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Wissenschaftlicher Aufsatz aus dem Jahr 2016 im Fachbereich Geowissenschaften / Geographie - Sonstiges, , Sprache: Deutsch, Abstract: Im Beitrag wird die Bedeutung der beiden Dorf- bzw. Flurnamen mit „Elend“ im Osterzgebirge analysiert. Örtlichkeiten mit dem Namen „Elend“ oder „das Elend“ sind danach nicht auf eine notleidende Siedlung oder ein Vorwerk zurückzuführen, sondern auf die althochdeutsche Wurzel eli-lenti mit der Bedeutung „abgelegenes, fremdes Land“. Diese Bedeutung trifft am ehesten auf mittelalterliche Rastplätze im sog. Wildland, also abseits von Siedlungen oder Klöstern zu. Es wird gezeigt, dass Rastplätze im Wildland jedoch gewisse verkehrs-logistische und geomorphologische Bedingungen erfüllen müssen, die sie als solche geeignet erscheinen lassen. Dies sind insbesondere ein hinreichend ebenes, trockenes, hochwasserfreies, ausreichend großes und einigermaßen windgeschütztes Gelände als Rastplatz etwa in Form einer Quellmulde, das Vorhandensein von Frischwasser, die Lage an einer überregionalen Verkehrstrasse, eine Entfernung von 25-30km von Siedlungen oder Klöstern sowie das Vorhandensein von Weidemöglichkeiten für Reit-, Saum- und/oder Zugtiere. Geländeuntersuchungen ergaben, dass diese Bedingungen im hohen Mittelalter sowohl vom heutigen Dippoldiswalder Ortsteil Elend als auch von einer Örtlichkeit am sog. Elendsteig zwischen Börnchen und Bärenstein erfüllt wurden. Im Korridor dieses Elendsteiges wurden zwei unterschiedliche, durch Hohlwegabschnitte gekennzeichnete mittelalterliche Verkehrstrassen nachgewiesen. Durch Auswertung der Hohlwegprofile und an Hand der näherungsweise bestimmten Spurweiten der einstmals in den Hohlwegen verkehrenden Fahrzeuge wurde versucht, die beiden Trassen des Verkehrskorridors „Elendsteig“ funktionell und zeitlich einzuordnen.
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INHALT:
1. Einführung
2. Zur Bezeichnung mittelalterlicher Rastplätze in Sachsen und Böhmen
3. Zur Deutung von Orts- und Flurnamen mit „Elend“
4. Der heutige Ortsteil Elend von Dippoldiswalde
5. Der „Elendsteig“ bei Bärenstein
6. Der Elendsteig - eine Altstraße mit Rastplatz „ellende“ im Wildland?
Das Hohlwegsystem am Müglitzhang im Bereich des Elendsteiges
Altstraße Elendsteig – Trasse A
Altstraße Elendsteig – Trasse B
Der mögliche Rastplatz
7. Der Flurname „das Elend“
8. Versuch einer funktionellen und zeitlichen Einordnung des Verkehrskorridors „Elendsteig“ zwischen Börnchen und Bärenstein
9. Zusammenfassung
10. Literatur
11. Anhang: Karten 1 bis 3
Bernd Hofmann
Elend –notleidende Siedlung, abgelegenes Vorwerk oder mittelalterliche Raststation?
Zur Bedeutung der Orts- und Flurnamen mit „Elend“ im Osterzgebirge
Zu allen Zeiten versuchten Reisende, in Ausspannen, „Karawansereien“, Herbergen, Gasthöfen oder aber in der Nähe oder innerhalb von Siedlungen, Klöstern etc. zu übernachten. Vor dem 12./13. Jahrhundert gab es jedoch im Erzgebirge kaum solche Übernachtungsmöglichkeiten. Folglich musste man etwa im Abstand von 25-30km von zivilisierten Ausgangspunkten geeignete Stellen im „Wildland“ als Rastplätze wählen. Bereits Meiche /15/ und Reuter /18/ hatten die Bedeutung der „Nachtlagerfrage“ für das frühe, in unserem Raum mindestens bis in die Slawenzeit zurückzuverfolgende Verkehrswesen behandelt und darauf hingewiesen, dass Flur- und/oder Ortsnamen wie Osseg, Újezd, Zehista oder Zuckmantel auf solche Plätze hindeuten.
Ausgangspunkte für Reisende im Osterzgebirge waren im Norden die alten Siedlungszentren um Riesa, Meißen, Dresden und Pirna, während im Süden besonders die böhmischen Orte bzw. Klöster um Chlumec/Usti n.L. (Kulm/Außig), Teplice (Teplitz), Most (Brüx) und Osek (Ossegg) in Betracht zu ziehen sind /2,16,20/. So soll in Teplice auf dem Areal des späteren Stadtschlosses bereits in der Mitte des 12. Jh. ein Benediktinerinnen-Kloster gegründet worden sein, das erst nach Zerstörung in den Hussitenkriegen im Jahre 1435 von den Nonnen verlassen wurde[1]. Nun finden sich zwar einige der alten Namen für mittelalterliche Verkehrsknotenpunkte bzw. Rastplätze in der Nähe der genannten Ausgangspunkte, z.B. Zehista und Zuckmantel bei Pirna sowie Újezdeček (Klein-Ujezd) und Pozorka (Zuckmantel) bei Teplice. Im Gebirge selbst gibt es jedoch, soweit dem Autor bekannt, keine Flurnamen mit solchen Bezeichnungen. Trotzdem muss es auch im „Wildland“ des hochmittelalterlichen Erzgebirges Rastplätze gegeben haben, denn an einem Tage waren die Erzgebirgsrouten mit Ausnahme der Trasse Dohna-Chlumec (Kulm) nicht zu bewältigen.
Einige Indizien weisen darauf hin, dass im mittelalterlichen deutschen Sprachraum Örtlichkeiten bzw. Flurnamen mit „Elend“ auf Rastplätze außerhalb von Ansiedlungen, also im Wildland hindeuten. Ein Beispiel einer Wegstrecke mit zwei Klöstern und zwei dazwischen liegenden Herbergsplätzen über immerhin drei Tagesreisen von zusammen etwa 75km hat sich im westlichen Mitteldeutschland erhalten: Vom Kloster Ilsenburg ging ein Weg über den Harz zum südlich gelegenen Kloster Walkenried. Dieses konnte jedoch nicht in einem Tagesmarsch erreicht werden, da die Entfernung etwa 50km betrug. Eine Zwischenübernachtung musste im Oberharz, und zwar im Dorfe oder in der Nähe des heutigen Dorfes Elend (PLZ 38875) eingelegt werden. Elend im Harz lag und liegt etwa in der Mitte zwischen beiden Klöstern. Die Entfernung beträgt je etwa 25km. Die Mönche von Ilsenburg sollen ihre erste Raststation im Harz außerhalb eines Heimatgefühl vermittelnden Klosters, also in der Fremde oder auf fremden Gebiet im Freien, „eli-lenti“ – anderes, fremdes Land genannt haben, aus dem sich der Ortsname (das) "Elend" entwickelte /9/. Von Walkenried ging die Reise weiter nach Süden. Nach weiteren etwa 25km wurde in Ermangelung eines Klosters die nächste Übernachtung im ursprünglichen Wildland fällig. Tatsächlich trifft man in dieser Entfernung auf den Ort Elende (PLZ 99759), heute bereits zu Thüringen gehörig /8/.
Obgleich die beschriebene Route über den Harz wegen der Rolle der Klöster an der Strecke klerikalen Reisenden auf den Leib geschrieben zu sein scheint, ist es aus zwei Gründen sehr wahrscheinlich, dass auch Händler, Fuhrleute und Fahrende unterschiedlichen Typs diesen Weg benutzten:
Zum Einen boten die meisten frühen Klöster nicht nur klerikalen, sondern sehr häufig auch weltlichen Reisenden sichere Unterkunft. Denn für klassische Klöster war die monastische Lebensform bestimmend. Sie ist durch geistliche Aktivitäten, körperliche Arbeit, geistiges und geistliches Studium sowie Gastfreundschaft gegenüber Reisenden gekennzeichnet /11/.
Zum anderen ist die Wurzel des Toponyms „Elend“ althochdeutschen Ursprungs, wie die Aufstellung in Tafel 1 zeigt. Orts- bzw. Flurnamen mit „Elend“ entstammen also nicht der Kleriker- oder Gelehrtensprache Latein, sondern der allgemeinen Landessprache mit der aus Tafel 1 ersichtlichen Bedeutung, nämlich im Sinne von fremdem, anderem, abgelegenem, d.h. außerhalb der gewohnten, sicheren, heimatlichen Umgebung liegendem Land. Dies klingt auch im sog. Innsbrucklied aus dem Spätmittelalter an:
"Y(nn)sbruck- ich muß dich lassen
ich far do hin mein strassen
in fremde landt do hin
mein freud ist mir genomen
die ich nit weiß bekummen
wo ich im elend bin..."[2]
Die beiden letzten Zeilen:
„die (Freude, die) ich nit weiß (kann) bekummen
wo ich im elend (in der Fremde) bin“
sind inhaltlich gewissermaßen die Wiederholung der vorhergehenden beiden Zeilen mit anderen Worten, verbunden mit einem Zeilentausch:
„in (das) fremde landtdo hin (fahre ich)
mein freud ist mir (dort) genommen“
Diese Versform ist in der Art von Refrain-Wiederholungen noch heute üblich. Sie ergibt im Innsbruck-Lied nur dann einen Sinn, wenn eben „im elend“ für „in der Fremde“ steht. Daher ist es sehr wahrscheinlich, dass heutige Orts- und Flurnamen mit „Elend“ oder „das Elend“ nicht auf eine notleidende Siedlung, sondern eher auf einen abgelegenen Rastplatz für mittelalterliche Reisende, insbesondere Fuhrleute, im Wildland, also in der Fremde hindeuten.
Damit sich Örtlichkeiten im Wildland als Rastplätze an Verkehrswegen eignen, müssen sie gewisse verkehrslogistische und geomorphologische Voraussetzungen erfüllen. Hierauf hat bereits REUTER /18/ für Rastplätze mit Namen „Zuckmantel“ hingewiesen. Solche Voraussetzungen sind insbesondere:
a) Der Platz muss über eine hinreichende Frischwasserquelle in unmittelbarer Nähe verfügen.
b) Die Örtlichkeit sollte hinreichend eben sein und wenigstens die Größe von ca. 1ha, d.h. eines heutigen Fußballfeldes besitzen, um Schlafplätze für die Reisenden einrichten, Lagerfeuer betreiben sowie Saum-, Reit- und/oder Zugtiere weiden lassen und Karren oder Wagen abstellen zu können.