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Marie Louise Fischer ist mit dieser Geschichte einer ungewöhnlichen Freundschaft eine zauberhafte Märchengeschichte gelungen. Mit zwei Hauptfiguren. Der kleinen Elga, die mit ihren Eltern auf dem Land lebt, und dem kleinen grünen Grashüpfer. Bald kann Elga stolz behaupten, in dem Grashüpfer einen Freund zu haben, und wer kann das schon von sich behaupten. Der Grashüpfer ist weise und mit seiner knarrenden Stimme spricht er zu ihr und gibt ihr wichtige Ratschläge. Und die braucht sie, wenn sie ihre Schuhe verliert oder einen Apfel stibitzt hat. Oder er erzählt ihr einfach eine seiner lustigen Geschichten und lenkt sie dadurch ab.-
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Seitenzahl: 91
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Marie Louise Fischer
Die Geschichte einer ungewöhnlichen Freundschaft
SAGA Egmont
Elga und der Grashüpfer
Copyright © 2017 by Erbengemeinschaft Fischer-Kernmayr, (www.marielouisefischer.de)
represented by AVA international GmbH, Germany (www.ava-international.de)
Originally published 1961 by F. Schneider, Germany
Genehmigte eBook Ausgabe für Lindhardt og Ringhof Forlag A/S
All rights reserved
ISBN: 9788711719749
1. Ebook-Auflage, 2017
Format: EPUB 3.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt og Ringhof und Autors nicht gestattet.
SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk – a part of Egmont www.egmont.com
»Meine Schuh’ … meine Schuh’ … meine einzigen Schuh’!« rief die kleine Elga jammervoll.
Sie stolperte den Berg hinauf. Dicke Tränen liefen ihr über die Wangen. Mit dem Atem war sie schon ganz zu Ende. Die bloßen Füße taten ihr weh.
Den Weg entlang, über die Wiesen und bis zum nahen Wald tönte ihr verzweifeltes: »Meine Schuh’ … meine einzigen Schuh’!«
Dann war sie oben angekommen, dort, von wo sie das Elternhaus schon ganz nahe sehen konnte. Da stand sie nun, Elga, mit der gedrehten Locke über der Stirn und den beiden abstehenden braunen Zöpfchen. Sie getraute sich nicht nach Hause. In die eine kleine Faust hatte sie die Stengel eines Wiesenblumenstraußes gequetscht. Mit der anderen Hand fuhr sie sich immer wieder über die Augen. Vor lauter Tränen konnte sie keine drei Schritte weit sehen. Weil aber ihre Hände nicht gerade sauber waren, hatten sie die merkwürdigsten Linien in ihr Gesicht gemalt. Tränen tropften auf das blauweiß karierte Kleid und die neue Dirndlschürze. Wie konnte sie ohne Schuhe nach Hause kommen, wenn sie mit Schuhen fortgegangen war?
»Meine Schuh’ … meine einzigen Schuh’!« Elgas Herz krampfte sich zusammen. »Meine Mutti haut mir!«
»Das ist doch die Höhe!« ertönte da ganz deutlich eine knarrende Stimme.
Elga fuhr erschrocken herum. Weit und breit war kein Mensch zu sehen.
»Es heißt … meine Mutter haut mich!« ertönte dieselbe Stimme wieder. »Wie kann ein so großes Mädchen so falsches Deutsch reden!?«
Jetzt gewahrte Elga vor sich am Wegrand einen großen, grünen Grashüpfer. »Du …!? Grashüpfer?« fragte sie verwirrt und traute weder ihren Augen noch ihren Ohren.
»Ja, ich!« erwiderte der Grashüpfer. Seine Stimme klang ordentlich zornig. »Sieh mich nur an. Ich bin’s, der mit dir spricht!«
Elgas Augen wurden vor Erstaunen riesengroß. Weil aber niemand zur gleichen Zeit weinen und sich wundern kann, versiegten plötzlich die Tränenbäche. Der Kummer schrumpfte zusammen, ja, er war fast nicht mehr da. »Du … du kannst reden!?«
»Natürlich!« Der Grashüpfer machte einen Sprung und saß nun auf dem gezackten Blatt eines Löwenzahnes. »Natürlich kann ich reden! Wußtest du das nicht?!«
»Nein … ich …«, stotterte Elga, immer noch verblüfft.
»Es stört mich fürchterlich, wenn jemand solch falsches Deutsch redet wie du!«
»Oh, wie herrlich!« jubelte Elga, und nun waren die verlorenen Schuhe ganz und gar vergessen. »Wie herrlich … ein Grashüpfer, der reden kann! Bitte, bitte, erzähl mir was, Grashüpfer! Erzähl mir eine Geschichte.«
»Hm«, brummte der Grashüpfer und sah Elga aus grünschillernden Augen an. »Du darfst nicht gleich zuviel verlangen, Elga …«
»Woher weißt du denn, wie ich heiße?«
»Das schnappe ich aus der Luft«, erklärte der Grashüpfer.
»Ach!« Elga war voller Bewunderung. »Wie macht man das, Grashüpfer?«
»Dazu bist du schon zu groß, Elga. Das kannst du jetzt nicht mehr lernen!«
»Du bist ein wunderbarer Grashüpfer!« sagte Elga begeistert. »Mutti sagt immer — ›du bist noch zu klein‹ —, wenn ich was tun will, was ich gern möchte … oder wenn ich was Wichtiges wissen will. Aber du findest doch auch, daß ich schon sehr groß bin, nicht wahr?«
»Doch, ziemlich groß bist du!« bestätigte der Grashüpfer.
»Ich bin schon bald sieben — und in die Schule gehe ich auch. Ob wir da vielleicht auch lernen, daß Grashüpfer reden können? Das hat mir nämlich noch niemand gesagt!«
»Die meisten Menschen wissen es gar nicht!«
»Nein?! Aber mein Vati weiß es ganz bestimmt — mein Vati weiß alles!«
»Das ist fein, daß du einen so klugen Vati hast!«
»Er ist ja auch Doktor«, erklärte Elga stolz. »Er kann die Leute gesund machen! Aber bitte, Grashüpfer, sag mir doch — warum wissen die Menschen nicht, daß du reden kannst?«
»Weil wir Grashüpfer nur selten den Mund aufmachen. Ich glaube, es sind schon mehr als hundert Jahre her, seit ich das letztemal gesprochen habe!«
»Mehr als hundert Jahre?« rief Elga erstaunt.
»Du bist wohl schon sehr alt, Grashüpfer?«
»Das will ich meinen!« Der Grashüpfer bewegte eines seiner langen grünen Beine. »Was glaubst du wohl, wie alt ich bin?«
»Ich weiß es nicht«, bekannte Elga.
»Über tausend!« knarrte der Grashüpfer und machte einen großen Sprung.
Elga glaubte schon, er sei ganz und gar davongehüpft. Aber dann hörte sie ihn von der anderen Seite des Weges brummen. Sie drehte sich um. »Über tausend Jahre?!« rief sie.
»Jawohl! Da staunst du, was?«
»Oh, Grashüpfer, wenn du so alt bist, dann mußt du doch furchtbar klug sein!«
»Nun, ich habe mich mein ganzes Leben lang bemüht, die Augen offen zu halten und zu lernen«, erwiderte der Grashüpfer bescheiden.
»Vielleicht …kannst du mir dann helfen?« fragte Elga zaghaft.
»Wir wollen sehen, was sich machen läßt!« meinte der Grashüpfer ermutigend.
»Meine Schuh’ sind weg!«
Und plötzlich kamen wieder die dummen Tränen und füllten Elgas blaue Augen. »Meine Schuh’ … meine einzigen Schuh’!«
»Das habe ich bereits gehört!« Der Grashüpfer krächzte plötzlich vor lauter Ärger. »Fang bloß nicht wieder an zu heulen. Davon habe ich genug!«
»Ich … ich will ja gar nicht … heulen«, schluchzte Elga und gab sich alle Mühe, ihre Tränen herunterzuschlucken.
»Heulen hat noch nie etwas genutzt!«
»Was … was nutzt denn?!«
»Nachdenken!«
»Nachdenken? Ist das nicht sehr … schwierig?«
»Nun, einfach ist es nicht«, gab der Grashüpfer zu, »aber man muß es trotzdem versuchen … immer wieder versuchen, bis man es endlich gelernt hat!«
»Du kannst sicher nachdenken, nicht wahr, Grashüpfer?«
»Hm«, brummte der Grashüpfer, »das kann man wohl sagen!«
»Dann, bitte, lieber Grashüpfer, bitte, bitte … denk du doch für mich nach!«
»Das geht nicht!« widersprach der Grashüpfer streng. »Es sind ja deine Schuhe, die verlorengegangen sind. Da mußt du schon selber deinen Kopf anstrengen! Überleg mal in Ruhe, wo du deine Schuhe zuletzt gesehen hast!«
Elga setzte sich neben den Grashüpfer an den Wegrand. Sie stützte ihren Kopf in die Hand, den Ellbogen auf das angezogene Knie. Dann dachte sie so angestrengt nach, daß sich ihre Stirn in lauter Falten legte. Plötzlich fiel ihr etwas ein. Sie rief vergnügt:›In meiner Hand!«
»Wieso?« schnarrte der Grashüpfer. »Ich dachte, Schuhe gehören an die Füße?«
Elga sprang aufgeregt in die Höhe und hüpfte von einem Bein aufs andere. »Ja, aber ich hatte sie ausgezogen und trug sie in der Hand und dann …« Sie stockte. Es fiel ihr beim besten Willen nicht mehr ein, was dann mit den Schuhen geschehen war.
»Was war dann?« forschte der Grashüpfer.
»Ich habe es vergessen«, murmelte Elga bedrückt.
»Das macht nichts«, tröstete der Grashüpfer. »Paß auf, jetzt denken wir gemeinsam nach! Du hast dir die Schuhe sicher ausgezogen, als du die Blumen pflücktest?«
Elga sah auf die Blumen in ihrer Hand. Sie waren gar nicht mehr schön und ließen müde und traurig die Köpfchen hängen.
»Ja, das stimmt … das weiß ich noch!«
»Dann schau dir die Blumen einmal ganz genau an und denk nach, wo du sie gefunden hast. Vielleicht fällt dir dabei etwas Gescheites ein!«
Elga sah sich gehorsam jede Blume an. Da war das Wiesenschaumkraut mit seinen zarten, winzigen weißen Blüten. Das hatte am kleinen Bach gewippt. Als sie es pflücken wollte, da war ihr der eine Schuh fast ins Wasser gefallen. Die goldgelben Sumpfdotterblumen hatten dicht daneben geblüht. Ihre dicken Stengel hatten die Hand allzu rasch gefüllt. Es war schwierig gewesen, sie mit einer Hand zu pflücken. Mit der anderen Hand hatte sie die Schuhe festgehalten.
Elga wußte ganz genau: am Bach hatte sie die Schuhe noch gehabt.
Dann war sie an den Hang gekommen. Sie war hinaufgeklettert, weil an seinem oberen Rand die blauen Glockenblumen gelockt hatten. Dann, ja dann hatte sie weit oben die leuchtend weißen Margeriten gesehen und war hinaufgeklettert. Aber die Schuhe … nein …, die waren schon fortgewesen. Wo hatte sie sie bloß gelassen? Als sie die Glockenblumen gepflückt hatte, waren die Schuhe noch da. Sie hatte sie an den Wegrand gestellt.
Elgas Gesicht strahlte auf.
Jetzt wußte sie es wieder ganz genau! Die Margeriten waren viel weiter oben gewachsen. Statt zurück zu ihren Schuhen zu laufen, war sie immer mehr hinaufgestiegen.
»Ich hab’s! Ich hab’s!« rief Elga. »Ich weiß, wo meine Schuhe sind … bei den Glockenblumen!«
»Dann lauf rasch und hol sie dir«, knarrte der Grashüpfer und tat einen riesengroßen Sprung.
»Vielen Dank, lieber Grashüpfer, daß du mir geholfen hast!« sagte Elga.
Der Grashüpfer antwortete nicht mehr, er war verschwunden.
»Grashüpfer! Grashüpfer!« rief Elga ein über das andere Mal.
Aber sie vernahm keinen Laut und konnte auch nicht das winzigste Stück eines grünen Grashüpferbeines entdecken.
Da entschloß sie sich, dem Rat ihres neuen Freundes zu folgen. Sie lief schleunigst zu den Glockenblumen zurück.
Wirklich, da standen ihre Schuhe! Elga fand, daß sie fast vorwurfsvoll dreinsahen. Sie drückte sie fest an ihr Herz. »Meine lieben Schuhe«, sagte sie, »wie gut, daß ich euch wiederhabe!«
Es war schon dämmrig geworden. Vom Berg herab wehte es kühl, denn die Sonne wollte gerade untergehen.
Die Schuhe an die Brust gepreßt, rannte Elga nach Hause. Sie war sehr froh.
Die ganze Nacht hatte es geregnet.
An jedem Grashalm schimmerten Regentropfen. Auch die Spinnweben glänzten feucht. Die hohen Schafgarben mit ihren weißen und rosa Blütendächern hatten sich zur Seite geneigt.
Nun bemühte sich die Sonne, so rasch wie möglich alles zu trocknen, was eine dicke schwarze Wolke mit ihrer Wasserflut so tüchtig geputzt hatte. Ein leichter Dunst stieg aus den Wiesen.
Elga blinzelte in all den Glanz, der ihr tausendfältig aus jedem Tropfen entgegenleuchtete. Sie ging der Sonne entgegen. Deshalb sah sie den wunderschönen Regenbogen gar nicht, der mit seinen bunten Farben hinter ihrem Rücken den Himmel mit der Erde verband.
Nein, Elga drehte sich nicht um. Sie war ganz erfüllt von einem Gedanken. Immerzu mußte sie an den Gartenzaun der fremden Frau denken, durch dessen Latten man den steinernen Brunnen sehen konnte. Dort wuchsen herrliche gelbe Blumen. Sie sahen wie kleine Prinzessinnen aus, mit einem wehenden Röckchen und einer kleinen Krone auf dem Kopf.
Zu diesen Blumen wollte Elga heute gehen. Aber sie beeilte sich gar nicht auf dem Wege. Es gab unterwegs vieles zu sehen, woran man nicht einfach vorüberhasten durfte. Da war der kleine Vogel, der mit hellem Gezwitscher aufflog. Über den Weg kroch wahrhaftig ein nasser glänzender Regenwurm. Elga mußte stehenbleiben und aufpassen, ob er gut auf die andere Seite kam.