Eine wirklich wahre Liebe - Alicia und Nicki King - E-Book

Eine wirklich wahre Liebe E-Book

Alicia und Nicki King

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Beschreibung

Nicki und Alicia King sind ein ganz besonderes Ehepaar. Als sie sich in einem Düsseldorfer Café kennenlernen, heißt Alicia noch Alexander. Die beiden verlieben sich und beschließen zu heiraten. Alles wie im Märchen, doch Alex offenbart Nicki seine transsexuellen Neigungen. Nicki liebt den Menschen, der nun zu Alicia wird und für beide beginnt eine aufregende Zeit als Paar und Auswanderer in der Vox-Serie Goodbye Deutschland. Das schillernde Paar erzählt authentisch und mitfühlend, wie sie es geschafft haben, trotz vieler Vorurteile, glücklich zu werden und zu bleiben.


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Inhalt

CoverInhaltÜber das BuchÜber die AutorinnenTitelImpressumVorwortMeine erste Lektion: Auf dem Schiff bestimmt der Käpt’n (Nicki)Der Schwächste kriegt immer zuerst auf die Fresse (Alicia)Alex goes (Nicki)Ich erkläre euch hiermit zu – Frau und Frau (Alicia)Bildtafeln

Über das Buch

Nicki und Alicia King sind ein ganz besonderes Ehepaar. Als sie sich in einem Düsseldorfer Café kennenlernen, heißt Alicia noch Alexander. Die beiden verlieben sich und beschließen zu heiraten. Alles wie im Märchen, doch Alex offenbart Nicki seine transsexuellen Neigungen. Nicki liebt den Menschen, der nun zu Alicia wird und für beide beginnt eine aufregende Zeit als Paar und Auswanderer in der Vox-Serie Goodbye Deutschland. Das schillernde Paar erzählt authentisch und mitfühlend, wie sie es geschafft haben, trotz vieler Vorurteile, glücklich zu werden und zu bleiben.

Über die Autorinen

Die Immobilienmaklerin Nicki und der Millionär Alexander lernen sich 2008 kennen. Sie verlieben sich unsterblich ineinander und führen zunächst ein Glamour-Leben in der Düsseldorfer High-Society. Doch der erfolgreiche Geschäftsmann Alexander fühlt sich in seinem Körper nicht wohl und lässt sich zum Teil zur Frau umoperieren. Wie diese Veränderungen ihre Beziehung stärkt, beschreiben sie in diesem Buch.

ALICIA & NICKIKING

Eine wirklich wahre Liebe

Wir sind glücklich, weil jederso sein kann, wie er ist

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

Copyright © 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln

Fotos: © Alicia und Nicki King

Umschlaggestaltung: Jeannine Schmelzerunter Verwendung eines Motivs von © Michael Lübke

Datenkonvertierung E-Book:

hanseatenSatz-bremen, Bremen

ISBN 978-3-7325-2372-6

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

Vorwort

Dieses Buch ist zweifelsohne: ein Buch über die Liebe. Natürlich kann man sich die Frage stellen, ob dazu nicht alles schon zigfach geschrieben wurde. Schließlich existieren über kein anderes Thema so unfassbar viele Geschichten, die alle Facetten dieses manchmal so überwältigenden, manchmal so schmerzhaften und manchmal einfach nur bescheuerten Gefühls beschreiben. Es gibt abertausende mehr oder weniger romantische Erzählungen über Menschen, die nach jahrelangen Irrwegen endlich zueinander finden. Es gibt zahllose epische Dramen voller unerfüllter Sehnsüchte und enttäuschter Träume. Es gibt Schilderungen fürchterlicher Schicksale, in denen die Liebe dem Tod weichen muss oder dem Hass. Es gibt zeitlose Weltliteratur von Schiller, Goethe, Shakespeare genauso wie einfache Groschenromane, an deren Ende das arme Waisenmädchen zur Prinzessin wird oder wenigstens den reichen Reiterhofbesitzer heiraten darf.

Und es gibt Alicia und Nicki King!

Die Geschichte ihrer Liebe hätte sich wahrscheinlich kein Schriftsteller dieser Welt ausdenken können – keine Jane Austen, kein Boris Pasternak und auch kein Heinz Konsalik. Es ist eine Geschichte, die so unglaublich, so einzigartig und so verrückt erscheint, dass sie nur das Leben selbst schreiben kann. Keine Frage: Das, was diese beiden miteinander erlebt haben und natürlich weiterhin gemeinsam erleben, musste einfach aufgeschrieben werden. Nicht bloß, weil wohl nur wirklich wahre Liebe dazu imstande ist, alle noch so unüberwindbar scheinenden Grenzen zu besiegen. Sondern auch, weil es sonst womöglich keiner glaubt!

Andreas Hock, im März 2016

Meine erste Lektion: Auf dem Schiff bestimmt der Käpt’n (Nicki)

Wie in einem Düsseldorfer Lokal alles anfing

Endlich hatte ich Feierabend. Mein Arbeitstag war wieder ziemlich anstrengend, und ich wollte schon längst in meiner Wohnung sein. Jetzt aber, am späten Nachmittag, fand ich das Wetter zum Nachhausegehen dann doch zu gut. Es war nicht so heiß, wie es hier in Düsseldorf manchmal sein konnte, wenn die Luft über dem Rhein stand und kein Wind von Westen her für Abkühlung sorgte. Stattdessen fühlte es sich draußen einfach nur angenehm an, fast schon mediterran, passend zu den Yucca-Palmen vor den Straßencafés, die hier zu meinem großen Erstaunen – anders als bei mir daheim im Saarland – wegen des milden Klimas prima wachsen konnten. Seit zwei Jahren lebte ich nun schon hier, aber Heimweh nach meiner Familie hatte ich trotzdem sehr häufig. Mein Leben in der vermeintlichen Mode- und Glamour-Metropole bestand fast nur aus Arbeit, weshalb ich auch kaum andere Leute kennenlernte. Ich war kurz davor, wieder in die beschauliche Provinz zurückzugehen, denn im Grunde hielt mich in dieser Stadt nichts.

Zu diesem Zeitpunkt arbeitete ich in der Immobiliensparte eines großen Handelskonzerns als Asset Managerin, wie es neudeutsch hieß. Das bedeutete, dass ich persönlich für den Werterhalt und die Wertsteigerung zahlreicher Objekte zuständig war, die dem Konzern überall in Deutschland gehörten. Dadurch war ich oft kreuz und quer in der ganzen Bundesrepublik unterwegs, um neue Flächen zu besichtigen, Termine mit Mietern wahrzunehmen und Behördengänge zu absolvieren. Eigentlich war der Job sehr interessant und füllte mich aus, was leider aber auch genauso für meinen Terminkalender galt. Außerdem musste ich für meine Kunden permanent erreichbar sein. Und so klingelte an etlichen Tagen mein Handy von früh bis spät und manchmal auch noch mitten in der Nacht.

Ich hätte nun zur Ablenkung ein bisschen bummeln gehen können, vielleicht mal wieder die berühmte »Kö« entlang und schauen, was es in den Boutiquen dort Neues gab, bei Eickhoff oder Prange zum Beispiel, wo man sich dem Geldbeutel zuliebe nur ganz selten etwas leisten sollte, wenn überhaupt. Oder mich ins »Bazzar« setzen, einem schicken Hotspot in der City, um den vielen Chefarztgattinnen und Rechtsanwaltsfrauen dabei zuzusehen, wie sie sich vom Power-Shoppen mit den Kreditkarten ihrer Männer oder ihrer Geliebten oder von beiden erholten. Aber ich entschied mich dafür, ausnahmsweise im »Poccino« vorbeizuschauen, einer Düsseldorfer Institution in den Schadow Arcaden, wo man auf einer riesigen Terrasse hervorragend italienisch essen konnte – oder sich einfach nur an einen Stehtisch stellen, um einen Espresso zu trinken, dessen Zubereitung man hier wirklich sehr ernst nahm. Und genau darauf hatte ich jetzt Lust: auf einen kleinen, starken, schwarzen Kaffee. Vielleicht würde mir der wieder ein wenig Energie verschaffen nach dem ganzen Stress bisher in dieser Woche.

Ich setzte mich also auf einen Barhocker, nippte am Espresso und schaute gedankenverloren ins Leere. Der Laden war leer, was hier zwar selten vorkam, um diese Zeit jedoch wiederum kein Wunder war, denn die meisten Gäste kamen entweder in der Mittagspause oder nach Feierabend und nicht mitten am Nachmittag. Die Ruhe um mich herum war mir allerdings ganz recht. Dadurch war ich wenigstens ungestört. Ich hatte gerade auch so genug um die Ohren. Wenn ich jetzt gerade etwas nicht brauchen konnte, dann war das irgendein Small Talk, den mir jemand jetzt aufs Auge drückte.

»Darf ich mich zu dir stellen?«

Ich hatte den Typen gar nicht kommen sehen, und insofern erschrak ich ein bisschen, denn ich rechnete in diesem Moment nun wirklich nicht damit, dass mich jemand ansprach. Ich war geschafft, hatte meine Büroklamotten an und machte ganz sicher nicht den Eindruck, als wartete ich auf jemanden. Vielleicht verwechselte er mich ja auch einfach nur.

»Darf ich mich zu dir stellen? Die anderen Tische sind mir zu voll.«

Ich schaute mich um. Ganz offensichtlich meinte er tatsächlich mich, was ich etwas frech fand. Erstens kannte ich diesen Mann gar nicht. Und zweitens waren die meisten anderen Tische nicht nur nicht »voll«. Sie waren vielmehr vollkommen frei, und er hätte sich selbstverständlich was weiß ich wohin stellen oder setzen können – es gab jedenfalls ausreichend Platz um mich herum. Das Einzige, was mich davon abhielt, dem Kerl umgehend zu erklären, dass er mich bitte schön in Ruhe lassen soll, war seine Stimme, denn die klang im Prinzip ganz nett. Ich blickte also von meinem Espresso auf und sah einen sehr großen, sehr kräftig gebauten Mann mit breiten Schultern und einer martialisch wirkenden Glatze. Und ich sah: ein Lächeln.

Es war ein nettes, charmantes, gewinnendes Lächeln. Kein aufgesetztes und überhebliches Grinsen, wie man es als junge Frau leider auch und gerade hier in Düsseldorf durchaus des Öfteren beobachten konnte, wenn die zahlreichen sich nach außen gerne sehr wohlhabend und erfolgreich gebenden Herren der Schöpfung Wochenende für Wochenende auf plumpe Eroberungstour gingen und sich Frischfleisch für die Nacht suchten. Bei solchen Gestalten wusste man nie, wie viel Schein und wie viel Sein hinter der Fassade steckte. Ich konnte mir nicht genau erklären warum, aber ich hatte den Eindruck, dass das hier anders war, und lächelte zurück. Das war offenbar das Zeichen für ihn, sich an meinem Tisch häuslich einzurichten.

»Ich bin Alex«, sagte er, während er sich setzte.

»Und ich bin Nicki«, sagte ich leicht irritiert. Ich war gespannt, was er mir zu sagen hatte.

So kamen wir das allererste Mal ins Gespräch. Wobei: Die meiste Zeit redete er, und ich kann mich gar nicht mehr im Detail daran erinnern, worüber wir alles sprachen an diesem sonnigen Spätnachmittag, der immer mehr zum Abend wurde. Aber ich weiß noch sehr genau, dass dieser vorlaute Alex ganz und gar keinen Mist redete. Im Gegenteil: Alles, was er erzählte, hatte Hand und Fuß und machte auf mich irgendwie Eindruck. Und das wollte etwas heißen: Ich hielt mich nämlich grundsätzlich für einen schüchternen, zurückhaltenden Menschen, der Unbekannten für gewöhnlich äußerst skeptisch gegenübertrat. Insofern war mir so etwas erst recht noch nie passiert: dass mich ein Fremder einfach von der Seite ansprach und ich mich trotzdem bereits nach einer halben Stunde fühlte, als würden wir uns schon länger kennen. Dieser forsche, attraktive und sehr selbstbewusste Mann war auf eine erfreuliche und zugleich geheimnisvolle Weise interessant. Ich bemerkte gar nicht, wie schnell die Zeit im »Poccino« verging. Dennoch: Nach ein paar Stunden, die wir uns über Gott und die Welt unterhielten und viel lachten, war für mich vollkommen klar, dass ich nun alleine nach Hause ging. Erstens war ich, wie gesagt, übervorsichtig, was Männer im Allgemeinen betraf. Und zweitens wusste man ja trotzdem nie, ob sich hinter der sympathischen Fassade nicht doch ein Wolf im Schafspelz verbarg.

»Wir sehen uns am Freitag«, sagte Alex zum Abschied, und er hatte mich seltsamerweise gar nicht gefragt, ob ich da überhaupt Zeit und Lust auf ein Wiedersehen hatte. Für ihn schien bereits ausgemacht zu sein, dass wir uns zwei Tage später das nächste Mal treffen würden. Ich wusste nicht, ob ich diese Entschlossenheit als Kompliment oder als Unverschämtheit deuten sollte, aber andererseits fühlte ich mich dadurch tatsächlich ein wenig geschmeichelt. Dieser Mann passte in keines meiner Raster, und er hatte recht klare Ansichten von dem, was er wollte. Das zumindest war schon mal unstrittig. Ich fand diesen Alex einigermaßen aufregend, deshalb sagte ich zu – ohne lange zu überlegen und ohne zu wissen, was mich erwarten würde.

Was mich dann am übernächsten Tag tatsächlich erwartete, sprengte meine bisherigen Vorstellungen von einem Date. Meine neue Bekanntschaft hatte nicht vor, mich womöglich am Abend in die Deutsche Oper oder das Schauspielhaus auszuführen, um seine Weltläufigkeit unter Beweis zu stellen. Er hatte auch keinen Bock darauf, mich zu einem romantischen Dinner in einem teuren Lokal einzuladen und hinterher einen Absacker in einer der zahlreichen Szene-Bars zu trinken, um einen auf dicke Hose zu machen. Erst recht nicht wollte er ins Kino gehen wie ein verliebter Teenager, wo gerade die Musicalverfilmung »Mamma Mia« groß abräumte. Er machte also nicht das, was andere Männer für gewöhnlich anstellten, wenn sie eine unbekannte Frau für sich gewinnen wollten. Nein, Alex nahm mich mit in den Düsseldorfer Jachtclub!

Nicht nur, dass ich keinerlei Ahnung von Booten hatte. Bis dahin wusste ich nicht einmal, dass es in Düsseldorf so etwas wie einen Jachtclub gab – wozu auch? Die Stadt lag am Rhein, klar, aber bei dem Begriff »Jachtclub« hatte ich bis dato an azurblaues Wasser gedacht, an den typischen, leicht salzigen Geruch in der Luft, an eine sanfte Brise, an Sonnenuntergänge am fernen Horizont oder an schneeweiße Segelschiffe, die vor einer malerischen Mittelmeerkulisse vor Anker lagen.

Der Jachtclub Düsseldorf e.V. dagegen befand sich, wie ich an besagtem Freitag feststellte, exakt bei Stromkilometer 747 in Golzheim. Das Clubhaus sah rein äußerlich aus wie eine Fabrikantenvilla aus den frühen siebziger Jahren, mit weißem Rauputz, einem braunen Ziegeldach und einem großen Schornstein an der Seite. Nebenan gab es eine kleine Halle für Reparaturen. Im leicht brackigen Flusswasser befanden sich knapp siebzig Liegeplätze, wovon aber nur die Hälfte für halbwegs größere Boote geeignet waren. Das Hafenbecken selbst wirkte in seiner grünen, hügeligen Umgebung ein wenig, als befände sich die gesamte Anlage unmittelbar hinterm Nordseedeich, nur die Schafe fehlten. Nicht, dass wir uns falsch verstehen: Es war idyllisch dort, hatte aber mit der mondänen Ausstrahlung einer vergleichbaren Einrichtung, wie ich sie mir an der Cote d’Azur, der Costa Brava oder wenigstens des Südufers des Gardasees vorstellte, nicht das Geringste zu tun.

»Hier im Hafen liegt mein Schiff«, sagte Alex mit hörbarem Stolz, als wir das Clubhaus betraten und uns unter den mehr als kritischen Blicken der anderen, deutlich betagteren Mitglieder erst mal draußen auf die Terrasse setzten. Während ich versuchte, mir mit Sicht auf Vater Rhein vorzustellen, wo genau hier unten nun ein Hafen sein sollte, bemerkte mein Kavalier, dass uns die meist in weiße Hosen und dunkelblaue Jacketts mit Goldknöpfen gekleideten Hobbykapitäne von oben bis unten musterten – und wohl auch, dass ich mich über die Wahl seines Ausflugsziels für unser erstes Rendezvous wunderte. Seinem Gesichtsausdruck nach schien ihn beides auf jeden Fall sehr zu amüsieren. Und dann begann er zu erzählen, was es mit ihm und diesem ominösen Jachtclub hier auf sich hatte. Auch an diesem Tag war es wieder sonnig und angenehm warm, und mit ein bisschen Fantasie und einem Glas Weißwein konnte ich mir während seiner Ausführungen nach und nach den Deich und das Brackwasser wegdenken. Außerdem waren die Geschichten, die Alex zum Besten gab, wirklich witzig.

So war er zwei Jahre zuvor Mitglied im Yachtclub geworden, was offenbar gar nicht so einfach gewesen war. Man musste schon eine gewisse Reputation hierher mitbringen und wahrscheinlich auch das nötige Kleingeld, aber das sagte er nicht. Immerhin handelte es sich, so erfuhr ich, bei diesem Verein um den zweitältesten seiner Art in Deutschland, und Tradition verpflichtete anscheinend enorm, selbst wenn es nur darum ging, mit einer Nussschale ein bisschen stromauf- und abwärts herumzuschippern. Jedenfalls schien die Aufnahme des angesehenen lokalen Geschäftsmannes Alexander Klein in Düsseldorfs erlauchte Bootsführergesellschaft ein langwieriger Prozess gewesen zu sein: Bei seinem ersten Versuch war er noch mit dem Motorrad vorgefahren, was bei den Club-Oberen ebenso wenig ankam wie die schwere Lederjacke, die er dabei trug. Deshalb hatte er sich beim zweiten Anlauf für den Bentley GT entschieden, den er damals noch in der Garage stehen hatte, und dazu stilgerecht ein dunkles Sakko übergezogen. Beides zusammen machte wohl den gewünschten Eindruck, denn nach einer eingehenden Prüfung seiner Person und einem ernsten Bewerbungsgespräch mit dem Vorstand durfte er beitreten.

Beim nächsten Besuch war jedoch wieder normaler Freizeitlook angesagt, und Alex lief in seiner Lieblingshose auf, die – wie von der Firma Cavalli erdacht – mit zahlreichen Löchern versehen war. Leider kannte sich nicht jeder der Honoratioren mit italienischem Jeans-Design aus, weshalb ihn ein älterer Herr auf der Terrasse ebenso umgehend wie diskret beiseitenahm und ihm anbot, ihm ein paar Euro für ein anständiges Beinkleid zu leihen. Alex kriegte sich vor Lachen kaum ein, als er mir davon berichtete, wie steif es oftmals im Düsseldorfer Yachtclub e.V. zuging, und wenn ich mich so umsah, passte meine neue Bekanntschaft in etwa genauso gut hierher wie die MS Deutschland ins kleine Liegebecken dort unten.

Im Gegensatz zu den weitgehend spaßbefreiten greisen Herren schien sich jedoch die hiesige Damenwelt für den unkonventionellen Neuzugang begeistern zu können – und zwar deutlich mehr, als diesem lieb war: Der, wie sich herausstellte, unverheiratete Single Alex berichtete mir belustigt von den teilweise wenig subtilen Avancen, die ihm die im Schnitt zehn bis dreißig Jahre älteren Bootsbesitzergattinnen beziehungsweise Bootsbesitzerwitwen in den letzten beiden Jahren schon gemacht hatten, unzählige aufgenötigte Küsschen, versteckte Berührungen und andere Aufdringlichkeiten inklusive. Um sich diesem Seniorinnen-Stalking zu entziehen, lud er eines Tages bei jeder seiner Visiten in Golzheim das, wie er sagte, versammelte Düsseldorfer Discoschlampen-Programm ein, mit ihm auf seinem Boot ordentlich Party zu machen. Er hatte gar kein Interesse an den Mädchen, aber die knappen Bikinis seiner jeweiligen Begleiterinnen erzeugten natürlich den gewünschten moralischen Aufruhr auf der Terrasse. Nach einer gewissen Zeit hatte er dann wieder seine Ruhe vor den liebenshungrigen Ladies. Dafür bekam er erneut Ärger mit dem sittlich strengen Vorstand, obwohl die Mitglieder mit den dicksten Bierbäuchen an ihren Decks meiner Beobachtung nach anscheinend die knappsten Badehosen zu tragen schienen.

Nach ein paar weiteren unterhaltsamen Schoten und einem netten Mittagessen im Clubrestaurant folgte der feierliche Höhepunkt dieses Tages – zumindest zelebrierte Alex dies so: Wir gingen hinunter zum Steg, an dem sein Boot vertäut war, auf das er sehr stolz zu sein schien. Ich hatte keine Ahnung, was für eine Art Schiff ich zu erwarten hatte, aber ich war gespannt, denn seine ausführliche Beschreibung eben deutete auf ein echtes Schmuckstück hin. Als wir vor dem Prachtexemplar angekommen waren, stutzte ich einen Augenblick: Mit seinen Ausmaßen machte es nicht gerade den Eindruck, als ob man damit die sieben Weltmeere erobern konnte. Bevor ich etwas dazu sagen durfte, wurde ich umgehend belehrt, dass es sich bei dem Ding um eine Motorjacht vom Typ »Rio Colorado« handelte, Baujahr 1961. Ich musste gestehen, dass ich trotz meiner Unwissenheit und der eher geringen Größe von nur neun Metern dieses Schiffchens halbwegs beeindruckt war. Der Rumpf dieser »Rio« bestand aus einem edlen, dunklen Mahagoniholz, und mit seinen hellen Sportsitzen und den breiten Sonnenliegen besaß es die lässige Eleganz, die mich an die James-Bond-Filme der sechziger und siebziger Jahre erinnerte. Damit ließ sich vielleicht kein zweiwöchiger Urlaub verbringen, aber sicherlich ordentlich Spaß haben!

Auch wenn mich Boote noch nie faszinierten und ich das Wasser bislang am liebsten vom Ufer aus betrachtet habe, fand ich jedenfalls, dass das niedliche Teil hier Stil hatte und irgendwie zu seinem Besitzer passte. In diesem Moment zog mich Alex bereits an Bord und zeigte mir alles, was sein schwimmender Stolz zu bieten hatte. Und das war neben dem Oberdeck mit seinem großen Steuerrad und den vielen mir unbekannten Instrumenten, die auf mich beinahe wirkten, als stammten sie aus einem alten Rolls Royce, nur noch eine winzige Kajüte mit zwei Oberlichtern, in der sich zwei erwachsene Menschen schon sehr klein machen mussten, wenn sie dort Platz finden wollten. Wir ließen uns also auf der erstaunlich bequemen Rückbank nieder und genossen den lauen Abend mit leiser Musik, die plötzlich aus verborgenen Lautsprechern ertönte. Die Szenerie war wirklich romantisch.

Dann küsste er mich plötzlich!

Es war ein regelrechter Überfall, den er dort unten in der räumlichen Begrenztheit dieses sanft in einem Nebenarm des Rheins schaukelnden Kahns auf mich startete. Ich war perplex, aber ich wehrte mich auch nicht wirklich. Nach ein paar Sekunden war die Kussattacke bereits wieder vorbei. Jetzt musste ich mich kurz sammeln.

»Du weißt doch sicher: Auf dem Schiff bestimmt immer der Käpt’n«, sagte Alex zu mir – und sah mich dabei mit einem spitzbübischen Grinsen an.

Einen Augenblick lang überlegte ich, ob ich nun sauer auf ihn sein und einfach wortlos gehen sollte. So etwas gehörte sich nicht – und schon gar nicht, wenn man sich erst so kurze Zeit kannte. Andererseits gab er nun plötzlich wieder ganz den Gentleman und meinte, bereits bei seinem ersten Charme-Angriff im »Poccino« festgestellt zu haben, dass ich keine leichtlebige Tussi war, die sich mal eben im Vorbeigehen erobern ließ. Deshalb entschuldigte er sich für den Kuss und stellte mir für den darauffolgenden Samstag einen gemeinsamen Ausflug mit der »Rio« in Aussicht, bei der er mir als Zugezogener die Schönheit seiner Heimat von der Flussperspektive aus zeigen wollte.

Mein Ärger war verflogen: Immerhin fand ich Alex doch recht spannend – und die Idee, mit ihm den Rhein entlangzuschippern, sehr sympathisch. Darum sagte ich zu. Danach brachte er mich zurück nach Hause, wo ich meine Gedanken erst einmal sortieren musste. Ich überlegte, was da vorhin eigentlich genau passiert war. Vielleicht spielten mir meine Gefühle gerade nur einen gehörigen Streich. Schließlich glaubte ich ganz und gar nicht an so etwas wie Liebe auf den ersten Blick – und normalerweise hätte ich ihm eine geschmiert und wäre umgehend gegangen. Dass ich nach dem Kuss geblieben war, wunderte mich folglich selbst. Nur eines wusste ich bereits zu diesem Zeitpunkt: Dieser Mann wirkte einerseits entschlossen und mutig, war jedoch andererseits ausgesprochen höflich und schien neben seiner Macho-Seele noch eine weiche Seite zu haben. Das machte mich neugierig!

Am nächsten Vormittag holte mich mein stolzer Kapitän wieder von zu Hause ab, und wir fuhren erneut in den Jachtclub. Die Blicke der anderen waren nun nicht mehr ganz so aufdringlich wie gestern, dennoch war ich froh, als wir uns endlich auf dem Boot befanden. Nach ein paar Vorbereitungen ließ Alex die starken V8-Motoren an, stellte sich ans Ruder, und wir starteten unsere Spritztour, die sich zu meinem Bedauern nicht sonderlich verträumt anhörte.

»Wir fahren zum Wendebecken nach Krefeld«, erklärte Alex feierlich, als wir den kleinen Hafen verlassen hatten und uns quasi auf offenem Gewässer befanden.

Ich musste schmunzeln, denn er sagte es so, als würden wir gleich in Kapstadt einlaufen. Tatsächlich jedoch führte unser Weg auf rund 15 verschlungenen Flusskilometern nordwärts vorbei an Stockum und dem Düsseldorfer Messegelände, dem Internationalen Flughafen und der Ilvericher Altrheinschlinge sowie des Naturschutzgebietes Spey bis nach Krefeld-Gellep, wo sich besagtes Becken befand. Nun war der Niederrhein leider nachweislich nicht die Riviera, sondern eine der meist frequentierten Wasserstraßen Europas, was die Angelegenheit für ein verhältnismäßig kleines Oldtimer-Sportboot, wie es die »Rio« von Alex nun mal war, ziemlich gefährlich machte, wie ich zu meinem Leidwesen feststellen musste.

Durch die dauernden Schleifen, durch die sich der Rhein auf seinem beschwerlichen Weg hinauf ins Ruhrgebiet winden musste, entstanden im Wasser immer wieder tückische Strömungen, die die Navigation unseres Bootes enorm erschwerten. Es gab zudem etliche Strudel, in die wir von Zeit zu Zeit hineingerieten, und durch den enormen Berufsverkehr, der stets auf dem Fluss herrschte, und die Wellen, die von den endlos langen Lastschiffen oder den kreuzenden Fähren erzeugt wurden, wurden auch wir immer wieder gehörig durchgeschüttelt auf unserer schmucken Perle, die es meiner Meinung nach vielmehr verdient hatte, dem Sonnenuntergang vor Capri entgegenzusteuern als dem alten Kalksandsteinwerk, das oberhalb des Krefelder Wendebeckens thronte. Alex jedoch genoss diese Herausforderung. Ich merkte ihm an, wie konzentriert er bei der Sache war, trotzdem sah es für mich beinahe spielerisch aus, wie er im unruhigen Wasser ein Menge Treibgut umschiffte – und sogar eine alte, halb verrottete Haustür, die uns im Falle einer Kollision wahrscheinlich den kompletten Propeller abgerissen hätte. Er machte sich offenbar auch nichts aus den Düngemittelherstellern, die kurz vor unserem Ziel die Luft mit dem sehr prägnanten Geruch ihrer Erzeugnisse aus den Exkrementen von Seevögeln bereicherten.

Nach nicht ganz einer Stunde hatten wir es tatsächlich geschafft und erreichten besagtes Wendebecken, das eher einem riesigen Weiher glich und in dem erstaunlicherweise rein gar nichts los war. Ich bemerkte keinen Frachtkahn weit und breit, der hier hätte wenden wollen. Nicht einmal ein anderes Sportboot störte die Ruhe, die auf dem gesamten Gewässer herrschte. Wenn man sich die schroffen Halden und die großen Industrieanlagen, die auf der einen Seite des Beckens lagen, wegdachte und man ein Stück weiter hineinfuhr, wo alles ringsherum grün war und eine Menge Enten und Wildgänse nisteten, dann hatte das Ganze mit viel gutem Willen sogar einen beschaulichen Charakter. Und zwar so beschaulich, dass Alex mich allen Ernstes fragte, ob ich denn mit ihm schwimmen gehen wollte. Doch erstens traute ich mich das nicht, denn man konnte den Grund des Wassers nicht sehen – und wenn ich den Grund nicht erkannte, ging ich auch nicht irgendwo hinein. Und zweitens reichte mein Vorstellungsvermögen dann doch nicht ganz so weit, als dass ich mich in einer Art Badesee wähnte. Stattdessen setzten wir lieber dort an, wo wir am Vortag im feinen Düsseldorfer Yachtclub aufgehört hatten: Wir knutschten einfach weiter!

Ab diesem denkwürdigen Moment in einem kleinen Boot, das schaukelnd in einem Wendebecken nahe der pittoresken Stadt Krefeld im Schatten von miefenden Guanofabriken vor Anker lag, waren wir zusammen. Auch wenn das keiner von uns jemals aussprach. Stattdessen wollte Alex kurz darauf prompt wissen, ob ich mit ihm wegfahren wollte.

»Hast du Bock, mit mir nach Cannes zu kommen?«, fragte er und klang dabei so, als sei es für ihn schon ausgemachte Sache, dass ich mitkommen würde.

Im ersten Moment war ich perplex, denn auch wenn wir uns gerade zum zweiten Mal geküsst hatten, kannte ich ihn ja immer noch gar nicht richtig. Und dann sollte ich gleich mit ihm in den Urlaub fahren? Ich wusste nicht recht, was ich auf sein Angebot hin erwidern sollte, hielt es aber zum jetzigen Zeitpunkt bestimmt nicht für die allerbeste Idee.

»Du, ich habe keine Ahnung, ob ich in der nächsten Zeit frei bekomme«, antwortete ich lediglich.

Allerdings musste ich zugeben, dass mich Cannes tatsächlich sehr interessierte. Ich kannte die Stadt nur aus der alljährlichen Berichterstattung über das berühmte Filmfestival oder aus Erzählungen einiger Bekannter. Nach allem, was man so hörte, schien das dort auf jeden Fall ein schöner Flecken Erde zu sein. Trotzdem war ich erst mal froh, dass Alex das Thema nach diesem so kuriosen wie turbulenten Tag wieder etwas aus den Augen verlor. Man musste ja nichts überstürzen. Wir sollten uns lieber erst mal näher kennenlernen. Und das taten wir dann auch.