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Dieses eBook: "Eine Untersuchung über den Staat" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Inhalt: Die ontische Struktur des Staates: Die staatliche Gemeinschaft Staat und Recht Das konkrete Staatsgebilde in seiner Bedingtheit durch andere Faktoren als die Struktur des Staates Der Staat unter Wertgesichtspunkten: Bedeutung des Staates für die Individuen, die ihm angehören Staat und Gerechtigkeit Bedeutung des Staates für die Gemeinschaft als solche und besonders für die Volksgemeinschaft Staat und sittliche Werte Der Staat als Träger des historischen Geschehens Staat und Religion Aus dem Buch: "Das Volk kann in der Eigentümlichkeit seines Gemeinschaftslebens unberührt bleiben, wenn es durch eine äußere Macht der Möglichkeit beraubt wird, nach eigenen Gesetzen zu leben (Beispiel: die Zerstörung des polnischen Staates hat den Fortbestand des polnischen Volkes nicht aufgehoben; es ist sogar vielleicht danach in höherem Grade Nation geworden, als es vorher war). Das müßte noch weiter erleuchtet werden durch eine Untersuchung der besonderen Eigentümlichkeit der Volksgemeinschaft als solcher. Doch wenden wir uns zuvor noch der anderen Seite der aufgeworfenen Frage zu: ob eine staatliche Gemeinschaft auch fortbestehen kann bei Aufhebung der Volksgemeinschaft..." Edith Stein (1891-1942), war eine deutsche Philosophin und Frauenrechtlerin.
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Die Staatstheorien verschiedenster Richtung nehmen ihren Ausgang davon, daß der Staat eine Form der Sozietät ist. In der Tat wird es sich als ein undurchstreichbares Moment in seiner Struktur erweisen, daß Subjekte in ihm leben und in seinem Aufbau ganz bestimmte Funktionen haben. Darum ist es ein möglicher Zugangsweg, wenn man diese Struktur durchschauen will, zunächst die prinzipiell möglichen Formen des Zusammenlebens der Subjekte im Staat zu untersuchen. Ob damit eine erschöpfende Charakteristik dessen, was Staat als solcher ist, erreicht werden kann, bleibt abzuwarten. Es darf keinesfalls vorausgesetzt werden.
Die möglichen Typen des Zusammenlebens von Subjekten herauszuarbeiten, haben wir an anderer Stelle versucht, und wir können an die gewonnenen Ergebnisse hier anknüpfen. – Den niedersten sozialen Typus bezeichneten wir als Masse, und wir fanden es für dieselbe charakteristisch, daß die ihr zugehörigen Individuen sich wechselseitig beeinflussen, ohne von dem Einfluß, den sie ausüben oder leiden, etwas zu wissen und ohne ihr Verhalten, das vermöge der wechselseitigen Beeinflussung ein gleichartiges sein mag, als gemeinsames zu erleben. Die Masse besteht immer nur, solange die sie konstituierenden Individuen in aktueller Berührung sind, und zerfällt, sobald diese Berührung aufhört. Es gibt hier keine das Zusammensein überdauernde Organisation und überhaupt keine von den Individuen abgelöste, objektiv gewordene Form des Zusammenseins. Solche objektiven Formen – Staatseinrichtungen in einem weitesten Sinne – finden wir überall, wo wir von Staaten sprechen, und sofern sie durch die Struktur des Staates, wo nicht als notwendig, so doch mindestens als prinzipiell möglich vorgezeichnet sind, kann die Masse nicht die typische Form des Zusammenlebens im Staat sein. Das schließt natürlich nicht aus, daß sich die Individuen innerhalb eines Staates vielfach in Massen zusammenfinden und daß das für seine faktische Gestaltung von ausschlaggebender Bedeutung werden kann. Der Struktur des Staates als solchen kann man von dieser Seite in keiner Weise näher kommen. – Noch unter einem anderen Aspekt läßt sich das plausibel machen: Man pflegt den Staat gern als Person zu bezeichnen, und das scheint darauf hinzuweisen, daß wir seinen Ort im Reiche des Geistes zu suchen haben – im Aufbau der Massen dagegen haben wir keine geistigen Funktionen entdecken können. Im Gegensatz dazu fanden wir die Gemeinschaft spezifisch im Geistigen begründet und auch sonst durch das ausgezeichnet, was der Masse fehlt: die Individuen leben in ihr gemeinsam »miteinander« in einem strengen Sinn; keines geht – wie die in der Masse lebenden Individuen – in seinem eigenen Erleben auf, sondern hat die anderen als Gefährten seines Lebens mitgegeben und fühlt sich als Glied der Gemeinschaft, die ihrerseits Subjekt eines Eigenlebens ist. Im Gemeinschaftsleben bilden sich feste Formen aus, deren Ausfüllung von verschiedenen Individuen nacheinander übernommen werden kann. Wir haben also hier eine von den Individuen selbst unterschiedene »Organisation« und scheinen der Staatlichkeit damit näher gekommen zu sein. Ehe wir jedoch an die Frage herangehen, ob wir im Staat einen Spezialfall von Gemeinschaftsorganisation vor uns haben und was ihn von Formen anderer gemeinschaftlicher Organisation unterscheidet, wollen wir zu Vergleichszwecken den dritten Haupttypus der Sozialität heranziehen: die Gesellschaft. Die Besonderheit der Gesellschaft sehen wir darin, daß in ihr – im Gegensatz zur Gemeinschaft – die Individuen wohl füreinander Objekt, aber eben Objekte und nicht wie in der Gemeinschaft mitlebende Subjekte sind. Das ist allerdings cum grano salis zu verstehen, sofern es sich nicht um Objekte schlechthin, sondern um objektivierte Subjekte handelt und diese Objektivierung das schlichte als Subjekt-Nehmen, wie es der Gemeinschaftseinstellung eigentümlich ist, voraussetzt. So läßt sich die Gesellschaft als rationale Umformung der Gemeinschaft auffassen. Was sich im naiven Zusammenleben »von selbst« ergibt, das wird im gesellschaftlichen Leben durch klar bewußte Willkürakte ins Dasein gerufen. Die Gemeinschaft erwächst, die Gesellschaft wird gegründet. Gemeinschaftsformen bilden sich heraus, Gesellschaftsformen werden geschaffen. –
Es ist nun die Frage, welcher Form der Sozialität wir die staatliche Organisation zuzuweisen haben. Es will mir scheinen, daß es sich nicht um ein Entweder-Oder handelt. Freilich wer – wie die herrschende europäische Staatslehre – der Vertragsauffassung huldigt, d. h. den Staat als auf einen Vertrag der ihm angehörigen Individuen gegründet ansieht, der hat unsere Frage zugunsten der Gesellschaft entschieden; denn er nimmt eine rein rationale Entstehung, eine Schöpfung kraft eines Willküraktes an. Aber diese Theorie geht über klare Phänomene der Staatenbildung und des Staatslebens hinweg, die sich ihrem Schema keineswegs fügen. Wenn ein Erobererstamm mit einem unterworfenen Volk in einem Staatswesen verschmilzt (wie in allen germanisch-romanischen Staaten), so kann oder braucht doch von einem Vertrag zwischen den heterogenen Elementen, die sich dem neuen Staatswesen einordnen, keine Rede zu sein. Die Sieger übernehmen kraft ihrer Überlegenheit, die als ein reines Gemeinschaftsverhältnis denkbar ist, ohne jeden formellen Akt der Unterwerfung seitens der Besiegten und ohne formelle Besitzergreifung, wie sie für eine gesellschaftliche Gründung erforderlich wäre, die führende Rolle und alle Rechte und Funktionen, die ihnen belieben. Andere überlassen sie den Unterjochten, wiederum ganz naiv, ohne sich die Abgrenzung zur rationalen Klarheit zu bringen und in Willkürakten als Recht zu setzen. Auf dieselbe »naive« Art können bestehende Rechtsformen und staatliche Einrichtungen auf dem Wege des Eingewöhnens übernommen und zu Bestandteilen des erwachsenden Staatsgebildes werden. – Auf der anderen Seite besteht die Möglichkeit des Eingreifens rationaler Erwägungen und willkürlicher Vereinbarungen bzw. einseitiger Festsetzungen. Doch scheint es, daß solche Willkürakte für die Begründung und Fortentwicklung von Staaten nur dann Bedeutung haben, wenn sie bestehenden Gemeinschaftsverhältnissen Rechnung tragen und sie gleichsam nur sanktionieren. Das bedarf freilich noch näherer Erwägung. Zunächst halten wir fest: Staaten können sowohl auf gemeinschaftlicher wie auf gesellschaftlicher Grundlage ruhen. Die nähere Untersuchung dürfte zeigen, daß es sich um gesellschaftliche Organisation immer erst auf einer höheren Stufe staatlicher Entwicklung handelt (d. h. das Gegenteil dessen, was die Vertragstheorie – als Ursprungshypothese verstanden – lehrt).
Noch eine Möglichkeit ist zu erwägen: ob nicht die Individuen im Staat leben können, ohne miteinander in Verbindung zu treten. Diese Möglichkeit kommt jedoch erst in Betracht, wenn man mit der Auffassung bricht, die im Staat eine Form des Zusammenlebens sieht, und ihn als etwas Darüber-Hinaus-Liegendes zu Gesicht bekommen hat. Wir verschieben die Erörterung hierüber darum, bis sich für uns dieser Durchbruch als notwendig erwiesen hat.
Vorläufig halten wir uns an die durch die empirische Anschauung illustrierte Möglichkeit, daß sich Staaten auf der Grundlage eines Gemeinschaftslebens erheben können, und fragen nach der Eigentümlichkeit der staatlichen Gemeinschaft – d. h. der Gemeinschaft der im Staat lebenden Individuen – gegenüber anderen Gemeinschaften.
Gemeinschaften differenzieren sich einmal nach der Zahl der Individuen, die sie umfassen, sodann nach der Art, wie sie in den sie fundierenden Individuen verankert sind; schließlich nach dem Verhältnis, in dem sie zu anderen – ihnen gleich-, neben- oder untergeordneten – Gemeinschaften stehen. Fangen wir mit dem letzten Punkt an. Es gibt niederste Gemeinschaften in dem Sinne, daß sie keine andern mehr in sich befassen und auf keinen anderen aufgebaut sind: das sind Familie im engsten Sinne des Wortes und Freundschaftsverhältnis. Sie können von größeren Gemeinschaften (Sippe, Volk, Religionsgemeinschaft u. dgl.) umfaßt, evtl. auch durchschnitten werden. Es ist dann möglich, daß die besondere Ausgestaltung der jeweils engeren Gemeinschaften weitgehend von der Struktur der umfassenden beeinflußt wird. Doch bleibt unbeschadet dieses Einflusses ihr Charakter als Familie, als Freundschaftsbund unangetastet. Es ist für diesen Charakter prinzipiell gleichgültig, ob eine Einordnung in umfassende Gemeinschaften stattfindet oder nicht. – Als Gegenpol dieser engsten Gemeinschaften ist die eine allumfassende Gemeinschaft aller geistigen Individuen anzusehen. Ihr sind alle anderen Gemeinschaften eingeordnet, während sie keine mehr über sich hat. Ihre jeweilige Ausgestaltung ist von der Art und Zahl und der mannigfaltigen Wechselbeziehung der ihr eingeordneten Gemeinschaften abhängig. Insofern als das Bewußtsein der Zugehörigkeit zu dieser allumfassenden Gemeinschaft je nach dem Geist der engeren Gemeinschaften und der Beschaffenheit der ihnen angehörigen Individuen ein mehr oder weniger ausgebildetes und die Stellungnahme zu ihr verschieden sein kann. Aber ungeachtet dieser Schwankungen besteht jene oberste Gemeinschaft, gleichgültig, welche anderen ihr eingeordnet sind: sie besteht in jeder engeren Gemeinschaft als ihre Grundlage und besteht über alle engeren hinaus als ihre potenzielle Erweiterung, die jederzeit aktuell werden kann. – Auf der Linie zwischen diesen beiden Polen liegt die staatliche Gemeinschaft. Sie umfaßt andere und wird ihrerseits von anderen umfaßt. Während aber die bisher besprochenen Gemeinschaften durch den Einfluß der ihnen unter- oder übergeordneten Gemeinschaften in ihrem spezifischen Charakter nicht berührt wurden, gibt es hier eine Grenze für die Bedingtheit durch andere Gemeinschaften, die nicht überschritten werden darf, wenn der Charakter der Staatlichkeit nicht aufgehoben werden soll. Aristoteles will von der Staatlichkeit dort sprechen, wo »eine Anzahl von Personen sich zu einer Lebensgemeinschaft zusammengeschlossen hat, um ein sich selbst genügendes Ganzes zu bilden …« Was uns an dieser Stelle in unserem Zusammenhang interessiert, ist die Bestimmung der Selbstgenügsamkeit (»Autarkie«). Sie weist nach derselben Richtung, in der wir das Spezifikum der staatlichen Gemeinschaft suchten. Sie läßt sich nicht rein intern, durch das Verhältnis der ihr zugehörigen Individuen zueinander und zu dem sie umfassenden Ganzen bestimmen, sondern es ist ihr eigentümlich, daß sie nach außen abgegrenzt und sichergestellt sein muß, um in sich bestimmt zu sein. Das, was Aristoteles mit seiner Autarkie meint, können wir wohl am besten interpretieren mit dem modernen Begriff der Souveränität – wenn auch beide, wie sich noch herausstellen wird, nicht gleichzusetzen sind. Der
Staat muß sein eigener Herr sein; die Formen des staatlichen Lebens dürfen ihm durch keine außer ihm stehende Macht – sei es eine Einzelperson, sei es eine über-, neben- oder untergeordnete Gemeinschaft – vorgeschrieben werden. Wenn von zwei Staaten – also ursprünglich nebeneinander geordneten Gemeinschaftsgebilden – der eine in die Lage kommt, in die Organisation des anderen einzugreifen und ihm Gesetze vorzuschreiben (sei es kraft militärischer oder wirtschaftlicher Überlegenheit oder wie immer), so ist die Souveränität des zweiten und damit seine Existenz als Staat aufgehoben; er ist dem anderen als Annex angegliedert, evtl. mit ihm zu einem neuen Staatsganzen verschmolzen. – Nehmen wir an, die allumfassende Gemeinschaft der Geister wäre derart organisiert, daß sie den ihr eingeordneten Gemeinschaften keine Gesetzlichkeit aus eigener Machtvollkommenheit mehr gestattete, so wäre damit die Möglichkeit einer Staatenbildung, bzw. es wären alle Einzelstaaten zugunsten eines Universalstaates aufgehoben. – Denken wir uns schließlich, daß dem Staate eingeordnete Gemeinschaften – Familienverbände, Parteien, Berufsgenossenschaften u. dgl. – die Möglichkeit hätten, die staatliche Organisation von sich aus zu durchbrechen und nach ihrer Eigengesetzlichkeit umzumodeln, so wäre der Staat von innen aufgelöst, durch Anarchie ersetzt. Diese letzteren Verhältnisse geben uns noch weitere Aufschlüsse über die Souveränität und ihre konstitutive Bedeutung für den Staat als unsere anfänglichen Bestimmungen. Es gehört zum Staat unaufhebbar, daß seine Aktionen und seine Gesetze ihm selbst und keiner unter, neben oder über ihm stehenden Gemeinschaft entspringen; daß prinzipiell alles in seinem Bereich geltende Recht auf ihn zurückzuführen ist (in welchem Sinne das gilt, wird sogleich näher zu erörtern sein), und alle Akte des Ganzen müssen in ihm selbst ihren letzten Auslaufspunkt haben. Und es gehört ferner dazu, daß es in ihm eine das Staatsganze repräsentierende Macht gibt, die der Urheber seiner Organisation und aller ihrer Umbildungen ist und für die Beobachtung der staatlichen Formen durch alle zu diesem Staat in irgendwelcher Beziehung stehenden Individuen Sorge trägt. Wenn man gesagt hat, daß das Wesen des Staates Macht sei, so sehen wir jetzt, welchen guten Sinn dieser viel mißbrauchte Satz hat. Er ist richtig, wofern man unter Macht die Fähigkeit versteht, die Eigengesetzlichkeit des Staates aufrechtzuerhalten. Welche Form diese postulierte Macht, die das Staatsganze repräsentieren soll, annimmt – ob eine Einzelperson ihr Träger ist, oder das ganze Volk oder eine Volksvertretung und ob die verschiedenen ihr zugehörigen Funktionen (»Legislative«, »Exekutive«) in einer Hand vereint oder getrennt sind – das ist für die Unverletztheit des Staates als solchen gleichgültig. Wenn man einer bestimmten Staatsform den Vorzug gegeben hat, so geschah es nicht auf Grund einer klaren Erkenntnis dessen, was der Staat seiner ontischen Struktur nach ist, sondern vom Standpunkt eines Staatsideals aus. Ein solches Staatsideal läßt sich aber seinerseits nicht frei konstruieren, sondern Sinn und Möglichkeit desselben sind nur auf Grund der Erkenntnis dessen, was ein Staat überhaupt ist, abzusehen.