Eine sündige Nacht - Sandra Brown - E-Book
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Eine sündige Nacht E-Book

Sandra Brown

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Beschreibung

Caroline Dawson kann alles verkraften – die Einsamkeit, das Gespött, selbst den langwierigen Todeskampf ihres reichen Ehemannes, Roscoe Lancaster, der dreißig Jahre älter ist. Doch nun kehrt der Mann zurück, der sie einst verführt und ihr Herz gebrochen hat – Rink Lancaster, ihr Schwiegersohn. Dieser ist fest entschlossen, das Erbe seines verhassten Vaters anzutreten, aber als er Caroline wieder begegnet, flammen widersprüchliche Gefühle in ihm auf. Denn darf man die Frau des eigenen Vaters begehren?

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Inhaltsverzeichnis
Buch
Autorin
Titel
Kapitel 1
Kapitel 2
Copyright
Buch
Klatsch und Tratsch machen Caroline Dawson nichts aus, und selbst den langsamen Todeskampf ihres dreißig Jahre älteren Ehemannes - Roscoe Lancaster, der nicht nur der mächtigste Mann des Countys, sondern auch brutal und grausam ist - meistert sie mit Bravour. Aber sie weiß nicht, ob sie die Rückkehr von Rink Lancaster, Roscoes Sohn, auch noch verkraften wird. Lange Jahre vor ihrer Hochzeit, als sie noch Teenager waren, war es Rink, der Caroline das Lieben lernte - und ihr das Herz brach. Jetzt ist Rink zurück, verführerischer denn je. Er behauptet, er wolle lediglich das Erbe seines verhassten Vaters antreten, aber in Wirklichkeit begehrt er nur eins: Caroline. Trotz der Jahre der Trennung, der Bitterkeit und der Enttäuschung ist die Leidenschaft lebendiger denn je, aber noch nie war sie so gefährlich …
Autorin
Sandra Brown arbeitete mit großem Erfolg als Schauspielerin und TV-Journalistin, bevor sie mit ihrem Roman Trügerischer Spiegel auf Anhieb einen großen Erfolg landete. Inzwischen ist sie eine der erfolgreichsten internationalen Autorinnen, die mit jedem ihrer Bücher die Spitzenplätze der New York Times-Bestsellerliste erreicht! Ihren großen Durchbruch als Thrillerautorin feierte Sandra Brown mit dem Roman Die Zeugin, der auch in Deutschland auf die Bestsellerlisten kletterte - ein Erfolg, den sie mit jedem neuen Roman noch einmal übertreffen konnte. Sandra Brown lebt mit ihrer Familie abwechselnd in Texas und South Carolina. Weitere Informationen finden Sie auf: www.sandra-brown.de
Außerdem von Sandra Brown bei Blanvalet erschienen:
Celinas Tochter (35002) • Die Zeugin (35012) • Blindes Vertrauen (35134) • Im Haus meines Feindes (35289/37012) • Nacht ohne Ende (35447) • Schöne Lügen (35499) • Nachtglut (35721) • Trügerischer Spiegel (35192) • Kein Alibi (35900) • Betrogen (36189) • Envy - Neid (36370) • Scharade (36470) • Crush - Gier (36608) • Wie ein Ruf in der Stille (36695) • Rage - Zorn (36838) • Weißglut (36986) • Eisnacht (37396)
Ein Hauch von Skandal (36273) • Sündige Seide (36388) • Verliebt in einen Fremden (36519) • Ein Kuss für die Ewigkeit (36620) · Zum Glück verführt (36694) • Ein skandalöses Angebot (37050) · Heißer als Feuer (37131) • Lockruf des Glücks (37250) · Eine unmoralische Affäre (37252)
Liebe Leserin, lieber Leser,
bevor ich anfing, die Bücher zu schreiben, für die ich mittlerweile bekannt bin, schlug mein Herz für Liebesromane. Das englischsprachige Original von Eine sündige Nacht erschien vor vielen Jahren herausgegeben.
Diese Erzählung spiegelt die damals aktuellen Moden und Einstellungen wider, aber ihr Thema ist zeitlos und universell. Wie in allen Liebesgeschichten dreht sich die ganze Handlung um Personen, deren Liebe unter keinem guten Stern steht. Es gibt Momente der Leidenschaft, der Qual und der Zärtlichkeit - doch diese Gefühle gehören dazu, wenn man sich verliebt.
Es hat mir große Freude bereitet, romantische Geschichten zu schreiben, denn sie sind trotz der Irrungen und Wirrungen optimistisch und besitzen einen einzigartigen Charme gegenüber anderen Genres. Wenn Sie mit diesem Buch zum ersten Mal einen Liebesroman in den Händen halten, dann schwelgen Sie bitte einfach nur darin.
Sandra Brown
1
Sind Sie sicher?«
Der Arzt nickte niedergeschlagen. Seine grüne Operationskleidung sah noch immer makellos aus. Er war nicht lang genug im OP gewesen, um ihn durchzuschwitzen. »Es tut mir leid, Mrs. Lancaster. Es hat sich ausgebreitet und wuchert.«
»Sie können nichts mehr für ihn tun?«
»Nur, es ihm so angenehm wie möglich zu machen und ihn möglichst schmerzfrei zu halten.« Er berührte sie am Arm und sah den Mann, der neben ihr stand, bedeutungsvoll an. »Er hat nicht mehr lange zu leben. Höchstens noch ein paar Wochen.«
»Ich verstehe.« Sie drückte ein zerknülltes, feuchtes Taschentuch auf ihre Augen.
Sie tat dem Arzt entsetzlich leid. Wenn Angehörige auf die schlechte Nachricht hysterisch reagierten, fühlte er sich durchaus in der Lage, mit ihnen umzugehen. Die tapfere Hinnahme aber dieser so überaus femininen und zarten Frau verursachte das Gefühl in ihm, ein blutiger Anfänger und unbeholfen zu sein. »Wenn er nur früher zu einem Gesundheitscheck gekommen wäre, dann hätte man vielleicht …«
Sie lächelte traurig. »Das wollte er ja nicht. Ich habe ihn so gebeten, Sie aufzusuchen, als sein Magen ihm immer wieder Probleme bereitete, aber er beharrte darauf, dass es sich dabei nur um Verdauungsbeschwerden handelte.«
»Wir wissen ja alle, wie dickköpfig Roscoe sein kann«, sagte der Mann, mit dem sie ins Krankenhaus gekommen war. Granger Hopkins nahm Caroline Lancaster sanft in seinen rechten Arm. »Darf sie zu ihm?«
»Erst in einigen Stunden«, erwiderte der Arzt. »Er wird bis zum Nachmittag unter der Wirkung des Narkosemittels stehen. Warum gehen Sie nicht solange nach Hause und ruhen sich eine Weile aus?«
Caroline nickte und ließ sich von Granger, ihrem Anwalt und Freund, zum Fahrstuhl führen. Beide schwiegen bedrückt, während sie warteten. Sie war benommen, aber nicht überrascht. Noch nie war ihr Leben in rosigen und reibungslosen Bahnen verlaufen. Warum hatte sie nur in ihrer Naivität an der Hoffnung festgehalten, dass die diagnostische Operation lediglich zu Tage bringen würde, Roscoe würde an nichts Schlimmerem als einem Magengeschwür leiden, das man gut behandeln könnte?
»Geht’s?«, fragte Granger leise, nachdem sich die Fahrstuhltür hinter ihnen geschlossen hatte und sie damit vor neugierigen Blicken geschützt waren.
Sie holte tief Luft und erzitterte. »So gut es einer Frau eben gehen kann, wenn sie erfährt, dass ihr Ehemann stirbt. Bald.«
»Es tut mir leid.«
Sie sah zu ihm hoch und lächelte. Granger wurde ganz warm ums Herz. Die Art, wie sie lächelte und sich dabei auf eine süße Art für eine nicht erkennbare Unzulänglichkeit zu entschuldigen schien, wirkte auf Frauen und Männer gleichermaßen rührend. »Das weiß ich, Granger. Ich kann dir gar nicht sagen, wie froh ich darüber bin, dich zum Freund zu haben.«
Sie durchquerten das Foyer des kürzlich renovierten Krankenhauses. Sowohl das Personal als auch die Besucher sahen Caroline an und schauten schnell wieder weg. Auf ihren abgewandten Gesichtern zeigte sich Neugier, aber auch Respekt. Jeder wusste bereits Bescheid. Wenn eine einflussreiche Persönlichkeit in einer Stadt von der Größe Winstonvilles im Sterben lag, verbreitete sich die Neuigkeit wie ein Buschfeuer.
Granger begleitete Caroline zu ihrem Auto und hielt ihr die Tür auf. Sie stieg ein, startete aber den Motor nicht gleich. Sie saß gedankenverloren da, starrte niedergeschlagen vor sich hin, voller Sorge, voller Trauer. Es gab so viele Dinge, um die sie sich kümmern musste. Wo sollte sie nur beginnen?
»Wir müssen Rink benachrichtigen.«
Der Name durchfuhr sie wie ein Eispickel, kalt, messerscharf und durchdringend. Er bohrte sich durch alle lebenswichtigen Organe. Sein Name hallte wie Donner in ihrem Kopf. Der Schmerz, mit dem das geschah, ließ sie erstarren.
»Caroline, hast du mich gehört? Ich habe gesagt, dass -«
»Ja, ich habe dich verstanden.«
»Bevor er in den Operationsraum gebracht wurde, nahm Roscoe mir das Versprechen ab, mit Rink Kontakt aufzunehmen, sollte es zu einer schlechten Prognose kommen.«
Caroline sah Granger fragend an. »Er hat dich gebeten, Rink zu benachrichtigen?«
»Ja, und zwar sehr nachdrücklich.«
»Das überrascht mich. Ich hatte gedacht, der Streit zwischen ihnen ließe sich nicht mehr beilegen.«
»Roscoe stirbt, Caroline. Ich denke, er wusste, dass er das Krankenhaus nicht mehr verlassen würde, wenn er erstmal drin wäre. Er möchte seinen Sohn sehen, bevor er stirbt.«
»Zwölf Jahre lang haben sie sich weder gesehen noch gesprochen, Granger. Ich bin mir nicht sicher, ob Rink zurückkommt.«
»Das wird er, wenn er die Umstände kennt.«
Wird er? Oh Gott, würde er wirklich? Würde sie ihn wiedersehen? Was würde sie dabei fühlen? Wie sah er wohl aus? Es war alles schon so lange her. Zwölf lange Jahre. Sie hielt sich mit den Händen an dem gepolsterten Lenkrad ihres Lincoln fest. Ihre Handflächen waren feucht. Sie fühlte, wie Schweiß sich überall auf ihrem Körper ausbreitete.
»Mach dir darüber keine Sorgen«, sagte Granger, der ihre Bedrängnis spürte. »Da du Rink nicht kennst, werde ich ihn anrufen, um es ihm zu sagen.«
Caroline belehrte ihn nicht eines Besseren. Dass Rink und sie sich kannten, war zwölf Jahre lang ein gut gehütetes Geheimnis geblieben. Sie hatte nicht vor, jetzt etwas daran zu ändern. Stattdessen legte sie ihre Hand auf die von Granger, der sich mit der anderen auf die Polsterung ihres Autofensters stützte. »Dank dir für alles.«
Er sah recht unscheinbar aus, und seine hängenden Gesichtspartien erinnerten ein wenig an einen Dackel. Seine Wangen baumelten wie leere Lederbeutel zu beiden Seiten seines Kiefers herunter. Zu seiner Erscheinung passte es so gar nicht, dass er bei ihrer Berührung wie ein Schuljunge errötete. Er war zerknittert und lief gebeugt, bewegte sich im Allgemeinen langsam. Er sprach leise und freundlich und hatte mit dieser Art schon viele hinters Licht geführt. Obwohl er so gutmütig und harmlos wirkte, hatte er aber einen messerscharfen Verstand, dem nichts entging. »Ich bin froh, wenn ich dir irgendwie helfen kann. Gibt es sonst noch etwas?«
Sie schüttelte den Kopf. Es war eine große Erleichterung für sie, dass er freiwillig angeboten hatte, Rink anzurufen. Wie hätte sie das jemals bewerkstelligen sollen? »Ich werde es Laura Jane sagen müssen.« Ihre grauen Augen füllten sich mit Tränen. »Das wird nicht leicht werden.«
»Du wirst das besser als jeder andere meistern.« Er tätschelte ihre Hand und trat zurück. »Ich ruf dich heute Nachmittag an und fahre dich zum Krankenhaus, wann immer du möchtest.«
Sie nickte, startete das Auto und legte den Gang ein. In der Stadt war viel los, als sie durch die Straßen fuhr. Roscoes Operation war für den frühen Morgen angesetzt gewesen. Inzwischen war das Geschäftsleben in vollem Gang. Die Menschen gingen ihren Alltagsgeschäften nach, ohne zu ahnen, dass Caroline Dawson Lancasters Welt sich wieder einmal auf den Kopf gestellt hatte.
Der Mann, der erst ihr Arbeitgeber, später ihr Ehemann geworden war, würde sterben. Ihre Zukunft, die für so kurze Zeit sicher gewesen war, schien wiederum ungewiss. Roscoes Tod bedeutete für sie nicht nur den Verlust eines wichtigen Menschen, sie würde außerdem diese Station ihres Lebens verlassen.
Sie fuhr an der Baumwoll-Entkörnungsanlage, der Lancaster Baumwollfabrik, vorbei. Dort rüsteten sich alle für ein reiches Erntejahr. Der Vorarbeiter musste bald erfahren, wie es um Roscoe stand. Das würde sie erledigen müssen, da sie sich in den letzten Monaten um alles dort gekümmert hatte, als Roscoes schlechte Gesundheit ihn bereits davon abgehalten hatte. Der Vorarbeiter würde die Neuigkeit an die Arbeiter weitergeben. Dann dauerte es nicht mehr lange, bis jeder in der Stadt wusste, dass Roscoe Lancaster im Sterben lag.
Die stadtbekannten Klatschtanten kriegten sich gar nicht mehr ein, als Caroline Dawson und Roscoe Lancaster, der dreißig Jahre älter war als seine Braut, ihre Absicht einander zu heiraten verkündet hatten. Die Leuten fanden, dass das Dawson-Mädchen, das aus ärmlichen Verhältnissen stammte, seinen Lebensstandard ganz schön nach oben geschraubt hatte, wo sie jetzt im Herrenhaus mit dem Namen The Retreat lebte, einen neuen, blitzblanken Lincoln fuhr und allzeit in todschicken Kleidern auftauchte. Menschenskinder! Was glaubte die eigentlich, wer sie war? Es konnte sich noch jeder Einzelne von ihnen daran erinnern, wie sie geflickte Kleidung trug und nach der Schule bei Woolworth arbeitete. Jetzt aber, als Mrs. Roscoe Lancaster, der Frau des reichsten Mannes weit und breit, machte sie auf vornehm.
Genau genommen mied Caroline die Städter, um deren vielsagenden Blicken zu entgehen. Blicke, die ihr verrieten, dass die Leute sich das Hirn darüber zermarterten, über welche Zauberkräfte sie wohl verfüge, die den alten Roscoe dazu gebracht hatten, sie zu heiraten, nachdem er schon so viele Jahre Witwer gewesen war.
Schon bald würden eben diese Menschen zu ihr kommen, um Caroline ihr Beileid auszusprechen. Sie schloss kurz die Augen und schauderte bei dem Gedanken. Einzig der Anblick von The Retreat konnte ihre Trübsal ein wenig vertreiben. Bis zu dem Tag, an dem sie starb, würde wohl immer ein Blick auf dieses Haus ausreichen, um sie aufzuheitern. Zuerst hatte sie es als kleines Mädchen gesehen, das durch die Wälder tobte und durch die Bäume hindurch einen ersten Blick auf das Herrenhaus warf. Seit damals hatte es sie in seinen Bann gezogen.
Es stand umringt von prächtigen Eichen, deren starke Äste mit Zöpfen aus grauem, kraus herabhängendem Moos sich wie ein Schutzkreis um das Haus legten, als ob sie es beschützend umarmten. Das Haus selber wirkte wie eine kokette Südstaatenschönheit, die ihre weiten Reifröcke um sich herum drapiert hatte. Die Mauern leuchteten stets in einem makellosen weißen Anstrich. Eine Reihe korinthischer Säulen zierten die Hausfront, drei auf jeder Seite der Eingangstür. Sie stützten den Balkon im oberen Stockwerk, der über der imposanten, das Haus umlaufenden Veranda ragte. Weiße Korbmöbel, die nur in den kalten, nassen Wintermonaten hereingeholt wurden, waren auf der Veranda angeordnet. Weiß gestrichenes Gusseisen, das so zart gearbeitet war wie das Muster auf einem Unterrock, umrankte den Balkon. Holzläden in einem kräftigen Grün flankierten alle großen Fenster, die wie Spiegel im Sonnenlicht erglänzten.
Die Insekten summten aufgeregt, ja geradezu ekstatisch durch das überfließende Blumenmeer, aus dem die Farben so kräftig herausschillerten, dass es in den Augen schmerzte. An keinem Ort der Welt war das Gras grüner als das, das wie ein Teppich um The Retreat wuchs.
Das Haus wurde von einer Aura der Heiterkeit umgeben, so wie ein magischer Nebelschleier um eine Märchenburg schweben mochte. Solange sie denken konnte, stand das Haus für alles Erstrebenswerte, das es auf der Welt gab. Jetzt wohnte sie darin. Nach dem, was heute geschehen war, war ihr schmerzlich bewusst, dass ihr Aufenthalt nur vorübergehend sein würde.
Die Einfahrt, auf der sie ihren Wagen zum Stehen brachte, verlief in einem Bogen vor dem Haus. Sie brauchte einen Moment, um ihre Gedanken zu sammeln und die Kraft zu finden, die nächsten Stunden durchzustehen. Es würde kein angenehmer Nachmittag werden.
Nach der blendenden Sonne draußen kam es ihr in der Eingangshalle schummerig vor. The Retreat war in der typischen Bauweise des Herrenhauses eines Plantagenbesitzers aus der Zeit vor dem Bürgerkrieg errichtet worden. Eine weitläufige, mittig liegende Eingangshalle zog sich vom Eingang bis zur Rückseite des Gebäudes. Auf der einen Seite lagen das Esszimmer für gesellschaftliche Zwecke und die Bibliothek, die Roscoe als Arbeitszimmer benutzt hatte, auf der anderen Seite waren die formellen und privaten Empfangsräume, die durch enorme, in den Wänden versenkbare Schiebetüren voneinander und von der Eingangshalle getrennt wurden. Soweit sich Caroline erinnern konnte, waren diese Türen nie verwendet worden. Eine beeindruckende Treppe wand sich in majestätischem Schwung in den oberen Teil des Hauses und zu den dortigen vier Schlafsuiten.
Im Haus war es kühl, ein Zufluchtsort bei der hohen, sommerlichen Luftfeuchtigkeit. Caroline schälte sich aus ihrer Anzugjacke, hängte sie an die Garderobe und zupfte an ihrer Seidenbluse, die ihr feucht am Rücken klebte.
»Na? Was gibt’s Neues?«
Die Haushälterin, Mrs. Haney, die seit dem Tag, an dem Marlena Winston Roscoe Lancaster geheiratet hatte, in The Retreat lebte, stand im Flur, der an der Decke gewölbt war und ins Esszimmer führte. Sie kam aus der Küche und trocknete ihre großen, rauen Hände, die dem Rest ihrer Erscheinung vollkommen entsprachen, an einem Geschirrhandtuch ab.
Caroline ging langsam auf sie zu und umarmte sie. Die starken Arme der Haushälterin schlossen sich um die schmale Frau. »So schlimm steht es?«, fragte sie leise und streichelte dabei Carolines Rücken.
»Noch schlimmer. Krebs. Er kommt nicht mehr nach Hause.«
Die beiden Frauen lehnten sich aneinander, spendeten sich gegenseitig Trost. Mrs. Haney mochte Roscoe zwar nicht sonderlich, respektierte ihn jedoch seit mehr als fünfunddreißig Jahren. Ihr Mitgefühl galt vielmehr denen, die er hinterließ, einschließlich seiner jungen Witwe.
Anfangs war Mrs. Haney der neuen Herrin auf The Retreat eher skeptisch und voreingenommen gegenübergetreten. Als sie dann aber sah, dass Caroline nicht vorhatte, irgendetwas in dem Haus zu verändern, sondern im Gegenteil beabsichtigte, alles so zu lassen, wie Marlena es eingerichtet hatte, bröckelte ihre starre Haltung langsam. Natürlich konnte das Mädchen nichts dafür, dass es aus dürftigen Verhältnissen stammte. Mrs. Haney war nicht so voreingenommen, sie nach ihrer Familie zu beurteilen. Caroline ging freundlich und liebevoll mit Laura Jane um. Für Mrs. Haney bedeutete allein das schon einen Eintrag in ihr persönliches Heiligenbuch.
»Mrs. Haney? Caroline? Was ist los?« Sie drehten sich zu Laura Jane um, die am Fuß der Treppe stand. Mit ihren zweiundzwanzig Jahren sah Roscoes Tochter kaum älter als ein Teenager aus. Ihr weiches braunes Haar, das durch einen Mittelscheitel geteilt war, fiel gerade herunter und umrahmte ihr fein geschnittenes Gesicht, was die junge Frau ätherisch wirken ließ. Ihr Teint war so durchscheinend wie Porzellan. Ihre großen, elfenhaften Augen, von langen Wimpern gesäumt, waren von einem samtigen Braun und blickten seelenvoll. Ihre Figur war nur in dem Maße gereift wie ihr Geist. Sie war eine exquisite Knospe kurz vor dem Erblühen. Alle fraulichen Rundungen waren im Ansatz zu sehen, würden aber nie zur Reife kommen. Genauso wie ihr Verstand war auch ihr Körper auf einer Stufe des Entwicklungsprozesses stehen geblieben. Sie würde für immer zeitlos bleiben.
»Ist Daddys Operation vorbei? Kommt er jetzt nach Hause?«
»Guten Morgen, Laura Jane«, sagte Caroline und ging zu ihrer Stieftochter, die nur fünf Jahre jünger war als sie selbst. Sie nahm das Mädchen in den Arm. »Kommst du mit mir hinaus? Es ist ein so schöner Tag.«
»In Ordnung. Aber warum weint Mrs. Haney denn?« Die Haushälterin tupfte sich die Augen mit ihrem Geschirrtuch.
»Sie ist traurig.«
»Warum?«
Caroline schob die junge Frau durch die Haustür auf die Veranda hinaus. »Wegen Roscoe. Er ist sehr krank, Laura Jane.«
»Ich weiß. Sein Magen tut ihm die ganze Zeit weh.«
»Der Arzt hat gesagt, dass das auch nicht besser wird.«
Sie schlenderten über den sehr gepflegten Rasen. Eine Arbeiterkolonne erschien ungeachtet der Jahreszeit zweimal wöchentlich auf The Retreat, um das Anwesen in makellosem Zustand zu halten. Laura Jane pflückte sich einen Stängel aus einem Strauß Gänseblümchen, der an dem von Flechten überzogenen Steinpfad wuchs.
»Hat Daddy Krebs?« Ihr Scharfsinn überraschte einen von Zeit zu Zeit.
»Ja, das hat er«, erwiderte Caroline. Sie würde Laura Jane nicht die Wahrheit über den Zustand ihres Vaters verschweigen. Das wäre grausam.
»Ich habe beim Fernsehen eine Menge über Krebs gelernt.« Sie hielt inne und sah Caroline an. Die beiden Frauen waren fast gleich groß, und ihre Augen trafen sich auf einer Höhe. »Daddy könnte an Krebs sterben.«
Caroline nickte. »Er wird sterben, Laura Jane. Der Arzt sagte, es könne in einer Woche oder so geschehen.«
In den dunkelbraunen Augen zeigten sich keine Tränen. Laura Jane hob das Gänseblümchen an ihre Nase, während sie über diese Neuigkeit nachdachte. Schließlich sah sie wieder zu Caroline. »Aber er kommt doch in den Himmel, oder?«
»Ich nehme es an … Ja, ja, natürlich kommt er in den Himmel.«
»Dann wird Daddy wieder mit Mama zusammen sein. Sie ist schon so lange da oben. Sie wird sich freuen, ihn zu sehen. Und ich habe dann immer noch dich und Mrs. Haney und Steve.« Sie sah zu den Stallungen hinüber. »Und Rink. Rink schreibt mir jede Woche. Er sagt, dass er mich immer liebhaben wird und dass er sich um mich kümmern will. Glaubst du, dass er das tun wird, Caroline?«
»Natürlich wird er das.« Caroline presste die Lippen aufeinander, um nicht in Tränen auszubrechen. Würde Rink jemals ein Versprechen halten? Wenigstens seiner Schwester gegenüber?
»Vielleicht kommt er schon bald nach Hause.« Sie wollte dem Mädchen nicht sagen, dass Rink zurückkommen würde, bevor er nicht tatsächlich da war.
Laura Jane war zufrieden. »Steve wartet auf mich. Die Stute hat in der Nacht ihr Fohlen bekommen. Komm und sieh’s dir an.«
Sie ergriff die Hände ihrer Stiefmutter und zog sie zum Stall. Caroline beneidete Laura Jane um ihre Unverwüstlichkeit und wünschte, sie könnte Roscoes Tod mit genau demselben unkomplizierten Glauben an die Zukunft begegnen wie seine Tochter.
Die Luft in dem weitläufigen Stall war warm und dick und duftete angenehm nach Pferden, Leder und Heu.
»Steve«, rief Laura Jane fröhlich aus.
»Hier bin ich«, kam es mit tiefer Stimme zurück.
Steve Bishop war der Stallmeister auf dem Anwesen der Lancasters. Die Zucht von Vollblütern war zwar eines von Roscoes Hobbys, aber die tatsächliche Pflege der Pferde interessierte ihn nicht sonderlich. Mr. Bishop trat aus einer Box auf den Mittelgang. Er war nur mittelgroß, hatte aber einen kräftigen Körperbau. Seine Gesichtszüge waren ungleichmäßig und grob, aber sein Ausdruck milderte die Derbheit seines Gesichtes. Er trug sein Haar lang, normalerweise mit einem Frotteestirnband um den Kopf oder, wie jetzt, mit einem Cowboyhut aus Stroh. Seine Jeans war alt und zerfranst, seine Stiefel staubig, Schweißflecken zeigten sich auf seinem Hemd, aber auf seinem Gesicht lag ein strahlendes Lächeln, als Laura Jane auf ihn zugesprungen kam. Nur der Ausdruck von Traurigkeit und Enttäuschung verließ nie seine Augen, nicht einmal, wenn er lächelte. Er war siebenunddreißig Jahre alt, aber seine Augen wirkten viel älter.
»Steve, wir wollen das Fohlen sehen«, sagte Laura Jane außer Atem.
»Es ist gleich hier.« Er zeigte mit seinem Kopf auf die Box, die er gerade verlassen hatte.
Laura Jane ging hinein. Steve sah Caroline fragend an. »Krebs«, beantwortete sie seine stumme Frage. »Es ist nur eine Frage der Zeit.«
Steve fluchte leise und sah dann zu der jungen Frau, die im Heu kniete und mit dem Fohlen schmuste. »Haben Sie es ihr schon gesagt?«
»Ja. Sie hat es besser als jeder andere aufgenommen.«
Er nickte und lächelte Caroline kläglich an. »Ja, das denke ich mir.«
»Oh, Steve. Es ist wunderschön, nicht wahr?«, rief Laura Jane.
Verlegen berührte er kurz Carolines Schulter, dann ging er in die Box. Sie folgte ihm und beobachtete, wie er sich ungelenk neben Laura Jane auf die Knie ließ. Im Vietnamkrieg hatte er den unteren Teil seines linken Beines verloren. Er trug eine Prothese, die kaum als solche zu erkennen war, es sei denn, er musste das Bein beugen, so wie jetzt.
»Es ist wirklich hübsch. Und seine Mama ist sehr stolz auf es.« Er klopfte der Stute auf die Seite, aber seine Augen blickten weiter auf Laura Jane. Caroline sah, wie er einen Strohhalm, der sich in Laura Janes Haar verfangen hatte, herauszog. Seine Finger streiften dabei ganz zart ihre makellose Wange. Laura Jane sah ihm in die Augen, dann lächelten sie sich an.
Einen Moment lang war Caroline über diesen intimen Austausch verblüfft. Hatten die beiden sich etwa ineinander verliebt? Sie wusste nicht recht, was sie von dieser Vorstellung halten sollte. Taktvoll zog sie sich zurück, aber Steve sah zu ihr hoch.
»Mrs. Lancaster, wenn ich irgendetwas tun kann …« Er beließ es bei diesem offenen Angebot.
»Danke, Steve. Machen Sie erstmal so weiter wie bisher.«
»Ja, Ma’am.« Er wusste, dass ihre Meinung ausschlaggebend für seine Einstellung bei Roscoe gewesen war. Sie hatte damals noch für Mr. Lancaster gearbeitet, als Steve Bishop auftauchte, um sich als Stallmeister zu bewerben, und seine Bitterkeit wie einen Schild vor sich hertrug. Sein Pferdeschwanz hing ihm bis zur Hälfte des Rückens herunter, seine Jeansweste war übersät mit Friedenszeichen und Stickern mit Anti-Kriegs-Parolen und Anti-Amerika-Slogans. Er war mürrisch und streitlustig gewesen, fast hatte er Roscoe dazu herausgefordert, ihm einen Job, eine Chance zu geben, die ihm so viele andere verweigert hatten.
Caroline hatte durch seine Maske gesehen und den wahren Mann in ihm erkannt. Er war verzweifelt gewesen. Sie hatte ihn wie von selbst in ihr Herz geschlossen. Sie kannte den Schmerz, der daher rührte, mit einem Etikett versehen zu werden, und wusste, wie es war, wenn man nach seiner äußerlichen Erscheinung und seiner Herkunft, für die man nichts konnte, beurteilt wurde. Weil der Kriegsveteran angab, vor dem Krieg in einer Pferderanch in Kalifornien gearbeitet zu haben, überredete Caroline Roscoe, ihn einzustellen.
Ihr Mann hatte diese Entscheidung niemals bereut. Steve stutzte seinen Pferdeschwanz und veränderte sein Aussehen sofort, als ob die Insignien der Rebellion nicht länger vonnöten wären. Er war fleißig und gewissenhaft und stand auf erstaunliche Art in innerem Zwiegespräch mit den Vollblütern. Der Mann hatte lediglich jemanden gebraucht, der ihm sein Vertrauen entgegenbrachte, damit er wieder Achtung vor sich selber hatte.
Caroline dachte auf ihrem Weg zum Haus über all das nach. Steve und Laura Jane waren ineinander verliebt. Sie schüttelte den Kopf und trat lächelnd in die Halle. Das Telefon läutete. Sie nahm automatisch ab, bevor Mrs. Haney drangehen konnte. »Hallo?«
»Caroline, Granger hier.«
»Ja?«
»Ich habe mit Rink gesprochen. Er kommt irgendwann heute Abend an.«
Es schien, dass an diesem Nachmittag eine Million Dinge erledigt werden mussten, eine Million Personen mussten benachrichtigt werden. Roscoe hatte außer seinem Sohn und seiner Tochter keine lebenden Verwandten mehr. Aber jeder im Bezirk und viele Menschen im Staat Mississippi würden von Roscoes Erkrankung erfahren wollen. Caroline teilte sich die Liste der anstehenden Telefonate mit Granger und verbrachte viel Zeit mit deren Erledigung.
»Mrs. Haney, würden Sie bitte Rinks altes Zimmer auf Vordermann bringen. Er wird heute Abend nach Hause kommen.«
Als sie das hörte, brach die Haushälterin in Freudentränen aus. »Gelobt sei der Herr, gepriesen sei der Herr. Ich habe immer gebetet, dass der Tag kommt, an dem mein Baby nach Hause zurückkehrt. Seine Mama wird heute im Himmel tanzen. Oh ja, das wird sie sicher. Ich muss nur das Bett frisch beziehen, denn ich habe das Zimmer immer sauber gehalten für den Tag, an dem er zurückkommt. Oh mein Gott, ich kann es kaum erwarten, ihn zu sehen.«
Caroline versuchte, nicht an den Augenblick zu denken, wenn sie den verlorenen Sohn ansehen musste, mit ihm sprechen sollte. Sie lenkte sich schnell mit der Vielzahl anderer Aufgaben ab, die zu erledigen waren.
Sie dachte auch nicht an Roscoes bevorstehenden Tod. Das würde sie später tun, wenn sie allein war. Nicht einmal, als sie später am Nachmittag noch einmal ins Krankenhaus fuhr und an seinem Bett saß, ließ sie den Gedanken zu, dass er diesen Ort niemals wieder verlassen würde. Er stand noch immer unter dem Einfluss des Narkosemittels, aber sie meinte, einen leichten Gegendruck gespürt zu haben, als sie zum Abschied seine Hand ergriff und sie drückte.
Beim Abendessen erzählte sie Laura Jane von Rinks bevorstehender Rückkehr. Das Mädchen schnellte aus seinem Stuhl, packte Mrs. Haney und wirbelte sie durch das ganze Zimmer. »Er hat mir versprochen, dass er eines Tages zurückkommt, richtig, Mrs. Haney? Rink kommt heim! Das muss ich Steve erzählen.« Sie raste durch die Hintertür hinaus in Richtung der Ställe, wo Steves Wohnung lag.
»Das Mädchen wird noch als lästige Fliege angesehen, wenn sie diesen jungen Mann nicht in Ruhe lässt.«
Caroline lächelte geheimnisvoll. »Das glaube ich nicht.« Mrs. Haney zog fragend eine Augenbraue hoch, aber Caroline ging nicht näher darauf ein. Sie nahm ihren Eistee, in dem ein Minzzweiglein schwamm, und ging damit auf die Veranda hinaus. Als sie sich in einem Schaukelstuhl niederließ, fiel ihr Kopf nach hinten auf ein geblümtes Kissen und sie schloss die Augen.
Diese Tageszeit war ihr die liebste auf The Retreat: der frühe Abend, wenn die Lichter aus dem Inneren des Hauses durch die Fenster schienen und die Glasscheiben in Juwelen verwandelten. Die Schatten waren lang und dunkel, einer ging in den anderen über, sodass es keine scharfen Kanten oder exakte Umrisse gab. Der Himmel über ihr leuchtete in einem ungewöhnlichen und wundervollen Violett, dicht und undurchdringlich. Die Bäume standen wie schwarze Radierungen dagegen. Vom Nebenlauf des Flusses her hörte man das heisere Quaken der Ochsenfrösche, die Zikaden füllten mit ihren schrillen Soprantönen die windstille, feuchte Luft. Die Fruchtbarkeit der Erde konnte man riechen, und aus jeder einzelnen Blüte stieg ein einzigartiger und berauschender Duft empor.
Nach einer ausgedehnten Ruhepause öffnete Caroline ihre Augen. Und erblickte ihn.
Er stand reglos unter den Ästen einer ausladenden Eiche. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals, und ihre Sicht war schlagartig verschwommen. Sie war sich nicht sicher, ob er wirklich dort stand oder ob sie ein Trugbild erblickte. Ihr wurde ganz schwindlig, und sie verstärkte ihren Griff um das rutschige Glas mit dem Eistee fester, damit es ihr nicht durch die kalten, steifen Finger rutschte.
Er stieß sich von Stamm der Eiche ab und bewegte sich geräuschlos wie ein Panther auf sie zu, bis er an den steinernen Stufen stand, die auf die Veranda führten.
Er war nur ein Schatten unter vielen, aber seine klare maskuline Figur konnte man nicht übersehen, wie er da mit weit gespreizten Beinen stand. Körperlich hatten ihm die letzten Jahre nichts ausmachen können. Er sah genauso fit aus wie damals, als sie ihn zum ersten Mal gesehen hatte. Die Dunkelheit versteckte sein Gesicht vor ihr, aber sie erhaschte einen Blick auf seine geraden, weißen Zähne, als er zögernd lächelte.
Es war ein träges Lächeln, das zum Klang seiner Stimme passte: »Na, so wahr ich hier stehe, das ist doch Caroline Dawson.« Er stellte einen Fuß auf die unterste Stufe und zog seinen Oberkörper nach vorne, um die Arme auf sein Knie zu stützen. Er sah zu ihr hoch, sodass das Licht der Eingangshalle auf sein Gesicht fiel. Ihr Herz zog sich zusammen - vor Schmerz und vor Liebe. »Nur, dass du nun Lancaster heißt, richtig?«
»Ja, mein Name ist jetzt Lancaster. Hallo, Rink.«
Dieses Gesicht! Das war das Gesicht, das sie in ihren Träumen heimgesucht hatte und das durch ihre Fantasien gespukt war. Es war noch immer das wunderbarste Gesicht, das sie jemals gesehen hatte. In seinen Zwanzigern sah er toll aus, aber jetzt, in seinen Dreißigern, war er umwerfend. Sein pechschwarzes Haar, das vom Teufel persönlich hätte stammen können, ließ schon auf sein wildes Wesen schließen, einige Strähnen standen kreuz und quer und ließen sich nicht zähmen. Seine Augen, die sie vom ersten Augenblick an verwirrt hatten, faszinierten sie aufs Neue. Menschen ohne besondere Vorstellugskraft würden sie hellbraun nennen. Aber sie waren golden, so golden wie der reinste dunkle Honig, wie der feinste Likör, wie glitzernde Topasse.
Als sie das letzte Mal in diese Augen geblickt hatte, hatten sie vor Leidenschaft geglüht. Morgen … Morgen, Baby. Hier. An unserem Ort. Oh Gott, Caroline, küss mich noch einmal. Dann: Morgen, Morgen. Nur, dass er am nächsten Tag nicht zurückgekehrt war.
»Wie lustig, dass wir denselben Nachnamen haben«, sagte er in einem Ton, der erkennen ließ, dass er das ganz und gar nicht lustig fand.
Darauf wusste sie keine Antwort. Sie wollte ihn anschreien, dass sie sich bereits seit Jahren denselben Namen hätten teilen können, wenn er kein Lügner gewesen wäre, wenn er sie nicht hintergangen hätte. Aber einige Dinge blieben besser ungesagt. »Ich habe dein Auto gar nicht gehört.«
»Ich bin hergeflogen und habe auf der Landepiste aufgesetzt. Von dort aus bin ich gelaufen.«
Die Landepiste war ungefähr eine Meile weit weg. »Oh. Warum?«
»Vielleicht, weil ich nicht wusste, welche Art von Empfang mich hier erwarten würde.«
»Dies ist dein Zuhause, Rink.«
Er fluchte unflätig. »Na klar, da hast du allerdings recht.«
Sie befeuchtete ihre Lippen mit der Zunge und wünschte sich den Mut herbei aufzustehen, traute sich aber nicht, weil sie befürchtete, ihre Beine würden nachgeben. »Du hast noch nicht gefragt, wie es deinem Vater geht.«
»Granger hat mich aufgeklärt.«
»Dann weißt du ja, dass er bald stirbt.«
»Ja. Und dass er mich sehen will. Wunder gibt es immer wieder.«
Seine bissige Bemerkung ließ sie aus ihrem Stuhl hochfahren, ohne dass sie darüber nachdenken musste. »Er ist ein alter, kranker Mann. Nicht mehr derselbe Mensch, den du kanntest.«
»Solange er noch am Leben ist, ist er genau der Mann, den ich kenne.«
»Darüber will ich nicht mit dir streiten.«
»Ich streite nicht.«
»Und ich lasse es nicht zu, dass du ihn oder Laura Jane oder Mrs. Haney aufregst. Sie freuen sich darauf, dich zu sehen.«
»Du lässt es nicht zu? Soso. Dann betrachtest du dich also als Herrin von The Retreat?«
»Rink, bitte. Die nächsten Wochen werden auch so schon schwer genug werden, ohne dass …«
»Ich weiß, ich weiß.« Sie hörte seinen langen Seufzer, während sie angespannt auf der Veranda stand, die Hände fest ineinander gepresst. Aus Furcht, es fallen zu lassen, hatte sie ihr Glas auf dem Verandageländer abgestellt. »Ich kann es auch kaum abwarten, die beiden endlich zu sehen«, sagte er und sah zu den Stallungen herüber. »Vor einer Weile habe ich gesehen, wie Laura Jane aus dem Haus lief, aber ich wollte nicht plötzlich aus dem Nichts vor ihr auftauchen und sie erschrecken. Ich erinnere mich an sie als kleines Mädchen. Kaum zu glauben, dass sie jetzt erwachsen ist.«
Das Bild, wie Laura Jane und Steve nebeneinander im Heu knien und seine rauen Finger ihre Wange streicheln, stieg Caroline vor die Augen. Sie fragte sich, was Rink wohl von der Romanze seiner Schwester halten würde. Es bereitete ihr Unbehagen, darüber zu grübeln. »Sie ist eine Frau geworden, Rink.«
Sie fühlte, wie er sie in Augenschein nahm, sein Blick wanderte über ihren Körper, untersuchte sie, taxierte sie. Wie ein warmer Brandy durchrieselte dieser Blick sie und berührte sie überall. Er sagte leise: »Na, und du? Du bist jetzt auch erwachsen, nicht wahr, Caroline? Eine Frau.«
Zu seinem Erstaunen sah sie noch genauso aus wie damals. Die Schönheit, die sie als Fünfzehnjährige besaß, als er sie kannte, war nur weicher geworden. Er hatte gehofft, sie würde dick, ungepflegt, altbacken sein, mit farblosem Haar und breiten Hüften. Stattdessen war sie immer noch zierlich und hatte eine Wespentaille. Ihre Brüste waren voll, weich und rund, und verlockten dazu, sie zu berühren. Verdammt! Wie oft hatte sein Vater sie angefasst?
Langsam nahm er eine Stufe nach der anderen, wie ein Raubtier, das nicht hungrig war, sondern seine Beute lediglich quälen wollte. Seine goldenen Augen, die in der Dunkelheit glühten, waren fest auf ihre gerichtet. Auf seinen breiten, sinnlichen Lippen lag ein listiges, wissendes Lächeln, als ob er ahnte, dass sie sich an Dinge erinnerte, die sie lieber vergessen wollte, wie sich zum Beispiel seine Lippen auf ihrem Mund, auf ihrem Hals, auf ihren Brüsten anfühlten.
Sie drehte sich auf dem Absatz herum. »Ich werde Mrs. Haney rufen. Sie wird …«
Doch er umfasste fest ihr Handgelenk, hielt sie zurück und zwang sie, sich ihm zuzuwenden und ihn anzusehen. »Warte eine Minute«, sagte er sanft. »Glaubst du nicht, dass wir uns nach zwölf Jahren etwas herzlicher begrüßen könnten?«
Seine freie Hand legte sich um ihren Nacken und zog ihren Kopf gefährlich nahe an seinen heran. »Denk dran, wir sind jetzt verwandt«, bemerkte er spöttisch. Dann waren seine Lippen plötzlich auf ihren. Er nahm brutal von ihnen Besitz, um Caroline für all die vielen Nächte zu bestrafen, die er an sie hatte denken müssen, an seine unberührte Caroline, die ihr Bett mit seinem eigenen Vater teilte.
Ihre Fäuste bohrten sich in seine Brust. In ihren Ohren rauschte es. Ihre Knie wurden weich. Sie kämpfte gegen ihn. Viel stärker kämpfte sie jedoch gegen sich selbst, weil sie ihre Arme um seinen Hals werfen und ihn ganz fest halten wollte, weil sie wieder den Zauber seiner Umarmung spüren wollte.
Aber dies war keine Umarmung, dies war eine Beleidigung. Sie musste all ihre Kräfte aufbringen, um ihren Mund zu befreien.
Als sie es geschafft hatte, schob er seine Hände in die Jeanstaschen und grinste spöttisch, während er ihren empörten Gesichtsausdruck und ihre lädierten Lippen betrachtete. Schleppend sagte er: »Hallo, Mom.«
2
Caroline rang nach Luft, denn sie war wütend und fühlte sich erniedrigt. »Wie mies von dir, das zu sagen! Wie kannst du nur so ekelhaft sein?«
»Wie konntest du den gemeinen alten Mann heiraten, der zufällig mein Vater ist?«
»Er ist nicht gemein. Zu mir war er immer sehr gut.«
Sein Gelächter klang wie ein kurzes Bellen. »Oh ja, ich kann sehen, wie gut er zu dir gewesen ist. Sind das Perlenstecker? Und das hier ein Diamantring?« Er zeigte auf ihre Ohrläppchen und ihren rechten Ringfinger. »Du bist ganz schön was geworden, nicht wahr, Caroline? Du wohnst jetzt hier, in The Retreat. Und hast du mir nicht einmal gesagt, du würdest alles dafür geben, in einem Haus wie diesem zu leben?« Er beugte sich zu ihr herunter und sprach mit knurrender Stimme weiter. »Lass mich doch mal raten, was du dafür getan hast, damit mein Vater dich geheiratet hat.«
Sie haute ihm eine runter. Es war geschehen, bevor sie darüber nachdenken konnte. In einem Moment spuckte er seine Schmähungen heraus, im nächsten Moment knallte ihre Handfläche auf seine Wange, so hart, dass ihre Hand brannte und sie hoffte, dass ihm der Schlag ebenso wehtat.
Er tat einen Schritt zurück und bedachte sie mit einem hämischen Grinsen, das sie sogar noch wütender machte als seine herablassenden Worte. »Was immer es war, das ich ihm gegeben habe, es war mehr, als er von dir in den letzten zwölf Jahren bekommen hat. Er war am Boden zerstört, allein in diesem Haus, wo er sich nach dir verzehrte.«
Er lachte erneut. »Verzehrte? Das ist wirklich gut, Caroline. Verzehrte.« Er beugte ein Knie, sodass sich sein Gewicht auf ein Bein verlagerte. Er verschränkte die Arme vor der Brust, senkte den Kopf und sprach in seiner überheblichen Art weiter. »Warum bloß fällt es mir so schwer, mir meinen Vater vorzustellen, wie er sich nach irgendetwas verzehrt? Besonders nach meiner Anwesenheit?«
»Ich bin überzeugt, er hätte dich lieber hier gehabt.«
»Er war ebenso wie ich froh darüber, dass ich fortging«, sagte er barsch. »Also erspare mir bitte weitere Sentimentalitäten. Wenn du meinst, ich hätte Roscoe gefehlt, dann versichere ich dir, hast du dir das nur eingebildet.«
»Ich weiß nicht, worüber ihr damals gestritten habt, aber er ist jetzt krank, Rink. Sterbenskrank. Mach die ganze Sache bitte nicht noch schwerer, als sie schon ist.«
»Wer kam auf die Idee, mich zu rufen, warst du es oder Granger?«
»Roscoe.«
»Das hat Granger mir auch gesagt, aber ich glaube euch nicht.«
»Es ist die Wahrheit.«
»Dann liegt es auf der Hand, dass er Hintergedanken dabei hatte.«
»Roscoe möchte noch einmal seinen Sohn sehen, bevor er stirbt!«, rief sie aus. »Das ist der einzige Grund.«
»Nicht für Roscoe, nein. Er ist ein durchtriebener, berechnender Bastard, und wenn er mich hierhaben möchte, um ihm beim Sterben zuzusehen, dann glaub mir, hat er einen Grund dafür.«
»Du solltest nicht auf diese Art mit mir über ihn sprechen. Er ist schließlich mein Ehemann.«
»Das ist dein Problem.«
»Caroline? Wer ist - Oh, mein Gott. Rink!« Mrs. Haney raste durch die Gittertür und riss Rink in einer Umarmung an sich, die einen weniger starken Mann schier erdrückt hätte. Er zog sie ebenso fest an sich. Caroline kamen die Tränen, als sie beobachtete, wie seine bittere, höhnische Miene einem munteren Grinsen wich. Seine goldenen Augen leuchteten vor Glück, und er lächelte so breit, dass seine weißen Zähne zu sehen waren.
»Mrs. Haney! Oh Gott, wie habe ich Sie vermisst!«
»Du hättest ruhig öfter schreiben können«, schnüffelte sie, riss sich zusammen und versuchte, entrüstet auszusehen.
»Es tut mir wirklich sehr leid«, sagte er kleinlaut, wobei seine Augen genauso schelmisch funkelten wie damals, wenn die Haushälterin ihn mal wieder beim Stibitzen von Süßigkeiten erwischt hatte. Wodurch er dann jedes Mal davonkam. So wie jetzt.
»Wie ich sehe, hast du Caroline bereits kennengelernt«, sagte Mrs. Haney und strahlte sie beide an.
»Oh ja. Ich habe Caroline getroffen. Wir werden uns schon bald besser kennenlernen.«
Der Haushälterin entging der Blick, den er Caroline zuwarf. »Du hast nicht anständig gegessen, das kann ich sehen. Verdienst mehr als genug, ständig ist dein Bild in den Zeitungen zu sehen, aber immer noch siehst du aus, als ob du
Die amerikanische Originalausgabe erschien 1984 unter dem Titel Bittersweet Rain bei Warner Books, Inc., New York
I. Auflage
Deutsche Taschenbuchausgabe Juli 2010 bei Blanvalet, einem Unternehmen der Verlagsgruppe
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Copyright der Originalausgabe © 1984 by Sandra Brown
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2010 by Verlagsgruppe Random Ho use GmbH
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Redaktion: Anita Hirtreiter
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eISBN : 978-3-641-04643-9
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