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Ständig entlarven wir unsere Fehler selbst und machen uns vor lauter Selbstzweifel jede Menge unnötigen Stress. Dabei liegt das Glück nur ein paar kleine Täuschungsmanöver entfernt. Denn manchmal reicht ein bisschen Schönfärberei, um Probleme loszuwerden. Bestsellerautorin Hanna Dietz zeigt, wie viel gelassener das Leben wird, wenn wir über unsere Unsicherheiten hinwegtäuschen oder nur so tun, als hätten wir alles voll im Griff. Mit der nötigen Prise Humor führt sie durch das Dickicht der selbstgebauten Stolperfallen und zeigt, wie wir lernen können öfters einfach nur so zu tun, als ob das Leben einfach ist, denn dann kann es zur Realität werden.
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Seitenzahl: 227
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Hanna Dietz
EINFACH MAL SO TUN, ALS OB DAS LEBEN EINFACH WÄRE
Hanna Dietz
EINFACH MAL SO TUN, ALS OB DAS LEBEN EINFACH WÄRE
Wie sich dein Leben verbessert, wenn du endlich mal entspannst
Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Für Fragen und Anregungen
Originalausgabe
9. Auflage 2022
© 2019 by mvg Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH
Türkenstraße 89
80799 München
Tel.: 089 651285-0
Fax: 089 652096
Neuausgabe des 2018 bei mvg erschienenen Titels »Fake it«
Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Redaktion: Manuela Kahle
Umschlaggestaltung: Manuela Amode
Umschlagabbildung: shutterstock.com/Darth_Vector [URL inactive]
Satz: Carsten Klein, Torgau
Druck: CPI books GmbH, Leck
ISBN Print 978-3-7474-0126-2
ISBN E-Book (PDF) 978-3-96121-483-9
ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-96121-484-6
Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter
www.mvg-verlag.de
Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de
Inhalt
Einleitung
Besser wird’s nicht
Paarundvierzig und immer noch Probleme
Elternabend des Grauens
Das soll ich sein?
Fake-Feelings
Die erstaunliche Wirkung eines gefälschten Lächelns
Ist es tatsächlich möglich, Gefühle zu faken?
Frauen & Fake-Feelings
Die fatale Wirkung der inneren Überredungskunst
Verhaltens-Make-up
Leistungsdarstellung
Ich fake, also bin ich
Viele Worte verderben den Brei
Möglicherweise von Nachteil
Mir muss niemand Kompetenz absprechen. Das kann ich ganz allein!
Aus Fehlern lernen
Durchsetzen von eigenen Interessen
Des Teufels Anwalt
Vorauseilender Gehorsam
Konflikte
War was? – Vorgetäuschte Konfliktlösung
Aufgeschoben ist nicht aufgehoben
Wer mit dem Zaunpfahl winkt, muss sich nicht wundern, wenn er übersehen wird
Faken & Konflikte in Beziehungen
Selbstdarstellung
Die Wahrheit und nichts als die ganze Wahrheit
Einfach mal so tun, als hätte man keine Bedenken
Makelbekenntnisdrang
Arbeitsvermeidung
Verhängnisvolle Besserkönnerei
Verführerische Lücke im System
Mama ist gerade auf Mauritius: der 15 Minuten-Urlaub
Harmonie
Ich danke Ihnen, dass ich mich bedanken darf
Entschuldigen Sie bitte, dass ich gar nichts dafür kann
Harmonie vs. Fake-Harmonie
Eigene Bedürfnisse
Gutes Faken, schlechtes Faken
Was fühle ich eigentlich?
Jet-Lag-Feelings – Oder: Gefühle mit Verspätung
Was will ich eigentlich?
Einfach mal so tun, als wäre das Leben einfach
Die Karibik ist überall
Glück stellt keine Bedingungen
Das Leben ist ein Butterkuchen
Männer sind Meister der Täuschung, Frauen Meisterinnen der Enttäuschung. Denn während Männer gern mal vor Selbstüberschätzung strotzen, neigen wir Frauen dazu, uns deutlich unter Wert zu verkaufen. Mehr noch: Frauen gehen regelrecht mit ihren Selbstzweifeln hausieren, als wären wir trübsinnige Staubsauger-Vertreter kurz vor der Entlassung. Das einzige prekäre Geheimnis, das eine Frau imstande ist, selbst unter CIA-Folter nicht zu verraten, ist ihr wahres Gewicht. Aber den ganzen Rest an selbstdiffamierenden Informationen plappern wir frei von der Leber weg. Ob wir verdutzte Zufallsbekannten ungefragt über aktuelle Frisurenprobleme aufklären (als Rechtfertigung für die Mütze bei leichtem Frühlingswetter), oder beim Anblick von Fotos in geselliger Runde am lautesten »Oh Gott, wie seh ich denn aus? Gebt mir den Gnadenschuss Botox!« schreien. Ob wir einräumen, nicht die ganze Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben, bevor wir dem Chef Rapport abstatten, oder als Gastgeberinnen offenbaren, dass wir bei der Bratensoße nicht ganz sicher seien, ob die gelungen sei, aber es sollten doch alle mal probieren und hier ist noch Salz und Pfeffer und auch … hüstel … Ketchup, nur für den Fall. Von dem ganzen Diät-Quatsch und Schönheitswahn, mit dem wir Frauen uns das Leben schwer machen, ganz zu schweigen.
Und obwohl wir für Haushalt und Familie ackern wie die Pferde, braucht man sich nur die Gehälter und die Verteilung der Chefposten ansehen, dann weiß man Bescheid: Nein, Frauen sind nicht so erfolgreich wie Männer.
Und warum?
Nicht, weil wir an uns zweifeln.
Sondern, weil wir andere in unsere Zweifel einweihen.
Dieses Buch zeigt, in welche Fallen wir Frauen mit unserem blind vorauseilendem Gehorsam, unserem automatischen Rechtfertigungsdrang, der Harmoniesucht und unserer Neigung zu selbstzerstörerischer Wahrheit tappen. Und wie wir durch geschickte Täuschungsmanöver besser durchs Leben kommen. Und damit meine ich nicht, sein Profil bei Instagram mit gephotoshopten Selfies zu pimpen oder irgendwelchen Facebook-Freunden virtuelles Glück vorzutäuschen, sondern das echte Leben. Das Leben, in dem man anderen Leuten von Angesicht zu Angesicht gegenübertreten und mit ihnen reden muss.
In diesem Buch geht es nicht darum, ein besserer Mensch zu werden. Eine Frau zu werden, die 100 Prozent an sich selbst glaubt, in jeder Situation eine superschlagfertige Antwort parat hat und sich nichts bieten lässt. Denn sowas kann kein Ratgeber der Welt erreichen! Die Sache ist die: Wenn du es nicht bist, dann bist du es nicht.
Aber du kannst trotzdem etwas tun. Du kannst so tun, als ob.
Einfach mal so tun, als ob du Ahnung hast.
Einfach mal so tun, als hättest du keine Angst vor Konflikten.
Einfach mal so tun, als ob du nicht den geringsten Zweifel hast.
Einfach mal so tun, als gingen dich Probleme anderer nichts an.
Einfach mal so tun, als fändest du dich wunderschön.
Einfach mal so tun, als hättest du den Fleck nicht gesehen.
Einfach mal so tun, als wäre das Leben einfach …
Da denkt man, im nicht mehr ganz so zarten Alter von paarundvierzig hätte man all die blödsinnigen Selbstzweifel und den Selbstoptimierungwahnsinn erfolgreich hinter sich gelassen, mit dem sich Frauen gern mal die erste Lebenshälfte versauen, und wäre endgültig bei seinem Lieblings-Ich angekommen. Bei dem Ich, das man schon immer sein wollte. An dem es im Großen und Ganzen nichts mehr auszusetzen gibt. Aber dann wird man auf einmal aus seinen Träumen gerissen und muss feststellen: Nur, weil man auf einige berufliche Erfolge zurückblicken kann, ein Reihenhaus samt Familie sein Eigen nennt und zudem endlich eingesehen hat, dass man nie mehr in eine Hose mit Größe 38 mit Größe 40 passen wird (ganz ehrlich? 42 wäre schon ein Wunder!), heißt das noch lange nicht, dass man keine Probleme mehr hat.
Ich habe definitiv jede Menge Probleme. Das wurde mir klar, als ich den Hörer aufgelegt hatte und einen Moment in dem wunderlichen Schwebezustand zwischen Lachanfall und Heulkrampf schwebte. Ich starrte das Telefon an, als ob es mir sagen könnte, in welche Richtung meine Stimmung jetzt schlagen sollte.
»Was ist?«, fragte Anja, die gerade in unser Büro gekommen war.
»Ich habe eine Einladung zu einer Lesung bekommen«, sagte ich, und dann prustete ein Lachen aus mir raus, das mehr ein Bersten war.
»Das scheint ja wirklich eine tolle Einladung zu sein«, grinste Anja. »Glückwunsch, freut mich für dich!«
Ich wischte eine Träne aus dem Augenwinkel und japste: »Nee, wenn du mir gratulieren kannst, dann zum schlechtesten Verkaufsgespräch aller Zeiten.«
Das Telefonat mit dem Veranstaltungsleiter vom Schlosshotel Kreiming war nämlich folgendermaßen verlaufen. Der Veranstaltungsleiter sagte, wie interessant und lustig er meinen Sachbuch-Bestseller finde und wie toll eine Lesung in das Kulturprogramm des Schlosshotels passen würde. Ich sagte ihm, wie sehr ich mich über die Einladung freuen würde. Verhängnisvollerweise hörte ich dann nicht auf zu reden. Verhängnisvollerweise quasselte ich weiter. Und dann fielen plötzlich von meiner Seite folgende Sätze: »Allerdings muss ich dazu sagen, dass ich kein Comedian bin.«
(Abgesehen davon, dass es eine offensichtliche Tatsache ist, da ich ja als Journalistin und Autorin arbeite und nicht als Comedian, hat der gute Mann das überhaupt nicht wissen wollen. Und ich weiß auch gar nicht, wie ich darauf gekommen bin.)
»Und man müsste ja schon ein bisschen was um den Text herumschmücken.«
(Wurde niemals gefragt oder gefordert.)
»Ist ja kein Roman, den man so hintereinander weg lesen kann.«
(Da der Mann wegen des Sachbuchs angerufen hat, könnte man vermuten, dass er das wusste.)
»Am besten wäre so ein ganzes Comedy-Programm für einen Abend.«
(Man stelle sich vor, ein Maler würde sagen: »Anstatt Ihnen nur die Wand da zu streichen, renoviere ich besser die ganze Bude für den gleichen Preis.«)
»Aber, wie gesagt, ich bin ja kein Comedian. Also weiß ich überhaupt nicht, ob das was bringt.« Ich lachte, um ihn zur Gegenrede zu animieren. Dann fiel mir auf, dass auch dem Mann die Argumente ausgegangen zu sein schienen, warum die Lesung eine gute Idee war. Plötzlich dämmerte mir, dass ich dabei war, mich um Kopf und Kragen zu reden. Ich stellte nicht nur mein Licht unter den Scheffel, sondern war dabei, es gleich höchstselbst auszupusten! Das wollte ich natürlich nicht so stehen lassen. Ich musste den negativen Eindruck wettmachen. Ich musste ihn davon überzeugen, dass er recht gehabt hatte, mich zu einer Lesung einzuladen. Und zwar sehr schnell! Bevor der Mann merkte, dass er es mit einer kolossalen Stümperin zu tun hatte. Also beendete ich meine autoaggressive Rede und fügte triumphierend den Satz hinzu: »Aber lesen kann ich!«
Erstaunlicherweise brach der Mann nicht in Jubel aus. Er gratulierte mir auch nicht zu meinen herausragenden Fähigkeiten. Nein. Er sagte: »Ich melde mich wieder.« Und legte auf.
Als ich es zwischen weiteren Lachanfällen geschafft hatte, das Anja zu erzählen, lachte auch sie aus vollem Hals. Dazu muss ich sagen: Anja ist nicht nur meine Kollegin, sondern auch eine meiner besten Freundinnen. Sie ist supernett, lustig, zuverlässig und total süß mit ihrer Unsicherheit und manchmal auch Naivität. Was ich ja wirklich sympathisch finde. Und das nicht nur, weil ich mich in ihrem Beisein mit meinen ganzen Macken irgendwie wohler fühle. (Wenn man mal ehrlich ist, hält man sich doch am liebsten in Grup- pen auf, in denen eine Person dabei ist, die dicker ist oder noch weniger Ahnung hat als man selbst.)
Wir lachten immer noch, als Schlips-Dirk reinkam. Schlips-Dirk ist auch freier Mitarbeiter bei dem Lokalfernsehen, für das ich als Reporterin arbeite. Seit er Suits guckt, macht er einen auf Harvey Specter. Allerdings sind seine Anzüge ganz sicher nicht vom Maßschneider. Und er selbst sieht auch kein bisschen specter-kulär aus, da kann er sich noch so viel Gel in die Haare schmieren. »Was ist denn hier los?«, fragte er. »Habt ihr schon wieder zu viel Kräutertee getrunken?«
Noch bevor ich was sagen konnte, platzte es schon aus Anja heraus: »Nein. Hanna hat sich gerade selbst um einen tollen Auftrag gebracht.«
Und dann musste ich mir das Ganze nochmal aus ihrem Mund anhören, und ich brauchte noch nicht mal Schlips-Dirks hämisches Grinsen zu sehen, um das Ausmaß meines Versagens zu begreifen. Jede Heiterkeit verschwand und ich blickte in das schwarze Loch meiner eigenen Dämlichkeit, das sich scheinbar endlos vor mir ausbreitete. (Wenn ich überhaupt in etwas gut bin, dann in Selbstgeißelung. Wenn es darum geht, mich selbst für meine Fehler fertig zu machen, bin ich ausdauernder als ein fanatischer Mönch im Mittelalter. Nur gut, dass heutzutage Neunschwänzige Katzen nicht mehr so angesagt sind wie damals.)
Ich war noch völlig von der Rolle, als wir zur Redaktionskonferenz stiefelten, auf der die Aufträge des Tages vergeben werden. Auf die heutige Konferenz war ich sehr gespannt, weil Matt Damon zu einer Kinopremiere nach Köln kam. Er war nicht nur Hauptdarsteller, sondern hatte auch das Drehbuch selbst geschrieben. Als weltgrößter Hollywood-Fan musste ich da natürlich hin. Normalerweise läuft die Redaktionskonferenz so ab, dass die Chefin die wichtigsten Termine aufzählt, dann nach weiteren Themen fragt und entscheidet, was von wem gemacht wird. Aber die Chefin saß kaum auf ihrem Platz und nahm einen Schluck aus ihrer Ich möchte einmal mit Profis arbeiten-Tasse, da posaunte Schlips-Dirk schon: »Ich mache die Kinopremiere. Es geht ja in dem Film um eine Firma, die gegen Umweltschützer kämpft. Das ist genau mein Thema. Ich habe mit den Vorfällen im Hambacher Forst, über die ich berichtet habe, einen super Aufhänger.«
Diese Erklärung war natürlich völlig unsinnig, aber Schlips-Dirk guckte so zufrieden, als wäre damit eindeutig bewiesen, dass es keine andere Lösung gäbe. Anja schaute mich erschrocken an. Sie wusste, wie gern ich über die Premiere berichten wollte. Wir hatten seit Tagen von kaum was anderem gesprochen. Die Chefin setzte die Tasse ab und nickte schon fast, aber sie hatte noch Keks im Mund, weswegen mir der Bruchteil einer Sekunde blieb, um dazwischen zu gehen, bevor sie Schlips-Dirk den Auftrag zusprach.
»Aber ich wollte doch eigentlich die Premiere machen«, rief ich und fand selbst, dass ich weinerlich klang (lag vielleicht daran, dass ich eben so viel gelacht hatte, dass ich jetzt heiser war). Ich räusperte mich und fügte hinzu: »Ich dachte, das wäre klar gewesen. Ich meine, ich hab doch auch schon vor Wochen wegen des Interview-Termins angefragt.«
»Hast du einen Termin bekommen?«, fragte mich Schlips-Dirk ungerührt. Dieser Arsch. Das wusste er doch genau.
»Nein, das nicht«, beeilte ich mich zu sagen, »aber das war ja auch nur deswegen, weil da schon so viele andere gefragt hatten, die wichtiger sind als wir, also für den Filmbetrieb, meine ich. Und normalerweise machen wir ja bei so Premierenfeiern nur das Drumherum, die wartenden Fans und die Stimmung auf dem roten Teppich, und ich will ja jetzt nicht sagen, dass ich das immer mache, aber eigentlich ist das doch eher mein Gebiet. So die bunten Sachen.«
»Ich habe einen Ansatz, der zeigt, dass wir nicht nur eine unwichtige Lokalredaktion sind, wie Hanna es nennt«, sagte Schlips-Dirk. Dieser Oberarsch. Das hatte ich auch gar nicht gesagt. Oder doch?
»Okay«, sagte die Chefin. »Dirk, du machst die Premiere. Und Hanna, für dich habe ich auch was Passendes.« Und dann reichte sie mir die Unterlagen zu einem internationalen Dermatologen-Kongress.
Ich schlich in mein Büro, starrte trübsinnig auf das gähnend langweilige Programm der Hautärzte und dachte auf einmal: Das bin ich? Wirklich? Eine Frau, die sich eine schöne Lesung mit einer schwachsinnigen Verkaufsstrategie verbockt, sich Matt Damon vor der Nase wegschnappen und sich stattdessen einen Dermatologen-Kongress aufbrummen lässt? Und die jetzt ernsthaft darüber nachdachte, inwiefern ein Dermatologen-Kongress »für mich passend« war. Weil ich immer so rot werde? Oder weil »hektische Flecken« mein zweiter Vorname ist? Oder habe ich gar noch andere Hautprobleme, von denen ich nichts weiß?
Das nächste Erlebnis, das mir klarmachte, dass in Sachen »Lieblings-Ich« doch noch ganz viel Luft nach oben ist, geschah am nächsten Tag. Genauer gesagt: am Elternabend. Bei jedem Elternabend gibt es ja diesen einen furchterregenden Moment, an dem die Zeit stehen zu bleiben scheint. Und ich meine damit nicht den Moment, in dem Lauras Mama anfängt, über die verschiedenen Nahrungsmittelintoleranzen ihrer Tochter und die daraus resultierenden Verdauungsbeschwerden zu referieren. Auch das Gemecker über die unmögliche Lautstärke in der Hausaufgabenzeit (ausgerechnet von den Eltern der größten Störenfriede) ist nicht der Gipfel des Schreckens. Nein. Der gruseligste Moment, bei dem die Hände feucht werden und die Augen schreckgeweitet starren wie sonst nur beim Auftauchen des Zombie-Eisdrachens vor den Toren von Königsmund, kommt gleich nach der Begrüßung. Wenn der Lehrer nämlich die Frage in die Runde schmettert: »Wer schreibt das Protokoll?«
Das Dumme ist, dass ich jedes Mal wieder von der Frage überrumpelt werde. Irgendwie scheint es da bei mir einen körpereigenen Verdrängungsmechanismus zu geben, ähnlich dem, der dafür sorgt, dass man sich nicht mehr an die Schmerzen der Geburt erinnert.
Jedenfalls legt sich bei mir regelmäßig der gnädige Schleier des Vergessens über die Protokollsache, weswegen ich völlig unvorbereitet in die Falle tappe. Und dann steht diese Frage im Raum und funkelt mich an wie besagter Zombie-Eisdrache, bevor er seinen todbringenden Odem spuckt. Ich halte die Luft an und bete, dass der Eisdrache mich übersieht. Glotze auf den Boden. Der Lehrer fängt an, die Sätze herunterzuleiern, die sich wie ein frostiger Lufthauch verbreiten. »Einer muss es ja tun. Wir sitzen sonst noch morgen hier. Also, wer macht es?« Wenn sich bis dahin immer noch keiner erbarmt hat, fangen die Lügen an, die jedem Leiter einer solchen Veranstaltung geschmeidig über die Lippen flutschen: »Ist gar nicht viel. Ich habe hier die Tagesordnungspunkte aufgelistet, da muss man nur noch ergänzen.«
Mit jedem dieser Sätze bin ich mehr davon überzeugt, dass er mich meint. Mein Arm bekommt dieses Zucken, er will nach oben.
Ich versuche, standhaft zu bleiben. Es sind 17 Leute im Raum (die anderen Glücklichen sind zu Hause und warten auf das Protokoll!). Die können doch auch! Dann passiert es: Der Lehrer schaut in meine Richtung. Ich sende ein Stoßgebet zum Himmel, dass er mich nicht anspricht. Und dann – die warme Welle der Erleichterung: Er hat meine Sitznachbarin angesprochen. Bei uns anderen Müttern heißt sie nur Q7. Doch mein Aufatmen wird ganz schnell abgewürgt, denn Q7 seufzt theatralisch: »Nee, ich kann nicht. Ich hab gerade soooo viel zu tun.«
Ich werfe ihr einen erstaunten Seitenblick zu. Sie hat nur ein Kind und keine bezahlte Arbeit, dafür aber eine Putzhilfe. Die einzige Herausforderung in ihrem Leben ist, soweit ich das beurteilen kann, mit dem Monster-SUV bis vors Schultor zu brettern, ohne eines der anderen Kinder umzunieten. (Wobei ich mir nicht ganz sicher bin, ob sie sich überhaupt bewusst ist, dass auch andere Kinder unterwegs in die Schule sind. Oder dass es überhaupt sowas wie Fußgänger gibt.) Und augenblicklich ärgere ich mich über diese Frau, die sich hier um so einen lächerlichen Job drücken will. Vielleicht will ich auch nur beweisen, dass man natürlich einen bezahlten Job, zwei Kinder, einen Hund, ein Eigenheim, einen Gemüsegarten und Putzen auf die Reihe kriegt, und noch ein lächerliches Protokoll schreiben kann. Auf jeden Fall höre ich mich auf einmal sagen: »Also gut, ich mach das.«
Die anderen Eltern applaudieren erleichtert, nur Q7 nicht, die schüttelt ihr blondiertes Haar und lacht über eine Nachricht, die sie auf ihr Glitzerhandy bekommen hat. Diese erbärmliche Person! Einen Moment lang bin ich noch stolz, dass ich so viel tatkräftiger bin als sie. Und dass ich höchstselbst den Elternabend gerettet habe! Wonder Woman lässt grüßen! Doch schon als der Lehrer mir den Zettel mit der Tagesordnung reicht, macht sich Katerstimmung in mir breit. Da stehen nur ein paar lächerliche Stichworte drauf. Nix mit »nur ergänzen«. Wusste ich es doch! Er hat mich reingelegt. Und all die anderen Eltern haben mich auch reingelegt mit ihrer vornehmen Zurückhaltung. Verdammt. Ich bin so ein Volltrottel! Mit verkrampftem Lächeln hole ich mir vom Lehrer noch einen Stapel Blätter ab, zücke meinen Stift und komme meiner Sekretärinnen-Pflicht nach. Frollein, zum Diktat bitte! Warum konnte ich nicht auch einfach dasitzen, über WhatsApp-Nachrichten lachen und sinnlose Arbeitsangebote ablehnen? In grandioser Verachtung meiner selbst fange ich an, die Themen für Sachkunde aufzuschreiben.
Weil ich natürlich schon wieder vergessen hatte, wie ausführlich das Protokoll sein soll, saß ich dann da und notierte am Ende noch haufenweise alberne Vorschläge für die Klassenfahrt, auf die einige Eltern am liebsten mitfahren würden, um bei Bedarf feuchte Kleidung trockenzuföhnen, wenn die grausamen Lehrer das Naturerlebnis-Programm tatsächlich auch bei Nieselregen durchziehen würden. (Gibt es da kein Alternativprogramm? Muss denn das Naturerlebnis wirklich draußen stattfinden? Gian-Luca erkältet sich doch so schnell! Und Sophia-Shirins Jacke war nach dem letzten Ausflug klitschnass! Das grenzt schon an Aufsichtspflichtverletzung, die Kinder bei Regen rauszuschicken! Sollten wir nicht sowas wie einen Wetter-Vertrag machen?)
Und während ich vor mich hinkritzelte, bis mir der Arm wehtat (mit der Hand schreiben ist auch nicht mehr das, was es mal war), dachte ich auf einmal: Das bin tatsächlich ich! Eine Frau, die sich eine schöne Lesung mit einer schwachsinnigen Verkaufsstrategie verbockt, aber sich einen Dermatologen-Kongress und ein Klassenpflegschafts-Protokoll aufbrummen lässt!
Tja. So ist es wohl. Kaum zu glauben, aber wahr.
Ich schüttelte mich, weil ich es nicht fassen konnte. Natürlich war ich noch nie ein Verkaufsgenie gewesen, wenn es um meine Person ging. Mir fehlten auch immer schon die Worte, wenn ich so dreisten Typen wie Schlips-Dirk gegenüberstand. Meine Unsicherheiten sind mir so vertraut, als wären sie enge Verwandte. Meine Marotten-Familie.
Aber irgendwie hatte ich gedacht, dass sich das mal ändern würde. Dass mit dem Alter die Klugheit, die Gelassenheit und die Selbstsicherheit kämen. Auf die Schlagfertigkeit hatte ich insgeheim auch gehofft! Aber nein! Nix war!
Ich machte immer noch dieselben Fehler wie schon seit Jahren. Und das nach all der Lebenserfahrung, die ich gesammelt, all den Ratgebern, die ich gelesen, und all den Belehrungen und Weisheiten, die mir mein wohlmeinendes Umfeld schon zuteil hatte werden lassen.
Und in diesem Moment wusste ich: So ist es. Das ist mein Ich mit paarundvierzig. Und besser wird es auch nicht.
Diese selbstzweifelnde, harmoniesüchtige, bekloppte, fehlerhafte Person bin ich und ich werde sie aller Voraussicht nach immer sein. Aber wenn ich mit paarundvierzig so eine harmoniesüchtige, selbstzweifelnde, übereifrige, bekloppte, fehlerhafte Person bin – wie um alles in der Welt kann noch was aus mir werden? Wenn ich mich bis jetzt nicht geändert habe, ist die Wahrscheinlichkeit, dass mir das irgendwann zwischen heute und dem Rentenalter gelingen wird, verschwindend gering. Um nicht zu sagen: bei null. (So wie das mit der Hose in 40.)
Aber einfach kampflos aufgeben und sich weiterhin widerstandslos zum Affen machen? Und Leuten wie Schlips-Dirk und Q7 den ganzen Spaß überlassen?
Nee, Leute. Das geht nicht. Ich mag harmoniesüchtig und selbstzweifelnd und übereifrig und bekloppt sein, aber ich bin auch immer noch optimistisch und kampfbereit. Ich muss nur den richtigen Weg finden. Was Neues ausprobieren. Mehr so eine Guerilla-Taktik, mit der ich mich selbst überrumpeln kann.
Und dann las ich etwas Interessantes in der Zeitung.
Psychologen haben nachgewiesen, dass man sich besser fühlt, wenn man die Mundwinkel zu einem Lächeln hochzieht. Weil das Gehirn nicht merkt, dass es sich um ein Fake-Lächeln handelt, sondern die Informationen »Mundwinkel oben« immer mit »Freude« verknüpft. Das emotionale Zentrum wird automatisch aktiviert und voilá – man fühlt sich zufriedener. Ist das nicht kurios? Man muss nur so tun, als ob man lächelt, und schon ist man happy!
Aber wenn das Gehirn gar nicht so schlau ist, wie man denkt – wer sagt denn, dass man nicht auch andere Gefühle als Zufriedenheit faken kann?
Wenn man zum Beispiel so tut, als hätte man keine Selbstzweifel, hat man ja vielleicht auch weniger. Oder wenn man so tut, als müsste man sich nicht für alles rechtfertigen, dann tut man es vielleicht auch nicht. Oder wenn man so tut, als hätte man nichts falsch gemacht, dann muss man sich auch nicht schlecht fühlen. Verlockende Idee, oder?
Man muss sich vielleicht gar nicht ändern. Man muss nur so tun als ob!
Im ersten Moment klingt das mit den Fake-Feelings seltsam. Wie soll man sich denn selbst was vormachen? Doch als ich länger drüber nachdachte, wurde mir klar, dass ich ganz schön viel Übung darin habe, anderen gegenüber gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Wenn der Bruder meines Mannes mit seiner Rasselbande bei uns einfällt und mit seinem Regime des antiautoritären Terrors Angst und Flecken verbreitet – und ich lächele und ihnen sage, wie froh ich über ihr Kommen bin (dass ich mich noch mehr über ihr Gehen freue, behalte ich dann für mich). Wenn meine beste Freundin aus Schulzeiten sich mal wieder spontan entschlossen hat, einer kulturellen Veranstaltung in Köln beizuwohnen und mit ihrem Mann bei uns eincheckt wie in ein Hotel, damit sie abends nicht noch in die Eifel zurückfahren müssen – und ich ihr sage, natürlich dürfe sie bei uns übernachten, weil ich es immer schön finde, sie zu sehen (auch wenn es noch schöner wäre, wenn sie auch mal kommen würde, wenn ich ihre Hilfe gebrauchen könnte). Oder wenn mein Mann zum hundertsten Mal die Schranktür offengelassen hat, obwohl ich ihm ebenso viele Male schon gesagt habe, er soll das lassen – auch da schaffe ich es in neun von zehn (okay, acht von zehn) Fällen, die Schranktür einfach zuzumachen und keinen Streit vom Zaun zu brechen, obwohl es in mir brodelt.
Erfolgreiches Zusammenleben beruht doch zum großen Teil darauf, dass man seine wahren Gefühle (aber auf jeden Fall seine spontanen Emotionen) verschleiert. Andauernd ist man höflich zu nervigen Zeitgenossen (ob bei der Arbeit, beim Einkaufen, auf Partys, in der Bahn oder sonst wo), obwohl man sie manchmal am liebsten anschreien würde – da kann man wohl mal freundlich zu sich selbst sein! Da kann man sich selbst doch auch nachsichtig, achtsam und rücksichtsvoll begegnen, selbst wenn man eigentlich eine ganz andere Meinung von sich hat!
Wenn man es sich genau überlegt, sind Frauen nicht nur Meisterinnen darin, anderen etwas vorzumachen, sondern auch darin, sich selbst etwas vorzumachen.
Ich war neulich mit Anja und ein paar anderen Kolleginnen essen. Es sollte ein gemütlicher Frauenabend werden. Ich freute mich darauf, genau wie auf das Wiener Schnitzel, für das dieses Lokal, in das wir gingen, berühmt war. Und zum Dessert würde ich noch ein köstliches, sahnig triefendes Tiramisu essen.
Wir saßen also da und studierten die Speisekarte.
»Ich nehme den überbackenen Ziegenkäse«, sagte Carla. Der war mir bei den Vorspeisen auch ins Auge gefallen!
»Und als Hauptspeise?«, fragte ich.
»Hauptspeise?«, fragte Carla lachend zurück. »Nein. Ich habe heute Mittag schon gegessen.«
»Wer nicht?«, scherzte ich, aber außer Anja lachte keiner. Als auch Romina nur eine Vorspeise bestellte, geriet mein Vorhaben ins Wanken. Wollte ich wirklich so ein riesiges paniertes Fleischstück mit Pommes? Eigentlich ja schon, aber wenn alle anderen hier nur so Kinkerlitzchen bestellten, käme ich mir schon komisch* vor.
Kurz flammte bei mir Hoffnung auf, dass ich mit meinem Schnitzel nicht alleine dastehen würde, als ich mitbekam, dass Sina, Jule und Monika Gulasch mit Klößen essen würden. Dann erfuhr ich, dass sie sich eine Portion teilten. Zu dritt.
»Mehr schaffe ich wirklich nicht«, behauptete Monika. Na klar. Und mein Name ist Queen Elizabeth aus dem Hause Windsor.
»Was nimmst du?«, fragte ich Anja in der Hoffnung, dass wenigstens ihr der Sinn nach Völlerei stand. Ich konnte doch nicht als einzige reinhauen wie ein bayerischer Holzfäller, der auf seinen Cholesterinspiegel pfeift! Wenn ich dann all die anderen mit ihren Tellerchen sehen würde, hätte ich ein total schlechtes Gewissen.
»Weiß noch nicht«, sagte sie und biss sich auf die Lippen. »Und du?«
»Eigentlich hätte ich ja Lust auf was Deftiges!«, wagte ich zu sagen. »Ich auch«, sagte Anja erleichtert. Silke neben mir klappte die Speisekarte zu und verkündete: »Ich nehme die Kürbissuppe.«
»Vielleicht nehme ich das Putengeschnetzelte«, sagte Anja vorsichtig. »Oder die mit Linsen gefüllten Auberginen.«
»Das ist ja vegan!«, entfuhr es mir. (Seitdem ich auf einer Party mal aus Versehen veganes Mett** gegessen habe, bin ich allergisch gegen veganes Essen.)
»Ja, stimmt«, gab Anja zu, »und eigentlich sind Linsen ja gar nicht so meins.«
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* Okay. Um präziser zu sein und ehrlicher: verfressen. Das zutreffende Adjektiv wäre verfressen.
** Gibt es wirklich. Besteht aus Naturreiswaffeln, die mit Tomatenmark und Raucharomen zugeballert werden. Muss ich noch mehr sagen?
Ich starrte sie einen Moment an und fragte mich, wie sie überhaupt auf die Idee gekommen ist, die gefüllten Auberginen in Betracht zu ziehen. (Jetzt weiß ich: fiese Fake-Feelings!)