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Der Titelheld William Turner stammt aus einfachen Verhältnissen. Der Vater ist Fischer und Schmuggler an der englischen Kanalküste. Die Mutter ist die Tochter des örtlichen Pastors und Gesellschafterin der Gemahlin des Gutsherrn. Durch diese Fügung verläuft Williams Ausbildung zweigleisig. Zum einen erlernt er von Kindesbeinen an den Seemannsberuf, zum anderen sorgt die Mutter dafür, dass er zusammen mit den Söhnen des Gutsherrn eine gute Schulbildung durch Privatlehrer erhält. Das ermöglicht es ihm, den Beruf eines Seeoffiziers zu ergreifen. Aber er verfügt weder über Reichtümer noch über Beziehungen, um seine Karriere zu befördern. Die Tatsache, dass er den Seemannsberuf von der Pike auf gelernt hat, verschafft ihn nicht nur Freunde in den Reihen der adligen und reichen Offizierskameraden, zudem er sein vorlautes Mundwerk nicht immer zügeln kann.
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Seitenzahl: 421
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Paul Quincy
Entermesser blank
Reihe: William Turner
Kuebler Verlag
Das Buch
Piraten und Schmuggler überfallen die kleine Hafenstadt Puerto Santos an der Küste Spanisch-Südamerikas, um sie als Stützpunkt zu nutzen. Lieutenant William Turner mit seiner Slup Shark erhält den Auftrag, sich darum zu kümmern - und trifft auf die Capitana eines Piratenschiffes. Zeit der Handlung: Um 1777
Band 2 der Reihe über den Aufstieg des William Turner (genannt „Wild Bull“ Turner) von Paul Qunicy
Der Autor
Paul Quincy war Seemann und weltweit als Wachoffizier und in leitender Position auf Schiffen der Großen Fahrt unterwegs. Neben seiner Tätigkeit als Autor hat er als Übersetzer etwa 60 Romane und Fachbücher – zum größten Teil historische maritime Romane aus den Napoleonische Kriegen – vom Englischen ins Deutsche übertragen. Paul Quincy verknüpft in der Reihe um William Turner Spannung mit historischen Fakten und viel Wissen über die Lebensumstände der damaligen Zeit.
Paul Quincy
Entermesser blank
William „Wild Bull“ Turner und die Capitana
Band 2 der Reihe „William Turner“
Mehr Informationen zu diesem Buch, zum Autor und zu anderen maritimen Romanen erhalten Sie hier:
www.kueblerverlag.de
Impressum
Neu durchgesehene Ausgabe im Kuebler Verlag.
© 2013 Kuebler Verlag, Lampertheim. Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werks darf in irgendeiner Form ohne schriftliche Genehmigung des Kuebler Verlags reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt, verbreitet oder zugänglich gemacht werden.
Dieser Titel ist 2007 erstmals unter dem Titel „Entermesser blank – Mut pur“ im Ullstein Verlag erschienen.
ISBN 978-3-86346-132-4
An der Nordküste von Spanisch-Südamerika, 31.12.1776
Die letzten Strahlen der Abendsonne zauberten goldene Reflexe auf die leicht gekräuselte Oberfläche der großen Lagune und warfen ein sanftes Licht auf die Mauern und Dächer der kleinen Stadt an der Spitze der langgestreckten Halbinsel, die sich von West nach Ost erstreckte. Im Süden hinter der ausgedehnten Wasserfläche türmten sich über der Sierra schwarze Wolkenballen zu einer drohenden Gewitterwand zusammen, in der es schon heftig wetterleuchtete. Dichte schwarze durcheinanderwirbelnde Mückenschwärme tanzten über der Lagune und insektenvertilgende Vögel schossen hin und her und füllten sich ohne Anstrengung die Mägen, allerdings schien die Zahl der blutsaugenden Quälgeister durch ihre Anstrengungen keineswegs abzunehmen.
Man schrieb den 31. Dezember 1776, aber hier an der Nordküste des von Spanien beherrschten südamerikanischen Kontinents auf ungefähr 10° nördlicher Breite war von winterlichen Temperaturen nichts zu spüren. Die Bewohner von Puerto Santo genossen die Zeit, in der ihnen die Sonne mittags nicht senkrecht auf den Scheitel brannte, sondern mittags nur etwa 60° hoch am Himmel stand. So war es jetzt immer noch warm am Kai, und die Seebrise, die feuchtigkeitsgeschwängert von der See im Norden durch die Gassen zur Lagune zog, sorgte für willkommene Abkühlung.
Auf den zwei kleinen Küstenseglern, die vor den Lagerhäusern am Kai an der Avenida del Puerto lagen, deckten die Seeleute die Ladeluken regensicher ab, denn heute war Dienstag und der letzte Tag des Jahres, da waren die Schauerleute schon vor dem regulären Arbeitsende plötzlich in den schattigen Gassen verschwunden, oder besser gesagt, sie waren aus den schwarzen Schlünden der Lagerhäuser nach der Siesta erst gar nicht wieder aufgetaucht. Da mochten die Skipper noch so fluchen und wettern, vor Donnerstagmorgen würde hier nichts mehr gehen. Den Matrosen sollte es recht sein.
Die Sitzplätze in den beiden Tavernen unter den Arkaden an der Avenida del Puerto, die durch einen großen Platz unterbrochen wurden, und dem Gasthaus mit seinem dem Flanierzentrum zugewandten Vorgarten füllten sich rasch. Um die Plaza del Rey, die sich von der Avenida im Süden quer über die schmale Landzunge bis vor das Eingangsportal, der für die kleine Stadt eigentlich zu großen KircheDe Nuestra Señora,mit ihren beiden in den Himmel aufragenden Türmen erstreckte, begann sich der abendliche Korso unter den Palmen und den stark duftenden mit Blüten jeder Couleur überdeckten Büschen zu formieren. Die jungen Damen und Mädchen promenierten in Gruppen und unter der Aufsicht misstrauisch blickenderdueñasüber die mit Fliesen belegten Gehwege. Mantillas aus feiner Spitze bedeckten ihre dunklen schimmernden Haare, die sorgfältig frisiert und durch Schildplattkämme gebändigt wurden. Über den Rand der Fächer, die sich in ständiger Bewegung befanden, musterten sie mit ihren feuchten Rehaugen, je nach Charakter neugierig verschämt bis herausfordernd, die ihnen entgegenkommenden heftig gestikulierenden Cliquen junger Machos in ihren knappen taillierten Jacken, blütenweißen Spitzenhemden, engen Hosen und halbhohen Stiefeln, die zu laut sprachen, um glaubhaft selbstsicher zu wirken.
Bald würden die Glocken zur Abendandacht rufen, und danach würden sich die braven Bürger je nach Stand zu verschiedenen ausgelassenen Gesellschaften zusammenfinden, um die Zeit bis zum Jahreswechsel mit üppigen Speisen, reichlich Wein sowie Tanz und ausschweifender Konversation zu überbrücken. Nach einem letzten Dankgebet für die Segnungen des vergangenen Jahres und der Bitte um Gesundheit und ausreichend Brot und Wein für den Tisch des Hauses, würden die Bürger der kleinen Stadt bald nach Mitternacht in den Schlaf der Gerechten sinken. Für die jungen Damen und Burschen würde nur die Erinnerung an flammende Blicke, eilig gestammelte leicht frivole Bemerkungen, den betäubenden Duft zu schwerer Parfums, und den beinahe zufälligen Druck einer festen Brust am Arm bleiben.
So war es bisher in jedem Jahr gewesen und so würde es auch in diesem Jahr werden.
*
Das Verderben näherte sich unaufhaltsam unter grauen Segeln, die wie fahle Leichentücher wirkten. Der halbe Mond war im Osten noch nicht aufgegangen. Ein gutes Dutzend Schiffe glitt langsam vor dem schwachen Wind, geschoben vom Weststrom über die schwach bewegte See. Bei Tage hätte man bei guter Sicht vom Masttop weit im Norden die Schildkröteninsel und im Südosten achteraus die Inseln der Säufer sehen können.
Plötzlich wurden an den Großrahnocken des größten Schiffes Laternen vorgeheißt. Es war ein Vollschiff mit hohem Vor- und Achterkastell, dessen Besanmast aber etwas altertümlich mit einem Lateinersegel getakelt war. Die Schiffe des Verbands schienen auf dieses Signal hin dichter zusammenzurücken und drehten bei. Boote wurden zu Wasser gelassen, sofern man sie nicht im Kielwasser mitgeschleppt hatte. Schattenhafte Gestalten bemannten die Boote, stießen von den Bordwänden ab und pullten zu dem massigen Schiff in der Mitte des kleinen Geschwaders hinüber.
Bald drängte sich in der Staatskabine des größten Schiffes, das den bezeichnenden NamenHellfireführte, eine bunte Gesellschaft. Die Kommandanten der zum Verband gehörenden Schiffe waren sehr verschiedener Herkunft und höchst unterschiedlich gekleidet. Drei der Männer waren sehr dunkle Mischlinge, fünf mochten spanische, französische oder auch italienische Vorfahren haben, die restlichen sechs schienen aus dem angelsächsischen, holländischen oder skandinavischen Raum zu stammen. So unterschiedlich ihre Haut- und Haarfarbe war, so vielfältig war auch ihre Kleidung. Bevorzugten die Mittel- und Nordeuropäer schlichte blaue Röcke, die nur vereinzelt mit vergleichsweise zurückhaltenden Verzierungen aus Goldborten und blitzenden Goldknöpfen versehen waren, so produzierten sich die Herren aus dem mediterranen Bereich mit wuchtigen Epauletten, purpurroten Schärpen, funkelnden Orden und schweren Goldketten. Die Mulatten waren bunt wie Paradiesvögel gekleidet. Einer trug den roten Rock eines Obersten der Royal Marines, dazu ein Kopftuch aus grüner Seide, auf einem Revers blitzte eine Goldbrosche mit Smaragden und Rubinen. Unter dem dicken Uniformrock trug er nur ein leichtes Hemd, das bis zum Gürtel offen stand. Die Hose war unter den Knien ausgefranst und an den Füßen drückten ihn keine Schuhe. Ein anderer war nur mit einer kurzen offenen Weste und schlichten Arbeitshosen bekleidet, dafür zierte ein großer goldener Ring mit einem Diamanten sein rechtes Ohr und auf seiner nackten Brust hing ein dickes goldenes Kreuz an einer massiven Kette. An jedem Finger funkelte ein schwerer Ring. Zwei Personen fielen in der illustren Gesellschaft auf, weil sie irgendwie nicht dazuzugehören schienen. Ein Mann, der in einem schlichten aber teuren Anzug wie ein typischer englischer Gentleman gekleidet war, saß achtern auf der Bank unter den Heckfenstern in einer Ecke, er blickte blasiert und unendlich gelangweilt auf das bunte Völkchen. Seine Kurzhaarperücke war tadellos gepudert und frisiert. Er wirkte so deplatziert wie ein Theaterkritiker während der Premierenvorstellung auf der Bühne. Ein anderer, dem seine langen offenen blonden Locken bis auf die Schultern fielen, hielt am Ende des großen Tischs einen deutlichen Abstand zu seinen Nachbarn. Er hatte eine seiner feingeschwungenen Augenbrauen abschätzig in die Höhe gezogen. Seine dunkelblauen fast violetten Augen blickten kühl. Die kleine Nase stand etwas schief in seinem sonst ebenmäßig geschnittenen Gesicht, als wäre sie früher einmal durch einen heftigen Schlag gebrochen worden. Die vollen Lippen waren fest aufeinandergepresst, das Kinn hatte er energisch nach vorne geschoben. Er war mit einem einfach geschnittenen blauen Rock aus bester Seide bekleidet. Der hohe, geschlossene Stehkragen unterstrich die herbe Schlichtheit seiner Erscheinung. Die Hände lagen flach nebeneinander auf der Tischplatte. Am Ringfinger der rechten Hand fiel dem aufmerksamen Beobachter allerdings ein seltsamer Ring auf. Er bestand aus zwei sich gegenläufig umeinander windenden Schlangen, deren in die Höhe gereckten Köpfe einen mindestens einkarätigen Diamanten hielten. Ein großer Weinpokal stand unberührt vor ihm.
Der Wortführer dieser Versammlung, offensichtlich der Kapitän dieses Schiffes, fuhr in seiner Rede fort: „Unser Plan ist also klar! Wir brauchen diesen Hafen für einige Zeit als Rückzugsort, als Lager- und Umschlagsplatz für unsere… äh… nun ja, Handelswaren aller Art und als Nachschub- und Reparaturstützpunkt. Die Briten sind zurzeit gereizt wie die Giftnattern. Sie haben bereits vielen unserer Brüder die Hälse in die Länge gezogen oder sie in Stücke geschossen und einige unserer besten Verstecke ausgeräuchert. Besonders gefährlich ist diese Slup mit den neuen kurzen großkalibrigen Kanonen, denen wir nichts entgegenzusetzen haben. Dernomme de guerreihres Kommandanten lautet nicht umsonst Wild Bull, der Kerl ist in der Tat aggressiv wie ein wütender Stier und fackelt nicht lange. Unseren lieben französischen Freund und Bruder von derL’Oiseau Noirsoll er eigenhändig mit einer Muskete umgenietet haben, der Teufel möge ihn holen – und das möglichst auf der Stelle!
Die kleine Stadt Puerto Santo liegt, wie ihr alle wisst, am Ende einer langen schmalen Landzunge. Sie wird von Festungen geschützt. Die eine, das Fort de los Angeles liegt auf der östlichen Landspitze und sichert die Zufahrt zum Hafen, das andere, Fort Los Apóstoles, ist das befestigte Stadttor, es versperrt den landseitigen Zugang. Auf der Seeseite werden die beiden Forts durch eine hohe steinerne Stadtmauer verbunden, an deren Fuß wegen der scharfen Unterwasserfelsen und Untiefen selbst bei Totenflaute ein Anlanden kaum möglich ist. Vom Fort Los Apóstoles erstreckt sich eine geschüttete Mole in einem weiten Bogen in die Lagune, die nur beim Fort de los Angeles eine Durchfahrt in den Hafen hat. Über die Stärke und die Kampfkraft der Garnison wissen wir trotz der Berichte unserer Spione wenig, aber dürfen davon ausgehen, dass wir es nicht gerade mit Elitetruppen zu tun bekommen werden, besonders nicht in der Silvesternacht.
Wir müssen mit unseren Booten über sie kommen wie ein zustoßender Seeadler über den fetten Fisch. Insgesamt dürfte es in der Stadt etwa zwei- bis dreihundert Haushalte geben. Unsere Landungsabteilungen werden insgesamt eine Stärke von achthundert Männern haben. Es sollte daher keinen Zweifel geben, wie das Ergebnis aussehen wird.
Die Männer von unseren, ääh …, zivilen amerikanischen und holländischen Verbündeten werden die im Hafen liegenden Schiffe und das Zollhaus besetzen und dort jeden Widerstand im Keim ersticken. Das ist doch wohl nicht zu viel verlangt, oder?“ erkundigte er sich mit einem spöttischen Grinsen. „Ich könnte mir vorstellen, dass es dem einen oder anderen Gentleman eine große Genugtuung sein wird, den verfluchten arroganten und korrupten Schnüffelnasen vom Zoll das Tanzen zum Takt eines Tampens beizubringen, ho, ho, ho – guter Witz, das!“ Er schwang ein imaginäres Tauende und macht ein paar tapsige Tanzschritte wie ein Bär auf einer heißen Metallplatte.
„Unsere Kollegen mit den königlichen Lizenzen zum Seeraub, die ihnen von den Majestäten Frankreichs bzw. Spaniens ausgestellt worden sind, besetzen die Festungen und die Kommandantur. Bei einem freundlichen Schwätzchen von Kamerad zu Kamerad wird man sich ganz sicher schnell einigen können, nicht wahr? Notfalls muss man ein wenig nachhelfen!“ Mit seiner hornigen Pranke schlug er vielsagend auf den Säbel an seiner Hüfte. „Besonders dann, wenn man möchte, dass der spanische König nicht erfährt, dass man seinen Kaperbrief wohl etwas zu großzügig ausgelegt hat und sich eine seiner Städte unter den Nagel gerissen hat. Das würde ihn betrüben, ja, es würde ihn sehr traurig stimmen, denn bestimmt bekommt Seine Allerkatholischste Majestät das in den falschen Hals, ho, ho, ho. Soweit ich gehört habe, kann er sehr nachtragend sein. Ich könnte mir vorstellen, dass er seinen ungetreuen Landeskindern die Garotte für ihren Hals von seinen Schergen nachtragen lässt! Ho, ho, ho, guter Witz!“
Zwei der Kommandanten funkelten ihn mit blitzenden Augen böse an, ihre Lippen waren dünne fast weiße Linien, aber sie schwiegen.
„Viel zu holen wird es in dem Ort nicht geben, es ist kein reicher Hafen, aber darauf kommt es diesmal auch gar nicht an. Die Männer und nutzlose Esser sind tunlichst niederzumachen. Was mit den Frauen zu geschehen hat, muss ich euch ja wohl nicht lange erklären, ho, ho, ho!“ lachte er brüllend.
Der junge blonde Mann am anderen Ende des Tisches presste die Lippen noch fester aufeinander, blickte dem schweren Mann mit dem roten Gesicht und der violetten Knollennase dann gerade in die Augen und fuhr ihn dann mit einer erstaunlich hellen aber schneidenden Stimme furchtlos an: „Mit Verlaub, Käpt’n Swiney, aber waren wir nicht übereingekommen, bei den Männern diejenigen zu verschonen, die uns nützlich sein können, also die Handwerker sowie alle Knechte und einfache Soldaten, die schon lange davon träumen, den Fängen des spanischen Despoten und seiner Stellvertreter zu entkommen und ihr Glück unter der Flagge der Freiheit zu machen?“
„Nun ja, ääh, das habe ich im Überschwang wohl vergessen, ho, ho, ho. Was so ein alter Feuerfresser ist, wie ich einer bin, wenn der so richtig in Fahrt kommt, dann … ääh … rollt schon mal eine Rübe zu viel. Hauptsache es ist nicht die eigene, ho, ho, ho! Starker Witz, das!“ Er brüllte anhaltend vor Lachen und schlug sich mit seinen beiden tellergroßen Händen klatschend auf die Schenkel. Seine Kumpane fielen grölend ein. Der englische Gentlemen keine Miene. Die Männer, die wie Nord- und Mitteleuropäer wirkten, verzogen eher geringschätzig die schmalen Lippen und auch der blonde Jüngling gönnte sich nur ein angedeutetes Lächeln. Offensichtlich hatte auch er schon bessere Scherze gehört.
„Mit Verlaub, Käpt’n Swiney, gebe ich weiter zu bedenken, dass wir widerspenstige Spezialisten unter den Gefangenen nur zur Kooperation zwingen können, wenn wir ein Druckmittel haben. Natürlich kann Folter überzeugend wirken, aber ein Schiffszimmermann, dem man die Finger und Rippen gebrochen hat, ist vermutlich nicht mehr sonderlich geschickt bei der Arbeit …“
„Ho, ho, ho, das ist gut, das ist sogar sehr gut! Nein, sonderlich geschickt wird der wohl nicht mehr sein … wahrlich nicht!“
„Daher gebe ich - mit Verlaub - zu bedenken, dass man die Männer am wirkungsvollsten mit dem Schicksal ihrer Frauen unter Druck setzen kann. Das klappt aber nur, solange ein intaktes Drohpotenial existiert, wenn Sie verstehen, was ich meine, Käpt’n Swiney.“
„Ääh … vollkommen. Reden Sie weiter, Käpt’n Bondie, erklären Sie es den anderen.“
„Gerne, Käpt’n Swiney, mit Ihrer freundlichen Erlaubnis …“ Er verbeugte sich leicht. „So lange wir dem besagten Schiffszimmermann damit drohen können, dass wir seine weiblichen Familienangehörigen brutal vergewaltigen werden, falls er nicht spurt, wird er für uns schuften, bis ihm das Blut unter den Nägeln hervorquillt. Die Drohung verliert aber sofort ihre magische Kraft, wenn er weiß, dass seine Töchter schon mit zwei Dutzend unserer Matrosen das Bett geteilt haben. Sie haben dann für ihn und die anderen bürgerlichen Heuchler keine Ehre mehr, sie sindputas, und er selbst hat sein Ansehen auch verloren, weil er seine Familie nicht schützen konnte, folglich wird er beispielsweise auf Flucht sinnen oder geschickt Schwachstellen in unsere Schiffe einbauen …“
„Das soll er sich besser nicht einfallen lassen, das Fell würde ich ihm bei lebendigem Leib abziehen, eigenhändig, wenn es denn sein muss, zum Donnerwetter!“
„Gewiss, Käpt’n Swiney, wir kennen Ihre beachtlichen Fähigkeiten auf diesem Gebiet. Aber Sie haben doch gewiss schon lange die von mir eben vorgetragene Idee erwogen und werden unsere Brüder und Verbündeten von ihrer Nützlichkeit überzeugen?“
„Gewiss, gewiss! Aber es bleibt dabei, alle Offiziere und sonstige nutzlose Fresser werden über die Planke geschickt – sozusagen. Die Handwerker sperren wir in den Verliesen am Stadttor ein, das Weibervolk bis auf weiteres in der Seefestung. Und das ihr mir den Priester schont!“ Er sah die versammelten Kommandanten drohend an. „Nun denn, so soll es geschehen! Brüder, Ihr habt mir für diese Aktion das Oberkommando übertragen, was gibt es da zu murren?“
Aus dem Hintergrund meldete sich eine näselnde Stimme: „Könnte es sein, dass Käpt’n Bondie die Weiber nur schonen will, weil sie selbst eine Frau ist?“
Kapitän Bondie schnellte wie eine Stahlfeder in die Höhe und zischte den Sprecher an: „Wiederhole das noch einmal, Dulac, du stinkender Kläffer, dann gehen wir beide an Deck …“ Die rechte Hand ruhte auf dem Griff des Degens.
„Schon gut, schon gut, ahem, war ja nur so ein Gedanke …“ knurrte Dulac verkniffen, seine Augen wieselten wie die einer in die Enge getriebenen Ratte gehetzt umher, denn er wusste nur zu gut, wie gut die Frau mit der Waffe umzugehen verstand. Wahrscheinlich konnte sie jeden Mann in der Flotte mit der Klinge massakrieren. Man wurde nicht Kommandant auf einem Schiff voller wilder Kerle und blieb am Leben, wenn man sich nicht ihrer erwehren und ihren Respekt erwerben konnte.
„Ruhe jetzt!“ brüllte Kapitän Swiney. „Der Angriff erfolgt zu acht Glasen der Mittelwache, also vier Stunde nach Mitternacht, dann dürfte das schwache Mondlicht zur sicheren Ansteuerung ausreichen. Für die Einwohner von Puerto Santo wird das ein sehr bewegter Neujahrsmorgen werden, fürchte ich, ho, ho, ho!“
Die Kommandanten tranken ihren Wein aus und trollten sich auf das Deck, um sich wieder zu ihren Schiffen übersetzen zu lassen. Während sich die Kapitäne der Korsaren und Freibeuter um die Ehre stritten, wer zuerst von Bord gehen dürfe, wartete eine Gruppe von vier Kapitänen, die mit schlichten blauen Röcken bekleidet waren, etwas abseits darauf, dass sie ihre Boote besteigen konnten.
„Bei meiner Seel, Käpt’n Ebenezar Finch, das schmeckt mir alles ganz und gar nicht!“ murrte er in bestem Yankee-Dialekt. „Wie weit ist es mit uns gekommen, dass wir uns mit gemeinem Piratenpack verbünden müssen, um von König Georgs Navy ungeschoren, Handel treiben zu können! Einen Hafen überfallen! Bei meiner unsterblichen Seele!“
„Sie haben völlig Recht, Käpt’n Samuel Fowley, aber was bleibt uns übrig. Wie dieser miese Clown Swiney völlig richtig festgestellt hat, setzt die Royal Navy alles daran, unseren Handel mit den französischen, spanischen, dänischen und holländischen Besitzungen in der Karibik zu unterbinden. Ganz zu schweigen von den Möglichkeiten, unsere tapferen Truppen mit Nachschub zu versorgen!“
„Gentlemen“, mischte sich der dritte Kapitän, ein scharfäugiger ältere Mann, der auf den Namen Balthasar Mitchell hörte, ein, „natürlich ist alles völlig richtig, was Sie vorbringen, aber mitgegangen bedeutet im Falle des mitgefangen auch mitgehangen! Wir können uns bei der Aktion noch so sehr zurückhalten und niemandem ein Haar krümmen, sollten uns die Briten – oder die Spanier – zwischen die Finger bekommen, dann werden sie uns zu einem wunderschönen Rundblick über einen Häfen verhelfen - an einem Galgen auf der Hafenmole!“ Er fasste sich unbehaglich mit einer Hand an den Hals.
„Wer mit dem Teufel speisen will, muss einen langen Löffel haben“, knurrte Fowley. Sein großer Adamsapfel wanderte unruhig in seinem dünnen Geierhals auf und ab.
*
Um Mitternacht läuteten die Glocken der Kirche feierlich, aus ihrem Inneren erklang ein machtvoller Choral. Die weniger frommen Bewohner, die schwarzen Schafe des Erzpriesters, sangen in den Weinstuben Lieder vom Herzeleid und Liebesglück. Bald gesellten sich die Kirchgänger zu ihnen, und auf den Straßen herrschte rege Betriebsamkeit. Überall wurde gelacht, musiziert und getanzt, fröhliche Menschen umarmten sich und wünschten sich alles Gute zum Neuen Jahr. Gegen zwei Uhr in der Früh wurde es dann langsam ruhiger, die Straßen leerten sich, immer mehr Fensterläden wurden geschlossen und die Lichter gelöscht. Nur noch einige wenige Hartsäufer blieben auf ihren Schemeln hocken und versuchten mit einem letzten halben Litervinotintoihr Quantum zum Eichstrich zu erreichen.
Sergeant Morales machte leicht schwankenden Schrittes seine Runde. Bei seiner Annäherung versteckten die Posten schnell ihre Weinkrüge und nahmen so etwas wie militärische Haltung an. Morales war guter Laune, weil er gleich wieder zu seinen Kameraden, den Weinflaschen und den Resten eines üppigen Abendessens in der Wachstube zurückkehren konnte, daher nickte er seinen Männern nur huldvoll zu und stiefelte schaukelnd weiter. Soldat Gonzales grinste in sich hinein. „Der hat aber auch Glück, dass dertenienteheute in der Stadt feiert, sonst wäre bei der Schlagseite ein kräftiger Anschiss fällig!“ murmelte er leise vor sich hin, dann packte er den Weinkrug, nahm einen langen Zug, drückte sich in einen geschützten Winkel hinter der Brustwehr. Wie er aus Erfahrung wusste, konnte er in dieser Haltung hervorragend schlummern, der Sergeant würde erst gegen Sonnenaufgang wieder hier auftauchen, bis dahin … Er grinste zufrieden vor sich hin. Wem nützte es schon, wenn er sich hier die Augen in dieser trübgrauen Nacht aus dem Kopf stierte. Was sollte in diesem von Gott und der Welt vergessenen Rattennest schon passieren. Hier geschah ja schon am Tage nichts, was einem mehr als ein anhaltendes Gähnen entlocken konnte. Er blickte nochmals zum Wetterleuchten über der Sierra hinüber, schob sich dann den Hut weit in die Stirn, gähnte und murmelte: „Ein Viertelstündchen Augenpflege habe ich mir jetzt redlich verdient, sobald ich aufwache, werde ich Manuel an der anderen Ecke der Bastion einen Besuch abstatten.“
Puerto Santo, 01.01.1777
Gonzales würde nicht wie beabsichtigt aufwachen, er würde nie wieder aufwachen, denn er hörte nicht das Klappern der Wurfdraggen, die über die Brustwehr geschleudert wurden, sah nicht die schwarzen Schatten, die an den Tampen heraufgeklettert kamen, spürte nicht den scharfen Dolch, der sich in seinen Hals bohrte und seine Kehle durchtrennte.
Die schwarzen Schatten waren überall, durchsuchten planmäßig die kleine Festung und töteten die überraschten Wachen. Lautlos legte eine Flotte aus kleinen und großen Booten im Hafen am Kai und neben den vertäuten Schiffen an. Hunderte mit Entermessern, Tomahawks, Blunderbüchsen und Pistolen bewaffnete Matrosen und Filibuster quollen heraus, ein Teil stürmte das Fort mit dem Stadttor von hinten und vollbrachte dort sein blutiges Handwerk, die anderen besetzten - für einen Piratenhaufen untypisch, hier zeigte sich der Einfluss der zum Teil militärisch geschulten Freibeuter - systematisch die Straßen und drangen dann in die Häuser ein. Dank der Aufklärungsarbeit ihrer Kundschafter waren sie genau darüber informiert, welche Häuser sie als erstes zu besetzen hatten. Erst jetzt wurde es laut in dem unglücklichen Ort. Türen splitterten unter Axthieben, Fenster klirrten, Männer fluchten laut, Frauen kreischten in panischem Schrecken, Kinder schrien verstört, Hunde kläfften aufgeregt, um dann mit einem letzten schmerzlichen Jaulen zu verstummen, die Kirchenglocken begannen Sturm zu läuten, aber über allem erklang das rohe triumphierende Grölen und Brüllen der Piraten. Jeder Widerstand war schnell gebrochen. Mit unbeschreiblicher Brutalität und Grausamkeit meuchelten die Korsaren alle Männer nieder, die sich ihnen in den Weg stellten, darunter befanden sich auch viele Knaben in jugendlichem Alter. Bei den Offizieren der Garnison, den wohlhabenden Kaufleuten und den königlichen Beamten ließen sie sich besonders subtile Todesarten einfallen, die in der Regel so schmerzhaft waren, dass die Geschundenen ihrem Schöpfer danken konnten, wenn sie bald in eine gnädige abgrundtiefe Bewusstlosigkeit fielen, aus der kein Erwachen mehr gab. Unter den weiblichen Angehörigen dieser Opfer gab es wohl keine, die sich nicht nach einem leichten erlösenden Tod gesehnt hätte, aber der blieb ihnen versagt.
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