9,99 €
Seit zwanzig Jahren sind Celias Eltern nun bereits tot. Die rätselhaften Todesumstände konnten nie geklärt werden und das Vergessen hat sich über die Tragödie gebreitet. Doch bei einem geselligen Abendessen reißt eine unerwartete Frage alte Wunden auf und Ariadne Oliver, Celias Patentante, muss sich der Wahrheit endlich stellen: Wer hat hier wen getötet, der Vater die Mutter, oder war es umgekehrt? Hercule Poirot ermutigt seine alte Freundin, es wie die Elefanten zu machen und ihrer Erinnerung zu vertrauen. Denn Poirot weiß: "Elefanten können sich erinnern – denn Elefanten vergessen nicht."
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 244
Agatha Christie
Elefanten vergessen nie
Ein Fall für Poirot
Aus dem Englischen von Ruth Bieling
Atlantik
Mrs Oliver betrachtete sich im Spiegel. Dabei warf sie einen kurzen Seitenblick auf die Uhr auf dem Kaminsims, die wie gewöhnlich zwanzig Minuten nachging. Dann beäugte sie wieder prüfend ihre Frisur. Die Schwierigkeit bei ihr war – und das gab sie offen zu –, dass sie ständig die Frisur wechselte. Sie hatte schon fast alle Möglichkeiten ausprobiert, mal eine strenge Hochsteckfrisur getragen, mal eine Windstoßfrisur, bei der die Haare nach hinten gebürstet wurden, damit man die Denkerstirn sah. Jedenfalls hoffte sie, dass sie eine Denkerstirn hatte. Sie hatte einen Lockenkopf getragen, mit lauter kleinen eng anliegenden Löckchen, und einer Art künstlerischer Unordnung. Allerdings, überlegte sie, spielte ihre Frisur heute keine Rolle, denn heute würde sie – was sie sehr selten tat – einen Hut aufsetzen.
Im obersten Fach ihres Kleiderschrankes ruhten vier Hüte. Einer passte nur für Hochzeiten. Denn bei einer Hochzeit war ein Hut ein absolutes »Muss«. Ja, sie besaß sogar zwei Exemplare für diese Gelegenheit. Der in der runden Hutschachtel war aus Federn und eher eine Kappe. Er vertrug auch einen plötzlichen Regenguss, wie sie einen manchmal auf dem Weg vom Wagen zur Kirche oder, wie heutzutage häufiger, zum Standesamt plötzlich überraschten.
Der andere war ein wesentlich kunstvolleres Gebilde und kam nur für eine Hochzeit an einem sommerlichen Samstagnachmittag infrage. Er bestand ganz aus Blumen und Chiffon und einem gelben Schleier mit angehefteten Mimosen.
Die anderen beiden Hüte in dem Fach hatten mehr Allzweckcharakter. Den einen nannte Mrs Oliver ihren »Landhut«, er bestand aus braunem Filz, der zu jeder Art von Tweed passte, mit einer kleidsamen Krempe, die man aufstellen oder in die Stirn gezogen tragen konnte.
Mrs Oliver besaß einen Kaschmirpullover für kalte und einen leichten Pullover für heiße Tage, die in der Farbe zu dem Hut passten. Allerdings trug sie die Pullover häufig, den Hut fast nie. Warum sollte man auch einen Hut aufsetzen, wenn man bloß aufs Land fuhr, um mit Freunden zu essen?
Der vierte Hut war der teuerste von allen vieren und von außergewöhnlich dauerhafter Eleganz. Vielleicht, dachte Mrs Oliver manchmal, weil er so teuer gewesen ist. Er war eine Art Turban aus übereinander angeordneten Lagen von verschiedenfarbigem Samt in sehr kleidsamen Pastelltönen, die zu allem passten.
Mrs Oliver hielt inne und rief, immer noch im Zweifel, nach Beistand.
»Maria«, rief sie. Dann lauter: »Maria! Kommen Sie eine Minute her!«
Maria kam. Sie war es gewohnt, dass Mrs Oliver sie um Rat fragte, was sie anziehen sollte.
»Werden Sie Ihren hübschen, schicken Hut aufsetzen?«, fragte Maria.
»Ja«, antwortete Mrs Oliver. »Ich wollte wissen, ob er so besser aussieht oder andersherum.«
Maria trat zurück und betrachtete Mrs Oliver prüfend.
»Sie haben ihn verkehrt auf.«
»Ja«, antwortete Mrs Oliver. »Das weiß ich. Aber ich dachte, dass es so irgendwie besser aussähe.«
»Ja, warum denn?«
»Nun, weil es so beabsichtigt ist, nehme ich an. Ich würde nicht von allein draufkommen. Sicher hat es sich die Hutmacherin so vorgestellt«, meinte Mrs Oliver.
»Wieso finden Sie, dass er dann besser aussieht?«
»Weil man den schönen Blauton und das satte Dunkelbraun sieht, und ich finde, das ist doch hübscher als die Vorderseite mit dem Grün und Rot und der Schokoladenfarbe.«
An diesem Punkt nahm Mrs Oliver den Hut ab, setzte ihn wieder auf und probierte ihn erneut mit der Rückseite nach vorn, mit der Vorderseite nach vorn und dann quer, was weder ihr noch Maria gefiel.
»Quer können Sie ihn nicht tragen. Ich finde, das passt nicht zu Ihrem Gesicht. Es passt zu keinem Gesicht.«
»Ja, das geht nicht. Ich glaube, ich setze ihn doch so auf, wie er gehört.«
»Na, sicherer ist es bestimmt«, meinte Maria.
Mrs Oliver nahm den Hut ab, und Maria half ihr, ein gut geschnittenes, leichtes Wollkleid von zarter braunroter Farbe anzuziehen und den Hut festzustecken.
»Sie sehen sehr schick aus«, stellte Maria fest.
Das war es, was Mrs Oliver an Maria so schätzte. Schon beim geringsten Anlass lobte und bewunderte sie sie.
»Werden Sie bei dem Essen eine Rede halten?«, fragte Maria. »Eine Rede!«, rief Mrs Oliver entsetzt. »Nein, natürlich nicht! Sie wissen doch, ich halte nie eine Rede.«
»Ich dachte, das ist bei einem Literatenessen üblich. Da gehen Sie doch hin, nicht wahr? Berühmte Schriftsteller von 1973 – oder was für ein Jahr gerade dran ist.«
»Ich brauche keine Rede zu halten«, sagte Mrs Oliver. »Ein paar andere Leute, die so etwas gern tun, werden das übernehmen. Sie machen es viel besser als ich.«
»Ich bin überzeugt, Sie würden eine wunderbare Rede halten, wenn Sie wirklich wollten«, sagte Maria, als ob sie sie in Versuchung führen wollte.
»Nein, bestimmt nicht«, wehrte Mrs Oliver ab. »Ich weiß, was ich kann und was ich nicht kann. Ich kann keine Rede halten. Ich rege mich auf und werde nervös und würde wahrscheinlich stottern oder zweimal dasselbe sagen. Ich würde mir nicht nur dumm vorkommen, sondern sicher auch so aussehen. Ich kann mit dem Wort umgehen, wenn ich schreibe oder auf Band spreche oder diktiere. Ich kann mit der Sprache umgehen, solange es sich nicht um eine Rede handelt.«
»Na ja. Es wird schon alles klappen. Ich bin ganz sicher. Ein großes Essen, nicht wahr?«
»Ja«, sagte Mrs Oliver sehr bedrückt. »Ein ganz großes Essen.«
Und warum, überlegte sie, sprach es aber nicht aus, warum in aller Welt gehe ich hin? Sie grübelte darüber nach, da sie immer gern wusste, warum sie etwas tat, statt erst zu handeln und sich danach nach dem Grund zu fragen.
»Ich nehme an«, sagte sie laut zu sich selbst, denn Maria war in die Küche zurückgeeilt, weil es nach übergekochter Marmelade roch, die gerade auf dem Herd stand, »ich wollte mal wissen, wie so etwas ist. Immer wieder werde ich zu solchen literarischen Essen oder so was Ähnlichem eingeladen, und nie gehe ich hin.«
Mrs Oliver war beim letzten Gang des Essens angelangt und seufzte zufrieden auf, während sie mit den Resten der Meringe auf ihrem Teller spielte. Meringen mochte sie besonders gern, und hier waren sie der köstliche letzte Gang eines sehr köstlichen Essens. Trotzdem, wenn man in ein gewisses Alter kam, musste man mit Meringen vorsichtig sein. Die Zähne! Sie sahen gut aus, sie hatten den großen Vorteil, nicht wehtun zu können, sie waren weiß – genau wie echte. Aber sie waren eben nicht echt. Und Zähne, die nicht echt waren – so glaubte wenigstens Mrs Oliver –, waren auch nicht aus erstklassigem Material. Hunde, hatte man ihr erzählt, hatten Zähne aus echtem Elfenbein, menschliche Wesen aber nur aus einer knochenähnlichen Substanz. Oder – wenn sie falsch waren – aus Kunststoff. Jedenfalls war der springende Punkt, man durfte nicht in peinliche Situationen kommen, in die einen falsche Zähne bringen konnten. Salat war problematisch und Salzmandeln und Dinge wie Schokolade mit hartem Kern, Karamellbonbons und die köstliche Zähigkeit und Klebrigkeit von Meringen. Mit einem zufriedenen Seufzer erledigte sie den letzten Bissen. Es war ein gutes Essen gewesen, ein sehr gutes sogar.
Mrs Oliver spürte ein großes Wohlbehagen. Sie hatte den Lunch wirklich genossen. Auch die Gesellschaft hatte sie genossen. Das Essen, das zu Ehren berühmter Schriftstellerinnen gegeben wurde, hatte sich glücklicherweise nicht auf Damen allein beschränkt. Es waren auch Schriftsteller da und Kritiker, Leute, die Bücher lasen, und andere, die sie schrieben. Mrs Oliver saß zwischen zwei ganz reizenden Vertretern des männlichen Geschlechts. Der eine war Edwyn Aubin, dessen Gedichte sie sehr schätzte, ein Mann, der sehr unterhaltsam von seinen Auslandsreisen und allerlei literarischen und persönlichen Erlebnissen erzählte. Außerdem interessierte er sich sehr für Restaurants und gutes Essen, und sie hatten sich ganz vergnügt darüber unterhalten und das Thema Literatur weggelassen.
Sir Wesley Kent an ihrer anderen Seite war ebenfalls ein angenehmer Nachbar. Er hatte reizende Bemerkungen über ihre Bücher gemacht, und das mit so viel Takt, dass sie darüber nicht in Verlegenheit geriet, wie das so viele Menschen ohne weiteres fertigbrachten. Er hatte den einen oder anderen Grund genannt, warum er das eine oder andere ihrer Bücher besonders gut fand, und es waren gute Gründe gewesen, und deshalb hatte er Mrs Oliver sehr gefallen. Lob von Männern, dachte Mrs Oliver bei sich, kann man immer annehmen. Frauen waren überschwänglich. Was manche Frauen ihr so schrieben! Also wirklich! Natürlich nicht immer nur Frauen. Manchmal auch gefühlvolle junge Männer aus fremden Ländern. Erst letzte Woche hatte sie einen Verehrerbrief erhalten, der so begann: »Ich habe Ihr neuestes Buch gelesen und fühle, was für eine edle Frau Sie sind.« Nach der Lektüre von The Second Goldfish war der junge Mann in eine richtige literarische Ekstase geraten, was Mrs Oliver höchst unpassend fand. Zwar war sie nicht übermäßig bescheiden und fand ihre Kriminalromane gut, manche schlechter, manche besser. Aber ihrer Meinung nach gab es keinen Grund, dass jemand aus ihren Büchern herauslesen konnte, sie sei eine edle Frau. Sie war einfach eine glückliche Frau, weil sie schreiben konnte, was ein Haufen Leute lesen wollte.
Alles in allem war sie bei dieser Heimsuchung eigentlich recht gut weggekommen. Es hatte ihr gefallen, sie hatte sich mit ein paar netten Leuten unterhalten. Bald würde man aufstehen, und die Gäste würden in die Richtung strömen, wo es Kaffee gab und man seinen Partner wechseln und mit andern Leuten schwatzen konnte. Das war der gefährliche Punkt, wie Mrs Oliver recht gut wusste. Es war der Augenblick, wo andere Frauen auftauchen und sie überfallen konnten. Überfallen mit widerlichen Lobhudeleien, bei denen sie sich immer beklagenswert unfähig fühlte, die richtige Antwort zu geben, weil es im Grund keine richtige Antwort gab. Es war ungefähr so wie in einem Sprachführer.
Frage: »Ich muss Ihnen einfach sagen, wie gern ich Ihre Bücher lese und wie wunderbar ich sie finde.«
Antwort des nervösen Autors: »Nein, das ist reizend! Wie mich das freut!«
»Wissen Sie, schon seit Monaten lauere ich darauf, Sie kennenzulernen. Es ist einfach wundervoll.«
»Ach, das ist aber reizend von Ihnen. Wirklich reizend.«
Und so weiter. Keiner schien in der Lage zu sein, das Thema zu wechseln. Es musste sich alles um die eigenen Bücher drehen oder um die der anderen, sofern man sie gelesen hatte. Man zappelte im Netz der Literatur. Manche Leute konnten sich wehren, aber Mrs Oliver war sich bitter bewusst, dass sie nicht die Fähigkeit dazu besaß. Eine Freundin aus dem Ausland hatte ihr einmal eine Art Vorlesung darüber gehalten.
»Ich habe dir zugehört«, hatte Albertina mit ihrer bezaubernden, leisen, fremdländisch klingenden Stimme gesagt, »was du dem jungen Mann von der Zeitung geantwortet hast, der dich interviewt hat. Du hast keinen Stolz! Nein, du bist nicht stolz auf deine Arbeit! Du müsstest sagen: ›Jawohl, ich schreibe gut. Ich schreibe besser als irgendwer anders, der Kriminalromane schreibt.‹«
»Aber das tue ich nicht«, hatte Mrs Oliver erwidert. »Ich bin nicht schlecht, aber …«
»Ach, sag doch nicht: ›Das tue ich nicht.‹ Du musst es behaupten! Sogar wenn du es selbst nicht glaubst, musst du es sagen.«
»Ich wünschte, Albertina«, hatte Mrs Oliver gemeint, »dass du mit den Journalisten reden könntest. Du bist so geschickt. Könntest du nicht so tun, als seist du ich? Ich verstecke mich hinter der Tür und höre zu.«
»Ja, vermutlich ginge das. Sicher wäre es sehr komisch. Aber man würde es doch merken. Man kennt dein Gesicht. Du musst nur einfach sagen: ›Ja, ja, ich weiß, dass ich besser bin als die anderen.‹ Du musst es jedem erzählen. Alle sollen es wissen. Und darüber berichten. Ach, es ist schrecklich, dich dasitzen zu sehen, als wolltest du dich auch noch entschuldigen für das, was du sagst. Das ist doch wirklich nicht notwendig.«
Es war beinahe so gewesen, erinnerte sich Mrs Oliver, als sei sie eine junge Schauspielerin, die versuchte, eine Rolle zu lernen, und der Regisseur hatte festgestellt, dass sie hoffnungslos unbegabt war.
Nun, hier hatte es bis jetzt jedenfalls kaum Schwierigkeiten gegeben. Zwar würden ein paar Damen auf sie warten, wenn man aufstand. Sie konnte schon eine oder zwei darauf lauern sehen. Aber das war nicht schlimm. Sie würde lächeln und nett sein und sagen: »Wie reizend von Ihnen. Ich freue mich schrecklich. Ich bin so glücklich, Leute kennenzulernen, die meine Bücher mögen.« Den ganzen alten Quatsch. Als steckte man die Hand in eine Schachtel und holte einen Haufen nützlicher Worte heraus, die schon aneinandergereiht waren wie die Perlen einer Halskette. Und dann würde sie bald verschwinden können.
Ihr Blick wanderte über den Tisch in der Hoffnung, dass sie doch noch Freunde entdeckte, nicht nur Bewunderer. Ja, da hinten saß Maurine Grant, sie war eine reizende Person. Dann kam der ersehnte Augenblick, die Schriftstellerinnen und ihre Tischherren erhoben sich. Alles strömte auf die Sessel, Kaffeetische, Sofas und vertraulichen Nischen zu. Der Augenblick der Gefahr, wie Mrs Oliver dachte, obwohl sie meistens nur auf Cocktailpartys ging; selten zu einem literarischen Essen. Jetzt drohte jeden Moment Gefahr in Gestalt von jemandem, an den man sich nicht mehr erinnerte, der sich selbst aber noch sehr gut an einen erinnerte, oder von jemandem, mit dem man keinesfalls sprechen wollte, dem man aber nicht ausweichen konnte. In diesem Fall war es das erste Dilemma, das auf sie zukam; eine große Frau, gut proportioniert, mit weißen Pferdezähnen, auf Französisch hätte man sie als femme formidable bezeichnet. Außerdem wirkte sie sehr herrisch. Offensichtlich kannte sie Mrs Oliver entweder schon oder beabsichtigte, sofort ihre Bekanntschaft zu machen. Letzteres geschah.
»Ach, Mrs Oliver!«, rief sie mit schriller Stimme. »Was für eine Freude, Sie hier zu treffen! Ich habe es mir schon so lange gewünscht. Ich bete Ihre Bücher einfach an. Mein Sohn auch. Und mein Mann hat immer darauf bestanden, dass wir nie ohne ein paar davon verreisten. Aber kommen Sie, setzen wir uns. Es gibt so vieles, das ich Sie fragen muss!«
Na ja, dachte Mrs Oliver, nicht gerade mein Lieblingstyp. Aber sie ist so gut wie jede andere.
Sie ließ sich in einer Weise, die einem Polizeibeamten angestanden hätte, zu einem kleinen Ecksofa führen, und ihre neue Freundin nahm Kaffee und reichte ihr auch welchen. »So. Da wären wir! Sie werden meinen Namen nicht kennen. Ich bin Mrs Burton-Cox.«
»Aber ja«, sagte Mrs Oliver verlegen wie immer in solchen Situationen. Mrs Burton-Cox? Schrieb sie auch Bücher? Nein, sie konnte sich wirklich in nichts an sie erinnern. Aber den Namen hatte sie schon einmal gehört. Eine ganz schwache Erinnerung kehrte zurück. Schrieb sie nicht politische Bücher oder so was? Jedenfalls keine Romane, Komödien oder Kriminalgeschichten. Vielleicht eine Intellektuelle mit politischen Ambitionen? Das dürfte nicht schwierig sein, dachte Mrs Oliver erleichtert. Ich lasse sie einfach reden und sage von Zeit zu Zeit nur: »Wie interessant!«
»Sie werden erstaunt sein über das, was ich Ihnen erzählen möchte«, erklärte Mrs Burton-Cox. »Aber aus Ihren Büchern weiß ich, wie mitfühlend Sie sind, wie viel Sie von der menschlichen Natur verstehen. Und ich habe das Gefühl, dass, wenn mir jemand eine Frage beantworten kann, Sie diejenige sind.«
»Ich glaube wirklich nicht …«, stotterte Mrs Oliver und suchte nach geeigneten Worten, um auszudrücken, dass sie absolut nicht sicher war, ob sie zu dem von ihr verlangten geistigen Höhenflug imstande war.
Mrs Burton-Cox tippte ein Stückchen Zucker in ihren Kaffee und zermalmte es wie ein Raubtier, das einen Knochen frisst. Vielleicht hat sie auch Elfenbeinzähne, überlegte Mrs Oliver flüchtig. Elfenbein? Hunde hatten Zähne aus Elfenbein und Walrosse und Elefanten auch, natürlich. Riesengroße Stoßzähne aus Elfenbein.
»Also«, sagte Mrs Burton-Cox da, »das Erste, was ich Sie fragen muss – obwohl ich mir ziemlich sicher bin, dass es stimmt … Sie haben eine Patentochter, nicht wahr? Celia Ravenscroft!«
»Oh«, sagte Mrs Oliver, angenehm überrascht. Sie hatte das Gefühl, dass sie einem Gespräch über ein Patenkind gewachsen sein würde. Sie hatte viele Patenkinder. Es hatte Zeiten gegeben, wo sie sich eingestehen musste, dass sie sich nicht mehr an alle erinnerte. Je älter sie wurde, umso schwieriger wurde es. Obwohl sie ihre Schuldigkeit getan hatte. Als sie noch klein waren, hatte sie ihnen zu Weihnachten Spielzeug geschickt, sie hatte ihre Patenkinder und deren Eltern regelmäßig besucht und die Kinder, während sie heranwuchsen, auch zu sich eingeladen oder sie einmal von der Schule abgeholt und zum Essen ausgeführt. Und dann kam der Höhepunkt: Der Junge oder das Mädchen wurde einundzwanzig Jahre alt, aus welchem Anlass die Patin entweder das Richtige tun musste oder jemand damit beauftragte, oder es wurde geheiratet, und da machte man das gleiche Geschenk oder schickte Geld. Danach entschwanden die Patenkinder meistens in den Hintergrund. Sie reisten ins Ausland, arbeiteten im Auswärtigen Amt, lehrten in fremden Ländern oder kümmerten sich um soziale Angelegenheiten. Jedenfalls verblasste die Erinnerung an sie immer mehr. Man freute sich, wenn man ihnen plötzlich irgendwo begegnete, aber man musste sich dann schon überlegen, wann man sie zum letzten Mal gesehen hatte, wessen Sohn oder Tochter sie waren und aus welchem Grund man eigentlich zur Patin ausgewählt worden war.
»Celia Ravenscroft«, sagte Mrs Oliver nun gutmütig. »Ja, ja, sie ist mein Patenkind. Stimmt.«
Nicht, dass nun Celia Ravenscrofts Bild vor ihrem inneren Auge erstanden wäre, höchstens eines aus sehr, sehr früher Zeit. Die Taufe. Sie war bei Celias Taufe gewesen und hatte ein ganz reizendes silbernes Queen-Anne-Teesieb als Geschenk gefunden. Sehr hübsch war es gewesen. Man konnte es auch für Milch benutzen. Außerdem gehörte es zu den Gegenständen, die ein Patenkind stets leicht versetzen konnte, falls es rasch ein bisschen Geld brauchte. Wie viel leichter es doch war, sich an silberne Kaffeekannen, Siebe oder Taufbecher zu erinnern als an das Kind selbst …
»Ja«, sagte Mrs Oliver. »Tatsächlich. Aber ich habe Celia leider sehr lange nicht gesehen.«
»Sie ist ein ziemlich impulsives Mädchen«, erklärte Mrs Burton-Cox. »Ich meine, sie ändert ständig ihre Meinung. Sehr intelligent, sehr gut auf der Universität, aber – ihre politischen Ansichten … Ich nehme an, dass heutzutage alle jungen Leute politisch interessiert sind.«
»Ich befasse mich nicht viel mit Politik«, sagte Mrs Oliver, die Politik hasste.
»Wissen Sie, ich möchte Ihnen etwas anvertrauen. Ich werde Ihnen genau sagen, was ich herausbringen möchte. Ich weiß, es macht Ihnen nichts aus. So viel Leute haben mir erzählt, wie gütig Sie sind, wie hilfsbereit.«
Ob sie mich anpumpen will, überlegte Mrs Oliver, die viele Gespräche erlebt hatte, die auf diese Weise anfingen.
»Die Angelegenheit ist für mich äußerst wichtig. Ich muss es einfach herausfinden. Celia wird nämlich – oder glaubt, sie wird – meinen Sohn Desmond heiraten.«
»Ach, tatsächlich!«, rief Mrs Oliver.
»Jedenfalls haben die beiden das im Augenblick vor. Natürlich muss man über die Leute Bescheid wissen, und da gibt es etwas, das ich sehr gern herauskriegen möchte. Es ist ziemlich ungewöhnlich, und ich könnte nicht irgendeinen Fremden fragen, aber Sie empfinde ich nicht als Fremde, liebe Mrs Oliver!«
Mrs Oliver dachte, ich wünschte, du tätest es. Sie wurde jetzt nervös. Sie überlegte, ob Celia vielleicht ein uneheliches Kind hatte oder kriegte oder ob man von ihr, Mrs Oliver, erwartete, dass sie Einzelheiten wüsste. Das wäre sehr peinlich. Andererseits hatte sie Celia seit fünf oder sechs Jahren nicht mehr gesehen. Sie musste jetzt ungefähr fünfundzwanzig oder sechsundzwanzig sein. Es würde ihr also nicht schwerfallen zu erklären, dass sie keine Ahnung habe.
Mrs Burton-Cox beugte sich vor und atmete heftig. »Sie müssen es mir sagen, denn ich bin sicher, dass Sie es wissen oder doch vermuten, wie alles gekommen ist. Hat ihre Mutter ihren Vater getötet, oder war es der Vater, der die Mutter tötete?«
Mrs Oliver war auf alles gefasst gewesen, aber bestimmt nicht darauf. Sie starrte Mrs Burton-Cox ungläubig an.
»Aber ich – ich verstehe Sie nicht. Ich meine, aus welchem Grund …«
»Liebe Mrs Oliver, Sie müssen es doch wissen … Es war ein berühmter Fall … Natürlich ist es schon lange her, zehn, zwanzig Jahre mindestens, aber die Sache erregte damals viel Aufsehen. Ich bin überzeugt, dass Sie sich erinnern! Sie müssen sich erinnern!«
Mrs Olivers Gehirn arbeitete fieberhaft. Celia war ihr Patenkind. Das stimmte. Celias Mutter … Ja, natürlich! Celias Mutter war Molly Preston-Grey gewesen, mit der sie befreundet gewesen war, wenn auch nicht besonders intim, ja natürlich … Sie hatte einen Mann von der Armee geheiratet … Wie hieß er gleich … Sir Sowieso Ravenscroft. Oder war er Botschafter? Unglaublich, dass man sich an diese Dinge nicht mehr erinnerte. Sie wusste nicht einmal genau, ob sie Mollys Brautjungfer gewesen war. Sie glaubte, ja. Später hatten sie sich jahrelang nicht gesehen. Sie gingen ins Ausland, in den Mittleren Osten? Nach Persien? Indien? Nur gelegentlich, wenn sie auf Besuch in England waren, hatten sie sich wiedergesehen. Sie hatten sie an eine alte Fotografie erinnert, die man in die Hand nimmt und betrachtet. Man kennt die Leute darauf von irgendwoher, aber das Bild ist so verblasst, dass man sie kaum wiedererkennt oder sich erinnert, wer sie eigentlich sind. Und nun wusste sie nicht einmal genau, ob Sir Ravenscroft und Lady Ravenscroft, geborene Preston-Grey, in ihrem Leben wichtig gewesen waren. Sie glaubte nicht.
Mrs Burton-Cox sah sie immer noch an, als ob sie von ihrem Unvermögen, sich an einen so berühmten Fall zu erinnern, enttäuscht wäre.
»Getötet? Sie meinen – ein Unfall?«, fragte Mrs Oliver.
»Aber nein. Kein Unfall. In einem Haus am Meer. Cornwall, glaube ich. Irgendwo – wo Felsen waren. Jedenfalls hatten sie dort ein Haus. Und sie wurden beide in den Klippen gefunden – erschossen, wissen Sie! Aber die Polizei konnte nicht herausfinden, ob die Frau den Mann und dann sich selbst erschossen hatte oder der Mann die Frau und dann sich. Sie haben die Kugeln und alles mögliche Beweismaterial untersucht, aber es war sehr schwierig. Man vermutete einen Doppelselbstmord. Ich habe vergessen, zu welchem Urteil man kam. Irgendwas – Unfall oder so. Aber natürlich hat jeder gewusst, dass es Absicht war. Und natürlich kursierte damals eine Menge Gerüchte …«
»Wahrscheinlich alles erfunden«, sagte Mrs Oliver hoffnungsvoll und versuchte, sich wenigstens an eines dieser Gerüchte zu erinnern.
»Kann sein. Kann sein. Schwer zu sagen, wissen Sie. Es soll Streitigkeiten gegeben haben, am selben Tag oder vorher, es war von einem andern Mann die Rede, und natürlich wie gewöhnlich davon, dass da eine andere Frau gewesen ist. Man weiß nicht, was wirklich geschah. Ich glaube, es ist vieles totgeschwiegen worden, weil General Ravenscroft eine so hohe Position hatte. Es hieß auch, dass er in dem Jahr in einer Klinik gewesen war und sehr krank war oder so was. Dass er gar nicht wusste, was er tat!«
»Es tut mir wirklich leid«, antwortete Mrs Oliver mit fester Stimme, »dass ich überhaupt nichts darüber weiß. Nun, da Sie die Sache erwähnen, erinnere ich mich vage, auch an die Namen und dass ich die Leute kenne, aber ich habe nie gewusst, was wirklich los war. Ich habe nicht die leiseste Idee …«
Wirklich, dachte Mrs Oliver, hätte ich doch bloß den Mut, der Person zu sagen, woher sie in Teufels Namen die Dreistigkeit nimmt, mich so was zu fragen.
»Es ist nämlich sehr wichtig für mich, die Wahrheit zu erfahren«, sagte Mrs Burton-Cox. Ihre Augen, die aussahen wie Kieselsteine, wurden scharf. »Es ist deshalb wichtig, weil mein Junge, mein lieber Junge, Celia heiraten will.«
»Ich fürchte, ich kann Ihnen nicht helfen, ich habe nie etwas gehört.«
»Aber Sie müssen es wissen! Sie schreiben doch so herrliche Geschichten. Sie wissen alles über Verbrechen, wer sie begeht und warum. Ich bin sicher, dass alle möglichen Leute Ihnen die Geschichte hinter der Geschichte erzählen, weil Sie so viel mit diesen Dingen zu tun haben.«
»Ich weiß überhaupt nichts«, sagte Mrs Oliver. Ihre Stimme war nicht mehr so höflich und klang ausgesprochen abweisend.
»Aber man kann doch jetzt nach all den Jahren nicht einfach zur Polizei gehen! Sie würden einem doch nichts sagen. Offensichtlich wollte man damals alles vertuschen. Aber ich habe einfach das Gefühl, dass ich die Wahrheit wissen muss.«
»Ich schreibe nur Bücher«, meinte Mrs Oliver kalt. »Sie sind völlig erfunden. Ich persönlich weiß nichts über Verbrechen und habe keine Meinung über Kriminologie. Deshalb kann ich Ihnen leider in keiner Weise helfen.«
»Aber Sie könnten Ihr Patenkind fragen! Sie könnten Celia fragen!«
»Celia fragen?« Mrs Oliver erstarrte. »Ich wüsste nicht, wie ich das tun könnte. Sie war – nein, ich glaube, sie muss noch ein richtiges Kind gewesen sein, als sich diese Tragödie ereignete.«
»Ich nehme an, sie weiß trotzdem genau Bescheid«, antwortete Mrs Burton-Cox. »Kinder wissen immer alles! Und Ihnen würde sie es erzählen. Ihnen!«
»Sie sollten sie selber fragen, finde ich.«
»Das kann ich unmöglich«, erklärte Mrs Burton-Cox. »Ich glaube nicht, dass es Desmond recht wäre. Er ist ziemlich – ziemlich empfindlich, was Celia betrifft, und ich glaube wirklich nicht – nein – ich bin überzeugt, dass sie es nur Ihnen sagt.«
»Ich denke nicht im Traum daran, sie zu fragen«, sagte Mrs Oliver und tat, als ob sie auf die Uhr sähe. »Ach, du meine Güte«, rief sie, »wie viel Zeit wir mit diesem reizenden Essen vertan haben. Ich muss laufen. Ich habe eine sehr wichtige Verabredung. Guten Tag, Mrs – hm – Bedley-Cox, es tut mir wirklich leid, dass ich Ihnen nicht helfen kann, aber diese Sache ist doch ziemlich delikat und – spielt es denn Ihrer Meinung nach wirklich eine so große Rolle?«
»Oh, ich glaube, eine ganz große.«
In diesem Augenblick schlenderte eine literarische Persönlichkeit, die Mrs Oliver kannte, vorbei. Mrs Oliver sprang auf und erwischte sie am Arm.
»Louise, meine Liebe, wie reizend, dass ich dich treffe. Ich habe gar nicht gewusst, dass du hier bist.«
»Ach, Ariadne, es ist lange her, seit ich dich gesehen habe. Du bist dünner geworden, was?«
»Was du mir immer für Komplimente machst«, sagte Mrs Oliver, nahm ihre Freundin am Arm und zog sie vom Sofa weg. »Ich muss rennen, weil ich eine Verabredung habe.«
»Ich nehme an, du bist dieses schreckliche Weib nicht losgeworden, nicht wahr?«, fragte ihre Freundin und sah über die Schulter auf Mrs Burton-Cox zurück.
»Sie hat mir so seltsame Fragen gestellt«, sagte Mrs Oliver.
»Aha! Und du konntest sie nicht beantworten?«
»Nein. Außerdem ging mich die Sache nichts an. Ich habe überhaupt nichts davon gewusst. Und ich hätte ihr auch nicht geantwortet.«
»Ging es um etwas Interessantes?«
»Vermutlich«, sagte Mrs Oliver. Ein Gedanke schoss ihr durch den Kopf. »Ich nehme an, es könnte interessant werden, nur …«
»Jetzt steht sie auf und kommt hinter dir her«, sagte ihre Freundin. »Mach schnell! Ich sorge dafür, dass du verschwinden kannst, und fahre dich hin, wohin du willst, wenn du deinen Wagen nicht dahast.«
»In London fahre ich nie mit dem Auto, es ist so schwierig mit der Parkerei.«
»Ich weiß. Einfach mörderisch!« Mrs Oliver verabschiedete sich überall gebührend und saß kurz darauf im Auto.
»Nach Eaton Terrace wolltest du?«, sagte die zuvorkommende Freundin.
»Ja«, antwortete Mrs Oliver, »ich glaube, es heißt Whitefrairs Mansions. An den Namen kann ich mich nicht genau erinnern, aber ich weiß, wo es ist.«
»Aha, ein Apartmenthaus. Ziemlich modern! Viereckig und geometrisch.«
»Genau«, sagte Mrs Oliver.
Da Mrs Oliver ihren Freund Hercule Poirot nicht zu Hause angetroffen hatte, musste sie Zuflucht zum Telefon nehmen.
»Sind Sie zufällig heute Abend daheim?«, fragte Mrs Oliver und trommelte mit ihren Fingern ziemlich nervös auf die Tischplatte.
»Ist dort etwa …?«
»Ariadne Oliver«, sagte Mrs Oliver, die immer von neuem überrascht war, wenn man sie nach ihrem Namen fragte, da sie glaubte, dass alle Freunde ihre Stimme sofort erkannten.
»Ja, ich bin den ganzen Abend hier. Bedeutet das, dass ich das Vergnügen Ihres Besuches haben werde?«
»Wie nett von Ihnen, es so zu sagen«, rief Mrs Oliver. »Ich weiß nicht, ob es ein Vergnügen sein wird.«
»Es ist immer ein Vergnügen, Sie zu sehen, chère Madame.«
»Ich weiß nicht, vielleicht könnte ich Ihnen ziemlich lästig werden und viele Fragen stellen. Ich möchte erfahren, wie Sie über eine gewisse Sache denken!«
»Ich bin immer bereit, jedem meine Meinung zu sagen«, erklärte Poirot.
»Es ist ein Problem aufgetaucht«, sagte Mrs Oliver. »Sehr schwierig, ich weiß nicht, was ich machen soll.«
»Und deshalb kommen Sie zu mir. Ich fühle mich geschmeichelt. Höchst geschmeichelt.«
»Welche Zeit würde Ihnen passen?«
»Neun Uhr? Wir könnten zusammen Kaffee trinken, falls Sie nicht einen Grenadine oder einen Sirop de Cassis vorziehen. Aber nein, so etwas mögen Sie ja nicht. Ich erinnere mich.«
»George«, sagte Poirot, nachdem er eingehängt hatte, zu seinem unschätzbaren Diener, »wir werden heute Abend das Vergnügen eines Besuches von Mrs Oliver haben. Ich denke, Kaffee und irgendeinen Likör. Ich bin nie ganz sicher, was sie gern trinkt.«
»Ich habe sie Kirsch trinken sehen, Sir.«
»Und Crème de Menthe glaube ich auch. Aber Kirsch hat sie, glaube ich, lieber.«
Mrs Oliver kam pünktlich. Beim Abendessen hatte Poirot darüber nachgedacht, was Mrs Oliver zu ihm trieb und warum sie so im Zweifel war, was sie tun sollte. Kam sie wegen eines schwierigen Problems zu ihm, oder würde sie ihm von einem Verbrechen erzählen? Poirot wusste genau, bei Mrs Oliver war alles möglich. Die einfachsten und die ungewöhnlichsten Dinge. In ihren Augen waren sie alle gleich wichtig. Aber sie war beunruhigt. Nun, dachte Hercule Poirot, er würde mit Mrs Oliver schon fertigwerden. Er war immer mit ihr fertiggeworden. Gelegentlich machte sie ihn wütend. Gleichzeitig war er ihr wirklich sehr zugetan. Sie hatten viele Erfahrungen und Experimente zusammen gemacht. Erst heute Morgen hatte er irgendetwas über sie in der Zeitung gelesen – oder war es im Abendblatt gewesen? Er musste versuchen, sich zu erinnern, bevor sie kam. Es war ihm gerade gelungen, als sein Diener Mrs Oliver meldete.
Sie kam ins Zimmer, und Poirot schloss sofort, dass seine Diagnose zutraf. Sie war besorgt. Ihre Frisur, sonst immer sehr sorgfältig gelegt, war unordentlich, weil sie in ihrer fieberhaften und hastigen Art, die sie manchmal an sich hatte, mit den Fingern hindurchgefahren war. Er empfing sie mit allen Zeichen des Vergnügens, bot ihr einen Stuhl an, schenkte ihr Kaffee ein und gab ihr ein Glas Kirsch.
»Ah!«, sagte Mrs Oliver mit einem Seufzer der Erleichterung. »Ich fürchte, Sie werden mich für schrecklich dumm halten, aber …«
»Ich lese, oder besser, ich las in der Zeitung, dass Sie heute bei einem literarischen Essen waren. Berühmte Schriftstellerinnen. Ich dachte, so was würden Sie nie mitmachen.«
»Gewöhnlich nicht«, antwortete Mrs Oliver, »und ich werd’s auch nie wieder tun.«
»Aha! War es so schlimm?« Poirot war ganz Mitgefühl.