Muse, das Fetischmodell - Gabriel Erbé - E-Book

Muse, das Fetischmodell E-Book

Gabriel Erbé

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Beschreibung

Muse ist von ihrem bürgerlichen Leben gelangweilt. Als sie den Edelstahlschmuckdesigner Franky kennenlernt, der mit drei anderen Künstlern in einer alten Villa wohnt, ver-lässt sie ihren Mann und stürzt sich in ein neues Leben. Franky und seinen Freunden kommt sie gerade recht, da die immer mal wieder neue Modells brauchen können. Vor allem dann, wenn die richtig viel Lust auf Neues haben. Muse wird Modell für sehr besondere Lack- und Latex-kleidung. Gleichzeitig nutzt sie die Chance, sich dauerhaften Körperschmuck zuzulegen und das Leben mit Fingernägeln aus der Kategorie „Überlange“ auszuprobieren.

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Das Buch

Muse ist von ihrem bürgerlichen Leben gelangweilt. Als sie den Edelstahlschmuckdesigner Franky kennenlernt, der mit drei anderen Künstlern in einer alten Villa wohnt, verlässt sie ihren Mann und stürzt sich in ein neues Leben.

Franky und seinen Freunden kommt sie gerade recht, da die immer mal wieder neue Modells brauchen können. Vor allem dann, wenn die richtig viel Lust auf Neues haben.

Muse wird Modell für sehr besondere Lack- und Latexkleidung. Gleichzeitig nutzt sie die Chance, sich dauerhaften Körperschmuck zuzulegen und das Leben mit Fingernägeln aus der Kategorie „Überlange“ auszuprobieren.

Inhaltsverzeichnis

Und Tschüß

Frankys Werkstatt

Bertis Laden

Der Ex nervt

Das erste Shooting

Guter Anfang, schlechtes Ende

Ein fast perfekter Sonntag

Überraschungen

Brechthild

Modenschau bei Arndt

Die Ex-Schwägerin nervt

Piercings

Schuhe shoppen

Ein Tag am Badeteich

Schmetterlinge

Modenschau bei Arndt (Teil II)

Üben

Verkaufsvideo für Franky

Bei der Gräfin

Einfach nicht nachdenken

Workshop bei Grace

Lisa in Hochform

Stress

Neue Fingernägel

Überraschung beim Notar

Der erste Messetag

Der zweite Messetag

Der dritte Messetag

Lisa

Nachwort

Und Tschüß

„Ich hab’ jemanden kennengelernt.“

Obwohl ich es nicht anders erwartet hatte, verletzte es mich trotzdem, dass er es noch nicht einmal für nötig hielt, von seiner Zeitung aufzublicken, als er ohne jedes Interesse, „Aha“, antwortete.

„Einen Mann.“

„Schön. Ich nehme mal an ein neuer Fitnesstrainer?“

„Nicht wirklich.“

Er blätterte die Zeitung um und schüttelte die Seiten so lange, bis die Blätter wieder schön aufeinander lagen. Danach griff er zu seiner leeren Kaffeetasse.

„Hast du noch einen Kaffee für mich?“

Jeden Morgen das gleiche Ritual: Mein toller Mann in seinem schicken weißen Hemd sitzt mit mir am Frühstückstisch und liest Zeitung. Immer, wenn er die letzte Politikseite aufschlägt, stellt er fest, dass seine Kaffeetasse leer ist. Eine Zeitlang war ich schon beim Umblättern der Zeitung aufgestanden und hatte ihm eine neue Tasse zubereitet. Ich hatte sie ihm lächelnd hingestellt und er hatte sich immerhin noch bedankt und zurückgelächelt. Dann hatte er irgendwann nicht mehr gelächelt und sich auch nicht mehr bedankt. Ich hatte trotzdem noch ein paar Wochen damit weitergemacht, schließlich dann aber aufgegeben. Jetzt stand ich nur noch auf, wenn er mich nach Kaffee fragte.

Also ging ich zu unserem Automaten, ließ die Bohnen frisch mahlen und den Kaffee in die Tasse fließen. Dann nahm ich die Tasse, wie immer an der Untertasse und stellte sie ihm vor die Nase. Die Unmengen an Ketten die ich am Handgelenk trug, klimperten dabei unüberhörbar. Da dieses Geräusch in seinem morgendlichen Ritual keinen Platz hatte, löste er tatsächlich seinen Blick von der Zeitung.

„Was ist das denn? Das sieht ja furchtbar aus. Nimm das ab. Du weißt doch, das ich das nicht mag!“

Kopfschüttelnd wendete er sich wieder seiner Zeitung zu.

„Ich finde das gut“, hielt ich ihm entgegen. „Und es geht ohnehin nicht ab.“

Er ließ die Zeitung fallen und wendete sich mir jetzt endlich mit seiner vollen Aufmerksamkeit zu.

„Was soll das heißen? Das geht nicht ab. Da wird ja wohl ein Verschluss dran sein. Den macht man auf und schon ist das Thema erledigt.“ Er betrachtete meinen Schmuck genauer und streckte seine Hand danach aus. „Zeig mal her.“

Brav, wie er es von mir gewohnt war, hielt ich ihm mein Handgelenk hin. Mein wissendes Lächeln sah er nicht, da er es nicht für nötig hielt, mir auch mal in die Augen zu schauen. Wie erwartet drehte und wendete er den Schmuck.

„Das sieht aus, als ob das alles einzelne Ketten sind. Wie hast du die denn überhaupt über das Handgelenk bekommen?“

„Ganz einfach. Zu dem Zeitpunkt waren die noch lose. Die sind erst danach geschlossen worden.“

„Verstehe ich nicht“, meinte er während er weiter an den Kettengliedern herumfummelte. „Die müssen doch einen Verschluss haben.“

„Nein“, klärte ich ihn auf, „die sind mit einer Zange verschlossen worden, nachdem ich die angelegt habe.“

Jetzt schaute er mir tatsächlich in die Augen „Bist du jetzt völlig bescheuert?“

„Nein. Wie ich schon sagte. Ich habe da jemanden kennengelernt.“

„Ist ja schön, aber das ist doch noch lange kein Grund, so einen Mist zu machen.“

„Doch, eigentlich schon. Ich finde das ziemlich erfrischend.“

„Erfrischend. Aha. Wenn du Erfrischung brauchst, dann dusch einfach mal kalt. Das macht auch den Kopf klar. Im Werkzeugkasten sind Zangen. Damit machst du das einfach wieder ab.“ Kopfschüttelnd wiederholte er nochmals, „erfrischend.“

„Nein, das werde ich ganz bestimmt nicht machen. Mir gefällt es.“

Zur Bestätigung bewegte ich mein Handgelenk und ließ die Ketten, an denen noch einige kleine Anhänger baumelten, klimpern.

„Was ist los mit dir? Wirst du jetzt aufmüpfig? Du warst doch bisher mit deiner Rolle zufrieden. Also mach gefälligst damit weiter. Und nimm diese scheußlichen Ketten ab. Wenn ich heute Abend wiederkomme, will ich die nicht mehr sehen.“

„Kein Problem. Du wirst sie auch nicht mehr sehen.“

„Dann haben wir uns ja doch noch verstanden.“

Damit packte er sein Jackett und seinen Aktenkoffer und verschwand. Natürlich hielt er es wieder einmal nicht für nötig, mir noch irgendetwas wie „Tschüß, bis heute Abend“ zu sagen.

Ich schaute mich noch mal im Esszimmer und der angrenzenden Küche um. Der Aufschnitt und die Brötchenkrümel waren noch nicht weggeräumt. Die Kaffeetasse, die er nach dem Umblättern der Zeitung geordert hatte, war unangerührt. Mit einem zufriedenen Gefühl stellte ich fest, dass ich ihn zumindest ein bisschen aus seinem eingefahrenen Morgenritual gebracht hatte. Ich legte ihm einen kleinen Abschiedsbrief auf den Tisch. Danach ging ich nach oben, packte zwei große Koffer mit Klamotten und Schuhen und einen weiteren kleineren Koffer mit den wichtigsten Unterlagen. Ein letzter prüfender Gang durch die Wohnung und dann stürzte ich mich in mein neues Leben mit Franky, dem Künstler.

Franky lebte mit einigen anderen Künstlern zusammen in einem alten Herrenhaus, das von einem riesigen Park umgeben war. Als ich ihn vor ein paar Wochen das erste Mal dort besucht hatte, war ich einfach nur überwältigt. Es hatte tatsächlich einige Zeit gedauert, bis ich wirklich begriffen hatte, dass ich in so etwas, wie einer Künstlerkommune gelandet war, die sich finanziell tatsächlich selber trug.

Jetzt war es so weit. Franky erwartete mich bereits mit weit geöffneten Armen auf der kleinen Treppe, die zu dem Haus hoch führte. Also ließ ich meinen Beetle mit den Koffern auf dem kleinen Vorplatz stehen, sprang in Frankys Arme und umklammerte seine Hüften mit meinen Beinen. Da er zwei Kopf größer war und zudem über eine Menge wohlproportionierter Muskeln verfügte, konnte ihn das nicht aus dem Gleichgewicht bringen. Ich ließ ihn auch gar nicht erst zu Wort kommen, sondern suchte direkt intensiven Kontakt mit seinen Lippen. Das Gefühl, als sich unsere Zungen berührten, löste bei mir höchste Glücksgefühle aus. Es war einfach himmlisch. Vor allem, nachdem ich ihm erklärt hatte, dass es nicht gut für meine Haut sei, wenn er immer mit diesen scharfen Stoppeln herumlief.

Ohne Umschweife hatte er mir dann angeboten, sich täglich zu rasieren, zur Not auch zweimal, wenn ich das ebenfalls machen würde. Seitdem lief ich, was Haare angeht, vom Hals abwärts nackig herum. Mein Mann hatte davon nicht das Geringste mitbekommen. Bei welcher Gelegenheit auch? Er hatte nur seinen Job und abends entweder die seltenen Treffen mit seinen Freunden oder mal ab und zu irgendeine Aktion mit mir, die er wie eine notwendige Pflicht erfüllte. Ich will ihm gar nicht unterstellen, dass er sich dazu irgendwie zwingen musste, aber es war eben auch nicht so, dass er so etwas wie Freude daran zeigte. Sex war für ihn kein wirkliches Thema mehr. Ich hatte keine Ahnung, ob er wirklich keinen Drang in diese Richtung hatte oder ob er eine Geliebte hatte oder ob es ihm reichte, wenn er es sich vielleicht ab und zu selber besorgte. Mir war es auch irgendwann egal geworden.

Jetzt jedenfalls, war ich mit jemandem zusammen, dem Sex sehr wichtig war. Deshalb musste mein Beetle noch einige Zeit warten, bis Franky die Koffer herausholen konnte. Während er das dann irgendwann doch noch erledigte, nahm ich mir eines seiner Shirts. Es ging mir ein kleines Stück über den Po. Der Blick in den Spiegel zeigte mir, dass ich mehr Kleidung nicht brauchte. Die Reaktion von Franky, als er mit den Koffern bepackt wieder zurückkam, bestätigte mich darin.

„So gefällst du mir, meine Muse.“ Er zog einen der Ärmel über meine Schulter und trat dann einen Schritt zurück, um mich zu betrachten. Danach zog er meinen Arm komplett aus dem Ärmel, sodass die zugehörige Brust ihren Weg in die Freiheit fand. Das kommt davon, dachte ich mir lächelnd, wenn man die Knopfleiste nicht züchtig schließt. „Und so“, setzte er seinen Satz fort, „gefällst du mir noch besser.“

Er trat wieder einen Schritt zurück und betrachtete mich mit gespielt künstlerischem Blick.

„Ich sehe, du trägst noch immer den Schmuck an deinem Handgelenk?“

„Natürlich trage ich den noch. Mein werdender Ex wollte dem schon mit einer Zange zu Leibe rücken.“

Franky verzog schmerzhaft das Gesicht. „Oh Gott. Welch Frevel. Hast du ihm denn nicht gesagt, dass das ein Kunstwerk ist. Ich habe eine Versicherung über mehrere tausend Euro darauf abgeschlossen“, ergänzte er lachend.

„Auf die Idee bin ich leider nicht gekommen.“ Ich spielte ein bisschen mit meinem Handgelenk. „Einfach nur geil. Den werde ich nicht so ohne weiteres wieder abmachen lassen.“

Er nahm mich in den Arm. „Komm. Wir haben Versammlung.“

„Alles klar. Soll ich mir noch eben was anziehen?“

„Wie kommst du auf die Idee? Du bleibst genauso, wie du jetzt bist.“

„Okay. Ich dachte nur, dass ihr bei so etwas Offiziellem, wie der wöchentlichen Versammlung etwas förmlicher seid, als am Teich“

Als ich das erste Mal mit Franky zu dem kleinen Schwimmteich gegangen war, der mit zum Grundstück gehörte, hatte er mir grinsend erklärt, dass die Kommune den Teich nicht durch irgendwelche Textilien verschmutzen wollte. Also hatte ich mich den anderen, die ich teilweise noch gar nicht kannte, nackt präsentieren müssen. Aber schon nach den ersten Minuten hatten die mir das Gefühl vermittelt, willkommen zu sein. Wir hatten einen wundervollen Nachmittag an dem Teich verbracht.

Jetzt also ging ich das erste Mal mit zu der wöchentlichen Besprechung. Soweit Franky mir das bisher erklärt hatte, ging es dabei im Wesentlichen um ganz banale Dinge, wie Lebensmittel einkaufen und sonstigen organisatorischen Kram. Die anderen drei, eine Frau und zwei Männer begrüßten mich, wie immer mit einer herzlichen Umarmung. Ich bekam einen Kaffee angeboten und dann wurde die Sitzung eröffnet.

Der erste Punkt war der wöchentliche Haushaltsplan. Alva, die aus Schweden stammte, dies aber kaum über ihre Aussprache, sondern viel mehr über ihr Aussehen zeigte, ergriff als erste das Wort.

„Franky, du bist an der Reihe. Das trifft sich ganz gut, weil du ja jetzt mit deiner Muse zusammen hier leben willst. Das heißt, ihr beiden könnt den normalen Haushaltsplan ein bisschen an dich“, dabei schaute sie zu mir, „anpassen. Ich hoffe mal, dass das ein bisschen Abwechselung bringt. Frankys Küche ist nämlich echt überschaubar.“

„Kein Problem. Ich helfe gerne“, erklärte ich ihr.

„Das will ich hoffen. Da kommen wir nämlich dann im nächsten und letzten Tagesordnungspunkt zu.“

Sie schaute in die Runde „Hat noch einer was zum Haushaltsplan?“

Als niemand antwortete, wendete sich Alva wieder zu mir und Franky.

„Franky hat uns erklärt, dass du jetzt hier wohnen wirst. Damit hast du hier auch Pflichten. Das mit dem Haushalt, wenn ihr dran seid ist ja schon mal klar. Die Frage, die uns dein verliebter Franky noch nicht so richtig beantworten konnte, ist die, wie das mit deinen Finanzen aussieht. Wir haben alle mal Besuch. Wir geben dem Besuch alle gerne zu essen, ohne dafür die Hand aufzuhalten. Aber du bist jetzt ein Mitglied. Damit bist du auch an der Finanzierung des gesamten Projektes beteiligt.“

Ich war im ersten Moment, wie vor den Kopf geschlagen. Davon hatte mir Franky so gar nichts erzählt. Zugegebenermaßen hatte ich mir darüber auch keinen wirklichen Kopf gemacht. Mein erster Blick ging zu Franky, der mich aber nur freundlich anschaute und durch seine Mimik dazu aufforderte die Frage zu beantworten.

„Okay“, fing ich dann an, nachdem ich mich geräuspert hatte, „das trifft mich jetzt ein bisschen überraschend, aber macht nix. Erstmal habe ich nicht wirklich viel. Jedenfalls kein festes Einkommen. Ich habe euch ja schon von meinem Mann erzählt. Insofern wisst ihr, dass er etwas dagegen hatte, dass ich irgendwie Geld verdiene. Aber jetzt, wo ich den los bin, werde ich natürlich schauen, was für mich drin ist.“

„An was denkst du?“ wollte Arndt wissen.

Ich hatte mir eigentlich noch gar keine Gedanken darüber gemacht. Also sagte ich das erste beste, was mir in den Kopf kam.

„Kassiererin? So was in der Art.“

Die anderen schauten mich mit Gesichtern an, die eher Abscheu, als Euphorie zeigten.

„Hey“, Franky nahm mich in seine mächtigen Arme. „Das ist eine ganz schlechte Antwort. Ich hätte eigentlich nicht gedacht, dass du uns mit so etwas bürgerlichem kommen würdest. Wenn du keine Idee hast, dann kannst du das ruhig sagen. Schließlich bist du hier mit vier sehr kreativen Künstlern zusammen.“

Durch seine liebevolle Umarmung und seine Worte merkte ich, wie sich die Anspannung, in die ich durch die überraschende Frage gekommen war, wieder legte.

„Okay. Ich hab mir wirklich keine Gedanken darüber gemacht. Wenn einer von euch eine Idee hat… Ich bin offen für alles.“

Arndt schaute auf mein Handgelenk

„Du trägst Schmuck von Franky?“

„Klar. Ich finde den super.“

„Den bekommst du aber ohne Werkzeug nicht ab. Das ist kein Problem für dich?“

„Nein“, antwortete ich ihm stolz lächelnd, während ich mich noch ein bisschen mehr bei Franky einkuschelte. „Ich finde das sogar extrem geil.“

Arndt wendete sich an die anderen. „Was haltet ihr davon, wenn Muse für uns alle arbeitet?“

Ich fand den Vorschlag einfach nur klasse und war sofort Feuer und Flamme. Also schaute ich erwartungsvoll in die Gesichter der anderen. Alva nickte und Berti, der vierte in der Runde signalisierte ebenfalls seine Zustimmung. Wie zum Besiegeln des Beschlusses gab mir Franky einen dicken Kuss auf die Stirn.

„Also, ich bin dabei. Was muss ich machen? Wie kann ich euch helfen?“

„Du hast eine gute Figur“, begann Alva. „Wie sieht es mit modeln aus? Hast das schon mal gemacht?“

„Meinst du jetzt auf dem Laufsteg?“

„Nein. Ich meine für Fotos und für kleine Ausstellungen. So jemanden können wir alle immer wieder gebrauchen.“

„Nein“, schüttelte ich den Kopf, „habe ich noch nicht gemacht. Aber für euch gebe ich da gerne mein Bestes. Ich bin in jedem Fall dabei.“

„Okay“, meinte dann Arndt, „hast du schon mal als Verkäuferin gearbeitet?“

„Ich denke, ich soll keinen bürgerlichen Job machen.“

„Meine Boutiquen sind auch nicht wirklich bürgerlich. Wenn du bei mir arbeitest, trägst du natürlich auch die Kleidung, die du verkaufen sollst. Und natürlich bist du auch entsprechend gestylt.“

„Was machst du denn?“

„Lack und Latex. Manchmal auch Leder.“

Fast hätte ich mich an meiner eigenen Spucke verschluckt. Vor mir saß ein Mann, den ich bisher nur in Klamotten gesehen hatte, die eher in die alternative Mode aus den 80zigern passte. Also selber gefärbte Latzhose und ausgeleiertes Shirt. Selbst in meinen wüstesten Träumen hätte ich niemals gedacht, dass der so eine Mode machen würde.

„Du willst mich jetzt aber nicht auf den Arm nehmen oder?“

„Nein“, antwortete er mir grinsend, „ich mache das wirklich. Allerdings ausschließlich für Frauen. Deshalb trage ich in meinen Läden auch eher Durchschnittskleidung. Mein Personal allerdings nicht.“

Ich vergewisserte mich bei Franky mit einem Blick, dass er das wirklich ernst meinte und bot ihm dann meine Hand an, damit er zur Besiegelung abklatschen konnte, was er dann auch mit einem breiten Grinsen tat.

Danach schaute ich zu Alva. „Was kann ich für dich tun?“

„Ich nehme mal an, Franky hat dir noch von keinem von uns irgendwas erzählt?“

„Nein. Wir waren immer anderweitig beschäftigt.“

„Ja, ja. Ist mir schon klar. Okay. Ich bin Fotografin und Visagistin, Kosmetikerin. So die Richtung. Mein Geld verdiene ich unter anderem mit Internetseiten und Büchern. Wenn du für mich arbeitest, kann das Arndt nur recht sein. Die Styles, die ich an dir ausprobiere, passen zu seinen Klamotten, wie die Faust aufs Auge.“

Nach dem ersten Schrecken, den ich mit meinem Vorschlag „Kassiererin“ bei den anderen und dann auch bei mir ausgelöst hatte, war ich erleichtert, dass jetzt auf einmal alles so völlig glatt ging. Natürlich schlug ich auch bei Alva ein. Da ich nicht erwartete, dass ich auch für Franky arbeiten müsste, schaute ich als nächstes erwartungsvoll in die Richtung von Berti.

„Naja“, begann der zögerlich unter dem Gekicher der anderen. „Ich kann natürlich auch immer Models gebrauchen. Nur solltest du dir bei mir etwas sicherer sein, dass das was ich mache, dir wirklich gefällt.“

„Ja?“

„Ich tätowiere und pierce.“

„Oh.“

„Macht aber nichts. Du bist bei den anderen drei schon reichlich ausgelastet. Und es geht ja nicht darum, dass du jedem von uns hilfst, sondern dass du irgendwie beim Geldverdienen hilfst. Wenn dich mein Job allerdings mal irgendwann interessieren sollte, dann kannst du auch gerne stundenweise als Assistentin helfen. Ist allerdings viel Arbeit, weil du natürlich einen Haufen Zeug lernen musst.“

„Okay“, stimmte ich erleichtert zu. „Ich helfe erstmal den anderen.“

In die eintretende Pause meinte Franky „Sind wir dann durch? Oder hat noch einer was?“

Als niemand etwas dazu sagte, schaute er in die Runde „Gut, also fangen wir einfach mal mit dem Arbeitsleben an. Wir haben inzwischen immerhin schon 12 Uhr. Der Tag hat also nur noch 12 Stunden.“

Alle standen auf. Mir fiel auf, dass niemand seine Tasse zur Spülmaschine brachte. Ein Blick zu Franky brachte mir Klarheit. „Der Haushaltsdienst fängt immer mit der wöchentlichen Sitzung an?“ wollte ich vorsichtshalber wissen.

„Korrekt. Genieße es. Immerhin machen wir den jetzt zu zweit. Ist also nur die halbe Arbeit.“

„Haben die anderen schlecht verhandelt?“ wollte ich lachend wissen.

„Nein. Das ist immer so. Reiner Zufall, dass jetzt kein anderer Dauergast da ist.“

„Ich hoffe mal sehr, dass du mich nicht als Gast auf begrenzte Dauer ansiehst.“

„Tu ich nicht, Muse. Ich sage es einfach nur so, wie es ist.“

Also machten wir schnell zu zweit die Küche klar.

„Was gehört noch zum Haushaltsdienst?“ wollte ich zwischendurch wissen.

„Stell dir einfach vor“, erklärte er mir grinsend, „du würdest einen schwarzen Rock und eine weiße Bluse mit Rüschenschürze tragen. Alles, was dann zu deinem Job gehören würde, gehört hier zum Haushaltsdienst. Ausgenommen sind allerdings die Privaträume. Da muss jeder selber für Ordnung sorgen.“

„Wow. Da fühle ich mich ja schon fast wie zu Hause.“

„Ich hoffe nicht. Schließlich sind wir hier zu viert und du bist nur alle vier Wochen mit dem Dienst dran.“

„Scherz“, klärte ich ihn auf und widmete mich dann erstmal einer ausgiebigen Erkundung seiner Mundhöhle. Als ich gerade ein Bein um ihn geschlungen hatte, kam von der Türe ein vernehmliches Räuspern.

„Ich störe das junge Glück ungern“, eröffnete uns Alva, „aber du musst mal in die Puschen kommen Muse. Ich will nämlich los und heute wirst du mit mir kommen.“

Franky drückte mich nochmals fest und gab mich dann frei.

„Okay“, lächelte ich Alva an. „Wir können.“

Alva schaute mich amüsiert von oben bis unten an und meinte dann, dass es nicht ihr Problem sei, aber auf der Arbeit hätte sie keine andere Kleidung für mich, da sie heute nur meine Hände brauchen würde. „Wir werden allerdings in die Stadt fahren“

Nachdem ich dann auch mal kurz an mir heruntergeschaut hatte, beschloss ich, dass Brust-ins-Shirt-packen alleine nicht reichen würde, lief schnell in Frankys Räume, machte ein paar Knöpfe vom Shirt zu und schlüpfte in eine Jeans, die ich über das Shirt zog. Nach einer kleinen Aufhübschung aus dem Kosmetikkoffer zeigte mir der Blick in den Spiegel, dass nur noch ein Paar meiner Chucks fehlten, um mich in der Öffentlichkeit präsentieren zu können.

In der großen Eingangshalle standen Franky und Alva noch zusammen und schienen auf mich gewartet zu haben. An Frankys Blick konnte ich erkennen, dass ihm meine Wahl sehr gut gefiel. Er schaute kurz zu Alva und meinte irgendwas wie „ich verlasse mich auf dich“. Dann verabschiedete ich mich von ihm und fuhr mit Alva los. Auf ihrem rosa Fiat500 war in schwungvollen schwarzen Lettern Werbung für ihr Studio lackiert.

Die Fahrt verbrachten wir mit allem möglichen Smalltalk. Ich war mit meinen Gedanken eigentlich nicht wirklich dabei, da ich einerseits Franky im Kopf hatte und andererseits auch überlegte, ob mir mein Ex irgendwelche Probleme machen würde. Trotzdem tat ich mein Bestes, das Gespräch nicht verstummen zu lassen. Alva konnte ja nichts zu meinen persönlichen Problemen.

Sie parkte ihren Wagen auf einem großen Parkplatz, der zu einem Einkaufszentrum gehörte. Mit einem Lächeln stellte sie fest, dass sogar ein Platz frei war, auf dem die Werbung auf dem Auto nicht verstellt werden konnte. Danach tauchten wir in die Shoppingmeile ein. Allerdings war ihr natürlich nicht nach Bummeln. Stattdessen führte sie mich zielstrebig zu ihrem Nagelstudio. Nach der Begrüßung durch ihre Mitarbeiterinnen, immerhin waren sechs der zehn Arbeitsplätze belegt, führte sie mich zu einem freien Platz, der direkt am Schaufenster lag.

„Setz dich schon mal. Ich komme gleich.“

Ich hatte, als wir uns so zielstrebig dem Nagelstudio näherten schon darüber nachgedacht, ob ich ihr sagen sollte, dass ich mir die Nägel noch nie hatte machen lassen, weil ich keine Lust hatte, meine Arbeitsfähigkeit durch lange Krallen unnötig einzuschränken. Dann hatte ich es aber doch bleiben lassen. Schließlich konnte ich ja nicht schon vor Antritt meiner Arbeit anfangen zu erklären, dass ich eigentlich nicht mitmachen wollte.

Mein Blick ging also so entspannt, wie es mir möglich war durch den Laden. Die eine oder andere Mitarbeiterin hatte mich bei der Begrüßung irgendwie komisch angeschaut, aber ich hatte mir nichts weiter draus gemacht. Und jetzt, wo ich noch mal in Ruhe in den Laden schaute, war jede mit ihrer Kundin beschäftigt und alles wirkte ganz normal.

Endlich kam Alva auch wieder nach vorne.

„Normalerweise“, erklärte sie mir lächelnd, „kommt jetzt erstmal das Kundinnengespräch. Was wollen Sie denn? Welche Farbe? Vielleicht ein Muster? All solche Sachen. Aber da du als Modell hier bist, ist dein Mitspracherecht nicht existent. Du darfst dich also überraschen lassen, was passiert. Und das Wichtigste. Wir sind hier in einem öffentlichen Bereich. Du wirst also, egal, wie du das Ergebnis wirklich findest, begeistert sein.“ Sie machte eine kleine Pause. „Also, wenn du mich fragst oder auch Franky, wirst du mit dem Ergebnis auch sehr zufrieden sein.“ Sie schaute mich nochmals lächelnd an „Alles klar?“

„Alles klar. Ich bin schon jetzt völlig begeistert“, schickte ich lachend hinterher.

Nachdem Alva eine halbe Ewigkeit gebraucht hatte, bis sie meine vorhandenen Nägel von ihrem Lack befreit hatte und meine Nagelhaut an allen möglichen Ecken und Enden zurechtgeschuppst hatte, fing sie dann endlich mit der eigentlichen Arbeit an. Sie schob mir eine Schablone unter den von ihr stark gekürzten Nagel des kleinen Fingers. Nachdem die Schablone befestigt war, schätze ich die Länge auf fast das doppelte des kleinen Fingernagels.

„Upps. Die ist jetzt aber mal lang“ stellte ich kichernd fest. Als ich mich hörte, schien mir ein Hauch von Panik in meiner Stimme zu liegen.

Daraufhin schaute mich Alva ernst an. „Das ist lang. Richtig. Ich habe den Eindruck, dass du dich ein bisschen panisch angehört hast. Deswegen sage ich es dir noch mal. Egal, was ich mit deinen Nägeln mache. Du findest das gut und freust dich darüber. Und wenn der erste Nagel fertig ist, kannst du deine strahlenden Augen gar nicht mehr davon lösen. Ist das klar?“

Da ihre Stimme gar nicht so locker und entspannt klang, wie bisher, stimmte ich ihr natürlich sofort zu.

„Also. Dann will ich das mal vergessen. Du bekommst sogenannte Stilettonägel. Ich denke, ich brauche nicht zu erklären, wie die Grundform der Nägel ist?“ Jetzt hatte sie wieder das gleiche entspannte Lachen auf dem Gesicht, das sie bisher den ganzen Tag gezeigt hatte.

„Ich bin ganz in deiner Hand und freue mich schon jetzt auf das Ergebnis“, versicherte ich ihr.

„Okay. Zuerst bekommst du eine Lage Gel in Hautfarbe auf deine natürlichen Nägel.“

Sie nahm einen Pinsel und tauchte die Spitze in den entsprechenden Tiegel. Danach verteilte sie das Gel mit einem anderen Pinsel sorgfältig.

„Jetzt die durchsichtige Variante als Verlängerung auf die Schablone.“

Sie füllte lächelnd die gesamte Länge der Schablone mit dem Gel aus, wobei die Form nach vorne hin immer spitzer wurde. Danach griff sie zu einer weiteren Schablone, die bereits mit Linien durchsetzt war, die an ein Tribel-Tattoo erinnerten.

„Die kommt jetzt auf die Verlängerung. Da alle Finger gleich sein sollen, ist mir das zu viel Arbeit, wenn ich das aufmale.“

Damit klebte sie die Folie auf den Teil von dem Gel, der meine Nagelverlängerung bilden würde.

„Jetzt kommt erstmal ein Stück Fleißarbeit. Macht es noch Spaß?“

„Klar.“ Ich hatte meine Lektion gelernt. „Ich kann es kaum erwarten.“

„Dann ist ja gut. Jetzt hör mir wieder genau zu. Als Reaktion auf das, was ich dir jetzt sage, schaust du nicht aus dem Fenster. Verstanden?“

Froh, dass ich dem Impuls widerstehen konnte, jetzt erst recht aus dem Fenster zu schauen, richtete ich meinen Blick weiter auf den Fingernagel, der gerade in Bearbeitung war.

„Vor dem Fenster stehen eine Menge an Leuten, die uns zuschauen. Damit sie mehr sehen können, ist eine Kamera auf meinen Arbeitsplatz gerichtet. Die können also in Großaufnahme auf dem Flatscreen, der im Fenster hängt genau jeden Schritt von dem verfolgen, was ich mit deinen Nägeln mache.“

Sie unterbrach kurz ihre Arbeit und schaute mich lächelnd an.

„Ist ein gutes Werbekonzept. Und du schlägst dich wirklich gut.“

Während sie anfing noch ein paar Lagen Gel auf dem Nagel zu verteilen, schaute ich mir fröhlich lächelnd die Leute vor dem Fenster an.

„Machst du so eine Show öfters? Ich meine ist das irgendwie ein fester Termin oder so?“

„Nee. Das meiste Geld verdiene ich bei solchen Aktionen eigentlich über die Internetwerbung. Wenn wir hier fertig sind, dann schaue ich mir an, welcher Finger sich am besten für das Video eignet. Die Modelage bekommt dann auf der Tonspur noch ein bisschen Text und dann setze ich das ins Netz. Damit bist du, oder besser gesagt, deine Fingernägel dann verewigt.“

„Ah. Apropos ‚verewigt’. Wie lange bleiben die Stilettos denn an meinen Fingern dran?“

„Wäre nett von dir, wenn die erstmal dran bleiben. Ich wollte dann ab und zu einen kleinen Film drehen und zeigen, wie das Leben damit funktioniert. Und auch, wie lange die halten.“

Ich schaute in ihr unschuldig lächelndes Gesicht und konnte nicht anders, als lachend zu nicken. „Wenn es dir hilft, dann hilft es auch mir bei meinem Mietanteil. Es gibt nur eine Bedingung.“

„Und die wäre?“

„Wenn Franky was dagegen hat, dann mach ich das nicht.“

„Kein Problem“, gab sie lächelnd zurück. „Den werde ich schon überzeugen.“

Ich schaute wieder auf meinen Finger und bekam so langsam eine Idee davon, wie der Nagel am Ende aussehen würde. „Oh la la“, ging mir durch den Kopf, „locker das Anderthalbfache von meinem natürlichen Fingernagel.“

Während Alva die überstehenden Reste der Tattoo-Folie abschnitt und den neuen Nagel mit einer großen Feile in Form brachte wollte ich von ihr wissen, ob es denn auch Einsteigerkurse für das Leben mit langen Fingernägeln gebe.

„Nein“, meinte sie, nachdem sie ihr glucksendes Lachen in den Griff bekommen hatte. „Das machst du am Besten nach dem Prinzip ‚learning by doing’.“

„Okay. Dann schau ich mal weiter zu, was du so machst.“

Nachdem sie den Nagel noch mit diversen Schwämmen und Bürsten bearbeitet hatte, zog sie mit einem sehr feinen Pinsel ein paar der Tattoo-Linien bis auf den natürlichen Nagel und packte danach nochmals eine Schicht Klarlack oben drauf. Auch, wenn ich noch nicht so richtig wusste, wie ich den Alltag regeln sollte, wenn ich diese ewig langen Teile an allen Finger haben würde, gefiel mir das, was ich sah außerordentlich gut. Alva ließ mich grinsend eine Zeitlang den Finger in alle Richtungen bewegen, damit ich ihr Werk ausreichend betrachten konnte. Schließlich nahm sie meinen Finger wieder in die Hand und führte ihn zu der kleinen Sonnenbank, die auf dem Tisch stand.

„Jetzt noch ein bisschen UV-Licht zum Durchhärten und dann ist der Finger fertig.“

Nach insgesamt zwei Stunden waren alle Finger fertig. Alva hatte mir versichert, dass die Nägel wirklich gut und stabil wären. Und wenn mir tatsächlich einer kaputtginge, wäre das nur umso besser, weil sie dann wüsste, dass sie noch besser werden müsste.

„Du kannst mir noch ein paar Minuten hinten im Büro helfen, dann fahren wir wieder zurück“

Sie zeigte mir den PC und drückte mir einen Datenstick in die Hand. „Der Film von eben ist im Verzeichnis ‚Videos’. Sagt dir das was?“

„Klar“, meinte ich. „Ich soll ihn dir auf den Stick kopieren?“

Sie nickte im Herausgehen und überließ mich meiner ziemlich gehandicapten Arbeit, die dann doch nicht so schwierig war, da ich fast alles mit der Maus erledigen konnte. Während der Computer so vor sich hin kopierte, schaute ich mir nochmals meine neuen Nägel an. Je länger ich das tat, umso besser fand ich die. Ich konnte es kaum noch abwarten zu Franky zurückzukommen und sein Gesicht zu sehen.

Eine Stunde später wusste ich, dass er die Nägel ebenfalls liebte. Vor allem, nachdem ich es geschafft hatte, ihn ohne ernsthafte Verwundungen auszuziehen.

Den Rest des Tages verbrachte ich damit, meinen Anteil an der Haushaltsarbeit zu erhöhen. Franky hatte mir lachend verboten etwas anderes, als Chucks und eine Rüschenschürze zu tragen. Natürlich hatte ich nicht eine Sekunde lang die Idee, mich zu widersetzen. Da ich schon mal die Schürze an hatte, machte ich auch direkt das Abendessen fertig. Ich hatte es in meinen Tagen als Gast nie mitmachen können, da ich um die Zeit immer schon zuhause bei meinem Langeweiler war. Deshalb war ich innerlich kaum noch zu bändigen, als tatsächlich um halb neun alle in die Küche kamen und mit ausreichend Wein und Bier einen wunderbaren Abend begannen. Natürlich musste ich allen meine neuen Nägel zeigen. Genauso natürlich kam es mir vor, dass ich den ganzen Abend nur die Schürze und die Chucks trug.

Als ich dann sehr viel später überglücklich in den starken Armen von Franky einschlief, hatte ich schon lange beschlossen, dass das der schönste Tag war, den ich jemals erlebt hatte.

Frankys Werkstatt

„Na, was habt ihr denn gestern noch getrieben?“ wollte Berti lachend wissen, während er sich den nächsten Bissen vom Brötchen rein schob.

Ich blickte nicht zu ersten Mal auf den Kratzer in Frankys Gesicht und dann auf meine langen Nägel.

„Ich nehme mal an, trotz waschen würde ein guter Kriminaltechniker noch Hautspuren finden“, erklärte ich mit möglichst ernster Stimme. Glücklicherweise hatte Franky die ganze Angelegenheit ziemlich locker genommen. Er meinte irgendwas von ‚echte Männer haben Narben’ und damit war das für ihn abgehakt. Ich hatte etwas länger gebraucht. Nicht auszudenken, wenn ich ihm Schlaf sein Auge erwischt hätte.

„Hat jemand von euch heute Arbeit für Muse?“ wollte Franky dann wissen, als das Frühstück beendet war. Da niemand den Finger hob, lächelte er mich an „Ich schon. Heute bist du bei mir eingestellt.“

Nicht, dass ich den Nachmittag mit Alva irgendwie schlecht fand, aber die Aussicht, den ganzen Tag mit meinem Adonis zusammen zu sein, war natürlich gigantisch. Wir brachten die Küche wieder auf Vordermann und gingen dann in sein Atelier, das in einem der großen Anbauten untergebracht war. Bei meinen bisherigen Besuchen hatte er mir sein Reich natürlich schon stolz gezeigt, ich hatte ihn aber noch nie arbeiten sehen. Also war ich umso mehr darauf gespannt, was der Tag bringen würde.

„Du kannst erstmal noch hier draußen in der Sonne bleiben. Ich hole eben mein Maßband. Mach dich schon mal nackiesch mon Chérie.“ Dabei sprach er die letzten Wörter mit perfektem französischem Zungenschlag aus.

Er gab sich danach mindestens eine halbe Stunde lang alle Mühe, so ziemlich alles zu messen, was es an einem Körper zu messen gibt. Am Ende hatte er mit einem Filzstift so viele Punkte auf meiner Haut verteilt, dass ich anfing darüber zu scherzen, dass ich nächstes Jahr zu Karneval auch als Crashtestdummy gehen könnte.

Als ich dann endlich in die Werkstatt treten durfte, forderte er mich auf, mir erstmal in Ruhe alles anzuschauen. Er selber machte sich an einer Werkbank zu schaffen. Also nahm ich mir auch die Zeit. Jetzt, wo ich wusste, dass er mir nicht mehr weglaufen würde, fiel mir das leichter als bei meinen anderen Besuchen. Da hatte ich immer eine innere Unruhe, weil ich zum einen nie mehr als ein paar Stunden hatte und ich mich auch unbedingt um ihn kümmern wollte.

Also schaute ich sie mir an, die Schmuckstücke. Armbänder, Ketten und vor allem sehr viel ‚keine richtige Idee wofür das gut ist’.

„Haben die ganzen Schlösser eigentlich alle den gleichen Schlüssel?“

„Ja, haben sie“, verkündete er mir grinsend. „Die Codierung von dem Schließmechanismus habe ich selber gemacht. Gekauft sind nur die Schlösser. Gelernt ist gelernt.“

„Schade. Ich hatte schon die Vorstellung, dass ich als Burgfräulein mit all den Schlössern gefesselt bin und du als der strahlende Prinz mit einem riesigen Schlüsselbund kommst, zielsicher für jedes Schloss den richtigen Schlüssel heraussuchst und mich dann auf deinen Armen aus der dunklen Burg des bösen Grafen trägst.“

„Können wir alles machen. Nur das mit dem Schlüsselbund ist dann Attrappe.“

Sein Blick ging über die gesamte Kollektion. „Möchtest du was ausprobieren?“

„Wie wäre es mit einem Fußkettchen?“

„Wenn du auf das ‚chen’ verzichten kannst, gerne.“

Eine halbe Stunde später hatte ich mein Fußkettchen ohne ‚chen’. Das letzte Verbindungsstück hatte Franky mit einer Zange zusammengebogen und dann noch gelötet. Natürlich erst, nachdem er irgend so ein komisches dünnes, aber überhaupt nicht wärmeleitendes Material zwischen die Kette und meinen Knöchel gesteckt hatte. Da die Kettenglieder sehr eng aneinander lagen, schmiegte sich die Kette ohne Probleme an die Form meines Fußes an. Eigentlich sah sie auf den ersten Blick eher wie eines dieser Ziehharmonika-Uhrenbänder aus. Nur war sie eben nicht Ziehharmonika.

Nachdem ich meinen Fuß lange genug betrachtet hatte, gab Franky mir den Schlüssel zu dem kleinen Transporter, den die vier sich teilten. „Ich habe in der Stadt ein paar Modelle von Kundinnen machen lassen. Kannst du die bitte abholen?“

„Klar. Du musst mir nur die Adresse geben und schon bin ich weg.“

Nachdem er die passende Visitenkarte hervorgeholt hatte, zog ich mir schnell noch etwas Öffentlichkeitstaugliches an und fuhr los. Dabei war am Anfang noch ein fettes Grinsen auf meinem Gesicht, weil ich eine Weile gebraucht hatte, bis ich den Autoschlüssel wieder aus meiner Hosentasche herausbekommen hatte. Enge Hose, lange Nägel…

Die Fahrt dauerte dann allerdings doch um einiges länger, als mir lieb war. Es ging einmal quer durch die Stadt. Als ich dann endlich die richtige Einfahrt gefunden hatte, ging es glücklicherweise ziemlich schnell. Zwar braucht der Typ, der mir die schneiderpuppenähnlichen Modelle brachte einen kleinen Moment, um seinen Blick von meinen Fingernägeln zu lösen, aber nachdem ich ihm erklärt hatte, dass die für mich auch noch neu waren, taute er ein wenig auf und lud mir alles auf die Ladefläche. Sogar das Festzurren übernahm er ohne weiteren Kommentar.

Ich bedankte mich und machte mich auf die Heimfahrt, die leider noch länger dauerte, weil irgendwo ein Unfall passiert war. Am Ende war ich ganze vier Stunden unterwegs gewesen. Die Erleichterung in Frankys Augen, als ich endlich wieder in seiner Werkstatt stand, entschädigte mich allerdings für den langweiligen Nachmittag.

„Was machst du eigentlich für die Frauen, die du hier in Form von diesen Körpern herumstehen hast?“ wollte ich wissen, nachdem er die Teile ausgeladen hatte.

„Metallschmuck natürlich.“

„Ist mir auch klar. Aber weshalb brauchst die Modelle dafür?“

„Weil die mehr bekommen, als das, was du bis jetzt von mir bekommen hast.“

Ich lächelte ihn abwartend an. Er ließ seinen Blick durch die Werkstatt gleiten.

„Du hast es dir doch heute Morgen alles angeschaut. Warst du dabei nicht so richtig bei der Sache?“

Er griff ein metallenes Ungetüm.

„So ein BH muss, auch wenn er nur für ein paar Stunden getragen wird gut angepasst sein, Schließlich soll er die Frau ja nicht quälen sondern schmücken. Wenn ich dann keine Form habe, an der ich den anpassen kann, dann muss die Kundin entweder hier warten oder eben in Kauf nehmen einem ziemlich schmerzhaften Abend entgegenzublicken.“

Automatisch griff ich nach dem Teil.

„Ist der schon angepasst oder ist das noch ein…“, mir fehlte das Wort. „Rohling“, half er mir aus. „Ja das ist noch ein Rohling. Willst du mal probieren?“

Ich konnte förmlich spüren, wie eine Welle Adrenalin durch meinen Körper schoss. Nach einer gefühlten Zehntelsekunde hatte ich mein Shirt ausgezogen und die Arme gehoben um ihm möglichst freien Zugang zu bieten. „Ich wollte immer schon mal größere Brüste haben. Also nicht in Echt aber eben so, wie mit dem BH. Die Körbchengröße ist garantiert nicht der Grund, weshalb hier irgendetwas zwickt.“

Die Körbchen waren wie Trichter geformt. Alles andere als natürlich, aber irgendwie trotzdem vielversprechend. Die Träger waren aus flachem Metall, das wie die Körbchen innen mit schwarzem Gummi gepolstert war. Am Rand schaute das Gummi schön gleichmäßig heraus. An beiden Körbchen hing eine Kette, ähnlich wie die, die ich um den Fuß trug, nur war sie noch flacher gearbeitet. Franky hielt mir den BH vor die Brust und bat mich ihn solange festzuhalten, bis er hinten fertig wäre. Danach fummelte er eine ganze Zeit an meinem Rücken herum.

„So müsste es gehen. Ich mach die Träger mal fest. Dann kannst du schauen, wie es sich anfühlt.“

Es war tatsächlich angenehm. Oder, um genauer zu sein. Es war angenehmer, als ich es mir vorgestellt hatte.

„Dann mach ich mal zu“, kam von hinten.

„Aber ausnahmsweise mal nicht mit der Zange oder?“ wollte ich wissen.

„Anders geht es nicht. Die Modelle sind alle so.“

„Du hast doch eben noch gesagt, dass man die nicht lange tragen kann.“

„Klar. Deswegen haben die ja auch nur ein normales Vorhängeschloss“ Ich hörte es klicken. „Das mit der Zange war ein Scherz. Wobei ich glaube, dass so ein Teil, wenn es wirklich gut angepasst ist, durchaus auch länger getragen werden kann.“

Ich hörte ihm nur halb zu, da ich von dem Blick in mein Spiegelbild ziemlich abgelenkt war. Es sah einfach nur fantastisch aus „Geil“, kam es mir von den Lippen. „Das ist eine Superidee.“

„Ich kann dir nur zustimmen. Klasse, dass du das auch so siehst.“ Ich konnte Franky ansehen, dass er mich am liebsten auf der Stelle vernascht hätte. Wahrscheinlich hätte er das auch gemacht, wenn sich Arndt, der lässig im Türrahmen lehnte, nicht bemerkbar gemacht hätte.

„Hey Muse, du siehst fantastisch aus.“

Ich verneigte mich lachend. „Diese Worte aus dem Munde des Modemeisters bedeuten mir natürlich viel.“

„Trotzdem muss ich euch leider kurz stören. Wir haben vorne am Tor einen ungebetenen Gast, der sich nicht vertreiben lassen will. Der labert irgendwas von Polizei und so.“ Er schaute zu mir. „Ich würde mir an deiner Stelle etwas anziehen oder eben gerade auch nicht. Ganz, wie du dich fühlst. Und dann sorge bitte dafür, dass dein Ex verschwindet.“

Im ersten Moment war ich geschockt, dass der unausweichliche Moment schon jetzt da war. Dann schaute ich an mir runter, sah meine überdimensionierten Körbchen und Franky, der lächelnd mit zwei Fingern den passenden Schlüssel baumeln ließ. Danach schaute ich noch mal an mir runter und dann war mein Entschluss gefasst. Meine Brüste waren verdeckt, ich hatte eine Hose an. Also konnte ich auch zum Tor gehen und meinem Ex klar machen, dass er nicht mehr angesagt war.

Als ich an dem Tor angekommen war, hatte die Gesichtsfarbe meines Ex seit seinem ersten Blick auf mich, bereits mehrfach gewechselt. In seinem Anzug sah er irgendwie ziemlich bieder aus, was er ja auch war. Jedenfalls sah er nicht wirklich wie jemand aus, dessen Frau so aussah, wie ich. Da er scheinbar noch nach Worten suchte, nahm ich die Gelegenheit war.

„Gratuliere, dass du mich so schnell gefunden hast. Nur leider war die Mühe umsonst. Da du lesen kannst, weißt du, dass ich dich verlassen habe. Hier“, ich deutete mit dem Daumen hinter mich, „habe ich Leute gefunden, die Ideen haben, die schräg drauf sind. Bei denen ich mich wohl fühle. Die auf mich eingehen. Für dich ist kein Platz mehr in meinem Leben. Die Chance hast du durch dein ewiges Desinteresse für immer vertan. Und jetzt wäre es gut, wenn du mich in Ruhe lässt. In ziemlich genau einem Jahr, wirst du von irgendeinem Anwalt angeschrieben werden. Denn dann sind wir offiziell ein Jahr getrennt und können uns scheiden lassen. Noch Fragen? Nein? Dann bis in einem Jahr.“

Er zeigte nur stumm mit dem Finger auf mich. Ich drehte mich um und ging in Richtung Franky, der respektvoll im Hintergrund gewartet hatte. Natürlich hatte sich mein Ex den Besuch anders vorgestellt. Die Frage, die mir dann allerdings durch den Kopf ging, war: Wie hatte er sich das vorgestellt? Also drehte ich mich wieder zum Tor um.

„Was hast du dir eigentlich gedacht? Irgendwie: Komm zurück zu mir und schon schmelze ich dahin? Zurück in unser, nein ich muss mich korrigieren: dein spießiges Leben? Immer schön brav und angepasst? Nein! Nicht mit mir!“

Ich hob meinen Fuß mit dem neuen Schmuck, klingelte mit den Ketten an meinem Handgelenk und packte mir danach auf die beiden Riesenkörbchen vor meiner Brust.

„Das, was du hier siehst ist meine Zukunft. Und ich fühle mich zum ersten Mal seit einer halben Ewigkeit saumäßig wohl!“

Ich schaute ihm noch ein oder zwei Sekunden ins Gesicht. Aber es kam nichts. Er war noch nicht mal in der Lage, seinen ausgestreckten Arm wieder einzufahren. Also beschloss ich, dass es jetzt endgültig gut war und ging über das ganze Gesicht lächelnd zu Franky.

Danach schaute ich Franky noch ein bisschen beim Arbeiten zu und ging dann ins Haus, um das Abendessen zu machen. Die Kette von dem Metall-BH hatte irgendwann angefangen zu scheuern. Deshalb hatte Franky Erbarmen mit mir und den BH wieder abgenommen. Ich wusste in dem Moment gar nicht so richtig, was ich fühlen sollte. Einerseits war es natürlich super, das Ungetüm wieder los zu werden. Andererseits fand ich es auch unglaublich erregend, wenn ich irgendetwas trug, das ich ohne Frankys Hilfe nicht ausziehen konnte. Deshalb schickte ich dem BH einen sehnsüchtigen Blick hinterher. Ein Blick der Franky natürlich nicht entging.

Beim Abendessen, das so wie am Tag davor wieder in ziemlich lockerer Stimmung stattfand, erzählte ich dann noch ein bisschen von meinem alten Leben und natürlich davon, wie ich meinen Ex am Tor abgefertigt hatte.

„Aber dein Ex war doch nicht der einzige Mensch, mit dem du dich umgeben hast oder?“ wollte Alva wissen.

„Nein, natürlich nicht. Es gibt noch ein, zwei beste Freundinnen. Zu denen werde ich auch weiter Kontakt halten.“

„Du kannst die gerne hierhin einladen, sobald du dich hier soweit eingelebt hast“, bot Berti an. „Sind die genauso drauf, wie du?“

„Wenn ich so drüber nachdenke, weiß ich das eigentlich gar nicht so genau. Wahrscheinlich sogar eher nicht. Aber, du wirst sie schon irgendwann kennenlernen. Nur im Moment nicht. Im Moment bin ich noch zu sehr von dem jungen Mann hier neben mir“, ich kuschelte mich noch etwas näher an Franky, „fasziniert. Da bleibt jetzt erstmal nicht so viel drum herum über. Also an Zeit.“

„Hört sich gut an. Morgen kannst du übrigens mit mir kommen. Ich habe einen Haufen Arbeit im Studio, der ohne Tätowiermaschine erledigt werden kann.“ Er schaute in die Runde „Oder hat jemand was dagegen?“

Alle grinsten. An der Bewegung, die Frankys Brust machte, merkte ich, dass er kurz vor einem Lachanfall war. Ich schaute zu ihm hoch. „Hab ich irgendwas verpasst?“

„Nein, nein. Alles ist bestens. Lass dich einfach überraschen.“

Was den Punkt Überraschung anging, kam noch am gleichen Abend eine auf mich zu. Nachdem wir brav die Küche aufgeräumt hatten, uns in Frankys Gemächer – genauer gesagt: Bett – zurückgezogen hatten und dort ein gutes Stück Zeit miteinander verbracht hatten, drehte ich mich halb schlafend irgendwann mit dem Rücken zu ihm, um endgültig einzuschlafen.

„Was ist, Muse? Liebst du mich nicht mehr?“

„Ich will dich nur nicht wieder im Schlaf zerkratzen.“

„Das ist nett von dir, aber da habe ich auch schon dran gedacht. Gib mir mal deine spitzen Pfötchen.“

Also drehte ich mich wieder auf den Rücken und schob meine Hände mit diesen unglaublich gut aussehenden, nicht mehr ganz so unglaublich störenden aber immer noch unglaublich spitzen Fingernägeln zu ihm rüber. Um ihn nicht aufzuspießen machte ich eine Faust. Er zauberte zwei Ledersäckchen in seine Hände und stülpte sie mir über die Fäuste. Natürlich waren die beiden Säcke an den Handgelenken mit Schnallen ausgestattet, die er nach dem Schließen allerdings nicht noch zusätzlich mit einem Schloss sicherte. Ich schaute mir staunend meine jetzt ziemlich zahmen Hände an und erkundete, wieviel Platz ich in den Säckchen hatte. Es war nicht viel. Die Bewegungsfreiheit reichte mal gerade um die Hände so zu halten, dass meine Fingerspitzen nicht auf den Daumenballen gedrückt wurden.

„Damit kann ich ja noch nicht mal mehr pinkeln gehen!“

„Du bist doch ohnehin nackt. Wo ist das Problem?“

„Stimmt. Wenn die nur fürs Schlafen sind ist das wirklich kein Problem.“

Da ich jetzt ohnehin wieder wach war, spielte ich mit meinen Zähnen noch ein bisschen an seinem Körper rum und schlief dann irgendwann restlos zufrieden ein.

Bertis Laden

„Jetzt kommt der Grund, weshalb die anderen gestern gelacht hatten“, war die erste Erklärung, die Berti mir gab, als er sein Studio aufgeschlossen hatte. „Ich schiebe die ganze Zeit die Inventur vor mir her. Und du bist die Glückliche, die jetzt damit anfangen kann.“

„Super. Genau das Richtige für mich. In meinem zweiten, bösen ‚Ich’ bin ich nämlich so eine kleine Erbsenzählerin. Da kann ich mich ja mal richtig austoben.“

Er schaute mich, einen kleinen Moment an, bevor er anfing zu lachen „Ich dachte schon, du meinst das ernst.“

Er deutete auf den Empfangstresen.

„Ich habe gestern schon mal die Bestandsliste ausgedruckt. Eigentlich musst du nur alle Schubladen durcharbeiten und hinter jeden Posten schreiben, wieviel wirklich da ist.“

„Hört sich überschaubar an. Aber ist der Laden nicht normalerweise zu, wenn Inventur gemacht wird?“

„Doch, schon. Will ich mir aber im Moment nicht leisten. Gleich kommt noch ein Gastkünstler, der eine Woche hier bleibt. Das ist schon lange so geplant. Deshalb wollte ich dem nicht absagen.“

„Nicht, dass du denkst, ich will mich irgendwie drücken. Aber wieso mach ich das dann nicht einfach, wenn der wieder weg sind?“

„Weil das Leben danach auch weiter geht. Du kannst mir glauben, dass du nicht die Einzige bist, die beim gemeinsamen Frühstück und dem Abendessen Kraft schöpft.“

Ertappt. Ich hatte tatsächlich ziemlich stark nur an mich gedacht. Also vertiefte ich das Thema nicht weiter und schnappte mir lächelnd die Liste. Praktischerweise war die sogar mit kleinen Bildern ausgestattet. Ich konnte also weitestgehend alleine klar kommen und würde nebenbei meine Kenntnisse in Sachen Piercings ausbauen können.

Gerade, als ich mich durch die ganzen Erstpiercings durchgezählt hatte, kam der Gastkünstler in den Laden. Anders als Berti, der ‚nur’ ein fettes Bike auf dem Oberarm hatte, das mich in der Machart irgendwie an ein altes Album von Meat Loaf erinnerte, war der Neue doch um einiges mehr bemalt. Bevor ich den Mund aufmachen konnte, stellte Berti uns in absolut perfekter Manier vor, die ich gar nicht erwartet hatte.

Er suchte meinen Augenkontakt und deutete dann auf den Gastkünstler. „Das ist Karl, er wird für eine Woche hier arbeiten. Karl ist ziemlich bekannt. Einige Kunden werden extra wegen ihm in den Laden kommen.“

Danach wendete er sich an Karl, der ihm ruhig zugehört hatte und deutete dann auf mich „Das ist Muse, Frankys Lebensgefährtin. Sie ist heute das erste Mal in meinem Laden. Sie macht Inventur.“

Soviel hatte ich von meinem Ex dann doch gelernt. Mit der Art der Vorstellung hatte ich das Recht oder auch die Pflicht, ein kleines Gespräch mit Karl zu eröffnen.

„Schön, dich hier zu haben. Ich sehe, du hast dein Werkzeug selber mitgebracht?“

„Natürlich“, antwortete er mir mit heiserer Stimme. „Man gewöhnt sich doch ziemlich stark an seine Maschinen. Irgendwie liegt jede ein bisschen anders in der Hand.“

Mit Blick auf seinen Rollkoffer fügte er dann aber an.

„Mehr als die Hälfte von dem Zeug ist allerdings das, was man eben so bei sich hat, wenn man auf Reisen ist. Klamotten, Waschzeug… Du weißt schon.“

Während er mir das erklärte, glitt mein Blick über seine Arme und seinen Hals. Vom Kopf abgesehen, schien es an den Stellen, die nicht durch Bekleidung bedeckt waren, kaum noch freie Plätze zu geben. Bei dem ganzen Gucken, entging mir einen Moment lang, dass er aufgehört hatte zu sprechen.

„Oh, Sorry, ich war gerade ganz in die Bilder vertieft.“

„Mach dir nichts draus“, winkte er ab, „ich bin das gewohnt.“

„Gefällt mir. Das sieht so aus, als ob das mal eine richtige Komposition ist. Zumindest, soweit, wie ich das sehen kann. Das macht was her.“

Karl schaute, immer noch lächelnd zu Berti „Habt ihr euch da noch eine Künstlerin in eure Künstler WG geholt?“

„Weiß nicht. Wir lernen uns gerade erst so richtig kennen“, meinte Berti.

„Und was machst du Muse?“ wollte Karl dann von mir wissen. „Ich hoffe mal, mehr als dein Name sagt.“

„Ich bin auf dem besten Weg zum WG-Modell. Die Nägel und der Schmuck sind meine ersten Jobs.“

„Ah. Und jetzt bist du hier bei Berti und willst mir ernsthaft erzählen, dass dein Job hier die Inventur ist?“

„Erstmal ja. Aber, man weiß ja nie. Der Unterschied ist einfach, dass die Fingernägel und der Schmuck wieder abgenommen werden können. Ein Tattoo allerdings nicht wirklich.“

„Da hast du allerdings recht. Ich wollte dich jetzt auch nicht in irgendwas reinquatschen.“

Er schaute sich in dem Laden um und wendete sich dann wieder an Berti.

„Alter Platz?“

„Alter Platz.“

„Vielleicht kannst du die zu deiner Shopmanagerin machen Berti. Ein weiblicher Manager macht immer mehr her, als ein männlicher.“

„Na, ich weiß nicht. Ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, dass Franky das in der nächsten Zeit so den Knaller findet. Außerdem bin ich mit Mattes eigentlich ganz zufrieden.“

„Möglich. Aber Kaffee kochen kann Muse doch auch oder“, wollte er dann halb von mir, halb von Berti wissen, „zumindest, solange Mattes noch nicht da ist.“

„Klar kann ich Kaffee kochen. Ich bin sogar in der Lage dir den zu bringen. Und ansonsten: Wenn was ist, einfach fragen. Wenn ich helfen kann, helfe ich gerne.“

Als ich mich suchend nach der Küche umschaute, zeigten beide nur stumm auf eine etwas versteckt liegende Türe. Also legte ich eine kleine Kaffeekochpause ein und stürzte mich danach wieder in meine Inventur.

Irgendwann kam dann auch Mattes in den Laden geschlurft. Irgendwie schien er durch seine Körperhaltung die Botschaft transportieren zu wollen, dass er extrem cool war und trotzdem alles im Griff hatte. Mir war es egal. Meine Inventur reichte mir. Mit der Zeit arbeiteten sich die beiden durch eine Reihe kleinerer Kunstwerke durch. Die Art, wie Karl dabei mit Mattes umging, zeigte mir, dass er mit dessen Arbeit nicht wirklich zufrieden war. Andererseits musste er sich natürlich zusammenreißen, da er zu Gast war und da vor allem die Kunden nichts mitbekommen sollten.

Nach der Mittagspause hatte Berti einige Kundinnen da, die verschiedene Piercings bekamen. Bis auf eine hatten alle Freundinnen zum Händchen halten dabei.

„Wieso haben die alle jemanden zum Händchen halten dabei?“ wollte ich von Berti wissen, als wir in einer kleinen Pause bei einer Tasse Kaffee am Tresen saßen.

„Wieso nicht?“

„Na, ich denke, wenn ich mich piercen lasse, dann gehört der Schmerz doch einfach dazu.“

„Das ist, wie soll ich sagen? Die alte Ansicht. Aber heute wollen die nur den Schmuck tragen können. Du glaubst gar nicht, wie oft die wollen, dass ich irgendwas gegen die Schmerzen mache. Aber, da ich kein Arzt bin, darf ich keine Spritze setzen und alles andere, wie Eisspray ist meiner Meinung nach Mist. Wenn hier jemand reinkommt, der sich vor Angst in die Hosen macht, dann schicke ich den oder die mit ein paar lieben Worten wieder weg. Ich hab’ auf den Stress echt keine Lust.“

„Find ich gut.“

Inzwischen hatte sich Karl ebenfalls zu uns gesetzt. „Pass auf Berti“, meinte der, „wenn Muse noch ein, zwei Tage hier bleibt, dann wird die zu unserer Kundin. Eine von der Sorte, die richtig viel aushält.“

„Schon möglich“, meinte ich. „Jedenfalls, wenn ich was machen lasse, dann brauch ich bestimmt niemanden zum Händchen halten.“

„Und an was hast du so gedacht?“ wollte Karl wissen.

Die Frage reichte, um mir das Gefühl zu geben, dass ich mich in ein kleines Problem gequatscht hatte. Da ich mich in keinem Fall über einer Hintertüre wieder rausquatschen wollte, beschloss ich es durchziehen. Zumal ich bei den ganzen Sachen die ich alleine an dem einen Vormittag gesehen hatte, wirklich Appetit bekommen hatte.

„So ein Industrial fände ich schon ziemlich cool.“

„Wenn du heute Abend noch der gleichen Meinung bist, dann kann ich dir das gerne stechen“, bot Berti mir sofort an. Super dachte ich. Jetzt ist es passiert. Andererseits. Früher oder später wäre es ohnehin passiert. Warum also nicht gleich am ersten Tag?

Also begann ich wieder die Schubladen durchzuarbeiten, bis mich Berti nach seiner letzten Kundin auf seinen Behandlungsstuhl winkte.

„Soll ich? Oder hast du es dir anders überlegt?“

„Nö. Leg los“, bekam ich erstaunlich locker raus.

„Links oder rechts?“

„Links“

„Dann wollen wir mal.“

Ich sah, dass er bereits alles vorbereitet hatte. Ihm hatte nur noch das Opfer gefehlt.

Er gab mir einen Spiegel in die Hand, damit ich ihm besser beim Arbeiten zusehen konnte. Das Piercing ging eigentlich rasend schnell. Nachdem er das Ohr mit einem Tupfer desinfiziert hatte, hielt er einfach ein kleines Röhrchen in Stechrichtung an das Ohr und schob dann die Hohlnadel durch den äußeren Rand meines Ohres in das Röhrchen. Danach, als die Nadel an der inneren Wand von meinem Ohr angekommen war, setzte er das Röhrchen neu an und schon steckte die Nadel genau so in meinem Ohr, wie es sein musste.

„Jetzt spieße ich noch eben einen kleinen Korken auf, damit ich dich nicht versehentlich irgendwo in die Kopfhaut piekse“, erklärte er mir.

Kaum war das erledigt, da drückte er auch schon mit dem langen Stecker („Barbell“ hatte ich während der Inventur gelernt) die inzwischen abgeschnittene Nadel komplett durch, schraubte das kleine Kügelchen drauf, tupfte noch ein bisschen an den beiden Löchern herum und das war es.

„Cool Muse. Du hast noch nicht mal gezuckt.“

„Wie auch? Ich war viel zu aufgeregt dafür.“

„Ja, ja, das gute alte Adrenalin. Wofür das doch alles von Nutzen ist.“

„Hmm“, stimmte ich ihm zu, während ich mein Ohr im Spiegel betrachtete.

„Wenn du mit Gucken fertig bist, dann hilf schnell beim Aufräumen. Das Abendessen wartet nicht ewig.“

Ein Blick auf die Uhr zeigte mir, dass es wirklich knapp werden könnte. Der „übermotivierte“ Mattes hatte den Laden schon vor meinem Piercing verlassen. Karl plauderte gerade noch mit seinem letzten Kunden und schien auch nur darauf zu warten, dass ich seinen Platz aufräumen würde. Also gab ich noch mal richtig Gas. Eine Viertelstunde später schlossen wir den Laden zu.

„Karl wohnt übrigens diese Woche bei uns. Ist praktischer für alle Beteiligten“, informierte mich Berti, während wir mit Karl im Schlepptau zum Auto gingen.

„Ah.“ Etwas Klügeres fiel mir in dem Moment nicht ein. Eigentlich war ich davon ausgegangen, dass er für sich selber sorgen würde. „Das ist ja fast so wie bei den Zimmerleuten auf Walze.“

Die beiden schauten sich fragend an.