf den Absender. Das ist der gleiche, wie der von dem Brief mit der CD.“
MM ging frustriert ins Wohnzimmer zurück. „Jahrelang habe ich keine Opfer gescheut, um meine Firma nach vorne zu bringen. Da ist es doch ganz normal, dass ich bei einem Eilbrief erstmal an die Firma denke.“
Yvonne kam mit dem aufgeklappten Laptop in den Raum. „Erfurt.“
Sie schaute die beiden Männer triumphierend an. „Ich würde sagen ‚Erfurt’. Beim googlen wird ‚hieranna’ zu ‚Hierana’ korrigiert. Das ist der Name der Erfurter Uni zu Zeiten von Luther.“
Eigentlich hatte sie mehr Freude über die schnelle Lösung des Rätsels erwartet. Schließlich fiel ihr Blick auf den Eilbrief. „Was ist das?“
„Ein weiterer Brief. Also ich meine ein weiterer Brief des Erpressers.“ Mit einer relativierenden Geste fügte MM hinzu. „Jedenfalls sieht es so aus.“
Triebel hatte inzwischen seinen kleinen Notfallkoffer geöffnet und zog ein Skalpell heraus, mit dem er den Brief vorsichtig öffnete. Mit einer Pinzette zog er das Schreiben heraus und hielt es so, dass MM lesen konnte.
„MM, da du ein Mann der Tat bist, ein echter Macher, wie du nie müde wirst zu betonen, wird jetzt vermutlich ein Computer im Reich der ewigen Jagdgründe gelandet sein. Ich hoffe sehr, dass der Ausdruck für euch aufschlussreich war, denn die genaue Adresse in der Stadt ist zu allgemein, um davon auf die Stadt zu schließen. Morgen Vormittag (also Dienstag) 11Uhr Hauptstraße 5. Das Codewort lautet „Dali“. Ich erwarte pünktliches Erscheinen.
Solltet ihr nicht erscheinen, werde ich mir überlegen, wie ich euch in Zukunft besser motivieren kann. Ein Ausstieg aus der ganzen Angelegenheit ist von meiner Seite nicht vorgesehen. Wenn ihr aussteigen wollt, dann ist das nur über eine Selbstanzeige und natürlich den Verzicht auf das Geld möglich.
Noch ein privates Wort: Ich habe natürlich Verständnis dafür, wenn ihr versucht mich aufzuspüren. Sollte dies gelingen, werde ich mich als fairer Verlierer erweisen. Ich erwarte allerdings, dass ihr für eure Erkundungen keine anderen Menschen mit eurem Problem belastet.“
Triebel brach als erster das Schweigen. „Der ist ja mal schräg drauf. Aber das ist auch genau unsere Chance. Ich werde eine befreundete Agentur in Erfurt mit der Observation der Adresse beauftragen.“
Er wartete die Zustimmung von MM ab und wählte dann eine Nummer aus dem Adressbuch seines Handys. „Hallo Mike, hier ist Triebel. Kannst du mir morgen früh aushelfen?“ Er signalisierte mit dem erhobenen Daumen Erfolg. „Die Adresse lautet Hauptstraße 5. Meine Klienten sind für 11Uhr morgen früh dorthin bestellt. Diskretion ist oberstes Gebot. Du wirst vermutlich nicht der Einzige sein, der observieren wird. Ich will wissen, wer der andere ist. Die Fotos meiner Klienten maile ich dir gleich zu.“
Nachdem er aufgelegt hatte, wandte er sich wieder MM zu.
„MM, stellen Sie mir bitte eine Liste zusammen, was in dem Safe war. Vielleicht lässt sich darüber eine Spur aufnehmen.“
„Die Liste ist schnell gemacht. Geld, nichts als Geld.“
„Was meint er dann mit Selbstanzeige?“
„Woher soll ich das denn wissen?“
„MM, da Ihre Frau gerade nicht im Raum ist, stelle ich die Frage vorsichtshalber mal anders. Wir beide haben eine Menge an fragwürdigen Dingen gemacht. Waren davon irgendwelche Unterlagen in dem Safe? Oder bewahren Sie die Sachen an einem anderen Ort auf?“
„Nein“
„Was ‚Nein’?“
„Nein, die bewahre ich an keinem anderen Ort auf“, antwortete MM genervt.
„Das heißt der Erpresser hat jetzt massenweise belastendes Material in den Händen?“ Triebel hatte sichtlich Mühe ruhig zu bleiben. „Und das sagen Sie mir erst auf Nachfrage? Haben Sie überhaupt einen blassen Schimmer davon, was der Erpresser mit uns beiden machen kann?“
„Na, so schlimm ist das nun auch wieder nicht. Er muss schließlich auch in der Lage sein, die Unterlagen richtig zu bewerten“, versuchte MM ihn zu beruhigen.
„Wann hätten Sie denn vorgehabt, mir das zu erzählen?“ Als MM nicht antwortete, fuhr er fort: „Ist auch egal. Gehen Sie davon aus, dass er etwas mit den Sachen anfangen kann. Das würde auch erklären, dass er Ihnen so seltsame Mails schreibt. Ich bin mir sicher, wenn wir ihn finden wollen, müssen wir bei unseren alten ‚Klienten’ suchen und werden dort auch fündig.“
„Aber das waren doch alles ausgemachte Penner. Von denen ist doch keiner in der Lage bei mir einzubrechen und dann auch noch den Safe zu knacken. Machen Sie sich doch nicht lächerlich. Das muss ein ganz ausgekochter Profieinbrecher sein, für den die Unterlagen nur wertloser Beifang sind.“
Triebel schaute MM lange an. „Glauben Sie eigentlich selber was Sie da sagen? Nur weil wir die Typen über den Tisch gezogen haben, sind das doch noch lange nicht alles nur die reinen Versager. Während Sie morgen in Erfurt sind, werde ich die alten Unterlagen durchforsten und schon einmal vorsortieren, wen wir genauer unter die Lupe nehmen müssen.“
MM machte eine wegwerfende Geste. „Ich kann Sie nicht daran hindern. Aber wir werden morgen ohnehin wissen wer das ist, falls Ihre Freunde in Erfurt ihren Job verstehen.“
„Ihr Gemüt hätte ich gerne. In welchem Gesetzbuch steht denn geschrieben, dass der Erpresser morgen in Erfurt ist? Die Observation kann ein Erfolg und genauso gut auch ein Misserfolg werden. Und das ganz unabhängig von den Fähigkeiten meiner Kollegen.“
„Zeigen Sie mir mal bitte das Schloss“ fuhr Triebel nach einer kurzen Pause fort. MM schaute ihn fragend an. „Welches Schloss?“
„Gestern wurde doch Ihr Schloss verklebt. Ich möchte es mir ansehen.“
„Das liegt natürlich im Müll, wo es hingehört. Inzwischen ist es ausgetauscht und alles wieder in bester Ordnung.“
Triebel bedachte MM erneut mit einem langen Blick. „Schon mal was von Spurensicherung gehört? Wie ist der Täter denn überhaupt reingekommen? Irgendwelche Spuren? Zerschlagene Fensterscheiben oder ähnliches?“
„Nichts. Das muss ein Profi gewesen sein. Vermutlich hat er das Schloss aufgebrochen und dann zum Verwischen der Spuren die Nummer mit dem Kleber durchgezogen!“
„Haben Sie etwas dagegen, wenn ich mir Ihr Haus mal genauer anschaue?“
MM machte eine einladende Geste. „Nur zu, nur zu.“
11Uhr, Erfurt. Die beiden standen vor einem Nagelstudio. „Was soll das denn jetzt wieder werden?“
„Keine Ahnung MM. Lass uns einfach reingehen und nachfragen, ob die mit ‚Dali’ etwas anfangen können.“ schlug Yvonne vor, als sie bereits die Türe aufdrückte.
Sofort kam ihr ein junger Angestellter entgegen, der durch sein Namensschild als Detlef ausgewiesen war.
„Guten Tag, was kann ich für Sie tun?“
„Sagt ihnen ‚Dali’ etwas?“, fragte Yvonne vorsichtig.
„Natürlich. Das war ein großer Künstler des Surrealismus.“ Als er die enttäuschten Gesichter von Yvonne und MM sah, fügte er hinzu: „Kleiner Scherz. Es gibt für 11Uhr so eine Art Blind Date unter dem Stichwort ‚Dali’. Sie machen wohl so eine Art Überraschungsspiel für Erwachsene?“
„Ja so etwas in der Art“, stimmte ihm Yvonne erleichtert zu. „Und was haben wir hier gewonnen?“
„Na, einmal Nägel für Sie natürlich.“ Mit einem bedauernden Blick zu MM fügte er hinzu „Für Sie leider nichts. Es sei denn, Sie wollen die Nägel? In dem Fall erkläre ich mich bereit eine Münze zu werfen oder Sie bezahlen die zweite Behandlung aus eigener Tasche.“
Als er MMs Gesicht sah, fügte er schnell, „kleiner Scherz“, hinzu.
Bevor MM eine Antwort geben konnte, empfahl Yvonne ihm, sich die nächste Stunde in einem der Cafes zu vertreiben. „Ich rufe dich auf dem Handy an, wenn ich fertig bin.“
„Mit zwei bis drei Stunden würde ich schon rechnen“ warf Detlef ein. Wortlos verließ MM das Nagelstudio und dampfte Richtung Innenstadt ab. Detlef schaute ihm hinterher. „Na, da ist aber einer enttäuscht, dass er nichts gewonnen hat oder?“
„Das glaube ich eher nicht.“ erklärte im Yvonne. „der ist nur genervt, dass das so lange dauern soll.“
„Wenn ich zaubern könnte, hätte ich einen spitzen Hut auf und würde mir als Erstes ganz viel Geld zaubern. Aber ich bin kein Zauberer. Also muss ich mir mein Geld normal verdienen und habe jetzt die große Freude, Ihnen ein paar wunderschöne Nägel machen zu dürfen.“
Er schaute Yvonne an.
„Sie werden doch jetzt keinen Rückzieher machen?“
„Nein, nein. Ich finde die Idee unseres Freundes zwar etwas sehr ausgefallen, aber wo ich jetzt schon mal hier bin, lasse ich mich gerne überraschen, was jetzt kommt. Ich nehme mal an, dass ich kein Mitspracherecht habe?“
„Korrekt“, stimmte ihr Detlef zu. „Es ist bereits alles festgelegt und auch bezahlt.“
Er führte Yvonne zu einem der Behandlungstische.
„Wollen wir?“
„Legen Sie los Detlef.“
Drei Stunden später hatte sie neue Nägel, die alles andere, als ein dezentes French Design mit ein paar Mustern hatten, mit dem sie im Stillen gerechnet hatte. Alle Nägel reichten einen Zentimeter über die Fingerkuppen hinaus. Auf den Daumen war jeweils eine Giraffe abgebildet, deren Beine so überdimensional lang waren, dass sie aus einem Bild von Dali stammen könnten. Die restlichen Fingernägel hatten keine Bilder bekommen. Sie waren silberglänzend und wirkten wie verchromt.
Nachdem Yvonne eine zeitlang nachdenklich auf die Finger geschaut hatte, erklärte Detlef ihr, dass sie keine Sorge haben müsse, eventuell einen der Nägel zu verlieren, wenn sie ihn zu stark belasten würde. „Sie werden sich schnell daran gewöhnt haben. Es gibt Frauen, die seit Jahren mit noch viel längeren Nägeln klar kommen.“
Yvonne war sich da nicht so sicher, wollte sich aber auch keine Blöße geben und verabschiedete sich von dem Nageldesigner. Der hielt ihr noch einen kleinen Umschlag hin.
„Das ist für ihren Mann. Wahrscheinlich die nächste Station, die sich Ihr Freund ausgedacht hat.“
Auf der Straße angekommen, hatte Yvonne einige Mühe ihr Handy aus der Tasche zu kramen. „MM? Ich bin hier fertig. Wo finde ich dich?“ Sie ging an den geparkten Autos entlang. Eines hatte die hinteren Fenster leicht geöffnet. Wahrscheinlich saß ein Hund hinter den getönten Scheiben und wartete geduldig auf die Rückkehr seines Herrchens. „Wie meine Nägel geworden sind? Ich würde mal sagen: Unbeschreiblich“ Sie kicherte ins Telefon. „Bis gleich“
Wenig später sah sie MM am Ende der Straße auf sie zukommen. Damit die Überraschung perfekt würde, steckte sie ihre Hände in die Manteltaschen.
„Yvonne, lass sehen!“
Mit einem „Tata“ holte sie die Hände aus den Taschen und schaute in das ungläubige Gesicht von MM.
„Nimm dir eine Schere und schneide die sofort wieder ab. Das sieht ja widerlich aus. Oder besser, du gehst sofort zu diesem Typen zurück und lässt dir das wieder entfernen!“
„Reg’ dich nicht so auf. Bevor ich irgendetwas mache, würde ich dir erstmal die Lektüre dieses Briefes empfehlen.“ Sie reichte ihm den Umschlag. „Den hat mir Detlef gegeben.“
„Wer ist Detlef?“ Sein Gesicht drohte rot anzulaufen.
„Der Nageldesigner, dem ich diese wunderbaren Nägel zu verdanken habe.“
„Jetzt sag mir bitte nicht, dass du die auch noch gut findest!“
Yvonne schaute sich die Nägel nochmals an „Doch, hat was. Ist vor allem nicht das langweilige French Design, das alle haben.“
„Das was?“
„Das kennst du doch. Die Spitzen weiß und der Rest mehr oder minder in seiner natürlichen Farbe.“
„So heißt das?“, nickte MM während er mit einer missmutigen Bewegung den Brief entgegennahm. „Den hätte er mir doch eben auch direkt geben können.“
„Hätte er nicht MM. Der ist doch der Meinung, dass das alles nur ein Spiel für reiche Leute ist, die sonst nichts mit ihrer Zeit anzufangen wissen. Da wird er sich doch nicht über die Anweisungen hinwegsetzen, die man ihm gegeben hat.“
Während MM schon den Brief las, stimmte er ihr erst halbherzig zu und starrte sie dann entgeistert an.
„Was ist? Was steht drin?“ Sie nahm ihm das Papier aus der Hand und las selber.
„Da Yvonne jetzt so wunderbare Nägel hat, sollst auch du, lieber MM nicht zu kurz kommen. Du wirst um 15Uhr in der Rathausstraße 15 erwartet. Das ist gut zu schaffen. Ich weiß natürlich, dass du mit Überraschungen nicht so souverän umgehen kannst. Deshalb verrate ich dir schon jetzt, dass ich dich zu einer Warmwachsepilation deiner gesamten Körperbehaarung angemeldet habe. Natürlich nur der Teil des Körpers, der sich unterhalb des Kopfes befindet. Mach mir die Freude dich ein wenig leidend zu wissen.
Ich melde mich dann in den nächsten Tagen wieder.
PS.: Yvonne, lass die Nägel bitte so, wie sie sind. Ist besser so für alle Beteiligten.“
Yvonne konnte sich ein leises Kichern nicht verkneifen, was ihr einen entsetzten Blick von MM bescherte.
„Findest du das jetzt auch noch lustig? Bin ich hier nur noch von Idioten umgeben? Wenn ich eines nicht machen werde dann ist das definitiv dieser Termin. Wie käme ich dazu, mir meine Haare rausreißen zu lassen?“
„Weil der Erpresser das will?“
„Weil der Erpresser das will“, äffte er Yvonne nach. „Das ist für mich noch lange kein Grund, das dann auch zu machen.“