Else Ury - Else Ury - E-Book

Else Ury E-Book

Else Ury

0,0

Beschreibung

Über 100 Romane und Kurzgeschichten auf mehr als 5000 Seiten Die erfolgreichste deutsche Kinderbuchautorin des 20. Jahrhunderts. Alle Nesthäkchen-Geschichten, alle Romane und dutzende Kurzgeschichten. Nesthäkchen ist zurecht der Klassiker der »Backfischliteratur«. Im Jahre 1983 wurde die Handlung der ersten drei Bände als Weihnachtsserie im ZDF gezeigt. Über mehrere Bände hinweg wird die Lebensgeschichte der Annemarie Braun erzählt. Insgesamt gibt es zehn Bände, die von Annemaries Kindheit, ihrer Jugend bis zur eigenen Eltern- und schließlich sogar Großelternschaft berichten. Die jüdische Autorin Else Ury, zeitlebens eine deutsch-konservative und unpolitische Person, wurde von den Nazis in Auschwitz ermordet. Diese Sammlung beinhaltet alle Romane der Nesthäkchen-Reihe und der Reihe "Professors Zwillinge", dazu weitere Jugendromane und dutzende Kinderschichten. Null Papier Verlag

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 6098

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Else Ury

Else Ury

Gesammelte Werke

Else Ury

Else Ury

Gesammelte Werke

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2024Klosterstr. 34 · D-40211 Düsseldorf · [email protected] EV: de 2. Auflage, ISBN 978-3-954187-01-0

null-papier.de/neu

Inhaltsverzeichnis

Zur Au­to­rin

Nest­häk­chen-Ro­ma­ne

Band 1 -- Nest­häk­chen und ihre Pup­pen

Band 2 -- Nest­häk­chens ers­tes Schul­jahr

Band 3 -- Nest­häk­chen im Kin­der­heim

Band 4 -- Nest­häk­chen und der Welt­krieg

Band 5 -- Nest­häk­chens Back­fisch­zeit

Band 6 -- Nest­häk­chen fliegt aus dem Nest

Band 7 -- Nest­häk­chen und ihre Kü­ken

Band 8 -- Nest­häk­chens Jüngs­te

Band 9 -- Nest­häk­chen und ihre En­kel

Band 10 -- Nest­häk­chen im wei­ßen Haar

Rei­he »Pro­fes­sors Zwil­lin­ge«

Band 1 -- Bubi und Mädi

Band 2 -- Pro­fes­sors Zwil­lin­ge in der Wald­schu­le

Band 3 -- Pro­fes­sors Zwil­lin­ge in Ita­li­en

Band 4 -- Pro­fes­sors Zwil­lin­ge im Ster­nen­haus

Band 5 -- Pro­fes­sors Zwil­lin­ge: Von der Schul­bank ins Le­ben

Ba­bys ers­tes Ge­schich­ten­buch

Mut­ters große Toch­ter

Piep­vö­gel­chen

Trip-Trip-Tröpf­chen

»Ich kann nicht mehr!«

Bet­tel­häns­chen

Die Tick-tack

Oma­ma kommt

Kat­zen­kät­chen

Nu­ckel­däum­chen

Pansch-Li­sel

Schmutz­dei­bel­chen

Der Zu­cker-Schnee­mann

Die Weih­nachts­ru­te

Pup­pen­ge­burts­tag

Bau­meis­ters Ran­gen

1. Ka­pi­tel. Zank­teu­fel­chen

2. Ka­pi­tel. Schul­freun­din­nen

3. Ka­pi­tel. Ro­se­nelf­chen

4. Ka­pi­tel. Jahr­markt

5. Ka­pi­tel. Zen­su­ren

6. Ka­pi­tel. Bei Groß­ma­ma

7. Ka­pi­tel. Un­ge­hor­sam

8. Ka­pi­tel. Un­term Weih­nachts­baum

9. Ka­pi­tel. In Rü­bezahls Win­ter­reich

10. Ka­pi­tel. Klein­stadt­freu­den

11. Ka­pi­tel. Ver­setzt

12. Ka­pi­tel. Klas­se IV M

13. Ka­pi­tel. Fräu­lein Lie­der­lich

14. Ka­pi­tel. Am Mee­res­s­trand

15. Ka­pi­tel. Ein Frie­den­sen­gel

Lil­lis Weg

Ers­tes Ka­pi­tel -- Ab­gang vom Let­tehaus

Zwei­tes Ka­pi­tel -- Lil­lis Zu­hau­se

Drit­tes Ka­pi­tel -- Städ­ti­sche Be­am­tin

Vier­tes Ka­pi­tel -- Ein schwe­rer Ent­schluß

Fünf­tes Ka­pi­tel -- Auf der Woh­nungs­su­che

Sechs­tes Ka­pi­tel -- Kol­le­gin­nen

Sie­ben­tes Ka­pi­tel -- Sonn­tagnach­mit­tag

Ach­tes Ka­pi­tel -- Mit­tel­stands­kü­che

Neun­tes Ka­pi­tel -- Lum­pen­prin­zes­sin

Zehn­tes Ka­pi­tel -- An der Schreib­ma­schi­ne

Elf­tes Ka­pi­tel -- Gute Fee

Zwölf­tes Ka­pi­tel -- Um­zug

Drei­zehn­tes Ka­pi­tel -- Neue Wege

Vier­zehn­tes Ka­pi­tel -- Im ge­lob­ten Land

Fünf­zehn­tes Ka­pi­tel -- Ein Win­ter­gast

Sech­zehn­tes Ka­pi­tel -- Un­ter falscher Flag­ge

Sieb­zehn­tes Ka­pi­tel -- Das Mär­chen­spiel

Acht­zehn­tes Ka­pi­tel -- Lor­beer und Myr­te

Stu­dier­te Mä­del von heu­te

Hur­ra -- er­reicht!

Es fiel ein Reif

Auf dem Gym­na­si­um

Dai­sy

Ein trot­zi­ges Mä­del

Spät­som­mer

Das Ab­schieds­lied

Eine Land­par­tie

O alte Bur­schen­herr­lich­keit

Auf dem Mas­ken­ball

Ers­ter Schmerz

Ein vor­neh­mer Frei­er

Das Abi­tu­ri­um

Alt Hei­del­berg, du fei­ne

Un­ter Eis und Schnee

In der Kin­der­kli­nik

Hu­schel­chen und an­de­re Schul­mä­del­ge­schich­ten

Hu­schel­chen

El­ses ers­tes Kon­zert

Eri­kas Weih­nachts­pup­pe

Das Ko­mö­di­an­ten­gretl

Jung­fer Rühr­mich­nicht­an

Eine klei­ne Hel­din

Lies­chen Vo­gel­scheu­che

Das neue Fräu­lein

Das Lie­serl von der Alm

Fräu­lein Angst­mei­er

Tan­te Wi­schen

Die Letz­te

Lot­te Na­se­weis und an­de­re Schul­mä­del­ge­schich­ten

Lot­te Na­se­weis

Eva, das Kriegs­kind

Gold­häns­chen

Die klei­ne Sa­ma­ri­te­rin

Die bes­te Freun­din

Fräu­lein Pro­fes­sor

Korn­blu­men­tag

Die Le­se­rat­te

Il­ses ers­ter Kriegs­ge­burs­tag

Jung­fer Für­witz

Was das Sonn­tags­kind er­lauscht

Das Sonn­tags­kind

Sei­fen­bla­sen

Nasch­kätz­chen

Das Re­gen­bo­gen­prin­zeß­chen

On­kel Dok­tor

Der Sand­mann kommt

Schwälb­chen

Der schmut­zi­ge Stra­ßen­jun­ge

Das Wet­ter­häus­chen

Fifi

Flick und Flock

Der ers­te Schul­tag

Neck­pe­ter­le und Schrei­kä­ter­le

Stumpf­schwänz­chen und Samt­fell­chen

Der klei­ne Schorn­stein­fe­ger

Tau­send­schön­chen

Der Sie­ben­schlä­fer

Bar­füß­chen

Im Pup­pen­win­kel

Traum­su­schen

Die gol­de­ne Ei­sen­bahn

Nin­ja, die klei­ne Lapp­län­de­rin

»Fi­gu­ri -- kauft Fi­gu­ri!«

Das Him­mels­te­le­phon

Die Al­pen­fee

Das Pfle­ge­schwes­ter­chen

Der klei­ne Aus­wan­de­rer

Das ver­zau­ber­te Mäu­schen

Das Wun­der­knäu­el

Das Brief­mar­ken­al­bum

Lo­cken­köpf­chen

Am Ost­see­strand

Das große Kohl­blatt

Fritz, der klei­ne Pic­co­lo

Hei­de­rös­lein

Das Abend­ge­bet

Was der Tee­kes­sel summt

Zi­geu­ner­li­sel

In Groß­mut­ters Fli­cken­kas­ten

Wir Mä­dels aus Nord und Süd

Car­me­li­na, das Fi­scher­kind von Ca­pri

Lo­res größ­ter Wunsch

Susi, der Bü­cher­wurm

Li­sing von der Wa­ter­kant

Mar­ga la Te­des­ca

Dan­ke

Dan­ke, dass Sie sich für ein E-Book aus mei­nem Ver­lag ent­schie­den ha­ben.

Soll­ten Sie Hil­fe be­nö­ti­gen oder eine Fra­ge ha­ben, schrei­ben Sie mir.

Ihr Jür­gen Schul­ze

Ge­sam­mel­te Wer­ke bei Null Pa­pier

Ed­gar Al­lan Poe - Ge­sam­mel­te Wer­ke

Franz Kaf­ka - Ge­sam­mel­te Wer­ke

Ste­fan Zweig - Ge­sam­mel­te Wer­ke

E. T. A. Hoff­mann - Ge­sam­mel­te Wer­ke

Ge­org Büch­ner - Ge­sam­mel­te Wer­ke

Jo­seph Roth - Ge­sam­mel­te Wer­ke

Mark Twain - Ge­sam­mel­te Wer­ke

Kurt Tuchols­ky - Ge­sam­mel­te Wer­ke

Ru­dyard Kip­ling - Ge­sam­mel­te Wer­ke

Ril­ke - Ge­sam­mel­te Wer­ke

und wei­te­re …

Newslet­ter abon­nie­ren

Der Newslet­ter in­for­miert Sie über:

die Neu­er­schei­nun­gen aus dem Pro­gramm

Neu­ig­kei­ten über un­se­re Au­to­ren

Vi­deos, Lese- und Hör­pro­ben

at­trak­ti­ve Ge­winn­spie­le, Ak­tio­nen und vie­les mehr

htt­ps://null-pa­pier.de/newslet­ter

Zur Autorin

Else Ury ken­nen vie­le als Au­to­rin der »Nest­häk­chen«-Rei­he, die seit Be­ginn des 20. Jahr­hun­derts als Lek­tü­re für Mäd­chen in den Buch­lä­den zu fin­den ist. In den 1980er Jah­ren sa­hen vie­le Kin­der und Er­wach­se­ne zu­dem die Ver­fil­mung als Fern­seh­se­rie im öf­fent­lich-recht­li­chen Fern­se­hen. Doch wer war Else Ury? Wer einen Blick auf ihre Bio­gra­fie wirft, ent­deckt eine tra­gi­sche Ge­schich­te jen­seits der kind­li­chen Welt, die sie für ihre Bü­cher er­schuf.

Ge­bo­ren wur­de Else Ury 1877 in Ber­lin. Sie wuchs als Toch­ter ei­nes Ta­bak­fa­bri­kan­ten in ei­ner bür­ger­li­chen Fa­mi­lie auf, in der viel Wert auf Bil­dung -- auch der Mäd­chen -- ge­legt wur­de. Wäh­rend die äl­te­ren Brü­der das Gym­na­si­um be­such­ten und spä­ter Ju­rist und Arzt wur­den, blieb für Else und die Schwes­ter der Be­such ei­ner pri­va­ten Mäd­chen­schu­le. Wäh­rend die Schwes­ter eine Aus­bil­dung zur Leh­re­rin ab­sol­vier­te, blieb Else Ury im Haus der El­tern -- die dem jü­di­schen Glau­ben an­ge­hör­ten, je­doch auch christ­li­che Fes­te fei­er­ten -- und schrieb dort mit 20 Jah­ren ihr ers­tes Werk: »Im Bahn­hofs­re­stau­rant Dan­zi­ger Röss’l«.

Else Urys ers­tes ver­öf­fent­lich­tes Buch ist »Was das Sonn­tags­kind er­lauscht« (1905), eine Mär­chen­samm­lung, wie sie in der Wei­ma­rer Re­pu­blik sehr be­liebt war.

Da­nach brach­te Ury bei­spiels­wei­se das Werk »Stu­dier­te Mä­del« her­aus, in dem sie Bil­dung für Mäd­chen be­für­wor­te­te. Es folg­te un­ter an­de­rem das Buch »Gold­blond­chen«, wel­ches als ein­zi­ges von Urys Bü­chern eine Aus­zeich­nung für Ju­gend­bü­cher er­hielt. Dies war in je­ner Zeit durch­aus un­ge­wöhn­lich, da meist Mäd­chen-Li­te­ra­tur als zu kit­schig und oben­drein manch­mal so­gar als »schäd­lich« be­trach­tet wur­de. Den ers­ten Band der be­rühm­ten »Nest­häk­chen«-Rei­he rund um die Arzt­toch­ter An­ne­ma­rie Braun brach­te Else Ury 1913 her­aus. Durch den Ers­ten Welt­krieg ver­zö­ger­te sich die Her­aus­ga­be et­li­cher Bän­de der Se­rie. In ers­ter Li­nie wird eine idyl­li­sche Kind­heit ge­zeigt, bis die­se durch den Kriegs­ein­satz des Va­ters Ris­se be­kommt. Die Nest­häk­chen-Ge­schich­te er­streck­te sich über das ge­sam­te Le­ben der An­ne­ma­rie Braun. Auch Else Ury ver­brach­te einen Groß­teil ih­res Le­bens mit der Buch­rei­he. Sie ver­fass­te den letz­ten Band im Jah­re 1925.

Nach dem Krieg folg­te in den 20er Jah­ren die In­fla­ti­on in Deutsch­land, doch die­se konn­te Ury kaum et­was an­ha­ben. Sie be­kam ih­ren Lohn in Gold aus­ge­zahlt und konn­te sich wei­ter­hin einen groß­bür­ger­li­chen Le­bens­stil leis­ten. Mitt­ler­wei­le war sie der­art ge­fragt, dass ihr 50. Ge­burts­tag so­gar öf­fent­lich im Ho­tel Ad­lon ge­fei­ert wur­de.

Das Grau­en brach erst mit der Ver­fol­gung der Na­tio­nal­so­zia­lis­ten über Else Ury her­ein. Da­bei war Else Ury zu­nächst dem na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Ge­dan­ken­gut nicht ab­ge­neigt ge­we­sen und hat­te die­ses so­gar in ei­ni­gen ih­rer Wer­ke an­klin­gen las­sen.

Ihre Ent­rech­tung er­leb­te die Frau ge­ho­be­nen Al­ters zu­nächst schlei­chend. Doch die Ver­bo­te ih­rer Bü­cher so­wie der Aus­schluss aus der Reichs­schrift­tums­kam­mer lie­ßen die Au­to­rin am Re­gime zwei­feln. Sie ver­such­te ei­ni­ge ih­rer Bü­cher aus­län­di­schen Ver­la­gen zu ver­kau­fen, was je­doch letzt­lich schei­ter­te, da die Welt, die sie in ih­rem Bü­chern ent­warf, nicht mehr so recht in die Rea­li­tät pas­sen woll­te.

Vie­le Fa­mi­li­en­mit­glie­der wa­ren aus­ge­wan­dert, doch Ury blieb bei ih­rer kran­ken Mut­ter, die 1940 verstarb. Da­nach be­müh­te man sich, die Au­to­rin au­ßer Lan­des zu schaf­fen und ihr ein Vi­sum zu be­schaf­fen -- doch dies war zum Schei­tern ver­ur­teilt.

Else Ury starb 1942 nach der De­por­ta­ti­on durch die Na­tio­nal­so­zia­lis­ten im Ver­nich­tungs­la­ger Ausch­witz.

Nest­häk­chen

»Nest­häk­chen« war si­cher­lich das be­rühm­tes­te Werk von Else Ury. Ne­ben der be­kann­ten Buch­rei­he für Mäd­chen ver­fass­te sie wei­te­re Bü­cher, die vor al­lem an jun­ge Mäd­chen, aber auch Kin­der im All­ge­mei­nen ge­rich­tet wa­ren. Sie galt als eine der be­rühm­tes­ten Kin­der­buch-Au­to­rin­nen der Wei­ma­rer Re­pu­blik, doch kein ein­zi­ges ih­rer wei­te­ren Bü­cher konn­te an »Nest­häk­chen« in sei­ner Po­pu­la­ri­tät her­an­rei­chen.

»Nest­häk­chen« er­zählt die Le­bens­ge­schich­te der An­ne­ma­rie Braun. Es gibt meh­re­re Fas­sun­gen der Ge­schich­ten, da die­se im­mer wie­der den Zu­stän­den in der Ge­gen­wart an­ge­passt wur­den. So über­ar­bei­te­te man bei­spiels­wei­se die Rei­he auch nach dem Zwei­ten Welt­krieg noch ein­mal grund­le­gend. Das Frau­en­bild, wel­ches die »Nest­häk­chen«-Rei­he ver­mit­telt, blieb je­doch wei­test­ge­hend er­hal­ten. Zwar wird An­ne­ma­rie als durch­aus mu­ti­ges und in­tel­li­gen­tes Mäd­chen ge­zeigt, je­doch bleibt sie dem Bild der Frau in ih­rer Zeit ver­haf­tet, die sich nach der Schul­zeit als bra­ve Haus­frau um den ge­lieb­ten Ehe­mann und die Kin­der küm­mert.

Heu­te wer­den meist nur die ers­ten drei Bän­de als Kin­der­klas­si­ker ge­se­hen. Die Ge­schich­te ab Band vier ist we­ni­ger be­kannt, was auch dar­an liegt, dass der vier­te Band, der im Ers­ten Welt­krieg spielt und die­sen teil­wei­se ver­herr­licht, nicht mehr her­aus­ge­ge­ben wird.

Die Ge­schich­te be­ginnt noch vor Nest­häk­chens Ein­schu­lung und schil­dert zu­nächst eine un­schul­di­ge Kind­heit, in der Pup­pen die Haup­trol­le spie­len. An­ne­ma­rie wächst wohl­be­hü­tet ne­ben ih­ren Brü­dern in ei­ner über­aus wohl­ha­ben­den bür­ger­li­chen Arzt­fa­mi­lie auf. In Band 2 be­ginnt die Schul­zeit von An­ne­ma­rie, die wie in der da­ma­li­gen Zeit üb­lich, häu­fig von Stra­fen be­herrscht wird.

Band 3 setzt vier Jah­re spä­ter an, als An­ne­ma­rie schwer an Schar­lach er­krankt, auch dies spie­gelt ein Pro­blem je­ner Zeit wie­der, als Krank­hei­ten noch weitaus schwe­rer zu be­herr­schen wa­ren. Zur Er­ho­lung kommt sie, wie da­mals eben­falls üb­lich, in ein Kin­der­heim am Meer, ge­nau­er ge­sagt, auf Am­rum. Der Band en­det -- nach vie­len Er­leb­nis­sen, die An­ne­ma­rie zu ei­ner jun­gen Frau rei­fen las­sen, mit dem Be­ginn des Ers­ten Welt­kriegs. Ihre ge­lieb­te Pup­pe ver­liert Nest­häk­chen beim über­stürz­ten Auf­bruch nach Hau­se. Mit die­sen Sze­nen en­det auch die Ver­fil­mung von »Nest­häk­chen« aus den 1980er Jah­ren, die nur noch den Aus­bruch des Welt­kriegs zeigt.

In der Buch­rei­he geht es wei­ter mit der Welt­kriegs­zeit. In die­sem Band wird auch das The­ma Aus­län­der im Spie­gel der da­ma­li­gen Zeit be­han­delt. Im fünf­ten Band wird die »Bach­fisch­zeit« von Nest­häk­chen be­schrie­ben. Er­staun­lich dar­an ist, dass das jun­ge Mäd­chen und ei­ni­ge Freun­din­nen am Ende das Abi­tur be­ste­hen -- ein Plä­doy­er für die Bil­dung der Frau in je­ner Zeit. Auch im sechs­ten Band zieht Nest­häk­chen zu­nächst zum Stu­di­um nach Tü­bin­gen, doch die Hoch­zeit und Ge­burt des ers­ten Kin­des ma­chen sie dann doch zur »bra­ven Haus­frau«.

Die fol­gen­den drei Bän­de dre­hen sich um An­ne­ma­rie und ihre Kin­der, de­ren Heran­wach­sen, bis hin zu de­ren En­keln.

Zeit­lich wa­ren die »Nest­häk­chen«-Bü­cher ab dem 6. Band der ei­gent­li­chen Ge­gen­wart vor­aus, was teils aus der heu­ti­gen Per­spek­ti­ve et­was für Ver­wir­rung sorgt.

Ne­ben »Nest­häk­chen« schuf Else Ury wei­te­re Kin­der­bü­cher. Am be­kann­tes­ten dar­un­ter ist die Se­rie »Die Zwil­lin­ge«. Else Ury schuf stets eine recht hei­le Welt, die we­nig über­ra­schen­de Wen­dun­gen zu bie­ten hat­te, doch bei der Ju­gend, auch nach dem Zwei­ten Welt­krieg, über­aus be­liebt war.

Nesthäkchen-Romane

Band 1 -- Nesthäkchen und ihre Puppen

Ei­ne Ge­schich­te für klei­ne Mäd­chen

1913

1. Kapitel. Puppenmütterchen

Habt ihr schon mal un­ser Nest­häk­chen ge­se­hen?

Es heißt An­ne­ma­rie, Va­ter und Mut­ti aber ru­fen es meis­tens »Lot­te«. Ein lus­ti­ges Stubs­näs­chen hat un­ser Nest­häk­chen und zwei win­zi­ge Blond­zöpf­chen mit großen, hell­blau­en Schlei­fen. »Rat­ten­schwänz­chen« nennt Bru­der Hans An­ne­ma­ri­es Zöp­fe, aber die Klei­ne ist un­ge­heu­er stolz auf sie. Manch­mal trägt Nest­häk­chen auch rosa Haarschlei­fen, und die Rat­ten­schwänz­chen als nied­li­che, klei­ne Schne­cken über je­des Ohr ge­steckt. Doch das kann es nicht lei­den, denn die al­ten Haar­na­deln pie­ken. Sechs Jah­re ist An­ne­ma­rie vor kur­z­em ge­wor­den, ihre bei­den Bein­chen ste­cken in Wa­den­st­rümp­fen und hop­sen meis­tens. Kei­nen Au­gen­blick ste­hen sie still, ge­ra­de­so wie ihr kirsch­ro­tes Mäul­chen. Das schwatzt und fragt den gan­zen lie­ben Tag, das lacht und singt, und nur ganz sel­ten mal ver­zieht es sich zum Wei­nen.

So sieht un­ser Nest­häk­chen aus, und wenn ihr in Ber­lin lebt, könnt ihr es je­den Tag mit Fräu­lein in den Tier­gar­ten ge­hen se­hen.

In ei­nem schö­nen, großen Hau­se wohnt Klein-An­ne­ma­rie, in ei­ner lan­gen Stra­ße, durch die elek­tri­sche Bah­nen bim­meln. Ein Gärt­chen ist vor dem Hau­se, aber kei­ner darf hin­ein, das er­laubt der Por­tier nicht. Er selbst aber kann so­oft dar­in her­umspa­zie­ren, wie er nur Lust hat, das Gras schnei­den, die Bee­te be­gie­ßen und so­gar das Git­ter mit schö­ner neu­er Öl­far­be an­strei­chen. Da­rum glaubt An­ne­ma­rie, daß der Por­tier bei­na­he so viel ist wie der Kai­ser. Und wenn sie nicht Mut­tis Nest­häk­chen wäre, dann wür­de sie am al­ler­liebs­ten Por­tier sein. Manch­mal aber auch Kon­di­tor.

Zwei grö­ße­re Brü­der hat An­ne­ma­rie, den wil­den Klaus, der nur zwei Jah­re äl­ter ist als sie, und den großen Quar­ta­ner Hans, der so­gar schon La­tein kann. Ihr Häns­chen liebt die Klei­ne über al­les, wenn er sie auch öf­ters mal neckt, wäh­rend es mit Kläus­chen nur all­zu­oft Krieg gibt.

Ach, was ist das für ein schö­nes, war­mes Nest, in dem das Nest­häk­chen da­heim ist. Wenn der Va­ter ab­ge­spannt von der Pra­xis nach Hau­se kommt, denn An­ne­ma­ri­es Papa ist ein viel be­schäf­tig­ter Arzt, und sein klei­nes Mäd­chen springt ihm ju­belnd an den Hals, dann hat er alle Mü­dig­keit ver­ges­sen. Er lacht und scherzt mit ihr, ja, er setzt sie so­gar auf sei­ne Schul­tern und rei­tet mit dem jauch­zen­den Ding durch sämt­li­che Zim­mer. Sagt Mut­ti dann: »Du ver­wöhnst un­se­re Lot­te zu sehr, Va­ter, sie ist schon viel zu groß dazu«, dann drückt er sei­nen Lieb­ling nur um so fes­ter ans Herz und meint lä­chelnd: »Es ist doch un­ser Kleins­tes!«

Wenn aber der Va­ter mal da­von an­fängt, daß es nun auch für An­ne­ma­rie bald Zeit sei, in die Schu­le zu ge­hen, dann brei­tet Mut­ti ihre Arme um das Töch­ter­chen und bit­tet: »Laß sie mir doch noch ein Weil­chen zu Hau­se, sie ist ja so zart und doch un­ser Nest­häk­chen!«

Ja, Nest­häk­chen wird von al­len Sei­ten ein we­nig ver­wöhnt. Wenn Fräu­lein auch noch so viel zu tun hat, sie wird nicht müde, An­ne­mies tau­send Fra­gen zu be­ant­wor­ten. Da­für hat die Klei­ne aber auch ihr Fräu­lein ganz schreck­lich lieb.

Han­ne, die Kö­chin, schmun­zelt über das brei­te, rote Ge­sicht, wenn An­ne­mie ein biß­chen zu ihr in die Kü­che her­aus­kommt, weil sich die Han­ne so ganz al­lein am Ende lang­wei­len könn­te. Ob das klei­ne Fräu­lein ihr auch noch so zwi­schen ih­ren Töp­fen, Löf­feln und Quir­len kramt, Han­ne wirft An­ne­ma­rie nicht raus. Da­bei macht sie doch mit den bei­den Jun­gen nicht viel Um­stän­de und bringt sie öf­ters mal auf den Trab.

Auch Fri­da, das Stu­ben­mäd­chen, läßt sich die Ge­sell­schaft der Klei­nen beim Plät­ten, Ma­schi­nenä­hen und Stu­ben­boh­nern gern ge­fal­len.

Der gute Bru­der Hans fin­det trotz sei­ner vie­len Schul­ar­bei­ten noch Zeit, dem Schwes­ter­chen Schiff­chen zu ma­chen und Krei­sel­stö­cke zu fa­bri­zie­ren.

Nur Klaus meint, daß An­ne­mie zu sehr ver­wöhnt wird und ist für stren­ge­re Er­zie­hung. Aber meis­tens en­digt die­se mit ei­ner Bal­ge­rei.

Puck, das nied­li­che Zwerg­hünd­chen, und Mätz­chen, das zi­tro­nen­gel­be Vö­gel­chen, zei­gen eben­falls eine be­son­de­re Vor­lie­be fürs Nest­häk­chen. Puck läßt sich ge­dul­dig von ihm Ohren und Schwänz­chen zau­sen und ist stets zu al­len Spie­len be­reit. Mätz­chen aber singt ju­belnd mit der Klei­nen um die Wet­te.

Wer aber, glaubt ihr wohl, hat Klein-An­ne­ma­rie am liebs­ten im gan­zen Hau­se? Va­ter und Mut­ti na­tür­lich, und dann -- alle ihre Pup­pen.

Die zie­hen den Mund vor Freu­de von ei­nem Ohr zum an­dern, so­bald das klei­ne Mäd­chen in die Kin­der­stu­be tritt. Was ist An­ne­mie aber auch für ein gu­tes Pup­pen­müt­ter­chen! Je­des Kind ih­rer zahl­rei­chen Pup­pen­fa­mi­lie hat sie in ihr zärt­li­ches Herz ge­schlos­sen.

Da ist zu­erst Iren­chen, das ist ihre Äl­tes­te, denn sie be­sitzt schon eine Schul­map­pe mit Schie­fer­ta­fel und Hef­ten. Iren­chen macht ih­rer klei­nen Mama jetzt viel Sor­ge. Sie hat ihre schö­nen ro­ten Ba­cken ver­lo­ren, seit­dem Nest­häk­chen ihr neu­lich das Ge­sicht mit Bims­stein ab­ge­scheu­ert hat. Das Pup­pen­kind soll­te zum ers­ten­mal mit Tin­te schrei­ben, und hat­te da­bei die Nase zu tief in das Schul­heft ge­steckt, über und über hat­te sie sich mit Tin­te ein­ge­schmiert, das un­be­dacht­sa­me Iren­chen, und die wei­ße Schür­ze ih­rer klei­nen Mama dazu. An­ne­ma­rie schalt auf Iren­chen, und Fräu­lein schalt auf An­ne­mie. Fräu­lein be­gann An­ne­mies Tin­ten­schür­ze mit Zitro­ne zu be­ar­bei­ten, und An­ne­mie das Tin­ten­ge­sicht ih­res Iren­chens mit Bims­stein. Au -- tat das weh! Iren­chen schrie wie am Spieß. Aber ener­gisch rub­bel­te Nest­häk­chen wei­ter, denn »wer nicht hö­ren will, muß füh­len«. Ganz blaß ist das arme Pup­pen­kind noch da­von, und An­ne­mie meint be­küm­mert zu Fräu­lein: »Ich glau­be, die Schul­luft be­kommt dem Kin­de nicht!«

Auch um Ma­ri­ann­chen, das zwei­te Töch­ter­chen, sorgt sich Nest­häk­chen. Die Klei­ne hat seit ei­ni­gen Ta­gen eine schwe­re Au­gen­krank­heit und muß si­cher nächs­tens in eine Pup­pen­kli­nik. Die Schlaf­au­gen sind fest zu­ge­klebt und ge­hen nicht mehr auf. Und das schlimms­te ist, daß die klei­ne Mama selbst die Schuld an der Krank­heit trägt. Oder viel­mehr Klaus, denn der hat ihr ge­ra­ten, dem Kin­de rich­ti­ge Wim­pern mit flüs­si­gem Gum­mi an­zu­kle­ben. Und nun sind Ma­ri­ann­chens Au­gen ganz ver­kleis­tert, oder viel­mehr »ver­ei­tert«, wie der vier­bei­ni­ge Dok­tor Puck mit be­denk­li­chem Schwan­zwe­deln fest­stell­te.

Ja, solch klei­nes Pup­pen­müt­ter­chen hat schon sei­ne Sor­gen mit so­viel Jö­ren! Der Pup­pen­jun­ge Kurt ist ein furcht­bar wil­der Strick, kein Tisch ist ihm zu hoch, um da­von her­un­ter­zu­sprin­gen. Bald zer­schlägt er sich die Nase, bald hat er ein tie­fes Loch im Kopf, und einen hal­b­en Fuß hat er sich auch schon ab­ge­schla­gen, der Sch­lin­gel.

Die schwar­ze Lolo, das Ne­ger­kind, muß wohl die Unsau­ber­keit und Unor­dent­lich­keit aus ih­rer Hei­mat Afri­ka mit­ge­bracht ha­ben. Wenn An­ne­ma­rie sie eben erst sau­ber an­ge­zo­gen hat, im nächs­ten Au­gen­blick hat sie sich schon wie­der schmut­zig ge­macht. Bald ver­liert sie einen Schuh, bald einen Strumpf. Neu­lich so­gar die Hö­schen! Mit­ten im Tier­gar­ten war’s, Klein-An­ne­ma­rie hat sich schreck­lich ge­schämt, denn sehr weiß wa­ren sie auch nicht mehr.

Am bravs­ten ist noch Baby. Das läßt sei­ne Mama die gan­ze Nacht ru­hig schla­fen, höchs­tens am Tage schreit es mal, aber auch nur, wenn es all­zu­sehr auf den Bauch ge­drückt wird. An­ne­mie ver­zieht Baby ein biß­chen, na, da­für ist es ja auch ihr Nest­häk­chen.

Aber trotz al­ler ih­rer Feh­ler liebt An­ne­ma­rie ihre Kin­der wie eine rich­ti­ge klei­ne Mama. Den gan­zen Tag plagt sie sich für sie. Kaum hat sie mor­gens früh Iren­chen in die Schu­le ge­bracht und die an­de­ren an­ge­zo­gen, ver­langt Baby auch schon nach sei­nem Fläsch­chen. Dann sind die Bet­ten der Kin­der zu ma­chen, die bei­den Gro­ßen schla­fen in dem wei­ßen Him­mel­bett, die bei­den Klei­nen, Lolo und Baby, im Wa­gen, und Kurt in der um­ge­kipp­ten Fuß­bank. Die ist we­nigs­tens nicht so hoch, wenn er raus­fällt.

Beim Auf­räu­men der Kin­der­stu­be hilft Nest­häk­chen Fräu­lein flei­ßig; es hat einen klei­nen Be­sen mit Schau­fel und einen Schrub­ber nebst Ei­mer und Scheu­er­tuch. Aus­wi­schen tut An­ne­mie für ihr Le­ben gern. Aber Fräu­lein er­laubt es nicht oft, denn sie setzt die gan­ze Stu­be da­bei un­ter Was­ser, es gibt je­des­mal eine Über­schwem­mung. Bei­na­he wäre neu­lich ihr Kurt, der sich un­term Spiel­schrank ver­steckt hat­te, da­bei er­trun­ken.

Eine rei­zen­de Pup­pen­kü­che hat Klein-An­ne­ma­rie, mit Koh­len­kas­ten, Was­ser­lei­tung und Spi­ri­tus­herd, aber Mit­tag­brot ko­chen kann sie ih­ren Kin­dern nur, wenn’s reg­net. Die Pup­pen sind auch so ver­nünf­tig, bei schö­nem Wet­ter kei­nen Hun­ger zu ha­ben. Sie wis­sen, daß ihre klei­ne Mama, wenn die Son­ne scheint, in den Tier­gar­ten spa­zie­ren­ge­hen muß. Oft nimmt Nest­häk­chen eins oder zwei ih­rer Kin­der mit und fährt sie in dem fei­nen wei­ßen Pup­pen­wa­gen mit der rosa Sei­den­de­cke aus. Dann setzt sie ih­nen Spi­nat vor, frisch ge­pflückt vom Ra­sen. Auch Kie­sel­stein­bra­ten ver­tra­gen sie merk­wür­dig gut, wenn er auch noch so zäh ist.

Die ar­men Zu­hau­se­ge­las­se­nen aber wer­den in ihr Gärt­chen, aufs Blu­men­brett, ge­setzt, da­mit sie auch ein biß­chen Luft schnap­pen. Nur Kurt nicht, der Ben­gel ist zu wild und wür­de si­cher in den Hof her­un­ter Pur­zel­baum schie­ßen.

Auch wa­schen und plät­ten muß An­ne­mie für ihre Klei­nen, ja, sie ver­brennt sich so­gar die Händ­chen da­bei vor lau­ter Ei­fer. Denn das klei­ne Plätt­ei­sen wird auf dem Herd heiß ge­stellt, an­ders tut das Haus­müt­ter­chen es nicht.

Nächs­tens soll auch große Pup­pen­schnei­de­rei statt­fin­den, An­ne­ma­rie hat zu ih­rem Ge­burts­tag eine al­ler­liebs­te klei­ne Näh­ma­schi­ne be­kom­men. Fräu­lein will ihr zei­gen, wie man dar­auf näht. Da­bei hat sie auch noch den Kauf­manns­la­den und die Mehl­hand­lung zu be­die­nen, wenn Klaus ge­ra­de kei­ne Lust dazu hat, oder wenn sie sich bei­de ge­zankt ha­ben.

Und Mut­ti will ihr Nest­häk­chen doch auch ein biß­chen um sich ha­ben, wirk­lich, An­ne­ma­rie weiß oft gar nicht, was sie von all ih­ren vie­len Ar­bei­ten zu­erst ma­chen soll.

Sie kann sich gar nicht den­ken, daß es klei­ne Mäd­chen gibt, die sich manch­mal lang­wei­len.

2. Kapitel. Was der Osterhase bringt

Es war am Os­ter­sonn­tag, ganz früh am Mor­gen. Gol­den schi­en die lie­be Son­ne vom Him­mel, ge­ra­de in Nest­häk­chens Kin­der­stu­be hin­ein.

Die Pup­pen la­gen alle noch in fes­tem Schlaf. Kurt schnarch­te wie ein Mur­mel­tier, und auch Lot­tis Fräu­lein schlief noch.

Nanu -- die Son­ne be­gann er­staunt zu blin­zeln -- was soll­te denn das be­deu­ten?

Aus dem wei­ßen Kin­der­bett in der Ecke sprang, vor­sich­tig nach dem schla­fen­den Fräu­lein her­über­schau­end, ein klei­ner Hem­den­matz mit zwei blon­den Rat­ten­schwänz­chen. Eins, zwei, drei, husch­te er lei­se durch das Zim­mer, ge­ra­des­wegs zum Fens­ter, und klet­ter­te dort be­hut­sam auf den Kin­der­stuhl.

Was hat­te denn Nest­häk­chen bloß in al­ler Herr­gotts­frü­he schon auf den Hof hin­un­ter­zu­gu­cken? Die Por­tier­kin­der, mit de­nen sie gut Freund war, schlie­fen doch noch alle.

Die Son­ne mach­te ein miß­bil­li­gen­des Ge­sicht. Den Tod konn­te sich das bar­fü­ßi­ge klei­ne Ding ja bei sei­ner Früh­par­tie ho­len oder doch we­nigs­tens einen tüch­ti­gen Schnup­fen.

Nein, das gab die lie­be Son­ne nicht zu, daß Klein-An­ne­ma­rie an den Os­ter­fei­er­ta­gen krank im Bet­te lie­gen muß­te.

Schnell nahm sie ein paar ih­rer spit­zen Gold­strah­len und be­gann Fräu­lein da­mit un­ter die Nase zu krab­beln, ein­mal und noch ein­mal.

»Hat­schi!« nies­te Fräu­lein und schlug die Au­gen auf. Da sah sie zu ih­rer Ver­wun­de­rung am Fens­ter auf dem Kin­der­stuhl ein aus­ge­knif­fe­nes Hem­den­mätz­chen thro­nen, das Stubs­näs­chen ge­gen die Schei­ben ge­preßt.

»Kind -- An­ne­mie -- willst du wohl gleich wie­der ins Bett, es ist ja noch nicht mal sechs!« rief sie är­ger­lich.

»Ach, Fräu­lein«, An­ne­ma­rie fuhr er­schreckt zu­sam­men, »warum bist du bloß auf­ge­wacht! Ich woll­te doch so schreck­lich gern mal den Os­ter­ha­sen se­hen, ob er auch recht viel Eier für mich hat.«

»Wenn du so un­ar­tig bist und heim­lich aus dem Bett klet­terst, bringt dir der Os­ter­ha­se über­haupt kei­ne Eier. Der kommt nur zu ar­ti­gen Kin­dern. Flink zu­rück ins Bett­chen, An­ne­mie, daß du nicht etwa krank wirst«, mahn­te Fräu­lein.

»Wo­her weiß der Os­ter­ha­se denn, ob ich ar­tig bin?« er­kun­dig­te sich das Bar­füß­chen.

»Er läßt es sich von al­len Mut­tis und Fräu­leins er­zäh­len«, gähn­te Fräu­lein.

»Hat er dich auch schon da­nach ge­fragt?«

»Ja--a--a--u--uh«, Fräu­lein gähn­te herz­bre­chend.

»Wann denn?« Nest­häk­chen spitz­te die Ohren.

»Hör’ jetzt end­lich mit dem ewi­gen Ge­fra­ge auf und gehe in dein Bett, An­ne­mie, oder soll ich erst böse wer­den?«

»Nein, nein, aber mein liebs­tes, bes­tes, al­ler­sü­ßes­tes Zucker­fräu­lein, sag’ mir doch bloß noch, wann der Os­ter­ha­se da­ge­we­sen ist, dann gehe ich auch gleich wie­der ar­tig ins Bett«, schmei­chel­te die Klei­ne.

»Heu­te nacht.« Fräu­lein konn­te den Bit­ten der klei­nen Schmei­chel­kat­ze nicht wi­der­ste­hen.

»Heu­te nacht, da hast du wohl mit ihm aus dem Schlaf ge­spro­chen, Fräu­lein?« ver­wun­der­te sich die Klei­ne.

Aber als An­ne­mie jetzt end­lich den Rück­zug in ihr Bett­chen an­tre­ten woll­te, da jauchz­te sie plötz­lich laut auf, daß sämt­li­che Pup­pen ent­setzt aus dem Schlaf hoch­fuh­ren, und Kurt vor Schreck fast aus sei­ner Fuß­bank ge­ke­gelt wäre.

»Fräu­lein, der Os­ter­ha­se, da ist er, ganz deut­lich habe ich ihn ge­se­hen.« Die Klei­ne wies auf­ge­regt aus dem Fens­ter. »Schwarz war er, und einen lan­gen Schwanz hat er ge­habt, und mit ei­nem Satz ist er drü­ben über das Dach ge­sprun­gen.«

»Du Schäf­chen, das war si­cher der schwar­ze Ka­ter von un­serm Por­tier.« Jetzt muß­te Fräu­lein doch la­chen.

»Der Ka­ter -- be­wah­re -- das war der Os­ter­ha­se!« An­ne­mie ließ sich so leicht nicht et­was aus­re­den. Auch als sie wie­der im Bett lag und ihre Blau­au­gen ge­ra­de müde zu­klap­pen woll­ten, mur­mel­te sie noch im Ein­schla­fen: »Und es war doch der Os­ter­ha­se!«

Ein Weil­chen dar­auf späh­te die lie­be Son­ne aufs neue in die Kin­der­stu­be hin­ein, ob dort nun end­lich Ruhe herrsch­te. Da schlief die gan­ze Ge­sell­schaft wie­der, und der rich­ti­ge Os­ter­ha­se konn­te, un­be­ob­ach­tet von neu­gie­ri­gen Kin­derau­gen, all sei­ne Scho­ko­la­den- und Mar­zi­pa­nei­er ver­ste­cken.

Das war eine schwie­ri­ge Sa­che für Fräu­lein, heu­te Nest­häk­chen an­zu­klei­den. Sehr still hielt der klei­ne Wild­fang ja nie­mals, aber heu­te war die An­ne­ma­rie in al­len vier Ecken der Kin­der­stu­be zu glei­cher Zeit. Am Ende hat­te Fräu­lein bloß nicht auf­ge­paßt, und der Os­ter­ha­se hat­te doch ein paar Eier ins Kin­der­zim­mer ge­legt.

Wäh­rend Fräu­lein ihr die blon­den Kraus­här­chen ent­wirr­te, was nie­mals eine sehr an­ge­neh­me Auf­ga­be war, ent­wisch­te sie ihr drei­mal.

Wutsch -- war sie in dem Schuh­schrank drin, wo sie sämt­li­che Schu­he und Stie­fel nach Os­terei­ern durch­stö­ber­te. Fräu­lein mit Kamm und Bürs­te hin­ter­drein.

Dann, als das ers­te Zöpf­chen halb ge­floch­ten war, fiel es An­ne­mie plötz­lich ein, si­cher wür­de sich et­was in der Pup­pen­kü­che fin­den. Hei­di -- kram­te sie auch schon dort das Un­ters­te zu oberst, Fräu­lein mit Kamm und Bürs­te hin­ter­drein.

Aber als die Klei­ne plötz­lich, ge­ra­de da die große, hell­blaue Schlei­fe das zwei­te Zöpf­chen schmücken soll­te, hast du nicht ge­se­hen, auf den großen Tisch klet­ter­te, um auf den Ofen nach Os­terei­ern zu spä­hen, da konn­te Fräu­lein mit Kamm und Bürs­te nicht hin­ter­drein. Auf den Tisch konn­te sie un­mög­lich klet­tern. Sie mach­te ein un­zu­frie­de­nes Ge­sicht, bis An­ne­mie sich ih­rem Fräu­lein mit Küs­sen und Strei­cheln an den Hals häng­te und ver­sprach, sich nun aber wirk­lich ganz ar­tig an­zie­hen zu las­sen. Das tat sie auch, denn so klein sie auch war, das wuß­te die An­ne­ma­rie: Was man ver­spricht, muß man hal­ten!

»Na, end­lich aus­ge­schla­fen, Lot­te?« be­grüß­te sie der Va­ter, als Nest­häk­chen am Kaf­fee­tisch er­schi­en.

»Ach, Vat­chen, ich habe heu­te mor­gen schon den Os­ter­ha­sen übers Dach sprin­gen se­hen«, er­zähl­te An­ne­ma­rie eif­rig.

»So?« frag­te der Va­ter ernst­haft.

Der vor­lau­te Klaus aber rief: »Es gibt ja gar kei­nen Os­ter­ha­sen, bist du noch ein däm­li­ches Ding, nur ganz ge­wöhn­li­che Ha­sen gibt es.«

»Das ist nicht wahr, du lügst!« be­gehr­te das Schwes­ter­chen auf.

So et­was woll­te sich der Klaus nun wie­der nicht sa­gen las­sen, er griff nach An­ne­mies frisch ge­floch­te­nen Zöpf­chen, und es wäre an dem schö­nen Os­ter­sonn­tag wohl zu ei­ner re­gel­rech­ten Schlacht ge­kom­men, wenn Mut­ti nicht ge­ra­de das Zim­mer be­tre­ten hät­te.

»Ei, Kin­der, ist das un­ser Fei­er­tags­frie­den?« frag­te sie vor­wurfs­voll.

Da lie­ßen die klei­nen Kampf­häh­ne be­schämt von­ein­an­der ab, und Nest­häk­chen sprang zu Mut­ti, um sich ih­ren Gu­ten­mor­gen­kuß zu ho­len.

Gibt es wohl noch et­was Schwe­re­res im Le­ben, als zwei große Tas­sen Ka­kao aus­trin­ken zu müs­sen, wäh­rend man ganz ge­nau weiß, daß im Ne­ben­zim­mer die schöns­ten Os­terei­er auf einen war­ten?

End­lich -- end­lich war die Tas­se leer, und nun war Klein-An­ne­ma­rie auch nicht mehr zu hal­ten.

»Mut­ti, dür­fen wir jetzt -- bit­te, bit­te, laß uns gleich Os­terei­er su­chen!«

Und kaum hat­te Mut­ti der klei­nen Un­ge­duld nur ein ganz klein we­nig zu­ge­nickt, bautz -- da lag Nest­häk­chen auch schon der Län­ge nach drin im Wohn­zim­mer un­term Sofa und stram­pel­te vor Auf­re­gung mit bei­den Bei­nen.

»Hur­ra -- hur­ra, drei Stück, halt, dort un­term No­ten­schrank ein ganz großes, da -- un­ter der Blu­men­trep­pe wie­der eins!« An­ne­ma­rie blieb in ei­nem Ju­bel. »Nein, Klaus, das hier habe ich zu­erst ge­se­hen, das ge­hört mir!« Dies­mal ging es ohne Kampf zwi­schen den bei­den ab, aber nur, weil der große Hans in­zwi­schen eif­rig wei­ter­such­te, und dem woll­ten die zwei doch nicht alle an­dern Eier über­las­sen.

Gera­de als An­ne­mie ein wun­der­hüb­sches grü­nes Nest mit klei­nen Mar­zi­pan­kü­ken be­wun­der­te, bei des­sen Auf­fin­den der gute Va­ter ein we­nig ge­hol­fen hat­te, und als er ihr vor­las, daß auf dem an­ge­hef­te­ten Zet­tel­chen stand: »Für un­ser Nest­häk­chen«, hör­te man ne­ben­an einen lau­ten Krach.

Klirr -- da lag Mut­tis schö­ne Vase in Scher­ben. Der un­ge­stü­me Klaus war mit dem Kopf da­ge­gen­ge­sto­ßen. Zur Stra­fe wur­de er vom Os­terei­er­su­chen aus­ge­schlos­sen und in sein Zim­mer ge­schickt.

Nest­häk­chen aber dach­te heim­lich: »Si­cher hat der Os­ter­ha­se das so ein­ge­rich­tet, weil Klaus ge­sagt hat, daß es gar kei­nen gibt.«

Doch An­ne­mie hat­te jetzt lan­ge nicht mehr die Freu­de an dem lus­ti­gen Su­chen wie vor­her, ob­gleich sie noch so vie­le schö­ne Eier fand, so­gar eins mit Mur­meln und eins mit Pup­pen­täß­chen ge­füllt. Sie muß­te im­mer­fort dar­an den­ken, wie trau­rig der arme Klaus jetzt wohl im Jun­gen­zim­mer sit­zen moch­te. Er tat ihr ganz schreck­lich leid, trotz­dem er doch stets mit ihr Streit an­fing.

Als kein Win­kel­chen mehr un­durch­stö­bert war, und An­ne­ma­rie in ih­rem Körb­chen fünf­zehn Os­terei­er zähl­te, eine gan­ze Man­del, wie Fräu­lein sag­te, schlich sie sich heim­lich in das Jun­gen­zim­mer.

Klaus saß an sei­nem Ar­beitspult und hat­te die Fäus­te in bei­de Au­gen ge­bohrt.

»Kläus­chen«, die Klei­ne kam schüch­tern nä­her, »sieh mal, wie­viel Os­terei­er ich habe, da, su­che dir wel­che da­von aus, weil ich doch sol­che Men­ge ge­fun­den habe.«

Der Jun­ge sah er­staunt auf. Zu­erst glaub­te er, An­ne­mie ma­che nur Spaß, aber als das gute Schwes­ter­chen ihm wirk­lich ihr Körb­chen hin­hielt, nahm er sich das Ei mit den Mur­meln her­aus und strei­chel­te An­ne­mies run­des Ge­sicht­chen.

»Du bist ein gu­ter Kerl!« sag­te er da­bei.

Nun erst hat­te Nest­häk­chen vol­le Freu­de an den Ga­ben des Os­ter­ha­sen, weil auch Klaus sich freu­en konn­te. Ju­belnd tanz­te das klei­ne Mäd­chen durch die gan­ze Woh­nung.

»Han­ne, ich habe eine gan­ze Man­del Os­terei­er ge­fun­den!« so klang es zur Kü­chen­tür hin­ein, und im nächs­ten Au­gen­blick sprang An­ne­mie der mit dem Be­sen vor­über­fe­gen­den Fri­da hucke­pack auf den Rücken: »Fri­da­chen, wenn Sie mich ein biß­chen mit der Tep­pich­ma­schi­ne aus­keh­ren las­sen, schen­ke ich Ih­nen eins von mei­nen fünf­zehn Os­terei­ern.«

Aber sie hat­te kei­ne Zeit mehr, Fri­das Ant­wort ab­zu­war­ten, denn Puck muß­te doch er­fah­ren, daß sie zehn Scho­ko­la­de­nei­er, vier aus Mar­zi­pan, eins mit Pup­pen­täß­chen, und dazu noch das süße Kü­ken­nest ge­fun­den hat­te. War der arme Wicht doch schon den gan­zen Mor­gen aus dem Zim­mer ge­sperrt wor­den, da­mit er nicht auf ei­ge­ne Faust Os­terei­er su­chen soll­te und sie am Ende gar be­le­cken.

»Puck­chen, sieh mal, was ich hier habe.« La­chend kau­er­te An­ne­ma­rie sich zur Erde und wies dem Hünd­chen ihre sü­ßen Schät­ze. Aber Nest­häk­chens La­chen wan­del­te sich plötz­lich in Wei­nen, denn der un­dank­ba­re Puck be­gnüg­te sich nicht mit An­schau­en -- schnapp -- hat­te er das größ­te Scho­ko­la­de­nei im Maul und ver­kroch sich da­mit un­ters Sofa.

»Du ab­scheu­li­cher Puck!« An­ne­mie ras­te wei­nend hin­ter ihm her, um ihm sei­nen Raub wie­der ab­zu­ja­gen.

Aber Bru­der Hans, der den küh­nen Dieb­stahl mit­an­ge­se­hen und sich die Sei­ten vor La­chen hielt, zog sie an ei­nem Wa­den­st­rümpf­chen wie­der un­ter dem Sofa her­vor.

»Laß der Hun­de­töle das Os­te­rei, An­ne­mie, du kannst es ja jetzt doch nicht mehr es­sen«, trös­te­te er.

Doch als Nest­häk­chens Trä­nen wei­ter­flos­sen, hol­te der gute Hans eins von sei­nen ei­ge­nen Os­terei­ern und leg­te es in Schwes­ter­chens Korb.

Nun war end­lich wie­der Son­nen­schein bei Klein-An­ne­ma­rie. Sporn­streichs ging es in die Kin­der­stu­be, um den Pup­pen ihre Os­terei­er zu zei­gen. Die fra­ßen ihr si­cher nichts weg.

Da klin­gel­te es.

Mut­ti hat­te streng ver­bo­ten, daß An­ne­mie selb­stän­dig die Ein­gangs­tür öff­ne­te, weil vie­le Pa­ti­en­ten zum Va­ter ka­men. Aber da das klei­ne Fräu­lein recht neu­gie­rig war, späh­te es durch den Tür­schlitz, durch den die Brie­fe ge­wor­fen wur­den. Da sah es denn einen dun­kel­grü­nen Da­men­man­tel und eine Hand mit ei­nem sil­ber­grau­en Täsch­chen, das ihr merk­wür­dig be­kannt vor­kam. Und da die Hand über­dies ein ver­hei­ßungs­vol­les Pa­ket hielt, frag­te Nest­häk­chen ganz lei­se durch die Tür:

»Wer ist da?«

»Der Os­ter­ha­se«, klang es eben­so lei­se mit ver­stell­ter Stim­me zu­rück.

»Fri­da -- schnell -- Fri­da, der Os­ter­ha­se ist drau­ßen!« Die Klei­ne konn­te es nicht er­war­ten, bis die Tür ge­öff­net wur­de.

Da stand zwar nicht der Os­ter­ha­se, aber eine, die An­ne­mie eben­so lieb war -- Groß­ma­ma.

»Gu­ten Tag, mein Herz­chen, warum läßt du denn den Os­ter­ha­sen nicht rein?« Zärt­lich hob Groß­ma­ma das fe­der­leich­te Din­gel­chen zu sich em­por.

»Weil Mut­ti es nicht er­laubt, und du ja auch gar kei­ner bist«, lach­te das En­kel­chen.

»So -- wenn ich kein Os­ter­ha­se bin, dann kann ich dir wohl auch kein Os­te­rei brin­gen?« Groß­ma­ma ver­steck­te scher­zend das Pa­ket auf dem Rücken.

»Ach, du bist mei­ne liebs­te, bes­te Os­ter­ha­sen-Groß­ma­ma, aber nun zei­ge mir auch, bit­te, bit­te, was in dem Pa­ket drin ist.« An­ne­mie un­ter­stütz­te ihre Bit­ten mit Strei­cheln und Küs­sen auf Groß­ma­mas grü­nem Man­tel.

Aber des­sen hät­te es gar nicht ein­mal be­durft, denn wer in Nest­häk­chens bet­teln­de Blau­au­gen sah, konn­te nicht wi­der­ste­hen, wenn er auch kei­ne Groß­ma­ma war.

Dau­er­te das lan­ge, bis das dum­me Pa­pier end­lich ab war. Ein großer Kar­ton kam zum Vor­schein. Halb ängst­lich, halb er­war­tungs­voll hob Nest­häk­chen den De­ckel.

»Eine Pup­pe -- eine Os­ter­ha­sen­pup­pe, ach, ist die süß!« An­ne­mie nahm die große Pup­pe, die ein wei­ßes Os­ter­ha­sen­käpp­chen mit ro­sa­sei­de­nen Ohren trug, glück­strah­lend aus der Schach­tel und gab ihr einen zärt­li­chen Will­kom­mens­kuß.

»Ich glau­be, du freust dich gar nicht mit dei­nem neu­en Töch­ter­chen, du hast am Ende schon zu­viel Kin­der!« neck­te Groß­ma­ma, als sie An­ne­mies Mut­ter­glück sah.

»Ach, Groß­mutt­chen, ich dan­ke dir tau­send­mal«, jetzt end­lich fand Nest­häk­chen auch Zeit, an Groß­ma­ma zum Dank em­por­zuan­geln, »das ist mein al­ler-, al­ler­schöns­tes Os­te­rei!« Glück­se­lig strei­chel­te sie die ro­ten Bäck­chen, die blon­den Löck­chen und das wei­ße Sti­cke­rei­kleid mit der rosa Schär­pe.

»Mut­ti, du hast ein neu­es En­kel­chen be­kom­men.« Mit der einen Hand zog An­ne­ma­rie Groß­ma­ma ins Zim­mer, mit der an­de­ren streck­te sie der Mut­ter das neu­ge­bo­re­ne Kind ent­ge­gen. Mut­ti wuß­te nicht, wen von bei­den sie zu­erst be­grü­ßen soll­te.

»Wie wird denn mein neu­es Uren­kel­chen hei­ßen?« frag­te Groß­ma­ma.

»Nen­ne es doch Ger­trud, nach Groß­ma­ma«, schlug Mut­ti vor.

»Ach nee, Ger­trud hei­ßen doch nur alte Da­men!« wand­te Nest­häk­chen ein.

»So nen­ne es Ger­da!« Mut­ti wuß­te doch im­mer einen Aus­weg.

Und da­bei blieb es. Ger­da wan­der­te auf An­ne­ma­ri­es Arm in die Kin­der­stu­be und wur­de Fräu­lein und sämt­li­chen Schwes­tern und Brü­dern vor­ge­stellt. In der Nacht aber durf­te sie bei ih­rer neu­en Mama im wei­ßen Kin­der­bett schla­fen, da die­se sich kei­ne Mi­nu­te von der Klei­nen tren­nen woll­te.

Baby war ab­ge­setzt -- und Ger­da war von nun an An­ne­mies Nest­häk­chen.

3. Kapitel. Wie es Puppe Gerda bei Nesthäkchen gefiel

Als Ger­da, das Pup­pen­kind, am nächs­ten Mor­gen ihre Schlaf­au­gen auf­schlug, schlief ihre neue klei­ne Mama noch. Neu­gie­rig sah Ger­da sich ihr Müt­ter­chen nä­her an. Mit ro­ten Bäck­chen lag es auf dem sti­cke­rei­be­setz­ten Kis­sen und lach­te im Schlaf. Ge­wiß träum­te es von dem neu­en Kin­de. Die hüb­sche klei­ne Mama ge­fiel dem Pup­pen­kin­de sehr, si­cher wür­de sie es gut bei ihr ha­ben. Ger­da nahm sich vor, im­mer brav zu sein und An­ne­mie nie zu är­gern. Dann aber fal­te­te sie ihre Zel­lu­loid­hän­de und flüs­ter­te: »Lie­ber Gott, ich dan­ke dir, daß du mich zu ei­nem so gu­ten Müt­ter­chen ge­bracht hast!«

Klein-An­ne­ma­rie schlief noch im­mer, und Pup­pe Ger­da be­gann sich all­mäh­lich zu lang­wei­len.

Surr -- surr -- da summ­te eine Flie­ge über dem Kin­der­bett und setz­te sich der Pup­pe ge­ra­de auf die Nase.

»Surr -- surr -- wie kom­men Sie denn hier­her, Fräu­lein?« be­gann die Flie­ge die Un­ter­hal­tung. »Ich woh­ne doch schon schreck­lich lan­ge, zwei gan­ze Tage, in der Kin­der­stu­be, aber Sie habe ich hier noch nicht er­blickt.«

»Ich bin erst ges­tern hier ein­ge­zo­gen«, ant­wor­te­te die Pup­pe schüch­tern und schiel­te herz­klop­fend auf ihre Nase. Denn sie hat­te in ih­rem Le­ben noch nie­mals eine Flie­ge ge­se­hen.

»Surr -- surr -- wo ha­ben Sie denn frü­her ge­wohnt?« er­kun­dig­te sich die Flie­ge.

»In ei­ner großen Papp­schach­tel, aber da war es lan­ge nicht so hübsch wie hier. Stock­dun­kel war es dar­in, und die Luft war auch nicht be­son­ders«, er­zähl­te Pup­pe Ger­da ein we­nig zu­trau­li­cher. Und da sie sah, daß die Flie­ge es gut mit ihr mein­te, setz­te sie noch hin­zu: »Ich habe es doch fein ge­trof­fen, daß ich hier­her ge­kom­men bin, nicht?«

»Sum -- sum«, sag­te die Flie­ge mal zur Ab­wechs­lung, leg­te eins der dün­nen Vor­der­bein­chen an die Stirn und dach­te nach. »Ja, es sind recht an­stän­di­ge Leu­te, sie gei­zen nicht mit Zucker­krü­mel­chen und hän­gen an die Kro­nen kei­ne heim­tücki­schen Leim­bän­der, an de­nen wir ar­men Flie­gen zap­pelnd un­ser Le­ben las­sen müs­sen. Sum -- sum.«

»Nicht wahr, die klei­ne An­ne­ma­rie ist gut?« frag­te die Pup­pe, denn das lag ihr mehr am Her­zen als Zucker­krü­mel und Leim­bän­der.

»Frei­lich«, surr­te es zu­rück, »die An­ne­mie tut kei­ner Flie­ge et­was zu­lei­de. Aber der Klaus, ihr äl­te­rer Bru­der, vor dem neh­men Sie sich in acht, Fräu­lein. Das ist der ge­fähr­lichs­te Mensch, den ich ken­ne. Wenn der Sie mal fängt, quetscht er Sie zu Ap­fel­mus, oder er reißt Ih­nen min­des­tens ein Bein aus. Mit mei­ner gu­ten, al­ten Tan­te hat er’s ge­ra­de so ge­macht, der Tu­nicht­gut!«

»Ich wer­de ihm mög­lichst aus dem Wege ge­hen«, nahm sich die Pup­pe furcht­sam vor. »Doch ich sah ges­tern abend noch einen jun­gen Herrn, treibt der’s auch so schlimm?«

»Sum -- sum -- wie man’s nimmt! Ganz so arg ist der Hans wohl nicht. Aber er hat manch­mal eine große, bau­chi­ge Glas­fla­sche in der Hand, da­mit rückt er uns ar­men Flie­gen zu Lei­be. Spi­ri­tus ist dar­in, der steigt uns so zu Kopf, daß wir ge­ra­des­wegs in die große Fla­sche hin­ein­flie­gen müs­sen. Und wer erst ein­mal drin ist, der kommt nicht wie­der her­aus, elen­dig­lich muß er in dem Spi­ri­tus er­sau­fen! Hü­ten Sie sich vor der Flie­gen­fla­sche, Fräu­lein, surr -- surr!« Die Flie­ge summ­te so laut vor Em­pö­rung, daß Nest­häk­chen sich zu be­we­gen be­gann.

Husch -- war das Flieg­chen auf und da­von und Pup­pe Ger­das Nase leer.

An­ne­ma­rie aber streck­te sich und reck­te sich, und dann schlug sie end­lich die Au­gen auf.

Gera­de als Pup­pe Ger­da über­leg­te, ob es nicht das ge­schei­tes­te wäre, vor den bö­sen großen Brü­dern Reiß­aus zu neh­men und da­von­zu­lau­fen, ehe An­ne­mie noch er­wach­te, fühl­te sie sich von zwei wei­chen Kin­der­ar­men in­nig um­schlun­gen. Ein ro­tes Münd­chen preß­te sich auf den ih­ren, und ein war­mes Herz­chen poch­te ge­gen ih­ren kal­ten Zel­lu­loid­kör­per. So lieb und zärt­lich, daß alle Angst vor dem fürch­ter­li­chen Klaus und vor der großen Flie­gen­fla­sche bei Ger­da ver­flog. Wohl be­hü­tet und ge­bor­gen fühl­te sich Pup­pe Ger­da bei ih­rem Müt­ter­chen.

»Gu­ten Mor­gen, mein ein­zi­ges Ger­da­chen -- hat mein Nest­häk­chen denn auch schön ge­schla­fen?« klang es ihr lie­be­voll ent­ge­gen.

Die Pup­pe nick­te, denn ihr Kopf war mit Gum­mischnur be­fes­tigt.

»Wol­len wir uns denn nun an­zie­hen und süße Zucker­milch trin­ken?« frag­te das sorg­sa­me Müt­ter­chen wei­ter.

Pup­pe Ger­da lä­chel­te er­freut. Sie hat­te schon großen Durst, und Zucker­milch war ihr Leib­ge­richt. Aber vor­läu­fig muß­te sie sich noch et­was ge­dul­den. Denn Fräu­lein trat ins Zim­mer, um erst mal An­ne­ma­rie auf­zu­neh­men.

Die schnitt ein Ge­sicht. Das dum­me An­zie­hen -- sie hat­te sich so dar­auf ge­freut, noch ein biß­chen mit ih­rer Ger­da im Bett zu spie­len.

Da neig­te sich Fräu­lein zu ihr her­ab und flüs­ter­te ihr et­was ins Ohr.

Das klei­ne Mäd­chen wur­de rot und sah ver­le­gen auf ihr Pup­pen­kind.

Hat­te es Ger­da auch bloß nicht ge­hört, was Fräu­lein so­eben ge­sagt hat­te? Ob sie sich denn gar nicht vor ih­rem neu­en Kin­de schä­me, und daß sie jetzt im­mer sehr ar­tig und ge­hor­sam sein müs­se, um ih­rer Ger­da ein gu­tes Bei­spiel zu ge­ben.

Nein, die Pup­pe mach­te ein ganz harm­lo­ses Ge­sicht und sah re­spekt­voll zu ih­rer klei­nen Mama auf.

Eins -- zwei -- drei -- war die aus den Fe­dern, Fräu­lein soll­te sie nicht um­sonst ge­mahnt ha­ben. Ger­da wur­de in die Bet­te­cke ge­gen das Sti­cke­rei­kis­sen ge­setzt und durf­te bei An­ne­mies Toi­let­te zu­gu­cken.

Und das war gut, denn An­ne­mie nahm sich vor ih­rem neu­en Kin­de zu­sam­men. Das soll­te doch nicht wis­sen, daß sei­ne Mama noch ab und an beim Wa­schen schrie, wenn das Was­ser mal be­son­ders naß war. Fest biß die Klei­ne die Zähn­chen zu­sam­men, daß ih­nen kein Laut ent­schlüpf­te, wäh­rend Fräu­lein den großen Schwamm in Be­we­gung setz­te und ek­lig rub­bel­te. Aber als Nest­häk­chen selbst beim Käm­men nur ein ein­zi­ges klei­nes »Au!« hö­ren ließ, trotz­dem der alte Kamm ge­ra­de heu­te tüch­tig ziep­te, schloß auch Fräu­lein Pup­pe Ger­da in ihr Herz. Denn die ganz al­lein hat­te das Wun­der zu­we­ge ge­bracht.

Ger­da moch­te sich von ih­rer klei­nen Mama nun auch nicht be­schä­men las­sen. Als An­ne­ma­rie end­lich Zeit fand, sie an­zu­klei­den, biß auch sie ihre nied­li­chen Por­zel­lan­zähn­chen fest zu­sam­men. Denn An­ne­mie rub­bel­te noch viel ek­li­ger als Fräu­lein und riß noch viel tol­ler an den gold­blon­den Flachs­här­chen. Aber nein -- nur nicht schrei­en, was hät­ten denn auch die an­de­ren Pup­pen bloß von ihr ge­dacht!

Die wa­ren dem neu­en An­kömm­ling so­wie­so nicht sehr freund­lich ge­sinnt.

»Ich will an­ge­zo­gen wer­den, ich muß in die Schu­le, sonst krie­ge ich einen Ta­del!« rief Iren­chen schon zum drit­ten­mal hin­ter der wei­ßen Mull­gar­di­ne ih­res Him­mel­bet­tes her­vor. Aber die Klei­ne hat­te heu­te nur Auge und Ohr für ihre Ger­da.

»An­ne­mie hat mir heu­te noch gar kei­nen Um­schlag auf mei­ne schlim­men Au­gen ge­macht, trotz­dem Dok­tor Puck es ver­ord­net hat«, jam­mer­te auch Ma­ri­ann­chen.

»Ja, sie hat sich heu­te über­haupt noch nicht um uns ge­küm­mert, aber den Zieraff mit dem blon­den Flachs­kopf, der erst ges­tern ge­kom­men ist, küßt sie in ei­nem­fort«, be­rich­te­te Iren­chen, durch die wei­ße Mull­gar­di­ne lu­gend, ei­fer­süch­tig. »Da­bei habe ich doch viel schö­ne­re und vor al­lem ganz ech­te Zöp­fe.«

»Wie sieht denn die Neue aus, ist sie denn we­nigs­tens hübsch?« er­kun­dig­te sich Ma­ri­ann­chen an­ge­le­gent­lich. Gar zu gern hät­te sie ihre ver­kleb­ten Au­gen auf­ge­macht, um Pup­pe Ger­da zu be­trach­ten.

»Ich fin­de, sie sieht recht ge­wöhn­lich aus«, mein­te Iren­chen ge­ring­schät­zig. »Rote Ba­cken hat sie wie ein Bau­er­mä­del; wenn man vor­nehm sein will, muß man so blaß sein wie ich!«

Auch in dem wei­ßen Pup­pen­wa­gen murr­te es.

Lolo, das Ne­ger­kind, hat­te mit der stei­fen Por­zel­lan­hand die Wa­gen­gar­di­ne ein we­nig zur Sei­te ge­scho­ben, um bes­ser se­hen zu kön­nen.

Un­er­hört war das doch, da wusch und kämm­te die klei­ne Pup­pen­ma­ma das Neu­ge­bo­re­ne, und sie selbst, die doch tau­send­mal schmut­zi­ger aus­sah und einen Struw­wel­kopf aus schwar­zer Wol­le hat­te, sie muß­te so lie­gen.

Aber plötz­lich schrie Lolo, die ein klei­nes Wut­teu­fel­chen war, er­bost los und tram­pel­te so­gar mit den Fü­ßen ge­gen die Wa­gen­wand.

»Mei­ne Spit­zen­schür­ze -- mein hüb­sches Sonn­tags­schürz­chen bin­det sie dem frem­den Balg um -- wirst du mir wohl mei­ne Schür­ze nicht mau­sen!« rief sie so laut, daß auch Baby ne­ben ihr im Steck­kis­sen die Äug­lein auf­mach­te und das Münd­chen wei­ner­lich ver­zog.

»Mama -- Mama«, rief Baby, »ich will mein Fläsch­chen mit sü­ßer Zucker­milch.«

Aber Klein-An­ne­ma­rie hör­te nicht das Wei­nen und Ru­fen ih­rer Kin­der. Die füt­ter­te ge­ra­de Pup­pe Ger­da mit der sü­ßen Zucker­milch, die ei­gent­lich Baby sonst be­kam.

»Schmeckt es dir, mein Ger­da­chen?« frag­te sie lie­be­voll und tat noch einen Löf­fel Zu­cker aus der Pup­pen­kü­che zu.

Die Pup­pe schüt­tel­te den Kopf.

Nein, es schmeck­te ihr gar nicht, trotz­dem sie Zucker­milch so gern trank, und trotz­dem An­ne­mie ihr schöns­tes rosa Täß­chen mit Gold­rand dazu ge­nom­men hat­te. Wie soll­te es der Ger­da auch mun­den, da Baby un­aus­ge­setzt nach ih­rer Zucker­milch schrie? Da Lolo im­mer noch über ihre ge­maus­te Sonn­tags­schür­ze schimpf­te, die An­ne­mie noch dazu mit Milch be­kle­ckert hat­te. Auch Iren­chen gab kei­ne Ruhe und rief in ei­nem­fort, daß sie heu­te be­stimmt in der Schu­le nach­blei­ben müs­se. Am liebs­ten hät­te sich Ger­da die Ohren zu­ge­hal­ten, um all die häß­li­chen Wor­te, die ihr gal­ten, nicht zu hö­ren. Aber das konn­te sie nicht, ob­gleich sie eine Ge­lenk­pup­pe war.

Sie mach­te sich steif und woll­te nicht mehr trin­ken, um dem ar­men, durs­ti­gen Baby noch ein biß­chen üb­rig­zu­las­sen. Aber An­ne­ma­rie war eine eben­so gute wie stren­ge Mut­ter.

»Wenn du nicht aus­trinkst, wirst du nicht groß und stark, mein Lieb­ling«, sag­te sie in dem­sel­ben be­stimm­ten Ton, mit dem Mut­ti sprach, wenn sie selbst mal nicht ih­ren Ka­kao trin­ken woll­te.

Da trank Pup­pe Ger­da ge­hor­sam ihr rosa Täß­chen aus, aber es schmeck­te ihr kein biß­chen.

Und als sie jetzt in den Pup­pen­stuhl ge­setzt wur­de, da ward sie auch dort ih­res Le­bens nicht froh. Aus der um­ge­kipp­ten Fuß­bank zu ih­ren Fü­ßen hob sich ein kurz­lo­cki­ger Pup­pen­jun­gen­kopf mit ei­nem großen Loch, und Kurt, der Nichts­nutz, bläk­te ihr die Zun­ge her­aus, so­weit er nur konn­te. Aber nur, weil An­ne­mie ge­ra­de aus dem Zim­mer ge­gan­gen war, um selbst ih­ren Ka­kao zu trin­ken.

Da kam das klei­ne Mäd­chen zum Glück zu­rück, und auch Fräu­lein mit An­ne­ma­ri­es blau­em Ma­tro­sen­man­tel und weißem Hüt­chen. Fräu­lein mach­te An­ne­mie zum Spa­zie­ren­ge­hen fer­tig, und das Pup­pen­müt­ter­chen setz­te ih­rer Ger­da die Os­ter­ha­sen­kap­pe mit den rosa Ohren auf.

»Nun bist du fein, mein Lieb­ling, nun wol­len wir in den Tier­gar­ten fah­ren.« Da­mit warf Nest­häk­chen Lolo aus ih­rem Pup­pen­wa­gen her­aus, und Baby wan­der­te hin­ter­drein auf die har­te Pup­pen­kom­mo­de. Nicht ein­mal, daß Ba­bys ge­strick­te Win­del­hös­chen naß wa­ren, sah die An­ne­ma­rie!

In den wei­ßen Wa­gen wur­de Ger­da ge­setzt. Sie wur­de sorg­sam mit der rosa Sei­den­de­cke zu­ge­deckt und be­kam Iren­chens schö­nen ro­ten Son­nen­schirm in die Hand. Noch auf der Trep­pe hör­te Ger­da das em­pör­te Iren­chen hin­ter sich her schimp­fen.

Da war ihr auch die Freu­de am Spa­zie­ren­ge­hen ge­stört.

Ihre klei­ne Mama aber schwatz­te und lach­te in ei­nem­fort. Die dach­te mit kei­nem Ge­dan­ken an die ar­men, ver­nach­läs­sig­ten Pup­pen­kin­der zu Hau­se. Sie zeig­te ih­rer neu­en Ger­da die Se­hens­wür­dig­kei­ten von Ber­lin: Den Por­tier vor der Haus­tür, der bei­nah so­viel war wie der Kai­ser, die tu­ten­den Au­tos, die Scho­ko­la­den­au­to­ma­ten und die gol­de­ne Pup­pe hoch oben auf der Sie­ges­säu­le.

»Nicht wahr, es ist fein auf der Welt?« frag­te sie ihre Pup­pe mit strah­len­dem Ge­sicht.

Die lä­chel­te ge­zwun­gen.

O ja, es konn­te ei­nem schon ge­fal­len, wenn nur die üb­ri­gen Pup­pen nicht so häß­lich zu ihr ge­we­sen wä­ren!

»Ei, An­ne­mie, hast du denn ganz ver­ges­sen, dei­ne an­de­ren Kin­der heu­te in ih­ren Gar­ten aus das Blu­men­brett zu schi­cken?« frag­te Fräu­lein, als sie wie­der nach Haus ge­kom­men wa­ren.

»Ach, die al­ten«, lau­te­te die gleich­gül­ti­ge Ant­wort, »ich habe ja jetzt ein neu­es, sü­ßes Nest­häk­chen!«

Das hör­te Mut­ti, die ge­ra­de ins Kin­der­zim­mer trat.

»Denk’ mal, Lot­te«, sag­te sie ernst, »wenn ich mich nicht mehr um Hans und Klaus küm­mern wür­de, weil ich ja dich, mein Nest­häk­chen, habe! Das wäre doch trau­rig für die bei­den, nicht?«

Die Klei­ne nick­te und wur­de rot. Dann griff sie still­schwei­gend nach ih­ren al­ten Pup­pen und spe­dier­te eine nach der an­de­ren in den Gar­ten auf das Blu­men­brett hin­aus, so­gar Kurt, den Sch­lin­gel. Aber die rech­te Lie­be fehl­te da­bei.

Auch als nach­mit­tags, wäh­rend An­ne­mie mit ih­rer Ger­da Groß­ma­ma be­such­te, ein Platz­re­gen her­nie­der­pras­sel­te, blie­ben die Ärms­ten da drau­ßen in dem Hun­de­wet­ter, und noch dazu ohne Schirm. Erst Fri­da, wel­che die Fens­ter schloß, brach­te die Pup­pen ganz durch­weicht wie­der in das Kin­der­zim­mer zu­rück. Iren­chen nies­te, sie hat­te sich einen tüch­ti­gen Schnup­fen ge­holt, Ma­ri­ann­chen zit­ter­te vor Käl­te, Lolo be­kam Schüt­tel­frost, Kurt klag­te über Glie­der­rei­ßen, und Baby hus­te­te.

Aber An­ne­mie, die sonst sol­che gute klei­ne Pup­pen­mut­ter ge­we­sen, sah sich nicht ein­mal nach ih­ren kran­ken Kin­dern um. Sie muß­te ja ih­rem Nest­häk­chen das Abend­brot be­rei­ten. Mut­tis Mah­nung war wie­der ver­ges­sen.

Ger­da al­lein ver­nahm das Nie­sen und Hus­ten, das Wei­nen, Jam­mern und Schimp­fen der ar­men Pup­pen.

»Die Neue muß wie­der aus dem Hau­se -- hat­schi -- hat­schi! So’n Kie­kin­die­welt -- so’n Drei­kä­se­hoch!« rä­so­nier­te Iren­chen. »Kaum hat sie ihre Nase hier in die Kin­der­stu­be ge­steckt, da hat sie uns auch schon An­ne­ma­ri­es Lie­be ge­stoh­len. Wir wol­len sie so lan­ge är­gern, bis sie Reiß­aus nimmt, die frem­de Krab­be -- hat­schi -- hat­schi.«

»Ich geh’ ja ganz von selbst«, woll­te Pup­pe Ger­da trau­rig ant­wor­ten, aber da schob ihr An­ne­mie ge­ra­de einen Bis­sen Ap­fel in den schon ge­öff­ne­ten Mund.

Am Abend, als die zwei, Nest­häk­chen und ihre Ger­da, wie­der zu­sam­men in dem wei­ßen Git­ter­bett­chen la­gen, wälz­te sich die Pup­pe ru­he­los hin und her. An­ne­mie schlief längst, aber die arme Ger­da fand kei­nen Schlum­mer.

Soll­te sie heim­lich da­von­lau­fen, da­mit Klein-An­ne­ma­rie sich wie­der um ihre an­dern Kin­der küm­mern konn­te? Ach, sie hat­te ja ihr Müt­ter­chen selbst schon so lieb, so lieb -- die Tren­nung brach ihr fast das Herz.

Laut auf schluchz­te die Pup­pe. An­ne­mie reg­te sich.

»Wa­rum weinst du, mein Lieb­ling?« frag­te sie im Traum.

»Ich muß wie­der fort von dir«, jam­mer­te Ger­da.

»Wes­halb denn bloß?« Ganz er­schreckt frag­te es Klein-An­ne­ma­rie. »War ich schlecht zu dir, war ich lie­der­lich mit dei­nen Sa­chen, oder habe ich dich am Ende zu sehr ge­ziept?«

»O nein«, flüs­ter­te die Pup­pe ihr ins Ohr, »du warst sehr gut ge­gen mich, viel zu gut! Aber du hast dei­ne an­dern Kin­der, die dich doch auch lieb­ha­ben, ganz über mich ver­ges­sen. Die sind trau­rig und schimp­fen auf mich, dar­um ist es das bes­te, ich gehe wie­der.« Eine Trä­ne kul­ler­te Ger­da über das Por­zel­lan­ge­sicht.

»Nein, nein -- ich las­se dich nicht weg«, rief An­ne­mie im Traum und preß­te ihr Nest­häk­chen fest ans Herz. »Ich will ja wie­der gut ge­gen mei­ne an­dern Pup­pen sein, Mut­ti hat ja auch all ihre Kin­der lieb. Nur blei­be du bei mir!«

Da nick­te Pup­pe Ger­da und lä­chel­te un­ter Trä­nen.

Und dann schlie­fen sie alle bei­de.

4. Kapitel. Wir reisen nach Amerika -- hurra!

Zwei Wo­chen war Pup­pe Ger­da nun schon bei ih­rer klei­nen Mama, und von Tag zu Tag ge­fiel es ihr bes­ser.

An­ne­ma­rie hat­te ge­hal­ten, was sie ih­rer Pup­pe im Trau­me ver­spro­chen: sie war auch für ihre an­dern Kin­der wie­der ein gu­tes, treu­sor­gen­des Müt­ter­chen ge­wor­den. Die Pup­pen wa­ren voll Dank­bar­keit ge­gen sie, und sie über­tru­gen die­se auch auf Ger­da. Ob sie das nächt­li­che Ge­spräch der bei­den be­lauscht hat­ten, oder ob Pup­pe Ger­das Be­schei­den­heit und Freund­lich­keit ihr das Herz der an­dern fünf ge­won­nen, dar­über äu­ßer­ten sie sich nicht.

So war wie­der Frie­den in die Kin­der­stu­be ein­ge­kehrt, alle hat­ten sie die gute Ger­da lieb­ge­won­nen, und die­se hät­te ganz glück­lich in ih­rer neu­en Hei­mat sein kön­nen, wenn -- ja wenn es nicht einen im Hau­se ge­ge­ben hät­te, vor dem sie ganz schreck­li­che Angst ge­habt hät­te. Das war nicht etwa Puck, trotz­dem sie den klei­nen Vier­füß­ler auch stets miß­trau­isch von der Sei­te an­blick­te. So­gar, wenn er ihr die Hand leck­te, um sei­ne freund­schaft­li­che Ge­sin­nung kund­zu­tun, sah sie ängst­lich nach, ob er ihr auch kei­nen Fin­ger ab­ge­bis­sen.

Das war auch nicht Bru­der Hans mit der großen Flie­gen­fla­sche. Die konn­te Ger­da nicht ban­ge ma­chen, sie war ja viel, viel grö­ßer als die! Und Hans hat­te sie und ihre klei­ne Mama neu­lich freund­lich ge­strei­chelt und hat­te ih­nen al­len bei­den Hel­me aus Zei­tungs­pa­pier ge­macht.

O nein, vor de­nen hat­te Ger­da kei­ne Angst. Ihre Furcht galt ein­zig und al­lein demje­ni­gen, vor dem die Flie­ge sie gleich am ers­ten Mor­gen ge­warnt hat­te: dem acht­jäh­ri­gen Klaus, dem ge­fähr­lichs­ten Men­schen auf Er­den.

So­bald der die Kin­der­stu­be be­trat, hät­te sich die Pup­pe am liebs­ten in den äu­ßers­ten Win­kel ver­kro­chen, denn es gab je­des­mal Streit und Ge­schrei.

Gleich der Empfang war we­nig ver­hei­ßungs­voll. Als Klaus die neue Pup­pe er­blick­te, ver­ab­folg­te er ihr erst als Will­kom­mens­gruß einen Na­sen­stü­ber. Da­rauf setz­te er sie auf sein großes Schau­kel­pferd und ließ es in solch ra­sen­dem Ga­lopp lau­fen, daß der ar­men Ger­da Hö­ren und Se­hen ver­ging. Sie wäre un­fehl­bar her­ab­ge­stürzt und hät­te sich das Ge­nick ge­bro­chen, wenn nicht ihr Müt­ter­chen An­ne­ma­rie sie mit lau­tem Ge­schrei er­ret­tet hät­te.

Ein an­der­mal war es ihr noch viel schlim­mer er­gan­gen. All sei­ne Sol­da­ten mit Pfer­den und Ka­no­nen hat­te der Bö­se­wicht ge­gen das Pup­pen­kind auf­mar­schie­ren las­sen.

»Feu­er!« kom­man­dier­te er mit Feld­herrn­stim­me, die Pup­pe Ger­da durch Mark und Bein drang. Da don­ner­ten die Ka­no­nen, und die Pa­pier­ku­geln pfif­fen dem ver­ängs­tig­ten Pup­pen­kind nur so um den Kopf.

»Ich bin tot -- mau­se­tot ge­schos­sen!« rief sie und ver­lor die Be­sin­nung.

So fand An­ne­ma­rie ihr Nest­häk­chen, und ihre Küs­se und Trä­nen brach­ten die Lo­cken­pup­pe wie­der zu sich. Die Sol­da­ten mit ih­ren fürch­ter­li­chen Ka­no­nen wa­ren ab­mar­schiert, aber der Krieg war des­halb noch nicht aus. Nein, der tob­te nur um so tol­ler, und zwar zwi­schen Klaus und An­ne­ma­rie. Mit ge­ball­ten Fäus­ten ver­tei­dig­te die Klei­ne ihr Pup­pen­kind, bis Fräu­lein da­zu­kam und den Stö­ren­fried Klaus aus der Kin­der­stu­be be­för­der­te.

Nun zit­ter­te Ger­da, so­bald sie nur die Stim­me des wil­den Jun­gen von fer­ne hör­te. --

Fri­da mach­te das Wohn­zim­mer rein, und An­ne­ma­rie half. Na­tür­lich muß­te Pup­pe Ger­da auch da­bei sein. Die saß auf dem Sofa wie eine Dame und sah zu, ob die bei­den auch ihre Sa­che gut­mach­ten.

Fri­da rieb die Fens­ter blank, und das klei­ne Mäd­chen klopf­te mit ih­rem Pup­pen­klop­fer die Ses­sel. Lus­tig tanz­te der Klop­fer auf den Pols­tern her­um -- bum -- bum -- bum­bum­bum -- das mach­te Spaß! Be­son­ders weil Ger­da so be­wun­dernd zu­schau­te.

Aber nach ei­nem Weil­chen fand An­ne­ma­rie es noch lus­ti­ger, Fens­ter zu put­zen wie Fri­da. Das nas­se Le­der quietsch­te so wun­der­schön auf den Schei­ben.

»Bit­te, Fri­da­chen, wir wol­len tau­schen. Ich put­ze die Fens­ter und Sie klop­fen die Mö­bel«, schlug die Klei­ne vor.

»Be­wah­re, An­ne­mie­chen, du fällst aus dem Fens­ter -- den­ke mal, zwei Trep­pen hoch, da kommst du nicht le­ben­dig un­ten an«, sag­te das Mäd­chen er­schro­cken.

»Der Por­tier wür­de mich schon auf­fan­gen, wenn er ge­ra­de un­ten im Gar­ten ist«, mein­te die Klei­ne.

»Er ist aber nicht da«, da­mit ließ Fri­da ihr Le­der wei­ter quiet­schen.

»Und der lie­be Gott wür­de schon auf mich auf­pas­sen, daß ich nicht raus­fal­le«, über­leg­te An­ne­ma­rie wei­ter.

»Der lie­be Gott hat so­viel zu tun, der kann nicht auch noch auf je­des un­vor­sich­ti­ge klei­ne Mäd­chen acht ha­ben«, sag­te Fri­da und rieb die Schei­be blank.

»Der lie­be Gott kann al­les zu glei­cher Zeit se­hen, der hat vorn und hin­ten Au­gen, nicht wahr, Ger­da?« rief die Klei­ne eif­rig. Die Pup­pe nick­te mit dem Kopf -- ja, das war auch ihre An­sicht.

Aber daß An­ne­ma­rie nicht auf das Fens­ter­brett klet­tern soll­te, dar­in stimm­te Pup­pe Ger­da wie­der mit Fri­da über­ein. Es fiel ihr or­dent­lich ein Zent­ner­ge­wicht vom Her­zen, als Fri­da vor­schlug: »Weißt du, An­ne­mie­chen, keh­re lie­ber den Tep­pich mit der Tep­pich­ma­schi­ne ab.«

Das leuch­te­te auch An­ne­mie ein. Die Tep­pich­ma­schi­ne quiek­te noch viel schö­ner als das Fens­ter­le­der, denn sie war lan­ge nicht ge­ölt.

Rrrrrr -- ging es über den blau­en Tep­pich, die Ma­schi­ne rum­pel­te, quietsch­te und pfiff, und An­ne­mie ju­bel­te.

Rrrrrrr -- zehn­mal im Kreis her­um, da mach­te die Klei­ne end­lich halt.

»Willst du mit­fah­ren, Ger­da?« frag­te sie das er­war­tungs­voll da­sit­zen­de Pup­pen­kind.

Das streck­te ihr bei­de Arme ent­ge­gen.

Eine Se­kun­de spä­ter saß Ger­da auf dem brau­nen Rum­pel­kas­ten.

»Jetzt fährst du Kar­re­sell, hal­t’ dich fest, mein Lieb­ling!« rief An­ne­mie, und da ging es auch schon los.

Ger­da hät­te ih­rer klei­nen Mama gern ge­sagt, daß es Ka­rus­sell hieß, aber sie hat­te ge­nug da­mit zu tun, sich fest­zu­hal­ten und nicht her­un­ter­zu­pur­zeln.

Rrrrrr -- zehn­mal im Kreis her­um, da stand das Ka­rus­sell end­lich still.

»Das war fein!« An­ne­ma­rie und Ger­da sa­hen sich bei­de mit glän­zen­den Au­gen an.

»Wol­len wir nun mal nach Ame­ri­ka fah­ren, Ger­da­chen?«

Die Pup­pe mach­te ein er­schro­cke­nes Ge­sicht. Sie hat­te Angst, see­krank zu wer­den.

»Ach, du fürch­test dich wohl so ganz al­lein auf dem großen Schiff, du Dumm­chen?« lach­te ihr Müt­ter­chen. »Na war­te, ich hole dir Ge­sell­schaft.« Da­mit war An­ne­ma­rie auch schon zur Tür hin­aus. Aber es dau­er­te nicht lan­ge, da er­schi­en sie wie­der, in dem einen Arm Iren­chen und Ma­ri­ann­chen, in dem an­dern Lolo und Kurt, und in der zu­sam­men­ge­raff­ten Schür­ze noch das stram­peln­de Baby.

»So«, sag­te sie, »die Herr­schaf­ten wol­len alle auch mit nach Ame­ri­ka fah­ren, bit­te, neh­men Sie Platz, mei­ne Da­men. Fräu­lein Ger­da und Fräu­lein Iren­chen ers­ter Klas­se.« Da­mit setz­te sie die bei­den auf die eine Sei­te der Tep­pich­ma­schi­ne und Lolo nebst Ma­ri­ann­chen auf die an­de­re, in die zwei­te Klas­se. Iren­chen, als Äl­tes­te, be­kam das Baby auf den Schoß.

»Ich bin der Herr Ka­pi­tän und du, Kurt, kannst Steu­er­mann sein, stel­le dich hier an den Mast­baum des Schif­fes«, da­mit band An­ne­mie den Pup­pen­jun­gen mit ih­rem blau­en Haar­band an den brau­nen Holz­stiel der Tep­pich­ma­schi­ne.

»Ha­ben Sie alle Fahr­kar­ten, mei­ne Herr­schaf­ten? Na, denn kann die Rei­se ja los­ge­hen. Der blaue Tep­pich ist das Meer oder viel­mehr der große Oze­hahn -- ich habe erst ges­tern ge­hört, wie Hans das für die Geo­gra­phie­stun­de ge­lernt hat«, sag­te der Herr Ka­pi­tän wür­de­voll zu sei­nen Pas­sa­gie­ren.

»Es heißt Ozean und nicht ›hahn‹«, woll­te Iren­chen, die schon in die Schu­le ging und schreck­lich klug war, den Herrn Ka­pi­tän be­leh­ren.

Aber da tu­te­te das Schiff be­reits -- »tu--u--u--t«, die Ma­schi­ne rum­pel­te, quiek­te und pfiff, und der Herr Ka­pi­tän schrie: »Wir fah­ren nach Ame­ri­ka -- hur­ra!«

Mit­ten durch das blaue Meer ging die Rei­se. Das stol­ze Schiff schau­kel­te und schwank­te so sehr, daß die Rei­sen­den ei­ner auf den an­dern pur­zel­ten.

»Wir rei­sen nach Ame­ri­ka -- hur­ra!« Der Ka­pi­tän kämpf­te wa­cker ge­gen Sturm und Wo­gen. Fri­da aber stand auf der Tritt­lei­ter am Ufer, wie auf ei­nem ho­hen Leucht­turm, und hielt sich die Sei­ten vor La­chen.

Den Pas­sa­gie­ren dreh­te sich das Herz im Lei­be her­um bei der ge­fähr­li­chen Fahrt. Ger­da ward es schwarz vor den Au­gen, Ma­ri­ann­chen wur­de kreu­ze­lend, und Iren­chen sah noch blas­ser aus als sonst, denn es war ihr schreck­lich übel. Aber im­mer wei­ter ging’s -- »wir rei­sen nach Ame­ri­ka -- hur­ra!«

»Mann über Bord!« schrie Fri­da plötz­lich vom Leucht­turm her­ab, wäh­rend Iren­chen ent­setzt die Hän­de hin­ter ih­rem ins Meer ge­fal­le­nen Baby her­streck­te. Kurt, der mu­ti­ge Steu­er­mann, sprang, da das blaue Haar­band, mit dem er fest­ge­bun­den, in­zwi­schen ge­rutscht war, be­herzt hin­ter­drein. Aber der Herr Ka­pi­tän ließ sie alle bei­de er­trin­ken. Denn das ge­hört zu ei­ner rich­ti­gen Rei­se nach Ame­ri­ka.

In der Tür er­schi­en, an­ge­lockt von dem La­chen und Ju­bel, neu­gie­rig Puck.

»Willst du mit nach Ame­ri­ka rei­sen, Puck­chen? Dann darfst du mein neu­er Steu­er­mann sein!« Ehe das Zwerg­hünd­chen noch »Ja« oder »Nein« hät­te bel­len kön­nen, hat­te der Herr Ka­pi­tän es auch schon beim Wi­ckel und auf sei­nen neu­en Pos­ten, an den Mast­baum, ge­stellt.

»Wir rei­sen nach Ame­ri­ka -- hur­ra!«

»Wau -- wau!« blaff­te der neue Steu­er­mann wü­tend da­zwi­schen, denn es dünk­te ihn höchst un­ge­müt­lich auf dem schwan­ken­den Schiff.

Pup­pe Ger­da, die sich schon seit ge­rau­mer Zeit see­krank fühl­te und die Au­gen, weil ihr so elend war, ge­schlos­sen hielt, blin­zel­te ängst­lich zu dem kläf­fen­den Steu­er­mann hin.

»Lie­ber Gott, daß er mich nur nicht beißt!« flüs­ter­te sie.

Bums -- da war das Schiff ge­gen ein Fel­sen­riff, den Ei­mer, ge­fah­ren und wäre bei ei­nem Haar ge­schei­tert.

Der ge­wis­sen­lo­se Steu­er­mann ließ sei­nen Pos­ten im Stich und ret­te­te sich mit ei­nem er­schreck­ten »Wau -- wau« ans Ufer. Die Pas­sa­gie­re aber, Fräu­lein Ger­da, Fräu­lein Iren­chen und Ma­ri­ann­chen, stürz­ten sich kopf­über in die blau­en Flu­ten. Nur Lolo, das Ne­ger­kind, reis­te jetzt noch ein­sam auf dem großen Schif­fe wei­ter nach Ame­ri­ka.

Da ka­men Hans und Klaus aus der Schu­le. Als die das Schwes­ter­chen bei ih­rem lus­ti­gen Spiel sa­hen, schlug Hans vor: »Komm, An­ne­mie, ich ma­che dir noch ein Schiff aus Pa­pier, das bin­dest du dann als Ret­tungs­boot hin­ten an!«

»Ach ja, Häns­chen«, ju­bel­te An­ne­ma­rie und lief hin­ter dem großen Bru­der her.

Klaus ließ sei­ne Au­gen in­zwi­schen über die ver­un­glück­te Be­sat­zung des Schif­fes schwei­fen. Pup­pe Ger­da bib­ber­te schon an al­len Glie­dern, weil sie den ge­fähr­li­chen Klaus nur im Zim­mer wuß­te. Wie aber wur­de ihr erst zu­mu­te, als sie sich von tin­ten­be­schmier­ten Jun­gen­hän­den plötz­lich roh am Arm em­por­ge­zerrt fühl­te!

»Him­mel, jetzt murkst er mich ab!« dach­te sie herz­klop­fend.

Die Lei­ter, die Fri­da so­eben ver­las­sen hat­te, um fri­sches Was­ser zu ho­len, klet­ter­te der Nichts­nutz mit der ar­men Pup­pe em­por. Im­mer hö­her und hö­her ging es -- »will er mich etwa gleich selbst in den Him­mel be­för­dern?« kaum ver­moch­te die Pup­pe vor Auf­re­gung noch die­sen Ge­dan­ken zu fas­sen.

Aber jetzt wur­de halt­ge­macht. Wupp -- da saß die vor Angst halb­to­te Ger­da hoch oben auf dem Ofen, der noch dazu an dem kal­ten April­ta­ge ge­heizt war.

»Au -- ich hab’ mich ver­brannt!« schrie Pup­pe Ger­da, aber hohn­la­chend rutsch­te der wil­de Klaus die Lei­ter her­un­ter.

Wei­nend thron­te die Pup­pe auf ih­rer ein­sa­men Höhe.

»Ach Gott -- ach Gott, wie soll mich mein Müt­ter­chen bloß je im Le­ben hier wie­der­fin­den?«

Da kam An­ne­ma­rie glück­strah­lend mit ih­rem Ret­tungs­boot zu­rück. Sie band es an die Tep­pich­ma­schi­ne und fisch­te die Er­trun­ke­nen wie­der aus dem Ozean her­aus.

»Nanu, wo ist denn mein Ger­da­chen hin­ge­kom­men?« ver­wun­der­te sie sich. »Habt ihr Ger­da nicht ge­se­hen?« wand­te sie sich an die üb­ri­gen Fahr­gäs­te.

Iren­chen wies mit dem aus­ge­streck­ten Arm in die Rich­tung des Ofens, aber die Klei­ne ach­te­te nicht dar­auf. Auch nicht auf das fei­ne, wei­nen­de Pup­pen­stimm­chen, das sie von oben rief. Sie stürz­te in die Jun­gen­stu­be, denn sie ahn­te so­gleich den Tä­ter.

Dort saß Klaus mit dem harm­lo­ses­ten Ge­sicht der Welt und mach­te sei­ne Re­chen­auf­ga­ben.

»Klaus, hast du mei­ne Ger­da ge­nom­men?« frag­te sie kampf­be­reit.

»Laß mich mit dei­ner dum­men Pup­pe in Frie­den«, brumm­te der und steck­te die Nase noch tiefer ins Buch.

Die Klei­ne hielt es für ge­ra­ten, an­de­re Sai­ten auf­zu­zie­hen.

»Kläus­chen, lie­bes, gu­tes Kläus­chen, ach, gib mir doch mei­ne klei­ne Ger­da wie­der!« bet­tel­te sie.

»Such’ sie dir«, brumm­te der Pup­pen­räu­ber.

»Also du hast sie ge­nom­men, du ab­scheu­li­cher Jun­ge, na war­te!« An­ne­ma­ri­es schon zum Bo­xen er­ho­be­ne Ärm­chen san­ken aber wie­der her­ab. Sie jag­te aus dem Zim­mer, die Mut­ter­lie­be war stär­ker als die Rauf­lust.

»Sie ist nach Ame­ri­ka ge­schwom­men, wenn sie nicht un­ter­wegs ein Hai­fisch ver­schluckt hat«, rief der un­ge­zo­ge­ne Klaus noch hin­ter dem Schwes­ter­chen her.

Im Wohn­zim­mer durch­such­te An­ne­ma­rie in Ge­mein­schaft mit Fri­da je­den Win­kel. Ger­da blieb ver­schwun­den. Bit­ter­lich wei­nend stand die klei­ne Pup­pen­mut­ter un­ten, wäh­rend oben auf dem Ofen ihr Kind eben­so bit­ter­lich wein­te.

Da rief Fri­da, wel­che die Kro­nen­glo­cken säu­ber­te, plötz­lich von der Lei­ter her­ab: »Ich sehe sie -- da guckt ein Bein über den Ofen­rand -- na, hof­fent­lich ist sie nicht aus Wachs, sonst ist die da oben be­stimmt ge­schmol­zen.«

Sie rück­te die Lei­ter an den Ofen und ret­te­te das arme Pup­pen­kind vor dem Ver­bren­nungs­tod. Das Herz klopf­te der klei­nen An­ne­ma­rie in­zwi­schen bis in den Hals hin­ein.

Lie­ber Gott -- wür­de ihre Ger­da, ihr sü­ßes Nest­häk­chen, auch nicht ge­schmol­zen sein -- oder am Ende gar so braun­ge­brannt wie die Ne­ger­pup­pe?

Da hielt sie ihr Kind end­lich wie­der im Arm, fest, ganz fest. Nein, es war noch ge­nau so schön, wie vor­her, nur ein biß­chen er­hitzt fühl­te es sich an. Se­lig küß­ten sich die bei­den, als ob Ger­da wirk­lich aus Ame­ri­ka an­ge­reist ge­kom­men wäre.

Von nun an aber hat­te Pup­pe Ger­da noch viel, viel grö­ße­re Angst vor dem bö­sen Klaus.

5. Kapitel. Nesthäkchen macht schlechtes Wetter

Die Bäu­me im Tier­gar­ten hat­ten ihr neu­es, hell­grü­nes Mai­kleid an­ge­legt, die Vö­gel­chen pfif­fen und flö­te­ten ihre Früh­lings­lie­der, herr­lich blüh­te der Flie­der. Auf den Bäu­men krab­bel­te es von Mai­kä­fern, und auf den Spiel­plät­zen von klei­nen Bu­ben und Mä­deln.

Aber so lus­tig es auch im Tier­gar­ten war, es kos­te­te An­ne­ma­rie je­des­mal einen Kampf, von Hau­se fort­zu­ge­hen, denn dort war es jetzt noch tau­send­mal lus­ti­ger. Da wur­de der alte, häß­li­che Win­ter­staub aus al­len Ecken und Win­keln ge­jagt, mit großen Be­sen und Scheu­er­bürs­ten und wah­ren Flu­ten von Sei­fen­was­ser. Han­ne und Fri­da, die hat­ten es gut. Die brauch­ten nicht mit Fräu­lein in den ol­len Tier­gar­ten spa­zie­ren­zu­ge­hen, die durf­ten den gan­zen Tag nach Her­zens­lust klop­fen, bürs­ten und fe­gen, sei­fen und pan­schen. Ach, wie An­ne­mie die bei­den be­nei­de­te! Be­son­ders da Mut­ti auch meis­tens da­bei half.