Eine zweite Chance - Anette Schaumlöffel - E-Book

Eine zweite Chance E-Book

Anette Schaumlöffel

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Beschreibung

In zweihundert Jahren ist die Erde eingefroren und zwei Raumschiffe verlassen sie. Auf der Long leben die Reichen und Mächtigen, bedient und unterstützt von den besten Köpfen und Könnern. Die Yoda ist ein umgebauter Raumfrachter mit einer Besatzung aus Outlaws, Kindern und Überlebenskünstlern. Ob dieses Schiff den Start unbeschadet übersteht, ist schon fraglich. Ob es den Mars erreicht, wo vielleicht Vorräte und Ersatzteile warten, steht buchstäblich in den Sternen. Was kann da noch eine Künstliche Intelligenz mit Zeitmaschine ausrichten? Oder wird es ihr gelingen, in den Händen zweier Jugendlicher den globalen Zusammenbruch zu verhindern? "Eine zweite Chance" ist ein verwickelter, witziger und spannender Zeitreise-Roman. Neben der Rettung der Erde geht es auch um die Frage, wie wir miteinander leben wollen. Lesenswert für Naturliebhaber, Philosophinnen, Ingenieure und für alle, die schon immer wissen wollten, warum man KIs nicht über den Weg trauen darf.

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Jeremy hat zu viel Kraft, dafür aber keine Perspektive. Jane stehen alle Türen offen, doch scheint hinter keiner etwas Interessantes auf sie zu warten. In der Welt einer deutschen Kleinstadt umkreisen sie einander, ohne zu ahnen, dass sie schon bald in ein unmögliches Abenteuer hineingezogen werden.

Etwas mehr als hundert Jahre in der Zukunft ringt Xenon mit einem Entschluss. Er besitzt die einzige Zeitmaschine der Welt und am liebsten würde er mit ihr in die Vergangenheit reisen, um die Klimakatastrophe abzuwenden. Doch wird sein Können in der Gegenwart gebraucht, damit der Raumfrachter Yoda einen zusammengewürfelten Haufen Überlebender von der unbewohnbaren Erde rettet.

Claire ist die letzte Gärtnerin der Menschheit. Sie sich hat ihren Platz auf der Long, der Raumschiffflotte der Reichen, mit einer traditionsreichen Samenkollektion erkauft. Kühl und abgeklärt würde sie es nie für möglich halten, dass sie sich in einen schrägen Vogel verlieben könnte.

Gegenwart und Zukunft werden verwoben und durcheinandergebracht. Oder ist es vielmehr Ordnung, die durch die verrückten Ideen einer einzigartigen KI wiederhergestellt wird?

1968 in Kassel geboren, wächst Anette Schaumlöffel auf dem Land auf. Ihre Kindheit ist geprägt von Natur, Büchern und einem in der Familie gepflegten Interesse an fast allem.

Während sie zum Brötchenverdienen technische Anleitungen schreibt, verfasst sie in ihrer Freizeit fantastische Romane. Mit Eine zweite Chance legt sie einen Science-Fiction-Roman vor. Sie lebt mit Katze in Köln und schreibt am liebsten in den frühen Morgenstunden.

Für D.

Inhaltsverzeichnis

Prolog

TEIL I

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

TEIL II

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

TEIL III

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Epilog

Prolog

Während ihm dicke Schneeflocken ins Gesicht klatschten, dachte Strange daran, wie ihm vor Jahren der Anwerber diesen Moment seines Lebens geschildert hatte. Da war nicht die Rede gewesen von dem eisigen Blizzard, durch den er sich gerade kämpfte und statt der bewaffneten Wachen, die er schemenhaft vor sich erkennen konnte, waren vage Bilder von jubelnden Menschen ins Spiel gebracht worden. Na ja. Der Sturm hätte ohnehin jeden Jubel unhörbar werden lassen und für Blumengirlanden hatte schon seit Jahren nicht mehr ausreichend Sonne geschienen.

In den letzten Monaten hatte er mehr als einmal daran gezweifelt, dass seine Fahrkarte aus dem Weltuntergang noch gültig war. Natürlich war der Zeitpunkt des Abflugs der Long-Flotte geheim gehalten worden, aber alle waren doch davon ausgegangen, dass er irgendwie rechtzeitig erfolgen würde, bevor alles noch schlimmer wurde. Doch nachdem immer mehr Zeit verstrich, war Strange in einer Recherche auf einen Text über Mi Cheng gestoßen. Mit ein bisschen Nachdenken hatte er dann den magischen Tag herausgefunden und wusste, dass bis dahin die Long-Flotte nicht ohne ihn davonfliegen würde.

Schließlich war er aufgefordert worden, sein Gepäck zur Abholung bereitzustellen und als er dann in der leeren Wohnung saß, hatte er jeden Tag auf weitere Nachrichten gewartet. Womit er nicht gerechnet hatte, war, dass er buchstäblich im letzten Transport eingeteilt war. Vielleicht ein kleines Signal von oben, dass nichts im Leben als sicher betrachtet werden sollte. Nun – wer wüsste das besser als er?

Seine verfrorene Erscheinung spiegelte sich in der Schutzbrille der Wache. Der Vermummte nickte nur kurz, dann winkte er ihn in das Gebäude hinter sich. Die Tür öffnete sich mit einem Zischen und Schnarren, das selbst den Sturm übertönte und ließ Strange in den Vorraum ein. Hier standen zwei weitere Wachen, die ihm müde entgegensahen.

Strange überkam ein unbehagliches Gefühl, als er hörte, wie hinter ihm die Tür geschlossen wurde. Die Wachen von draußen waren direkt hinter ihm in den kleinen Raum getreten und es drängten sich nun mit ihm sieben Menschen in dem nüchternen Einstiegsflur. Die fünf Männer in den eisverkrusteten Overalls kümmerten sich nicht um ihn, was Strange erleichterte – es war schon lange her, dass er sich in einem Raum mit einer Überzahl unbekannter Männer nicht bedroht gefühlt hatte. Sie nickten den beiden diensthabenden Aufzugsmännern nur kurz zu und verschwanden dann durch die einzig andere Tür des Raumes.

„Verehrter Herr!“

Strange zuckte zusammen bei der ehrerbietigen Anrede. Dann drehte er sich um und blickte in das nichtssagende Lächeln des Uniformierten, der darauf wartete, seinen Job erledigen zu können.

„Bitte, verehrter Herr!“ Der Mann wies auf die ID-Einheit.

Strange nickte, rupfte sich die Handschuhe von den Händen und zog die Kapuze nach hinten von seinem Kopf. Er legte beide Hände auf die dafür vorgesehenen Flächen und blickte starr geradeaus. Kaum war er in Position, bohrte sich auch schon das Licht der Analyseeinheit in seinen Sehnerv. Zwei von drei Lichtern wechselten von Rot auf Grün.

„Darf ich?“ Mit der obligatorischen Frage beugte sich der Mann vor und zupfte Strange gekonnt ein Haar vom Kopf. Dies verschwand in einer Schale und nur wenige Sekunden später wurde Stranges Identität von drei grünen Lämpchen bestätigt. Es dauerte deutlich länger, bis Stranges Adrenalinschub verschwand.

Seit sich ein armer Teufel mit einer gefälschten Haarprobe Zugang zu einem gesicherten Bereich verschafft hatte, den anschließend die in seinen Eingeweiden versteckte Bombe in die Luft gesprengt hatte, war es Vorschrift, dass die Haarprobe eigenhändig durch das Wachpersonal vom Körper des zu identifizierenden Individuums entfernt werden musste. Strange konnte weder dem Attentäter seine Tat verübeln, noch den Wachleuten ihren Übergriff auf sein Haupt, aber er hasste es von Herzen und musste sich jedes Mal intensiv zusammenreißen.

Sein Handgepäck war bereits durchleuchtet worden und die Leibesvisitation wurde von dem zweiten Uniformierten durchgeführt. Schließlich deutete sein Kollege auf den Anhänger in Form einer fast handtellergroßen Linse aus gebürstetem Silber, die Strange an einem Lederband um den Hals trug.

„Ein sentimentales Andenken“, sagte Strange und fügte hinzu: „an meinen Großvater.“

Der Uniformierte nickte desinteressiert, aber da die Sensoren für Sprengstoffe nichts gemeldet hatten, wendete er sich den Taschen von Stranges Anorak zu.

Schließlich war alles durchsucht und für unauffällig befunden. Strange fand sich vor der nächsten Tür, ein abgegriffenes, in Folie eingeschweißtes Blatt in der Hand. Verwundert schaute er auf die winzigen Buchstaben, die in langen Kolonnen sämtliche Schriften der Menschheit zu enthalten schienen. Er brauchte eine Weile, bis er seine Sprache gefunden hatte und dann las er:

„Bitte gehen Sie weiter zu unserem medizinischen Personal, das Ihre Reisetauglichkeit sicherstellen wird.“

Zögernd hielt er inne, drehte sich um und streckte das Papier den beiden Uniformierten hin, die ihn ungeduldig anstarrten. Als sie sahen, dass er das Informationsblatt zurückgeben wollte, winkten sie ab und machten ihm mit Handwedeln und Nicken klar, dass er nun endlich durch die Tür verschwinden sollte.

Auf dem Weg zu dem kleinen Untersuchungsraum rutschte er beinahe aus. Das schmelzende Eis von den Overalls der Wachleute hatte den glatten Untergrund schlüpfrig gemacht. Aus dem MedRaum ertönte das Klappern und Klacken von Schubladen und als Strange in den Türrahmen trat, erschreckte er einen weißbekittelten alten Mann, der gerade dabei war, den Inhalt einer Box in eine Reisetasche zu kippen.

Als Geste des Friedens hielt Strange ihm das Blatt hin und höflich nahm der Arzt es an und ließ es in den Papierkorb segeln.

„Sie sind der Letzte“, erklärte er und winkte Strange hinüber zu der Untersuchungsliege.

Während Strange sich die dicke Jacke auszog und seinen Oberkörper in dem kalten Raum entblößte, schauten die Uniformierten hinein, die ihn kontrolliert hatten. Der Mediziner zeigte mit dem Finger auf eine Schale, in der zwei Pillen lagen, dann wandte er sich wieder Strange zu.

„Kommen Sie auch mit?“, fragte Strange den alten Mann.

„Nein“, sagte der und setzte Strange die Diagnoseeinheit an die Halsbeuge. „Ich werde hier nachher die Tür abschließen und dann zu meinen Enkeln gehen. Immerhin habe ich für die letzten Tage der Menschheit genug Beruhigungsmittel in dieser Tasche.“ Er lachte ohne Fröhlichkeit und studierte die halbtransparente Anzeige, die von der Diagnoseeinheit abstrahlte.

„Oh.“ Strange fühlte sich mit einem Mal sehr unwohl. Er war davon ausgegangen, dass alle Mitarbeiter Mi Chengs auch mit auf die Reise in die Zukunft gehen durften. Der Arzt entfernte das Gerät von Stranges Haut und legte ihm eine Pille in die Hand.

„Ich wollte nicht mit“, sagte er dann. „Meinen Enkeln hätte ich es gern ermöglicht, aber ich wollte nicht. Ich habe es nicht verdient, denke ich. Außerdem wurde mir schon in Flugzeugen immer schlecht, von so einem Aufzug ins All mal ganz zu schweigen – nein danke!“

Noch ein unfrohes Lächeln. Immerhin versuchte er es, dachte Strange und merkte, wie die Traurigkeit des alten Mannes in ihn hineinkroch.

„So“, sagte dieser. „Ziehen Sie sich an. Dann gehen Sie in den Flur, durch die Tür rechts und am Ende steigen Sie die Leiter hoch bis zur Kabine 3. Da legen Sie sich rein – Sie neigen doch nicht zur Klaustrophobie? Dagegen kann ich Ihnen auch was geben, wenn Sie wollen.“

Strange schüttelte den Kopf.

„Gut.“ Der Arzt schlug Strange leicht auf die Schulter, dann wandte er sich ab und zog eine weitere Schublade aus dem Schränkchen hinter ihm.

„Machen Sie es sich darin gemütlich und nehmen Sie die Pille. Wasser werden Sie in der Kabine finden. Guten Schlaf dann und gute Fahrt.“

„Danke“, sagte Strange und zögerte. Dann hielt er dem alten Mann seinen Anorak hin.

„Können Sie den gebrauchen?“, fragte er.

„Klar! Lassen Sie ihn hier liegen, ich packe ihn nachher ein.“

„Alles Gute!“, sagte Strange und hätte sich am liebsten auf die Zunge gebissen, so verlogen kam es ihm vor.

„Ja“, der Alte nickte. „Ihnen wünsche ich das auch.“ Dann lächelte er, ein letztes Mal und dieses Mal funkelte das Lächeln auch kurz in seinen Augen.

TEIL I

Kapitel 1

„Kannst du nicht mal mit anpacken?“ Bor hievte eine schwere Kiste um Xenon herum, der neben der Eingangstür des Lagerraums stand, das Pad in der Hand. Xenon reagierte nicht, runzelte nur die Stirn und vergrößerte etwas auf seinem Pad, um es dann konzentriert anzustarren. Bor verstaute die Kiste und ging, die nächste zu holen. Als er einen Blick auf das Pad warf, stoppte er.

„Bist du immer noch bei deiner bescheuerten Idee?“

„Hm?“, Xenon blickte abwesend in das wütende Gesicht seines Bruders.

„Wir haben doch tausendmal durchgekaut, dass das nichts bringt!“

Xenon zuckte nur die Achseln.

„Ich bin immer noch davon überzeugt, dass es möglich ist“, sagte er leise.

„Hör mal, Kleiner!“ Bor baute sich zur vollen Große-Bruder-Position auf. Allerdings sah das in seinem Fall so aus, dass er zwar mit seinen einundvierzig Jahren fünf Jahre älter, aber locker einen halben Kopf kleiner als Xenon war. Was er an Höhe nicht erreichte, versuchte er, durch die Breite seiner kampfgestählten Schultern wettzumachen.

„Es ist doch logisch: Wenn du etwas in die Vergangenheit schicken könntest, was verhindert, dass wir jetzt mit diesem Lumpensammler hier die Erde verlassen müssen, dann wären wir jetzt nicht hier. Also lass es einfach und hilf uns lieber, die letzten Vorräte an Bord zu holen, damit wir rechtzeitig hier wegkommen, bevor die Halteklammern zu stark vereist sind.“

Xenon schüttelte den Kopf und senkte den Blick wieder auf das Pad.

„Wir werden es nie erfahren“, sagte er leise, „aber wenn ich das jetzt mache, vielleicht gibt es dann eine zweite Chance. Nicht für uns. Aber möglicherweise in einem zweiten Verlauf der Geschichte, der sich abspaltet, sobald etwas in der Vergangenheit anders läuft. Ich muss es versuchen, Bor, versteh das doch.“

Bor starrte seinen jüngeren Bruder an. Er sah das Feuer in den grünen Augen, die in dem hageren Gesicht brannten. Seufzend ging er durch die Tür.

„Okay, mach dein Ding. Aber geh irgendwohin, wo du nicht im Weg stehst, während wir anderen versuchen, für unser Überleben zu sorgen.“

„Danke Bor!“ Xenon berührte die Schulter seines Bruders im Vorbeigehen, schaudernd spürte er die Knochen, die so dicht unter der Haut lagen.

Die Entbehrungen der letzten Monate hatten selbst am Muskelpanzer des Älteren gezehrt.

Bor verschwand in dem Gang, der nach draußen führte und Xenon wandte sich nach rechts. In der Messe würde am wenigsten los sein. Die Zeit war knapp, wenn er sein Zeitmodul auf die Reise schicken wollte, solange die Fernsteuerung noch das Kraftwerk erreichte. Auf dem Weg berührte er die Kabelstränge in den Wänden. Er erinnerte sich an jeden einzelnen, schließlich hatten sie mit eigenen Händen den aufgegebenen Raumfrachter zu einem Passagierschiff umgebaut. Er, Bor und Tantal hatten damit vor einem halben Jahr angefangen, ungefähr zu dem Zeitpunkt, als die Versteigerung der letzten Passagen auf der Long wie ein finales Aufbäumen durch die verbliebenen Nachrichtenkanäle fegte. Die Funkbake hatten sie als erstes in Betrieb genommen, um weitere Wahnsinnige und Reisewillige in die öde, windgepeitschte Steppe zu rufen. Nach ein paar Wochen waren die ersten gekommen, nach einer Weile dann jeden Tag mindestens einer, später kamen immer häufiger auch kleinere Grüppchen. Zum Glück hatten sie nur wenige davonschicken müssen, die Bors und Tantals Psychopathentest nicht bestanden hatten. Es war ein Wettlauf gegen die Zeit, in der die Erde immer weiter abkühlte. In den letzten zwei Wochen hatte es keine Neuankömmlinge mehr gegeben und sie hofften, dass niemand mehr auf dem Weg war, denn heute würden sie die Erde verlassen – sofern die Yoda es schaffen würde.

Ursprünglich wollten sie die Yoda „Arche“ nennen, aber viele Tiere hatten sie nicht mehr finden können und es hatte ihnen auch die Zeit und Energie gefehlt, nach ihnen Ausschau zu halten. Inzwischen war das auch ganz gut so, die Menschen füllten die Yoda schon bis in den letzten Winkel und zusammen mit allem, was sie zum Überleben brauchen würden, platzte das Raumschiff aus allen Nähten. Ein paar Mäuse und Spinnen hatten es sich bestimmt schon vor dem großen Winter in den Winkeln des verlassenen Rohbaus gemütlich gemacht und der ein oder andere hatte sein Haustier mitgebracht. Wenn sie erst einmal unterwegs waren, konnte man ja eine Bestandsaufnahme durchführen, sie würden dann mehr als genug Zeit haben.

In der Messe brannte nur die Notbeleuchtung. Als Xenon den Raum betrat, dessen zusammengewürfelte Tische und Stühle am Boden festgenietet waren – all das in der Hoffnung, es würde ihnen auf ihrer Reise gelingen, eine künstliche Schwerkraft zu etablieren – brauchte er einen Moment, um die Kinder zu sehen. Ihre blassen Gesichter leuchteten im Dunkeln und sie schauten ihn mit ängstlichen Augen an. Bor hatte gestern in seiner unnachahmlichen Art verkündet, dass jeder, der nicht ab Mitternacht an Bord war, zurückgelassen werden würde. Offenbar hatten die Kinder ihn ernst genommen und sich hier verschanzt, damit keiner sie hinauswerfen könnte. Viele – zu viele – waren ohne Erwachsene gekommen und die Schrecken der Zeit hatten tiefe Spuren in ihren Seelen hinterlassen.

Xenon war ihre versteinerte Stille im Moment recht. Er nickte ihnen kurz zu und setzte sich dann an einen Tisch auf der anderen Seite des Raums. Wenig später war er so in seine Arbeit vertieft, dass er nicht bemerkte, wie die Kinder sich leise um ihn scharten.

Der Pausengong ließ Jane hochfahren. Die letzte halbe Stunde des Deutschunterrichts hatte sie dazu genutzt, in dem Buch zu lesen, das sie gerade durchnahmen. Das half ihr, über die dumpfen und langweiligen Beiträge der anderen hinwegzuhören. Sie würde nie verstehen, warum so viele Schüler Deutsch als Leistungskurs wählten, obwohl sie nicht die Bohne an Literatur interessiert waren. Die erste Viertelstunde war sie in der Regel noch aufmerksam und beteiligte sich. Sobald aber Frau Helmut sie anlächelte und dann sagte „Jetzt mal jemand anders!“, tauchte Jane ab. Wenn sie unter der Bank las, quälte es sie nicht, wie uninspiriert die anderen ihre Vermutungen stammelten, während sie selbst doch schon genau wusste, worauf die Lehrerin abzielte.

Schnell packte sie ihre Sachen zusammen, warf sich die Jacke über und verließ den Klassenraum. Fünf-Minuten-Pause – wenn sie sich beeilte, konnte sie noch eine Zigarette rauchen. Töpfer kam meistens zu spät zu seiner Stunde und außerdem hatte sie bei ihm einen Stein im Brett. Während sie die Treppe herunterging, drehte sie ihre Zigarette und steuerte nach draußen. An der hintersten Ecke des Schulhofs stand eine kleine Gruppe von Bäumen, hier trafen sich – vom Hausmeister geduldet, solange man keine Kippen hinterließ – die Raucher. Mist! Sie hatte ihr Feuerzeug in der letzten großen Pause Georg geliehen, der sich mit einem Joint über den Rest des Schultages zu helfen gedachte. Aber irgendwer würde schon da sein.

Als sie zwischen die Bäume trat, war jemand da. Jeremy – oder crazy Jerry, wie sein inoffizieller Name lautete. Sie hatte gar nicht gewusst, dass er rauchte. War er nicht so ein Supersportler, irgendetwas wie Leistungsschwimmer? Egal. Er hielt eine brennende Zigarette in der Hand, also ging Jane auf ihn zu.

„Hey!“, sagte sie und überrascht schaute er sie an.

„Hast du Feuer?“, fragte sie.

„Klar“, sagte er und griff in seine Tasche. Sie nahm das Feuerzeug, zündete die Zigarette an und gab es ihm zurück.

„Danke.“

„Gern geschehen“, sagte er und lächelte sie an. Seine dunklen Augen blickten sie einen Moment sehr intensiv und mit überraschender Freundlichkeit an, zum ersten Mal bemerkte sie die Sommersprossen auf seiner Nase. Dann verschloss sich sein Gesichtsausdruck wieder, er steckte das Feuerzeug ein, drückte die Zigarette an der Baumrinde aus und ging.

Jane zog an der Zigarette und sah ihm hinterher. Seine kupferroten Haare hatte er in einem Zopf am Hinterkopf gefasst, der bis auf seinen Rücken herunterreichte, die Seiten und der Nacken waren kurz rasiert. Über den schweren Schnürstiefeln trug er eine Bundeswehrhose, darüber ein T-Shirt mit den Tourdaten einer Band, die sie nicht kannte. Sein Gang hatte etwas gleichermaßen Kraftvolles und Leichtes. Sie hatte gehört, dass er öfter in Schlägereien geriet und in der Regel unversehrt daraus hervorging, egal wie viele er gegen sich hatte – daher das crazy. Sein Bruder hatte vor zwei Jahren Abi gemacht, ein blasser, langweiliger Typ, so jemand, dessen Gesicht man sich einfach nicht merken konnte und der einen zu Tode langweilte, wenn das Gespräch auf Musik kam. Jeremy war der jüngste Bruder von dreien und beschränkte seine Bildungskarriere auf die benachbarte Hauptschule. Sein Lächeln unter den grimmigen Brauen hatte Jane heute zum ersten Mal gesehen und die Wärme darin hatte sie berührt.

Der Gong. Noch ein Zug an der Zigarette, dann drückte auch Jane sie an der Rinde des Baumes aus, fügte den vielen schwarzen Flecken einen weiteren hinzu. Am anderen Ende des Schulhofs sah sie Töpfer mit schwerer Ledertasche auf die Eingangstür zueilen. Es war also Zeit.

Jeremy stieg auf sein Fahrrad und fuhr los. In anderthalb Stunden hatte er Training und er wollte vorher noch zu Hause essen. Er schlängelte sich seinen Weg durch die anderen Schüler, die mit ihm die Schule verließen und war froh, als er auf der Straße kräftig in die Pedale treten konnte. In den Ohren hatte er Kopfhörer und die Musik füllte ihn bis zum Rand, Lieder, die er Wort für Wort mitsingen könnte – nicht, dass er jemals laut gesungen hätte, wenn er nicht gerade vor der Bühne im Konzert mitsang, wo seine Stimme einfloss und unterging in dem großen Erlebnis. Die Straße war ein langweiliger Film zu einem Soundtrack, der die Sprache seines Herzens ausbuchstabierte.

Eine rote Ampel zwang ihn zum Warten. Er konnte es kaum fassen, wie bescheuert er sich benommen hatte. Jane hatte ihn um Feuer gebeten und er war direkt danach wortlos abgehauen wie ein verknalltes Mädchen. Er sah ihre wachen Augen vor sich, die direkt in seine schauten, zum ersten Mal. Irgendetwas hatte sie überrascht, aber er war nicht lange genug geblieben, um herauszufinden, was das gewesen war.

Grün. Er legte einen rasanten Start hin, ließ das Auto hinter sich, das neben ihm gewartet hatte. Was sollte das schon gewesen sein? Es hatte sicher nichts mit ihm zu tun. Vielleicht war sie einfach überrascht gewesen, dass er rauchte, bekloppt genug war es ja für jemanden, der um einen Platz an der nationalen Spitze schwamm. Die Liebe zu dem Mädchen, wegen dem er angefangen hatte, war längst vergessen, die Küsse, bei denen er den kalten Rauch in ihrem Mund nicht mehr schmecken wollte, waren es auch nicht wert gewesen. Aber es war ihm egal, so wie ihm eigentlich fast alles egal war.

Jane hatte ihm in die Augen geschaut!

Er erinnerte sich daran, wie er sie im Club gesehen hatte. Sein ältester Bruder Robert hatte ihn an seinem sechzehnten Geburtstag mitgenommen und dort hatte er sie auf der Tanzfläche gesehen. Unter den anderen Tänzern, die mit ihren Freunden eine Show abzogen, sich gegenseitig zeigten, wie gut sie drauf waren und sich dabei mit dem Handy fotografierten, hatte sie gewirkt wie eine Außerirdische. Ihre Augen waren ins Nichts gerichtet, ihr Lächeln galt nicht dem nächstbesten Angeber neben ihr, sondern der Musik und sie bewegte sich ohne die tollen Moves, die jeder Depp sich aus irgendeinem Konsolenspiel abgeschaut hatte. Sie bewegte sich, als ließe sie die Musik einfach durch sich hindurchströmen, als gäbe sie den Tönen und den Rhythmen ihren Körper zum Spielen. Er hatte dagestanden, am Rand der Tanzfläche, mit dem Bier in der Hand, ihren etwas zu schlanken Körper betrachtet und sich gewünscht, er wäre ein anderer. Klüger. Älter. Besser. Nicht so ein verkackter böser Junge, der den einzigen Stolz aus seinem Körper zog, der immer das machte, was er von ihm verlangte.

Als sie schließlich die Tanzfläche verließ, war er zur Bar gegangen und hatte sich zum ersten Mal so sehr betrunken, dass er nicht mehr wusste, wie er nach Hause gekommen war. Dem Zustand seiner Hände nach zu schließen, hatte er irgendeine Rolle in einer Schlägerei gespielt, an die er sich nicht mehr erinnerte und auch Robert wusste nichts davon. Der hatte ihn schlafend auf der Bank im angrenzenden Park gefunden, als er aufbrechen wollte.

Zuhause. Jeremy sprang vom Rad und schob es durch den Hausflur in den Hinterhof. Wenn er Glück hatte, war seine Mutter gerade mit den beiden Hunden unterwegs. Er hatte nur wenig Lust, sich beim Essen ihr Gejammer anzuhören.

„Was machst du da?“

Xenon bezog diese Frage nicht auf sich. Er checkte gerade die Funktionsbereitschaft des Zeitmoduls. Bevor die Lage sich so zugespitzt hatte, dass er mit seinen Geschwistern begann, die Yoda umzubauen, hatte er vergeblich versucht, sie zu einem Versuch mit der Erfindung seines Großvaters zu überreden.

Er hatte mit Bor und Tantal in der Vergangenheit das Ereignis suchen wollen, dessen Veränderung das Ruder herumreißen würde. Aber wenn auch Tantal zumindest der Idee der Zeitreise offen gegenüberstand, hatte Bor den Vorschlag sofort abgeschmettert. Tantal hatte dann mit der Yoda begonnen und da war auch Bor mit von der Partie. Xenon half selbstverständlich, wo immer er konnte, ohne seinen ursprünglichen Plan aufzugeben. Als jedoch der Zeitpunkt der Fertigstellung immer näher rückte, gab es noch immer niemanden, der ihn auf der Yoda ersetzen konnte.

Sie brauchten ihn – Bor und Tantal und die anderen, die sich mit ihnen auf die Flucht vor dem Ende begaben. Selbst mit ihm waren ihre Chancen verschwindend gering, von der Erde loszukommen oder auch nur den ersten Monat da draußen zu überleben. Ohne ihn brauchten sie es gar nicht zu versuchen mit diesem alten Schätzchen an Raumschiff, das ihnen vielleicht schon beim Start um die Ohren fliegen würde.

Der cleverste Bruchteil der oberen Zehntausend, einige Superreiche mit ihren Familien, hatte sich schon vor ein paar Monaten mit der Long abgesetzt. Ihr vortrefflicher Führer Mi Cheng hatte die brillantesten Wissenschaftler gekauft – nicht zuletzt dadurch, dass er ihnen einen Platz bei seinem Exodus anbot – und das Ganze dann noch mit einer feinen und schlagkräftigen Privatarmee abgerundet.

Ihn hatte niemand anzuwerben versucht. Hacker hatten einfach keinen guten Ruf in der besseren Gesellschaft, zu stark war ihre Leidenschaft mit dem Drang nach Transparenz verbunden. Und sie galten als unberechenbar. Vielleicht hätte er mitgemacht, seine Geschwister eingepackt und die sterbende Erde ohne Abschiedsgruß hinter sich gelassen. Aber es war unwahrscheinlich, sein Gewissen hatte noch nie eine sonderliche Flexibilität aufgewiesen.

Als bekannt wurde, dass sich die Führer und Vorbilder ihrer gierigen Art aus dem Staub machen wollten, war er in ihre Rechner eingedrungen. Natürlich hatten sie die Daten geschützt, sogar ziemlich gut – sie hatten also mindestens einen Hacker in ihre Dienste genommen. Aber ein paar Informationen hatte er abfischen können, bevor er rausgeworfen wurde. Ihre Raumflotte steuerte auf den Mars zu, zu dem sie schon seit Jahrzehnten kontinuierlich riesige Mengen an Material versendet hatten. Auch der Raumfrachter, der nun die Yoda war, hatte einer solchen Frachtreise dienen sollen, doch wurde er erst fertiggestellt, als der Aufzug ins All diese aufwändige Art des Lastentransportes überflüssig gemacht hatte.

„Nach mir die Sintflut!“ Xenon hatte sich immer vorgestellt, dass dieses Bekenntnis die Schreibtische der großen Bosse in Wirtschaft und Politik zierte. Und die Sintflut war gekommen. Es war gewesen, als hätte der Patient Erde die Nase voll und produzierte ein derart multiples Organversagen, dass niemand auch nur auf die Idee kam, ihn noch einmal an die Lebenserhaltung anzuschließen. Das Aussterben der Bienen, Überflutungen und Unwetter auf der einen, Dürren auf der anderen Seite, eine magere Ernte der einst genetisch optimierten Pflanzen nach der anderen fiel Schimmelsporen oder Insektenschwärmen zum Opfer. Die ebenfalls genetisch optimierten Tiere zur Fleischerzeugung starben an Seuchen mit einem Hang zur Speziesüberschreitung, nicht ohne diese zuvor noch an ihre Schlächter weiterzugeben.

In einem verzweifelten Versuch hatten sich die übrig gebliebenen Völker der verarmten und verwüsteten Landregionen gegen die globale Techno-Elite erhoben und Lösungen gefordert. Der bis dahin immer wieder aufgeschobene Notfallplan, die Erdatmosphäre durch das temporäre Einbringen von Staub abzukühlen, schien dann auch zu Beginn gut zu funktionieren. Leider versäumte es dieser Staub jedoch, sich zum geplanten Zeitpunkt aufzulösen – die Wechselwirkung mit neueren Schadstoffen in der Luft war wohl im Voraus nicht ausreichend abgeklärt worden. Und anstatt sich lediglich wieder die Polkappen und ein paar Gletscher zuzulegen, zog sich der blaue Planet ein Kleid aus Schnee an und besiegelte damit das Schicksal des Lebens auf ihm.

Ironischerweise verließen sie nun eine Erde, die immer noch Öl und Gas in ihrem Schoß barg, jene Vorräte, deren Knappheit schon seit dem vorvorigen Jahrhundert beschworen wurde, während all das, was jedes Jahr aufs Neue zu grünen und blühen und wachsen hatte, dahin war. Die letzten Menschen hatten die letzten Tiere aufgegessen, die letzten toten Halme zitterten mit Eiskristallen verziert im Wind und die Erde war, wie sie angeblich am Anfang gewesen war: wüst und leer.

„Was machst du da?“

Diesmal war die Frage mit einem vorsichtigen Zupfen an seinem Ärmel verbunden. Xenon blinzelte und schaute in die Richtung des Fragers. Es war ein … er konnte nicht entscheiden, ob es ein Mädchen oder ein Junge war, das Kind trug zu seinem blassen Gesicht mit dunklen Augen lange blonde Haare, die von einem breiten Band aus der Stirn gehalten wurde.

„Wer will das wissen?“

„Wir alle“, sagte das Kind und sendete ein vorsichtiges Lächeln zu dem Erwachsenen.

„Wie heißt du?“ Xenon lächelte zurück.

„Jonel ist mein Name, ich bin zehn Jahre alt und seit zwei Wochen hier.“ Das Lächeln wurde verschmitzt. Irgendwie konnte noch nicht einmal der Weltuntergang diesem Kind die gute Laune verderben.

Xenon nickte mit dem Kopf.

„Angenehm, dich kennenzulernen. Ich bin Xenon.“

„Wir wissen, wer du bist!“, krähte es hinter seiner Schulter. Xenon wendete den Kopf und jetzt erst sah er, dass er von allen Kindern umringt war. Er lächelte.

„Na dann ...“

„Aber wir wissen nicht, was du gerade machst“, sagte Jonel und verrenkte den Hals, um einen besseren Blick auf das Pad zu bekommen.

Jeremy saß wieder auf seinem Fahrrad. Nach dem Training fühlte er sich angenehm leer und er fuhr ohne einen Umweg über zu Hause direkt zum Café Hübchen. Seit das Zeitungsaustragen in der festen Hand von Rentnern war, hatte er dort in der Woche die zweite Nachmittagsschicht übernommen. Weil er noch zur Schule ging, durfte er nur zwei Stunden am Tag arbeiten, deswegen hatten sie ihn in die Küche gesteckt, wo er reinigte, spülte, Kisten schleppte und ab und an Gemüse putzen musste. André, der Besitzer des Cafés, kannte Jeremys großen Bruder Robert und als letzten Karneval die Spülhilfe ausgefallen war, hatte der Jeremy ins Spiel gebracht.

Trotz seiner Jugend machte Jeremy das Arbeiten nichts aus. Es gab ihm etwas zu tun, brachte Geld und lieferte einen Grund, nicht zu Hause zu sein. Nachdem er eine Gruppe randalierender Gäste davon abgehalten hatte, die Theke zu zerlegen, hatte ihm André versprochen, ihn bis zum nächsten Karneval im Service anzulernen. Seine Anwesenheit würde die Gäste von Unsinn abschrecken, die den Ruf von crazy Jerry kannten – und die anderen konnten ihn ja kennenlernen, falls ihnen der Sinn danach stand, sich daneben zu benehmen.

Er schob das Fahrrad durch die Garageneinfahrt des Nachbarhauses zum Hinterhof – noch hatte er nicht genug Geld beisammen, um sich ein neues zu kaufen, also ging er lieber auf Nummer sicher. In der Küche war es ruhig, vorne im Hübchen saßen nicht mal vier Gäste und Bobby, der Koch, studierte am Tisch die Zeitung. Er schaute auf, als Jeremy sein Buch auf den Tisch legte.

„Willste was essen?“, fragte er.

„Klar“, sagte Jeremy und setzte sich. Beim Mittagessen hatte er sich zurückgehalten, es schwamm sich nicht gut mit zu vollem Bauch und jetzt verlangte sein Körper nach Kohlenhydraten.

„Was haste?“

„Ich kann dir ein Ciabatta machen.“

„Mit allem?“

„Na sicher.“

Wenig später saßen sie beide am Küchentisch und lasen, während Jeremy sein Ciabatta verzehrte. Eine halbe Stunde später kamen neue Gäste, die essen wollten und der Laden brummte erst, als Jeremys Schicht zu Ende war. Emma, die Abendschicht, kam und Jeremy packte sein Buch ein und verabschiedete sich. Als er sein Fahrrad aus der Garageneinfahrt schob, sah er Jane auf dem Fahrrad vorbeifahren. Sie bemerkte ihn nicht.

Jeremy pfropfte sich die Ohrstöpsel ein, drehte die Musik auf volle Lautstärke und fuhr los. In die Szenerie der Kleinstadt, die an ihm vorbeiflog, mogelten sich Bilder ein. Unter Bäumen, am nahegelegenen Fluss, sah er sich gemeinsam mit Jane auf einer Bank sitzen. Sie waren nah beieinander, Reden war nicht nötig, das erledigte die Musik, die sie gemeinsam hörten. Statt direkt nach Hause zu fahren, bog er ab in Richtung Fluss, um dort seinen Traum noch ein bisschen zu genießen, bevor die Realität ihn wieder einholte.

Jane war auf dem Weg zu ihrer Nachhilfeschülerin Michaele. Die wohnte in der schönen Villa ihrer Ärzte-Eltern, hatte nur leider das Erinnerungsvermögen eines Goldfischs, wenn es um Biologie ging. Jane konnte die Proteinbiosynthese inzwischen im Schlaf herunterbeten, so oft hatte sie Michaele diesen Vorgang schon erklärt. Mit Zeichnungen, ohne Zeichnungen, in kleinen Häppchen, im Ganzen. Aber es war, als würde sich Michaeles Gehirn weigern, diesem Modell einen dauerhaften Platz zu gewähren.

Wirklich schlimm war das nicht. Michaele, nur zwei Jahre jünger als Jane, war nett, lebhaft und unterhaltsam. Und die Eltern zahlten gut. Immerhin hatten die Stunden mit Jane die Biologienote ihre Tochter schon von 5 auf 3 angehoben. Morgen war eine Klassenarbeit angesetzt, da hieß es noch mal Druckbetankung, irgendetwas würde schon hängen bleiben. Und für Jane war diese Wiederholung die perfekte Vorbereitung auf das Abitur. Alles, was sie jemand anderem erklärte, blieb bei ihr umso besser hängen.

Michaele öffnete die Tür, mit einem Pinsel in der Hand und ihrem üblichen schiefen Lächeln, das ihrem Puttengesicht etwas halb Entschuldigendes, halb Verschmitztes verlieh.

„Hallo Jane“, sagte sie und umarmte ihre Nachhilfelehrerin.

„Ich bin gleich soweit.“

Jane folgte ihr durch das große Haus in das geräumige, helle Zimmer, das Michaele bewohnte und mit ihren vielfältigen Projekten ausfüllte. Auf dem Boden vor der Glastür zum Garten waren Aquarelle ausgebreitet, Blumen, in den zarten Farben und schnörkelig runden Formen, die Michaele so liebte. Michaele hockte sich vor eines der Blätter, tunkte den Pinsel in klares Wasser, ließ ihn sich vollsaugen und tippte dann die Spitze in eine Pfütze intensiven Rots, das sich in der Kuhle des Farbquaders angesammelt hatte. Damit fuhr sie in weichen, sicheren Kurven über das Blatt, auf dem eine Rosenblüte mit sanften Farbverläufen entstand.

„So, fertig“, sagte sie, lächelte und stand auf, um den Pinsel auszuwaschen.

Jane bewunderte die Bilder, die ganz klar zeigten, wo Michaeles Talente wirklich lagen. Als Michaele mit dem blauen Biologiebuch unterm Arm wiederkam, zog auch Jane ihre Unterlagen aus der Tasche.

„Dann wollen wir mal.“

Nach anderthalb Stunden zähen Wiederkäuens saßen sie auf der Bank vor Michaeles Gartentür. Schon wieder hatte Jane kein Feuer, aber Michaele hatte Streichhölzer parat. Da fiel Jane das Zusammentreffen mit Jeremy ein.

„Wusstest du schon, dass crazy Jerry raucht?“, fragte sie Michaele, die mit Jeremy in einer Grundschulklasse gewesen war. Aus irgendeinem Grund war er später eingeschult worden und dann auch noch einmal hängengeblieben.

„Der doch nicht!“, antwortete Michaele.

„Doch, er hat mir heute Morgen Feuer gegeben.“

„Echt?“ Michaele konnte dem Rauchen nichts abgewinnen. „Aber ich habe heute was anderes von ihm gehört. Mein kleiner Bruder ist doch in der gleichen Judoschule wie er. Oder war. Sie haben ihn rausgeworfen und rate mal, warum!“

Jane zuckte die Achseln.

„Keine Ahnung. Was hat er angestellt?“

„Er hat einem den Arm gebrochen, angeblich aus Versehen.“

„Den Arm gebrochen?“, Jane wollte es nicht glauben. „Das geht doch nicht so einfach.“

„Anscheinend doch. Christopher hat erzählt, es wäre während einer ganz normalen Stunde passiert. Sie hätten nur ein lautes Knacken gehört und dann hätte Jeremys Trainingspartner rumgeschrien. Als der Krankenwagen kam und der Notarzt gesagt hat, dass es sich um einen Bruch handelt, hat der Lehrer Jeremy direkt rausgeschmissen. Wer seine Kraft nicht kontrollieren könne, gehöre nicht in den Verein, hat er gesagt.“

„Heftig.“ Jane zog ein letztes Mal an der Zigarette und drückte sie dann im Blumenbeet aus.

„Komm, ich werf sie weg.“ Michaele hielt ihre Hand hin.

„Nein, ich mach das schon, ich muss jetzt sowieso los“, sagte Jane. Drin stopfte sie mit einer Hand ihren Kram in die Tasche und ging den langen Weg durch das Haus zurück, mit einem kurzen Schlenker zum Küchenmülleimer.

„Dann drücke ich dir die Daumen für morgen!“, sagte sie zu Michaele und umarmte sie zum Abschied.

Auf der Heimfahrt dachte Jane über Jeremy nach. Warum auch immer, sie glaubte, dass er das nicht mit Absicht getan hatte. Aber wie konnte einem so was passieren, jemandem versehentlich den Arm brechen? Wie stark musste man dafür sein? Und wie beschissen war es, dafür sofort aus dem Verein geworfen zu werden!

Xenon warf einen Blick auf das Pad. Die Funktionsüberprüfung und Aktivierung des Zeitmoduls würden noch ein bisschen dauern, es schadete also nicht, kurz mit den Kindern zu sprechen.

„Gut, dass ihr nicht neugierig seid“, sagte er und drehte sich halb auf seinem Stuhl um, um die Bande in Augenschein zu nehmen. Wenn sie nicht neugierig und wach gewesen wären, hätten sie es niemals bis hierher geschafft. Er schaute in die schmutzigen Gesichter in allen Rosa- und Brauntönen, die schon zu viel gesehen hatten und in denen die Anspannung hinter etwas wohnte, was er als eine Art unzerstörbare Kindlichkeit wahrnahm. Was auch immer die Kinder erlebt hatten, sie hatten sich hier zu einer Gruppe zusammengeschlossen und wollten wissen, was los war, fanden den Mut, Fragen zu stellen. Immerhin hatten sie schon herausbekommen, dass Informationen unter Umständen über Leben und Tod entscheiden könnten.

„Wir sind gar nicht neugierig“, widersprach Jonel. „Wir sind bloß wissbegierig.“

„Ach so“, sagte Xenon und konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. „Das ist natürlich etwas ganz anderes.“

Er wischte den Status der Funktionsprüfung auf dem Pad zur Seite und rief das Modell des Zeitmoduls auf.

„Habt ihr sowas schon mal gesehen?“, fragte er.

Die Kinder reckten die Hälse und schauten, eines nach dem anderen schüttelte den Kopf, nur ein dunkelhäutiges Mädchen mit kurzen schwarzen Haaren nickte.

„Wirklich?“, Xenon war erstaunt. „Was ist es?“

„Weiß nicht“, sagte das Mädchen, „aber mein Papa war Konstrukteur und der hatte eine Menge solcher Zeichnungen auf seinem Pad.“

„Okay.“ Xenon schaute sich das Mädchen genau an, der Papa war wohl – laut Vergangenheitsform – leider nicht mit an Bord.

„Das ist ein Zeitmodul. Ich habe es von meinem Großvater geerbt.“ Dabei öffnete er seine Jacke und zeigte auf eine silberne Sichel, die er an einem Band um den Hals trug.

„Ist das so was wie eine Uhr?“, fragte Jonel.

„So was wie eine sehr spezielle Uhr mit einer kleinen Zusatzfunktion“, sagte Xenon. „Eine Uhr misst die Zeit. Dieses Ding hier nimmt die Zeit wahr und kann sich zu einem anderen Zeitpunkt bewegen.“

„Aber man kann sich nicht in der Zeit bewegen“, sagte das dunkelhäutige Mädchen. „Das hat mir mein Papa erklärt. Wir stecken in der Zeit fest. Sonst wäre schon längst jemand zurück gegangen und hätte den Leuten damals erklärt, was sie alles nicht machen dürfen, damit die Erde nicht kaputt geht.“

„Ja, das stimmt“, nickte Xenon. „Und es stimmt auch wieder nicht.“

Die Kinder schnitten Grimassen. Offenbar erinnerte er sie zu sehr an die Lehrer in der Schule. Vielleicht sollte er seine Zuhörer zur Abwechslung wie intelligente Wesen behandeln.

„Wenn es möglich wäre, in die Vergangenheit zu reisen“, erklärte er, „dann hätte das schon jemand getan. Egal, aus welcher fernen Zukunft er kommen würde, er wäre ja irgendwann in unserer Vergangenheit angekommen, die wir bereits kennen. Und die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass wir irgendwas davon mitbekommen hätten.“

Die Kinder hörten zu und nickten.

„Also geht es nicht. Das sagen die einen. Die anderen aber sagen, dass wir es nicht mitbekommen würden, weil ein Zeitreisender die Vergangenheit nicht nur verändern würde, sondern damit direkt eine neue Wirklichkeit schafft, die sich von unserer abspaltet. Es entstünde also eine zweite Version der Geschichte, von der wir leider nichts mitbekommen, weil sich in unserer Vergangenheit nichts verändert hat.“

„Also können wir nicht zurückreisen und die Erde wieder heil machen?“, fragte Jonel.

„Na ja ...“, antwortete Xenon. „Dieser Theorie zufolge zumindest nicht für uns. Mal davon abgesehen, dass es ganz schön schwierig ist, den Punkt zu finden, an dem eine Veränderung der Geschichte zu dem Ergebnis führt, das wir uns wünschen. Jede Handlung zieht schon nach kürzester Zeit so viele andere Handlungen nach sich, dass es unmöglich ist, das Ganze zu berechnen. Wenn ich einen Krieg verhindern möchte, könnte ich versuchen, die Eltern des Kriegsherrn auseinanderzubringen, bevor sie ihn zeugen. Wir wissen aber dann nicht, mit wem sie andere Kinder bekommen und was diese tun. Außerdem war das Land vermutlich auch ohne diese Einzelperson zum Krieg bereit und wenn wir die Geburt des einen verhindern, kommt vielleicht ein noch Schlimmerer an die Macht.“

„Aber es gibt doch Computer, mit denen man das berechnen kann“, warf ein Junge ein, der bislang noch nichts gesagt hatte. Er hatte eine Narbe an der Stirn, die verriet, dass er einmal ein Gamer mit speziellem Implant gewesen war. Dinge gerieten aus der Mode, wenn es nichts mehr zu essen gab.

Xenon nickte.

„Mit Computern kann man sehr komplizierte Dinge berechnen. Aber so komplexe Zusammenhänge würde ich nur einem Computer zutrauen und der ist nicht mehr auf der Erde.“

„Angelus“ – es sagten gleich mehrere der Kinder und beteten dann herunter: „Artifical Neuronal GEL Universal Singularity“. Diese Geschichte kannten sie. Die Geschichte von einem Computer, der mit neuartigen biogenen Materialien angereichert war, die seinen Bauteilen eine unvergleichliche Schnelligkeit in der Verarbeitung und Verknüpfung von Informationen gab. Ein Gebilde von der Größe eines Blockhauses, zehnmal dichter mit Zellen gepackt als ein menschliches Gehirn. Der hätte das vielleicht gekonnt. Aber er hatte Mi Cheng gehört, dem reichsten aller reichen Menschen und der hatte ihn ganz offenkundig dazu benutzt, herauszufinden, wie er sich, sein Vermögen, seine Macht, seine drei Frauen und zehn Kinder von der sterbenden Erde retten könnte.

Offiziell war Angelus eigentlich für die Weltgemeinschaft gebaut worden, die verzweifelt nach Lösungen für die unvermögende und mit Cheng nicht verwandte Mehrheit der Menschen suchte. Viele Hoffnungen hatten sich auf den Supercomputer gestützt, aber bevor der einen Vorschlag ausspucken konnte, hatte Cheng schon den Stecker gezogen und das kleine Blockhaus in das Herzstück seiner Raumschiff-Flotte gepackt.

„Genau! Angelus “, sagte Xenon.

„Und was hast du dann mit dem Zeitmodul vor?“, fragte das Mädchen, das mit dem Vater logisches Denken gemein zu haben schien.

„Na ja“, Xenon lachte schief und hob entschuldigend die Hand. „Ich finde es einfach so schade, es ungenutzt zu lassen und es gibt einen anderen Computer, wie Angelus, nur viel kleiner, und der behauptet, er könne was reißen, wenn man ihn nur ließe.“

Die Kinder konnten ihm nicht folgen und starrten ihn verständnislos an.

„Was reißen – äh, ich meine, in der Zeit reisen und was verändern“, versuchte Xenon zu erklären.

„Aber wenn es doch nichts nutzt?“, hakte das Mädchen nach.

„Wenn es uns nicht mehr nützen kann“, korrigierte Xenon sie, „heißt das noch nicht, dass es niemandem mehr nützt.“

„Hä?“, der ehemalige Gamer hatte seine Ehrfurcht vor diesem sonderbaren Erwachsenen verloren.

Doch da schaltete sich Jonel ein.

„Ist doch klar!“, wandte er sich an seine Altersgenossen. „Er hat’s doch eben erklärt. Sobald mit der Hilfe des Zeitmoduls die Vergangenheit verändert wird, ist das eine neue Welt. Das sind dann nicht wir, aber solche wie wir. Wie wir hätten werden können, wenn eben was anderes passiert wäre.“

„Richtig!“ Xenon nickte erfreut darüber, dass endlich mal jemand seinen Gedanken folgte.

„Aber“, der Ex-Gamer wollte seine Ablehnung nicht aufgeben: „Das kann uns doch egal sein.“

Xenon seufzte.

„Das“, sagte er, „ist genau die Haltung, mit der wir die Erde kaputt gemacht haben.“

Betretenes Schweigen trat ein, der Junge wurde knallrot und schaute zu Boden.

„Mach dir nichts draus“, sagte Xenon. „Du hast es eben so gelernt. Aber es wird Zeit, jetzt was Neues zu lernen. Wir hier auf der Yoda wollen nicht denselben Fehler noch einmal machen.“

„Okay.“ Der Junge nickte.

„Und wer ist dieser andere Computer, der es besser weiß?“, fragte das Mädchen.

Xenon kramte in der Tasche seiner Jacke und holte eine handtellergroße Linse hervor, deren silbriges Metall zu dem der Sichel um seinen Hals passte. Auf dem Pad wischte er zu einer anderen Konstruktionszeichnung.

„Das ist der kleine Besserwisser, auch Beelzebub genannt, ein Spitzname für BELCE, also Brainlike Evolving Lazylearning Cognitive Entity“, sagte er und fügte hinzu: „sozusagen eine Mini-Version von Angelus.“

„Hast du den erfunden?“ Jonel schaute Xenon an, als wolle er ihn adoptieren.

„Nö“, sagte der, „das war auch mein Großvater, wie beim Zeitmodul. Als ich versucht habe, das Zeitmodul zu kopieren, ist mir das zwar nicht gelungen, aber ich habe herausgefunden, dass Beelzebub sich mit ihm verbinden und es steuern kann. Mein Opa leitete das Team, das Angelus entwickelte und hat die neuen Materialien und Techniken bei sich zu Hause ausprobiert. Beelzebub sollte zeigen, was das neuartige Material konnte, auf das mein Opa gestoßen war. Es hieß, dass es vor allem das Lernen einer künstlichen Intelligenz beschleunigen sollte und so hat mein Vater sie als Junge zum Spielen, Lernen und Ausprobieren bekommen. Leider sind die Aufzeichnungen meines Großvaters nach seinem Tod vernichtet worden. Mi Cheng hat viel Wert darauf gelegt, dass die Forschung, für die er bezahlt hat, niemand anderem zugutekommt.“

Der ehemalige Gamer errötete erneut.

„Aber von Beelzebub wusste niemand. Mein Vater hatte ihn immer bei sich, sie haben zusammen gelernt und ausprobiert. Und als ich so etwa in deinem Alter war“, er nickte Jonel zu, „hat mein Vater ihn mir gegeben. Und ich habe dafür gesorgt, dass Beelzebub nicht mit Lernen aufhört. Im Prinzip müsste er alles wissen, was jemals jemand aufgeschrieben hat.“

„Dann brauchen wir ihn doch hier!“, sagte das Mädchen.

„Keine Sorge!“ Xenon lächelte sie an. „Wir haben seine große Schwester bei uns. Ich habe schon vor einiger Zeit eine verbesserte Version von ihm gebaut, als er anfing, erste Zeichen des Verfalls zu zeigen. Die künstlichen Nervenzellen, aus denen er besteht, haben zu altern begonnen und eigentlich wollte ich ihn nur kopieren, um sein Gedächtnis zu retten. Dabei habe ich aber ein paar Schwachstellen entdeckt, die ich in der neuen Version vermeiden konnte. Rausgekommen ist dabei Angelina, eben seine große Schwester, die hier in der Yoda eingebaut ist.“

„Ist Beelzebub denn jetzt kaputt?“, fragte Jonel.

„Kaputt ist ein zu hartes Wort. Sagen wir mal, er legt zunehmend ein etwas sprunghaftes Verhalten an den Tag. Es ist manchmal schwer zu unterscheiden, ob etwas eine Folge von Verfall ist oder zustande kommt, weil das gespeicherte Wissen in ihm so viel Platz eingenommen hat, dass er für seine Schlussfolgerungen kreative Abkürzungen verwendet. Er hat uns mit seinen merkwürdigen Gedankenblitzen das ein oder andere Mal viel Arbeit erspart, aber manchmal hat er uns auch kompletten Schrott empfohlen.“

„Vielleicht habt ihr ihn auch nicht richtig verstanden“, gab Jonel zu bedenken.

„Ja“, Xenon nickte, „das habe ich auch manchmal gedacht. Aber Angelina ist zuverlässiger, ihre Entscheidungen und Empfehlungen sind nachvollziehbar und darum haben wir Beelzebub ausgemustert.“

„Hat er denn schon herausgefunden, was in der Vergangenheit geändert werden soll?“, fragte der ehemalige Gamer.

„Er hat schon ein paar Ideen“, sagte Xenon. „Das Problem ist nur, dass die Geräte selbst nichts ausrichten können. Sie brauchen schon Menschen, die mit ihrer Hilfe reisen und dann etwas tun. Aber meine Geschwister und ich haben uns für die Yoda entschieden und ich kenne niemanden, der so eine Reise unternehmen würde.“

„Und was hast du jetzt vor?“, fragte das Mädchen.

Xenon lächelte.

„Ich werde mein Zeitmodul ungefähr hundert Jahre, vielleicht auch etwas mehr, zurückschicken.“

„Geht das Zeitmodul denn nicht weiter zurück als hundert Jahre?“, fragte Jonel.

„Doch“, sagte Xenon, „aber ich wollte eine Zeit wählen, in der schon abzusehen war, dass es schieflaufen wird. Die Menschen, die das Zeitmodul und Beelzebub erhalten, müssen wissen, worum es geht.“

Jonel nickte.

„Glaubst du denn wirklich, dass irgendwelche Leute verstehen, worum es geht und dann echt in die Vergangenheit reisen, um die Geschichte zu verändern?“, fragte das Mädchen und schaute Xenon mit dem Blick an, den er von Tantal und Bor nur allzu gut kannte.

Xenon lachte.

„Du hältst das für keine gute Idee?“

Das Mädchen zuckte die Achseln.

„Ich weiß nicht“, sagte es – eine höfliche Form des „Nein!“

„Da geht es dir wie meinen Geschwistern“, gab Xenon zu. „Aber sie lassen mich machen. Es gibt leider keinen besseren Plan. Für uns kommt es auf dasselbe heraus. Aber solange auch nur eine kleine Möglichkeit besteht, dass wir damit eine bessere Welt erschaffen können, will ich es versuchen. Alles ist besser, als das, was wir hier haben.“

Die Kinder nickten und Xenon sah, dass jedes von ihnen an seine eigene unerfreuliche Geschichte von Kälte, Hunger und Verlusten dachte.

Xenon blickte auf den Zeitmesser.

„Ich muss mich jetzt ein bisschen konzentrieren“, sagte er. „Wenn wir starten, muss ich gleichzeitig Beelzebub und das Modul losschicken. Ich werde das letzte funktionierende Kraftwerk hier hochfahren, um beide mit so viel Energie wie möglich zu versorgen. Dem Zustand des Kraftwerks nach zu schließen, wird es vermutlich bald darauf explodieren. Dann sollten wir weg sein. Mit meiner Fernsteuerung hier kann ich ab einem Abstand von hundert Kilometern nicht mehr viel anfangen. Es wird also kniffelig. Aber danke für euer Interesse.“

Die Kinder wussten, dass sie entlassen waren und weil er ihre Fragen beantwortet hatte, zogen sie sich zurück, um ihn in Ruhe arbeiten zu lassen.

Jeremy lag auf seinem Bett, die Musik hatte er so laut aufgedreht, dass er das elektronische Hämmern und Zirpen, das sein Bruder als Musik bezeichnete, nicht mehr aus dem Nachbarzimmer hörte. Das Abendessen hatte er rasch hinter sich gebracht, war mit den Hunden draußen gewesen und hatte dann seiner Mutter noch Sherry geholt. Die saß jetzt vor dem Fernseher, beruhigt von der Gewissheit, dass der Vorrat für den Abend reichte. Weil sie ihn immer nervte, wenn er neben ihr auf dem Sofa vor dem Fernseher las, war er danach direkt nach oben gegangen. Er schlug das Buch auf und versank in einer fantastischen Welt, in der Stärke kein Makel war.

Jane saß in ihrem Zimmer und las. Über das Buch war sie in einem Antiquariat auf ihrer Kursfahrt in Berlin gestolpert. Heute Nachmittag hatte sie nach der Geschichtsstunde Töpfer gefragt, ob er es kannte. Er war nicht nur ihr Geschichts- sondern auch ihr Biolehrer.

Er hatte noch nie davon gehört, was ihren Glauben in ihn etwas erschütterte, schließlich war er Lehrer und kam frisch aus dem Studium, während das Buch schon mehr als hundert Jahre auf dem Buckel hatte. Aber er war interessiert gewesen und sie würde es ihm leihen, wenn sie fertig war. Es wäre schön, mit jemandem über die Sachen reden zu können, für die sie sich wirklich interessierte.

Es war das Buch eines russischen Adeligen und Anarchisten namens Kropotkin mit dem unaufgeregten Titel „Gegenseitige Hilfe in der Tier-und Menschenwelt“. Obwohl sein Verfasser schon lange nicht mehr lebte, bestätigte er Jane ein Gefühl, von dem sie bislang gedacht hatte, sie würde es als einzige in sich herumtragen. In Bio, in Philosophie, sogar in Geschichte, überall wurde die Gewissheit verbreitet, dass der Mensch schlecht sei und jeder jedem an die Kehle ginge, würde ihn nicht etwas – ein Gott, ein Boss oder Gesetze – daran hindern. Der Name des Philosophen, der diese Einstellung in den Spruch gegossen hatte, der Mensch sei des Menschen Wolf, fiel ihr nicht mehr ein. Von dieser Auffassung schien sich alles abzuleiten, was die Politik und Wirtschaft ihrer Welt steuerte: Darum gab es Kriege, darum war es wichtig, wehrhaft zu sein und darum war es vollkommen in Ordnung, in der Wirtschaft einen harten Konkurrenzkampf zu kämpfen, denn wenn man selbst eine Gelegenheit nicht ergriff, würde es über kurz oder lang ein anderer tun. Es handelte sich ja um ein Naturgesetz. Friedliebende Gesellschaften, die auf Gleichberechtigung und Balance beruhten, seien immer von marodierenden Mörderbanden vernichtet worden, ob diese von einem Alexander dem Großen, den Römern oder später den europäischen Kolonisten angeführt worden waren. Kurz: Das Biest im Menschen war böse und immer zum Töten bereit. Die dünne Schicht der Zivilisation, die diese Gattung überhaupt befähigte, in großen und halbwegs stabilen Gruppen zu leben, musste mit Autorität und Gewalt überwacht werden. Was eigentlich im Menschen steckte, zeigten doch die Gräueltaten, die geschahen, wenn diese erzwungene Friedfertigkeit einmal nicht funktionierte, in Kriegen und in Völkermorden.

Kropotkin dagegen betrachtete die Menschheit und die sie umgebende Tierwelt ganz anders. Vermutlich hätte er als erstes hervorgehoben, dass bei so hervorragenden Teamarbeitern wie den Wölfen „jemandes Wolf zu sein“ etwas Gutes bedeutete. Seiner Darlegung zufolge hatte Charles Darwin den vielzitierten „Kampf ums Dasein“ überhaupt nicht als Kampf von Artgenossen gegeneinander gemeint. Das hatten erst seine Nachfolger so gedreht, vielleicht, um die Tierwelt, mit der der Mensch auf einmal verknüpft wurde, so böse und gefährlich zu machen, dass eine Beherrschung der Menschen durch Gott und König weiterhin notwendig erschien. Nach Kropotkin war in der echten Welt das Gegenteil der Fall: Sich selbst überlassene Gemeinschaften neigten überall dazu, sich gesellig zusammenzufinden und sich gegenseitig Hilfe zu leisten. Und das schrieb er geradezu süß in einem Appell der Natur an die Menschen:

„Streitet nicht! – Streit und Konkurrenz ist der Art immer schädlich und ihr habt reichlich die Mittel, sie zu vermeiden! [...] Daher vereinigt euch – übt gegenseitige Hilfe! Das ist das sicherste Mittel, um all und jedem die größte Sicherheit, die beste Garantie der Existenz und des Fortschrittes zu geben, körperlich, geistig und moralisch.“

Tatsächlich behauptete Kropotkin sogar, dass die Menschheit nur so weit gekommen war – er lebte 1902 und glaubte noch an den Fortschritt – weil sie diesem Prinzip gefolgt war.

Ihr Handy plingte und als es einmal damit angefangen hatte, hörte es nicht mehr damit auf. Seufzend versuchte Jane, sich tiefer in ihr Buch zu vergraben, doch es hatte keinen Sinn. Sie hatte gewusst, dass es ein Fehler gewesen war, der Chatgruppe ihres Leistungskurses beizutreten. Eigentlich hatte sie noch auf einen Anruf von Georg gewartet. Egal. Sie stand auf und ging zum Schreibtisch, um den Ton abzuschalten. Das misstönende Brummen des Haustelefons ließ sie vor Schreck zusammenzucken. Missmutig ging sie zur Zimmertür und nahm den Hörer ab.

„Ja?“

„Jane?“ Ihr Vater war dran. „Komm doch bitte mal kurz runter.“

Was die nur wieder von ihr wollten ...? Unten saßen ihre Eltern im Wohnzimmer. Jane blieb stehen. Ihre Eltern warteten einen Moment vergeblich darauf, dass sie sich setzte, dann seufzte ihre Mutter und sagte:

„Wir haben überlegt, was wir mit dem Auto vom Opa machen.“

„Und?“, fragte Jane.

Ihr Großvater war vor Kurzem an einem Schlaganfall gestorben und hinterließ einen verwaisten Kleinwagen, der ebenso alt wie grün war.

„Wir haben überlegt, dass du ihn benutzen kannst“, sagte ihr Vater.

„Aha.“ Jane war überrascht. Weil ihre Eltern ihn bezahlt hatten, hatte sie den Führerschein gemacht, auch wenn sie wenig von dieser umweltschädlichen Art der Fortbewegung hielt. Letzten Endes war sie anschließend kaum gefahren, sie fand es einfach widersinnig, so ein riesiges Gerät zu verwenden, nur um sie allein von einem Ort zum anderen zu bringen. Und seit sie mit Georg zusammen war, der eine alte Rostlaube sein Eigen nannte, war ihr Interesse am Fahren gänzlich verflogen.

„Wir würden sogar eine Tankfüllung im Monat drauflegen“, setzte ihr Vater hinzu.

„Okay.“ Weit davon entfernt, begeistert zu sein, dämmerte immerhin eine Idee in Jane ... mit einem eigenen Wagen konnte sie Rettungseinsätze für das Tierheim fahren, in dem sie ehrenamtlich ein paar Stunden die Woche half.

„Allerdings hätten wir da eine Bedingung“, kam es da von ihrer Mutter.

Das war ja klar. Janes aufkeimende Freude sank in sich zusammen. Einzig die stärker werdende Vision von geretteten Kätzchen oder Hunden im Kofferraum hielt sie davon ab, sich mit einem neutralen „Nein, Danke“ umzudrehen und wieder nach oben in ihr Zimmer zu verschwinden.

„Aha.“

Die Blicke ihrer Eltern trafen sich – die gleichgültige Nummer funktionierte immer, wenn es darum ging, sie ohne großen Aufwand zur Verzweiflung zu bringen.

„Wir möchten, dass du Nachhilfe in Mathe nimmst“, sagte ihr Vater schließlich.

„Neeeee.“ Jane schüttelte angewidert den Kopf. Dass die sie einfach nicht in Frieden lassen konnten. In ihren Leistungsfächern war sie sehr gut, der Rest war in Ordnung – nur in Mathe war sie eine Katastrophe. Was vielleicht auch daran lag, dass der Unterricht in der siebten und achten Stunde stattfand. Inzwischen hatte sie völlig den Faden verloren und überhaupt keinen Schimmer mehr von dem, was vorne an der Tafel stattfand. Die Stunden überlebte sie, indem sie mit Fritz in der hintersten Reihe saß und sich mit ihm Nachrichten schrieb. Na ja, seine Noten waren nur mies, nicht unterirdisch.

„Doch“, widersprach ihre Mutter. „Es geht uns doch nur darum, dass du die Wahl hast. Einen Studienplatz zu bekommen, hängt eben auch von deinem Abidurchschnitt ab.“

„Na und!“, begehrte Jane auf. „Mathe ist das Einzige!“ Sie hatte wirklich überhaupt keine Lust, sich so kurz vor Schluss noch mit diesem Quatsch zu beschäftigen.

„Umso besser“, sagte ihr Vater. „Dann musst du ja nicht so viel nachholen.“

„Das macht vielleicht einen Unterschied von 5 Punkten aus“, sagte sie. „Und in der Gesamtwertung wird sich das überhaupt nicht widerspiegeln – ich kann euch das gern mal vorrechnen, soviel Mathe kann ich noch.“

„Trotzdem“, sagte ihre Mutter. „Such dir jemanden, der dir Nachhilfe gibt. Wir bezahlen es.“

Was für ein Scheiß.

„Und“, setzte ihr Vater nach, „du darfst das Auto benutzen, wenn die nächste Arbeit über 5 Punkten ist.“

„Na super“, sagte sie. „Danke für das tolle Angebot!“ Sie stand auf und ging zur Tür.

„Wir wollen doch nur, dass dir alle Möglichkeiten offenstehen“, sagte ihre Mutter, bevor Jane die Tür schloss und den Flur zum Treppenhaus entlangstürmte. Kotz! Mathenachhilfe. Das fehlte ihr gerade noch.

Jeremy saß am Küchentisch und schaufelte eine Schale Cornflakes in sich hinein. Seine Brüder und seine Mutter schliefen noch, nur Karin, die Lebensgefährtin seiner Mutter, war schon wach und goss sich gerade einen Kaffee ein. Karin war gestern Abend unterwegs gewesen und vermutlich hatte seine Mutter sich darum im Laufe des Abends volllaufen lassen. Er konnte nicht verstehen, wie Karin es mit ihr aushielt.

Sie hatte einen guten Job beim Sozialamt, beriet dort Menschen mit wirtschaftlichen und familiären Problemen. Warum sie sich die alleinerziehende Maureen angelacht hatte, war ein Rätsel für Jeremy, obwohl es für ihn und seine Brüder ein Segen gewesen war. Nachdem ihr Vater gegangen war, war es schlimm gewesen. Seine Mutter hatte kontinuierlich getrunken und sich kaum um ihre Kinder gekümmert. Jeremy erinnerte sich noch daran, wie er in der Schule die Hände unter dem Tisch versteckt hatte, so lang und so schmutzig waren seine Fingernägel gewesen. Seit Karin zu ihnen gezogen war, hatte seine Mutter sich besser im Griff. Es gab regelmäßige Mahlzeiten – Kochen war etwas, was seine Mutter wirklich gut konnte! Karin unternahm auch etwas mit den Jungs, sonntags fuhren sie aufs Land, gingen durch den Wald oder besuchten irgendein Museum. Seine Mutter blieb währenddessen zu Hause und trank. Aber immerhin funktionierte sie den Rest der Woche meistens gut, das Essen stand auf dem Tisch, sie ging mit den Hunden raus, kümmerte sich um die Wäsche und bestand auf Einhaltung der tausend Regeln, die sie aufgestellt hatte. Seine Nägel schnitt Jeremy sich schon lange selbst und seine Zeit verbrachte er immer noch am liebsten anderswo.

Freunde brachte er nicht mit nach Hause. Obwohl offensichtlich war, dass die Liebe zu Karin ihrer Mutter guttat und Halt gab, hatte sie den Jungs verboten, darüber zu sprechen, dass sie mit einer Frau zusammenlebte. Das und die Ungewissheit, in welchem Zustand er seine Mutter antreffen würde, wenn er nach Hause kam, hatte ihn schon früh dazu bewogen, seine Freundschaften woanders zu pflegen. Samstags war er bei den Pfadfindern, in der Woche ging er zum Schwimmen und in die Schule, im Sommer gab es immer irgendwo in der kleinen Stadt oder am nahe gelegenen See Treffpunkte.

Karin setzte sich zu ihm an den Tisch und schlug die Zeitung auf. Sie schätzte es nicht, morgens beim Kaffee reden zu müssen und das war Jeremy nur recht. Die Hunde waren recht unruhig, noch ein Zeichen dafür, dass seine Mutter gestern wieder zugelangt hatte und wahrscheinlich auf dem Sofa eingeschlafen war, bis Karin sie nach oben bugsierte.

„Soll ich mit den Hunden raus?“, fragte er Karin. Die blickte auf die Uhr und schüttelte den Kopf.

„Lass mal“, sagte sie, „ich mach das schon, hau du ruhig ab.“

„Alles klar“, sagte er. „Danke.“

Er räumte sein Geschirr in die Spülmaschine, packte seine Tasche mit den Schwimmsachen und ging zur Tür.

„Tschüss“, sagte er.

Karin schaute noch einmal kurz auf.

„Tschüss“, sagte sie. „Schönen Tag.“

Er pflügte durch das Wasser und sein Kopf war angenehm leer. Bislang spürte er noch keine Auswirkungen des Rauchens. Sein Körper fühlte sich an wie immer: stark, geschickt und verlässlich. Er spielte mit dem nassen Element, das ihn umgab, stieß sich von ihm ab, tauchte hinein. Die innere Unruhe, die Jeremy stets begleitete, war der perfekte Antrieb, die Energie, die ihn von Bahn zu Bahn trug, ohne dass er ermüdete. Wenn er seinen Körper anstrengte, gab der ihm die Empfindung von Glück zurück. Es war dann einfach alles so, wie es sein sollte, kein Zorn, keine Traurigkeit, alles war nur der Treibstoff für die Bewegung und verbrannte sich selbst in der sportlichen Anstrengung. Das hier war einfach in seinem Leben, in dem Einfachheit ansonsten keine Einheit war, die einen eigenen Namen verdiente.

Als er die letzte Bahn schwamm, nahm er ein fernes Glitzern wahr. Zwei Bahnen nach links lag etwas silbrig Schimmerndes auf dem Boden. Jeremy holte kurz Luft, knickte den Oberkörper nach unten und schob sich mit zwei Armstößen zum Grund des Schwimmbeckens. Dort lag ein sichelförmiger Gegenstand aus einem silberfarbenen Material. Jeremy griff danach, richtete sich wieder zur Wasseroberfläche hin aus und beendete seine Bahn. Am Beckenrand stemmte er sich aus dem Wasser und betrachtete seinen Fund.

Obwohl es im Wasser gelegen hatte, war das Silber der Sichel warm in seiner Hand. Sie war so geformt, dass in ihrer inneren Krümmung ein kreisrunder Gegenstand eingefügt werden könnte. An einer Spitze außen war eine Öse befestigt, durch die ein Lederband ging.

Das korrekte Vorgehen wäre nun, dieses ungewöhnliche Schmuckstück beim Bademeister abzugeben, aber ein seltsamer Impuls ließ Jeremy die warme Silbersichel fest in seine Hand schließen, während er zur Umkleide ging.

„Hey Xenon!“ Bor steckte den Kopf durch die Tür und winkte seinem Bruder, der immer noch auf sein Pad konzentriert in der Messe saß. „Komm, wir brauchen dich jetzt!“

Xenon nickte, speicherte seine Einstellungen und schaltete das Pad aus. Im Hinausgehen nickte er den Kindern zu.

„Ihr wisst, was ihr tun müsst?“, fragte er.

„Na klar“, sagte Jonel und die anderen nickten. „Wenn das erste Signal ertönt, gehen wir in unsere Kojen, schnallen uns an und rühren uns nicht von der Stelle, bis wir Entwarnung bekommen.“

„Gut.“

Xenon folgte seinem Bruder, der schon einen halben Gang voraus war.

„He!“, rief er ihm hinterher. „Wo willst du mich lieber haben, auf der Brücke oder im Maschinenraum?“

Bor warf einen Blick über die Schulter, als habe Xenon eine dämliche Frage gestellt.