Endstation Stadthafen - Annegret Achner - E-Book

Endstation Stadthafen E-Book

Annegret Achner

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Beschreibung

»Papa, schau mal! Da taucht einer!« »Wohl kaum«, murmelte der Vater, der keine Lust hatte aufzustehen, und dann lauter zu seiner Tochter. »Unsinn, Pia. Das Wasser ist viel zu kalt. Warum sollte da einer tauchen?« »Da taucht aber einer«, beharrte Pia. »Aber wie kann der atmen? Der hat sein Gesicht im Wasser.« Wer ist der Tote? Selbstmord oder Mord? Das herauszufinden ist die Aufgabe der Polizeiinspektion Oldenburg unter Leitung von Kriminaloberkommissarin Rieke Breken. Doch auch Lars Dierksen, der Leiter des LKA, wird eingeschaltet sowie das zuständige Hauptzollamt in Hannover. Ein brandaktueller, gesellschaftspolitischer Krimi, in dem es um die illegale Einfuhr von Luxuslimousinen von Nordafrika nach Deutschland geht.

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Die Handlung und alle handelnden Personen sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden oder realen Personen wäre rein zufällig.

Inhaltsverzeichnis

1. Im VW-Bus durch Marokko

2. Zollfahndungsamt Hannover

3. Polizeiinspektion Oldenburg

4. Oldenburger Stadthafen

5. Bad Zwischenahn

6. Reha-Training

7. Wintereinbruch

8. Tanger

9. Hassan

10. Gerrit

11. Glücksburger Hochzeit

12. Autoschmuggel

13. Hinnerk Freese

14. Polizeiinspektion Oldenburg

15. In der Rechtsmedizin

16. Am Zoll vorbei

17. Die letzte Tour

18. Die letzte Tour

19. Landeskriminalamt Hannover

20. Schrottplatz bei Wardenburg

21. Selbstmord

22. Coq au Vin

23 . LKA Hannover

24. Airport Bremen

Dank

Annegret Achner

1 Im VW-Bus durch Marokko

Sommer 1988

»Nein, nicht schon wieder!« Corinna schaute verstört zu Petra, die fluchend mit dem Schaltknüppel in der Schaltkulisse herumrührte. Kein Widerstand, der Gang ließ sich nicht einlegen.

Der alte blaue VW-Bulli wurde langsamer, rollte aus. »Der Mechaniker in Erfoud hat doch gesagt, das Getriebe sei jetzt in Ordnung.« Petra zuckte die Achseln, stoppte den Wagen, öffnete die Motorklappe und spähte hinein.

Petra schaute sich um. Die Frauen befanden sich auf einer Passstraße im Mittleren Atlas, wollten weiter nach Tanger, weil sie hofften, dort eine Werkstatt zu finden, die das Getriebe reparieren konnte. Doch Petra war zu angespannt, um den Anblick der grandiosen Gebirgslandschaft wirklich genießen zu können, den Wind auf der Haut zu fühlen. Welch ein Kontrast zur Wüste, durch die sie gefahren waren, ehe der Bulli zum ersten Mal zusammenbrach. Dort nur Steine und Sand und trockene Grasbüschel, soweit das Auge reichte, flirrend in erbarmungsloser Mittagshitze. Hier im Gebirge war es angenehm kühl. Die Straße stieg an, gab den Blick frei auf die schneebedeckten Gipfel der Berge. Rechts und links der Straße waren die Wiesen mit Frühlingsblumen übersät, die Baumheide blühte, der Duft der Wacholderbüsche stieg ihnen in die Nase. Ein wunderschönes Land, eigentlich. Warum waren ihnen nur die Menschen so fremd?

»Es nützt nichts, Corinna. Wir müssen zurück nach Ksar-es-Souk in die Werkstatt.«

Petra kletterte ins Auto, nahm den Gummibalg über der Gangschaltung ab. Ohne Erfolg, die Gänge rasteten nicht ein.

»Nach Ksar-es-Souk? Das glaubst du wohl selbst nicht. Die Stadt ist bestimmt bereits abgesperrt.«

In Ksar-es-Souk, der alten befestigten Berberstadt an den südlichen Hängen des Atlas Gebirges, erwartete man seit Tagen den König, ohne genau zu wissen, an welchem Tag er kommen würde. Das Militär hielt den Termin aus Sicherheitsgründen geheim. Und so hingen seit Tagen die bunten Teppiche über den Stadtmauern, die Bewohner hatten Straßen und Häuser mit Girlanden geschmückt. Riesige Poster mit dem turban geschmückten, grimmig blickenden Konterfei von Hassan II. flatterten über den Zufahrtswegen. In den Festzelten und Ständen wurden exotische Köstlichkeiten feilgeboten. Und natürlich war die Stadt den ganzen Tag über für den Autoverkehr gesperrt. Petra und Corinna waren früh in Erfoud aufgebrochen, um nach Norden durchzukommen, ehe die schwer bewachten Sperren an den Stadttoren errichtet wurden.

»Eine von uns muss hier beim Bulli bleiben«, sagte Petra und wischte sich die verschmierten Hände an einem öligen Lappen ab. »Die andere muss versuchen, ein Auto anzuhalten und in die Stadt zu trampen, um Hilfe zu holen.«

»Können wir nicht beide trampen?« Der Gedanke, sich zu trennen, behagte keiner von beiden nach den Erfahrungen der letzten 14 Tage. Besonders Corinna hatte Angst vor diesen aufdringlichen Männern mit ihren fordernden Blicken und eindeutigen Bemerkungen, die in einem Land voller dunkelhaariger wunderschöner Frauen lebten und doch offensichtlich geil waren auf junge, blonde Mädchen aus dem Norden.

Petra schüttelte entschieden den Kopf. »Bist du verrückt? Den Wagen allein lassen? Dann ist er leergeräumt, wenn wir zurückkommen.«

Okay, da hatte sie wahrscheinlich recht. Aber war das nicht immer noch besser, als das Risiko einzugehen, dass die Freundin am Straßenrand überfallen und vergewaltigt wurde? Mit Schaudern dachte sie an die letzte Nacht in der dunklen Werkstatt in Erfoud, in die man den kaputten VW-Bus geschoben hatte. Am nächsten Tag sollte er repariert werden, der Mechaniker wollte Ersatzteile vom Schrottplatz besorgen. Sie hatten einen dicken Holzklotz von innen gegen die Türklinke gepresst, weil das Schloss nicht funktionierte. Nachts waren sie durch ein knarrendes Geräusch geweckt worden.

Corinna hatte Petra wach gerüttelt. »Da ist jemand!«

Senkrecht hatten sie im Bett gesessen, voller Panik den schleichenden Schritten gelauscht, einer Panik, die sich noch steigerte, als sie bemerkten, dass der Klotz am Boden lag, das Tor einen Spalt offen stand.

»Im Handschuhfach ist eine Pistole«, hatte Petra geflüstert, die ihr Jurastudium abgebrochen hatte, um eine Ausbildung an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung in Köln zu machen und sich mit Waffen auskannte. Sie war nach vorne gekrochen, hatte das Handschuhfach leise geöffnet. Doch es war der heftige Wüstenwind, der die Tür aufgedrückt hatte, die in regelmäßigen Abständen über den Boden schabte.

Oben vom Pass näherte sich langsam ein helles Auto. Schweigend erwarteten sie den Wagen. Sie winkten, er hielt knirschend an. Ein uralter verbeulter R4. Der Fahrer, ein junger, dunkel gelockter Marokkaner kurbelte die Scheiben hinunter.

»Bonjour, puis-je vous aider?«, fragte er freundlich. Sein Französisch war klar und flüssig, fast ohne Akzent.

Corinna kramte ihr Schulfranzösisch hervor. »Oui, la voiture ne marche plus.«

Na, dass der Bus nicht mehr fuhr, hätte er auch so erraten. Aber auf die Frage, ob er sie oder ihre Freundin mit nach Ksares-Souk nehmen könne, um in einer Werkstatt Hilfe zu holen, schüttelte der Marokkaner energisch den Kopf. Das käme nicht in Frage, dass eine Frau allein am Auto bliebe. Schon gar keine jungen und hübschen Frauen wie sie. Er kenne seine Landsleute. Das sei viel zu gefährlich.

»Puis-je voir?« Ob er sich das Problem ansehen könne.

Petra wies auf den leeren Fahrersitz und den Schaltknüppel, mit dem man ohne Widerstand in der Schaltschüssel rühren konnte wie in einem Puddingtopf. Der Marokkaner nickte, sagte, er müsse noch schnell an den Stadtrand fahren, um etwas abzuliefern, käme aber sofort zurück. Die Frauen sollten sich im Bus einschließen.

Er setzte sich in seinen Renault, öffnete das Fenster, zeigte auf sich und sagte:

»Hassan. Je m’appelle Hassan. Je reviens bientôt! Attendez ici!«

Die Frauen winkten, als er mit aufheulendem Motor hinter der nächsten steilen Kurve verschwand.

»Ob der wirklich wiederkommt?«, fragte Corinna skeptisch. »Aber was bleibt uns anderes übrig als abzuwarten? Nett sieht er ja aus!«

»Du nun wieder«, sagte Petra und zündete sich eine Zigarette an.

War Petra überhaupt an Männern interessiert? Es war das erste Mal, dass Corinna dieser Gedanke kam.

Hassan war schneller zurück, als sie glaubten. Schon die erste Polizeikontrolle vor der Stadt hatte ihn zurückgeschickt.

»Ils sont fous!«, sagte Hassan und sein Gesicht versteinerte.

Wer war verrückt, fragte sich Corinna. Die Polizei oder seine Landsleute, die auf ihren König warteten? Was dachte Hassan über das Regime, über die offensichtliche Popularität des Königs, über seine diktatorischen Vollmachten? Aber leider war ihr Schulfranzösisch zu lückenhaft für so komplizierte Fragen. Hassan holte Werkzeug aus dem Wagen, kletterte mit einem Schraubenzieher bewaffnet in den Bully. Er schaffte es, den zweiten Gang einrasten zu lassen, bedeutete Petra, mit schleifender Kupplung anzufahren und seinem Renault zu folgen. Er würde sie nach Meknes leiten, versprach er, sie zu einem Gebrauchtwagenhändler bringen, bei dem er arbeitete. Vielleicht könnte man dort ein passendes Ersatzteil finden.

Vor einer der kleinen Werkstätten am Rande eines riesigen Schrottplatzes hielten sie an. Hassan sprach kurz mit dem Besitzer, dann schoben sie den VW-Bus auf den Platz zwischen lauter zerbeulte alte Autos und Lastwagen. Sie sollten sich darauf einrichten, ein paar Tage in Tanger zu bleiben, versuchte Hassan ihnen klarzumachen. Erst müsse ein Getriebe gefunden, dann eingebaut werden. Die beiden Frauen sollten auf keinen Fall den Platz verlassen und auch nachts im abgeschlossenen Bus übernachten. Er würde jeden Tag vorbeikommen, um nach ihnen zu sehen und sie mit Lebensmitteln zu versorgen.

»La bonne cuisine marocaine«, sagte Hassan. Die Gerichte würden ihnen gut schmecken, das würde er garantieren.

»Vielen, vielen Dank«, sagte Petra, hob die zusammengelegten Hände an die Brust und verbeugte sich. »Sie sind sehr freundlich!«

»Merci!«, sagte Corinna. »Merci beaucoup! Vous êtes très gentil.«

Nach den nervtötenden Erfahrungen mit marokkanischen Männern waren Petra und Corinna überwältigt von Hassans Hilfsbereitschaft. Es war Hassan, der sich rührend um die Frauen kümmerte. Es war Hassan, der dafür sorgte, dass der VW-Bus ein neues Getriebe bekam und es einbaute. Es war Hassan, der sie in typisch marokkanische Restaurants ausführte und ihnen erzählte, er habe in Marseille gelebt und bei Renault eine Lehre als Automechaniker gemacht. Es war Hassan, in den sich Corinna unsterblich verliebte und den sie – die Bedenken ihrer Eltern über Bord werfend – zwei Jahre später heiratete, um für ihn eine Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland zu erwirken.

Rückblickend war die Anfangszeit kein Zuckerschlecken. Beide arbeiteten hart: Hassan jobbte in einer Tankstelle nördlich von Oldenburg, Corinna beendete ihre Ausbildung als Grundschullehrerin. Das Geld war knapp, aber zusammen schafften sie es. Hassan bekam eine Stelle in einer gutgehenden Renault-Vertragswerkstatt in Oldenburg. Er verstand sich so gut mit dem Eigentümer, dass der ihn als Nachfolger aufbaute und ihm anbot, das Autohaus zu übernehmen, als er in Rente ging.

Corinna und Petra schrieben sich noch ein paar Briefe, später Ansichtskarten aus dem Urlaub. Sie hatten sich auseinandergelebt, fanden wenig gemeinsame Interessen. Corinna ging in ihrer Familie auf. Petra absolvierte Kurse an der Polizeiakademie, fand ihre erste Stelle in einem Polizeikommissariat im Ruhrgebiet. Corinna war nicht sicher, in welcher Stadt. Es interessierte sie auch nicht.

2 Zollfahndungsamt Hannover

Februar 2021

»Ich glaube es nicht!« Wolf Bennert, Kriminaloberkommissar beim Zollfahndungsamt in Hannover, legte den Telefonhörer auf. »Diese Clans werden immer dreister. Wir haben da diesen Marokkaner ... »

»Vielleicht ist er Deutscher«, sagte seine Chefin, Kriminalhauptkommissarin Petra Sambrowski. Ihre braunen Augen funkelten, die Falte über ihrer Nasenwurzel vertiefte sich. »So deutsch wie du und ich, auch wenn ich einen polnischen Nachnamen habe. Auf den ich übrigens stolz bin.«

Wolf Bennert hob entschuldigend die Hände. Warum war seine Chefin immer so aggressiv? Er hatte den Eindruck, sie befand sich permanent in einer Verteidigungsstellung, immer auf der Hut, immer bereit, sich zu wehren. Hatte sie diesen Reflex entwickelt, um sich in der Männerwelt der Kommissariate durchzusetzen? Kompetent war sie ja, das musste er zugeben, vom Ruhrgebiet kommend war sie im Zollfahndungsamt Hannover Kriminalhauptkommissarin und Dienststellenleiterin geworden. Aber einigen Kollegen fiel es schwer, eine Frau als Vorgesetzte zu akzeptieren, das war ihm klar.

Petra Sambrowski war sehr schnell die Karriereleiter hochgeklettert. Konnte man als Frau im Polizeidienst nur aufsteigen, wenn man hart und ehrgeizig genug war und die Ellbogen ausfuhr? Das hatte Petra Sambrowski doch gar nicht nötig, dachte Wolf Bennert. Er fand seine Chefin durchaus attraktiv. Groß und schlank mit kräftigen rotbraunen Haaren, die vielleicht etwas zu kurz geschnitten waren und ihre markanten Züge ein wenig männlich wirken ließen.

Instinktiv zog Bennert den Bauch ein. Seit er allein lebte, aß er zu viel. Meistens Fastfood. Die Anzahl der abendlichen Biere war auch angestiegen.

Er riss sich zusammen und versuchte, sich zu konzentrieren. Über Petras Privatleben wusste er wenig. Sie zählte nicht zu den Frauen, die es liebten, allen möglichen Leuten einen Einblick in ihr persönliches Leben zu gestatten. Bennert hatte gehört, sie sei geschieden, habe eine erwachsene Tochter und wohne mit einer Frau zusammen. Sie habe von Männern die Nase voll, hieß es.

»Der junge Mann heißt Youssef Erekan«, führte er seinen Bericht fort. »Er ist in Deutschland geboren. Hat einen deutschen Pass und einen Wohnsitz in Oldenburg. Also, alles klar. Erst einmal Unschuldsvermutung. Das hat man uns ja eingehämmert.«

»Gott sei Dank«, sagte Sambrowski. »Im Rechtsstaat gilt nun mal die Unschuldsvermutung, und zwar ohne Wenn und Aber.«

»Soll sie ja auch, die Unschuldsvermutung, meine ich. Von mir aus auch für die christlichen Abgeordneten, die sich mit Schutzmasken bereichert haben.«

»Wolf, wirf nicht alles durcheinander«, sagte Petra Sambrowski. »Das nützt uns nicht. Mal ganz von vorne!«

Sie lächelte ihn kurz an, als ob sie um Verzeihung bitten wollte für die barschen Sätze vorher. »Erzähl mal der Reihe nach!«

»Ich habe in Oldenburg angerufen, um die Daten zu überprüfen. Youssef Erekan ist der Sohn von Hassan Erekan, einem Vertragshändler für französische Autos irgendwo auf dem Land zwischen Oldenburg und Delmenhorst.«

Es entging ihm nicht, dass Petra blass geworden war und ihre Hände die Armlehnen des Schreibtischstuhls umkrampften.

»Ist was?«, fragte er.

Petra winkte ab. »Erzähl weiter!«

»Youssef Erekan hat das Autohaus seines Vaters vor ein paar Jahren übernommen. Hassan Erekan hat in Tanger bei einem Verwandtenbesuch einen tödlichen Herzinfarkt erlitten. Seitdem geht es mit dem Autogeschäft bergab, sagen zumindest die Leute. Der Sohn habe seine KFZ-Lehre zwar abgeschlossen, aber nie seinen Meister gemacht. Erekan Junior ist fast kaum noch im Betrieb anzutreffen und – laut Aussagen des KFZ-Meisters – oft in Marokko geschäftlich unterwegs. »Darf ich raten«, sagte die Kommissarin, »Youssef Erekan saß am Steuer und behauptete, er sei rein privat in Marokko gewesen, um dort Verwandte zu besuchen. Und bei dieser Gelegenheit habe er sich den Wagen von einem Cousin ausgeliehen. Dessen Vater oder Bruder oder irgendein anderer Verwandter sei zur Zeit in Deutschland unterwegs und würde den Wagen innerhalb der erlaubten Dreimonatsfrist wieder nach Tanger zurückfahren.«

»Richtig kombiniert, Petra! Der Clou ist nur, dass auf Nachfragen bei Interpol herauskam, dass Youssef Erekan im Jahr zuvor in Belgien aufgefallen war, weil er – damals in einem grauen Porsche – mit 200 km/h nachts über die belgische Autobahn gejagt sei. Allerdings war er damals nur Beifahrer. Der Fahrer des Fahrzeugs – ein Gerrit Soundso, den Namen habe ich gerade nicht präsent – hat damals das Bußgeld wegen Geschwindigkeitsübertretung gezahlt, ohne mit der Wimper zu zucken.

Vor einer Woche wurde ein schwarzer Volvo-SUV– mit Herrn Erekan am Steuer – hinter Groningen kurz vor der deutschen Grenze wegen überhöhter Geschwindigkeit gestoppt. Wieder wurde die Strafe ohne Diskussion gezahlt mit einem Bündel Scheine, das Herr Erekan aus der Innentasche seines Jacketts zog. Die niederländischen Kollegen sind misstrauisch geworden und haben uns als zuständige Zollfahndungsbehörde gebeten, Herrn Erekan einmal genauer unter die Lupe zu nehmen.«

»Spricht Youssef Erekan Deutsch?«

»Vorzüglich. Ohne Akzent. Er ist hier zur Schule gegangen.«

»Wo liegt das Problem, Wolf?«

»Mein Bauchgefühl sagt mir, die Sache stinkt zum Himmel. Da fährt dieser Marokkaner – entschuldige, dieser Deutsche – alle paar Wochen mit großen Luxuskarossen durch Spanien, Frankreich, Belgien und die Niederlande nach Deutschland. Es handelt sich jedes Mal um einen Wagen der oberen Preisklasse, der angeblich einem Verwandten in Marokko gehört.«

»Was passiert mit den Autos?«

»Keine Ahnung. Herr Erekan behauptet, die Wagen würden wieder nach Marokko zurückgebracht. Sie gehörten nicht ihm, sondern irgendeinem Cousin oder Onkel väterlicherseits, seien nur ausgeliehen. Da müssen wir genauer hingucken. Ich vermute, der junge Mann ist mit seinem Autohaus in finanzielle Schwierigkeiten geraten und braucht dringend Geld. Autos zu überführen ist ja nicht per se eine Straftat. Ich hatte einen Kumpel, der während seines Studiums immer wieder hochpreisige Autos nach Nordafrika gefahren hat. Mit dem Geld hat Helge damals sein Maschinenbau-Studium bezahlt.«

»Ist der Vater, dieser Hassan Erekan, in unserer Datei wegen Unregelmäßigkeiten aufgetaucht?«, unterbrach Petra den Redeschwall des Kollegen.

»Das ist es ja gerade. Nie! Der Mann war mit einer deutschen Grundschullehrerin verheiratet, wohnte über 30 Jahre in Deutschland. Zumindest sagen das die Kollegen in Oldenburg.«

»Und die Grundschullehrerin heißt mit Vornamen Corinna und hat ihren Ehemann in Marokko kennengelernt. Kannst du das nachprüfen?«

Wolf Bennert holte tief Luft. »Woher weißt du das, Petra? Kennst du die Frau?«

»Ich kenne wahrscheinlich auch den Ehemann, Wolf. Meine damalige Freundin Corinna und ich haben ihn in Marokko kennengelernt, als er uns bei einer Panne mitten im Atlas-Gebirge geholfen hat. Ich weiß auch, dass Corinna ihn nach Deutschland geholt und geheiratet hat. Ich habe die beiden aber später total aus den Augen verloren.«

»Das ist ja äußerst interessant! Kannst du da mehr in Erfahrung bringen? Persönliche Kontakte sind immer hilfreich.«

»Ich vermute, Sohnemann Youssef bekommt den Hals nicht voll. Wo holt der junge Mann die Autos ab? Direkt aus Marokko oder aus Tunesien oder Libyen? Vermutlich überall dort, wo die alten Schlitten wieder aufgehübscht, die Tachos zurückgedreht werden.«

»Details sind im Moment unklar. Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten. Die Belgier glauben, dass er die Wagen nicht selbst aus Nordafrika holt. Es gibt von Ceuta oder Tanger aus die Möglichkeit, mit der Autofähre ins spanische Algeciras überzusetzen oder direkt nach Marseille zu schippern. Theoretisch könnte der junge Erekan den Wagen auch in einem europäischen Hafen von einem Mittelsmann übernehmen, um ihn quer durch Südeuropa nach Deutschland zu fahren.«

»Unwahrscheinlich«, sagte Petra. »Das Ganze sieht nicht aus wie eine private Initiative. Ich befürchte, wir müssen von organisierter Kriminalität ausgehen. Die Hintermänner wären ja dumm, wenn sie einen jungen Mann, der sehr wahrscheinlich arabisch spricht, nicht auch im Land einsetzen.«

»Habe ich auch schon gedacht«, nickte Wolf Bennert.

»Dieser Youssef Erekan fährt also den Wagen von der Fähre und verkauft ihn später, ohne Einfuhrzoll und Umsatzsteuer zu zahlen, was bei nur vorübergehender Verwendung bis zu drei Monaten des Fahrzeugs ja durchaus legal ist. Wenn der Handel bandenmäßig organisiert ist und in den Händen eines Familienclans liegt, ist es ein blühendes Geschäft.«

»Und das alle paar Wochen«, sagte Petra Sambrowski. »Ist doch klar, in einer Gesellschaft, in der das persönliche Prestige an der Größe des eigenen Autos gemessen wird, kann ein krimineller Gebrauchtwarenhändler einträgliche Geschäfte machen.«

»Was machen wir nun mit dem Mann?«

»Ich werde mich bemühen, den Kontakt zu Corinna aufzunehmen. Wahrscheinlich ahnt sie gar nicht, was ihr Sohnemann so treibt. Einer von uns sollte in den nächsten Tagen in die Oldenburger Polizeiinspektion fahren und mit den Kollegen vor Ort sprechen. Persönliches Kennenlernen funktioniert immer noch am besten. Es ist vielleicht auch eine gute Idee, sich auf dem Weg das Autohaus der Erekans genauer anzusehen.«

»Mach ich gerne«, nickte Wolf Bennert. »In einer unserer zahlreichen und ach so unentbehrlichen Fortbildungen habe ich vor kurzem in Oldenburg ein weibliches Nordlicht aus Oldenburg kennengelernt. Rieke, hieß sie oder so ähnlich. Sieht gut aus, ist aber ziemlich anstrengend. Wäre einen Versuch wert, dort mal persönlich aufzutauchen.«

»Du nun wieder«, seufzte die Dienststellenleiterin. »Du lernst wohl nicht aus. Wie lang ist deine Scheidung her?«

»Eben«, sagte Kriminaloberkommissar Bennert. »Lang genug.«

»Bis zur nächsten Woche musst du dich schon noch gedulden für deine Brautschau. Hier liegt zurzeit viel an. Außerdem«, Petra grinste anzüglich, »soll dann auch die Kältewelle vorbei sein. Gut für Frühlingsgefühle!«

3 Polizeiinspektion Oldenburg

»Besuch für dich«, sagte die Polizeianwärterin Luisa Vieira, als ihre Chefin, Polizeioberkommissarin Rieke Breken, mit rotem Gesicht und wild wippendem Pferdeschwanz in die Polizeiinspektion Oldenburg gestürmt kam, in der sie seit ein paar Monaten als Dienststellenleiterin arbeitete. Wie so oft ist sie ein paar Minuten zu spät.

»Der Wagen, der Wagen sprang nicht an!«

Sie riss die Maske vom Gesicht, klappte den Mund zu und sah erstaunt den – zugegebenermaßen – recht attraktiven Mittvierziger an, der lächelnd aufstand, ihr die Hand hinstreckte und sie dann schuldbewusst wieder sinken ließ, als sie keine Anstalten machte, sie zu ergreifen.

»Entschuldigung! Ich weiß, Corona! Außerdem werden Sie mich mit Maske wohl kaum wiedererkennen, Frau Breken.«

Wolf Bennert trat ein paar Schritte zurück und schob die Maske unters Kinn. »Tut mir leid, manchmal vergesse ich ... »

»Lassen Sie es gut sein. Wir sind hier alle mindestens zweimal geimpft. Spät genug, wenn man bedenkt, mit wie vielen Leuten wir es zu tun haben. Aber egal, von uns hat es bisher niemanden erwischt. Gott sei Dank.«

Wolf Bennert nestelte an seiner Maske. »Bei uns ist nur die Chefin vollständig geimpft, aber dafür machen wir alle zwei Tage einen Test. Ich bin negativ.«

»Na, wie schön«, sagte Rieke Breken kühl und versuchte, mit den Händen ihre krausen Haare zu bändigen.

»Erst versemmeln sie den Impfstart, dann gibt es nicht genügend Schnelltests und nun versuchen sie, uns wie in mittelalterlichen Pest-Zeiten zu Hause einzusperren. Mehr fällt denen da oben nicht ein. Mich wundert, dass die Banküberfälle nicht horrende in die Höhe gegangen sind. Wir sehen doch mit Maske alle wie Bankräuber aus.«

»Die gute alte Rieke Breken!« Wolf Bennert lachte. »Immer im Kampf-Modus!«

»Quatsch«, gab Rieke Breken zurück. »Worum geht es? Sie sind sicher nicht hergekommen, um zu plaudern.«

So schnell gab der Kollege nicht auf. Er lächelte charmant und hob die zusammengefalteten Hände wie zum Gebet.

»Ich freue mich, Sie zu sehen, Frau Breken. Und dass Sie meinen Namen behalten haben. Und ich möchte mich hiermit auch in aller Form für mein Benehmen bei unserem letzten Treffen entschuldigen. Es tut mir wirklich leid.«

»Deswegen sind Sie hier?«

»Nein, es geht um Dienstliches.«

»Ach ja? Worum genau?« Rieke Breken holte sich einen Stuhl und setzte sich.

»Ich glaube, ich muss langsam los.« Luisa Vieira stand auf.

»Könntest du noch kurz bleiben und das Protokoll übernehmen?«, bat Rieke Breken.

Luisa zögerte: »In einer Stunde muss ich wieder an Bord sein. Ich wollte nur kurz vorbeischauen und Hallo sagen.«