EMMA (Mit Illustrationen) - Natalie Woillez - E-Book

EMMA (Mit Illustrationen) E-Book

Natalie Woillez

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Beschreibung

In 'EMMA (Mit Illustrationen)' von Natalie Woillez taucht der Leser ein in eine faszinierende Welt voller Geheimnisse und Magie. Das Buch erzählt die Geschichte von Emma, einer jungen Frau, die durch einen Zufall in eine Parallelwelt gelangt, in der alles möglich scheint. Mit einer poetischen und einfühlsamen Sprache entführt die Autorin den Leser in eine träumerische Realität, die gleichzeitig tiefgründige Themen wie Identität und Selbstfindung behandelt. Die Illustrationen sorgen für eine zusätzliche visuelle Ebene, die die fesselnde Atmosphäre des Buches verstärkt und den Leser noch tiefer in die Geschichte eintauchen lässt. Natalie Woillez vereint in 'EMMA' Fantasie und Realität auf beeindruckende Weise und schafft damit ein Buch, das sowohl zum Träumen als auch zum Nachdenken anregt. Durch ihre einzigartige Erzählweise und die kreative Gestaltung des Buches hebt sich Woillez von anderen Autoren ab und beweist ihr Talent und ihre Vielseitigkeit. 'EMMA (Mit Illustrationen)' ist ein Buch, das sowohl Liebhaber von Fantasy-Geschichten als auch anspruchsvolle Leser begeistern wird. Tauchen Sie ein in die Welt von Emma und lassen Sie sich von Natalie Woillez in eine faszinierende und unvergessliche Geschichte entführen.

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Natalie Woillez

EMMA

(Mit Illustrationen)

Der weibliche Robinson

Books

- Innovative digitale Lösungen & Optimale Formatierung -
2017 OK Publishing
ISBN 978-80-272-1195-1

Inhaltsverzeichnis

Erstes Kapitel.
Zweites Kapitel.
Drittes Kapitel.
Viertes Kapitel.
Fünftes Kapitel.
Sechstes Kapitel.
Siebentes Kapitel.
Achtes Kapitel.
Neuntes Kapitel.
Zehntes Kapitel.
Eilftes Kapitel.
Zwölftes Kapitel.

Erstes Kapitel.

Inhaltsverzeichnis

Wachet, Eltern, mit Sorgfalt über die erste Erziehung eurer Kinder; diese zarten Pflanzen tragen einst Früchte, und diese Früchte werden eure Freude.

Der Aufstand der Neger gegen die Weißen, der im Jahre 1791 in St. Domingo ausbrach, hatte auch Herrn vonSurvillegenöthigt, seine schöne Besitzung die er ererbt, und in einem Zeitraume von zehn Jahren zu einer der blühendsten in der Umgegend erhoben hatte, der Wuth seiner zahlreichen Sklaven Preiß zu geben.

Ein Flüchtling vom heimathlichen Boden, die Erinnerung an die blutigen Scenen, deren Zeuge er gewesen war, im gebeugten Herzen, und ohne eine andere Unterstützung als eine gute Erziehung und gründliche Kenntniß des Ackerbaus, kam er nach Frankreich, um die Hülfe einiger alten Freunde seiner Familie anzusprechen, welche ihm auch eine Stelle als Verwalter eines, von seinem Eigenthümer schon lange vernachläßigten, herrschaftlichen Gutes unfern Blois verschafften.

Schwerlich hätte Herr von Surville, nach dem Unglück, das ihn betroffen hatte, eine seinem Geschmacke und seinen Gewohnheiten mehr zusagende Lage finden können. Da das ihm übertragene Gut sehr vernachläßigt war, und von seinem Herrn beinahe nie besucht wurde, so blieb ihm freie Hand, jede nützliche Verbesserung zu treffen, so daß er sich bald, in angenehmer Selbsttäuschung, mitten in seine reichen Pflanzungen auf St. Domingo zurückversetzt glauben konnte. Ein Neger, mit Namen Dominicho, sein Retter im Augenblicke der Gefahr, der ihm nach Frankreich gefolgt war, erhöhte noch diese Täuschung, indem er keine Mühe sparte, um den weitlaufen Garten des Schlosses, welche seiner Aufsicht anvertraut waren, jenen ähnlich anzupflanzen, welche einst die lachend« Wohnung seines Herrn umgeben hatten.

Dieser heirathete eine junge Waise, welche, wie er, vom heimathlichen Boden vertrieben war, und wenn auch diese Verbindung seine Glücksumstände nicht verbesserte, so verscheuchte sie doch alle traurigen Erinnerungen und machte den lieblichsten Hoffnungen Platz. So erschöpft sich das Leben in Extremen, welche die Zukunft bald in die düstersten Farben, bald im Glanze des schönsten Tages zeigen.

In seinen Mitteln sich für gesichert haltend, und als Gatte des liebenswürdigsten, tugendhaftesten Weibes, vergaß Herr von Surville beinahe, daß ein Unglück ihn bereits betroffen habe, und ein anderes ihn noch treffen könne: ach, es ist so süß, an die Dauer des gegenwärtigen Glücks zu glauben! Doch das seine sollte nur Augenblicke währen. Nach einem Jahre starb seine Frau an der Geburt einer Tochter, die sie kaum noch segnend an ihre Brust drücken konnte, und der unglückliche Vater, gebeugt von der Gewalt dieses neuen Schlages, erkrankte so schwer, daß man beinahe ein ganzes Jahr hindurch das unschuldige Geschöpf von ihm entfernt halten mußte, das dem Gegenstande seiner Zärtlichkeit das Leben gekostet hatte.

So ward Emma, dieß ist der Name, den er seinem Kinde gab, schon von ihrer Geburt an zu jener traurigen Abgeschiedenheit verurtheilt, welche die Vorsehung ihr zum Loos bestimmt hatte, und wenn es wirklich wahr ist, was nur schwer sich bezweifeln läßt, daß die Eindrücke nie verschwinden, welche das Herz in zarter Kindheit empfieng, so mußte ihr Charakter nothwendig jene schwermüthige Färbung annehmen, welche die ersten Tage ihres Lebens bezeichnet.

Um durch ihre Gegenwart ihres Vaters Verzweiflung nicht zu steigern, ward sie von den Aerzten in ein abgelegenes Gartenhaus verbannt, wo Niemand um sie war, als eine Bäuerin und ein armer, häßlicher, grämlicher Neger. Ihre Amme, über welche Dominicho die Aufsicht führte, befriedigte zwar alle ihre Bedürfnisse, aber diese Frau, welche nur der Reiz einer großen Belohnung vermocht hatte, sich ihren eigenen Kindern zu entziehen, reichte ihrem Säuglinge nur ungerne die Brust, die von rechtswegen ihrem Jüngstgebornen gehört hätte. So war ihre Sorgfalt für Emma fern von jener zarten, mütterlichen Bekümmerniß, welche so nothwendig ist, zur glücklichen Entwicklung des Kindes. Keine Liebkosung, kein Lächeln erfreute die arme Kleine; alles um sie her war kalt und traurig; der Tod, der bei ihrer Geburt schon den Vorsitz geführt hatte, schien sie für immer in seine düstern Schatten gehüllt zu haben.

Der gute Schwarze, dessen kummervolles Gesicht und häßliche Züge das Kind anfänglich zum Weinen brachten, wachte nichts desto weniger mit väterlichem Interesse für dasselbe, und war untröstlich, seinem unglücklichen Herrn das einzige Wesen nicht nahe bringen zu dürfen, das ihn noch an das Leben zu ketten vermochte.

»Herr nicht immer so bleiben, schluchzte er oft an Emmas Wiege, nicht möglich seyn, oder Dominicho vor Schmerzen sterben . . . . . Arme Kleine! so sanft, so schön, ihrer Mutter so ähnlich, ein großer Trost für ihn seyn; Kind immer so wohl thun des Vaters Herzen. Ich ihm zeigen, gewiß ihm zeigen, und er mir nachher danken!«

So entwarf Dominicho tausend Pläne, um das liebliche Kind, dem er selbst so sehr zugethan war, ihrem Vater vor Augen zu bringen.

Dennoch giengen auf diese Weise zehn Monate hin, ohne daß er es gewagt hätte, die Vorschriften der Aerzte zu überschreiten, welche jeden Tag das Verbot erneuerten, von ihrem Kranken, dessen Organe durch den ungeheuern Schmerz den er erlitten, auf‘s Aeußerste angegriffen waren, Alles zu entfernen, was seine Ruhe hätte stören können.

Indessen war Emma, die anfangs sehr schwächlich gewesen war, ein gesundes und blühendes Kind geworden; ihre Kräfte wuchsen zusehends, und ihre Glieder bekamen eine Stärke und Rundung, die sie gewiß auch Dominicho verdankte, der, seit er den Entschluß gefaßt hatte, seinen kleinen Pflegling ihrem Vater zu zeigen, keinen Tag versäumt hatte, ihre Kräfte durch neue Uebungen zu stärken.

Er hatte das Kind auch das Wort Papa aussprechen gelehrt, und wenn es oft mehrmals dasselbe wiederholt hatte, so konnte der gute Alte seinen Kummer vergessen, und mit freudigem Händeklatschen ausrufen: »So recht, lieb Kind; gut Herr doch noch glücklich werden.«

Als er endlich den Augenblick zur Ausführung seines Vorhabens für günstig hielt, so ließ er Emma von ihrer Amme auf‘s Schönste putzen, einschläfern und vorsichtig in einen Korb legen. So nahm er das Kind, und trug sie auf den Gottesacker, wo, wie er wußte, ihr Vater seit einigen Tagen jeden Morgen hinkam, um an dem Grabe seiner verlorenen Gattin zu weinen.

Dominicho, der vorher gekommen war, setzte das Kind an dem Grabsteine nieder, kniete zu ihm hin und rief mit bewegter Stimme: »Arme Kleine, Mutter dein für immer hier schlafen, aber ihr Geist zu gut Herrn für dich sprechen; er dein hold Lächeln sehen und getröstet seyn.«

Hierauf verbarg er sich hinter dem Monumente, und erwartete mit Ungeduld die Ankunft des Herrn von Surville, der endlich am Eingange des Kirchhofes erschien.

Sein Gang war langsam, wie der eines Mannes, den Krankheit und tiefer Kummer gebeugt haben; seine Wangen blaß und eingefallen, sein Haar vor der Zeit gebleicht; sein ganzes Wesen zeigte deutlich, was er schon gelitten hatte, und was er noch litt, bei‘m Anblicke des Grabes, unter dem seine geliebte Gattin schlummerte. Auf die Kniee geworfen, begann er zu beten, da erblickt er ein Kind, schön wie der Tag!

»Himmel!« ruft der unglückliche Gatte. – »Papa!« antwortet das erwachende Kind. Da stürzt auch Dominicho hervor: »klein Töchterlein Euch gehören«, ruft er mit halb erstickter Stimme, zu seines Herrn Füßen hingeworfen, »ich Euch gebracht haben, zum Troste; o, lieb Kind nimmer entfernen!«

Ein krampfhaftes Zittern bemächtigt sich Herrn, von Survilles: dieß Grab, der Engel, der ihm lächelnd die kleinen Händchen entgegenstreckt und des treuen Dieners Worte, dieß Alles stürmt auf seine Seele ein, und doch – ist er weniger unglücklich. Das erste Mal seit seiner Gattin Tod empfindet er eine andere Regung als die des Schmerzes; an den schnellern Schlägen seines Herzens, an seiner Freude bei‘m Anblicke des lieblichen Kindes, das so lange von ihm entfernt gewesen war, und das er jetzt mit heißer Zärtlichkeit in seine Arme schließt, fühlt er, daß er Vater ist.

»Kind meiner Louise, ruft er aus, ich bin strafbar gegen dich; von Schmerz übermannt, habe ich dich in der Wiege verstoßen, aber hier, auf dem Grabe deiner Mutter, verspreche ich dir Ersatz für mein Unrecht.«

Sich hierauf an den vor Freude trunkenen Schwarzen wendend, sprach er: »du hast mich, guter Dominicho, mir selber wieder gegeben, ich verdanke dir unendlich viel! Aber verlassen wir diesen Ort, die Luft, die hier weht, taugt nicht für Emma.« Dieß sprechend, nahm er das Kind auf seine Arme, und trug es nach dem Schlosse, das Emma seit ihrer Geburt nicht wieder erblickt hatte.

Nicht beschreiben lassen sich die Gefühle des Herrn von Surville, als die Amme, welche der Schwarze herbestellt hatte, dem Kinde die Brust reichte; er gedachte der zärtlichen Mutter, die es verloren, und dieser Gedanke zerriß ihm das Herz; doch allmählig wichen seine schmerzhaften Empfindungen freudigen Gefühlen, die seine Seele bis jetzt noch nicht gekannt hatte.

Es ist so unendlich beglückend, das unschuldige Wesen, das uns das Leben verdankt, unter unsern Augen wachsen und gedeihen zu sehen! Welches kummervolle Herz schlägt nicht leichter bei seinem ersten Lächeln, bei‘m ersten Lallen des geliebten Kindes!

Bald verlor sich jener Anflug von Traurigkeit, die sich in Emma‘s ganzem Wesen ausgesprochen hatte, und machte einer jugendlichen Heiterkeit Platz, die ihre Züge verschönte und belebte; doch war jetzt schon, mitten durch ihre kindliche Fröhlichkeit, jenes zarte, tiefe Gefühl zu bemerken, welches später den Grundzug ihres Charakters bildete.

Gegen jeden Leidenden übte Emma diese schätzbare Tugend, und ohne uns in die Einzelnheiten ihrer ersten Kindheit einzulassen, bemerken wir bloß, daß ihr Vater, sobald er ihren Verstand sich entwickeln sah, keine Gelegenheit vorbeiließ, sie am den guten Werken Theil nehmen zu lassen, die er trotz seiner beschränkten Lage, dennoch auszuüben die Mittel fand. Während er sie gewöhnte, das Unglück zu bemitleiden, lehrte er sie auch, dasselbe zu unterstützen, indem er sie oft selbst in die Wohnungen der Armuth führte. Zwar erkauften Vater und Tochter stets nur um den Preis eigener Entbehrungen ein Lächeln der Zufriedenheit auf dem Gesichte eines Unglücklichen; aber diese Entbehrungen waren für Beide eine Quelle so reinen Genusses, daß sie sich dafür gerne noch mehrere auferlegt hätten.

So begann Emma‘s Erziehung mit der Zeit, wo ihr Denkvermögen anfieng, zu erwachen. Ihr Vater, der ganz die richtige Ansicht hatte, suchte sie vor Allem vor den gewöhnlichen Schwächen und Fehltritten der Kindheit zu verwahren, welche so oft auf das reifere Alter mit übergehen, weil sie nicht zeitig genug bekämpft wurden. Nie legte er dem Kinde Zwang an in der natürlichen Aeußerung seiner Gefühle, aber er suchte diese Gefühle durch Beispiel und Weckung des Nachdenkens zu regeln, so daß weder Schmerz, noch Furcht, noch Freude die Oberhand über dieselben erhielt.

Er machte Emma mit dem Nützlichen jedes Gegenstandes, der ihm neu auffiel, durch Versuche bekannt, die er vor ihren Augen damit anstellte, oder, wenn dieß unmöglich war, durch kurze und genaue Erklärungen, welche ihre lebhafte Einbildungskraft mit unglaublicher Leichtigkeit auffaßte, und die sich tief in ihr Gedächtniß einprägten.

So lernte sie schon mit dem zehnten Jahre die Namen aller Pflanzen kennen, die ihr Vater in den weiten Gärten des Schlosses bebauen ließ. Mit Liebe immer noch an seinem Vaterlande hängend, hatte sich Herr von Surville eine Menge dort wachsender Pflanzen zu verschaffen gewußt, und es gewährte ihm großes Vergnügen, die Eigenthümlichkeiten derselben seinem Kinde zu erklären.

Mit dem größten Interesse hörte Emma diesen Unterricht, der stets unter freiem Himmel gegeben wurde, und welchem der gute Neger gewöhnlich beiwohnte, der immer etwas Merkwürdiges von seiner Heimath, oder von den Ländern, wo er sonst gewesen war, oder über welche er hatte sprechen hören, zu erzählen wußte.

Wenn dieser unterhaltende Unterricht, der nie länger währte, als so lange er Emma Freude zu machen schien, beendigt war, so nahm Herr von Surville eine geographische Karte vor, und zeigte ihr die Orte, über die sie so eben gesprochen hatten, erzählte ihr mit wenigen Worten die Geschichte ihrer Bewohner, und bereitete sie so auf neue Kenntnisse vor, mit welchen er ihren Geist bereichern wollte.

Auf dieselbe Weise leitete der fromme Vater, der jeden Tag aus der Uebung seiner Pflichten den einzigen, wahren Trost des Unglücks und der Trauer schöpfte, den religiösen Unterricht des Kindes ein, und unterließ nie, alle Reichthümer der Natur, die er es bewundern ließ, auf Rechnung der göttlichen Güte zu schreiben.

»Gott, der uns erschaffen hat, theure Emma, sagte er oft, hat alle diese Dinge zu unserem Besten und unserem Vergnügen so gemacht; seine unerschöpfliche Güte hat für unsere geringsten Bedürfnisse gesorgt, und der Mensch, der von seinen unermeßlichen Wohlthaten keinen Gebrauch macht, oder der es unterläßt, ihm dafür zu danken und sich derselben würdig zu zeigen, verdiente, daß er sie ihm entzöge, und ihn zugleich der Vernunft beraubte, mit der er ihn begabt hat.«

So lernte Emma, indem sie den Schöpfer aus seinen erhabenen Werken kennen lernte, zu gleicher Zeit ihm dienen und den Zoll der Liebe und Dankbarkeit entrichten, den wir ihm schuldig sind für all‘ das Gute, womit er uns überhäuft hat.

»Er hört dich, er sieht dich, er liest in deinem tiefsten Herzen, sprach der gute Vater; trachte, daß deine Handlungen, deine Worte, und Gedanken sich nie vor ihm verbergen dürfen.«

Bei einer solchen Erziehung mußte Emma nothwendig große Fortschritte machen; auch war sie mit zwölf Jahren bereits ein kleines Wunder von Frömmigkeit, von Vernunft, von Sanftmuth und Wissen. Bekannt mit den verschiedenen Erzeugnissen der Erde und beinahe allen zur Erhaltung des Lebens nöthigen Gegenständen, hatte sie gelernt, denselben einen ganz andern Werth beizulegen, als Kinder von ihrem Alter dieß gewöhnlich thun. An Gebet, Nachdenken und Lernen gewöhnt, fand sie ihr größtes Vergnügen darin, und in körperlichen Uebungen, welche ihr ihr Vater und Dominicho schon vom zartesten Alter an gleichsam zum Bedürfnisse gemacht hatte.

Ein Hund, mit Namen Azor, welchen sie von Dominicho erhalten hatte, trug ebenfalls viel zur Entwicklung ihrer körperlichen Kräfte bei. Dieser Hund, von der Neuländer-Race, begleitete sie auf allen ihren Spaziergängen, und zeigte sich so gelehrig, daß sie oft weite Streifereien in die benachbarten Ländereien mit ihm machte und jede Müdigkeit über dem Vergnügen vergaß, welches ihr seine Geschicklichkeit und Folgsamkeit gewährten.

Außerdem hatte ihr Dominicho noch andere Unterhaltungen zu verschaffen gewußt, worunter sich auch ein Bogen mit schönen Pfeilen befand, welchen sie bald mit großer Geschicklichkeit zu gebrauchen wußte. Nicht minderes Vergnügen gewährte ihr ein niedliches Vogelhaus, dessen Bewohner sie mit großer Sorgfalt pflegte, und das ihr mit jedem Tage neue Unterhaltung darbot.

Mit solchen Genüssen wechselten Zeichnen und Musik ab, in welchen beiden Talenten Herr von Surville sich auszeichnete. Von ihm unterrichtet, wußte Emma, von der Natur mit einer starken und wohlklingenden Stimme begabt, bald ihre kleinen Lieder geschmackvoll mit der Guitarre zu begleiten, und nicht weniger die lieblichsten Landschaftsstücke zu zeichnen.

In Näharbeiten machte sie die wenigsten Fortschritte, weil sie hierin Niemand zur Lehrerin haben konnte als eine alte Haushälterin im Schlosse, welche selbst nur geringe Kenntnisse in dieser Kunst besaß; aber Emma fand, je älter sie wurde, so viel Geschmack daran, daß sie es bald auch in dieser Hinsicht andern jungen Mädchen von ihrem Alter gleich that.

Glücklich in den Tugenden und den Fortschritten seiner geliebten Tochter, und zufrieden, daß es ihm bisher gelungen war, ihr Alles zu verschaffen, was ihr nützlich und angenehm seyn konnte, gab sich Herr von Surville nun auch alle Mühe, jenen Anflug von Schwermuth zu besiegen, die sich gewöhnlich in ihrem Wesen ausdrückte, und zeigte ihr deshalb immer ein heiteres und ruhiges Gesicht; aber wie groß auch die innere Befriedigung war, die der sichtbare Erfolg seiner Bemühungen ihm gewährte, so trübte doch eine drückende Sorge, deren Gegenstand hauptsächlich Emma war, seit einiger Zeit seine freudige Zufriedenheit.

Das Landgut nehmlich, dessen Verwalter er war, hatte einen andern Herrn bekommen, und ungeachtet der ängstlichen Gewissenhaftigkeit, mit welcher er stets seinen Pflichten nachgekommen war, ließen ihn verschiedene Umstände dennoch den Verlust dieser Stelle fürchten, deren bescheidenes Einkommen ihm die Erwerbung von Hülfsmitteln für die Zukunft nicht möglich gemacht hatte. Was sollte aus Emma, was aus dem treuen Dominicho und ihm selbst werden, wenn seine Furcht wahr wurde? Dieser Zustand war furchtbar, denn Herr von Surville, damals in seinem vierzigsten Jahre, konnte keine neue Laufbahn mehr einschlagen, und hatte Niemand, der ihm dieselbe hätte eröffnen und ihn darauf unterstützen können.

Nichtsdestoweniger giengen noch achtzehn Monate darüber hin, ehe eine bemerkenswerthe Veränderung in der Verwaltung des Gutes eintrat. Unterdessen hatte Emma zum ersten Male das heilige Abendmahl genossen, und die Empfindsamkeit ihres Gemüthes, ihre Frömmigkeit, Sanftmuth und Verstand nahmen in dem Grade zu, daß ihr Vater, einzig in der Freude lebend, die sie ihm gewährte, seine traurigen Ahnungen darüber vergaß. Doch dieser ruhige Zustand war nicht von Dauer; was er längst gefürchtet hatte, trat ein: man kündigte ihm den Verlust seiner Stelle und zugleich die nahe Ankunft seines Nachfolgers an.

So mußte er den Ort verlassen, wo er in Frieden seine Tage zu beschließen gedacht hatte. Wohin nun sich wenden? was beginnen? fragte sich der unglückliche Vater mit Bitterkeit. Seine geliebte Emma, deren Zukunft ihn beständig beschäftigte, war also jedem gefährlichen Wechsel des Lebens ausgesetzt, ohne daß er ein Mittel gehabt hätte, sie davor zu schützen.

Eines Morgens, als er eben wieder solchen traurigen Ueberlegungen nachhieng, erhielt er einen Brief, der ihn auf das Freudigste überraschte: er war von einem Verwandten, mit welchem er seit seiner Ankunft in Frankreich einen regelmäßigen Briefwechsel unterhalten, von dem er aber schon seit mehreren Jahren keine Antwort mehr bekommen hatte, und dessen Unterstützung er aus diesem Grunde auch nicht ansprechen zu können glaubte. Dieser Verwandte, der eine Niederlassung in der Nähe von Buenos-Ayres hatte, zeigte ihm den Tod seines einzigen Sohnes an, und lud ihn ein, sich ohne Verzug zu ihm zu begeben, um ihn in der Besorgung seiner reichen Besitzung zu unterstützen, zu deren Erben er ihn einsetzen wollte.

Herr von Surville war nicht in der Lage, solche Anerbietungen ausschlagen zu können, sondern betrachtete sie als ein Geschenk der Vorsehung; aber mitten in seiner Freude konnte er sich einer Anwandlung von Furcht nicht erwehren, wenn er an die Gefahren dachte, welchen er seine Emma auf einer langen und beschwerlichen Seereise und durch Verpflanzung in ein fernes Land aussetzte, wo sie, außer ihm, vielleicht nichts fand, das ihrem Geschmacke entsprach.

Genöthigt, zwischen diesen Befürchtungen, und der Hoffnung auf eine reiche Erbschaft zu wählen, hatte er eine Zeit lang die Idee, sie in Frankreich zurückzulassen, und wieder dahin zurückzukehren, sobald ihn die Güte seines Verwandten in die Lage versetzt haben würde, seinem geliebten Kinde hier ein glückliches Loos zu sichern; als aber Emma von diesem Plane, der sie mehrere Jahre von ihrem Vater trennen sollte, hörte, äußerte sie eine so tiefe Trauer darüber, und bat so flehentlich, ihn begleiten zu dürfen, daß er ihren Thränen nicht zu widerstehen vermochte.

Wenige Tage reichten hin, um die Vorbereitungen zur Reise zu treffen. Trotz einer geheimen Abneigung, mit seinem Kinde eine so lange Reise zu unternehmen, fühlte Herr von Surville doch nur zu wohl, daß er nach der Ankunft seines Nachfolgers, die bereits Statt gehabt hatte, nicht länger mehr im Schlosse bleiben könne.

Mit schwerem Herzen bat Emma, am Tage der Abreise, nur um einige Augenblicke, um ihren lieben Vögelein, ihren Blumen, die sie mit freudiger Sorgfalt gepflegt, und den Bäumen Lebewohl zu sagen, in deren Schatten sie so oft geruht hatte.

Lebet wohl! sagte sie leise, mit traurigem Blicke auf ihr schönes Vogelhaus; lebet wohl! ihr lieben, kleinen Geschöpfe, ich seh‘ euch nimmer wieder, aber oft, oft will ich an euch denken.

Aber ein anderer, weit schmerzlicherer Abschied blieb Emma noch zu nehmen. Herr von Surville führte sie an das Grab ihrer Mutter, welches er gewöhnlich zusammen mit ihr besuchte, und welches beide noch einmal sehen wollten. Lange und unter heißen Thränen betete das liebe Kind, als es aber die heftige Bewegung seines unglücklichen Vaters bemerkte, rief es, um seinen Hals fallend, aus:

»Theurer Vater! wir lassen nur ihre Asche zurück; ihr Geist ist im Himmel, und wo wir auch wohnen, so können wir ja unser Gebet mit dem ihrigen vereinen, und den gütigen Gott verehren, den du mich kennen lehrtest, und der sie nun zu sich gerufen hat, um sie glücklich zu machen. Muth! mein lieber Vater, Du allein bleibst ja Deiner armen Emma noch.«

Mit diesen Worten zog sie ihn von dem Grabe fort, nicht, ohne oft noch darnach umzusehen.

Vor dem Kirchhofe erwartete sie Dominicho mit einem Postwagen, auf welchem der treue Azor bereits Platz genommen hatte, und der alsobald den Weg nach Brest einschlug, wo der Verwandte, zu dem sie wollten, einen Correspodenten hatte, der ihre Ueberfahrt auf dem besten Fahrzeuge besorgen sollte, das die Fahrt nach dem südlichen Amerika machen würde.

Zweites Kapitel.

Inhaltsverzeichnis

Die Hoffnung auf Glück hienieden ist ein Trugbild, nur den trifft keine Täuschung, der Trübsal und Leiden erwartet.

Mehr als zwei Monate giengen darüber hin, ehe der Kaufmann, bei dem sie sich einstweilen aufhielten, eine passende Gelegenheit zu ihrer Ueberfahrt fand; aber die rücksichtsvolle Sorgfalt mit welcher sie von Seiten jener Familie behandelt wurden, ließ sie diese Verzögerung gerne ertragen.

Emma besonders befand sich ganz wohl inmitten dieser gastfreundlichen Familie, zu welcher zwei liebenswürdige Kinder gehörten; denn zum erstenmal ward ihr hier das Glück zu Theil, das die Kindheit in jenen heitern, lieblichen Spielen findet, aus welchen jeder Zwang verbannt ist, weil die Unschuld dabei den Vorsitz führt.

Eugenie und Cecilie, so hießen die beiden Kinder, konnten sich nicht satt hören an der Erzählung von Emmas Aufenthalt auf ihrem einsamen Landgute; sie sprach auch mit so rührendem Ausdrucke von ihren Vögeln, ihren Pflanzen und Blumen, von den unterrichtenden Besuchen, die sie mit ihrem Vater in den nahe gelegenen Fabriken gemacht hatte, und hauptsächlich von ihren Spaziergängen mit Azor, der sie immer begleitet hatte, und von dessen Treue und Verstand sie so gerne erzählte, daß kein Zuhörer ohne Theilnahme bleiben konnte.

Dagegen unterhielten sie Eugenie und Cecilie, welche schon einigemal in der Welt gewesen waren, von den Vergnügungen, die sie dort gefunden, und den kleinen Eroberungen, die sie gemacht hatten. Dadurch mischte sich schon ein wenig Eitelkeit in ihre Einfalt, so daß Emma sie nicht immer verstand; doch wurde dieser Fehler, in den die Jugend in der Gesellschaft, wo man ihr schmeichelt, so leicht verfällt, bei diesen beiden Mädchen, durch ein von Natur so gutes Gemüth aufgewogen, daß sich ein so liebevolles, einfaches Kind wie Emma nothwendig an sie anschließen, und mit Vergnügen ihre Erzählungen hören mußte.

Aber diese Freuden sollten mir jenen kurzen Sonnenblicken gleichen, welche zuweilen noch durch die finstern Wolken fallen, im Augenblick, wo der wüthende Sturm losbricht; bald vielleicht ist ihr die Erinnerung daran nur eine Quelle bitterer Empfindungen; denn wer einst glücklich war, fühlt später nur um so schmerzlicher die schwere Hand des Unglücks.

Schon hatte Emmaeine harte Trennung empfunden, vom Grabe ihrer Mutter und von der lieben Heimath, und jetzt mußte sie auch ihren jungen Freundinnen Lebewohl sagen, in deren Gesellschaft sie so glücklich war; ihr Schmerz war groß, doch wußte sie ihn männlich zu verbergen, denn noch größer war die Liebe zu ihrem Vater, dessen Loos sie zu theilen entschlossen war, mochte es auch fallen wie es wollte.

Endlich fand sich ein Schiff, das nach dem La Plata Strome segelte, und auf welchem Herr von Surville sich einmiethete. Im Augenblicke der Abreise beschwor der zärtliche Vater, voll banger Ahnung, Emma nochmals, in Frankreich zurückzubleiben, aber ihre Gegengründe malten so lebhaft ihre Anhänglichkeit an ihn, daß er es nicht über sich bringen konnte, ihren Bitten zu widersprechen. Wie konnte er sie auch durch eine Trennung betrüben, an die er selbst nicht ohne Beben denken konnte? Die gemeinsame Abreise ward also beschlossen.

Die beiden Freundinnen begleiteten Emma bis zum Schiffe, und sie hatte die Kraft, ihre Thränen zu verbergen; sie verließ Frankreich ungern, aber sie glaubte eine Pflicht kindlicher Liebe dadurch zu erfüllen, und obgleich sie erst vierzehn Jahre zählte, so wußte sie dieß doch mit aller muthvollen Beherrschung einer edlen, großen Seele zu thun.

Nur in dem Augenblicke, als sie ihre beiden Freundinnen ganz aus dem Gesichte verlor, übermannte sie ihr Gefühl; aber ein einziger Blick auf das bekümmerte Gesicht ihres Vaters, gab ihr sogleich ihre ganze Kraft wieder.

»Lieber Vater, sagte sie, ihre Seufzer zurückdrängend: nicht mehr nach jener Küste dürfen wir die Blicke richten, in Buenos-Ayres wohnt jetzt was wir von der Zukunft hoffen. – Ja, lieb Herr! unterbrach sie Dominicho, der neben ihr auf dem Verdeck saß, jung Herrin Recht haben, Ihr nicht mehr an Kummer denken, dort viel Glück winken; Oheim gewiß zufrieden seyn, wenn er so gut Nichte sehen; Ihr glücklich seyn, und Dominicho auch.«

Mit einem tiefen Seufzer antwortete Herr von Surville, denn sein Herz quälten tausend traurige Vorstellungen; er konnte, nicht ohne Zittern an die vielen Gefahren denken, welchen seine Emma auf dieser langen Seereise, die er allein so wenig gefürchtet hätte, ausgesetzt war. Durch einen unglücklichen Zufall hatte sich der Himmel im Augenblicke der Abfahrt mit düstern Wolken bedeckt, welches die Traurigkeit des unglücklichen Vaters noch vermehrte. Aber aus Scham, vor seiner Tochter eine Niedergeschlagenheit blicken zu lassen, die den Muth schwächen konnte, mit dem sie selbst sich bewaffnet zu haben schien, suchte er ihre Aufmerksamkeit von ihm ab und auf das Schiff zu leiten, das ein Gegenstand lebhafter Neugierde für sie war.

Von dem Tage ihrer Einschiffung an entwarf er einen neuen Beschäftigungsplan für Emma, der sie vor der Langweile einer langen Seereise schützen sollte. Unter dem Gepäcke befand sich auch ihre Guitarre, mit einem reichen Vorrathe von Saiten und Musikstücken; ebenso war sie im Besitze eines vollständigen Zeichenapparats, so wie einer Anzahl guter Bücher und verschiedener kleiner Nähstücke, die ihr viele Unterhaltung boten, in den Augenblicken, welche nicht ihrem Unterrichte gewidmet waren.

Man sieht leicht ein, daß Emma, bei so vielen Mitteln zur Zerstreuung, und ihrem weit über ihr Alter entwickelten Verstande, sich bald an die neue Lebensart gewöhnte, die sie auf dem Schiffe annehmen mußte. Ihr beobachtender Geist wußte diesem einförmigen Leben sogar bald angenehme Seiten abzugewinnen: nichts z. B. freute sie so sehr, als die Schnelligkeit und Genauigkeit, mit welcher die Matrosen jede befohlene Bewegung des Schiffes ausführten; oft aber dachte sie auch über den leidenden Gehorsam dieser Menschen nach, und konnte sich nicht enthalten, ihr Loos zu beklagen.

Eines Morgens, als sie mit ihrem Vater und Dominicho