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Wenn eine Auszeit zu romantischen Problemen führt …
Eine berührende Liebesgeschichte zwischen kreativen Krisen und den grünen Hügeln Irlands
Hazel braucht dringend eine Pause von ihrem Leben. Obwohl sie eine der bekanntesten Content Creator im DIY-Bereich ist, brennt sie nicht länger für ihre Arbeit. Deshalb kommt der Brief aus Irland gerade recht, denn sie soll sich im idyllischen Cork um den Verkauf des Hauses ihrer verstorbenen Großmutter kümmern. Doch ihre Identität kann sie nach ihrer Ankunft nicht lange geheim halten und wird prompt überredet bei der Renovierung des örtlichen Jugendzentrums auszuhelfen. Aber nicht nur das enge Budget und fehlendes Werkzeug werden zum Problem, sondern ausgerechnet der attraktive Betreuer Wyatt. Dieser scheint Hazel unbedingt wieder los werden zu wollen, obwohl es eine unwiderstehliche Anziehung zwischen ihnen zu geben scheint …
Erste Leser:innenstimmen
„Ein erfrischender Ausflug nach Cork! Hazels Reise in die irische Landschaft war eine wundervolle Flucht aus dem stressigen Leben.“
„Die charmanten Charaktere Hazel und Wyatt haben mich sofort in den Bann gezogen.“
„Ein gelungener Mix aus DIY-Kreativität, Liebe und Selbstfindung!“
„Die Autorin erinnert daran, dass es nie zu spät ist, seinem Herzen zu folgen und neue Wege zu beschreiten.“
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Seitenzahl: 432
Hazel braucht dringend eine Pause von ihrem Leben. Obwohl sie eine der bekanntesten Content Creator im DIY-Bereich ist, brennt sie nicht länger für ihre Arbeit. Deshalb kommt der Brief aus Irland gerade recht, denn sie soll sich im idyllischen Cork um den Verkauf des Hauses ihrer verstorbenen Großmutter kümmern. Doch ihre Identität kann sie nach ihrer Ankunft nicht lange geheim halten und wird prompt überredet bei der Renovierung des örtlichen Jugendzentrums auszuhelfen. Aber nicht nur das enge Budget und fehlendes Werkzeug werden zum Problem, sondern ausgerechnet der attraktive Betreuer Wyatt. Dieser scheint Hazel unbedingt wieder los werden zu wollen, obwohl es eine unwiderstehliche Anziehung zwischen ihnen zu geben scheint …
Erstausgabe Mai 2024
Copyright © 2024 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten
E-Book-ISBN: 978-3-98778-684-6 Taschenbuch-ISBN: 978-3-98778-988-5
Covergestaltung: Larissa Siepmann unter Verwendung von Motiven von: shutterstock.com: © Art Stocker, © grafxart, © Konmac, © Denise Kappa, © djgis stock.adobe.com: © KhWutthiphong Lektorat: The Write Spirit
E-Book-Version 22.08.2024, 13:44:37.
Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.
Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
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Das sind immer wieder die gleichen Themen, die sie aufgreift. Super lame.
Ich habe mir eigentlich nur vorgenommen, die Benachrichtigungen für dieses Video auszuschalten. Nachdem es heute Morgen online gegangen ist – Planungstool sei Dank – sind die Benachrichtigungen auf meinem Handy explodiert. Verschiedene Apps zeigen mir eine nicht endend wollende Liste mit Likes, Kommentaren und geteilten Beiträgen an. Diese Erfahrung begleitet mich, seitdem ich mich selbstständig gemacht habe. An oberster Stelle wird eine Analyse der Interaktionen eingeblendet: Der Beitrag gefällt 36 Prozent mehr Nutzer*innen als dein vorheriger. Gut gemacht! Und ich liebe alles daran. Die Begeisterung für das Ergebnis einer endlos scheinenden Renovierung. Die Faszination, nachdem ein Haus, ein Raum oder ein Möbelstück eine Verwandlung durchlebt hat, die vielleicht sogar einen neuen Nutzen verleiht. Das ist es, wofür ich brenne.
Eigentlich.
Ich zwinge meine Aufmerksamkeit auf das Handydisplay vor mir. Der erste Kommentar hatte mich neugierig gemacht. Schließlich hat es seinen ganz eigenen Reiz, die Reaktionen auf die eigene Arbeit quasi live mitzuverfolgen. Allerdings ist es eine klebrig-süße Falle, denn auf jeden positiven Kommentar folgt kurze Zeit später ein kritischer Beitrag. Das Tückische an ihnen ist nicht immer der Inhalt. Es liegt an dem Zeitpunkt. Meistens treffen sie einen unvorbereitet. So wie mich gerade. In einem Moment, indem ich nicht auf der Hut gewesen bin und mein Innerstes, meine verletzliche Seite, nicht tief genug versteckt habe. So wird aus der aufwallenden Neugierde tiefes Bereuen.
Ich scrolle weiter, vorbei an euphorischen Kommentaren, den freudigen Reaktionen, die mein Herz jedes Mal schneller schlagen lassen, bis ich bei dem nächsten herablassenden Kommentar hängen bleibe.
kann ihrer Stimme echt nicht mehr zuhörn wann hält sie nur die Klappe
Mein erster Impuls ist, direkt auf die Nachricht zu antworten: Keiner zwingt dich dazu, dir den Beitrag anzusehen. Doch das wird mir nur einen kurzen Moment der Befriedigung geben. Nicht mehr Angriffsfläche geben. Das ist die Devise.
Einige meiner Branchenkollegen haben ebenfalls reagiert. Die Reihe von Herzen, die sie unter dem Beitrag hinterlassen haben, sind sowohl Zuspruch als auch Trost.
Ich presse die Augen so fest zusammen, bis Lichtpunkte hinter meinen Lidern aufblitzen. Es hat einen Zeitpunkt gegeben, an dem du Spaß daran hattest, erinnere ich mich selbst daran. Anderen Menschen gefällt es auch, sonst wärst du nicht da, wo du heute bist. Ich weiß nicht recht, was diese Worte mit mir anstellen. Ich fühle so viele Emotionen gleichzeitig: Trauer, Wut, Hilflosigkeit und so viel mehr, die mich erneut hinterfragen lassen, weshalb ich diesen Job überhaupt mache. Es ist ein Auf und Ab. Euphorie und Wehmut liegen so dicht beieinander, dass ich nicht immer dazwischen unterscheiden kann. Und inzwischen bin ich müde.
Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass ich weit hinter meinem Zeitplan liege. Sie ist das einzige Accessoire auf der sonst weißen Wand. Für den heutigen Nachmittag habe ich mir ein ambitioniertes Ziel gesetzt: Ein neues Video schneiden, einen Beitrag Korrektur lesen und für morgen Abend einplanen und versuchen, meine Technikprobleme in den Griff zu bekommen, die mich seit Anfang der Woche daran hindern, weiteres Material in meinem Studio abzudrehen. Genug Ideen sind da. Es wäre wohl zu einfach, wenn alles reibungslos klappen würde.
Stattdessen hänge ich in meiner Gedanken-Zeitschleife, die mich wie erstarrt zurücklässt. In letzter Zeit passiert das häufiger. Öfter als mir lieb ist, öfter als ich mir eingestehen möchte. Ich kenne den Grund, auch wenn ich bisher nicht wirklich gewagt habe, ihn mir einzugestehen. Aktuell fühlt es sich mehr danach an, als würde mir meine Arbeit alle Kraft aussaugen. Das Problem? Das zuzugeben, fühlt sich wie Scheitern an.
Es passt nicht zu dem Bild, das ich von mir selbst habe. Worüber ich mich in den vergangenen Jahren definiert habe. Die Gewissheit, dass ich zuverlässig, kreativ und fleißig bin. Eigenschaften, die mir geholfen haben, Blazing Imagination als meine Firma aufbauen, die ersten Aufträge zu sichern und mir die notwendigen Kontakte in der Branche aufzubauen. Es war nicht immer leicht, oft anstrengend, aber so unglaublich lohnenswert. Doch das, was sich früher so natürlich wie Atmen angefühlt hat, fällt mir aktuell so schwer.
So.
Schwer.
Ich habe erneut die Worte meiner Mitbewohnerin Julie im Ohr, die letztens sagte, dass ich eigentlich zu jung für eine Midlife-Crisis sei. Was ihr nicht bewusst ist, ist, dass es sehr wohl auch eine Quarterlife-Crisis gibt. Und die schlägt genauso rein.
Es klopft beinahe unhörbar an der Tür.
»Komm rein«, sage ich, bevor sich diese öffnet. Meine beste Freundin und ebenfalls Mitbewohnerin streckt den Kopf durch den Türspalt. Maisies frisch gefärbten Haare glänzen violett im Licht der untergehenden Sonne, das ihre Silhouette von hinten einrahmt.
»Ich war mir nicht sicher, ob du schon fertig bist«, sagt sie mit einem entschuldigenden Lächeln und öffnet die Tür weiter, um hindurch zu treten. Das goldene Abendlicht fächert sich hinter ihr auf und streckt seine Finger in mein Zimmer aus. Es genügt ein Schritt und Maisie nimmt den gesamten Raum ein, aber auf positive Weise. Unsere erste Begegnung ist auf dem Unicampus vor drei Jahren gewesen. Der Gurt meiner Umhängetasche war gerissen und alle meine Unisachen verstreuten sich auf dem Boden. Sie kannte mich bisher nicht und trotzdem zögerte sie nicht, mir beim Aufsammeln zu helfen. Das war der Beginn unserer Freundschaft. Sie hat etwas an sich, eine Unbeschwertheit, die ich bis heute bewundernswert finde. Wenn ich an einem Problem zu scheitern drohe, bewahrt Maisie einen kühlen Kopf.
Mit einem Mal wirkt mein Zimmer mit seinen weißen Wänden weniger karg, meine Gedanken weniger düster, der Berg an Arbeit weniger bedrohlich. Der Druck auf meinem Brustkorb lässt minimal nach, der mich schon eine geraume Zeit begleitet und den ich zu ignorieren versuche.
»Was gibt es?«
»Rico fragt, ob wir heute Abend dazustoßen wollen. Er schmeißt eine Party im Reece. Geschlossene Gesellschaft.« Bei den Worten wackelt sie bedeutungsvoll mit den Augenbrauen. Das Zeichen für die stille Übereinkunft, welche Erwartungen Maisie an solche Art von Abenden hegt. An solche, die mit Pizza auf der kleinen Dachterrasse unseres Wohnkomplexes enden, obwohl dort eigentlich der Zutritt verboten ist, um dem grauenden Morgen zuzusehen.
»Was hat er denn zu feiern?«
»Ach, du weißt schon … eigentlich nichts. Das Leben. Und alles dazwischen.«
Die letzte Party ist noch gar nicht so lange her, was nicht heißt, dass ich mich sonderlich gut an diese erinnere. Die vielen Shots in zu kurzer Zeit an meinem sechsundzwanzigsten Geburtstag haben eklatante Gedächtnislücken hinterlassen.
Oder habe ich vergessen wollen?
»Ich würde ja gern, aber …« Mit einem Seufzen lasse ich mich nach hinten aufs Bett fallen. Es mag theatralisch sein, aber es ist ein beruhigendes Gefühl, in einem Moment der Ratlosigkeit in die weichen Kissen einzutauchen. Das Bett federt einen Moment nach. Mit geschlossenen Augen ist es leicht, sich vorzustellen, ich läge in einer Hängematte im Wind, fernab aller Sorgen.
Die Matratze gibt erneut nach, als Maisie neben mich klettert.
»Aber?«, hakt sie in der perfekten Mischung aus Behutsamkeit und Aufmunterung nach. Sie hat das großartige Talent, eine wunderbare Zuhörerin und Ratgeberin zu sein, ohne fordernd zu klingen. Es gibt mir das Gefühl, mit ihr über meine Probleme sprechen zu können, ohne Angst haben zu müssen, verurteilt zu werden.
»Arbeit«, entgegne ich und stöhne. Es ist das Erste, was mir durch den Kopf schießt. Es ist nicht gelogen – aber auch nicht die ganze Wahrheit. Da gibt es noch etwas.
»Du bist unverbesserlich mit deinem Ehrgeiz«, sagt sie. In ihrer Stimme klingt das Lächeln mit, das auf ihren Lippen liegt. »Du wirkst in letzter Zeit so ruhelos. Ist das alles, was dich bedrückt?« Maisie scheint etwas zu ahnen. Natürlich.
Ich greife nach meinem Smartphone und checke die Uhrzeit, nur um Zeit zu schinden. Meinem straffen Zeitplan nach hätte der Blogbeitrag in vierzig Minuten fertig sein müssen, doch ich habe ihn bisher noch nicht gegengelesen. Morgen früh habe ich einen Interviewtermin und fühle mich planlos. Am Montag soll ich einen Redebeitrag im Radio erhalten, den ich bisher genauso wenig vorbereiten konnte. Das wären alles gute Gründe, um kurzweilig neben der Spur zu sein.
»Wann soll es bei Rico losgehen?«, frage ich, statt mich in fadenscheinigen Ausreden zu verstricken. Maisie ist schlau genug, um das zu durchblicken. Ganz abgesehen davon, dass sie mich besser kennt als ich mich wahrscheinlich selbst.
Doch ich höre Maisies Antwort nicht. Eine Push-Benachrichtigung erscheint auf dem oberen Bildschirmrand, die jeden Gedanken aus meinem Verstand fegt. Der Grund, weshalb ich die letzten Wochen nur halbherzig bei jedem Projekt dabei bin, das ich anfange.
Bleibt es bei heute Abend, Wein und gutem Essen, dir und mir? – Tyler
Am liebsten würde ich die Mitteilung mit dem Daumen nach oben schieben. Einfach weg aus dem Display, hinein in eine Gedankenschublade, die ich nie wieder öffnen würde. Es ist pure Verdrängung. Ungesund und zerstörerisch, aber das Einzige, was mich derzeit vor dem Ertrinken rettet.
Es hat eine Zeit gegeben, in der mein Herz beim Lesen einen Hüpfer gemacht hat. In der ich nachts bei dem Gedanken und die Sehnsucht an ihn mich zerrissen hat, während ich die Stunden abwartete, ihn wiederzusehen. Dabei ist nichts vorgefallen, das die schwindende Liebe erklären könnte. Kein Streit, kein Fremdgehen, kein gebrochenes Herz.
Es ist einfach so passiert. Mit mir scheint etwas nicht zu stimmen, seitdem sich aus der Verliebtheit ein schlechtes Gewissen entwickelt hat, das mich an den Knöcheln hinabzieht. Nach langem dagegen Ankämpfen fehlt mir die Kraft, mich weiter an der Oberfläche zu halten, die Verpflichtungen aus meiner Selbstständigkeit, meine mentale und körperliche Gesundheit und der Beziehung zu Tyler nicht gerecht werden zu können. Und er hat Besseres verdient, als sich durch mich so herunterziehen zu lassen.
Die Erkenntnis hat sich wie ein Raubtier angeschlichen, leise, ohne Vorwarnung, und als sie mich packte, habe ich mich aus ihrer Umklammerung nicht mehr retten können. Nun begleitet sie mich bei jedem Schritt, jedem Atemzug, wie ein mahnender Schatten. Ein Schatten, der verurteilend über meine Versuche wacht, in denen ich mich dagegen wehrte.
Das mir bei jedem Kuss, jeder Berührung, jedem Lächeln ins Ohr flüstert: Du bistso eine schamlose Lügnerin.
Ja, vielleicht bin ich das. Vielleicht hat mein Kopf aber nur noch nicht aufgeben wollen, von dem sich mein Herz bereits losgesagt hatte. Noch immer habe ich die Stimme meines Therapeuten im Ohr. Sie sollten Ihre größte Priorität sein. Es ist in Ordnung, mal nur an sich zu denken. Vielleicht hat er recht, aber das Richtige zu tun, fühlte sich nie falscher an.
»Du hast mit Tyler noch nicht gesprochen, oder?« Maisie versteht es genau, die unausgesprochenen Gedanken aufzunehmen. Ich bewundere sie regelmäßig für ihr Gespür, immer die richtigen Worte zu finden. Die Stimmung so fein zu nuancieren. Als sich unsere Blicke begegnen, schwingt Bedauern in ihrem Blick mit.
»Kannst du mir verdenken, dass ich nicht die Böse in seiner Geschichte sein möchte?«, frage ich resigniert. »Objektiv gesehen gibt es keinen Grund, ihn nicht zu lieben. Objektiv betrachtet ist er der beste Partner, den man sich wünschen kann.«
»Das heißt nicht, dass er es für dich ist.«
Frustriert ziehe ich ein Kissen heran und verstecke mein Gesicht darin. »Du sagst das so selbstverständlich in deinem jugendlichen Leichtsinn«, murmle ich ermattet. Keine Ahnung, ob Maisie mich versteht, meine Stimme klingt nur dumpf durch den Stoff hindurch.
»Vielleicht erkennt er das nicht sofort, aber irgendwann wird er dankbar dafür sein, dass du ihn gehen lassen hast.«
»Das klingt erst recht nach einer Begründung, die sich ein Bösewicht zurechtlegt.«
Maisie lacht.
»Wieso sagst du immer so kluge Sachen, Mimi?«
»Ich helfe immer da, wo ich kann«, sagt sie und klingt dabei etwas selbstgefällig. »Nein, ernsthaft. Ich unterstütze dich bei allem, egal wie du dich entscheidest – wobei, sagen wir, bei fast allem. Wenn es unethisch wird, bin ich raus. Aber ehrlich. Sag mir, wie ich helfen kann, und ich bin dabei.«
»Ich glaube, hierbei kannst du mir leider nicht helfen, Mimi. Ich muss es tun, oder?« Ein trauriges Lächeln stiehlt sich auf meine Lippen, ohne dass ich es verhindern kann. Wenn ich nicht als Feigling in die Geschichte – unsere Geschichte – eingehen will, muss ich einmal den Mut aufbringen. Die Wahrheit sagen. Eigentlich soll die Wahrheit einfach sein. Dafür, dass sie immer glorifiziert wird, will sie nur selten jemand hören.
Wenn ich mit mir ehrlich bin, tun die herabsetzenden Kommentare am meisten weh, da sie gar nicht so weit von der Wahrheit entfernt sind. Ohne dass sie es ahnen. Ohne dass ich mir bewusst bin. In meinem Kopf gehen die gleichen Themen ein und aus, ohne dass ich es ändern kann.
Ist doch komisch, oder?
Weniger komisch ist es, verfroren und im Nieselregen vor der Haustür zu stehen und eine innerliche Debatte zu führen, ob ich jetzt klingeln soll oder nicht. Ein Teil von mir sträubt sich dagegen, doch ist da auch der Teil, der endlich zur Ruhe kommen möchte. Es wäre nicht fair, Ty noch länger im Dunkeln zu lassen, obwohl meine Gefühle so eindeutig sind, dass nicht einmal ich selbst sie weiter ignorieren kann.
Die Tür geht auf und Tys Anblick bringt meine Entschlossenheit ins Wanken. Eine Hälfte schreit Zuhause. Das ist er für mich gewesen, die letzten zwei Jahre. Zuhause. Anker. Ruhepol.
Bald jedoch kommt ein neuer Name hinzu.
Seine Haare stehen nach oben ab, als wäre er erst soeben mit den Fingern hindurch gefahren. Der Dreitagebart steht ihm gut. Meine Fingerspitzen kribbeln bei der Erinnerung daran, wie gut es sich anfühlt, über diesen zu streichen. Jeder Zentimeter in seinem Gesicht ist mir so vertraut, dass, wenn ich die Augen schließe, ich sein Antlitz vor mir sehe, zusammengesetzt aus allen wertvollen Momenten, die ich mit ihm zusammen verbracht habe.
Ein träges Lächeln hebt seine Mundwinkel, als er mich sieht, schließlich gibt es keinen Grund für ihn alarmiert zu sein.
»Hey«, sagt er. Seine Stimme klingt weich und rau gleichzeitig. Nicht selten sagte ich ihm, er hätte eine Vorlesestimme, auch wenn er mir nicht glauben wollte.
»Hey«, sage ich und trete auf ihn zu. Mein Körper reagiert ganz natürlich auf die Vertrautheit, die der Kuss innehat. Die Begrüßung schmeckt nach Abschied. Sie ist vertraut und schmerzvoll zugleich.
Vielleicht lässt mich Ty ein wenig verloren zurück, als er sich von dem Kuss löst. Es ist schwer für mich, bei meinen eigenen Gefühlen durchzublicken. Ich fühle mich zerrissen, habe Schuldgefühle. Davon bemerkt er nichts, stattdessen schmunzelt er über meinen Gesichtsausdruck.
»Schön, dass du da bist«, sagt er und schiebt eine Strähne hinter mein Ohr, die mir aus dem Zopf gerutscht ist. Die Wärme seiner Haut ist tröstlich. Doch sie droht mich zu verbrennen, wenn ich mich nicht von ihm löse. Kalte Panik breitet sich in meiner Magengegend aus, bei dem Gedanken daran, was ich gleich in Begriff bin zu tun. Was ich tun muss. »Wie war dein Tag?«
Ich gebe mir einen Ruck und trete ein.
»Durchwachsen«, sage ich, während ich mir den Schal abwickele und die Schuhe ausziehe. »Ich habe heute im Studio ein Video vorbereitet und zumindest zwei weitere Ideen ausprobiert. Ich bin mit den Ergebnissen jedoch nicht ganz zufrieden. Bei meinem Mikrofon ist ab und zu ein Kratzen zu hören, wenn ich reinspreche.«
An den Eingangsbereich schließt sich das geräumige Wohnzimmer an. Auf der Küchentheke sehe ich, dass Ty schon einige Vorbereitungen für heute Abend getroffen hat. Eine Flasche unseres Lieblingsweins steht bereit, zwei Weingläser und to-go-Essen von unserem Lieblingsrestaurant.
In der Luft liegt der Duft nach Flieder und Kardamom. Die Kerze auf dem Couchtisch war ein Geschenk, da er sich etwas wünschte, was ihn an mich erinnert. Mir entgeht die bittere Wendung der Geschehnisse nicht.
»Vielleicht brauchst du ein Neues.« Ty lächelt mild.
»Wenns nur das wäre, wäre das Problem leicht zu beheben.«
Wir bewegen uns in den Wohnbereich und nehmen wie Spiegelbilder zeitgleich auf dem Sofa Platz. Ich ziehe die Beine an und wappne mich gegen das, was unweigerlich als Nächstes kommt. In meinem Kopf habe ich tausende Varianten durchgespielt, wie ich dieses Gespräch beginne. Mir Worte zurechtgelegt, die verdeutlichen sollen, wie ernst es mir ist und sehr es mich selbst verletzt, sie aussprechen zu müssen. Doch es läuft nicht immer so wie geplant. Mein Kopf ist wie leer gefegt. Meine Gedanken reichen nicht einmal zu dem Punkt, der den Satz beenden soll.
»Möchtest du etwas trinken?«, fragt Tyler und spielt gedankenverloren an den Stoffbändern an seinem Handgelenk. Ein Zeugnis der vielen Festivals, auf denen er in den letzten Jahren gewesen ist.
Ja. Nein. Wann ist der richtige Zeitpunkt, um darüber zu sprechen, weshalb ich hergekommen bin? Wie lange kann ich es aufschieben, bevor es lächerlich wirkt? Wäre es nicht für uns beide besser, wenn ich das Thema so schnell und schmerzlos wie möglich anspreche?
Es ist jedoch, als hätte ich die Kontrolle über meinen Körper verloren. Ich denke die Worte, die ich aussprechen möchte, doch irgendwo zwischen meinem Gehirn und meinem Mund gehen sie verloren. So öffne und schließe ich meine Lippen, ohne dass ein Ton über sie kommt.
Plötzlich ist mein Mund so trocken, dass ich einen Schluck Wasser gut gebrauchen könnte, und mir wird bewusst, dass Ty immer noch auf eine Antwort wartet. Erwartungsvoll sieht er mich an.
»Wir müssen reden.« Ein Teil von mir hasst mich selbst dafür, dass ausgerechnet diese Worte meinen Mund verlassen. Mein Blick springt überall hin, nur nicht zu Tyler. »Ich glaube nicht, dass du meine Ehrlichkeit zu schätzen wissen wirst.«
Als seine Antwort ausbleibt, hebe ich den Kopf. Sein Blick sucht mein Gesicht nach der Antwort auf seine stummen Fragen ab.
»Ist das ein schlechter Scherz?«, fragt er leise. Als die Erkenntnis dämmert, verändert sich etwas in seinem Ausdruck.
Es ist schmerzhaft mit anzusehen. Die Verwirrung. Das Verstehen.
»Das war nicht nur so leicht dahingesagt«, stellt er nach einem Moment fest.
Mein Hals ist wie zugeschnürt, daher kann ich nur nicken. Auf meine stumme Erwiderung hin erhebt Ty sich wortlos und tritt an die Theke. Er greift zum Wein und schenkt beide Gläser ein, ehe er mir eins reicht. »Ich glaube, den brauchen wir jetzt beide.«
Das Knistern der Kerze auf dem Couchtisch füllt die Stille aus, die droht, sich ins Unendliche auszudehnen. In meinen Ohren rauscht das Blut. Mir ist schlecht. Mein Körper ist völlig darauf eingestellt, dieser Situation entfliehen zu wollen. Es ist schwer, dagegen anzukämpfen. Es ist schwer, das Gespräch mit Ty zu führen, das er so sehr verdient hat.
»Wenn ich nun sagen würde, ich hätte es geahnt, wäre es gelogen gewesen«, beginnt er mit ruhiger Stimme. »Weil es weit weniger als eine Ahnung war. Es war wie ein flüchtiger Ton, nicht zu greifen. Der Missklang war so marginal, dass er in der Symphonie drum herum beinahe unterging.« Selbst jetzt drückt er sich so bedacht, so sanft aus. Als Musikdozent fliegt ihm die Metapher wie von selbst zu, ohne dass es aufgesetzt wirkt.
»Ich wünsche mir, dass du mir glaubst, wenn ich sage, erst sehr spät verstanden zu haben, was dieser Missklang für mich bedeutet.« Ich räuspere mich. »Ty, du weißt …« Meine Stimme zittert, ich muss noch einmal ansetzen. »Du weißt, dass es mir aktuell nicht so gut geht. Mir fehlt aktuell für so vieles die Kraft.«
Plötzlich bin ich froh, das Weinglas in der Hand zu halten, und meinen Fingern eine Beschäftigung zu geben. Mit meinem Daumen fahre ich immer und immer wieder eine imaginäre Linie entlang, als wäre darauf ein Gedanke eingraviert, den ich so ausradieren könnte. Ich muss nur aufpassen, nicht vor Anspannung das hauchdünne Glas zu zerbrechen.
»Ich bin für dich da, das weißt du doch«, sagt er mit einem Stirnrunzeln.
»Das weiß ich. Aber irgendwo zwischen all den Versuchen, nicht den Anschluss zu verlieren, habe ich etwas verstanden. Das ist etwas, wo ich alleine durchmuss«, erwidere ich leise. »Ich habe das Gefühl, mich zu zerreißen.« Mir ist es wichtig, das klarzustellen. Ty soll nicht auch nur den Hauch des Zweifels bekommen, dass ich nicht ehrlich mit ihm gewesen bin.
»Wie lange weißt du es schon?«
Das ist eine gefährliche Frage. »So richtig bewusst geworden ist es mir erst jetzt«, antworte ich ausweichend. Gezweifelt habe ich schon länger, doch gleichzeitig wollte ich wirklich, dass es funktioniert. »Ich hoffe, du kannst mir glauben. Es wäre wohl zu viel verlangt, von Verständnis zu reden. Aber ich … ich möchte nicht, dass du denkst, es wäre deine Schuld oder so.«
Ty lässt sich mit seiner Antwort Zeit. »Natürlich glaube ich dir. Ich kenne dich, ich vertraue dir, daran hat sich nichts geändert. Dass du … du …«
Ihm fehlen genauso wie mir die Worte zu beschreiben, was in diesem Moment mit uns passiert.
»Es tut mir so leid. So, so sehr«, sage ich und hasse mich dafür, dass meine Stimme ausgerechnet in diesem Moment versagt. Dass sie ausgerechnet jetzt bricht und piepsig klingt. »Ich wünschte, es wäre anders.«
»Lässt sich noch etwas an deiner Meinung ändern?«
In seiner Stimme schwingt ein Funken Hoffnung mit. Ich weiß, dass Ty es mir nicht absichtlich schwer machen möchte, und ich hasse es, dass ich diese zerstören muss. »Ich befürchte nein … Ich kann dir nicht versprechen, dass danach alles wie vorher wird.«
Puh. Das auszusprechen tut fast körperlich weh. Obwohl es die Wahrheit ist. Obwohl es auch erleichternd ist, die Worte endlich los zu sein.
»Dann macht alles wohl keinen Sinn mehr«, murmelt Ty und lehnt sich zurück. Mit einem Mal wirkt er, als hätte ihn alle Kraft verlassen. Ich bin mir nicht sicher, ob er dies überhaupt hatte laut aussprechen wollen. Er wirkt so … gebrochen, dass sich alles in mir zusammenzieht.
»Nein, nein! Das darfst du nicht denken. Bitte«, flehe ich. »Es tut mir leid, dass ich dir damit aktuell so weh tue. Aber es wird vergehen. Der Schmerz wird vergehen. Ich weiß, dass es sich aktuell nicht danach anfühlt.«
Fast schon erwarte ich, dass eine schnippische Antwort zurückkommt. Woher willst du das schon so genau wissen? Schließlich wirst nicht du gerade verlassen.
»Ich kann dir nicht böse sein. Worauf sollte ich, schließlich können Gefühle nicht erzwungen werden.« Er seufzt, tief und schwer. »Ich kann dich nicht zwingen, mich zu lieben, Hazel. Aber verzeih mir, wenn ich sage, dass es natürlich trotzdem wehtut.«
Ich muss bei seinen Worten schlucken und mich zwingen, ruhig weiter zu atmen, als ich das verräterische Brennen hinter meinen Augen spüre. Ja, das habe ich wohl verdient. Das muss ich aushalten, auch wenn es schwer ist.
»Ich wünschte, ich müsste dich nicht enttäuschen«, flüstere ich. »Ich würde dir so gern davon erzählen, was ich mir alles für uns gewünscht habe, aber ich befürchte, damit würde ich dir mehr wehtun als trösten und das ist das letzte, was ich möchte.« Ich glaube, das ist das Erwachsenste, was ich jemals von mir gegeben habe. »Mir war es wichtig, dir gegenüber fair zu sein.«
»Das weiß ich sehr zu schätzen, denke ich … Aber ich glaube, ich werde etwas Zeit brauchen«, sagt er. »Nimm mir das bitte nicht übel oder denke, dass ich dich ab jetzt hasse.« Ein zittriger Atemzug ist das einzige, das er sich erlaubt zu zeigen. In dem Moment zumindest, in dem sein Stolz noch größer als der Schmerz ist. Doch wie nach einem Unfall, wird irgendwann das Adrenalin nachlassen.
»Natürlich.« Wahrscheinlich hätte ich aus Schuldgefühl jeder seiner Bitten zugestimmt. »Ich maße mir nicht an, mir vorstellen zu können, wie es dir jetzt geht. Bitte verstehe, dass ich volle Verantwortung übernehme und es aushalten kann, wenn du jetzt wütend oder enttäuscht oder beides von mir bist. Das darfst du auch sein. Wahrscheinlich ist es zu früh zu sagen, aber ich hoffe … ich hoffe, dass unsere Freundschaft das überlebt, Ty. Du bist mir immer noch wichtig und die gemeinsame Zeit kann und möchte ich nicht ausradieren. Wir sind beide zusammen so als Menschen gewachsen …«
Eine Emotion durchzuckt Tys Gesicht, die ich nicht einordnen kann. »Aber es hat trotzdem leider nicht gereicht. Verstehe. Ich kann es dir nicht versprechen, Hazel, auch wenn du es gern hören wollen würdest. Ich weiß – ich würde es auch gerne sagen. Aber … aber aktuell wäre das wohl ebenfalls gelogen.«
Ich trinke den letzten Schluck Wein. Eine Übersprunghandlung. Ruhig zu bleiben und nicht dem verräterischen Zittern meiner Unterlippe nachzugeben, kostet so viel Willensanstrengung. Mach es nicht schwerer, als es eh schon ist, weise ich mich selbst zurecht. Ty hat allen Grund, traurig zu sein. Du bist diejenige, die gerade sein Herz bricht. Aus freien Stücken, wohlgemerkt. Du hast kein Recht, jetzt auseinanderzubrechen.
Als ich das Glas wieder zurück auf den Tisch stelle, muss ich mich innerlich wappnen, ehe ich Ty anblicke. Zu sehr habe ich Angst, dass ich vor ihm zusammenbreche, einknicke, alles wieder zurücknehmen werde. »Ich weiß.« Meine Stimme klingt heiser, als hätte ich bereits geweint. »Es tut mir so leid.«
»Ich weiß.« Tys Blick springt von meinem Gesicht zu meinen Händen. Seine Finger zucken, als würde er gegen den Drang ankämpfen, sie auf meine zu legen.
»Falls ich …«, beginne ich, doch Ty unterbricht mich mit sanfter Bestimmtheit.
»Bitte, lass uns zu einem anderen Zeitpunkt darüber sprechen, wie und wann wir unsere restlichen Sachen zurücktauschen. Ich … ich glaube, ich packe das emotional gerade nicht.«
Ich nicke eifrig. »Natürlich. Ist notiert.«
Erneut kehrt die Stille zurück.
»Soll ich … soll ich gehen?«
»Würdest du es mir übel nehmen, wenn ich ja sage?«
»Natürlich nicht.« Ich binde ihm nicht auf die Nase, dass mir seine Worte dennoch einen Stich versetzen. Als wir uns beide gleichzeitig vom Sofa erheben, blicken wir uns an. Wir wissen beide nicht, was wir uns jetzt noch sagen können, in diesem Zwischenzustand, wenn aus Geliebten Entliebte werden. In meinem Kopf geistern so viele Versionen davon herum, was ich ihm noch sagen könnte, ihn zu umarmen, ein letztes Mal seinen vertrauten Duft einatmen, und ich sehe ihm an, dass es ihm ähnlich geht. Das, was vor einer Stunde noch möglich war, ist nun verboten. Wir müssen unsere Beziehung nun neu ausloten, wenn wir es überhaupt schaffen, aus der romantischen Liebe eine Freundschaft aufzubauen.
Ty folgt mir mit etwas Abstand zur Haustür und nachdem ich in meine Schuhe geschlüpft bin, droht wieder diese seltsame Stille zwischen uns zu entstehen.
»Pass auf dich auf, Ty«, flüstere ich, bevor ich etwas anderes, dümmeres sagen oder tun kann, und fliehe aus der Wohnung.
***
Im Bus riecht es schal nach Bier und Schweiß, dabei ist es noch vor Mitternacht. Es kann nur noch schlimmer werden. Einige Partygänger sitzen zusammen, und reichen unter vorgehaltener Hand einen Flachmann herum. Verbotenerweise wohlgemerkt. Als ich an ihnen vorbeigehe, dringt ein basslastiger Beat aus Kopfhörern, der sich gerade so noch von den Motorgeräuschen des Busses abhebt, bevor er anfährt.
Neben einer älteren, grimmig dreinblickenden Dame lasse ich mich nieder. Das Licht im Innenraum ist nur gedimmt, wodurch die vorbeiziehenden Straßenlaternen konfuse Muster durch die Scheiben werfen. Von jetzt auf gleich beginnen Regentropfen sich von außen am Fenster zu sammeln. Erst ganz klein, bis sie sich zu immer größeren Tropfen verbinden und am Glas hinuntergleiten. Meine Gedanken springen von den letzten Stunden zu dem hoffnungsvollen Gedanken, dass es zum Glück nur ein kurzer Weg von der Haltestelle bis zu unserer WG ist.
Meine Hände finden automatisch mein Smartphone in der Jackentasche, mein Fingerabdruck entsperrt das Display, bevor ich darüber nachdenken kann, was ich im Begriff bin zu tun. Ich zucke zusammen, als ich das Hintergrundbild sehe. Von mir und Tyler. Wir lachen darauf, weil wir zu dem Zeitpunkt glücklich waren. Es ist, als würde ich mich selbst bestrafen wollen.
Hastig öffne ich die Nachrichtenapp, um dem Anblick zu entkommen.
Hat Rico schon das gute Zeug ausgeschenkt? – Hazel
Ich erwarte von Maisie jedoch keine schnelle Antwort. So wie ich Rico, die Gegebenheiten und meine Clique kenne, wird die Musik zu laut und der Dancefloor zu klein für die Anzahl der Menschen sein. Genau das, was ich heute Abend gebrauchen kann. Nicht. Ohne dass ich es verhindern kann, wandern meine Gedanken wieder zu Ty. Ich habe ihn nicht gefragt, ob er heute Abend bei Rico sein wird. Gleichzeitig läuft ein kalter Schauer über meinen Rücken. Ich habe nie darüber nachgedacht, wie die nächsten Wochen sein werden. Unsere Freundeskreise überschneiden sich, natürlich wird nicht viel Zeit vergehen, bis wir uns wiedersehen und es seltsam sein wird.
Ich muss ein komisches Geräusch von mir gegeben haben, denn die ältere Dame wirft mir einen mürrischen Seitenblick zu.
»Sorry«, sage ich, sinke in mich zusammen und versuche, mein sich erwärmendes Gesicht hinter meinen Fingern zu verbergen. Peinlicher wird es wohl nicht mehr.
An der Haltestelle Acton Park steigt ein Pärchen dazu. Was meine Aufmerksamkeit erregt, ist der Rucksack des jungen Mannes. Auf dem prangt in groß ein schwarz-weißes Stencil von Balu, dem Bären aus Das Dschungelbuch. Gestern, in einer anderen Welt, hätte ich davon ein Foto geschossen und es an Ty per Nachricht geschickt. Das Dschungelbuch ist sein liebster Disneyfilm. War sein liebster, will eine Stimme von mir korrigieren, doch ich muss mich in Gedanken ertappen, dass es klingt, als wäre er gestorben.
Was mir am meisten fehlt, dass ich nun ihm nicht an meinen alltäglichen Gedanken und Begebenheiten teilhaben lassen kann. Ich kann ihn nicht mehr um Rat fragen. Wobei das nicht ganz richtig ist – ich könnte schon. Ich sollte es nicht. Für meinen Seelenfrieden, aber vor allen Dingen für seinen.
Der Wunsch ist nicht fair, nur selbstsüchtig. Ich weiß, dass es dumm ist. Trotzdem schicke ich die Nachricht ab.
Du wirst mir fehlen. Als Freund. – Hazel
Es dauert nur kurz, bis drei Pünktchen am unteren Bildschirmrand erscheinen. Das Zeichen, dass Ty eine Antwort tippt.
Sekunden verstreichen und die Pünktchen erlöschen. Seufzend lehne ich mich in meinem Sitz zurück und schließe für einen Moment die Augen. Das Schweigen habe ich verdient.
Sobald der Bus die Ealing-Broadway-Station erreicht, erhebe ich mich von meinem Platz. Mit einem hydraulischen Zischen öffnen sich die Türen. An dieser Haltestelle, vor einer kleinen Ewigkeit, einem anderen Leben, sehe ich uns stehen. Stirn an Stirn, süße Nichtigkeiten flüstern, trunken vor der Euphorie dieser beginnenden Verliebtheit. Wir waren auf dem Weg zu unserem ersten gemeinsamen Konzert gewesen, als Tyler mir seine Gefühle gestanden hatte, und ausgerechnet jetzt holt mich die Erinnerung daran wieder ein. Kaum dass meine Sohlen den Bürgersteig berühren, bin ich wie festgefroren. Die Passanten, die nach mir aussteigen, schieben sich fluchend an mir vorbei. Doch ich kann nicht. Nicht weitergehen. Nichts zu meiner Verteidigung sagen. Kein Wort der Entschuldigung äußern.
Ich habe gedacht, dass ich mit dem Gespräch mit Ty das Schlimmste hinter mich gebracht hätte. Ich habe falsch gedacht. Es sind die Erinnerungen, die mich heimsuchen, und mich komplett zu zerschmettern drohen.
Der Nieselregen hat sich in einen ausgewachsenen Regenschauer verwandelt. Meine Kleider werden immer schwerer, doch ich kann den Blick nicht abwenden.
Erst das Hupen eines vorbeifahrenden Autos reißt mich aus meinen Gedanken. Inzwischen läuft mir der Regen vom Scheitel direkt in die Augen. Mein Atem klingt gehetzt in meinen Ohren und ich blicke gen Himmel, um mich zu sammeln.
Zwischen den Wolken blitzen die Sterne durch. Der Nachthimmel wird also noch aufklaren. Es ist kalt, typisch für eine Nacht im März, daher beeile ich mich, nach Hause zu kommen. Entgegen meiner Erwartung brennt Licht in unserer WG im dritten Stock. Die roten Vorhänge mit den weißen Sternen darauf glühen förmlich in der Nacht. Unzählige Diskussionen mit Maisie und Julie haben diese Vorhänge schon ausgelöst. Debatten darüber, was weihnachtlich ist und was nicht. Sterne sind das ganze Jahr am Himmel, hat Julie gesagt. Was nicht falsch ist. Dem hat niemand etwas entgegensetzen können, also ist es bei diesen geblieben.
Von einer Planänderung schrieb Maisie mir nichts. Oder habe ich es übersehen? Schnell überfliege ich die letzten Nachrichten, doch eine Antwort ist nicht zurückgekommen.
Als ich unsere Wohnungstür aufschließe, hallt mir die Stimme von Benson Boone entgegen. Ob das Vorglühen hierher verlagert worden ist? Bei dem Gedanken daran, mir ein Lächeln ins Gesicht zwingen zu müssen, damit nicht jeder sofort mitbekommt, was gerade passiert ist, macht mein Herz einen zittrigen Satz. Auch wenn die rationale Seite in mir weiß, dass es die richtige Entscheidung war, bin ich noch nicht bereit, darüber zu sprechen. Nicht wenn mein Herz es selbst noch nicht ganz begreifen kann.
Mit einem gedämpften Klicken flammt das Licht auf, als ich den Schalter betätige. Erleichtert stelle ich fest, dass im Flur zumindest keine fremden Schuhe stehen. Ich lasse meinen Schlüssel in die Schlüsselschale fallen. Dabei fällt mir ein an mich adressierter Brief auf, der auf der Kommode liegt. Dem Stempel auf dem Umschlag nach zu urteilen ist es Post vom Anwalt. Habe ich etwa vergessen, eine Rechnung zu bezahlen? Urheberrecht verletzt? Das würde mir heute noch fehlen.
Aber damit würde ich mich erst auseinandersetzen, wenn mir nicht mehr der Regen aus den Haaren tropft. Daher schäle ich mich aus den nassen Sachen und ziehe mir in einen kuscheligen Einteiler an. Im Flur schnappe ich mir den Brief und mache mich auf den Weg Richtung Küche. Durch das eingesetzte Milchglaspaneel in der Küchentür dringt das sanfte Leuchten der Lichterketten, das zwei Umrisse hervorhebt. Meine Mitbewohnerinnen sind alleine. Zum Glück.
Vorsichtig schiebe ich die Tür auf. Augenblicklich wird die Musik leiser gedreht.
»Was macht ihr hier? Wolltet ihr nicht zu Rico?«, frage ich beim Eintreten. Weder Maisie noch Julie sehen ausgehtauglich aus. Maisie hat ihre Haare zu einem unordentlichen Dutt hochgebunden und trägt rot-grün geringelte Wollsocken zu ihren schwarzen Leggins. Sie steht am Herd und rührt in einem Topf, dessen Inhalt wenig nach Essen und mehr nach Punsch riecht.
Julie sitzt am Küchentisch. Ihr Nasenpiercing reflektiert das Licht der Deckenlampe, als sie sich zu mir dreht und mich angrinst. Bei ihrem Anblick muss ich an die ungestümen Tanzeinheiten im Wohnzimmer denken, wenn wir uns den Frust aus Job oder Beziehung von der Seele tanzen mussten. An bestellte Pizza um zwei Uhr nachts, an Sekt zum Frühstück.
»Wir dachten, es wäre eine bessere Idee hier zu sein. Bei dir«, sagt Julie. Sie kneift die Augen ein wenig zusammen, als sie mich von oben bis unten mustert. Was auch immer sie erwartet zu finden. »Wie gehts dir?«
Ich zucke mit den Schultern. »Soll ich ehrlich sein? Ich fühle mich wie ein Arschloch.«
»Trennungen sind immer kacke«, pflichtet Maisie mir bei. »Man will ja niemanden absichtlich verletzen, in den meisten Fällen zumindest, aber man tut es trotzdem.«
»Das beschreibt es ganz gut.« Hinter meinen Schläfen kündigt sich ein pochender Schmerz an und ich schließe für einen Moment die Augen. Ich verstehe selbst nicht, weshalb mir nicht nach Weinen zumute ist. Ich fühle mich erschöpft und niedergeschlagen, ja. Aber vielleicht würde es später kommen, wenn der Schock nachlässt. »Ich glaube, das macht mich aktuell auch am meisten fertig. Mein Hirn quält mich die ganze Zeit mit dem Bild von Tys Gesichtsausdruck, als ich es ihm gesagt habe.«
Es ist Selbstquälerei in Reinform. Pause, Zurückspulen, Start.
»Ich glaube, wir hätten die Taschentücher und das Ben & Jerrys nicht extra einkaufen müssen«, sagt Julie mit einem Seitenblick zu Maisie.
»Das Eis nehme ich sofort«, sage ich und lasse den Brief auf den Tisch fallen. »Ihr auch?«
Zwei Minuten später sind wir alle drei damit versorgt. Maisie teilt den Topfinhalt auf drei Tassen auf. Damit stehen dampfender Punsch und Eis vor mir. Eine seltsame, wenn auch zufrieden stellende Kombination, die schon einige Krisen erträglicher gemacht hat.
»Möchtest du darüber reden?«, fragt Maisie, bevor sie einen Schluck von dem Punsch nimmt. Ich tue es ihr gleich. Die feinen Noten von Orange, Gewürznelken und Kardamom lassen mich kurz aufseufzen. Weihnachten mag zwar vorbei sein, doch mit Maisies Punsch verhält es sich wie mit den Sternen. Gegen eine wärmende Tasse ist niemals etwas einzuwenden.
»Eigentlich gibt es nicht viel zu erzählen«, beginne ich langsam. »Ty hat es besser aufgenommen, als ich es an seiner Stelle getan hätte. Er war nur so offensichtlich enttäuscht – von mir, von der Situation, von den Erwartungen, die er an uns hatte. Das habe ich alles innerhalb weniger Sätze zerstört. Damit muss ich erst einmal klarkommen.«
»Verständlich«, murmelt Julie nachdenklich. »Dennoch finde ich, dass du das Richtige getan hast. Auch wenn sich das jetzt vielleicht nicht so anfühlt.«
»Danke. Das muss ich wohl erst noch einige Male hören, bevor ich es selbst glauben kann.«
»Gern doch. Für den Service wären das dann zwei fünfzig.« Mit dem Witz gelingt es Julie, die Stimmung etwas aufzulockern.
»Du schuldest mir immer noch fünf«, erinnere ich sie daran.
»Mist.« Doch sie klingt nicht sonderlich verärgert darüber.
»Was ist das eigentlich für ein Brief?« Maisie deutet mit der dampfenden Tasse auf den Umschlag vor mir.
Das Schreiben habe ich beinahe vergessen.
»Das muss ich noch herausfinden.« Mit diesen Worten reiße ich den Umschlag auf und überfliege die Zeilen. Manche von ihnen muss ich mehrmals lesen, um sie zu verstehen. Als ich von dem Brief aufsehe, blicken mich Maisie und Julie erwartungsvoll an. Etwas in meinem Ausdruck bewegt Julie dazu, die Taschentuchpackung in meine Richtung zu schieben.
»Der Tag sollte wirklich langsam zu Ende gehen, noch mehr schlechte Nachrichten halte ich wirklich nicht aus.« Ich seufze erneut und vergrabe mein Gesicht in meinen Händen. Langsam spüre ich, wie die Ereignisse der letzten Stunden an meinen Nerven zerren.
»Was steht drin?«
Das habe ich selbst nicht wirklich verstanden. Die Worte Nachlassverwalter, Fristsetzung, Entscheidung schwirren durch meinen Kopf, aber ich habe meine Mühe, sie in Einklang zu bringen.
»Mein Beileid«, sagt Maisie, nachdem sie den Brief gelesen hat. »Standet ihr euch nahe?«
Ich schüttle den Kopf. »Nicht wirklich. Ich habe sie nicht kennengelernt. Der Kontakt brach ab, nachdem meine Mom nach ihrem Schulabschluss die Stadt verlassen hat. Sie wollte nie darüber sprechen.«
Mein Tränenkontrollzentrum muss irgendwie ausgetrocknet sein. Das würden später keine einfachen Stunden werden, wenn mich die Erkenntnis der Trennung und dem Todesfall meiner Großmutter einholen würde.
Maisie verzieht nachdenklich den Mund. »Verstehe. Das liegt also ziemlich lange zurück. Sie zu fragen –«
»Das ist unmöglich, wie du weißt«, beende ich ihren Satz leise, woraufhin sie nickt. Die Mischung aus Verständnis und Mitgefühl ist für mich nur schwer zu ertragen.
»Können wir einmal über das Wichtige sprechen«, platzt es plötzlich aus Julie heraus, »dass du als Alleinerbin ein Haus bekommst? Ein fucking Haus? Mit wie viel Quadratmetern Grundstück? Zweitausendachthundert? Was ist das, ein Schloss mit angrenzendem Park?«
Ich verberge mein Gesicht in meinen Händen. Das ist eine ganz andere Art von Problem. Ein Haus.
»Fast«, sage ich und stöhne. »Aber Julie, freu dich nicht zu früh. Das Haus steht nicht hier. Wir werden leider keine krasse elitäre WG, die in einem Schloss wohnt.«
»Wo steht das denn?« Julie beugt sich so tief über das Schreiben, dass ihre Nasenspitze beinahe das Papier berührt. »Die Info hätte hier ruhig etwas offensichtlicher gestreut werden können.«
»Cork«, murmle ich.
»Verdammt. Das ist wirklich weit weg.«
Das ist so weit weg, dass es meine Vorstellungskraft sprengt, was ich mit diesem Haus anstellen sollte. Ein ganzer Ozean liegt zwischen London und Cork. Ich liebe das Leben hier und kann mir eines außerhalb dieser Metropole nicht vorstellen. »Ich werde das Haus verkaufen müssen, etwas anderes bleibt mir nicht übrig.«
»Das ist irgendwie traurig«, gibt Maisie zu bedenken.
»Ich kann es ja schlecht unbewohnt stehen lassen. Nachher wird das von irgendwelchen Studenten besetzt«, scherze ich.
»Genau, und wenn das Haus besetzt wird, dann schon von uns«, empört sich Julie. Wie immer ist sie die Pragmatische von uns. »Du hast so ein Glück, dass du keine Geschwister hast, mit denen du teilen musst.«
Auf ihrem Handy leuchtet die Webseite der Stadt auf, als sie sich einen Überblick verschafft. In ihrem Kopf formt sich sicherlich schon ein Plan, wie wir unsere WG dorthin verlagern können.
»Ich glaube, ich setze mich heute damit nicht mehr auseinander, was ich damit anfange. Das ist ein Thema für einen neuen Tag.« Mit diesen Worten nehme ich den Brief und pinne ihn mit einem Magneten an den Kühlschrank hinter mir. Ich schiebe diesen so hin, dass er die Worte Nachlassverwalter, Fristsetzung, Entscheidung überdeckt.
Inzwischen ist Julie zu Instagram gewechselt und scrollt sich durch die Bilder, die mit Cork getagt worden waren. Anscheinend besteht Cork, Irland aus niedrigen, über Kopf gedrehten bunten Hausfassaden, grünen Landzungen und steilen Klippen, die im Meer enden.
Am nächsten Morgen komme ich nicht aus dem Bett. Meine Augen fühlen sich geschwollen und verkrustet von den Tränen an, die ich im Schlaf geweint habe. Nachdem mich die vertraute Schlaflosigkeit losgelassen hat, bin ich in einen Traum geglitten, in dem ich das Gespräch mit Ty immer und immer wieder durchlebt habe. Er hängt mir noch nach und bei dem Gedanken daran werden meine Augen wieder feucht. Shit. Noch immer fühle ich mich wahnsinnig schuldig – nur mein eigener Herzschmerz ist fast noch größer. Es war richtig, Ty gehen zu lassen, aber es tut fucking weh, ihn zu verlieren. So weh, dass ich am liebsten meine Worte von gestern Abend zurücknehmen würde, wenn ich könnte. Jedoch weiß ich auch, dass es falsch wäre.
Als ich auf die Uhr blicke, läuft das geplante Interview mit dem Interior Designer von Bluemoon, einer Marke mit individualisierbaren Fronten für verschiedene Möbel, seit siebzehn Minuten. Was Bluemoon interessant für den Eigenbedarf macht, ist, dass die gestalterische Freiheit des Kunden nicht beim Aufbau aufhört. Die Beschaffenheit der Oberfläche bietet an, sich danach mit Farbe, Textur oder Form auszutoben. Ich bin unendlich dankbar, dass Julie mir noch kurz vorm Zubettgehen angeboten hat, den Part zu übernehmen. Seit etwas mehr als einem Jahr arbeiten wir zusammen. Es hatte als eine Wette begonnen, da Julie sich nicht zugetraut hatte, vor die Kamera zu treten. Mit ihrem Humor und ihrer einnehmenden Art hat sie sich jedoch in die Herzen meiner Community geschlichen. Seitdem geben wir ein unschlagbares Team ab.
Vor meiner Zimmertür höre ich Maisie in einer seltsamen Regelmäßigkeit durch den Flur wandern. Verdächtig oft werden ihre Schritte vor meiner Tür langsamer, vermutlich um zu hören, ob ich schon wach bin. Ihre Sorge und Fürsorge rühren mich und ich weiß nicht, womit ich diese verdient habe.
Als das Interview beinahe vorbei ist, treibt mich das schlechte Gewissen aus dem Bett. Ich schlurfe zur Tür, ohne einen Blick in den Spiegel zu werfen, und überrasche Maisie dabei, wie sie ein Tablett mit Saft, Pancakes und Blaubeeren vor die Tür stellen möchte.
»Oh«, macht sie von ihrer knienden Position am Boden. »Äh, ich kann das erklären.«
Ich muss blinzeln. Wieder verschleiern Tränen mir die Sicht. Maisie bemerkt dies. »Oh, nein, bitte nicht weinen«, flüstert sie und umarmt mich.
»Wieso bist du so nett zu mir.« Ich schniefe, doch sie scheint das nicht zu stören.
»Weil du du bist«, murmelt Maisie und streichelt mir tröstlich über den Rücken. Ich merke, dass ich langsam ein Taschentuch brauche und löse mich von Maisie. Sie lächelt mich in einer Mischung aus Traurigkeit und Verständnis an, die ich nicht verdient habe. »Glaub mir, ehrlich zu ihm zu sein war vielleicht nicht nett, aber das einzig richtige.« Sie lotst mich in die Küche und zwingt mich, etwas von dem Tablett zu essen. Als Maisie zwischendurch mit ihrer Dozentin telefoniert, die ihre Hausarbeit betreut, versuche ich mich zu sammeln, mich zusammenzureißen. Ty wurde das Herz gebrochen, nicht umgekehrt. Ich habe kein Recht darauf, so zu fühlen. Schließlich bin ich selbst schuld.
»Du darfst fühlen, was du fühlst.« Ich zucke zusammen, als ich Julies Stimme von der Tür aus höre. Ich habe ihre Rückkehr nicht bemerkt. Für das Interview hat sie ihr Lieblingsoutfit gewählt. Sie trägt eine Latzhose aus Cord und darüber eine weinrote Bomberjacke.
»Habe ich gerade laut mit mir gesprochen?«, frage ich mit belegter Stimme und schnäuze meine Nase.
»Ein bisschen. Es war etwas schwer zu verstehen, was da hinter dem Taschentuch aus deinem Mund kommt, aber ich konnte mir den Rest zusammenreimen«, sagt Julie und nimmt mir gegenüber Platz. Sie stibitzt sich eine Blaubeere von meinem Teller, bevor sie mir aufmunternd zulächelt.
»Ich entschuldige mich für meinen kümmerlichen Anblick.« Wieder muss ich mich schnäuzen. »Es soll sich hier gar nicht um mich drehen.«
»Kannst du mir einen Gefallen tun?« Abwartend sieht Julie mich an. Als ich schließlich nicke, fährt sie fort: »Rede dir deine Gefühle nicht klein. Alles, was du denkst und fühlst, hat seine Daseinsberechtigung. Nur weil es Tyler oder jemanden anderen schlechter geht, heißt das nicht, dass es dir gut gehen muss. Du musst dich dafür nicht schämen. Es ist okay.«
»Okay«, wiederhole ich mit kratziger Stimme. »Danke für den Pep Talk.«
Diesmal grinst Julie verschmitzt. »Das macht dann zwei Pfund, bitte«, sagt sie, was mir ein Lachen entlockt.
»So funktioniert das eigentlich nicht, seine Schulden zu tilgen.«
»Ich bin der Meinung, dass das ruhig so laufen könnte.«
Ich strecke ihr die Zunge raus, bevor mir ein weiterer Gedanke kommt. »Wie war es eigentlich?«
»Mega«, sagt Julie. »Die waren so nett und interessiert. Zum Schluss sagten sie, dass sie das Interview im Sommer veröffentlichen werden. Es hätte dir gefallen. Aber du wurdest nicht vermisst.«
Jetzt muss ich noch mehr lachen. »Perfekt. Dann kannst du ab jetzt übernehmen.« Es ist ein Scherz, aber als ich die Worte ausspreche, fühlen sie sich richtig an.
»Ja, klar. Du kannst dir gern etwas überlegen, um mich als Mitarbeiterin des Monats auszuzeichnen. Ich bin für Vorschläge offen«, sagt Julie.
»Du bist auch meine einzige Mitarbeiterin«, erinnere ich sie.
»Das ist ja nebensächlich.« Sie reißt sich etwas von meinem Pancake ab. »Hat Maisie die für dich gemacht? Ich sollte wohl auch öfter an Herzschmerz leiden, die sind verdammt gut.«
***
Die Dusche hilft mir einen klaren Kopf zu bekommen. Während ich meine nassen, blonden Strähne bürste, nehme ich mir vor, die Anwaltskanzlei anzurufen. Da es kein Videocall ist, kann ich über meine Augenringe getrost hinwegsehen, die Ton in Ton mit meinen blauen Augen gehen. Ich kann den Brief nicht länger ignorieren, das erlaubt mir meine gewissenhafte Ader nicht. Das Freizeichen klingt laut und schrill in meinen Ohren. Ich bin schon fast sicher, dass niemand rangeht, als in aller letzten Moment abgenommen wird. Die Männerstimme klingt grantig, als sie einen Namen in den Hörer bellt, den ich nicht verstehe.
»Hi, hier spricht Hazel Hughes. Ich rufe an, da ich einen Brief von Ihnen erhalten habe bezüglich der Nachlasssache von Eleonore Hughes. Mir ist …«
»Ich verbinde Sie weiter.« Ohne eine Antwort abzuwarten, wird das Gespräch unterbrochen. Eine Warteschleifenmelodie in unfassbar schlechter Qualität erklingt, als wäre diese in den 90ern auf Kassette aufgenommen worden. Baff starre ich auf mein Handy. Damit habe ich jetzt nicht gerechnet.
»Sie sprechen mit Theresa Williams. Wie kann ich Ihnen helfen?« Sofort fällt mir der weiche Akzent auf, der ihre Worte begleitet. Was Sinne ergibt, aus dem Briefkopf entnehme ich, dass die Kanzlei in Cork ansässig ist.
»Hi, hier spricht Hazel Hughes«, beginne ich von Neuem. »Ich wollte eigentlich Dr. Rodriguez sprechen.«
»Worum geht es denn?«
Langsam bekomme ich den Eindruck, dass es eine ganz schlechte Idee gewesen ist, angerufen zu haben. Ich versuche, nicht zu laut mit den Zähnen zu knirschen, während ich ihr von dem Brief erzähle.
»Ah ja. Ich vertrete Dr. Rodriguez in dieser Woche bezüglich seiner Belange. Einen Moment bitte. Lassen Sie mich einen Blick in die betroffene Akte werfen.« Durch die Leitung kann ich gedämpftes Seitenblättern hören. Die Kanzlei ist also noch nicht digital unterwegs. »Genau, wir haben Sie über den Fall informiert und die Details zur Erbschaft …« Inzwischen bin ich froh, dass wir telefonieren und die Dame mein Augenrollen nicht sehen kann. »Die Frist endet bald. Haben Sie sich Gedanken gemacht, ob Sie das Erbe annehmen oder ausschlagen wollen?«
»Ich … ich kann das Erbe ausschlagen?«
»Sie sind nicht gezwungen, das Erbe anzunehmen. Die Entscheidung können Sie für sich bewerten und in Ruhe überdenken. Wichtig ist nur, dass Sie dies innerhalb der Frist tun, ansonsten geht das Erbe automatisch auf Sie über«, erklärt Mrs Williams.
»Kann ich mir das Haus vorher anschauen? Ich habe keine Ahnung, in welcher Verfassung es sich befindet«, gebe ich zu.
»Ich befürchte, das wird nicht möglich sein.«
»Können Sie mir wenigstens sagen, ob das Haus oder das Erbe mit Schulden behaftet ist?«
»Die Hypothek ist abbezahlt und es gibt keine Gläubiger. Sie haben wirklich Glück.«
Ich an ihrer Stelle würde nicht von Glück sprechen. Vielleicht von Kalkulation, einem Plan, einer Möglichkeit, den notwendigen Abstand zu erhalten, von meinen Gedankenschleifen, der Arbeit … und den Schuldgefühlen Tyler gegenüber.
»Dann ja.« Ich bin genauso überrascht von mir wie die Frau am anderen Ende der Leitung. Es ist eine spontane Entscheidung, doch wie es aussieht, bin ich ausreichend verzweifelt, um meine übliche Vorsicht von Bord zu werfen. Im Anschluss erklärt mir die Frau die nächsten Schritte, die nötig sein werden. Ich bin dankbar, dass sie in der Hinsicht die Richtung vorgibt, was die nötigen Formalitäten angeht. Bevor wir auflegen, fällt mir noch etwas ein. »Wie viel wird mich Ihr … Service kosten?«
»Machen Sie sich darüber keine Sorgen. Ihre Großmutter hat sich vor ihrem Tod um alles gekümmert.«
»Wann ist sie gestorben?«, entfährt es mir leise. Ich bin mir nicht sicher, ob die Frau es überhaupt gehört hat. Eine Stille entsteht.
»Vergangenes Jahr im November«, sagt sie mitfühlend. Fast vier Monate sind seitdem vergangen. »Es tut mir leid. Wir hätten Sie gern früher benachrichtigt.«
Nachdem ich aufgelegt habe, lasse ich mir das Gespräch durch den Kopf gehen. Es fällt mir schwer, genau zu benennen, was ich fühle. Am deutlichsten fühle ich Bedauern. Bedauern darüber, dass eine Person gestorben ist. Dass ich Eleonore Hughes nie kennengelernt habe, nie erfahren werde, wie sie als Mensch so gewesen ist und was sie dazu bewogen hat, mich in ihr Testament zu schreiben.
Mir bleiben nur Fragen. Keine Antworten.
***
In den nächsten drei Wochen spreche ich mit meinen Kooperationspartnern, prüfe, welche Aufträge in den Zeitraum meiner Abwesenheit fallen und schließe meine laufenden Projekte so gut wie möglich ab. Das Einzige, was mich ein wenig beruhigt, ist, dass Julie völlig entspannt ist, was die Arbeitsteilung der nächsten zwei Wochen angeht. Und ich vertraue ihr, schließlich arbeiten wir schon eine Weile zusammen. Mein Studio wird damit auch nicht leer stehen, sondern einen Nutzen haben. Blazing Imagination wird auch ohne mich weiterlaufen und wegen der erfolgreichen letzten Monate habe ich mir ein finanzielles Polster aufbauen können, das mich in die höchst privilegierte Lage versetzt, mir keine Gedanken machen zu müssen, wie ich über die Runden komme.