Eine unzüchtige Lady - Emma Wildes - E-Book

Eine unzüchtige Lady E-Book

Emma Wildes

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Beschreibung

Eine genüssliche und erotische Lektüre – herrlich verrucht und unwiderstehlich romantisch

Was für ein Skandal! Die beiden berüchtigtsten Londoner Lebemänner haben gewettet, wer von ihnen der bessere Liebhaber ist. Ausgerechnet Lady Caroline Wynn, die respektable junge Witwe mit dem kühlen Blick, willigt ein, bei dieser skandalösen Wette als Schiedsrichterin zu fungieren. Die lustvollen Nächte mit der schönen Caroline wecken in Nicholas, Duke of Rothay, schon bald ungeahnte Gefühle …

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Inhaltsverzeichnis
Buch
Autorin
Titel
Widmung
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Epilog
Copyright
Buch
London 1812. Die vornehme Gesellschaft der britischen Hauptstadt redet nur über eins: In einer Rauschnacht haben die zwei berühmt berüchtigten Lebemänner der City – der Graf von Manderville und der Herzog von Rothay – in aller Öffentlichkeit eine sehr gewagte und unanständige Wette darauf abgeschlossen, wer von ihnen der bessere Liebhaber ist. Am nächsten Tag ist es für sie zu spät, um einen Rückzieher zu machen, aber welche schöne, intelligente und vernünftige Frau würde sich darauf einlassen, mit beiden Männern ins Bett zu gehen – und zu verkünden, welcher ihre intimsten Fantasien am besten befriedigen kann?
Was allerdings niemand ahnen konnte, ist, dass ausgerechnet Lady Caroline Wynn sich freiwillig meldet. Sie ist eine respektable junge Witwe, deren kühler und reservierter Leumund sie seit Jahren vom Heiratsmarkt fernhält. Sie sucht zwar nicht nach einem neuen Gatten, jedoch sind aus ihrer ersten Ehe zu viele Fragen in Sachen Liebe offen geblieben. Unter der Bedingung, dass die zwei Edelmänner ihre Identität zuerst geheim halten, wird sie erproben, wer unter der Bettdecke am raffiniertesten ist. Doch was zuerst wie ein unmoralisches Angebot anfängt, entwickelt sich rasch zu einer dauerhaften Leidenschaft, bei der Caroline Wynn beweist, dass sie eine richtig unzüchtige Lady ist …
Autorin
Emma Wildes ist in Minnesota geboren, in New Mexico aufgewachsen und lebt heute im Midwest. Sie hat an der Illinois State University Geologie studiert. Mit ihrem Mann Chris, den sie während ihrer Studienzeit kennengelernt hat, hat sie drei Kinder. An warmen Sommertagen trinkt sie gerne ein Glas an dem See, der sich in der Nähe ihres Hauses befindet. Am liebsten allerdings sitzt sie in ihrem Arbeitszimmer und schreibt Romane.
Weitere Bücher von Emma Wildes sind bei Blanvalet bereits in Vorbereitung!
Für Chris, für all die Male, die du mich nicht an meinem Schreibtisch gestört hast. Blumen sind romantisch, eine Flasche Wein ist wunderbar, aber das ist der Inbegriff von rücksichtsvoll. Du siehst, ich habe es bemerkt.
Mein tief empfundener Dank gilt Barbara Poelle. Du bist einfach nur unglaublich. Dank auch an Becky Vinter, dass sie so eine gnädige und hervorragende Lektorin ist. Ihr zwei wunderbaren Ladys habt den Entstehungsprozess dieses Buches zu einer wahren Freude gemacht.
Prolog
Ascot 1812
Die Pferde donnerten, begleitet von den Anfeuerungsrufen der Zuschauermenge, über die Zielgerade, und wenige Augenblicke später gewann Nicholas Manning, der sechste Duke of Rothay, erneut mit seinem eindrucksvollen Rappen. Sein Stall hatte tatsächlich heute jedes Rennen für sich entscheiden können.
Keine besonders große Überraschung.
Zweifellos hatte der Mann ein magisches Gespür bei Pferden und, so munkelte man, sogar noch mehr Geschick, wenn es um Frauen ging.
Es war leicht, das zu glauben. Caroline Wynn beobachtete, wie er über die Tribüne zu seiner privaten Loge ging. Sein legendäres Lächeln blitzte auf, als er die Glückwünsche seiner Freunde entgegennahm. Der Duke verfügte über eine besondere Art unverhohlener Schönheit, blendend klassische Gesichtszüge und eine dramatisch dunkle Hautfarbe, gepaart mit schierer Männlichkeit. Er war außerdem groß und athletisch gebaut und bewegte sich mit natürlicher Ungezwungenheit, als er die Stufen hinaufstieg. Zweifellos freute er sich darauf, seine Siege zu feiern. Er trug mit lässiger Eleganz einen marineblauen, maßgeschneiderten Mantel, ergänzt durch eine lederfarbene Reithose und polierte Stiefel. Das seidige Ebenholz seines Haars kontrastierte mit dem strahlenden Weiß seiner perfekt gebundenen Krawatte.
»Rothay sieht ja sehr selbstzufrieden aus«, murmelte Melinda Cassat und fächelte energisch gegen die spätnachmittägliche Hitze an. Kleine, dunkelbraune Löckchen umrahmten ihr Gesicht und wehten mit jeder Bewegung ihres Handgelenks. Sie wurden zwar von einer kleinen, gestreiften Markise beschattet, aber es ging kaum ein Lufthauch. Der wolkenlose Himmel war von einem klaren Kobaltblau.
»Er hat gewonnen. Warum sollte er also nicht zufrieden sein?« Caroline beobachtete, wie seine hochgewachsene Gestalt in der Loge verschwand. Ein leises Flattern machte sich in ihrer Magengrube bemerkbar.
Was tue ich hier?
»Es ist ja nicht so, als bräuchte er das Geld. Der Mann ist reich wie Krösus.« Melinda schob eine widerspenstige Strähne ihres Haars in den Nacken und presste die Lippen aufeinander. »Natürlich ist es bei weitem weniger skandalös, auf ein Pferderennen zu wetten, als das neueste Gerücht über seine Eskapaden. Hast du davon gehört?«
Caroline war froh, dass man die Sonnenwärme dafür verantwortlich machen konnte, dass ihre Wangen sich röteten. Sie log unverfroren: »Nein. Wovon um alles in der Welt redest du?«
Als eifrige Klatschtante schien Melinda hocherfreut über Carolines Unwissen. Sie lehnte sich vor. Ihre braunen Augen verengten sich verschwörerisch, und ihr üppiger Busen wogte, als sie rasch einatmete. »Nun, es scheint so … oder zumindest sagt man sich, du weißt schon … dass der Duke und sein enger Freund Lord Manderville, der, wie man sich erzählt, seines Vaters Erbe als Wüstling ersten Ranges angetreten hat, eine unerhörte Wette darauf abgeschlossen haben, wer von ihnen beiden der bessere Liebhaber ist.«
»Wirklich?« Caroline trug eine, wie sie hoffte, ausdruckslose Miene zur Schau.
Das Gesicht ihrer Freundin leuchtete vor Aufregung und Faszination. »Kannst du das glauben?«
»Bist du sicher, dass es stimmt? Bedenke, meine Liebe, das hier ist London, und es ist der haut ton. Nicht jedes Gerücht ist das Evangelium. Du weißt genauso gut wie ich, dass die meisten Gerüchte offensichtliche Unwahrheiten oder zumindest Übertreibungen sind.«
»Ja, aber ich habe gehört, sie würden es nicht abstreiten. Der Wetteinsatz ist ordnungsgemäß in den Büchern bei White’s verzeichnet worden, und die Wetten auf den Gewinner erreichen bereits Rekordniveau. Sie haben schon immer am Rande des Skandals gestanden, aber dieses Mal haben die beiden sich selbst übertroffen.«
Caroline beobachtete die Jockeys, die für das letzte Rennen in die Sättel stiegen. »Wie um alles in der Welt kann irgendwer eine so absurde Sache belegen? Zumindest das Ergebnis muss doch subjektiv sein. Schließlich wetten sie darauf, wer von ihnen der bessere Liebhaber ist. Aber wer soll in dieser Angelegenheit richten?«
»Nun, meine Liebe, das ist der wahrhaft skandalöse Teil. Sie brauchen eine unparteiische Kritikerin. Die ganze höhere Gesellschaft spekuliert darüber, wer sie sein wird.«
»Das ist ein bisschen barbarisch, findest du nicht? Sie müsste doch wohl zustimmen, mit … nun, mit beiden intim zu werden. Gütiger Himmel!«
Melinda blickte sie mit offener Belustigung an. »Ich habe erwartet, dass du das sagst. Du bist doch so prüde. Ich weiß nicht, ob das nun wirklich so primitiv ist, aber es ist auf jeden Fall skandalös, selbst für so gefeierte Filous. Wie auch immer, noch mehr Wetten werden auf die Frage gesetzt, wie schnell sie eine passende Dame finden, die erprobt, was der Einzelne zu bieten hat. Es ist schrecklich verrucht, aber zwei der bestaussehendsten Männer Englands werden ihr Möglichstes tun, um der Auserwählten Vergnügen zu bereiten. Stell dir nur vor, was der Dame bevorsteht, die einwilligt.«
Nun, sie war sich sehr wohl ihres kühlen und reservierten Leumunds bewusst, aber dennoch fühlte sich Caroline von dem Vorwurf angegriffen, sie sei prüde. »Ich bin nicht gerade eine verwelkte, alte Matrone. Ich kann durchaus verstehen, warum eine Frau einem gutaussehenden, bezaubernden Mann erliegen kann, dem dieVerführung leichtfällt. Bestimmt sind die beiden für diese Aufgabe geeignet, denn sie haben angeblich oft geübt.«
»Das haben sie tatsächlich, und ich habe nie unterstellt, du seist alt oder vertrocknet – ganz im Gegenteil.« Ihre Freundin seufzte voller Mitgefühl. »Aber du bist nicht sonderlich zugänglich, Caroline. Ich weiß, du hast nach deiner Ehe und Edwards Tod einen Schutzwall um dich errichtet, aber du solltest dir auch wieder zugestehen zu leben.Wenn du wolltest, würde sich halb London dir zu Füßen werfen, Liebes. Du bist jung und schön.«
»Danke.«
»Es stimmt. Männer würden reihenweise mit Blumen und Sonetten bei dir vorsprechen. Es gibt für dich keinen Grund, in eheloser Einsamkeit vor sich hin zu siechen.«
»Ich wünsche nun mal nicht, wieder zu heiraten.« Es war die absolute Wahrheit. Einmal war wirklich genug. Einmal war tatsächlich mehr als genug.
»Nicht jeder Mann ist wie Edward.«
Abwesend beobachtete Caroline die Rennpferde, die an der Startlinie Aufstellung nahmen, und sie hörte den Pistolenknall, bei dem die herrlichen Tiere instinktiv nach vorn schossen. Sie hoffte natürlich, dass nicht jeder Mann wie ihr verstorbener Ehemann war, denn schon bald würde der verwegene Duke ihre Nachricht lesen.
Kapitel 1
»Das ist interessant.« Nicholas griff zugleich nach der Brandykaraffe und goss einen großzügigen Schluck in das Glas, das neben seinem Ellbogen stand. Er stellte die Flasche ab und überflog erneut den Pergamentbogen in seiner Hand. Die Rückkehr nach London nach diesem anspruchsvollen, aber durchaus erfolgreichen Tag mit dem Sport der Könige hatte ihn in gute Laune versetzt. Diese wurde durch den Sieg und die sich daraus ergebende Feierlichkeit noch besser. Ein Rückzug in sein Refugium schien ihm jetzt aber angebracht. Dieser Raum war in vielerlei Hinsicht sein Rückzugsort, auch wenn er übermäßig viel Zeit damit zubrachte, hier zu arbeiten.
Das Zimmer erinnerte ihn an seinen Vater. Dies war wohl eine sentimentale Seite an ihm, die er nie jemandem offenbaren würde, aber er hatte nichts darin verändern lassen. Derselbe Teppich bedeckte den polierten Boden und war an der Stelle ausgeblichen, an der die Sonne schon seit vielen Jahren durch das zweiflügelige Fenster fiel. Der Schreibtisch war ebenso unordentlich und übervoll. Bücher standen in den Eichenholzregalen neben der Feuerstelle und verbreiteten den vertrauten Duft von langsam vermoderndem Leder und vergilbendem Papier.
»Was ist interessant? Hat es mit den Rennen zu tun?« Ihm gegenüber hob Derek Drake, der Earl of Manderville, eine dunkelblonde Braue und rutschte tiefer in seinen Sessel. Wie immer war Derek nach der neuesten Mode gekleidet. Die maßgeschneiderte Kleidung saß perfekt an seinem schlanken Körper. Die glänzenden Reitstiefel gekreuzt, lehnte er sich im Sessel zurück und schien sichtlich entspannt. Sein schmales Gesicht zeigte nur leise Neugier. »Nick, deine Pferde haben sich heute selbst übertroffen. Bestimmt ist das für dich keine schreckliche Überraschung. Nicht, dass ich etwas dagegen habe. Ich habe eine hübsche Summe auf das letzte Rennen gesetzt, weil du mir dein Wort gegeben hast, dass Satan in ausgezeichneter Form ist. Danke für den Hinweis.«
»Immer wieder gern. Aber das ist es nicht, was mich überrascht.« Nicholas verhielt sich nicht so abwertend, weil ihm die Galopprennen nichts ausmachten – seine Rennpferde waren seine Leidenschaft, und er liebte den Wettkampf so sehr, dass es fast schon eine persönliche Schwäche war. Aber die enge Schrift auf dem Papier in seiner Hand fesselte ihn mehr. Er blickte auf und hielt das Schreiben mit zwei Fingern weit von sich. »Schau dir das an, Derek.«
Sein Freund nahm das gefaltete Stück Papier, und sein Interesse wuchs sichtlich, während er die Worte studierte. Wie auch Nicholas zuvor, las Derek den in akkurater Handschrift verfassten Brief zweimal, ehe er aufblickte. »Nun, das klingt vielversprechend, nicht wahr?«
»Es ist nicht unser erstes Angebot.« Nicholas nahm einen Schluck von dem französischen Brandy, der sich in seinem Mund wie warme Seide anfühlte. Da der Brandy eingeschmuggelt werden musste, hatte Nicholas ein kleines Vermögen dafür bezahlt, doch er war das Geld durchaus wert. »Aber ich muss gestehen, mir gefällt die direkte Art der Lady.«
»Eine Herausforderung an unsere Herausforderung. Ja, das ist einfallsreich. Ich bewundere sie schon jetzt. Es wäre trotzdem nett, ihre Identität zu erfahren.« Dereks Mund verzog sich, als er laut vorlas: »›Wenn Ihr mir völlige Diskretion zusichert und eine unparteiische Richterin für Eure lächerliche Wette wünscht, werde ich Euch helfen. Aber seid gewarnt; meine bisherigen Erfahrungen in Bezug auf die Dinge, die zwischen Männern und Frauen geschehen, haben mich nicht beeindruckt. Wenn Ihr an einem Treffen interessiert seid, um diese Sache zu besprechen, bin ich gern bereit, Eurer Einladung zu folgen.‹«
Das war klug, dachte Nicholas. Sie benutzt diese abwertende Bemerkung über ihre bisherigen sexuellen Enttäuschungen, um unser Interesse anzustacheln. Die Lady hatte recht, wenn er sich gestattete, ehrlich zu sein; die Wette war lächerlich und in einem Moment geboren worden, als Derek und er mehr als bloß angetrunken waren.
»Ich nehme in dieser Nachricht eine kleine Beleidigung wahr«, kommentierte Nicholas amüsiert. »Ein Angebot mit Ecken und Kanten. Unsere geheimnisvolle Lady hat Mumm. Das gefällt mir.«
»Ist das so?« Derek warf ihm einen nachdenklichen Blick zu. Sie neigten dazu, Frauen mit demselben sexuellen Interesse zu betrachten, das vor allem darauf abzielte, sich nicht in eine emotionale Abhängigkeit zu begeben. Sexuelle Eroberung war ein Spiel, und sie waren beide geübte Spieler.
Nicholas führte seinen Gedanken nicht näher aus. Er spürte den wachsenden Druck, sich zu verheiraten, der von der Gesellschaft und seiner Familie gleichermaßen ausgeübt wurde. Es wurde von ihm erwartet – das hatte er immer gewusst -, aber wenn er sich seinen Unwillen eingestand, eine Frau zu suchen, hieß das für ihn, dass er sich auch einigen Wahrheiten über sich selbst stellen musste, wozu er noch nicht bereit war.
Alle Männer machten Fehler. Sein denkwürdiger war katastrophaler Natur gewesen. Aber andererseits war diese weit zurückliegende Katastrophe allein seine Sache. Sie entstand einst, weil er jung und unerfahren war. Und er hatte diesen Fehler seitdem auf jede nur erdenkliche Weise getilgt. Dazu gehörten offensichtlich nun auch verrückte Wetten der außergewöhnlichen Art. Mit erzwungenem Gleichmut behauptete er: »Natürlich. Eine abenteuerlustige Frau ist im Schlafzimmer stets anziehend, findest du nicht?«
»Ich stimme mit dir darin überein, dass unser Ruf kaum mehr leiden kann, als er es bereits getan hat. Also warum nicht?«
Das kleine Wörtchen Verlegenheit existierte in Nicholas’ Wortschatz nicht. Er hatte bereits vor langer Zeit begriffen, dass Klatsch ein unvermeidlicher Teil der Londoner Gesellschaft war. Es bedurfte eines zu großen Aufwands und brachte wenig ein, wenn man versuchte, Skandale zu vermeiden. Derek und er waren sich jedoch einig, dass es besser gewesen wäre, wenn sie ihren Wettstreit nicht schriftlich fixiert und einen so großen Betrag auf den Ausgang gesetzt hätten. Jetzt herrschte im haut ton aufgeregtes Raunen.
Er warf Manderville ein müdes Lächeln zu. »Es gibt vermutlich keine Möglichkeit, den Köder nicht zu schlucken, stimmt’s? Bisher kamen die Angebote eher von Frauen zweifelhaften Rufs, die uns bei dieser Wette beispringen – und in unsere Betten hüpfen – wollten und unsere Bekanntheit auszunutzen gedachten. Dieses Angebot aber klingt ein wenig anders. Sie will offensichtlich Anonymität.«
»Ich habe nichts gegen eine erfahrene Frau, aber ich stimme dir zu: Die Verschwiegenheit, um die sie uns ersucht, gibt der Sache eine überraschende Wendung.« Derek klopfte mit dem Finger gegen das Blatt Papier. »Sie könnte perfekt sein. Hauptsache, sie ist nicht unattraktiv oder eine unverheiratete junge Dame, die nach Vermögen und Titel schielt.«
»Amen.« Allein der Gedanke an eine junge Unschuld, die in diese Wette verstrickt werden könnte, verbot sich. Der Wetteinsatz war kaum mehr als ein amüsanter Zeitvertreib gewesen; inzwischen jedoch war die Sache ein bisschen außer Kontrolle geraten. Rückblickend betrachtet war die dritte Flasche Claret an jenem Abend eine schlechte Idee gewesen, aber besonders Derek schien es darauf angelegt zu haben, sich dem Vergessen entgegenzutrinken.
Nun, da Nicholas länger darüber nachdachte, war das nicht so ganz Dereks Art. Er konnte den Finger nicht darauflegen, aber er hatte das Gefühl, irgendetwas sei anders als sonst. Derek verfügte normalerweise über einen guten Humor, doch dieser schien zuletzt eher gekünstelt zu sein. Sein lässiger Charme war einer der Gründe dafür, dass Frauen ihn so attraktiv fanden. Aber er wirkte zumindest in den letzten Monaten gleichermaßen bedrückt und abgelenkt.
»Wir müssen das hier nicht machen, weißt du«, erinnerte Nicholas seinen Gefährten und beobachtete zugleich dessen Gesicht, um Dereks Reaktion abzuschätzen. Die Glut des Brandys stimmte ihn milde und nachdenklich. »Es war ein impulsiver Spaß zwischen zwei Freunden, und wir neigen dazu, miteinander in Konkurrenz zu stehen. Das ist kein Geheimnis.«
»Wollen wir etwa kneifen, Nick?«, fragte Derek mit bitter tadelnder Stimme. Blond, groß und mit Augen, die so blau wie der Azur des Himmels waren, engelsgleich gutaussehend – er war der helle Gegensatz zu Nicholas’ dunklen Farben. »Wer könnte es dir verdenken? Schließlich wirst du verlieren.«
Da war es wieder, diese untypische, ruhelose Stichelei. Es funktionierte aber. Nicholas schnaubte, weil sein Freund eine so selbstgefällige Miene an den Tag legte. »Was lässt dich so denken? Der Schwarm fader Ladys, die permanent in deinem Bett liegen? Lass mich dich daran erinnern, dass Quantität keine Qualität zu ersetzen vermag, Manderville.«
»Wenn du versuchst, mir weiszumachen, du wärst weniger wahllos, Rothay, dann kannst du diese Behauptung jemand anderem verkaufen.«
Das versuchte er gar nicht, und er musste an sich halten, eine irritierte Antwort zu unterdrücken. Er wechselte häufig seine Partnerinnen, egal was auch immer die Gerüchte über sein Privatleben verkündeten. Nicholas genoss die Frauen – aber seinem Ruf zum Trotz wählte er seine Gespielinnen mit Bedacht und bemühte sich um Diskretion. Insofern wusste er, dass Derek nicht so verderbt war, wie man sich hinter vorgehaltener Hand zuraunte, und ähnlich war es auch bei ihm. Zuletzt hatte er nichts davon gehört, dass Derek nach einer bestimmten Lady strebte. Wenn er nicht zölibatär lebte, hielt er sich in dieser Sache zumindest zurück.
Vielleicht kam daher diese impulsive Wette. Dereks Herausforderung und seine eigene Antwort, die aufgrund der ihnen beiden vertrauten Rastlosigkeit hervorgerufen wurden, weil … nun, er war sich nicht sicher. Zu viel innere Einsicht war nicht gut für sein Seelenheil.
Nicht für eine befleckte Seele wie die seine.
Zu seiner eigenen und Dereks Verteidigung konnte er zumindest vorbringen, dass die zumeist zwanglosen Affären eine angenehme Abmachung zwischen zwei Parteien waren, ohne innige Gefühle. Obwohl Nicholas bezweifelte, dass die gute Gesellschaft das von ihm glauben würde, dachte er stets, eine Ehe sollte sich auf mehr stützen außer der Blutlinie einer Frau und ihrer Fähigkeit, ein Kind mit dem richtigen Geschlecht zur Welt zu bringen. Die Tatsache, dass er ein Romantiker war, behielt er lieber für sich. Nicht weil es eine unzeitgemäße Haltung war, sondern weil er es geheim halten wollte. Gott allein wusste, dass er viel zu wenig Privatsphäre hatte, wenn man seine aristokratische Erziehung und die Bekanntheit seiner Familie bedachte.
Und dann hatte er die Sache nur noch schlimmer gemacht, indem er dieser haarsträubenden Wette zugestimmt und sich so noch mehr in den Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit gestellt hatte.
Nicholas rieb sich das Kinn. »Ich muss mich mehr langweilen, als mir bisher bewusst gewesen ist«, gab er zu. »Dass ich es überhaupt in Erwägung ziehe, eine Frau zu beschlafen, die dabei eine Wertungsliste zur Hand hat.«
»Dann leiden wir beide unter derselben Krankheit.« Manderville warf ihm einen zynischen Blick zu. »Aber wir haben damit angefangen. Lass es uns so betrachten: Wenn diese Nachricht echt ist, können wir dieser Lady einen Gefallen tun, indem wir ihre Meinung über die sexuellen Freuden ändern.«
»Du meinst, es ist geradezu ein wohltätiger Akt? Das ist eine interessante Art, die Situation zu betrachten.«
»Bedenke doch nur, dass wir sie nicht kontaktiert haben. Sie kam zu uns.«
Nun, das stimmte.
»Ich verstehe das so, dass du denkst, wir sollten eine positive Antwort schicken und das Treffen arrangieren, um das sie uns ersucht?« Er wedelte mit seinem leeren Glas.
Derek nickte. »Ich kann es kaum erwarten, die junge Lady kennenzulernen.«
»Was lässt dich denken, sie sei jung? Was das betrifft, sollten wir uns übrigens überlegen, was wir ihr sagen werden, wenn keiner von uns beiden sie attraktiv findet. Das könnte eine delikate Angelegenheit werden.Verlangen ist schließlich zwingend notwendig, wenn man ein fähiger Liebhaber sein möchte.«
»Wohl wahr. Ich bezweifle, dass ich mich mit einer hässlichen alten Hexe gut machen würde. Es gibt eine Sache, die ein Mann nicht vortäuschen kann, und das ist sexuelle Erregung.«
Da musste Nicholas ihm zustimmen. Obwohl er nicht glaubte, dass eine Frau eine umwerfende Schönheit sein musste, um sein Interesse zu erwecken, war doch gegenseitige Anziehungskraft Teil der sexuellen Chemie.
Der Abend senkte sich herab. Mit Einbruch der Nacht blitzten die Sterne auf, der Mond leuchtete mit voller Kraft und ließ ein paar Wolken silbrig schimmern, die am Himmel dahinjagten. Mit einer langsamen Bewegung schenkte er sich nach und stellte die Karaffe so ab, dass sein Gast sie leicht erreichen und sich selbst nachschenken konnte. Nachdenklich sagte er: »Ich denke, unsere Sorgen werden diesbezüglich unbegründet sein.Vermutlich ist sie schön. Der Tonfall ihrer Nachricht verfügt über eine gewisse Zuversicht, dass wir ihr Angebot annehmen werden.«
Derek nahm das Schreiben nochmals zur Hand und überflog rasch die Zeilen. »Ich denke, du hast recht.« Seine blauen Augen zeigten wieder eine Spur seines altbekannten, reizenden Humors, doch sein Mund wirkte etwas angespannt. »Ich kann es jetzt kaum mehr erwarten, sie kennenzulernen. Wirst du ihr antworten, oder soll ich das übernehmen? Wir sollten uns auch einen angemessenen Ort überlegen, an dem wir sie treffen können. Schließlich verlangt sie von uns absolute Diskretion.«
»Lassen wir das doch die Lady entscheiden. Sie ist diejenige, die ihre Identität geheim halten will.«
»Das ist nur fair«, stimmte Derek mit einem trägen Lächeln zu.
»Wir sollten auch Regeln festlegen, falls sich herausstellt, dass sie die Richtige ist.«
»Ich vermute, das sollten wir tatsächlich. Obwohl wir dann dem Begriff ›berüchtigt‹ eine völlig neue Bedeutung verleihen, wenn du verstehst, was ich meine, Nick.«
Doch, er verstand, was Derek damit sagen wollte. Was taten sie nur? Sie brachten sich beide in Positur und gaben vor, ihnen wäre es mit der Wette ernst. Tief in seinem Herzen glaubte er nicht, dass einer von ihnen so verzweifelt oder oberflächlich genug war, so einen lächerlichen Wettstreit zu beginnen. Er war nicht so gefühlskalt, wie man sich gern erzählte. Derek ebenso wenig. Aber aus welchem Grund auch immer ging Derek mit dieser Situation um einiges leichtherziger um. Und was ihn selbst und seine eigene Rolle betraf, näherte er sich der Verführung, wie er es bei Belangen seines Anwesens, politischen Themen und sozialen Situationen tat: mit kühler Berechnung.
Gefühle hatten keinen Platz, wenn es ums Geschäft, um Politik oder die Affären eines Mannes ging. Ein bestimmter Teil von ihm wünschte, es ginge anders, doch genau dieser hatte sich einst an der harten Realität verbrannt.
Charme, nun – natürlich. Er war Rothay. Er liebte die Frauen. Liebte das weiche Nachgeben ihrer bezaubernden Körper, die Musik eines Frauenlachens, die geflüsterten, heißen Worte, die man während eines leidenschaftlichen Intermezzos wechselte, das erschöpfte Nachspiel der sexuellen Vereinigung. Seiner Meinung nach gab es nichts, das vergleichbar war mit diesem besonderen, atemlosen Seufzen einer Frau, wenn der Mann in ihr war, und das Krallen ihrer Fingernägel in seinen Schultern.
Aber Liebe – nein. Seine körperlichen Bedürfnisse zu befriedigen war die eine Sache – sein Herz zu befriedigen etwas völlig anderes.
Er war einfach kein Mann, der einen Fehler zweimal beging. Sexuelles Können, nun, das war nicht das Problem. Besonders nach dem Tod seines Vaters, als er siebzehn war, hatte er sich einen schlechten Ruf erworben. Ohne nachzudenken murmelte er: »›Alles ist vergänglich – Ruhm und die Ruhmreichen ebenso. ‹«
Derek warf ihm einen knappen Blick zu. »Zitieren wir da etwa Marcus Aurelius? Darf ich fragen, warum du so nachdenklicher Stimmung bist?«
»Nein.« Die Antwort kam zu rasch. Sein alter Freund kannte ihn allzu gut. Das Letzte, was er wollte, war, die Geister der Vergangenheit zu wecken. Er nahm einen langen, gemächlichen Schluck aus seinem Glas, lehnte sich in seinem Sessel zurück und berichtigte sich: »Ich freue mich darauf, aus welchem Beweggrund auch immer wir so handeln.«
Kapitel 2
»Ich wiederhole: Warum wart Ihr dort, Madam?«
Die mit so kalter Stimme vorgebrachte Frage ließ Caroline den Mund verärgert zusammenkneifen. Zu ihrem Missfallen hatte der derzeitige Lord Wynn, der Cousin ihres verstorbenen Mannes, bei ihr vorgesprochen. Obwohl sie es seit Wochen vermied, ihn zu sehen, hatte sie schließlich keine andere Wahl gehabt, als ihn zu empfangen. Da die Familienähnlichkeit so groß war, kam es für sie immer einem kleinen Schock gleich, wenn sie Franklin gegenüberstand. Es war, als würde sich ein Gespenst vor ihren Augen materialisieren.
Ein höchst unwillkommenes Gespenst noch dazu.
Sie saßen in ihrem Salon. Die hohen Fenster standen offen und ließen die warme spätmorgendliche Luft hereinströmen. Die elegante Kombination aus goldenen und cremefarbenen Möbeln spiegelte ihren Geschmack wider. Eine Weile nach Edwards Tod hatte sie umdekorieren lassen: Brokatsofas, zwei zierliche Sessel neben dem Kamin, die sie aus Italien importieren ließ, einige pittoreske Landschaftsaquarelle an den mit Seidentapeten bespannten Wänden. Eine edle und sehr wertvolle Vase, die sie in Auftrag gegeben hatte, präsentierte einen Strauß verschiedener Blumen aus dem Garten hinter ihrem Stadthaus. Der süße Duft war besonders an einem Tag wie heute eine wahre Wonne. Es war ihr ein Vergnügen gewesen, alles auszumerzen, was sie an Edward erinnerte. Er hätte die Weiblichkeit der persönlichen Note verabscheut, die sie diesen Räumlichkeiten verlieh, aber soweit sie wusste, hatte er ziemlich vieles verabscheut, das nicht gerade seinen eigenen Gedanken entsprang.
Franklin hatte die neue Einrichtung mit verkniffenem Mund und einem kalten Glitzern in seinen blassen Augen registriert. Das Stadthaus sollte mir gehören, sagte ihr dieser Blick. Das Geld für die neue Möblierung stammte zudem aus dem Vermögen, auf das er Anspruch zu haben glaubte. Nicht dass es Caroline kümmerte, denn schließlich war es ihr Geld, und wenn sie wünschte, den Geschmack ihres Mannes Zimmer für Zimmer aus dem Haus zu verbannen, würde sie genau das tun.
»Ich ging natürlich dorthin, weil ich die Pferderennen sehen wollte, Mylord. Zum Glück war es ein herrlicher Tag, ich habe den Aufenthalt also sehr genossen.« Caroline bemühte sich um einen unbeteiligten, geradezu kühlen Tonfall und versuchte, sein Interesse von ihrem gesellschaftlichen Leben abzulenken. »Es tut mir leid, wenn ich nicht anwesend war, als Ihr letzte Woche bei mir vorgesprochen habt. Ich fürchte, ich war zuletzt recht beschäftigt.«
»Letzte Woche, die Woche davor … Ja, ich habe es gemerkt. Ich hoffe doch sehr, dass Ihr Euch bewusst seid, wie unklug es ist, einen Ort wie die Rennbahn ohne Begleitung aufzusuchen. Dort ist das Publikum stets sehr von Männern dominiert. Sittsame Ladys sollten sich dort nicht ohne eine männliche Begleitperson aufhalten. Wenn Ihr das nächste Mal wünscht, an einem öffentlichen Ereignis teilzunehmen, schickt mir eine Nachricht, und ich werde es einrichten, dass ich Euch zur Seite stehen kann.«
Lieber Himmel, er sieht Edward so ähnlich mit diesen kalten, blauen Augen …
Er hatte ein Gesicht wie ein Falke: scharfe Gesichtszüge, eine leicht gebogene Nase und ein schmallippiger Mund, der selten lächelte. Sein Haar war dicht und dunkel. Mitte dreißig und endlich mit einem Titel gesegnet, war Franklin ein durchaus geeigneter Heiratskandidat. Sie vermutete, dass er in den Augen anderer Frauen als durchaus attraktiv galt. Aber seine Ähnlichkeit mit Edward – nicht nur körperlich, sondern auch was sein Verhalten betraf – war zu beunruhigend. Augen mit schweren Lidern musterten sie mit gewohnt kühler Abschätzung.
Es ist, als würde man von einem Raubvogel beobachtet, dachte sie widerwillig. Nein, ein Aasgeier, der bereit ist, ihr das Fleisch von den Knochen zu reißen, wenn sie sich nicht zu beschützen wusste.
Sie versteifte sich bei seiner scharfen Bemerkung und der darin mitschwingenden Anmaßung, er könne alles in ihrem Leben bestimmen oder ihr sogar eine Lektion in Anstand erteilen. »Ich bin mit Melinda Cassat und ihrem Ehemann dort gewesen. Ich war also nicht allein. Ihr braucht Euch keine Sorgen um mein Wohlbefinden zu machen.«
Franklin lehnte sich leicht vor. Er war elegant gekleidet, doch passte seine Kleidung eher zu einem Höfling denn zu einem Gentleman, der morgens bei einer Lady vorsprach. Spitze bauschte sich an seinem Hals und seinen Ärmelaufschlägen. »Ah, aber vergesst nicht, dass Ihr meine verwitwete Cousine seid. Sorgen darf ich mich also schon.«
»Bitte, macht Euch keine Umstände.« Sie wollte keine irgendwie geartete Verbindung zur Wynn-Familie halten, und in Franklins Gegenwart fühlte sie sich stets unwohl. Wenn sie eine Vermutung anstellen sollte, dann ging es bei seiner Besorgnis um ihr Wohlergehen weniger um ihre Person als vielmehr darum, wie viel Geld Edward ihr hinterlassen hatte. Glücklicherweise hatte Edwards letzter Wille den Protesten seines Cousins standgehalten. Die ganze Angelegenheit war nur eine weitere Lektion darin, wie schwer man sich die eigene Unabhängigkeit erkämpfen musste.
»Eure Wiedereinführung in die Gesellschaft ist für mich von immenser Wichtigkeit.« Sein gefühlloser Blick schien sich direkt durch sie hindurchzubohren.
»Ich kann mir nicht denken, warum das so sein sollte. Ich lebe zum größten Teil ein zurückgezogenes Leben und beginne gerade erst, die eine oder andere Einladung anzunehmen, aber …«
»Vielleicht solltet Ihr mich um Rat fragen, an welchen Veranstaltungen Ihr guten Gewissens teilnehmen könnt.«
Ihre Verärgerung nahm zu. »Ich bin eine Witwe«, wies sie ihn scharf zurecht. Da er es war, der bei ihr vorgesprochen hatte und darauf beharrte, ihr beständig Vorhaltungen zu machen, fügte sie unklugerweise hinzu: »Mit meinem eigenen Vermögen.«
Es war nun an ihm, irritiert zu sein, denn dieses Thema war eine offene Wunde. Es dauerte einen Moment, ehe er antwortete, denn er kämpfte offenbar mit seiner aufflammenden Wut. »Ich kenne Eure Finanzen allzu gut, meine Liebe. Ich weiß auch, dass Ihr sehr jung und durchaus im heiratsfähigen Alter seid. Da draußen gibt es genug skrupellose Gentlemen, und es ist meine Pflicht, Euch zu beschützen.«
Was auch immer Caroline darauf geantwortet hätte, wäre vermutlich harsch und unklug gewesen, doch sie biss sich zum Glück auf die Zunge. Sie blickte zu den hellen Wänden und den luxuriösen Stoffen hinüber, die ihr ein Gefühl von Unabhängigkeit schenkten. Sie wünschte, das Antwortschreiben von Rothay wäre nicht gerade in ihrer ziemlich feuchten Hand zusammengeknüllt. Sie hätte durchaus die Selbstbeherrschung in Franklins Gegenwart wahren können, wenn nicht dieses prekäre Stück Pergament beständig ein Loch in ihre Handfläche brennen würde. Ihr Butler hatte es ihr gleichzeitig mit der Ankündigung ihres ungewollten Besuchers gebracht, und dabei war Caroline doch schrecklich neugierig. Sie wollte Franklin loswerden und Rothays Antwort lesen. Das Schreiben fühlte sich wie ein heißglühendes Stück Kohle an, das sie so weit wie möglich von sich werfen sollte.
Wenn Franklin wüsste, was sie in der Hand barg, hätte er ihren Namen mit dem größten Vergnügen verleumdet. Sie machte sich nichts vor, wessen er fähig war, wenn sich ihm die Gelegenheit bot.
»Melinda und ihr Mann waren eine durchaus angemessene Begleitung für mich, und niemand ist ungebührlich an mich herangetreten. Da ich noch nie auf der Rennbahn gewesen bin, war ich nicht sicher, was mich erwarten würde. Es war alles sehr aufregend.«
Das war es, von der elegant gekleideten Menschenmenge, den überschwänglichen Schreien und der kolossalen Pracht der schlanken Pferde bis zu dem Moment, in dem sie einen tiefen Atemzug nahm, weil sie den Duke of Rothay und Lord Manderville erblickte. Sie waren sehr unterschiedlich: der eine von jener dunklen, männlichen, geradezu teuflischen Schönheit, wohingegen der andere einem goldenen Apoll glich. Sie waren sich ähnlich und doch so verschieden, bewegten sich ungezwungen und offenbar ihres schlechten Rufs bewusst durch die Menge. Das Wispern und die verstohlenen Blicke interessierten sie einfach nicht, als existierten für sie andere Gesetze, die sie das Drehen der Köpfe und das Flüstern hinter vorgehaltener Hand ignorieren ließen.
Was würde Melinda wohl sagen, wenn sie wüsste, dass sich das Antwortschreiben von Rothay – noch ungelesen! – in ihrem Besitz befand? Oder schlimmer, was würde sie denken, wenn sie erfuhr, dass ausgerechnet Caroline auf den berüchtigten Duke und seinen nicht minder verrufenen Freund zugegangen war?
Es war eine Frage, die sie leicht beantworten konnte. Melinda würde es nicht glauben. Niemand würde das.
Sie war selbst nicht sicher, ob sie es glaubte.
»Es freut mich sehr, dass Ihr es genossen habt, meine Liebe, aber Ihr wisst sicher, dass ich Euch jederzeit zur Verfügung stehe.« Franklin lehnte sich in seinem Sessel zurück, als habe er vor, länger zu bleiben. Er kreuzte seine elegant gekleideten Beine an den Knöcheln.
Der versteckt zweideutige Tonfall seiner Stimme ließ sie erschaudern. Er stand ihr zur Verfügung. Das war wohl kaum im sexuellen Sinne zu verstehen, aber die Art, wie er es aussprach, versah die Worte mit einer lüsternen Anspielung. Es fiel ihr schwer, sich nicht die Frage zu stellen, ob er Edward nicht nur rein körperlich ähnelte. Nicht dass er sich je die Mühe machen würde, um sie zu werben – in dieser Beziehung machte sie sich keine Illusionen. Er wollte die Kontrolle über die Erbschaft zurückerlangen, von der er glaubte, sie gehöre rechtmäßig ihm. Und sie stand zwischen ihm und seinem Ziel. Darum zeigte er so besorgtes Interesse an ihr.
Caroline nickte, aber nicht als Zeichen ihres Einverständnisses, sondern vielmehr, um ihren Ekel zu verbergen. Die Wynn-Familie hatte eine hartnäckige Art, die schwer zu ertragen war, dachte sie verbittert. Eine Konfrontation war daher keine gute Idee. »Ich danke Euch für Euer Angebot.«
»Ich freue mich darauf, Euch bei uns auf dem Lande zu begrüßen, damit wir während Eures Aufenthalts Angelegenheiten wie diese in unserer Freizeit klären können. Meine Mutter wird uns selbstverständlich begleiten.«
Obwohl Franklin ihr gesagt hatte, sie könne das Haus jederzeit benutzen, wenn sie wollte, lehnte sie es ab, irgendetwas von ihm anzunehmen. Nicht einmal seine Gastfreundschaft.
»Irgendwann einmal vielleicht.« Sie war sich allzu sehr der Nachricht bewusst, die neben ihr auf dem Bezug des Sessels lag. Ihre Hand ruhte zwanglos darüber, um das Papier so gut wie möglich zu verbergen.
Was wohl darin stand?
Wie schwer es ihr fiel, ruhig dazusitzen und jene kühle Gelassenheit zur Schau zu stellen, die sie für die meisten lästigen Gentlemen so unerreichbar wirken ließ.
Nach außen hielt sie sich tadellos.
Sich der inneren Wahrheit zu stellen fiel ihr etwas schwerer.
Franklin beharrte: »Was London betrifft, bin ich so bescheiden, von mir zu behaupten, dass ich Euch beraten kann, welche Einladungen Ihr annehmen oder ablehnen solltet. Schließlich habe ich mehr Erfahrung.«
War es im Zimmer zu warm, oder lag es an ihr? Caroline kämpfte den Drang nieder, sich frische Luft zuzufächeln, und lächelte stattdessen. »Ich bewundere Euer Talent sehr, wie Ihr Euch mit völliger Ungezwungenheit in der Gesellschaft zu bewegen wisst, Mylord.«
»Eine weitere vorteilhafte Heirat würde Euch darin auch weiterhelfen.« Er hob eine seiner buschigen Brauen. Die Arroganz seiner logischen Schlussfolgerung war wie ein Nadelstich.
Er wollte ihr Geld. Sie hatte das widerliche Gefühl, dass es ihn auch nach ihrem Körper gelüstete, doch selbst wenn ihr andernfalls der Tod drohte, würde sie niemals diesem Gedanken zustimmen.
Er brauchte nichts von den Berührungsängsten wissen, die sie in der Öffentlichkeit insgeheim verspürte, ebenso wie im Privaten. Dagegen versuchte sie anzukämpfen. Mit der Hilfe eines sehr gut aussehenden Dukes und eines ebenso attraktiven jungen Earls.
Vielleicht.
Es schien eine Ewigkeit zu dauern, ehe ihr Gast auf die goldbronzene Kaminuhr blickte und sich erhob. »Entschuldigt vielmals, aber ich habe noch eine Verabredung. Ich werde nächste Woche bei Euch vorsprechen. Wenn das Wetter angenehm ist, können wir vielleicht eine kleine Ausfahrt in Erwägung ziehen.«
Sie ließe sich lieber von einer Herde stampfender Elefanten tottrampeln, aber irgendwie gelang es ihr, ein nichtssagendes Lächeln auf ihr Gesicht zu zaubern. »Vielleicht.«
Caroline wartete, bis sie das Rattern der sich entfernenden Kutsche hörte, ehe sie behutsam den Umschlag aufhob, den man ihr überbracht hatte.
Sogar die Handschrift des Dukes ist arrogant, dachte sie und starrte einen Moment lang auf die Nachricht, ehe sie tief durchatmete und den Umschlag öffnete. Mit verräterisch zitternden Fingern zog sie ein einzelnes Blatt Papier heraus und las die Antwort auf ihr unbedachtes Angebot.
Er würde vermutlich diese infame Wette verlieren, aber der beste Weg, ein gebrochenes Herz zu kitten, war wahrscheinlich, es mit dummem, männlichem Wagemut zu betäuben. Zumindest war das seine Methode.
Die Kutsche schaukelte über die Upper Brook Street. Derek Drake starrte in Gedanken versunken aus dem Fenster und sah nichts von der Welt, die draußen an ihm vorbeizog.
Unglücklicherweise waren diese Gedanken nicht von der angenehmsten Sorte. Zumeist drehten sie sich um Annabel – nein, er musste sich korrigieren: die zukünftige Lady Hyatt -, und er stellte sie sich in den Armen ihres zukünftigen Mannes vor. Nackt, von ihm umfangen, sein Mund auf ihrem. In diesen selbstzerstörerischen Bildern glänzte ihr goldenes Haar auf dem weißen Bettlaken, während sie sich in einem uralten Rhythmus bewegten, ihre schlanken Beine weit geöffnet, während ihr Liebhaber und Gemahl in ihren willigen Körper stieß …
Nun, es war bestimmt sinnvoll, sich genau das vorzustellen, schalt er sich missmutig. Er rutschte tiefer in die Polster und atmete frustriert aus. Es half ihm nicht weiter, wenn er sich selbst quälte, sondern brachte ihn immer wieder zurück zu seinem aktuellen Dilemma. Die Tatsache, dass er an jenem Abend zu tief ins Glas geschaut hatte, an dem Rothay und er ihre von jugendlichem Leichtsinn geprägte Debatte begannen, überraschte ihn nicht. Und vielleicht war auch die öffentliche Wette nur sein Versuch, Annie einen ebenso vernichtenden Schlag zu versetzen, wie sie es mit jener Anzeige getan hatte, die am selben Tag in der Zeitung erschienen war.
Der Ehrenwerte Thomas Drake wünscht die formelle Verlobung von Miss Annabel Reid und Lord Alfred Hyatt zu verkünden. Die Hochzeit wird in vier Monaten stattfinden …
Derek hatte sich abwenden müssen.
Es hatte wehgetan. Verdammt noch mal, es in gedruckten, starren Lettern zu sehen tat entsetzlich weh. Mehr als er erwartet hätte, obwohl sein Onkel Thomas ihm bereits erzählt hatte, dass Hyatt um ihre Hand angehalten und sie ihn akzeptiert habe. Zudem war sein Onkel der Meinung, es handle sich um eine durchaus passende Verbindung.
Doch der stechende Schmerz, der einsetzte, als Derek auf die fetten Drucklettern der öffentlichen Anzeige starrte, überraschte ihn. Er spürte, wie sich die damit verbundenen Auswirkungen in seiner Seele festsetzten und eine rohe, blutende Wunde öffneten.
Um die Dinge also noch weiter zu treiben – und bei dem Gedanken zuckte er innerlich zusammen -, hatte er sich vortrefflich betrunken und beschlossen, seinen schlechten Ruf noch weiter zu verschlimmern. Annabel fand ihn ohnehin schon abscheulich, und daher schien es nur logisch, eine Herausforderung anzunehmen, die ganz London jetzt vor Aufregung summen ließ. Es half nicht, dass Nicholas und er in der Vergangenheit oft in allen Dingen im Wettbewerb gestanden hatten, ob das nun die Wissenschaften oder Sport oder – natürlich – Frauen waren. Zum Teil war das ein ihnen beiden angeborener Charakterzug, zum Teil aber das Resultat ihres ähnlichen familiären Hintergrunds. Sie hatten jung Titel und Vermögen geerbt und damit auch die Freiheit und die Grenzen, die mit dieser Verantwortung einhergingen. Ihre Freundschaft entstand spontan und war etwas ganz Natürliches. Sie waren wie zwei Brüder, die einander zum ersten Mal begegneten und sich sofort erkannten.
Auch das hatte diese sinnlose Diskussion an jenem Abend angeheizt. Nicholas hatte seine eigenen Dämonen, die er unter Verschluss hielt. Derek war sich dessen bewusst, dass Nicholas alles andere als glückliche Erfahrungen gemacht hatte, die ihn Vorsicht walten ließen, auch wenn er sich nach außen so charmant gab. Nick redete nicht darüber, und Derek stellte keine Fragen über jene beinahe desaströse romantische Verstrickung, die seitens der Lady, die Nicholas hatte heiraten wollen, von berechnender Gier und nicht von tiefen Gefühlen geprägt gewesen war. Es war eine unausgesprochene Vereinbarung zwischen den beiden Männern, diese Sache nicht anzusprechen, und in den zehn Jahren ihrer Freundschaft hatten sie diese Vereinbarung nicht gebrochen.
Sie waren sich schließlich doch sehr ähnlich.
Nun schien es an Derek zu sein, in der Hölle zu schmoren.
Zweifellos war Annabel noch viel weniger in ihn vernarrt als je zuvor. Wenn das überhaupt möglich war. Warum hatte er nie gemerkt, dass er sich in sie verliebt hatte, bis es zu spät war?
Natürlich weil er ein verdammter Narr war. Sie liebte einen anderen. Lord Alfred Hyatt war, soweit er das beurteilen konnte, ein anständiger Kerl. Das machte die Sache nur noch schlimmer. Wenn sie einen Schuft heiraten würde, könnte er plausibel seine Bedenken vortragen. Aber das war nicht der Fall, und darum schwieg er. Zumal sie ohnehin nicht mehr auf seinen Rat hören würde.
Warum sollte sie auch? Er war ein Experte in Sachen Unbeständigkeit und nicht in Fragen der Ehe.
»Mylord?«
Die Stimme riss ihn aus seinen Überlegungen, und er merkte erst jetzt, dass das Gefährt angehalten hatte und sein Kutscher abwartend vor der offenen Tür stand. Der junge Mann hüstelte diskret.
»Entschuldigung.« Derek kletterte heraus und lächelte reumütig. »Habe wohl ein bisschen über den Durst getrunken heute«, sagte er überflüssigerweise und fragte sich zugleich, warum er sich einem Bediensteten erklärte. Vermutlich weil er keine Ahnung hatte, wie lange er bereits in seine Gedanken vertieft dagesessen hatte. Er stieg die Stufen zu seinem Stadthaus hinauf, nickte dem Lakaien dankbar zu, der ihm die Tür öffnete, und ging schnurstracks in sein Arbeitszimmer.
Anders als der vollgestopfte Raum im Anwesen der Rothays drüben in Mayfair, das die Dukes von Rothay seit Jahrhunderten ihr Zuhause nannten, war Dereks Refugium klein und säuberlich aufgeräumt. Seine Papiere waren in einer Ecke des Schreibtischs aufgestapelt, die neue Korrespondenz ruhte auf der Schreibtischunterlage. Sein liebster Whiskey wartete in einer Karaffe auf einem Tablett daneben. Der Raum roch nach Bienenwachs und leicht nach Tabak. Gewöhnlich fand er Trost innerhalb der getäfelten Wände, und das Ölgemälde der Landschaft von Berkshire über dem Kamin war eines seiner liebsten. In diesem Zustand der emotionalen Unruhe schenkte aber nicht einmal das idyllische Auf und Ab der Landschaft seinem ruhelosen Geist Frieden.
Er sank in den Stuhl hinter dem Schreibtisch und überblickte erschöpft seine ungeöffnete Post. Zuoberst lag ein einfacher Umschlag ohne Siegel. Nur sein Name war in adretter Handschrift darauf vermerkt. Neugierig griff er nach dem Umschlag und öffnete ihn.
Mein lieber Lord Manderville:
Trefft mich im Flower and Swine in Holborn um zehn Uhr heute Abend. Der private Salon wird für unser Gespräch reserviert sein.
Ach ja, die verdammte Wette.
Keine Unterschrift. Aber er erkannte die Handschrift von jenem Schreiben wieder, das er zuvor gelesen hatte. Nun, die Lady handelte rasch, so viel stand fest. Er vermutete, auch Nicholas hatte eine ähnlich lautende Nachricht bekommen.
Er nahm den Brieföffner zur Hand, in dessen Metallgriff das Familienwappen eingelassen war. Unablässig wirbelte er das dolchartige Utensil zwischen seinen Fingern.
Nun gut, dachte er ergeben. Warum soll ich nicht einfach dorthin gehen? Warum soll ich nicht mein Bestes geben, um mein sexuelles Können unter Beweis zu stellen?
Zumindest wäre er dann von seinem apathischen Selbstmitleid abgelenkt, und außerdem könnte er sich mit einer warmen, willigen Frau vergnügen.
Wenn er die Augen schloss, konnte er sich dabei eventuell sogar einreden, dass Annabel bei ihm lag. Mit dieser Strategie würde er zumindest vielleicht die Wette gewinnen.
Kapitel 3
Der Gasthof war klein und versteckte sich in einer Ecke des East Ends, die Caroline noch nie aufgesucht hatte. Das heruntergekommene Äußere hatte sie zögern lassen, aber für ihre Zwecke war dieser Ort hervorragend geeignet. Die wenigen verschlafenen Stammgäste, die in dem verrauchten, dunklen Schankraum mit schmierigem Boden und wackligen Tischen saßen, schenkten ihr kaum Aufmerksamkeit. Der Gastwirt führte sie in eine Stube, die zumindest ein wenig besser war. Er brachte ihr eine Flasche Wein, die zweifellos nicht gerade das war, was der Duke of Rothay und Lord Manderville zu trinken gewohnt waren. Aber es würde seinen Zweck erfüllen.
Diskretion war heute ihr oberstes Gebot.
Ihre Handflächen fühlten sich in den Handschuhen feucht an, als sie in einen Stuhl sank. Sie hatte das Gefühl, unter ihrem Schleier zu ersticken. Caroline war früher gekommen, denn sie wollte keinen großen Auftritt provozieren, während die Männer sie bereits erwarteten. Sie versuchte, das Zittern zu ignorieren, das sie erfasste.
Du bist ja eine heißblütige Verführerin, dachte sie spöttisch. Dabei war sie sich gar nicht sicher, ob sie nicht auf direktem Weg aus dem Gasthaus stürmen wollte. Aber jetzt war sie so weit gekommen … Die geschwärzten Balken der niedrigen Decke rückten ihr zu nahe, und das raue Lachen eines betrunkenen Stammgasts drang mit misstönender Klarheit zu ihr. Der Gestank nach schalem, verschütteten Ale hing wie ein Sargtuch über dem Raum.
Ich sollte schleunigst verschwinden, dachte sie.
Nein. Sie straffte sich und hob ihren Schleier, um rasch einen Schluck aus ihrem Glas zu nehmen. Das Leben, das sie bisher geführt hatte, war die erdrückende Existenz einer Frau, die nie ein Risiko einzugehen bereit war. Bisher hatte sich ihr nicht die Gelegenheit geboten – bis jetzt. Eine sündhafte, skandalöse Chance, etwas so Gewagtes und für ihren Charakter ganz und gar Untypisches zu tun, dass sie diese Möglichkeit nicht ungenutzt verstreichen lassen durfte. Die Gelegenheit, den Schaden wiedergutzumachen, den ein anderer ihrem Leben angetan hatte. Wenn sich die Dinge so entwickelten, wie sie es sich erhoffte.
Zumindest solange der Duke und der Earl es nicht ablehnten, nachdem sie bemerkten, wer sie war. Sie vermutete, dass diese Möglichkeit bestand; aber um ehrlich zu sein, war sie die perfekte Person, um ihren absurden, männlichen Disput zu klären. Immer und immer wieder hatte sie diese Frage in Gedanken durchgespielt.
Sie war Witwe, daher war es nicht so, dass die beiden eine unschuldige Frau ihrer Jungfräulichkeit beraubten.
Sie wollte nichts von ihnen, außer dem sinnlichen Versprechen, das in der Natur ihrer Wette lag. Das würde sie den beiden unmissverständlich klarmachen.
Sie war die letzte Frau, von der die Gesellschaft vermuten würde, dass sie den beiden half. Dieser Umstand würde ihr Interesse wecken. Ihr Ruf als eiskalte Schönheit allein sollte genügen, die Neugierde und das Verlangen der Männer zu wecken, damit sie die anmaßende Behauptung ihrer sexuellen Fähigkeit unter Beweis stellten. Oder nicht?
Also. Das waren ihre Argumente.
Würde sie diese überhaupt vorbringen müssen? Für zwei so erfahrene Wüstlinge war ihre Bereitschaft vermutlich die einzige Aufforderung, der sie bedurften. Ihr Ruf war beinahe in Stein gemeißelt.
»Mylady, Ihr habt einen Gast.« Der unterwürfige Gastwirt erschien in dem schiefen Türsturz und verschwand sogleich eilig. Er wurde durch eine hochgewachsene, dunkle Gestalt ersetzt. Ein Mann, der eine Sekunde lang zögerte, ehe er mit seiner gewohnt draufgängerischen Grazie den Raum betrat.
Rothay.
Der legendäre Duke trug dunkle Abendkleidung. Offensichtlich wollte er nach dieser Verabredung zu einer eleganteren Abendveranstaltung gehen.Vermutlich zum selben Ball, an dem auch sie später teilnehmen wollte. Nicholas Manning sah wie immer weltgewandt aus, elegant und ein wenig arrogant. Glänzend rabenschwarzes Haar, das nur leicht gewellt war, unterstrich die wohlgeformte Schönheit seiner Gesichtszüge: flaumige, geschwungene Brauen, eine gerade Nase und ein leicht kantiger Kiefer. Sein Mund – berüchtigt für dieses unverkennbare, böse Lächeln – verzog sich leicht, als er ihr verschleiertes Gesicht erblickte. Dunkle Augen begutachteten ihre Kleidung mit überraschender Offenheit. Sie meinte, Neugier in seinen Augen aufblitzen zu sehen.
Er war schön wie immer, so beeindruckend, wie man es sich hinter vorgehaltener Hand erzählte. Das leise Heben seines Mundwinkels war Teil seiner gefeierten Rolle. Sein Blick inspizierte ihren Halsausschnitt, und das Lächeln wurde etwas breiter.
Gut, er war interessiert. Solange sie nicht die Nerven verlor und man ihr die Versprechungen machte, die sie brauchte, konnten sie schon bald ihren Handel besiegeln. Caroline begrüßte ihn mit gezwungen kühler Höflichkeit: »Guten Abend, Euer Gnaden.«
Etwas flackerte in seinem Blick. Vielleicht glaubte er, ihre Stimme zu erkennen. Er verbeugte sich höflich. Die Bewegung war fließend und wirkte geübt. Als er sich wieder aufrichtete, schien es, als befände sich sein Kopf nur knapp dreißig Zentimeter unter der niedrig hängenden Decke. »Guten Abend.«
»Sollen wir auf Lord Manderville warten? Ich habe mir die Freiheit genommen, uns etwas Wein zu bestellen. Bitte bedient Euch. Ich habe darum gebeten, dass uns kein Hausdiener zur Verfügung gestellt wird. Es schien mir … klüger.«
Welch eine ironische Wortwahl ihrerseits. Nichts von alledem, was sie gerade tat, war klug.
»Natürlich. Was immer Ihr wünscht.« Er schenkte dem kleinen, einfachen Zimmer einen knappen Blick und wählte einen Stuhl. Mit einer fließenden, kraftvollen Bewegung setzte er sich und streckte seine langen Beine aus. »Dies ist eine exzellente Wahl für unser kleines Treffen, seid dessen versichert. Ich glaube nicht, dass irgendjemand, den wir kennen, versehentlich an diesem Ort über uns stolpert. Aber bitte sagt mir nicht, dass Ihr ohne Begleitschutz hergekommen seid.«
Er hatte absolut recht. Dieses Viertel war eine fragwürdige Gegend. Aber ihr Kutscher war ein kräftiger junger Waliser, der dankbar war, sich nicht wie Generationen seiner Familie vor ihm in den Minen zu Tode schuften zu müssen. Daher war er zuverlässig und ihr treu ergeben. Huw hatte beobachtet, wie sie sicher ins Innere des Gasthauses gelangte, und mit derselben Sorgfalt würde er sie auch wieder heimbringen. Sie schüttelte den Kopf, der Schleier bewegte sich leicht. Seine Sorge um ihre Sicherheit kam für sie etwas überraschend. »Ich bin nicht dumm, Euer Gnaden.«
»Das würde ich nie behaupten. Aber ich bin so frei zu gestehen, dass ich überaus neugierig auf Euch bin. Was hat Euch dazu verleitet, uns zu kontaktieren, wenn Ihr mir diese Frage gestattet?« Die Weinflasche stand mit Gläsern auf dem Tisch zwischen ihnen, und er griff beiläufig danach und goss sich ein. Doch sie wurde das Gefühl nicht los, dass ihre Antwort ihn brennend interessierte, obwohl er dies mit seiner vorgetäuschten Lässigkeit zu kaschieren suchte.
Was glaubte er? Dass sie eine verzweifelte, einsame Frau war, die sich nach männlicher Aufmerksamkeit verzehrte? Glaubte er, sie würde zwei Männern beiwohnen, um ein kleines bisschen Zuwendung zu bekommen? Nun, das klingt vielleicht logisch, dachte sie, aber das ist nicht der Fall. Wenn sie männliche Gesellschaft wünschte, konnte sie diese leicht finden. Obwohl sie einen gewissen Ruf besaß und man sie für hochnäsig hielt, lag dies vor allem daran, dass sie es müde war, potentielle Verehrer abzuwehren. Was die Einsamkeit betraf, so bevorzugte sie es, eine Witwe zu sein und nicht die Frau eines Mannes. Alles hatte seinen Preis.
Sie hatte genug bezahlt. Darum war sie jetzt hier. War sie unzufrieden? Ja, denn sie vermisste etwas in ihrem Leben, wie ein fehlendes Puzzleteil, das das Bild ruinierte. Dieses Stück zu finden und es in die Lücke einzufügen war sehr wichtig für sie. Es beeinflusste ihre Zukunft auf jede nur erdenkliche Weise.
Körperliche Lust war ein unglaubliches Mysterium. Sie sah keine Möglichkeit, dieses Rätsel zu lösen und gleichzeitig eine achtbare Dame zu bleiben.
Außer durch diese Wette.
Sie fühlte sich betrogen durch das Missverhältnis in einer ungewollten Ehe, in der ihr Mann einen eklatanten Mangel an Sensibilität im Schlafzimmer an den Tag gelegt hatte. Doch das war nur ein Teil der Wahrheit. Da er nun verschieden war, konnte sie zwar nichts gegen seine anderen Versäumnisse tun, aber sie konnte versuchen herauszufinden, ob es ihr Fehler war, dass sie die ehelichen Pflichten nicht genoss. Edward hatte genau das behauptet.
Der logische Schluss war, dass sie, wenn sie in den Armen der beiden berüchtigtsten Liebhaber Londons nichts spürte, tatsächlich die Schuld an der Misere im Ehebett trug. Bis sie das wusste, war es unwahrscheinlich, dass sie sich noch einmal auf einen Mann einließ. Sie war nicht sicher, ob sie sich überhaupt wünschte, je wieder mit einem Mann intim zu werden. Aber sie wollte wenigstens die Gelegenheit nutzen, um sich später frei entscheiden zu können und sich von dem Würgegriff zu befreien, den ihre Vergangenheit auf ihre Gegenwart ausübte.
»Ich vermute, für Euch ist es eine natürliche Reaktion, dass Ihr Euch fragt, welches Motiv ich haben könnte, um mit meiner Meinung über Euren unkonventionellen Wettstreit zu entscheiden«, sagte sie tonlos und blickte den Duke durch die hauchdünnen Schleier an. »Ich denke, den Grund habe ich bereits in meiner ersten Nachricht genannt.«
Seine geschwungenen, ebenholzschwarzen Augenbrauen hoben sich leicht. »O ja, die Folgerung, dass die Liebhaber, die bisher Euer Lager teilten, Euch enttäuscht haben. Sehr schade. Keine Frau sollte so etwas erleben.«
Die Liebkosung seiner dunklen Stimme war beinahe fühlbar. Als streckte er tatsächlich über den Tisch hinweg die Hand nach ihr aus. Ein Teil seines Zaubers gründete zudem auf seiner Haltung. Er musste sich seiner Wirkung auf Frauen bewusst sein, aber das war nicht die Waffe, die er zog, um sie für sich zu gewinnen.
Kein Wunder, dass die Frauen ihm verfallen, als würden sie sich von einer Klippe stürzen, dachte sie. Über den abgenutzten, angeschlagenen Tisch hinweg blickte sie ihn an. Wenn er die personifizierte Sünde war, dann aber eine von der köstlichsten Sorte. Irgendwie gelang es ihm in dieser geschmacklosen Umgebung, seine kraftvolle Erscheinung noch glänzender zur Schau zu stellen. Die rissigen Dielenbretter, fleckigen Wände und der Stuhl, der kaum seiner beeindruckenden Größe angemessen war, betonten nur sein männliches und aristokratisches Erscheinungsbild.
»Ein Liebhaber«, korrigierte sie ihn. »Keine Mehrzahl.« Und was in ihrem Ehebett passiert war, hatte wohl kaum etwas mit Liebe zu tun, daher war sie nicht sicher, ob dieser Begriff hier angebracht war. Sein Mitleid interessierte sie nicht. Es ging ihr um seine Mithilfe.
»Nur ein Mann? Ich verstehe.«
Nur einer. Sicher war dieser Gedanke einem Mann wie dem verwegenen Duke fremd, der aus seiner verdorbenen Vergangenheit unzählige Geliebte aufzuzählen verstand.
Er sprach weiter und unterstrich seine Worte mit demselben geübten Lächeln, das auf sie eine so verheerende Wirkung hatte. »Beurteilt uns nicht allzu harsch allein aufgrund der Fehler eines einzigen Exemplars unseres Geschlechts.«
»Sollte ich nicht?« Es wäre schön, wenn sie ihren Worten etwas Spielerisches verleihen könnte, aber sie fürchtete, es gelang ihr nicht.
»Natürlich nicht.« Sein Blick glitt erneut zu den Wölbungen ihres blassen Fleisches über ihrem Mieder. »Wie jede Frau einzigartig ist, glaube ich, dass auch Männer verschieden sind. Ich denke aber, Männer sind in der Regel selbstsüchtiger. Ich bedaure Eure vorangegangene Erfahrung. Aber ich möchte noch einmal betonen, dass wir nicht alle gleich sind.«
Sie spürte die verlockende Hitze, die bei seiner ausgiebigen Musterung in ihr aufstieg. Als würde er mit dem Finger über ihre Haut fahren.
Andererseits: Sein Charisma stand außer Frage. Sie passten kaum zusammen, aber das brauchte er nicht wissen. Kühl und unbewegt bemerkte sie: »Vielleicht bekommt Ihr die Gelegenheit, Euren Standpunkt zu beweisen, Euer Gnaden.«
»Ich habe das unbestimmte Gefühl, dass ich nichts dagegen haben werde, meine geheimnisvolle Lady.«
Es war unmöglich, vom Wein zu trinken, ohne den Schleier zu heben, daher fingerte sie unsicher am Stiel ihres Glases herum und beobachtete den Mann auf der anderen Seite des Tisches mit nachdenklichem Argwohn.
»Entschuldigt, ich habe mich ein wenig verspätet.« Lord Mandervilles Ankunft bewahrte sie davor, mehr sagen zu müssen. Sie wollte nicht zu viele Hinweise auf ihre Identität geben, ehe nicht beide Männer ihr Wort als Gentlemen gegeben hatten, strikte Diskretion zu wahren.
Der Earl betrat den Raum und musterte sie ebenso abschätzend wie schon sein Freund zuvor. Sein Blick glitt über sie hinweg, hielt kurz am Ausschnitt ihres modischen Kleids inne und verharrte schließlich über dem Stoff, der ihr Gesicht verhüllte. Ein schelmisches Lächeln zeigte seine weißen, geraden Zähne. »Ich sehe, wir schmieden hier also wirklich Ränke. Es ist mir ein Vergnügen, Euch kennenzulernen.«
»Ihr kennt mich bereits«, erwiderte Caroline so ruhig wie möglich. Es war ein wenig beunruhigend, mit beiden Männern allein in einem Raum zu sein, stellte sie fest. Zum einen waren beide sehr hochgewachsen, und sie umgab diese eindrucksvolle Atmosphäre männlichen Selbstbewusstseins, das den kleinen Raum vollständig zu erfüllen schien. Derek Drakes golden schimmerndes Aussehen hatte ihm den Beinamen »der Engel« eingebracht. Rothay war im Gegensatz dazu ironischerweise auf den Namen »der teuflische Duke« getauft worden.
Sie gaben ein starkes – wenn auch ungleiches – Paar ab, der Engel und der Teufel. Sie spürte, wie sich ihr Magen vor Anspannung zusammenzog.
Das konnte nicht gut gehen. Hier saß sie und machte den beiden ein unzüchtiges Angebot. Frauen, die in Gasthäuser zweifelhaften Rufs fuhren und dort Wüstlinge vom Kaliber dieser beiden Männer trafen, die sich mit ihr in diesem Raum aufhielten, sollten besser keine Nervenkrise bekommen.
Ihr Rücken straffte sich, als ihre Entschlusskraft wieder die Oberhand gewann.
»Bin ich Euch tatsächlich schon einmal begegnet?« Manderville nahm ein Glas Wein vom Duke entgegen und nickte dankend. Noch immer ruhte sein Blick auf ihrem verschleierten Gesicht. Er setzte sich in einen klapprigen Stuhl, der protestierend quietschte.
»Ihr seid mir beide schon begegnet.«
»Ach, und ich dachte noch, dass mir Eure Stimme so kultiviert und vielleicht sogar bekannt vorkommt. Wir können allerdings nicht eng miteinander befreundet sein, sonst hätte ich Eure Stimme sicher erkannt. Für solche Dinge habe ich ein Ohr.« Sein Lächeln war so engelsgleich wie das des Dukes teuflisch verlockend war.
Während Nicholas Manning eine beinahe gefährliche Intensität ausstrahlte, war der Earl eher von bequemer, unbekümmerter Anmut.
So verschieden, und doch bot jeder von ihnen ihr an, in seinen Armen das vermutete Paradies zu finden.
Als Nächstes kam der komplizierte Teil dieses Treffens.Caroline konnte es ihnen nicht verdenken, dass die beiden Männer wissen wollten, wer sie war – und einen Blick wollten sie sicher auch auf sie werfen, ehe sie zustimmten. Aber andererseits würde sie den Schleier nicht lüften, ehe die Männer ihr nicht versicherten, Stillschweigen zu bewahren.Wenn sie sich nicht entgegenkommend zeigten, würde sie auf der Stelle gehen. Sogar die Kuriere, die sie beauftragt hatte, ihre Nachrichten hin und her zu tragen, hatte sie einem komplizierten Prozess unterzogen, um sicher zu sein, dass es keine direkte Verbindung zwischen ihr und den Boten gab.
Hier ging es darum, sie zu retten, und nicht, ihr Leben zu zerstören.
Sie mochten den Ruf haben, nach dem Liebesspiel rasch wieder zu verschwinden und sich ihren Weg durch die Betten der Schönheiten zu schlafen, doch nie hatte Caroline ein Wort davon gehört, dass die beiden Männer keine Ehre im Leib hatten. Sie war also bereit, ihnen zu glauben, wenn sie ihr Wort gaben. Aufgrund seines Reichtums musste Rothay sicher große finanzielle Besitztümer verwalten, und auch Manderville war ein vermögender Mann mit ähnlich großer Verantwortung. Sie hatten beide einen Sitz im House of Lords inne und waren politisch aktiv, wenn es stimmte, was in den Zeitungen stand. Es war geradezu komisch zu beobachten, wie all die durchtriebenen Mütter versuchten, sie auf ihre heiratsfähigen Töchter aufmerksam zu machen. Aber beide mieden angeblich unverheiratete junge Ladys, als hätten diese eine ansteckende Krankheit.
Kurz gesagt: Auf ihre Weise waren sie ehrenhaft. Sie hoffte es zumindest, schließlich würde sie ihren Ruf aufgrund dieser Vermutung riskieren. Der Schleier war ihreVersicherung für den Fall, dass die Männer – aus welchem Grund auch immer – ablehnten.
Mit fester Stimme sagte Caroline: »Ehe wir überhaupt über diese ungewöhnliche Situation diskutieren, brauche ich Euren feierlichen Schwur, dass mein Name nie mit dieser Sache in Verbindung gebracht wird. Selbst wenn wir heute Abend keine Einigung erzielen sollten. Ich will nicht, dass irgendwer erfährt, dass ich dieses Arrangement überhaupt in Erwägung gezogen habe.« Ohne darüber nachzudenken fügte sie leise hinzu: »›Mit jedem Wort stirbt ein guter Ruf.‹«
»Alexander Pope, glaube ich«, sagte der Duke. Er wirkte amüsiert und betrachtete sie mit gehobenen Brauen. »Ich bin jetzt zu neugierig, um abzulehnen. Ich werde niemandem Eure Identität enthüllen.«
»Ich gebe Euch auch mein Wort.« Derek Drake nickte zustimmend. Seine Augen verengten sich nur leicht, als er ihr verschleiertes Gesicht betrachtete. »Euer Geheimnis ist bei uns sicher.«
»Also gut.« Caroline setzte ihren Hut und den Schleier ab, legte beides beiseite, strich mit leicht zitternden Fingern über ihr Haar. Sie war diejenige, die amüsiert war, als sie den Schock in den Mienen der beiden Herren bemerkte. Im Raum herrschte Totenstille.
Die Überraschung der beiden Männer war kaum verwunderlich. Ihr Ruf war der einer eisigen, förmlichen und unnahbaren Lady und nicht der einer Frau, die Treffen in verrufenen Tavernen arrangierte.
Wie oft kommt es wohl vor, dass beiden die Worte fehlen?, fragte sie sich.
Vermutlich sehr selten.
»Lady Wynn.« Es war Rothay, der als Erster die Sprache wiederfand. Aber noch immer starrte er sie an, sein Weinglas baumelte vergessen zwischen seinen langen Fingern. »Ich muss gestehen, ich bin überrascht.«
Sie spürte, wie ein kleines, nervöses Lächeln ihre Lippen umspielte. »Im guten Sinne, Euer Gnaden? Oder eher auf unerfreuliche Weise?«
Kapitel 4
Nun, das war tatsächlich eine unerwartete Wendung.
Er hätte so manches Gesicht hinter dem Schleier vermutet, doch das von Caroline Wynn gehörte nicht dazu. Nicholas hatte sich lange den Kopf zerbrochen, welche Lady aus seinem Bekanntenkreis vielleicht in Erwägung ziehen könnte, an ihrer kleinen, skandalösen Konkurrenz teilzunehmen. Aber die Frau, die auf der anderen Seite des Tisches saß, war ihm dabei nie in den Sinn gekommen.
Dennoch saß sie da. Ihre goldbraune Augenbraue hob sich leicht, als sie seine erstaunte Miene musterte. In ihren vielbesungenen, silbergrauen Augen glaubte er eine Spur Erheiterung zu entdecken. Das kleine, schäbige Gasthaus zeigte ihm, wie ernst es ihr mit ihrem Angebot war. Es schien ihm dennoch schwer vorstellbar, dass sie diejenige war, die ihm jene provokante Nachricht geschickt hatte.