Einstein - Samuel Graydon - E-Book

Einstein E-Book

Samuel Graydon

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Beschreibung

Das neue Sachbuch über das Weltgenie Albert Einstein. Die Biografie zeigt den Erfinder der Relativitätstheorie und Nobelpreisträger in all seinen Facetten! Einstein beeindruckt bis heute – er wird verehrt als »Ingenieur des Universums« und »Physiker des Jahrhunderts« und ist vielen ein Vorbild als Humanist und Pazifist. In dieser aktuellen Mosaik-Biografie präsentiert der britische Wissenschafts-Journalist Samuel Graydon die Lebensgeschichte des größten Genies des 20. Jahrhunderts auf leicht zugängliche Weise:  In 99 Teilchen lässt er das Leben des großen Naturwissenschaftlers Revue passieren. Natürlich geht es dabei um Physik – aber auch um Politisches und Privates, um seine Liebe zur Musik, seinen Gefängnisaufenthalt, die Beziehung zum Wissenschaftsbetrieb, die Haltung zurReligion, das Leben in den USA und die Beziehung zu seiner Frau Mileva Maric und zu seinen Söhnen Hans Albert und Eduard. Somit ist Graydons vielschichtige Einstein-Biografie die umfassende zeitgemäße Antwort auf die klassische Lebensbeschreibung und lädt zum kurzweiligen Schmökern, Stöbern und Staunen ein. Für Leser*innen von Stephen Hawking und Harald Lesch ist diese Einstein-Biografie ein absolutes Muss!

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Seitenzahl: 386

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Samuel Graydon

Einstein

Ein Leben in 99 Teilchen

Aus dem Englischen von Gisela Fichtl

Knaur eBooks

Über dieses Buch

Einstein beeindruckt bis heute – er wird als »Ingenieur des Universums« und »Physiker des Jahrhunderts« verehrt und ist vielen ein Vorbild als Humanist und Pazifist. In dieser aktuellen Biografie präsentiert der britische Wissenschafts-Journalist Samuel Graydon die Lebensgeschichte des größten Genies des 20. Jahrhunderts auf leicht zugängliche Weise: In 99 Teilchen lässt er das Leben des großen Naturwissenschaftlers Revue passieren. Natürlich geht es dabei um Physik – aber auch um Politisches und Privates, um seine Liebe zur Musik, die Beziehung zum Wissenschaftsbetrieb, die Haltung zur Religion, das Leben in den USA und die Beziehung zu seiner Frau Mileva Maric und zu seinen Söhnen Hans Albert und Eduard. Graydons vielschichtige Einstein-Biografie ist die zeitgemäße Antwort auf die klassische Lebensbeschreibung und lädt zum kurzweiligen Schmökern, Stöbern und Staunen ein.

Inhaltsübersicht

Einleitung

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

Ein Tag im Büro, 1904

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

38. Kapitel

39. Kapitel

40. Kapitel

41. Kapitel

42. Kapitel

43. Kapitel

44. Kapitel

45. Kapitel

46. Kapitel

47. Kapitel

48. Kapitel

49. Kapitel

50. Kapitel

51. Kapitel

52. Kapitel

53. Kapitel

Ein Spaziergang ins Büro, 1925

54. Kapitel

55. Kapitel

56. Kapitel

57. Kapitel

58. Kapitel

59. Kapitel

60. Kapitel

61. Kapitel

62. Kapitel

63. Kapitel

64. Kapitel

65. Kapitel

66. Kapitel

67. Kapitel

68. Kapitel

69. Kapitel

70. Kapitel

71. Kapitel

72. Kapitel

73. Kapitel

74. Kapitel

75. Kapitel

76. Kapitel

77. Kapitel

78. Kapitel

79. Kapitel

80. Kapitel

81. Kapitel

82. Kapitel

83. Kapitel

Ein Tag im Büro, 1939

84. Kapitel

85. Kapitel

86. Kapitel

87. Kapitel

88. Kapitel

89. Kapitel

90. Kapitel

91. Kapitel

92. Kapitel

93. Kapitel

94. Kapitel

95. Kapitel

96. Kapitel

97. Kapitel

98. Kapitel

99. Kapitel

Selbstporträt im Alter von fünfundsechzig Jahren

Quellen und Dank

Hinweis zu den Quellen

Bildnachweis

Hinweis zu den Anmerkungen

1

Avenue de l’Opéra, Paris, um 1880 – mit Jablotschkowschen Kerzen, den ersten elektrischen Straßenlaternen der Welt

Die Lichter gingen an. Im Juni 1878 wurde in Paris ein Schalter umgelegt. Die Avenue de l’Opéra – diese große Straße mit ihren breiten Gehwegen, die den Blick auf die Oper lenkt – war plötzlich beleuchtet. Ein unnatürliches, grelles Licht fiel auf die Georges-Eugène-Haussmann-Fassaden und hüllte die oberen Stockwerke in Dunkel. Dem versammelten Publikum verschlug es den Atem. Die Avenue de l’Opéra war die erste Straße der Welt mit elektrischer Straßenbeleuchtung. Ende desselben Jahres wurden diese als Jablotschkowsche Kerzen bekannten Laternen auch am Londoner Themseufer aufgestellt, monströse gusseiserne Fische wanden sich um den Laternenpfahl auf einem steinernen Sockel. Schon bald erhellte ihr fluktuierendes, unirdisches Licht jeden größeren Boulevard in Paris, und Tausende weitere tauchten in London sowie etlichen größeren Städten in den Vereinigten Staaten auf.

Doch so wundervoll die Jablotschkowschen Kerzen auch waren, für Innenräume waren sie viel zu hell, und so versuchte man, eine elektrische Glühlampe zu entwickeln, die auch für Büros, Läden und Wohnungen geeignet war. Im Januar 1879 präsentierte der britische Chemiker Joseph Swan bei einer Vorlesung in Newcastle erfolgreich eine funktionierende Lampe. Im gleichen Jahr machte sich Thomas Alva Edison in Menlo Park, New Jersey, daran, seine Version zu perfektionieren. Edison hatte seine eigene Glasbläserei vor Ort, die ihn ständig mit neuen Glaskolben versorgen konnte. Und die brauchte er. In diesem Jahr testete er mehr als 6000 Materialien als mögliche Glühfäden, wobei er so gut wie alles an Pflanzen verkohlte, was ihm unter die Finger kam – Bambus, Lorbeer, Buchs, Zeder, Hickory, Flachs. Am 22. Oktober 1879 wurde an ein Stück verbrannten Baumwollfaden, das in einer Glühlampe aufgewickelt war, Spannung angelegt. Es strahlte ein warmes, orangefarbenes Licht aus und brannte länger als einen halben Tag. Edisons Projekt war erfolgreich.

In diese neue, immer heller werdende Welt wurde am 14. März 1879, kurz vor zwölf Uhr mittags, Einstein hineingeboren.

Er kam in der alten schwäbischen Stadt Ulm am Ufer der Donau im Südwesten Deutschlands zur Welt. Das Motto der Stadt, das schon Hunderte Jahre alt ist, lautet Ulmenses sunt mathematici, »Ulmer sind Mathematiker«. Im Jahr 1805 war Ulm Schauplatz der Niederlage der österreichischen Armee gegen Napoleon. Als die Familie Einstein dort lebte, wurde gerade ein Kirchturm für das Münster, in dem Mozart einst die Orgel gespielt hatte, errichtet. Nach der Fertigstellung war es die höchste Kirche der Welt.

Pauline Einstein war elf Jahre jünger als ihr Ehemann Hermann, sie kam aus einer wohlhabenden Familie. Ihr Vater, Julius Koch, betrieb einen Getreidehandel und hatte es bis zum königlich-württembergischen Hoflieferanten gebracht. Sie war vornehm und gebildet, aber nicht hochnäsig. Sie war musikalisch, besaß Talent zum Klavierspielen und hatte Freude daran. In deutscher Literatur war sie gut bewandert. Sie galt als praktisch, zielgerichtet und willensstark und war für ihren spitzzüngigen, sarkastischen Witz bekannt, der ebenso verletzend wie erheiternd sein konnte.

Wie seine Frau stammte auch Hermann von jüdischen Handwerkern und Kaufleuten ab. Die Einsteins lebten seit zwei Jahrhunderten im ländlichen Schwaben und waren mit jeder Generation stärker an die deutsche Gesellschaft assimiliert, sodass Hermann und Pauline sich gleichermaßen schwäbisch wie jüdisch fühlten. Interesse am jüdischen Glauben hatten Einsteins Eltern jedoch kaum.

Hermann war ein wohlwollender Gegenpart zu seiner Frau. Er war umgänglich, geradezu fügsam und in seinen Ansprüchen bodenständiger. Er liebte Wanderungen durch schöne Landschaften und kehrte dann gern in einem Wirtshaus ein, wo er Würstchen und Radieschen aß und ein Bier dazu trank. Er trug einen Walrossbart, hatte ein kantiges Gesicht und war ein durch und durch standfester Mensch. In der weiterführenden Schule zeigte sich seine Begabung für die Mathematik, und auch wenn er sich ein Studium nicht leisten konnte, verschaffte ihm seine Bildung den Zugang zu einer sozial höhergestellten Schicht. Sein Sohn schilderte ihn als klug und freundlich. Zudem war er ein unerschütterlicher Optimist, obwohl seine unpraktische Ader seine Hoffnungen oft zunichtemachte.

Im Sommer 1880, als Albert ein Jahr alt war, überredete Jakob Einstein seinen älteren Bruder Hermann, mit der Familie nach München zu ziehen und Teilhaber seines Ingenieurbüros, Jakob Einstein & Cie., zu werden. Der Umzug bedeutete für die Einsteins den Wechsel aus einer ländlich geprägten Kleinstadt, wo die Kühe noch über den Marktplatz getrieben wurden, in ein wuselndes großstädtisches Umfeld. Die bayerische Hauptstadt hatte damals 300 000 Einwohner. Es gab eine Universität, ein Königsschloss und einen blühenden Kunstmarkt.

Anfangs boten die Brüder Gas- und Wasserinstallationen an, doch bald schon verlegten sie sich auf elektrische Installationen. 1882 nahmen sie an der Internationalen Elektrizitätsausstellung in München teil, wo sie Dynamos, Bogenlampen und Glühlampen präsentierten – und ein Telefon. Drei Jahre später übernahmen sie die Beleuchtung des Oktoberfestes, zum ersten Mal mit elektrischem Licht. Für den jungen Albert war elektrisches Licht also nichts Abstraktes, das auf einer weit abseits liegenden technologischen Revolution beruhte. Es war etwas Reales, Unmittelbares, Begreifbares. Jakob und Hermann begannen, den Jungen in ihr Geschäft einzuführen. Er lernte alles über die Feinheiten eines Motors, die Anwendungsmöglichkeiten von Elektrizität und Licht und die physikalischen Gesetze, die all dem zugrunde lagen.

Nachdem sie einen großen Teil von Paulines Vermögen investiert hatten, florierte das Unternehmen, und es erhielt Aufträge für Straßenlaternen in ganz Deutschland und im Norden Italiens. Da Jakob einige wichtige Patente hielt, hatte die Firma in ihren besten Tagen zweihundert Mitarbeiter und konkurrierte mit Firmen wie Siemens und AEG. 1893 jedoch, Einstein war bereits im Teenageralter, wendete sich das Blatt, als das Unternehmen eine Reihe von Aufträgen für Beleuchtungen in München an die Konkurrenz verlor. Einstein & Cie. war die einzige Münchner Firma, die sich um die Aufträge beworben hatte, aber sie war auch die einzige von Juden betriebene Firma, und das war offenbar genug, um sie aus dem Geschäft zu drängen. Das Unternehmen ging in Konkurs, und Hermanns und Paulines Haus wurde gepfändet. Aus ihrem Zuhause gerissen, beschlossen sie einen Neuanfang in Italien zu versuchen, wo die Geschäftsaussichten besser waren.

Elektrisches Licht umgab den jungen Einstein – es war die modernste Technik seiner Zeit und stand im Zentrum des Familienbetriebs. Doch wenn die Wissenschaft auch wusste, wie man Straßen beleuchten und Glühfäden aus Pflanzenfasern über Stunden hinweg golden glühen lassen konnte, das Licht selbst blieb weitgehend ein Mysterium. Das würde sich bald ändern.

2

Albert und Maja Einstein, 1885

Einstein hatte eine Schwester, die zweieinhalb Jahre jünger war als er, geboren am 18. November 1881 in München. Sie hieß Maria, auch wenn sie zeitlebens nur die Verkleinerungsform Maja verwendete. Als Albert von der bevorstehenden Ankunft seiner kleinen Schwester erfuhr, mit der er würde spielen können, stellte er sich eher eine Art Spielzeug vor – nicht jedoch das seltsame winzige Geschöpf, das ihm dann präsentiert wurde. Als er sie zum ersten Mal sah, fragte er seine Eltern, »Ja, aber wo hat es denn seine Rädchen?«7 Er war zutiefst enttäuscht.

Doch die beiden wurden bald enge Vertraute, und das blieben sie bis ans Ende ihres Lebens. Einsteins Verbindung zu Maja war eine der stabilsten und liebevollsten, die er erleben würde. Ihre Kindheit war im Großen und Ganzen angenehm: gutbürgerlich, unbeschwert und glücklich. Doch Hermann und Pauline plädierten auch für Eigenständigkeit im Denken und Handeln, und so schickten sie schon den drei- oder vierjährigen Einstein allein durch die geschäftigsten Straßen Münchens voller Pferdekutschen. Sie zeigten ihm einmal den Weg, danach erwarteten sie von ihm, sich allein zurechtzufinden – wiewohl heimlich begleitet von seinen besorgten Eltern, die sofort eingegriffen hätten, wäre etwas schiefgegangen. Wie es aussah, gab es keinen Grund zur Sorge. Wenn Albert an eine Kreuzung kam, schaute er pflichtbewusst zuerst nach links, dann nach rechts und überquerte anschließend unbekümmert die Straße.

Abends mussten er und Maja ihre Schularbeiten erledigen, bevor sie spielen durften. Der kleine Albert verbrachte seine Freizeit mit Puzzeln, Bausteinen oder Laubsägearbeiten. Seine Lieblingsbeschäftigung war, Kartenhäuser zu bauen, was er hervorragend konnte. Manchmal gelang es ihm, bis zu vierzehn Stockwerk hohe Gebilde zu erschaffen.

Die vielen Cousins und Cousinen Einsteins kamen oft zum Spielen in den weitläufigen Garten hinter dem Haus der Familie, doch er selbst gesellte sich nur selten dazu. Wenn er sich aber beteiligte, war er die Autoritätsperson und galt, so erinnerte sich Maja, »als der selbstverständliche Arbiter in allen Streitfällen«.8 Doch in der Regel war er sich selbst genug, er war vorsichtig und gründlich und nahm sich Zeit für das, was er tat. Er entwickelte sich langsam und lernte so spät sprechen, dass seine besorgten Eltern einen Arzt aufsuchten. Eine besondere Schwierigkeit begleitete ihn durch seine Kindheit: Wenn er etwas sagen wollte, flüsterte er die Worte zuerst vor sich hin. So verfuhr er mit jeder noch so alltäglichen Äußerung, was das Hausmädchen der Familie veranlasste, ihn einen »Depperten«9 zu nennen. Aus Sorge um ihren Sohn stellten die Eltern eine Hauslehrerin ein, die ihm bald den Spitznamen »Bruder Langweil«10 verpasste. Im Alter von sieben Jahren schließlich verschwand die Angewohnheit zu flüstern.

Bruder und Schwester stritten und neckten sich, wie normale Geschwister das so tun, manchmal aber auch stürmischer. Vor allem Albert hatte als Kind heftige Wutanfälle, bei denen sein Gesicht gelb und die Nasenspitze weiß wurde und er völlig die Kontrolle über sich verlor, wie Maja sich erinnerte. Während seines Privatunterrichts wurde er einmal so zornig auf seine arme Lehrerin, dass er sich einen Stuhl schnappte und damit auf sie einschlug. Sie floh und ward nie wieder gesehen.

Ein anderes Mal warf er seiner kleinen Schwester eine mächtige Bowlingkugel an den Kopf, so schrieb es Maja gut vierzig Jahre später auf, offenbar hatte sie ihm das noch nicht ganz verziehen. Sie erzählte auch, dass er ihr bei anderer Gelegenheit mit einer Gartenharke an den Kopf schlug. »Woraus ohne weiteres ersichtlich ist, dass auch ein gesunder Schädel dazu erforderlich ist, die Schwester eines Denkers zu sein.«11

3

Eines Tages, im Alter von vier oder fünf Jahren, lag Albert krank zu Bett. Sein Vater kam, um nach ihm zu sehen, und gab ihm einen Taschenkompass zum Spielen. Als Einstein den untersuchte, war er so begeistert, dass er Gänsehaut bekam. Die Nadel faszinierte ihn, denn er konnte sich nicht erklären, was er da sah. Er wusste, dass man Bewegung durch Berührung anstoßen konnte – das war etwas Alltägliches –, aber die Nadel befand sich hinter Glas, außer Reichweite und eingeschlossen. Nichts berührte sie, und doch bewegte sie sich, als wären jemandes Finger im Spiel.

Phänomene wie Wind und Regen oder die Tatsache, dass der Mond am Himmel hing, ohne herunterzufallen, waren ihm in diesem Alter bereits vertraut. Sie waren vorhanden und erkennbar: Er hatte sie von klein auf vor Augen. Doch die Beständigkeit der Kompassnadel, die immer nach Norden zeigte, egal wie er das Gehäuse drehte und wendete, das war ein Wunder.

Als Einstein beobachtete, wie die Nadel in ihre Position zurücktanzte, begriff er, dass dies etwas war, das über sein Weltverständnis hinausreichte. Er wusste nichts über das Magnetfeld der Erde, doch schien ihm die Nadel von einer geheimnisvollen Kraft beeinflusst zu werden. Er selbst sagte mehr als sechzig Jahre später, als er sich an den Vorfall erinnerte, ihm sei klar geworden, »da musste etwas hinter den Dingen sein, das tief verborgen war«.12 Und er wollte versuchen, das zu verstehen.

»Ich erinnere mich noch jetzt […], dass dies Erlebnis tiefen und bleibenden Eindruck auf mich gemacht hat.«13

4

Hermann Einstein war stolz darauf, dass in seinem Haus keine jüdischen Rituale praktiziert wurden. Er betrachtete sie als überholt, als Relikte eines alten Aberglaubens. In seiner Familie besuchte nur ein Onkel die Synagoge, und der tat es auch nur, weil, man wisse ja nie.

So war es auch keine große Überraschung, dass Albert mit sechs Jahren die Petersschule, die nahe gelegene katholische Volksschule, besuchte. In seiner Klasse mit siebzig Schülern war er der einzige Jude. Er erhielt die übliche katholische Erziehung, lernte Teile des Katechismus, Geschichten aus dem Alten und Neuen Testament und die Sakramente. Er mochte den Religionsunterricht und war sogar so gut, dass er seinen Klassenkameraden bei ihren Arbeiten helfen konnte.

Einstein wurde von seinen Lehrern wegen seines Glaubens nicht diskriminiert. Von seinen Mitschülern allerdings wurde er schikaniert, auf dem Heimweg von der Schule wurde er häufig beschimpft und körperlich attackiert.

Ihren Sohn in eine katholische Schule zu schicken, war das eine, ihn aber allein dem Einfluss des Katholizismus zu überlassen, das andere. Also beauftragten Alberts Eltern als Gegengewicht einen entfernen Verwandten, ihm die Werte des Judentums zu vermitteln. Einstein freilich ging deutlich weiter. 1888, als er neun Jahre alt war, entwickelte er plötzlich einen glühenden jüdischen Glauben. Aus eigenem Antrieb hielt er sich strikt an die Gebote und befolgte die strengen Regeln für den Sabbat und koscheres Essen. Er komponierte sogar eigene geistliche Lieder, die er auf dem Nachhauseweg von der Schule sang. Seine Familie führte ihr weltliches Leben unverändert weiter.

Dieser Wandel fiel mit Alberts Wechsel an eine weiterführende Schule zusammen, das Luitpold-Gymnasium nahe der Stadtmitte. Neben den traditionellen Fächern Latein und Griechisch legte man hier auch auf Mathematik und Naturwissenschaften Wert und stellte den jüdischen Schülern einen eigenen Lehrer für den Religionsunterricht zur Verfügung.

Einstein erinnerte sich später, dass ihm der Garten, der zum Haus der Familie gehörte, in dieser Zeit eine Art paradiesische Freude schenkte. Dort war er glücklich, dort konnte er sich der Versenkung widmen, und sein Glaube wurde beflügelt vom Duft frisch aufgegangener Blüten und saftiger Knospen. Und er war sich dessen bewusst geworden, was er »die Nichtigkeit des Hoffens und Strebens […], das die meisten Menschen rastlos durchs Leben jagt«14, nannte.

Er bezeichnete diese Phase seines Lebens später als das »religiöse Paradies«15, doch es endete so plötzlich, wie es begonnen hatte. Mit zwölf Jahren verlor er jedes Interesse an Religion. In diesem Alter sollte er sich auf seine Bar-Mizwa vorbereiten, um sich auch formal zum Judentum zu bekennen, doch vielleicht war es gerade das, was zum Verlust seines Glaubens beitrug. Später schrieb Einstein dies jedoch dem Einfluss des wissenschaftlichen Denkens zu, oder wie immer man es nennen mag.

Eine jüdische Tradition, wenn auch abgewandelt, hielten die Einsteins aufrecht. In jüdischen Familien war es Brauch, zum Sabbatmahl einen armen Talmudschüler einzuladen. Bei den Einsteins war es nicht der Samstag, sondern ein Donnerstag, und kein Talmudschüler, sondern ein Medizinstudent, den sie empfingen. Er hieß Max Talmud und war einundzwanzig Jahre alt, als er zum ersten Mal zu Gast bei den Einsteins war, Albert war zehn, doch die beiden wurden bald Freunde. Nachdem er Einsteins Interesse an diesen Fächern bemerkt hatte, brachte Talmud ihm naturwissenschaftliche und mathematische Bücher mit. Und jede Woche zeigte Einstein ihm eifrig, mit welchen Fragestellungen er sich beschäftigt hatte. Auch wenn es zu Beginn Talmud war, der ihm weiterhalf, dauerte es nicht lang, bis Einstein ihn überflügelt hatte.

Die Wirkung auf Einstein reichte tief: »Durch Lesen populär-wissenschaftlicher Bücher kam ich bald zu der Überzeugung, dass vieles in den Erzählungen der Bibel nicht wahr sein konnte«, so erinnerte er sich später. »Die Folge war eine geradezu fanatische Freigeisterei, verbunden mit dem Eindruck, dass die Jugend vom Staate mit Vorbedacht belogen wird; es war ein niederschmetternder Eindruck.«16

Ein Eindruck, den er nie wieder abschütteln konnte. Zeitlebens hegte er eine Abneigung gegen religiöse Orthodoxie und Rituale und stand jeglicher Art von Autorität oder Dogmen ablehnend gegenüber. Das unmittelbare Ergebnis seiner neuen Haltung war, dass er sich nach drei Jahren, im entscheidenden Moment, weigerte, die Bar-Mizwa zu feiern.

5

Religion war nicht das Einzige, wogegen Einstein eine Abneigung entwickelte. Gelegentlich zogen Soldaten durch München, die im Rhythmus die Trommeln schlugen und mit ihren Flöten dazu spielten, was für fröhliche Stimmung sorgte. Die Fenster vibrierten, wenn sie im Gleichschritt marschierten, und bald liefen Kinder auf die Straße, um mitzumarschieren und Soldaten zu spielen. Als Einstein dieses Schauspiel einmal beobachtete, brach er in Tränen aus. »Wenn ich einmal groß bin«, erklärte er seinen Eltern, »dann will ich nicht zu diesen armen Leuten gehören.«17

Der militärische Geist prägte auch das Schulwesen. Im Luitpold-Gymnasium, wie in den meisten deutschen Schulen dieser Zeit, konzentrierte sich der Unterricht ganz auf das Auswendiglernen, auf Disziplin und Systematisierung. Hinterfragen war unerwünscht – die Inhalte sollten gelernt und wiedergekäut werden. Die Lehrer galten als Autorität und Zentrum des Wissens schlechthin, die Schüler waren nichts als Gefäße, um dieses Wissen aufzunehmen, Zöglinge der Autorität ihrer Lehrer. Einstein erhielt gute Noten, doch ein guter Schüler war er deshalb noch lange nicht. Er hielt mit seiner Verachtung für das Schulsystem, das Gymnasium und bestimmte Lehrer, die er viele Jahre später als »Leutnants«18 betitelte, nicht hinterm Berg.

Einmal erklärte einer seiner Lehrer gar, Einstein sei in der Klasse nicht erwünscht. Er entgegnete, dass er doch nichts Falsches getan habe. Ja, aber er sitze dort in der letzten Reihe und grinse, antwortete der Lehrer, »Ihre bloße Anwesenheit hier verdirbt mir den Respekt der Klasse«.19 Derselbe Lehrer forderte Einstein auch auf, die Schule ganz zu verlassen.

Im Alter von fünfzehn Jahren blieb Albert allein in München zurück und wohnte bei entfernten Verwandten. Nach dem Zusammenbruch der Firma seines Vaters war der Rest der Familie nach Italien gezogen, und er wurde zurückgelassen, um das Gymnasium abzuschließen. Er war so unglücklich, dass er den Hausarzt überredete (ein älterer Bruder von Max Talmud), ihm ein Attest auszustellen, das ihm eine »neurasthenische Erschöpfung« bescheinigte, mit der Empfehlung, die Schule abzubrechen. Dann suchte er seinen Mathematiklehrer auf und bat ihn, ihm schriftlich zu bestätigen, dass er den Lernstoff bis zum Abitur beherrsche und ein hervorragender Mathematiker sei. Kurz vor den Weihnachtsferien 1894 packte er seine Sachen, kaufte sich eine Zugfahrkarte und erschien ohne Vorwarnung im Haus seiner Eltern in Mailand. Hermann und Pauline waren entsetzt, doch trotz ihrer Proteste blieb er eisern bei seinem Entschluss, nicht mehr nach München zurückzukehren.

Er versprach, sich eigenständig auf die Aufnahmeprüfung am Polytechnikum in Zürich vorzubereiten – in dieser Hochschule wollte er sein Studium beginnen. Trotz ihrer Sorgen und Zweifel unterstützten die Eltern am Ende Einsteins Plan, so gut sie konnten. Als sich herausstellte, dass man für das Aufnahmeverfahren am Polytechnikum mindestens achtzehn Jahre alt sein musste, überzeugten Hermann und Pauline einen Freund der Familie, für ihren Sohn zu intervenieren und um eine Ausnahmegenehmigung zu bitten. Der Freund nahm den Auftrag offensichtlich ernst und empfahl den damals sechzehnjährigen Albert in den höchsten Tönen. Der Direktor des Polytechnikums, Albin Herzog, antwortete:

Nach meiner Erfahrung ist es nicht empfehlenswert, auch sogenannte »Wunderkinder« vor der gänzlichen Absolvierung einer Anstalt, in der einmal die Studien begonnen wurden, wegzunehmen. […] Sollten Sie, beziehungsweise die Angehörigen des in Frage stehenden jungen Mannes meine Ansicht nicht teilen, gestatte ich demselben – unter ausnahmsweiser Dispension von der Altersbestimmung –, sich einer Aufnahmeprüfung in unsre Anstalt zu unterziehen.20

Die Prüfungen begannen am 8. Oktober 1895 und dauerten mehrere Tage. Er fiel durch. Zwar hatte er auf dem Gebiet der von ihm gewählten Studienfächer Mathematik und Physik gute Ergebnisse erzielt, doch in allen anderen schnitt er schlecht ab – zu den allgemeinen Fächern gehörten Literaturgeschichte, Politik und Naturwissenschaften. Einstein war weder so von sich überzeugt noch so dumm, zu glauben, dass es gut ausgehen würde. Die enormen Wissenslücken dürften ihn, vielleicht als er sich durch eine Aufgabe in Zoologie kämpfte, auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt haben. »Dass ich durchfiel, empfand ich als voll berechtigt«,21 erinnert sich Einstein später.

Doch dank seiner höchst beeindruckenden Leistungen in den technischen Fächern wurde er vom Polytechnikum nicht rundweg abgelehnt, sondern erhielt Zuspruch. Denn der Professor für Physik, Heinrich Weber, lud Albert entgegen den Vorschriften ein, seine Vorlesungen zu besuchen. Doch Herzog empfahl Einstein, sein letztes Jahr bis zur Hochschulreife lieber in der nahe gelegenen Oberstufe abzuschließen und sich im Jahr darauf wieder vorzustellen. Wenn er dort seinen Abschluss habe, werde Einstein zugelassen, auch wenn ihm nach den Regularien des Polytechnikums noch sechs Monate bis zum Mindestalter fehlten.

So kam es, dass Einstein sich am 26. Oktober 1895 an der Kantonsschule in Aarau einschrieb, einer hübschen kleinen Stadt, vierzig Kilometer von Zürich entfernt. Die Schule hatte einen guten Ruf als fortschrittliche Institution. Neben dem herkömmlichen Lehrplan lag ein Schwerpunkt auf den modernen Fremdsprachen und den Naturwissenschaften. Sogar ein hervorragend ausgestattetes Labor stand zur Verfügung. Unterstützt wurde auch eine wertschätzende, positive Unterrichtsmethode. Man vermied pures Auswendiglernen und Paukerei und behandelte die Schüler als Individuen. Insbesondere wurde die Visualisierung durch Bilder und Gedankenexperimente als Weg zum Verständnis von Sachverhalten gefördert.

Wie Einstein es ausdrückte, besaßen die Lehrer einen »schlichten Ernst«.22 Sie waren keine bloßen Autoritätspersonen, sondern eigenständige Menschen, mit denen man sich austauschen und auseinandersetzen konnte. »Diese Schule hat […] einen unvergesslichen Eindruck in mir hinterlassen«, schrieb er, »durch Vergleich mit sechs Jahren Schulung an einem deutschen, autoritär geführten Gymnasium wurde mir eindringlich bewusst, wie sehr die Erziehung zu freiem Handeln und Selbstverantwortlichkeit jener Erziehung überlegen ist, die sich auf Drill, äußere Autorität und Ehrgeiz stützt. Echte Demokratie ist kein leerer Wahn.«23

In seiner Zeit in Aarau wohnte Einstein bei einem Lehrer der Schule. Jost Winteler, seine Frau Rosa und deren sieben Kinder wurden für ihn zu einer Art Familie, und bald sprach er Jost und Rosa mit »Papa« und »Mama« an. Fast jeden Abend saß er mit der Familie beim Abendessen, diskutierte und lachte.

Winteler war ein imposanter Mann mit vollem Spitzbart, dichtem Haar und einer kleinen Brille. Er war Philologe, Journalist, Dichter und Vogelkundler und lehrte an der Schule Latein und Griechisch. Er nahm sich großzügig Zeit, war aufgeschlossen in seinem Denken und ein entspannter Lehrer, er besaß eine liberale Gesinnung, und seine Integrität war durchaus kämpferischer Natur: Er trat für die freie Meinungsäußerung ein und hegte eine tief sitzende Abneigung gegen jede Form von Nationalismus. Einstein übernahm viele von Wintelers Überzeugungen, vor allem sein Bekenntnis zum Internationalismus.

Einsteins neuer politischer Blick und seine Verachtung des deutschen Militarismus erweckten in ihm den Wunsch, seine deutsche Staatsbürgerschaft abzugeben, und er bat seinen Vater, ihn dabei zu unterstützen. Grund für seine Entscheidung war sicherlich auch eine konkrete Sorge: Wäre er mit siebzehn noch deutscher Staatsbürger, müsste er die Wehrpflicht absolvieren.

Die Urkunde, die offiziell Einsteins Entlassung aus der Staatsbürgerschaft bescheinigte, traf sechs Wochen vor seinem siebzehnten Geburtstag ein.

6

Marie war die jüngste Winteler-Tochter. Als Einstein zur Familie zog, lebte sie zu Hause und wartete auf ihre erste Anstellung, nachdem sie gerade das Lehrerinnenseminar abgeschlossen hatte. Sie stand kurz vor ihrem achtzehnten Geburtstag, Einstein war sechzehn. Die mit ihren dunklen Locken auffallend hübsche Marie war erfüllt von Lebensfreude und gleichzeitig voller Selbstzweifel. Beide liebten sie Musik und spielten abends für die Familie, Einstein auf der Geige, Marie begleitete ihn auf dem Klavier. Wenige Monate später, Ende 1895, verliebten sie sich ineinander.

Weder Einstein noch Marie konnten die Gedanken voneinander lassen. Einstein blieb nachts lange wach, starrte in den Himmel und hatte den Eindruck, Orion hätte noch nie schöner gefunkelt als jetzt. Im Januar 1986 zog Marie aus und trat in einem nahe gelegenen Ort die Stelle einer Lehrerin an. Obwohl sie oft nach Hause kam, schrieben sie sich doch zahllose Liebesbriefe, in denen sie ihre Trennung beklagten: »O mein Liebchen, es ist schön, ein Leid zu erdulden, wenn Sie trösten.«24

Er schickte ihr Mozart-Lieder. Er schickte ihr sogar Würste, um ihr zu helfen, ein wenig zuzunehmen, er nannte das sein »Kirchweihnudelprojekt«25. Er versuchte, sie eifersüchtig zu machen und sie zum Lachen zu bringen. »Denken Sie sich«, schrieb er ihr einmal, »heute hab ich mit Frl. Baumann […] musiziert, worüber Sie eifersüchtig sein müssen, wenn Sie das Mädchen kennen. Mit größter Leichtigkeit kann sie ihre zarte Seele ins Instrument hineinlegen, weil sie nämlich gar keine hat. Nicht wahr, wie bös ich wieder bin & wie schmähsüchtig …«26

Alberts und Maries Eltern waren glücklich über diese Beziehung. Vor allem Pauline Einstein sprach gern über das Glück der beiden. Als Einstein im April 1896 für die Frühlingsferien zur Familie nach Italien kam, versuchte sie oft, seine Briefe an Marie zu lesen. Einem Antwortbrief Alberts hängte Pauline die Bemerkung an: »Ohne diesen Brief gelesen zu haben, sende ich Ihnen herzl. Grüße!«27

Doch die Unbeschwertheit war nicht von Dauer. Einstein schrieb sich im Oktober am Polytechnikum in Zürich ein und gewöhnte sich schnell und problemlos an das lockere Studentenleben. Es schien, als wirkte sich sein Umzug unmittelbar auf seine Beziehung zu Marie aus, auch wenn er ihr anfangs noch seine Wäsche geschickt hat. Marie hat das wohl bemerkt. In einem Brief vom November 1896 schrieb sie mit einer Mischung aus Zuneigung und Verärgerung:

Geliebter Schatz!

Heut ist, just u. eben, Ihr Körbchen angekommen, u. ich hab mir vergebens die Augen nach einem kleinen Zedlechen ausgeguckt, aber ich war doch nur schon über Ihre lieben Schriftzüge auf der Adresse froh. […] Letzten Sonntag ging ich unter strömendem Regen durch den Wald, um Ihr Körbchen an die Post zu tragen, ists auch bald angekommen?28

Albert hatte bereits vorgeschlagen, sich nicht weiter zu schreiben. »Mein Lieb, ich begreife eine Stelle in Ihrem Brief nicht recht. Sie schreiben, dass Sie nicht mehr mit mir korrespondieren wollten, warum aber nicht Schatzi?«29