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Jack kann über die uralte Magie gebieten, welche tief unter der Erde fließt. Doch eben jene geheimnisvollen Kräfte werden ihm zum Verhängnis. Er beschwört ein Erdbeben herauf, mit dem das Unheil über ihn und seine Familie hereinbrich: Eine einst verbannte Elfe wird aus ihrem steinernen Gefängnis befreit und zieht Jacks Schwester mit sich in den dunklen Abgrund – ein Abgrund, der in ein unbekanntes Land führt. Jack macht sich auf den beschwerlichen Weg durch dichte Wälder und reißende Ströme, um Lucy zu finden. Was er jedoch nicht ahnt: Die Elfen haben einen Pakt mit den Mächten der Hölle geschlossen. Wird er seine Schwester trotzdem retten können? High Fantasy der Extraklasse! In dieser Trilogie erschafft Nancy Farmer meisterhaft aus nordischen Sagen und Erzählungen ein Fantasy-Epos in der Tradition von J. R. R. Tolkiens Der Herr der Ringe. "Elfenfluch" ist der zweite Band einer Trilogie. Der erste Band ist "Drachenmeer" und der dritte Band heißt "Nebelrache".
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Seitenzahl: 603
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Für Ruth Farmer1916–2005Möge dich die Erdmagie in ihrer hohlen Hand halten
Danksagungen
Vielen, vielen Dank meinem Mann Harold, der die Abenteuer in den Tunneln mit mir zusammen erlebt hat. Ich danke Richard Jackson für seine Unterstützung und Hilfe und Dr. William Ratliff, der mir den Zugang zur Bibliothek der Stanford University ermöglicht hat. Danken möchte ich auch den Mitgliedern unserer Autorengruppe: Margaret Kahn, Antoinette May, James Spencer und Rob Swigart. Es gibt nichts Besseres als einen Trupp professioneller Schriftsteller, der einen aus den Knuckerlöchern zieht, in die man gelegentlich hineinfällt.
Die Halskette
Die Neufeuer-Zeremonie
Waes hael
Das Sklavenmädchen
Das zweite Gesicht
Ein Licht aus weiter Ferne
Giles Krummbeins Geheimnis
Das verlorene Kind
Bruder Aiden
Die Pilgerreise
Die Dame in der Quelle
Der Kopf des heiligen Oswald
Von einem Dämon besessen
Das Erdbeben
Din Guardi
König Yffi
Halb gefallene Engel
Im Tunnel
Das Knuckerloch
Der Zauberwald
Das Mädchen im Moos
Thorgils Geschichte
Der Bugaboo
Ein Heiratsantrag
Froschlaich-Omelett
Der Mahlstrom
Hazel
Der heilige Kolumban
Verrat
Elfenland
Der dunkle Fluss
Lucy
Die Gefangenen
Die wilde Jagd
Nachricht vom Barden
Geheime Verbündete
Tribut an die Hölle
Freiheit
Im Wald von Lorn
Die Midgardschlange
Die Vision
Yartkins
Die Kelpies
Ethne
Schöner Schein
Unleben
Das Ende von Din Guardi
Die Geschenke der Herrin
Wiedersehen im Kloster
Auf dem Heimweg
Personenverzeichnis
Anhang
Quellen
Das Lied vom wandernden Aengus
Ich ging zum Haselstrauch hinaus,Denn ich hatte ein Feuer in meinem Kopf.Die beste Rute wählte ich ausUnd knüpfte eine Beere an die Schnur,Und als weiße Motten mich umflattertenUnd die mottengleichen Sterne verblassten,Ließ ich die Beere fallen in einen FlussUnd fing eine kleine silberne Forelle.
Auf den Boden legt ich sieUnd ging das Feuer anzufachen.Aber etwas raschelte an dieser Stelle,Und jemand rief beim Namen mich.Es war ein strahlend MägdeleinMit Apfelblüten im Haar.Meinen Namen rief es und verschwandVerblassend in der heller werdenden Luft.
Das Wandern hat mich alt gemacht,Das Wandern über Berg und Tal.Doch werd ich finden dieses Mägdelein,Seine Lippen küssen, halten seine Hand,Spazieren durch das hohe GrasUnd pflücken bis ans Ende aller TageDie silbernen Äpfel des MondesDie goldenen Äpfel der Sonne.
William Butler Yeats
Es war noch mitten in der Nacht, als der Hahn krähte. Die Sonne war schon vor Stunden in den Wolken hinter den Hügeln im Westen versunken. Der Wind, der ums Haus tobte, verriet Jack, dass ein Sturm von der Nordsee herangezogen war. Der Himmel war sicher schwarz wie eine Bleimine und sogar die mit Schnee bedeckte Erde würde nicht zu sehen sein. Und auch wenn die Sonne aufging – falls sie aufging –, würde das Dämmerlicht sie verschlucken.
Der Hahn krähte wieder. Jack hörte ihn im Korb kratzen, als fragte er sich, wo sein weiches Nest geblieben war. Und wo sich seine warmen Gefährten versteckt hatten. Der Hahn war ganz allein in seinem kleinen Gefängnis.
„Es ist nicht für lange“, erklärte Jack dem Hahn, der sich langsam wieder beruhigte. Er würde später wieder anfangen zu krähen und nicht damit aufhören, bis die Sonne endlich aufging. So waren Hähne eben. Sie machten die ganze Nacht Lärm, um bloß den richtigen Moment nicht zu verpassen.
Jack warf die Schaffelle zurück, mit denen er zugedeckt war. Die Kohlen im Herd glühten noch, aber nicht mehr lange, dachte Jack mit einem Anflug von Angst. Es war die längste Nacht des Jahres und der Barde hatte befohlen, alle Feuer im Dorf zu löschen. Das vergangene Jahr war zu gefährlich gewesen. Von jenseits des Meeres waren Berserker gekommen und reiner Zufall hatte den Dorfbewohnern das Leben gerettet.
Die Nordmänner hatten jedoch die Heilige Insel zerstört. Diejenigen, die nicht ertränkt, verbrannt oder in Stücke gehackt wurden, waren in die Sklaverei verschleppt worden.
Es war Zeit für einen Neuanfang, hatte der Barde gesagt. Nicht ein Fünkchen durfte in der kleinen Ansammlung von Bauernhöfen brennen, die Jack als seine Heimat ansah. Frisches Feuer musste aus der Erde entzündet werden. Der Barde nannte es ein „Neufeuer“. Ohne dieses Feuer würde alles Böse der Vergangenheit sie ins kommende Jahr verfolgen.
Wenn die Flamme aber nicht aufflackerte, wenn die Erde sich weigerte, ihnen das Feuer zu geben, würden die Frostriesen wissen, dass ihre Zeit gekommen war. Sie würden von ihren eisigen Festungen hoch im Norden herabsteigen. Der böse Wolf des Winters würde die Sonne verschlingen und das Licht nie zurückkommen.
Natürlich haben die Menschen früher daran geglaubt, dachte Jack, als er in seine Kuhfellstiefel stieg. Jetzt, wo Bruder Aiden im Dorf lebte, wussten die Leute, dass diese alten Überzeugungen überholt waren. Der kleine Mönch hockte vor seiner Hütte, welche die Form eines Bienenkorbs hatte, und sprach mit jedem, der bereit war, ihm zuzuhören. Freundlich korrigierte er die Irrtümer der Menschen und erzählte ihnen von der Güte Gottes. Er war ein ausgezeichneter Geschichtenerzähler, fast so gut wie der Barde. Deswegen hörten ihm die Menschen gern zu.
In der Schwärze der längsten Nacht des Jahres war es allerdings schwer, an diese Güte zu glauben. Schließlich hatte Gott auch die Heilige Insel nicht beschützt. Und der Wolf des Winters war unterwegs. Seine Stimme war im Wind zu hören und die eisige Luft hallte wider von den Schreien der Frostriesen. Es war also bestimmt weise, den alten Überzeugungen zu folgen.
Jack stieg die Leiter zum Boden hoch. „Mutter, Vater!“, rief er. „Lucy!“
„Wir sind wach“, antwortete sein Vater. Er war schon angezogen für den langen Fußmarsch, der sie zum Haus des Dorfältesten führen würde. Auch Mutter war bereit, aber Lucy klammerte sich störrisch an ihre Felldecken.
„Ich will nicht aufstehen!“, rief sie trotzig.
„Aber es ist doch der Tag der heiligen Lucia“, lockte Vater. „Du wirst die wichtigste Person im ganzen Dorf sein.“
„Ich bin sowieso schon die wichtigste Person im ganzen Dorf.“
„Kind, du träumst!“, schalt Mutter. „Wichtiger als der Barde oder Bruder Aiden oder der Dorfälteste? Du brauchst eine Lektion in Bescheidenheit.“
„Aber sie ist doch eine verloren gegangene Prinzessin“, bemerkte Vater liebevoll. „Sie wird großartig aussehen in ihrem neuen Kleid.“
„Das werde ich, oder?“, fragte Lucy und stand nun doch auf.
Jack stieg von der Leiter. Mit diesem Argument war die Diskussion beendet. Mutter versuchte zwar, Lucy Manieren beizubringen, aber Vater machte ihre Bemühungen stets zunichte.
Für Giles Krummbein war seine Tochter das Wundervollste, was ihm je widerfahren war. Er war mit einem lahmen Bein gestraft und darüber hinaus waren er und seine Frau Alditha eher untersetzt als gut aussehend, mit gebräunten Gesichtern von der Arbeit auf den Feldern. Die beiden würde niemals jemand für Edelleute halten. Jack war klar, dass er genauso aussehen würde wie sie, wenn er erwachsen war. Aber Lucys Haar war golden wie die Nachmittagssonne und ihre Augen schimmerten im selben Violettblau wie der Abendhimmel. Sie bewegte sich mit einer solchen Anmut, als würde sie schweben. Der hinkende Giles konnte sie nur bewundern und ließ sich deshalb auch immer wieder von ihr um den Finger wickeln.
Jack, der die Kohlen für ein letztes bisschen Wärme anfachte, musste zugeben, dass seine Schwester im letzten Jahr einiges durchgemacht hatte. Sie hatte Morde mit ansehen müssen und war im Nordland als Sklavin gehalten worden. Ihm war zwar dasselbe passiert, aber er war dreizehn und sie erst sieben. Deshalb war er bereit, über die meisten ihrer Ungezogenheiten hinwegzusehen.
Er wärmte den Apfelmost und erhitzte die Haferkuchen auf den Steinen neben dem Feuer. Mutter war damit beschäftigt, Lucy in ihr neues Kleid zu helfen, und er hörte, wie sie sich beschwerte, als ihr das Haar gekämmt wurde. Vater kam herunter, um seinen Most zu trinken.
Der Hahn krähte wieder. Jack und sein Vater hielten inne. Es hieß, dass in den Zweigen von Yggdrasil ein goldener Hahn lebte, der in der dunkelsten Nacht des Jahres krähte. Wenn ihm der schwarze Hahn antwortete, der unter den Wurzeln des großen Baumes lebte, war das Ende aller Tage gekommen.
Kein Krähen erschütterte den Himmel oder hallte in der Erde. Nur der Nordwind tobte ums Haus und Jack und sein Vater entspannten sich. Sie nippten am heißen Most. „Warum haben wir keinen Spiegel?“, quengelte Lucy. „Warum können wir keinen von den piktischen Händlern kaufen? Wir haben doch das ganze Silber, das Jack mitgebracht hat.“
„Weil wir das für harte Zeiten aufheben müssen“, sagte Mutter geduldig.
„Pah! Ich will mich aber sehen! Ich bin sicher, dass ich wunderschön bin.“
„Schön genug“, meinte Mutter trocken.
Genau genommen hatte Jack mehr Silber, als seine Eltern wussten. Der Barde hatte ihn angewiesen, die Hälfte seines Reichtums unter dem Fußboden des römischen Hauses zu vergraben, in dem der alte Mann lebte. „Deine Mutter hat Verstand“, hatte der Barde gesagt, „aber Giles Krummbein – entschuldige, Junge – hat das Gehirn einer Eule.“
Vater hatte einen Teil des Geldes für Bruder Aidens Altar und einen Esel für Lucy ausgegeben. Der Rest war für den glorreichen Tag gedacht, an dem sie einen Ritter oder sogar – Vaters Hoffnungen stiegen – einen Prinzen heiraten würde. Wie Lucy in dem winzigen Dorf abseits aller großen Straßen einen Prinzen treffen sollte, hatte er allerdings nicht bedacht.
Das kleine Mädchen stieg die Leiter herab und wirbelte herum, um ihr neues Kleid vorzuführen. Es war ein langes weißes Kleid aus feinster Wolle. Die Schärpe hatte Mutter selbst gewebt und mit dem pollenfarbenen Waschwasser aus ihren Bienenstöcken gelb eingefärbt. Das Kleid aber war gekauft. Es kam aus Edwin’s Town weit im Norden. Ein so feines Tuch konnte Mutter nicht selbst machen, denn die Wolle ihrer Schafe war viel zu grau und zu grob.
Auf ihrem goldenen Haar trug Lucy eine federähnliche Krone aus Eibenblättern. Jack fand, dass sie genauso hübsch aussah wie eine echte Krone, und nur er verstand ihre wahre Bedeutung. Der Barde hatte gesagt, dass die Eibe das Tor zwischen dieser Welt und der nächsten bewachte. Und in der längsten Nacht des Jahres stand dieses Tor offen. Lucy hatte die Aufgabe, es während der Neufeuer-Zeremonie wieder zu schließen, und dabei musste sie vor dem geschützt sein, was auf der anderen Seite liegen mochte.
„Ich weiß, was zu meinem Kleid passt – meine silberne Halskette“, sagte Lucy.
„Du darfst kein Metall tragen“, widersprach Mutter scharf. „Der Barde hat gesagt, dass es verboten ist.“
„Der Barde ist ein Heide“, sagte Lucy. Dieses Wort hatte sie gerade erst gelernt.
„Er ist ein weiser Mann und du hast ihm Respekt zu erweisen!“
„Ein Heide, ein Heide, ein Heide!“, sang Lucy trotzig. „Er wird in die Hölle kommen und Dämonen mit langen Krallen werden ihn hinschleifen.“
„Zieh deinen Mantel an, du freches Kind. Wir müssen los.“
Lucy flitzte an Mutter vorbei und packte Vaters Arm. „Du lässt mich doch meine Kette tragen, Vater? Bitte, bitte, bitte.“ Sie hielt den Kopf zur Seite wie ein strahlender kleiner Spatz, und Jacks Herz sank. Sie war so liebenswert mit ihrem goldenen Haar und dem hoffnungsvollen Lächeln.
„Du kannst die Kette nicht tragen“, sagte er. Lucys Lächeln verkehrte sich sofort ins Gegenteil.
„Aber es ist meine!“, fauchte sie.
„Noch nicht“, widersprach Jack. „Sie wurde mir zur Aufbewahrung gegeben. Ich entscheide, wann du sie kriegst.“
„Du hast sie mir gestohlen!“
„Lucy!“, drohte Mutter.
„Was kann es denn schaden, Alditha?“, sagte Vater, der sich zum ersten Mal an dieser Diskussion beteiligte. Er legte den Arm um seine Tochter und sie rieb ihre Wange an seinem Mantel.
„Bruder Aiden sagt, dass heute der Tag der heiligen Lucia ist. Ich finde, wir sollten zu Ehren der Heiligen das Feinste tragen, das wir besitzen.“
„Giles –“, begann Mutter.
„Sei still. Ich sage, sie trägt die Halskette.“
„Das ist gefährlich“, warnte Jack. „Der Barde sagt, dass Metall das Neufeuer vergiften kann, weil man nicht weiß, wo es vorher gewesen ist. Wenn es als Waffe oder für eine andere Untat verwendet wurde, beschmutzt es die Erdmagie.“
Seit seiner Rückkehr aus dem Land der Nordmänner behandelte Vater Jack zwar mit mehr Respekt, aber belehren lassen würde er sich nicht von seinem Sohn. „Dies ist mein Haus. Ich treffe die Entscheidungen“, betonte Giles Krummbein. Er ging zur Truhe und Lucy tänzelte neben ihm her.
Vater nahm den Schlüssel, den er an einem Lederband um den Hals trug, und schloss die Truhe auf. Darin waren einige der Dinge, die Mutter mit in die Ehe gebracht hatte: ein paar Stoffbahnen, Stickereien und Schmuckstücke. Darunter lagen ein Haufen Silbermünzen und die Goldmünze mit dem Gesicht eines römischen Königs, die Vater im Garten gefunden hatte. Die Halskette mit den silbernen Blättern war in ein Tuch eingewickelt.
Sie funkelte so hell, dass eine merkwürdige Faszination von ihr ausging. Jack konnte verstehen, warum Lucy sie unbedingt haben wollte. Sie war ein Beutestück aus einem der Raubzüge der Nordmänner, von Frith Halbtroll beansprucht und schließlich bei der Schildmaid Thorgil gelandet. Thorgil hatte sich sofort in die Kette verliebt, was eigentlich ungewöhnlich war, weil sie weibische Dinge wie Schmuck oder ein Bad entschieden ablehnte. Aber dann hatte Thorgil, der das Leiden noch mehr wert war als Silber, ihre geliebte Kette an Lucy verschenkt.
Von Anfang an hatte die Kleine merkwürdig auf dieses großzügige Geschenk reagiert. Sie war nicht davon abzubringen, dass sie die Kette von Frith bekommen hatte, die sie – wie Lucy behauptete – wie eine echte Prinzessin behandelt hatte. Und jedes Mal, wenn Jack sie daran erinnerte, dass der böse Halbtroll sie in einem Käfig gehalten und als Opfer vorgesehen hatte, wurde Lucy hysterisch. Daraufhin hatte Jack ihr die Kette weggenommen.
„Ooh!“, jubelte Lucy und legte sich die Kette um.
„Jetzt müssen wir aber los“, sagte Vater und verschloss die Truhe. Für die Wanderung hatte er zwei Hornlaternen entzündet. Mutter hatte etliche ihrer wertvollen Bienenwachskerzen in einem Beutel dabei. Jack kippte Wasser über das Feuer, woraufhin Rauch- und Dampfwolken aus dem Herd quollen. Das Licht im Raum schrumpfte zu den zwei kleinen bräunlichen Punkten zusammen, die die Hornlaternen abgaben.
„Sorge dafür, dass es wirklich aus ist“, flüsterte Mutter. Jack verteilte die Kohlen mit einem Schürhaken und goss mehr Wasser darauf, bis er nur noch die schwindende Hitze der Herdsteine spüren konnte.
Vater öffnete die Tür und ein eisiger Wind fuhr durchs Haus. Der Hahn stöhnte in seinem Korb und ein Becher rollte über den Boden. „Bewegt euch!“, drängte Vater, als wären Jack und Mutter schuld an der Verzögerung. Überall lag Schnee und im schwachen Licht der Laternen konnten sie nur wenige Meter weit sehen.
Vater holte den Esel für Lucy. Bluebell war ein gehorsames und artiges Tier, das Bruder Aiden wegen seines guten Charakters ausgewählt hatte, aber in dieser Nacht musste Vater die Eselin aus dem Stall zerren. Sie stellte sich stur, bis Vater ihr einen Schlag versetzte und Lucy auf ihren Rücken hob. Die Eselin stand zitternd da und aus ihren Nüstern quollen Dampfwolken.
„Meine süße Bluebell“, flötete Lucy und umarmte den Hals des Tieres. Das kleine Mädchen trug einen schweren Wollumhang mit Kapuze, der über Bluebells Seiten hinunterhing. Anscheinend wärmte er die Eselstute ein wenig, denn sie gab ihren Widerstand auf und trottete willig hinter Vater her.
Jack ging mit einer der Laternen voraus. Sie kamen nur langsam voran, denn wo kein Schnee lag, war die Straße vereist. Jack musste immer wieder Abstecher an den Straßenrand machen und nach den Pfosten suchen, die den Weg markierten. Einmal kamen sie vom Weg ab und merkten es erst, als Jack gegen einen Baum lief.
Der Wind heulte und wirbelte die Schneeflocken auf. Jack hörte einen Hahn krähen, aber es war nicht der goldene Vogel, der in den Zweigen von Yggdrasil lebte. Es war nur der Kampfhahn von John dem Böttcher, der jeden Vorbeikommenden bedrohte. Sie passierten einige Häuser und bogen zur Werkstatt des Hufschmieds ab. „Es brennt kein Feuer“, murmelte Mutter. Die Esse, in der das Schmiedeeisen erhitzt wurde, war genauso kalt und schwarz wie der Amboss, der unter der Eiche stand.
Jack spürte eine Kälte, die nichts mit der eisigen Winternacht zu tun hatte. Noch nie in seinem Leben hatte er erlebt, dass dieses Feuer nicht brannte. Es war wie das Herz des Dorfes, wo sich die Menschen bei Wind und Wetter zum Reden einfanden. Und jetzt war es tot. Schon bald würde alles Feuer tot sein, einschließlich der beiden kleinen braunen Lichtpunkte, die sie bei sich trugen.
Neues Feuer würde heraufgerufen werden müssen und dazu brauchten sie Holz, das seine Kraft aus der Erde hatte. Das Neufeuer musste lebendig sein, um das Rad des Jahres zu drehen. Nur dann würden die Frostriesen in ihre Berge zurückkehren und das Tor zwischen dieser Welt und der nächsten würde sich schließen.
Das Haus des Dorfältesten war groß und von Stallungen, Scheunen und einem Melkschuppen umgeben. An der Seite lag der Obstgarten, aber die Apfelbäume standen wie leblos in der Dunkelheit. Seit Jack der Lehrling des Barden war, war er oft beim Ältesten gewesen. An den Musikabenden trug er die Harfe des alten Mannes und genoss seinen Platz am Feuer. Vorher, als er einfach nur Giles Krummbeins Junge gewesen war, hatte man ihn regelmäßig in die kälteste Ecke des Raums geschubst.
Er hatte inzwischen auch eine eigene kleine Harfe, aber er war noch nicht in der Lage, etwas darauf vorzuspielen. Seine Finger bewegten sich längst nicht so mühelos über die Saiten wie die seines Lehrherrn. Aber der Barde hatte ihn beruhigt und ihm versichert, dass seine Geschicklichkeit mit den Jahren wachsen würde, und außerdem wäre Jacks Stimme gut genug, um auch ohne Musikbegleitung Wirkung zu zeigen.
Jack klopfte mit seinem Stab an die Tür des Ältesten und Vater stieß mit Lucy auf dem Arm die Tür auf. Der große Raum war schon voller Männer, die an der Zeremonie teilnehmen würden. Sie mussten stark sein, denn das Ritual war schwierig und konnte sehr lange dauern. Die Schwachen, die Alten und die meisten Frauen waren daheim geblieben und lagen unter Schaffellen in ihren dunklen Häusern. Der Barde und Bruder Aiden saßen zusammen neben dem noch brennenden Herd.
„Darf ich den Esel in deinen Stall stellen?“, fragte Vater den Ältesten.
„Setz dich hin und ruh dich aus, Giles“, antwortete der Älteste. „Ich weiß, wie schwer es für dich gewesen sein muss, hierher zu laufen. Pega! Beweg deine Knochen, und kümmere dich um den Esel.“ In einer dunklen Ecke sprang ein Mädchen auf.
Jack hatte Pega schon früher einmal gesehen. Sie war ein stilles Mädchen, das sofort die Flucht ergriff, wenn man sie nur ansah – was kein Wunder war, denn Pega war unglaublich hässlich. Ihre Ohren standen ab wie Segel und bohrten sich durch ihr strähniges Haar. Sie war so dünn wie ein Wiesel und ihr Mund so breit wie der eines Frosches. Das Schlimmste aber war ein Muttermal, das ihr halbes Gesicht bedeckte. Es hieß, ihre Mutter wäre während der Schwangerschaft von einer Fledermaus erschreckt worden, und dies wäre das Zeichen ihres Flügels.
Niemand wusste, wer Pegas Mutter war. Das Mädchen war schon sehr früh als Sklavin verkauft und von Dorf zu Dorf weitergereicht worden, bis es schließlich hier gelandet war. Pega war älter als Jack, aber sie war nicht mehr gewachsen und deshalb nicht größer als eine Zehnjährige. Eigentlich war sie als Melkerin gekauft worden, aber sie führte jeden Befehl aus, den ihr jemand gab.
Pega drängte sich durch die Menge und sah dabei tatsächlich aus wie ein Frosch, der sich durch hohes Gras kämpft. „Ich versorge den Esel“, hörte Jack sich plötzlich sagen. Er griff nach der Laterne und verschwand nach draußen, bevor jemand Einwände erheben konnte. Der Wind zerrte an seinem Umhang, als er Bluebell durch den Schnee führte. Er schob sie in den Stall zu den Rindern des Ältesten.
Was bin ich für ein Idiot, dachte Jack, als er frierend zurückkehrte. Eigentlich hatte er den Barden zur Seite nehmen und ihn warnen wollen, dass Lucy die Kette trug, aber der Anblick der kleinen Pega, die versuchte, sich zur Tür durchzukämpfen, hatte ihn getroffen wie ein Schlag. Er war vor einiger Zeit selbst Sklave gewesen und wusste genau, wie es sich anfühlte, der Willkür eines anderen ausgesetzt zu sein.
Ich werde dem Barden von der Halskette berichten, wenn ich wieder im Haus bin, entschied Jack. Er wusste, dass das Feuer ohne Feuerstein und Eisen entfacht werden musste. Metall stand im Dienste des Todes – oder, wie der Barde es ausdrückte, des „Unlebens“. Und in dieser Nacht war das Unleben so mächtig wie nie. Wenn es das neue Feuer verseuchte, war die ganze Zeremonie nutzlos.
„Beeil dich!“, rief der Älteste, als Jack sich wieder in den Raum zwängte. In der Mitte war eine massive Holzbohle in die Kerbe einer zweiten gelegt worden, sodass ein großes Kreuz entstanden war. Mehrere Männer hielten die untere Bohle fest, und andere hatten die obere gepackt, um sie hin- und herzuziehen. Zum Feuermachen zwei Stöcke aneinanderzureiben, war schon mühsam genug, aber das hier war, als würde man zwei Baumstämme aneinanderreiben.
Lucy hatte ihren Umhang abgelegt, damit alle ihr wunderschönes weißes Kleid und den mit Pollen gefärbten Gürtel sehen konnten, den Mutter ihr gemacht hatte. Ihr wundervolles goldenes Haar schimmerte im Dämmerlicht. In der Hand hielt sie eine von Mutters Kerzen.
Jack konnte die Kette nicht sehen. Dem Himmel sei Dank! Mutter muss sie ihr abgenommen haben, dachte er, doch dann entdeckte er ein Funkeln am Kragen des Kleides. Lucy hatte sie darunter versteckt.
„Jetzt!“, rief der Barde. Jemand entriss Jack die Laterne und blies sie aus. Der Älteste kippte einen Eimer Wasser über sein Herdfeuer. Die Kohlen zischten und Dampf wölkte auf. Jack spürte, wie die Wärme abstarb, und die Kälte, die unter der Tür hindurchzog, seine Füße erstarren ließ. Es war stockdunkel im Raum.
Ich muss irgendwas tun, dachte er hektisch. Er wollte nicht quer durch den Raum schreien, dass Lucy die Kette trug. Vater würde wütend auf ihn sein und dann würden alle wütend auf Vater sein. Ein Streit würde ausbrechen, der die Zeremonie genauso verderben würde, wie Metall es tat. Vielleicht ist Silber nicht so schlimm. Es wird ja nicht für Waffen benutzt, versuchte Jack sich zu beruhigen, obwohl er es besser wusste. Jedes Übel blieb an Metall haften. Außerdem hatte der Halbtroll Frith die Kette getragen und ein übleres Wesen als sie gab es kaum.
Jack hörte das sägende Geräusch der Bohle, die hin- und hergezogen wurde. Immer, wenn eine Gruppe Männer müde wurde, übernahm eine andere. Der Barde hatte gesagt, dass es manchmal Stunden dauerte, eine Flamme zu bekommen. Das Geräusch nahm kein Ende, bis Jack jemanden zusammenbrechen hörte. „Seitenwechsel!“, rief der Barde.
„Wurde auch Zeit“, knurrte jemand.
Männer stießen in der Dunkelheit zusammen und John der Böttcher fluchte, dass in seinen Händen mehr Splitter steckten als in den Bohlen. Das Sägen begann von Neuem und Jack konnte das Baumharz riechen. Das lag daran, dass das Holz heiß wurde. „Schneller!“, brüllte der Älteste.
Wenn ich in Lucys Nähe komme, kann ich ihr die Kette wegnehmen, ohne dass es zum Streit kommt, dachte Jack. Aber als er versuchte, sich einen Weg durch den Raum zu bahnen, geriet er zu dicht an die Männer. Ein Ellbogen rammte sich in seinen Magen und nahm ihm den Atem.
„Tut mir leid“, murmelte ein Mann.
„Du stehst auf meinem Fuß“, knurrte ein anderer.
Jack taumelte davon. Er hatte vollständig die Orientierung verloren. „Lucy?“, rief er.
„Jack?“, antwortete sie. Bei allen Sternen! Sie war auf der anderen Seite des Raumes. Er war in die falsche Richtung gelaufen. Jack unternahm einen zweiten Versuch, doch wieder kam er den arbeitenden Männern zu nahe.
„Tut mir leid“, grunzte jemand. Jack war sicher, dass er diesmal ein blaues Auge davongetragen hatte.
„Seitenwechsel!“, rief der Barde. Mittlerweile konnte Jack Rauch riechen und jetzt brauchte die Männer niemand mehr anzufeuern. Ein Funke tauchte auf, dann noch einer und noch einer. Dann ein Glühen, und Jack sah eine Hand, die die getrockneten Pilze in die Glut streute, die sie alle als Zunder benutzten. Die Flamme flackerte auf.
„Hurra!“, jubelten alle. Der Älteste legte händeweise Stroh nach und Schatten tanzten an der Wand. Lucy trat heran und entzündete ihre Kerze.
„Halt!“, brüllte der Barde. Erschrocken ließ Lucy die Kerze fallen, die auf dem Boden ausging. „Was ist das?“, schrie der alte Mann. Der Barde zeigte nur selten seine wahre Kraft, doch dies war ein solcher Augenblick. Jetzt konnte jeder erkennen, warum die Nordmänner ihn Drachenzunge nannten und stets bemüht waren, ihn nicht zu reizen.
„Du trägst Metall!“, rief der Barde und holte die silberne Halskette mit einem Ruck ans Licht. Lucy kreischte vor Schreck.
„Tut ihr nicht weh!“, schrie Vater.
„Und du, Giles, hast es gewusst“, sagte der alte Mann.
„Es war zu Ehren der heiligen Lucia“, protestierte Vater.
„Verschone mich mit diesem Blödsinn! Deine Tochter hat geweint und du hast ihr nachgegeben. Du schwacher, unglaublich dummer Mensch! Es war deine Aufgabe, sie anzuleiten. Sie ist nur ein Kind. Damit hast du das ganze Dorf in Gefahr gebracht.“
Giles Krummbein zuckte zusammen und er tat Jack leid, obwohl er natürlich wusste, dass sein Vater Unrecht getan hatte. Die anderen Männer fingen an zu murren. „Und das nach all der Arbeit“, murmelte der Hufschmied.
„Meine Hände sind voller Splitter – und wofür?“, fauchte John der Böttcher. Lucy brach in Tränen aus und verbarg ihr Gesicht in Mutters Kleid.
„Wir wollen nicht streiten“, verkündete der Barde streng. „Die Erdmagie wird nicht durch Ärger gespeist, weder durch meinen noch durch euren. Wir haben mit geeintem Herzen gearbeitet und es ist möglich, dass sich der Schaden nicht über dieses Kind hinaus ausbreitet.“ Vater schaute schockiert auf. Auch Jack war erschrocken, denn er hatte nur daran gedacht, dass die Neufeuer-Zeremonie verdorben werden, aber nie dass Lucy etwas passieren konnte.
„Wir brauchen ein anderes Mädchen, das die Flamme an den Rest des Dorfes weitergibt“, sagte der Barde.
„Der Bäcker hat eine Tochter und die Witwe des Gerbers hat zwei“, sagte der Älteste. „Es wird aber eine Weile dauern, sie herzuholen.“
„Das wird nicht nötig sein. Wir haben jemanden hier“, ertönte Bruder Aidens sanfte Stimme. Bis jetzt hatte der Mönch nicht an der Zeremonie teilgenommen. Immerhin war es ein heidnisches Ritual. „Wir haben Pega.“
„Pega?“, sagte der Älteste. „Sie ist nur eine Sklavin.“
„Ja, leider. Aber sie ist ein gutes Kind mit Liebe im Herzen.“
„Aber sie ist so – so –“
„Hässlich“, beendete der Schmied, der selbst zwei hübsche erwachsene Töchter hatte, den Satz für ihn.
„Aber nicht in ihrem Inneren“, sagte Bruder Aiden ruhig.
„Er hat recht“, stimmte der Barde ihm zu. „Das Schicksal hat es mit Pega nicht gut gemeint, aber die Erdmagie leuchtet in ihr. Komm her, meine Liebe“, sagte er und hielt dem panisch erschrockenen Mädchen, das von den Männern vorwärtsgeschubst wurde, die Hand hin. „Heute Nacht wirst du das Dorf retten.“
„Und was ist mit mir?“, schluchzte Lucy, die sich immer noch an Mutters Kleid festklammerte. „Ich sollte doch die heilige Lucia sein.“
„Psst“, machte Mutter und versuchte, Lucy auf den Arm zu nehmen, doch ihre Tochter stieß sie weg.
„Ich bin die wichtigste Person im Dorf! Ich bin die Schönste! Ich bin keine froschmäulige Sklavin!“
Vater hob sie hoch. Er nahm Lucy die Krone ab und reichte sie verlegen dem Barden. Als er ihr auch die gelbe Schärpe abnahm, trat sie nach ihm. „Tut mir leid“, murmelte er mit erstickter Stimme.
„Vater! Das dürfen die nicht!“, kreischte Lucy. „Ich bin Lucia! Ich bin die verloren gegangene Prinzessin!“ Giles Krummbein trug seine kreischende und strampelnde Tochter in die hinterste Ecke des Raums. Jack hörte, wie er ihr alles Mögliche versprach, wenn sie nur aufhörte zu schreien und ihm verzieh. Mutter rannen Tränen übers Gesicht, aber sie blieb an ihrem Platz am Feuer. Sogar Jack war erschüttert.
„Komm her, Kind“, sagte der Barde.
„Ihr werdet mich – doch nicht schlagen?“, fragte Pega. Sie hatte eine erstaunlich melodische Stimme. Jack fiel auf, dass es das erste Mal war, dass er sie etwas sagen hörte.
„Niemals“, versprach der alte Mann. „Du wirst das Licht ins neue Jahr bringen.“ Er setzte ihr die Eibenkrone auf und band die Schärpe um ihr schäbiges Kleid. Pega schaute zu ihm auf und lächelte. Sie hat wirklich einen Froschmund, dachte Jack, aber an ihren Augen sieht man, dass sie ein guter Mensch ist.
Der Barde nahm eine Kerze – nicht die, die Lucy auf den Boden fallen lassen hatte – und reichte sie Pega. „Was soll ich tun, Herr?“, fragte sie.
„Zünde sie an und halte sie so, dass die anderen die Flamme von dir übernehmen können.“
Pega gehorchte und ein Mann nach dem anderen entzündete seine Laterne. Danach gingen sie sofort, um ihre eigenen Herdfeuer wieder anzufachen oder denen das Feuer zu bringen, die zu alt oder zu krank waren, um an der Zeremonie teilzunehmen. Als Letzte entzündete Mutter ihre beiden Laternen. „Die sind für Euch“, sagte sie zu Bruder Aiden und dem Barden und überreichte beiden jeweils vier ihrer wertvollen Bienenwachskerzen.
Pega starrte derweil ihre eigene Kerze in einer Art hingerissener Verzückung an. „So eine hatte ich noch nie“, murmelte sie. „Sie ist so weich … Ich glaube, das ist das Schönste, was ich je gesehen habe.“
„Dann darfst du sie behalten“, sagte Mutter. „Aber mach sie jetzt aus. Sie hat ihre Arbeit getan. Und wenn du sie brauchst, wird sie deine Nächte erhellen.“
„Ich werde sie niemals anzünden. Ich behalte sie für immer“, verkündete Pega. „Und wenn ich sterbe, soll sie mit mir begraben werden.“
„Sprich in dieser Nacht nicht vom Tod!“, sagte der Barde. Das Mädchen machte ein so entsetztes Gesicht, dass er ihr auf die Schulter klopfte. „Das sollte nur ein Scherz sein. Dir haben wir es zu verdanken, dass wir den Tod hinter uns gelassen haben. Jetzt ist es an der Zeit, glücklich zu sein.“ Sanft nahm er ihr die Eibenkrone ab. Er band auch die gelbe Schärpe ab und reichte beides Mutter. Pega blies ihre Kerze aus. Als sie erlosch, schien auch etwas in ihren Augen zu verlöschen. Der alte, verängstigte Gesichtsausdruck war wieder da und sie sah auf den Boden, um ihr Gesicht zu verbergen.
„Was soll ich damit machen?“ Mutter stieß Lucys Kerze mit dem Fuß an.
„Darum werde ich mich kümmern, Alditha“, sagte der Barde. „Bruder Aiden und ich werden heute Nacht hier schlafen. Bleibt ihr auch?“
„Das wollten wir eigentlich, aber –“ Mit einer Kopfbewegung deutete Mutter auf Vater und Lucy, die immer noch in der Ecke hockten, und warf dann einen Blick auf den Ältesten, der bereits mürrisch an der Tür wartete. „Heute ist vielleicht nicht der richtige Tag dafür.“
Also nahm Jack eine der Laternen und ging los, um Bluebell zu holen. Diesmal war die Eselin noch störrischer, denn sie hatte sich ein warmes Plätzchen zwischen zwei Kühen gesucht. Jack zerrte an ihr und versetzte ihr etliche Schläge, bis es ihm endlich gelang, sie vor die Tür des Ältesten zu schleifen. Vater kam mit Lucy heraus, aber sie kreischte immer noch und weigerte sich, ihn loszulassen.
Kurz bevor sich die Tür schloss, sah Jack, wie sich der Älteste, Bruder Aiden und der Barde die Hände am Feuer wärmten. Pega steckte einen Schürhaken hinein, um damit den Apfelmost zu erhitzen.
Sie machten sich auf den Weg. Vater trug Lucy und Jack zerrte an Bluebells Führstrick. Hinter den dichten Wolken schimmerte mattes Morgenlicht. Die lange Nacht war vorüber und die Sonne kehrte langsam wieder. Die Frostriesen zogen sich zurück. Dem Winterwolf ging es zwar noch gut, aber er würde im Laufe der nächsten Wochen immer magerer werden.
Lucy regte sich in Vaters Armen und murmelte schläfrig: „Du vergisst doch nicht, was du mir versprochen hast? Ich bin doch so artig.“
An diesem Tag schliefen sie aus. Jack zwang sich irgendwann, aufzustehen und den Hahn zu seinen Hennen zurückzubringen. Sie hockten dicht zusammengedrängt im Stroh und regten sich kaum, als Jack die Scheunentür öffnete. Der Himmel war wolkenverhangen und ein paar Schneeflocken rieselten herab. Von der Latrine aus konnte Jack kaum bis zum Haus sehen.
Die Familie betrachtete diesen Tag als Feiertag, obwohl es auf einem Bauernhof natürlich jeden Tag Arbeit gab. Vater flocht neue Bienenkörbe aus Stroh, die sie im Frühling brauchen würden. An der Oberseite befestigte er Stöcke, an denen die Bienen ihre Waben aufhängen konnten, und bedeckte die Körbe mit dicht schließenden Flechtdeckeln. Mutter spann Wolle.
Jack versorgte Bluebell mit Heu und fütterte die Hühner, Tauben und Gänse. Früher hatten sie nur Hühner gehabt, aber mit dem Silber, das Jack ihm gegeben hatte, hatte Vater neue Tiere angeschafft. Ihre Schafherde war von zwanzig auf dreißig Tiere angewachsen. Es war schön, mehr Tiere zu haben, aber es bedeutete auch mehr Arbeit.
Jack stapfte durch den schneebedeckten Garten zu dem kleinen, mit Torf abgedeckten Schuppen. Hier überwinterte Mutter ihre Bienen. Die meisten waren im Herbst gestorben, weil es unmöglich war, alle vor der Kälte zu retten, aber fünf oder sechs ihrer besten Honigbienen brachte Mutter meistens durch. Es waren besondere Bienen, anders als die kleinen, dunklen, die im Wald lebten. Ihre Bienen waren vor langer Zeit aus Rom gekommen, als das römische Heer noch das Land beherrscht hatte. Das Heer war schon lange fort, aber es hatte das Haus auf einer Klippe oberhalb der Küste hinterlassen, in dem der Barde wohnte, eine Straße, die Richtung Norden durch den Wald führte, und die Bienen.
Jack kroch durch die niedrige Schuppentür und legte sein Ohr an das Stroh des ersten Bienenkorbs. Das Summen klang gedämpft und schläfrig. Es waren keine Geräusche der Angst zu hören oder das Zirpen, das bedeutete, dass die Bienen verhungerten. Eine zarte Wärme stieg vom Stroh auf, als schliefe darin ein Tier. Jack lächelte. Er arbeitete gern mit Bienen. Er ging von einem Korb zum nächsten und vergewisserte sich, dass es allen Tieren gut ging. Wenn der Frühling kam, würde er sie mit Brot füttern, das in Apfelmost und Honig eingeweicht war, damit sie genügend Kraft hatten, um wieder hervorzukommen.
Lucy schlief bis nachmittags und kam in einer furchtbaren Laune vom Boden. Mutter gab ihr Frühstück und Vater erzählte ihr eine Geschichte, aber sie schmollte noch stundenlang. Niemand erwähnte, was in der vergangenen Nacht passiert war.
„Schönes Wetter“, bemerkte Giles Krummbein nach einem prüfenden Blick in den strahlend blauen Himmel. Die Sonne brachte die Eiszapfen am Dach zum Funkeln.
„Perfekt“, bestätigte Jack. Er griff eine Birkenrute und einen Ledersack voll Apfelwein. Vater hatte dasselbe dabei. Als sie sich auf den Weg ins Dorf machten, knirschte das Eis auf der Straße unter ihren Füßen. Jack beobachtete Krähen, die einen kleinen, schneebedeckten Hügel hinuntersausten, genau wie Jungen auf Schlitten. Sie landeten mit einem wump, flogen wieder nach oben und begannen das Spiel von Neuem. Der Kampfhahn von John dem Böttcher vergeudete seine Kraft damit, die Krähen zu jagen, die aufreizend dicht neben ihm landeten, aber immer wegflogen, wenn er sich auf sie stürzen wollte.
„Wacht auf!“, rief Jack den leblosen Apfelbäumen zu, an denen sie vorbeikamen.
„Die werden schon bald wach sein“, sagte Vater. „Ein paar kräftige Hiebe wirken Wunder – bei Jungen genauso wie bei Bäumen.“
Das war eine von Vaters typischen Bemerkungen, aber Jack wollte sich jetzt nicht ärgern. Dazu war die Luft zu klar, zu hell, zu lebendig.
Vor dem Haus des Ältesten hatte sich schon ein lärmender Haufen Männer und Jungen eingefunden. Sie alle hatten Birkenruten dabei und einige der Jungen taten so, als wären es Schwerter. Colin, der Sohn des Schmieds, forderte Jack zu einem Fechtduell mit den Ruten heraus. Sie tobten über den Hof, hieben aufeinander ein und und beschimpften sich. „Du gemeiner Barbar, ich werde dir den Kopf abschlagen!“
„Eher nagle ich deinen an meinen Türpfosten!“, konterte Jack. Colin war zwar schwerer als er, aber Jack hatte bei den Nordmännern einiges übers Kämpfen gelernt. Schon bald war Colin auf der Flucht und schrie: „Das ist ungerecht, das ist ungerecht!“, bis das Jagdhorn des Ältesten ertönte und beide Jungen stehen blieben.
Der Älteste stand mit dem Barden an der Haustür. Der Barde hatte seinen schwarzen Eschenstab dabei. Nur Jack wusste, welche Macht in diesem Stab steckte und woher er gekommen war. Sein eigener, kleinerer Stab, den er unter viel Mühen in Jötunheim, dem Reich der Trolle, erlangt hatte, befand sich im Haus des Barden. Dort konnte Jack mit ihm üben, ohne dass Vater ihm ständig von den Dämonen erzählte, die gottlose Zauberer in die Hölle schleiften.
In Jack stieg plötzlich ein Glücksgefühl auf. Es war wunderbar, mitten in einer Menschenmenge zu stehen und den Sonnenschein und die frische Luft vom Meer zu spüren.
Der Barde hob die Hand, um die Gruppe zum Schweigen zu bringen. „Die lange Nacht ist vorüber und die Sonne ist von ihrer Wanderung in den Süden zurückgekehrt“, verkündete er mit klingender Stimme. „Sie kommt zu uns zurück und bringt uns den Sommer, aber ihre Reise wird lang und beschwerlich sein. Noch liegt das Land im Winterschlaf. Wir müssen die Apfelbäume zu neuem Leben erwecken.“
Der Barde nickte dem Ältesten zu, der die Arme ausbreitete und rief: „Ihr habt ihn gehört! Lasst uns gehen und die Apfelbäume wecken!“ Alle jubelten und strömten in den Obstgarten des Ältesten, um dort mit ihren Birkenruten auf die Stämme der Apfelbäume einzuschlagen.
„Waes hael! Waes hael!“, riefen die Männer und Jungen auf Angelsächsisch. „Gute Gesundheit! Gute Gesundheit!“ Der Barde folgte ihnen. Seine Wangen waren von der Kälte gerötet, aber sein langer Bart und sein Umhang waren weiß wie der Schnee. Nachdem jeder Baum geschlagen worden war, legte er in Apfelwein getränkte Brotstückchen in die Zweige. Sie waren für die Rotkehlchen, die die Apfelbäume zu neuem Leben singen würden.
Die Dorfbewohner zogen von einem Hof zum nächsten, spielten auf hölzernen Flöten und grölten Lieder. Immer wieder machten sie unterwegs Halt, um Apfelwein zu trinken, bis die meisten der Männer betrunken waren. Die letzte Station war der Hof von Giles Krummbein, denn er lag am weitesten vom Dorf entfernt. „Waes hael!“, brüllten die Dorfbewohner. Mutter kam heraus, um sie zu begrüßen.
„Waes hael!“, grölte der Schmied und versetzte dem Apfelbaum neben der Scheune einen schlecht gezielten Schlag. Lauthals sang er:
Apfelbaum, Apfelbaum,mach die Ernte nicht zu knapp!Bringst du keine gute Frucht,dann hacken wir dich ab!
„Es ist nicht weise, Mächten zu drohen, von denen man nichts versteht“, bemerkte der Barde und legte mit Apfelwein getränkte Brotkrümel in die Äste. Der Schmied rülpste wie Donnergrollen und torkelte davon. „Ich bin froh, dass das vorbei ist“, sagte der Barde zu Jack. „Nachdem ich so lange bei den Nordmännern gelebt habe, sollte man meinen, dass Betrunkene mich nicht mehr ärgern können. Und da wir gerade von Verärgerung sprechen – wir müssen noch darüber reden, was bei der Neufeuer-Zeremonie passiert ist.“
Oh-oh, dachte Jack. Er hatte gehofft, ohne Strafe davonzukommen.
„Ich sehe, dass du weißt, wovon ich rede. Du wusstest genauso wie Giles, dass Lucy die Kette getragen hat.“
„Ich habe versucht, sie davon abzuhalten, aber Vater –“
„Du bist dreizehn Jahre alt“, unterbrach ihn der Barde streng. „Im Land der Nordmänner würdest du damit schon als Erwachsener betrachtet werden.“
„Das sieht Vater aber anders.“
„Aber ich sehe es so. Du hast Seite an Seite mit Olaf Einbraue gekämpft. Du warst im Palast der Bergkönigin, hast die Nornen getroffen und aus Mimirs Brunnen getrunken. Du hast sogar Frith Halbtroll besiegt und das habe nicht einmal ich geschafft. Wie viel erwachsener willst du denn noch werden?“
Am liebsten hätte Jack sehr viel gesagt, aber er wusste, dass das nicht das war, was der Barde hören wollte. Er stand zwischen zwei Männern, denen er bisher immer gehorcht hatte. Und jetzt verlangte der Barde, dass er sich für einen von ihnen entschied.
„Ich lehre dich Dinge, für die andere Männer ihren ganzen Besitz hergeben würden“, fuhr der Barde fort. „Von meiner Art gibt es nur wenige auf der Welt. Jedes Jahr werden es weniger und ich habe dich als meinen Nachfolger gewählt. Das ist ein bedeutendes Schicksal.“
Jack schämte sich dafür, dass er den alten Mann im Stich gelassen hatte. Der Barde hatte an ihn geglaubt und ihm so viel gegeben.
„Da ist noch mehr“, sagte der Barde und richtete seinen Blick auf die schneebedeckten Felder und den dahinter liegenden blauen Himmel. „Während der Neufeuer-Zeremonie ist etwas geschehen und das Rad des Jahres hat sich in eine unerwartete Richtung gedreht. Ich spüre es in den Knochen der Erde. Es wird Veränderungen geben. Entscheidende Veränderungen.“
„Die Nordmänner kommen doch nicht zurück, oder?“ Jack hoffte nur, dass er nicht so entsetzt klang, wie er sich fühlte.
„Nein, nichts so Unbedeutendes“, antwortete der alte Mann. „Ich spreche von etwas, das Götter stürzen und Einfluss auf alle neun Welten nehmen wird – und das die nächsten Jahrhunderte lang.“
Jack starrte ihn entgeistert an. Und all das, nur weil Lucy zum falschen Zeitpunkt eine Kette getragen hatte?
„Ich muss wirklich daran arbeiten, dir diesen schafsdummen Gesichtsausdruck abzugewöhnen, sonst nimmt dir nie jemand den Barden ab“, bemerkte der Barde.
„Aber Herr, wie kann denn jemand einen Gott stürzen?“, fragte Jack. Er wusste natürlich, dass sein eigener Gott der Feind von Odin und Thor war, und das war auch richtig so! Wer brauchte schon Götter, die ihren Anhängern befahlen, Dörfer niederzubrennen? Weniger wohl war Jack allerdings bei dem Gedanken, dass auch der Glaube seiner Mutter an die Mächte, die über die Felder und Tiere wachten, von den Christen abgelehnt wurde. Und manche von ihnen verdammten sogar Barden.
Über all das herrschte in Jacks Kopf ein großes Durcheinander. Er war ein guter Christ – zumindest versuchte er, einer zu sein –, aber er war am Fuße von Yggdrasil gewesen und hatte gesehen, wie alles an den Baum gehörte. Warum konnten die Christen nicht einen Zweig haben und die Nordmänner einen anderen?
„Ich habe ein wenig übertrieben. Götter werden nicht wirklich gestürzt“, sagte der Barde sanft. „Sie werden einfach nur vergessen und schlafen ein.“
„Und das ist während der Neufeuer-Zeremonie passiert?“
„Eigentlich nicht.“ Der Barde zeichnete mit der Spitze seines Stabes ein Muster in den Schnee. Es hätte eine Sonne sein können, nur dass jeder Sonnenstrahl Zweige hatte wie ein knospender Baum. Es war das Symbol einer Schutzrune. „Zur richtigen Zeit kann ein unbedeutendes Ereignis – ein Habicht, der ein Küken greift statt eines anderen, ein Same, der sprießt, wo er es nicht sollte – Folgen haben, die selbst ein weiser Mann nicht voraussehen kann. Als Lucy bei der Zeremonie versagt und Pega ihre Stelle eingenommen hat, ist es zu einer starken Verschiebung in der Erdmagie gekommen. Was das bedeutet, kann ich noch nicht sagen, aber ich weiß, dass es euch drei betrifft. Ich verlange nur von dir, dass du deine Pflichten ernst nimmst.“
„Ich werde Euch nicht enttäuschen, Herr“, schwor Jack.
„Ich hoffe, das stimmt.“
Mit gerunzelter Stirn warf der alte Mann einen Blick auf den Schmied, der im Schnee zusammengebrochen war. Vater kniete in einem Anfall von betrunkenem Selbstmitleid neben ihm. „Ich hätte Mönch werden sollen“, jammerte er und wiegte sich auf den Knien hin und her. „Keine Landarbeit, keine Sorgen. Als Mönch wäre ich glücklich geworden.“
„Nun, nun“, murmelte der Schmied mitfühlend.
„Wirf ein Schaffell über diese Dummköpfe, bevor sie erfrieren“, sagte der Barde. Dann machte er kehrt und sein weißer Umhang verschmolz so schnell mit dem Schnee, dass es aussah, als hätte er sich in Luft aufgelöst.
Mutter und Jack kochten schon den ganzen Tag. Er hatte die Feuergrube vor dem Haus gereinigt, sie mit Kohlen gefüllt und diese dann mit Steinen und feuchtem Stroh abgedeckt. Darauf hatte er den Tontopf mit den zwei gerupften Gänsen gestellt. Darüber kamen noch eine weitere Strohschicht sowie eine Lage Kohlen und inzwischen brieten schon sehr lange die Gänse.
Vater band Stechpalmenzweige rund um die Tür fest. Als Christ glaubte er zwar nicht mehr an die alten Überzeugungen, aber es konnte sicher nicht schaden, die Zweige aufzuhängen und damit die unerwünschten Götter, Elfen, Dämonen und anderen Biester abzuwehren, die zum Großen Julfest auftauchten. Manche der Dorfbewohner hängten auch Mistelzweige auf, aber Vater fand das zu gefährlich. Die Mistel war Freya geweiht, der Göttin der Liebe.
„Ist das langweilig“, beschwerte sich Lucy und stocherte mit einem Stock in der Feuergrube herum.
„Dann hilf uns doch. Du kannst die Steckrüben waschen“, sagte Mutter.
Lucy ging halbherzig an die Arbeit, aber sie ließ so viel Sand an den Rüben, dass Jack sie noch einmal waschen musste. „Erzähl mir eine Geschichte“, bettelte Lucy Vater an und zupfte an seinem Ärmel.
„Später, Prinzessin“, versprach er. „Ich muss erst die Stechpalmenzweige rund um die Rauchlöcher aufhängen. Man kann ja nie wissen, was zu dieser Jahreszeit alles durch den Kamin kommt.“
„Ich mache das“, bot Jack an. Vater hatte Schmerzen, wenn er auf die Leiter steigen musste, und obwohl es ihm gefiel, Gott seine Schmerzen darzubringen, gab es auch Momente, in denen er nichts dagegen hatte, Jack eine der mühsameren Aufgaben zu übertragen.
„Meinetwegen. Du kannst dich ruhig mal nützlich machen.“ Vater setzte sich hin und nahm Lucy auf den Schoß.
Gern geschehen, dachte Jack. Früher hätte es ihn geärgert, so behandelt zu werden, aber mittlerweile verstand er, wie sein Vater dachte. Giles Krummbein war kein grausamer Mensch. Er war einfach nur traurig und vom Leben enttäuscht. Er hatte eine harte Kindheit gehabt und sah keinen Grund darin, dass es Jack anders gehen sollte. Niemand sorgte besser für seine Familie, davon war Jack überzeugt.
Jack kletterte hoch zum Rauchloch am Ende des Daches. Über die Länge des Dachbalkens konnte er das Rauchloch am anderen Ende sehen. Eine Maus quiekte empört und verschwand in dem Stroh, mit dem das Dach gedeckt war. Jack band die Zweige fest und kletterte wieder hinunter.
Unten backte Mutter gerade ihre speziellen Julfest-Hafermehlkuchen in der Asche des Herdes. Sie bestanden aus ihrem besten Mehl und Honig und Gänseschmalz sorgten dafür, dass sie weich waren. Die Ränder hatte sie geformt wie Sonnenstrahlen und in der Mitte jedes Kuchens war ein Loch. Dieses Zaubermittel sollte Trolle fernhalten, die in dieser Jahreszeit recht häufig waren. Bisher hatten zwar nur Jack und der Barde wirklich Trolle gesehen – und das jenseits des Meeres –, aber Mutter fand, dass man nicht vorsichtig genug sein konnte.
Kurz bevor die Sonne hinter den Hügeln versank, war die Familie bereit für das Große Julfest. Vater belud Bluebell mit Körben voller Gänsebraten, Hafermehlkuchen und Steckrüben. Lucy hopste voraus und Jack folgte, beladen mit mehreren Schläuchen Apfelwein. Ihre Schatten fielen lang und blau auf die schneebedeckten Felder. Der Rauch von einem Dutzend Kochfeuern wehte über die Straße und ließ Jacks Magen knurren. Er hatte den ganzen Tag kaum etwas gegessen, um viel Platz für all die Köstlichkeiten zu haben, die ihn erwarteten.
Er wurde nicht enttäuscht. Der große Raum des Ältesten war mit Tischen vollgestellt, die alle mit Essen beladen waren. Es gab Kaninchen-, Fasanen- und Taubenpastete und Lerche im Brotmantel. Außerdem geräucherten Schellfisch und gepökeltes Schweinefleisch. Verschiedene Käsesorten waren aufgeschnitten und dazu gab es Weizenbrot, das dick mit Schmalz bestrichen war. Und für den Nachtisch waren Körbe voller Äpfel vorgesehen, die zwar etwas schrumplig, aber noch gut waren. Die Familien hatten mitgebracht, was sie entbehren konnten, und die, die wie die Witwe des Gerbers und ihre Kinder nichts hatten, waren trotzdem willkommen.
Jeder Haushalt steuerte sein spezielles Gebäck zum Festmahl bei: Weizenbrote mit Kümmel, in Salz gewälzte Brötchen und kleine Kuchen, die nach der Asche schmeckten, in der sie gebacken worden waren. Aber Mutters Hafermehlkuchen waren am beliebtesten – das lag am Honig.
Das eindrucksvollste Gericht hatte der Älteste beigesteuert. Es war ein ganzer Schafskopf, der so geöffnet war, dass man sich etwas vom Gehirn oder der Zunge nehmen konnte. Er lag auf einem großen Holztablett, eingerahmt von aufgeschnittenem Hammelbraten. Den Außenrand schmückte eine festliche Dekoration aus hart gekochten Eiern, Rüben und Zwiebeln und an jeder Ecke des Tabletts lag eine Schafshaxe. Das Ganze sah einfach großartig aus!
Die Dorfbewohner schlemmten, bis ihre Gesichter vom Fett glänzten. Die kleineren Kinder schliefen eines nach dem anderen ein und wurden in ein angrenzendes Haus getragen. Pega passte dort auf sie auf und sorgte dafür, dass das kleine Herdfeuer nicht ausging. Jack stellte erfreut fest, dass man sie nicht vergessen hatte. Die Frau des Ältesten hatte ihr ein neues Kleid gegeben. Es war natürlich ein abgelegtes Kleid, aber aus anständiger Wolle und noch nicht zu schmutzig.
Zu Beginn des Abends war Pega erlaubt worden, sich einen Holzteller zu nehmen und sich zu bedienen. Sie hatte sich tief über ihren Teller gebeugt und alles so hastig verschlungen, als hätte sie Angst, man könnte es ihr wieder wegnehmen. Jack fühlte dieselbe Betroffenheit, die er bei der Zeremonie am Kleinen Julfest empfunden hatte. Wie musste es sein, ein Leben lang ein Sklave zu sein? Er war nur wenige Monate einer gewesen und hatte es gehasst.
Pega war allerdings mit ihrem Schicksal nicht allein im Dorf. Der Schmied hatte zwei große, schweigsame Männer als Sklaven, die seine Feuer in Gang hielten. Den ganzen Tag hackten sie Holz und nachts schliefen sie beim Vieh in der Scheune. Sie waren in Bebba’s Town im Norden von ihrem eigenen Vater verkauft worden, weil sie beide zurückgeblieben waren.
Woran sie wohl dachten? Jack beobachtete die Männer, die in einer dunklen Ecke hockten und aßen. Sie sprachen nie, nicht mal miteinander. Vielleicht konnten sie nicht sprechen. Wie muss das sein, vom eigenen Vater verkauft zu werden?, dachte Jack.
Als alle satt waren, erzählte Bruder Aiden ihnen die Geschichte von der Geburt Jesu. Es war eine aufregende Geschichte, mit Engeln, Hirten und Tieren, die den neugeborenen Gott mit ihrem Atem wärmten. Jack versuchte, sich den großen Stern vorzustellen, der die Könige nach Osten geführt hatte. Was musste das für ein Anblick gewesen sein!
Dann ließ der Mönch sie singen. Das Lied war zwar wunderschön, aber es war auf Lateinisch. Und da keiner der Dorfbewohner diese Sprache beherrschte, konnten sie nur mitsummen. Aber das machten sie später mit waes-hael-Liedern wieder gut. Der Schmied sang mit seiner tiefen Stimme „Die Stechpalme und der Efeu“ und seine hübschen Töchter tanzten mit ihren Verehrern um die Tische herum.
Der Barde saß im Halbdunkel und hörte zu. Er hatte seine Harfe nicht mitgebracht. Das Kleine Julfest und die waes-hael-Zeremonie gehörten ihm, aber das Große Julfest hatte er großzügig Bruder Aiden überlassen. Jack erstaunte die Freundschaft zwischen den beiden. Normalerweise verachteten Mönche den alten Glauben, aber bei Bruder Aiden war das anders.
Als er nach der Zerstörung der Heiligen Insel ins Dorf gewankt kam, war er vor Verzweiflung verrückt geworden. Zu jener Zeit waren alle überzeugt, dass auch der Barde den Verstand verloren hatte, aber der Geist des alten Mannes war nur in Form eines Vogels unterwegs gewesen. Als sein Geist zurückkehrte, nahm der Barde den Mönch bei sich auf. „Das ist das Mindeste, was ich tun kann, nach all den Mühen, die Ihr mit mir hattet“, sagte er.
Jack war davon weniger begeistert gewesen, weil die Pflege von Bruder Aiden an ihm hängen blieb. Er hatte dafür zu sorgen, dass der Mönch aß und sich bewegte. Er musste ihn am Strand auf und ab führen und sich dabei die ganze Zeit sein Gejammer anhören. Natürlich war es tragisch, was mit Bruder Aidens Gefährten passiert war, aber kein Nordmann hätte sich jemals so über sein Schicksal beschwert.
Jeden Abend spielte der Barde auf seiner Harfe und Jack sang dazu, während Bruder Aiden mit glasigem Blick am Feuer saß. „Die Musik hat heilende Kraft“, hatte der Barde gesagt. „Es sieht zwar aus, als würde Bruder Aiden nicht zuhören, aber er tut es. Sein Geist ist in der brennenden Bibliothek der Heiligen Insel gefangen. Aber mit unserer Hilfe wird er entkommen.“ Allmählich hatten die Albträume des kleinen Mönchs nachgelassen und er war in der Lage, für sich selbst zu sorgen. Die Dorfbewohner hatten ihm eine kleine Hütte gebaut.
Bruder Aiden war dem Barden rührend dankbar und von ihm würde nie jemand eine Bemerkung über heidnische Rituale hören.
Das Große Julfest näherte sich dem Ende. Die Frauen packten das übrig gebliebene Essen ein und weckten die Männer aus ihrem gemütlichen Dämmerschlaf auf. Der Schmied ließ sich von seinen Sklaven heimtragen und mehr als ein Mann musste mit Gewalt zur Tür hinausgeschoben werden. Schließlich war der Raum fast leer.
„Gehen wir?“, fragte Mutter. Sie hatte Lucy schon in ihren wollenen Umhang gehüllt.
„Noch nicht“, sagte Vater. „Ich habe noch etwas Geschäftliches zu besprechen. Wir warten, bis der Barde gegangen ist.“
Jack sah den Barden hellwach werden – was er eigentlich immer war.
„Es kann sehr lange dauern“, erklärte Vater. „Ich möchte Euch nicht um Eure Nachtruhe bringen.“
„Das stört mich nicht“, sagte der Barde.
„Es wird Euch langweilen.“
„Ich langweile mich nur selten“, konterte der Barde freundlich, aber bestimmt.
Vater runzelte die Stirn, drehte sich aber trotzdem ruckartig zum Ältesten um. „Es geht um Pega.“
„Hat sie sich etwas zuschulden kommen lassen?“, fragte der Älteste. Er lehnte sich auf der Bank zurück und streckte die Beine aus.
„Nein, nein. Es geht um etwas anderes. Sag mal, ist sie gesund?“
Was für eine komische Frage, dachte Jack.
„So gesund wie jedes andere Kind. Sie hat natürlich manchmal eine Erkältung.“
„Ist sie eine gute Arbeiterin?“
„Ah!“ Jetzt war der Älteste ganz Ohr. „Eine großartige Arbeiterin! Für ihre Größe ist sie wirklich erstaunlich.“
„Giles, was hast du vor?“, fragte der Barde. Lucy war jetzt auch hellwach und drückte sich eifrig an Vaters Seite.
„Es geht um meinen Hof“, sagte Vater.
„Du hast doch die Jungen, die jeden Tag zum Helfen kommen“, sagte der Barde. „Was brauchst du noch?“
„Ich will ein paar Kühe kaufen, um Butter und Käse zu machen.“
Das war das Erste, was Jack von diesem Plan hörte. Vater hatte schon mehr als genug zu tun, auch mit der Hilfe der Jungen aus dem Dorf. Diese Vereinbarung hatte der Barde getroffen, damit Jack frei war, sein Lehrling zu sein. Vater hatte Hühner, Tauben, Gänse und dreißig Schafe, dazu kamen die Bienenvölker und der Kräutergarten, für die Mutter zuständig war. Im Sommer pflanzte er auch noch Hafer, Bohnen und Rüben an. Wie wollte er sich da auch noch um Kühe kümmern?
„Pega ist ein wertvoller Sklave“, sagte der Älteste.
„Sie ist zu klein geblieben und hässlich wie die Nacht. Es wundert mich, dass bei ihrem Anblick nicht die Milch sauer wird“, widersprach Vater.
„Ganz im Gegenteil. Sie macht aus Milch feinen gelben Käse“, sagte der Älteste.
Sie feilschten, als wäre Pega ein Schaf! Jack war so außer sich, dass er nicht wagte, etwas zu sagen. Er schaute auf und stellte fest, dass der Barde ihn durchdringend ansah.
„Sie sieht schwächlich aus. Wenn ich eine Kuh wäre, würde ich sie aus dem Stall treten“, sagte Giles Krummbein.
„Sie hat die Kühe besser im Griff als jeder Schäferhund“, entgegnete der Älteste.
„Giles“, mischte sich Mutter ein. „Wir haben keinen Platz für Kühe.“
Also weiß Mutter auch nichts davon, dachte Jack.
„Sei still“, sagte Vater. „Ich gebe dir fünf Silberpennies für die Göre.“
„Fünf?“, rief der Älteste. „Ihr Geschick ist mindestens fünfzig wert!“
„Für das kränkliche Ding? Ganz sicher nicht!“
„Sieh dir ihr Gesicht an, Giles. Sie hat Windpockennarben. Das bedeutet, dass sie vor den echten Pocken geschützt ist.“
„Vater“, sagte Jack zögernd.
„Sei still. Milchmädchen sind bekannt für kranke Lungen. Aber um unserer Freundschaft willen gebe ich dir zehn Pennies“, sagte Giles Krummbein.
„Vater, Sklaven zu kaufen ist Sünde“, sagte Jack. Plötzlich war es absolut still im Raum und alle starrten ihn an.
„Was hast du gesagt?“, fragte Vater eisig.
„Er hat gesagt ‚Sklaven zu kaufen ist Sünde‘“, wiederholte Mutter.
Giles Krummbein erhob sich. „Wie kannst du es wagen, dich gegen mich zu stellen?“
„Nun, nun“, sagte der Älteste hastig. „Wir haben doch einen Experten für Sünde da. Bruder Aiden, was habt Ihr zu diesem Thema zu sagen?“
Er isst am Tisch des Ältesten, dachte Jack. Er wird gar nichts sagen. Jack schlug das Herz bis zum Hals, und sein Gesicht glühte. Er hatte sich noch nie so offen gegen seinen Vater gestellt – und das noch vor Zeugen. Er hasste es. Aber er wusste auch, wie schrecklich es war, verkauft zu werden.
„Sklaverei ist falsch“, sagte Bruder Aiden mit seiner sanften Stimme. Alle Anwesenden schnappten nach Luft, doch der Barde lächelte nur. „Das Gesetz erlaubt sie, wie ihr wisst, aber ihr habt mich gefragt, ob ich sie für Sünde halte. Meine Gefährten von der Heiligen Insel – die, die nicht ermordet wurden –, sind als Sklaven verkauft worden. Deine eigenen Kinder sind dir genommen worden und nur durch großes Glück hast du sie zurückbekommen. Wie kannst du da noch den Wunsch haben, ein anderes menschliches Wesen zu besitzen?“
Das Herdfeuer knisterte und der Wind ließ das Strohdach rascheln. Vater schien sich furchtbar zu schämen. „Ich – eigentlich will ich das gar nicht“, murmelte er.
„Vater, du hast es versprochen!“, schrie Lucy plötzlich. „Du hast versprochen, dass du mir Pega kaufst, wenn ich artig bin! Und ich war artig!“
„Da haben wir es also“, bemerkte der Barde.
„Giles!“, schnaufte Mutter entsetzt.
„Ich wollte wirklich Kühe kaufen“, verteidigte sich Vater.
„Du hast es versprochen!“, kreischte Lucy.
„Psst“, machte Mutter und versuchte, sie von Vater wegzuziehen. Aber das kleine Mädchen klammerte sich schluchzend an ihm fest und Jack sah, wie seine Entschlossenheit ins Wanken geriet.
„Ich habe mein Wort gegeben“, sagte er und legte den Arm um seine geliebte Tochter.
„Ich sag dir was. Ich gehe runter auf vierzig Pennies“, sagte der Älteste. Bruder Aidens Worte hatten ihn zwar geschockt, aber Jack vermutete, dass sie ihn nicht wirklich berührt hatten.
„Dreißig“, sagte Vater automatisch.
„Giles, das ist Lucys Mitgift“, protestierte Mutter.
„Sie wird auch ohne einen guten Mann finden.“
„Abgemacht!“, sagte der Älteste.
Jemand muss doch etwas tun, dachte Jack panisch. Er sah von Bruder Aiden zum Barden und musste feststellen, dass sie ihn beobachteten. Ihn. Es war seine Aufgabe. Er sah wieder vor sich, wie Lucy bei der Neufeuer-Zeremonie geschrien hatte und wie Pega die Kerze in der Hand hielt. Da wusste er, was er zu tun hatte.
„Ich kaufe Pega für einunddreißig Pennies“, sagte er. „Und dann werde ich sie freilassen.“ Er sah, wie sich der Barde und Bruder Aiden entspannten.
„Was?“, brüllte Vater. „Woher hast du so viel Geld?“
„Von den Nordmännern. Ich habe es unter dem Fußboden des römischen Hauses vergraben.“
„Du hast mich belogen? Du hast Geld zurückbehalten für deine eigenen selbstsüchtigen Zwecke? Du bist nicht mehr mein Sohn, du treuloser Bengel!“
„Ich bin nicht treulos“, widersprach Jack. „Aber das wirst du mir wohl nicht glauben.“ Er zitterte am ganzen Körper. Auch seine Stimme bebte und sein Herz war schwer, aber er würde keinen Rückzieher machen.
„Du verlässt auf der Stelle mein Haus!“, brüllte Giles Krummbein. „Und wag es nicht, jemals zurückzukommen!“
Das alte römische Haus ächzte unter dem Sturm von der Nordsee. Schwarzes Eis bedeckte den Weg draußen und die Kälte kroch durch ein Dutzend Spalten in den Wänden. Nicht zum ersten Mal wünschte Jack sich, dass der Barde woanders wohnen würde. Aber der alte Mann sagte, dass die Erdmagie auf der Klippe besonders stark wäre. „Das ist sie an der Grenze zwischen zwei Reichen immer“, erklärte er. „Die See versucht, das Land zu verschlingen und das Land zwingt die See zurück. Zwischen ihnen herrscht ein ständiger Machtkampf. Dabei fühle ich mich richtig jung.“
Und ich fühle mich dabei uralt, dachte Jack grimmig. Die Kälte und die Dunkelheit deprimierten ihn, und dass Vater ihn davongejagt hatte, tat ihm in der Seele weh. Es verging kein Tag, an dem er seine voreilige Entscheidung beim Julfest nicht bereute. Ich habe mein Heim und meine Familie verloren – und wofür? Für ein lästiges Mädchen, das sich an ihn gehängt hatte wie eine Klette.
Im Grunde konnte er Pega nicht die Schuld dafür geben. Als er stolz seine einunddreißig Silberstücke gezahlt und Bruder Aiden die Freilassung beurkundet hatte, hatte der Älteste nur gesagt: „Wenigstens ein Maul weniger zu stopfen.“
Erst da hatte Jack begriffen, was er getan hatte. Er hatte einem mickrigen, ungeliebten Mädchen das einzige Leben weggenommen, das es kannte. Niemand wollte Pega als bezahlte Arbeiterin haben. Genau genommen wollte sie niemand auch nur in der Nähe haben. Vielleicht verunstaltete sie ungeborene Kinder oder die Schafe bekamen Fußfäule wegen ihr? Wer konnte schon sagen, welche Wirkung dieses merkwürdige Muttermal in ihrem Gesicht haben würde? Nicht einmal Vater war bereit, ihr Lohn zu zahlen – ganz abgesehen davon, dass Jack es nicht gewagt hatte, ihn danach zu fragen.
„Ich werde dir mein Leben lang dienen“, hatte Pega verkündet. „Du hast mir die Freiheit gegeben, das werde ich dir nie vergessen.“