Entice - Ava Harrison - E-Book

Entice E-Book

Ava Harrison

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Beschreibung

Grayson Price rettete River Reed vor acht Jahren vor einer fatalen Entscheidung und stand ihr im schwersten Moment ihres Lebens bei. Damals war sie ein verzweifeltes junges Mädchen, heute ist sie eine wunderschöne, selbstbewusste Frau. Als Grayson sie eines Abends in einer Bar trifft, erkennt er sie zunächst nicht. Erst als sein bester Freund, Rivers Vater, auftaucht, realisiert Grayson, wer sie ist: das Mädchen, dem er einst zur Seite stand und das er nie vergessen konnte. 

River hat Grayson all die Jahre bewundert und als sie erneut aufeinandertreffen, flammen alte Gefühle wieder auf. Doch Grayson weiß, dass sie sich voneinander fernhalten sollten – zu viel steht zwischen ihnen. Doch je öfter sie sich begegnen, desto stärker wird die Anziehungskraft zwischen ihnen. River und Grayson spielen ein gefährliches Spiel, das sie immer mehr in seinen Bann zieht. Kann ihre Liebe gegen alle Widerstände bestehen? Oder wird das Feuer, das sie entfachen, alles zerstören? 

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Liebe Leserin, lieber Leser,

Danke, dass Sie sich für einen Titel von »more – Immer mit Liebe« entschieden haben.

Unsere Bücher suchen wir mit sehr viel Liebe, Leidenschaft und Begeisterung aus und hoffen, dass sie Ihnen ein Lächeln ins Gesicht zaubern und Freude im Herzen bringen.

Wir wünschen viel Vergnügen.

Ihr »more – Immer mit Liebe« –Team

Über das Buch

Grayson Price rettete River Reed vor acht Jahren vor einer fatalen Entscheidung und stand ihr im schwersten Moment ihres Lebens bei. Damals war sie ein verzweifeltes junges Mädchen, heute ist sie eine wunderschöne, selbstbewusste Frau. Als Grayson sie eines Abends in einer Bar trifft, erkennt er sie zunächst nicht. Erst als sein bester Freund, Rivers Vater, auftaucht, realisiert Grayson, wer sie ist: das Mädchen, dem er einst zur Seite stand und das er nie vergessen konnte. 

River hat Grayson all die Jahre bewundert und als sie erneut aufeinandertreffen, flammen alte Gefühle wieder auf. Doch Grayson weiß, dass sie sich voneinander fernhalten sollten – zu viel steht zwischen ihnen. Doch je öfter sie sich begegnen, desto stärker wird die Anziehungskraft zwischen ihnen. River und Grayson spielen ein gefährliches Spiel, das sie immer mehr in seinen Bann zieht. Kann ihre Liebe gegen alle Widerstände bestehen? Oder wird das Feuer, das sie entfachen, alles zerstören? 

Über Ava Harrison

USA Today Bestsellerautorin Ava Harrison liebt das Schreiben. Wenn sie sich nicht gerade neue Romances ausdenkt, kann man sie bei einem ausgiebigen Schaufensterbummel, beim Kochen für ihre Familie oder mit einem Buch auf der Couch antreffen.

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Ava Harrison

Entice

Aus dem Amerikanischen von Beate Brookes

Übersicht

Cover

Titel

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Inhaltsverzeichnis

Titelinformationen

Grußwort

Informationen zum Buch

Newsletter

Widmung

Zitat

1. KAPITEL — Grayson

2. KAPITEL — River

3. KAPITEL — Grayson

4. KAPITEL — River

5. KAPITEL — Grayson

6. KAPITEL — River

7. KAPITEL — Grayson

8. KAPITEL — River

9. KAPITEL — Grayson

10. KAPITEL — River

11. KAPITEL — Grayson

12. KAPITEL — River

13. KAPITEL — Grayson

14. KAPITEL — River

15. KAPITEL — Grayson

16. KAPITEL — River

17. KAPITEL — Grayson

18. KAPITEL — River

19. KAPITEL — Grayson

20. KAPITEL — River

21. KAPITEL — Grayson

22. KAPITEL — River

23. KAPITEL — Grayson

24. KAPITEL — River

25. KAPITEL — Grayson

26. KAPITEL — River

27. KAPITEL — Grayson

28. KAPITEL — River

29. KAPITEL — Grayson

30. KAPITEL — River

31. KAPITEL — River

32. KAPITEL — Grayson

33. KAPITEL — River

34. KAPITEL — Grayson

35. KAPITEL — River

36. KAPITEL — Grayson

37. KAPITEL — River

38. KAPITEL — Grayson

39. KAPITEL — River

40. KAPITEL — Grayson

41. KAPITEL — River

42. KAPITEL — Grayson

43. KAPITEL — River

44. KAPITEL — Grayson

EPILOG

DANKSAGUNG

Impressum

Lust auf more?

Gewidmet meiner verrückten, unkonventionellen Familie

Ein Zuhause ist kein Ort, es sind die Menschen

»Das Verbotene hat einen Reiz,

der es unbeschreiblich begehrenswert macht.«

Mark Twain

1. KAPITEL

Grayson

»Was soll das heißen, ich muss nach Málaga?«, zische ich ins Telefon.

Es ist acht Uhr an einem Freitagmorgen nach einer langen Woche. Das Letzte, wonach mir der Sinn steht, ist eine Reise, ganz zu schweigen von einer nach Spanien.

»Du meine Güte, Gray. Du führst dich auf, als würde ich dir mitteilen, du müsstest ins Gefängnis. Es ist Málaga, Herrgott noch mal! Eine wunderschöne Stadt an der traumhaften iberischen Küste«, erwidert meine Schwester Addison. Ihr gehen die Worte leicht über die Lippen. Sie hat seit Wochen nicht gearbeitet.

Apropos …

»Arbeitest du immer noch nicht?«, frage ich durchs Telefon.

»Nee«, erwidert sie.

Ein tiefer Atemzug entweicht meiner Lunge und ich wirble in meinem Bürostuhl herum, um auf die Stadt zu schauen. Der Ausblick von Price Enterprise ist traumhaft. Hoch oben an der Ecke Park Avenue und 50th Street zeigt mein Büro nach Downtown. Es ist ein herrlicher Morgen, und ich sehne mich seit Tagen nach ein wenig dringend benötigter Einsamkeit. Überstürzt abzureisen und bei Meetings einzuspringen, an denen eigentlich meine Schwester hätte teilnehmen sollen, ist nicht meine Vorstellung von einem geruhsamen Wochenende.

Bitte nicht falsch verstehen. Ich liebe meine Schwester, aber sie hätte längst zurück sein müssen.

»Hör mal, wegen der vielen Arbeit konnte ich letzten Herbst keine richtige Hochzeitsreise machen«, unterbricht sie meine innere Schimpftirade.

Ich drehe mich zu meinem Schreibtisch zurück und klicke auf den Kalender in meinem Computer. »Aber auf deiner ›zweiten’ Hochzeitsreise bist du nun schon länger fort als die meisten. Ist es eigentlich nicht üblich, höchstens zwei Wochen Urlaub zu nehmen?«

»Nun, ich nehme mehr.« Sie lacht durch die Leitung.

»Addy.«

»Komm mir nicht mit Addy. Ich habe geheiratet und genieße die Zeit mit meinem Ehemann. Tu nicht so, als gäbe es unüberwindbare Probleme. Du willst mich nur ärgern.«

Bei ihren Worten muss ich schließlich lächeln. Es ist mir im Grunde einerlei, ob sie im Büro ist. Ich vermisse sie einfach nur. Nach dem Tod unseres Vaters sind wir drei eingesprungen, um die Firma zu leiten. Und ich liebe es, ihr die Hölle heiß zu machen. So war es schon immer. So wird es immer bleiben.

»Dafür sind ältere Brüder doch da.«

Ich kann durch die Leitung hören, wie sie laut einatmet, dann sagt sie: »Worum geht es wirklich?«

»Ich vermisse dich«, gestehe ich mit einem Seufzen. »Und ich weiß nicht, wie viel länger ich Jaxson noch ertrage. Du bist unser Puffer.«

»War das so schwer über die Lippen zu bekommen?« Sie kichert. Ganz offensichtlich genießt sie meinen Moment der Schwäche.

»Ja. Aber da ich nun schon einmal gestanden habe, dass ich dich vermisse, kann ich gleich hinzufügen, dass die Dinge hier ohne dich einfach nicht dieselben sind.« Ich hasse es, meine Gefühle offen zu zeigen, aber wenn es um meine Schwester geht, kann ich einfach nicht anders.

»Siehst du? Dann sei doch froh, dass du nach Spanien darfst.«

Eigentlich nicht. »Warum sollte ich froh sein?«

»Erstens ist es ein wunderschönes Land. Zweitens …«

Ich unterbreche sie. »Addison, du bist diejenige, die gern verreist, nicht ich.«

»Nun, leider müssen sich die Dinge manchmal ändern. Pass dich an, Gray. Wenn ich nicht im Büro bin, musst du für mich einspringen und unsere beiden Posten übernehmen«, ermahnt sie mich streng. Als müsste ich mich von meiner jüngeren Schwester wegen irgendwelcher Versäumnisse rügen lassen. »Oder willst du, dass ich Jax schicke? Ich bin ziemlich sicher, dass er mich passabel … vertreten würde.«

»Na schön.« Mein kleiner Bruder ist toll, aber er ist niemand, der irgendwelche Geschäfte zum Abschluss bringt. »Wann sind deine Meetings?«

»Morgen«, sagt sie, als würde das meine Pläne nicht völlig auf den Kopf stellen.

»Du schuldest mir was.«

»Immer. Danke. Hab dich lieb.« Sie schickt mir unsichtbare Luftküsse zu, bevor sie das Gespräch beendet.

Als ich das Handy weglege, schüttle ich grinsend den Kopf. Meine kleine Schwester ist der einzige Mensch, der mich dazu bringt, Dinge zu tun, die mir völlig gegen den Strich gehen.

Sie ist mein wunder Punkt und wenn ich ehrlich bin, verstehe ich nach allem, was sie durchgemacht hat, dass sie ein bisschen Zeit weit weg von allem braucht.

Als hätte ich ihn zu mir bestellt, spaziert Jaxson just in diesem Moment in mein Büro. Ich blicke zu ihm, dann zur Tür. Die Tür, die geschlossen war.

»Anklopfen wäre nett«, sage ich und hebe eine Augenbraue.

»Was ist dir denn über die Leber gelaufen?« Er schlendert weiter ins Zimmer und ignoriert meine Bemerkung geflissentlich, als müsse er sich um nichts in der Welt Sorgen machen, und im Grunde tut er das auch nicht. Er ist ein gutes Stück jünger als ich. Eigentlich müsste ich in ihm einen erwachsenen Mann sehen, den COO dieser Firma, aber wenn er in weißem T-Shirt, zerrissener Jeans und einer Baseballkappe in mein Büro spaziert, fällt mir das verdammt schwer.

»Mir ist gar nichts über die Leber gelaufen«, entgegne ich unwirsch.

Abwehrend hält er eine Hand hoch. »Warum siehst du dann aus, als müsstest du dringend aufs Klo? Außer …«

»Sagst du auch mal nicht, was dir gerade durch den Kopf geht?« Die Worte platzen so laut aus mir heraus, dass sie jeder im Nebenzimmer hören würde. Zu meinem Glück ist Addisons Büro leer.

»Äh.« Er zuckt mit den Schultern. »Fast nie. Was ist los, Bruderherz?«

»Ich wünschte, du würdest erwachsen werden und härter arbeiten«, feuere ich zurück.

»Ich arbeite hart.«

»Frauen im Netz zu hacken, kann man wohl kaum Arbeit nennen.«

»Zuallererst musst du dich präziser ausdrücken. Zweitens, wie soll ich sonst herausfinden, ob sie psycho sind, bevor ich mit ihnen ausgehe?« Er klingt todernst.

Ich schüttele den Kopf. Mein Bruder ist verrückt.

»Mach es wie der Rest von uns.«

»Ja, und sieh nur, wie das bei dir geklappt hat. Deine letzte Beziehung hatte eine bombastische Sechs verdient. Mit CHS am Ende, nicht mit X.«

»Das lag gewiss nicht daran, dass ich sie nicht im Netz gestalkt habe. Aber egal. Wann wirst du endlich erwachsen und übernimmst Verantwortung … und zwar hier? Im Sinne von: in diesem Büro, bei Price Enterprise.«

»Ich bin der COO.« Seine Stimme klingt ernst, als hätte er das Sagen, als würde er pünktlich zur Arbeit kommen und als Letzter nach Hause gehen.

»Nur auf dem Papier. Wenn ich mich nicht recht täusche, musst du nicht sämtliche Meetings von Addison übernehmen.«

»Ahhh. Jetzt verstehe ich, was los ist.«

»Was soll los sein?«

»Du bist neidisch auf unsere Schwester.« Der selbstgefällige Scheißkerl grinst feixend.

»Natürlich beneide ich sie. Sie ist im Urlaub und ich muss ihre ganze Arbeit machen.«

»Wohin musst du diesmal?«, fragt er.

Es ist wohl offensichtlich, dass Addison mich ans andere Ende der Welt schickt. Vor drei Tagen war ich in Tennessee, davor in Frankreich und davor … an wie vielen Orten war ich seit der Hochzeit meiner Schwester? An zu vielen, um sie alle im Gedächtnis zu behalten.

»Spanien.«

»Spanien ist ein wunderschönes Land. Die Frauen …«

Ich hebe die Hand, um meinen Bruder zum Schweigen zu bringen. »Die Frauen interessieren mich nicht.«

»Vielleicht ist das dein Problem. Würdest du mit jemandem vögeln …« Er wackelt vielsagend mit den Augenbrauen.

»Auch wenn es dich einen feuchten Kehricht angeht, brauche ich keine Tipps, wann, wo und mit wem ich vögeln soll.« Meine Stimme wird unwillkürlich laut. Spätestens jetzt müsste das gesamte Stockwerk unser Gespräch mitbekommen. »Ich habe bloß die Schnauze voll vom Reisen.« Und das stimmt. Ich mag Routine. Ich mag Ordnung. Ich mag es, die Kontrolle zu haben. Und Addison, die mich jeden Tag anruft, bringt all das durcheinander. Mein Vater wollte immer, dass seine Firma von einer Generation zur nächsten weitergegeben wird und erfolgreich ist, und obwohl ich mit den Reisen genau dieses Ziel verfolge, habe ich das Gefühl, ich könnte viel mehr erreichen, wenn ich an meinem Schreibtisch sicherstelle, dass der Laden profitabel ist. Die Zeit, die ich vergeude, um nach Spanien zu reisen, könnte hier viel besser genutzt werden.

Vielleicht ist dieses Meeting überhaupt nicht so wichtig und jemand anderes könnte hinfahren …

Ich nehme das Telefon zur Hand und rufe Addison zurück.

»Schon so schnell. Nein. Du kannst dein Versprechen nicht brechen.«

»Ich breche mein Versprechen nicht. Ich wollte nur wissen, wen ich dort treffe.«

»Oh, hatte ich vergessen, dir das zu sagen?« Ihre Stimme wird ganz leise und ich frage mich, was los ist. »Es ist Tyler.« Sie zögert und ich spüre, dass sie noch etwas sagen will.

Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Ich habe seit Jahren nicht mit ihm gesprochen.

»Fuck.«

Okay, jetzt bin ich mir doch sicher, was ich davon halte.

»Du hast auch noch ein paar andere Termine …«, sagt sie rasch, »aber das große Meeting ist mit Tyler.«

»Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist.«

»Ich habe nur das Gefühl, es ihm zu schulden.« Sie seufzt durchs Telefon.

»Was meinst du?« Meine Schultern sind angespannt.

»Hör mal, Gray. Ich war diejenige, die Dad überredet hat, Tyler nicht zu beauftragen …«

»Das ist nicht der Punkt, Addison. Das war etwas Geschäftliches und Tyler Reed war mein bester Freund. Wegen eines Jobs hat er diese Freundschaft weggeworfen«, zische ich.

»Ich weiß, aber bei allem, was gerade in meinem Leben vor sich geht, habe ich angefangen, über sämtliche Menschen nachzudenken, die ich in der Vergangenheit verletzt habe, und Tyler ist einer von ihnen. Ich will es wiedergutmachen.«

»Okay …« Meine Stimme verliert sich. »Warum jetzt?«

»Mir ist das Gerücht zu Ohren gekommen, dass es seiner Firma nicht gut geht. Ihm die Planung des Grundstücks zu übertragen, mag kein großer Auftrag sein, aber es ist das Mindeste, was ich tun kann, um ihm zu helfen.«

Ich stoße einen lang angehaltenen Atemzug aus. »Ich treffe mich mit ihm. Aber ganz ehrlich, Addison … wenn er immer noch dieses Riesenarschloch ist, mache ich auf dem Absatz kehrt.«

»Bestimmt nicht. Nach allem, was ich am Telefon mitbekommen habe, als ich das Treffen arrangiert habe, scheint er sein Verhalten wirklich zu bereuen.«

»Schön, wenn das alles ist, sprechen wir später noch mal. Außer da gibt es noch einen anderen Menschen aus meiner Vergangenheit, mit dem du mich überraschen willst?«

»Im Moment nicht, aber lass mich kurz darüber nachdenken«, scherzt sie mit sanfter Stimme. »Hab dich lieb.«

»Hab dich auch lieb«, erwidere ich, bevor ich das Gespräch beende.

Das Treffen mit Tyler Reed weckt gemischte Gefühle in mir. Es hat eine Zeit gegeben, da war er für mich wie ein großer Bruder. Er und ich waren in der Highschool miteinander befreundet. Jeden Sommer habe ich die Ferien auf dem Anwesen meiner Großeltern in den Hamptons verbracht, und Tylers Familie besaß ein Haus direkt am Strand. Er ist zwar zwei Jahre älter als ich, doch ohne andere Spielgefährten wurden wir schnell Freunde.

Ich fahre nicht mehr gern in die Hamptons, weshalb wir uns nicht gesehen und seit einer Ewigkeit nicht gesprochen haben.

Nicht seit dem Streit.

Was wohl aus ihm geworden ist?

2. KAPITEL

River

Die frühe Morgensonne scheint durch das Fenster des Apartments. Ich habe gerade eine Nachtschicht hinter mir, um eine Seminararbeit zu beenden, und zu meinem großen Glück bin ich jetzt endlich durch. Es war meine letzte Hausarbeit in diesem Auslandssemester.

So viel zum Thema, etwas auf den letzten Drücker zu erledigen. Das Aufschieben von Dingen ist generell mein Problem an der Uni. Obwohl ich wusste, dass die Abgabefrist für die Seminararbeit heute abläuft, konnte ich mich erst gestern Abend durchringen, damit anzufangen. Yeah, nicht mein bester Moment, aber ich habe die Herausforderung angenommen. Ausgerüstet mit einem endlosen Vorrat Kaffee habe ich den gestrigen Abend und die gesamte Nacht hindurch wie wild getippt.

Und nun, wo die Arbeit fertig ist und ich sie meinem Professor gemailt habe, strecke ich die Arme über den Kopf, schüttele die Hände und stoße ein tiefes Gähnen aus.

Ich bin fix und fertig. Völlig ausgelaugt. Mein einziger Plan lautet nun, eine Woche durchzuschlafen.

Mit steifen Gliedern stehe ich auf, bahne mir einen Weg durchs Zimmer und setze mich aufs Bett. Es ist warm und einladend. Riesige Daunenkissen locken verführerisch, aber da ich seit über vierundzwanzig Stunden wach bin, wäre mir selbst ein Feldbett am Straßenrand willkommen.

Mir fallen schon unwillkürlich die Augen zu, als ich mein Handy höre, das auf dem Nachttisch vibriert.

Widerstrebend strecke ich den Arm aus und schnappe es mir.

Es ist Kim, meine Stiefmutter. Ein kleines Lächeln legt sich auf mein Gesicht. »Kim, alles in Ordnung?«, frage ich mit einem Gähnen.

»Habe ich dich geweckt?«, erwidert sie und ihre Stimme klingt energischer als gewöhnlich.

»Im Grunde nein.« Ich schlage die Tagesdecke zurück und schlüpfe ins Bett. »Aber ich wollte gerade schlafen gehen.«

»Ahh, die Jugend!« Sie lacht. »Lange Nacht mit Freunden?«

»Lange Nacht mit Uniarbeiten.«

»Auf den letzten Drücker, wie ich sehe.«

»Ich lebe gern gefährlich, aber jetzt ist die Arbeit Gott sei Dank fertig und ich kann tagelang durchschlafen.«

»Nun, bedeutet das etwa, dass du deinen Vater und mich nicht in Málaga treffen willst?«

Ich setze mich im Bett aufrecht hin. »Was führt euch denn nach Málaga?«, frage ich überrascht.

»Ein geschäftlicher Termin.«

Ich hätte es wissen müssen. Dad ist ein echter Workaholic. Doch trotz all der vielen Arbeit ist er immer noch eine bessere Alternative als Lily Pad.

Während die meisten Kinder ihre Mütter Mom oder Mommy rufen, wurde mir beigebracht, meine Lily Pad zu nennen. Sie ist ein Blumenkind. Dazu geboren, die Welt vor ihrer Zerstörung zu bewahren, lehnt sie jedwede konventionelle Gesellschaftsordnung ab. Für sie zählen nur Frieden und Liebe. Meine Mutter wurde anscheinend in die falsche Generation geboren. Als echter Hippie gehört sie in die Sechziger oder Siebziger, nicht in die Achtziger.

Ich habe nicht den blassesten Schimmer, wo sie im Moment steckt. Nun, ich werde es herausfinden, wenn wir uns nächste Woche in Portugal treffen. Ich bin sicher, sie wird mir in epischer Breite von all ihren Eroberungen erzählen, ohne Rücksicht darauf, wie sehr mir die vielen Männerbekanntschaften gegen den Strich gehen.

Mom ist einfach ein Freigeist. Daher auch mein Name. Wer nennt sein Kind schon River, abgesehen von Promis – und noch dazu ein Mädchen? Ich bin absolut sicher, dass River normalerweise ein Jungenname ist.

Die Inspiration für die Wahl meines Namens? Anscheinend bin ich dort gezeugt worden.

Am Fluss.

Für sie hatte das wohl außerdem symbolische Bedeutung. Ich sollte frei sein, niemals eingesperrt, immer in Bewegung.

Wer erzählt seinem Kind, wo er Sex hatte? Ich bin nur froh, dass ich nicht in einer Toilette auf dem Coachella-Festival gezeugt wurde. Oh, und die Geschichte wird noch besser – es war ein One-Night-Stand.

Yep.

Also hat meine Mutter nicht nur neben einem Fluss gevögelt, sondern sie kannte den Typen nicht einmal. Was für mich völlig cool ist. Na klar. Überhaupt kein Problem.

»Und, wie sieht’s aus?«, fragt Kim und reißt mich aus meinen Gedanken.

»Was?«

»Willst du dich mit uns in Málaga treffen?«, fragt sie erneut.

»Ich bin schon mit Lily verabredet«, sage ich.

Angesichts der Komik meines Lebens muss ich den Kopf schütteln.

Ein Elternteil, das flatterhaft ist und meine beste Freundin sein will, und ein Vater, der durch Abwesenheit glänzt. Aber ich gebe ihm nicht die Schuld. Meine Mutter kannte ihn nicht einmal; er war jung und noch in der Highschool, als er von der Schwangerschaft erfuhr. Dann, irgendwann im Sommer, als ich zwölf war, setzte sie mich einfach bei ihm ab. Er hatte nicht den blassesten Schimmer, was er mit mir anfangen sollte. Und so stellte sich heraus, dass ich zwei beschissene Elternteile hatte. Aber zumindest besaß er den Anstand, jemanden einzustellen, der sich um mich kümmerte. Im Grunde hat er eine Nanny für eine Zwölfjährige engagiert.

Eine bezahlte Freundin.

Kim.

Schließlich hat meine Nanny meinen Dad geheiratet und ganz ehrlich, das war das Beste, was mir jemals passiert ist.

»Du triffst dich erst in einer Woche mit ihr. Ich buche dir gleich einen Flug, dann kannst du heute Abend hier sein. Und ich besorge dir ein Zimmer, damit du die Nacht nachholen kannst.«

»Ich weiß nicht, ob das klappt.«

»Es wird lustig. Dein Vater muss arbeiten, aber ich würde gern Zeit mit dir verbringen.«

»Ich bin mir nicht sicher.«

»Komm schon. Du kannst früh hier sein, ein Nickerchen machen und uns dann zum Abendessen treffen. Morgen können wir shoppen gehen.«

»Ich glaube nicht, dass ich es zum Abendessen schaffe«, erwidere ich, obwohl ich bereits weiß, dass ich fahren werde – aber das Dinner steht auf einem anderen Blatt.

»Oh, wie schade. Ich bin sicher, Gray würde dich so gern wiedersehen.«

»Gray?«, frage ich mit leiser Stimme. Sie kann unmöglich Grayson Price meinen, oder?

»Wenn ich ehrlich bin, ist es ein Geschäftsessen. Aber ich bin sicher, du erinnerst dich noch an Grayson Price.«

Das tue ich.

Keine Frage.

Wie könnte es anders sein?

Ich liebe diesen Mann, seit ich zwölf bin … nun ja, vielleicht nicht lieben, aber zumindest war ich bis über beide Ohren verknallt. Und bin ihm seitdem auf allen Social-Media-Kanälen gefolgt.

Nach allem, was er vor so vielen Jahren für mich getan hat, habe ich ihn, nachdem mein Vater mir ein Handy gekauft hatte, als Erstes gegoogelt. Er war nicht schwer zu finden. Selbst Jahre später füttern Google und das Onlinemagazin TMZ mich weiterhin mit Neuigkeiten von ihm.

»Ich komme«, sage ich und versuche, nicht allzu aufgeregt zu klingen.

»Und zum Abendessen?«, hakt sie nach.

»Dahin auch.« Ich beende das Telefonat und mit einem Mal durchströmt mich ein jäher Schwall Energie. Ohne darüber nachzudenken, springe ich aus dem Bett und eile zum Wandschrank, krame darin herum und wähle meine Outfits fürs Wochenende aus.

Für ein Treffen mit Grayson Price muss ich mich richtig in Schale werfen.

Auch wenn er dich keines zweiten Blickes würdigen wird. Du bist so jung, du könntest seine Tochter sein.

Ich ärgere mich über mich selbst, aber das hält mich nicht davon ab, meine Kleidung auszuwählen und sie in mein Rollköfferchen zu legen. Viel habe ich nicht. Im Lauf der Jahre habe ich gelernt, mit leichtem Gepäck zu reisen. Eine Lektion, die Lily mir mit auf den Weg gegeben hat.

3. KAPITEL

Grayson

Zehn Minuten.

Zum zweiten Mal werfe ich einen Blick auf meine Rolex. Tyler ist zehn Minuten zu spät. Normalerweise würde ich jetzt aufstehen, selbst bei einem Geschäftsessen. Was Pünktlichkeit angeht, nehme ich es extrem genau.

Im Grunde bin ich bei allem extrem genau.

Bei jedem anderen wäre der Deal bereits geplatzt und ich hätte den Vertrag zerrissen. Aber Addison hat darauf beharrt, dass er reumütig ist, und wenn das, was sie über seine Firma behauptet, der Wahrheit entspricht, würde ich gern helfen. Seit Tyler und ich uns überworfen haben, habe ich gelernt, dass das Leben kurz ist. Man weiß nicht, wie viel Zeit einem auf Erden bleibt, deshalb ist es keine gute Idee, Menschen Dinge nachzutragen. Wenn er das Kriegsbeil begraben will, dann werde ich es auch tun.

Und so schüttele ich meinen Ärger ab, anstatt aufzustehen und zu gehen. Mit der Hand winke ich den Barkeeper zu mir. »Ich nehme doch einen Drink. Einen Glenlivet pur.«

Heute Abend treffe ich mich mit ihm, um die Einzelheiten wegen der Immobilie zu besprechen, die wir in Málaga besitzen. Eigentlich sollte Addison hier sein. Mir ist es völlig egal, was wir mit dem Grundstück anstellen, wer es mietet, wem wir es verkaufen oder was dort gebaut wird. Ich bin ein Zahlenmensch. Alles, was mich interessiert, ist Geld.

Im nächsten Augenblick kommt der Barkeeper und stellt ein Whiskyglas vor mir auf den Tisch. Ich hebe es an den Mund und genau in dem Moment, als ich trinken will, spüre ich jemanden neben mir. Ich drehe mich um und nehme einen großen Schluck.

Eine Frau.

Sie ist wunderschön.

Eine echte Augenweide.

Jung.

Mit langen, von der Sonne geküssten Locken, die ihr in Wellen bis unter die Brüste fallen. Genüsslich hebe ich den Blick, um ihre Gesichtszüge zu mustern. Sie ist viel zu jung für mich, so viel steht fest. Ich schätze sie auf höchstens Mitte zwanzig, mit großen blauen Augen und Sommersprossen, als käme sie direkt vom Strand.

Als sie lächelt, beginnt mein Puls heftig zu rasen. Wie lange ist es her, seit ich das letzte Mal Sex hatte? Zu lange offenbar.

Ich beobachte sie, während sie an ihrer Unterlippe nagt, als warte sie darauf, dass ich etwas sage. Als ich schweige, strafft sie die Schultern und sieht mich grinsend an. »Darf ich mich zu Ihnen gesellen?« Sie wartet meine Antwort nicht ab, bevor sie sich mir gegenübersetzt. Von meinem Platz aus kann ich sehen, dass ihr Kleid kurz ist, richtig kurz.

»Natürlich«, sage ich. »Was möchten Sie trinken?«

»Ein Glas Champagner, bitte«, erwidert sie. Ihre Stimme ist weich wie die eines Engels.

Fuck.

Was ist nur los mit mir?

Ich wende mich wieder an den Barkeeper. »Ein Glas Champagner für die Dame.«

Einen Moment später wird eine Sektflöte vor sie gestellt. Die Fremde legt den Kopf in den Nacken und trinkt in einem Zug aus, und noch während ihre vollen Lippen das Glas berühren, fährt ihre Zunge über den Rand, um einen Tropfen aufzulecken, den ihr Mund vergessen hat.

Ich frage mich, wie sich ihre Lippen auf meinen anfühlen würden.

»Nun, was bringt Sie nach Málaga?«, frage ich, da ich unbedingt mehr über diese Frau herausfinden will. »Sind Sie geschäftlich hier oder machen Sie Urlaub?«

Ein verführerisches Lächeln breitet sich auf ihrem Gesicht aus, als führte sie nichts Gutes im Schilde, und die Vorstellung, sie später auf mein Zimmer zu bringen und mich mit ihr zu vergnügen, wird immer vielversprechender.

»Was also?«

»Urlaub«, erwidert sie schließlich und ich weiß, wenn ich sie will, kann ich sie haben.

Ich nehme einen Schluck von meinem Getränk und sehe sie dann durchdringend an. »Eigentlich soll ich einen Freund zum Abendessen treffen, aber anscheinend hat er mich versetzt. Haben Sie heute Zeit?«

Da Tyler nicht aufkreuzt, kann ich genauso gut das Beste aus meiner Reise machen.

Ihre Augen werden groß und sie öffnet den Mund, um etwas zu sagen, hoffentlich, um meine Einladung anzunehmen, doch dann höre ich es.

»Grayson«, ruft eine Stimme hinter mir, und als ich mich umdrehe, sehe ich Tyler. Am liebsten würde ich ihn jetzt verfluchen. Ich weiß, ich war sauer, weil er sich verspätet, aber nun, wo er hier ist, will ich nichts weiter, als dass er wieder verschwindet.

Er wendet sich an die junge Dame mir gegenüber und lächelt. »Wie ich sehe, hast du ihn gefunden«, sagt er zu ihr.

Meine Augenbrauen ziehen sich zusammen …

Ihn gefunden?

Er kennt sie.

»Ja, er war so freundlich, mir einen Drink zu bestellen.« Sie hebt das Glas in seine Richtung und zwinkert ihm zu.

»Du bist nicht alt genug, um Alkohol zu trinken«, erklärt Tyler, und es fühlt sich an, als würde ich einem Tischtennisspiel zuschauen und nicht verstehen, wie die Regeln funktionieren.

»Ich bin in Spanien«, rügt sie ihn.

Was entgeht mir hier?

Tyler … Betrügt er etwa Kim?

»Und, Grayson, sieht sie noch genauso aus wie früher?«

»Sieht wer genauso aus wie früher?«

»River, natürlich.« Er zeigt auf die atemberaubende Schönheit neben mir.

Sie kommt mir vage bekannt vor. Warum sehen ihre Augen vertraut aus und warum blickt Tyler voller Bewunderung zu dieser Frau herab?

Und dann trifft mich der Schlag.

Das ist keine Frau. Es ist ein Mädchen. Ein wunderschönes Mädchen, aber trotzdem ein Mädchen.

Jung.

Verdammt. Jung. Warum ist mir das vorhin nicht aufgefallen?

Ein Mädchen, so jung, sie könnte meine Tochter sein. Sie ist seine Tochter.

Ich starre zur Decke und hole tief Atem.

Meine Brust fühlt sich bei den Gedanken, die mir nur wenige Minuten, bevor Tyler aufgetaucht ist, durch den Kopf geschwirrt sind, wie zugeschnürt an, denn dieses Mädchen ist nicht irgendein Mädchen.

Dieses Mädchen ist die Tochter meines besten Freundes.

Das kleine Mädchen, das ich damals auf der Party getroffen habe. Ich habe sie nicht mehr gesehen, seit sie was … zwölf? … war, aber nun, mit diesem Wissen, sehe ich nichts weiter als das kleine Mädchen, das ich einmal kannte.

Das traurige kleine Mädchen, das ich in Tylers Haus am Strand getroffen habe.

Mist.

Es fällt mir schwer, mich zu konzentrieren. Doch das muss ich. Wir haben kein Wort über die Vergangenheit fallen lassen, aber ich spüre, dass Tyler angespannt ist wegen seiner Jobprobleme. Die Gerüchteküche in der Stadt – alias Addison und dann Jaxson – behauptet, Tylers Firma habe Schulden bis über beide Ohren. Das also ist der Grund, weshalb Addison ihn beauftragt hat, die Entwürfe für das Lancaster-Projekt anzufertigen. Wir bezahlen ihn, damit er die Modelle für die Bebauung des Grundstücks erstellt.

Im Moment präsentiert er seine Ideen, doch anstatt ihm zuzuhören, riskiere ich flüchtige Blicke auf das Mädchen vor mir.

Wenn ich richtig rechne, bin ich wahrscheinlich fünfzehn oder sechzehn Jahre älter als sie. Tyler hat ihre Mutter aufgerissen, als wir noch in der Highschool waren.

Ich erinnere mich genau, wann es passiert ist. Ich war mit Tyler und seiner Familie für Halloween in die Catskills gefahren. Die Party am Fluss. Ich erinnere mich an ihn und das Mädchen aus dem Dorf.

Lily Pad.

Damals kannten wir ihren Namen nicht.

Nein, es war Monate später, als sie plötzlich aufgetaucht ist und mit Tyler sprechen wollte.

Es war ein Riesenskandal.

Er war gerade einmal in der Zwölften und sollte schon Vater werden.

So schrecklich, wie es klingen mag – das war der beste Aufklärungsunterricht, den wir bekommen konnten.

Danach blieben wir alle keusch oder benutzten Kondome.

Nachdem ich gewaltsam den Blick von River reiße, mustere ich meinen Freund. Er sieht abgespannt aus. Dunkle Ringe liegen unter seinen Augen und ich frage mich, wann er das letzte Mal durchgeschlafen hat. Im Vorfeld hatte er erwähnt, dass Kim nicht mit zum Abendessen käme, da sie sich unwohl fühle. Vielleicht wird auch er krank?

Die Bedienung serviert uns unsere Teller. Der Geruch der Speisen bahnt sich einen Weg in meine Nase. Augenblicklich läuft mir das Wasser im Mund zusammen. Ich habe heute so viel gearbeitet, dass ich nicht zum Essen gekommen bin.

Als ich die Gabel hebe und einen Bissen esse, stößt River auf der anderen Tischseite ein kaum hörbares Stöhnen aus. Es ist leise, aber immer noch laut genug, um mir wegen der Gedanken, die es unwillkürlich in mir weckt, einen Stich mitten in die Magengegend zu versetzen.

Ein Husten oder wohl eher ein Würgen kommt aus meinem Mund.

Fuck.

Ihre Augen sind geschlossen. Versunken in der Leidenschaft des köstlichen Bissens.

Nein. Sieh sie nicht an. Tu es nicht!

Ist sie überhaupt schon volljährig?

Wenn ich sechsunddreißig bin, dann ist sie zwanzig.

Fuck noch mal.

Zwanzig, das ist jung, aber viel besser als neunzehn.

Ich könnte Tyler nie wieder in die Augen sehen, wäre sie noch ein Teenager.

»Wann willst du rüber zum Grundstück fahren?«, frage ich ihn, um meinen rotierenden Gedankengang zum Stoppen zu bringen.

»Je eher, desto besser«, erwidert er. Ich weiß nicht, wie schlimm es um seine finanzielle Situation steht, aber unvermittelt kommt mir ein Gedanke, der besser als jede kalte Dusche wirkt. Hier sitze ich und bin scharf auf eine Fremde, die sich als seine Tochter entpuppt, während seine Firma womöglich den Bach runtergeht.

Ich bin wirklich ein Mistkerl.

Lustlos stochere ich weiter in meinem Hauptgericht herum. Es ist nicht so, als würde ich mich über Tylers Gesellschaft nicht freuen, aber ich bin immer noch wegen dem, was an der Bar passiert ist, völlig durcheinander. Sobald wir hier fertig sind, werde ich mich entschuldigen und mir einen Drink genehmigen. Allein.

»Was sind deine Pläne für den Sommer?«, fragt Tyler.

»Ich habe noch keine.«

»Gut. Ich werde auch in New York sein. Ich würde gern mit den Planungen anfangen, sobald wir zurück sind.«

»Sicher. Kein Problem.«

»Soll ich deine Assistentin …?«

»Nein. Ruf mich direkt an«, schneide ich ihm das Wort ab. »Nach unserem Treffen morgen werde ich noch ein paar Tage bleiben, dann reise ich zurück in die Stadt.«

»Großartig. Danke. Du weißt gar nicht, wie sehr ich das zu schätzen weiß.«

Die Stimmung ist angespannt. Wir unterhalten uns über Sport. Kurz reden wir über das Grundstück und dann über Rivers Studium. Sie hat gerade ein Auslandssemester in Spanien beendet.

Als der Tisch um mich herum schweigt, klammere ich mich an jeden Strohhalm, um das Gespräch am Laufen zu halten. »Und, wohin geht’s als Nächstes?«, frage ich River.

Sie kaut auf ihrer Lippe herum, bevor sie antwortet: »Ich besuche meine Mutter.«

»Wie geht es ihr?«

»Flatterhaft und launisch wie immer«, sagt sie trocken.

Bei dieser Antwort muss Tyler kurz lachen. Doch augenblicklich verstummt er, legt den Kopf schief und sieht seine Tochter scharf an. »Riv …«

»Nun, ist sie doch. Hätten wir nicht Gesellschaft …« Sie zeigt mit dem Kinn auf mich. »Könnte ich dich wieder mal mit all den schmutzigen Einzelheiten meiner Jugend unterhalten, bevor du das Sorgerecht bekommen hast, und den Details zu den wenigen Malen, als ich danach Zeit mit ihr verbracht habe. Aber leider Gottes werde ich das nicht tun. Also ja, Dad … sie ist wie immer flatterhaft und launisch.«

»Es tut mir leid«, setzt ihr Dad an und sie hebt eine Hand.

»Ist schon in Ordnung«, erwidert sie, aber selbst mein ungeübtes Ohr hört die Wahrheit heraus: Das hier ist ihr wunder Punkt.

Ich erwarte, dass jemand etwas sagt, stattdessen schiebt River sich aus ihrem Stuhl.

Hastig springe ich auf, doch sie schüttelt den Kopf. »Ich brauche nur ein bisschen frische Luft.«

Ich komme mir wie ein Arsch vor. Lektion gelernt. Keine Fragen über ihre Mom.

Ich bin nicht sicher, warum ich das in meinen Gedanken abspeichere, denn ich werde sie nicht wiedersehen.

Als sie kurz darauf zurückkommt, stellt sie sich neben den Tisch und sieht mit diesen großen blauen Augen zu mir herab – Augen, in denen man sich gewiss verlieren könnte, Augen, in denen ich mich fast verloren hätte. Ich reiße den Blick weg, nur um ihre geschwollenen Lippen zu bemerken. Sie kaut auf ihrer Unterlippe herum, während sie mich anstarrt, und ich stoße ein ersticktes Husten aus, bevor ich ganz wegsehe.

Glücklicherweise kann ich mich, da die Rechnung längst beglichen ist, ebenfalls verabschieden. »Wir sehen uns morgen«, sage ich zu Tyler.

Mit Blick auf River trete ich einen Schritt auf sie zu, und diesmal flutet mich der köstliche Geruch von Seife an ihren Händen. Ich sollte ihren Duft nicht in mir aufsaugen wollen, aber ich tue es. Und mit einer lahmen Entschuldigung, die mir kaum über die Lippen will, drehe ich mich um und schreite davon.

Keine Verabschiedung.

Kein gar nichts.

Je schneller ich von hier verschwinde, desto schneller kann ich vergessen, dass ich fast ein Mädchen angebaggert hätte, das jung genug ist, um meine Tochter zu sein.

Gott sei Dank habe ich es nicht getan!

Selbst wenn sie himmlisch duftet. Selbst wenn sie wunderschön ist, das spielt keine Rolle. Hals über Kopf von hier abzuhauen, ist die beste Entscheidung, die ich am gesamten Abend getroffen habe. Es ist genau das, was ich brauche, um mich wieder zu sammeln.

Genau in dem Moment, als ich glaube, ich hätte es geschafft und könnte in die Einsamkeit meines Zimmers fliehen, höre ich jemanden hinter mir meinen Namen rufen.

»Gray«, hallt Tylers Stimme durch die Luft.

Ich drehe mich um und beobachte, wie er raschen Schrittes auf mich zukommt. »Wenn du noch eine Minute hättest …«, beginnt er und senkt den Blick zu Boden. »Ich würde mich gern noch kurz mit dir unterhalten. Allein.«

»Sicher«, entgegne ich, obwohl es mir überhaupt nicht in den Kram passt, aber ich bin niemand, der sich vor unangenehmen Dingen drückt. »Lass uns an die Bar gehen und uns einen Drink genehmigen.«

Ich gehe vorweg. Diesmal setzen wir uns an ein kleines Tischchen in einer dunklen Ecke.

Sobald wir zwei Scotchgläser in den Händen halten, sprudelt es ungefiltert aus ihm heraus. »Es tut mir leid.«

Seine Worte treffen mich völlig unvorbereitet. Ich hatte keine Entschuldigung erwartet.

Als ich keine Antwort gebe, fährt er fort: »Ich hatte viel Zeit, um über die Fehler nachzudenken, die ich in der Vergangenheit gemacht habe. Und der größte war der, wie ich dich behandelt habe.«

»Das ist längst Schnee von ges …«

»Nein, ist es nicht«, unterbricht er mich. »Ich habe eine Freundschaft weggeworfen wegen etwas, das nicht deine Schuld war. Addison hat mir erzählt, dass sie verantwortlich war … aber im Grunde spielt das keine Rolle. Es war etwas Geschäftliches und es hätte unsere Freundschaft niemals beeinflussen dürfen. Es tut mir leid«, sagt er, seine Stimme getränkt von Emotionen.

»Schwamm drüber.«

»So sollte es nicht sein. Nach dem, was ich getan habe, bietest du mir diese Gelegenheit …« Er verstummt. »Du weißt gar nicht, wie viel es mir bedeutet. Wie sehr ich das brauche.«

»Was ist los?«

»Es sieht nicht gut aus. Der Firma geht’s schlecht. Ich habe kaum genug Geld, um die laufenden Kosten zu decken. Dieser Job …« Seine Stimme bricht. »Danke, dass du mir hilfst.«

»Wird es reichen?«, frage ich. Von dem leeren Blick in seinen Augen weiß ich, dass es womöglich nicht genug ist.

»Fürs Erste, ja. Aber danach?« Er stützt die Ellbogen auf dem Tisch ab und vergräbt den Kopf in den Händen. »Keine Ahnung.«

Eine Idee blitzt in meinem Kopf auf. »Aber was, wenn es nicht nur das Modell wäre?«

»Was meinst du?«

»Wenn ich Lancaster überzeugen könnte, dich als den Architekten für das Projekt zu engagieren?«

»Das würdest du für mich tun?«

Ich nicke.

»Ich war ein echtes Arschloch und du bist trotzdem bereit, mir zu helfen.«

Ich senke den Kopf.

»Vielen Dank. Ich verdiene das nicht, aber danke.«

Im Anschluss lassen wir die Vergangenheit ruhen. Stattdessen bringt er mich auf den neuesten Stand, was in seinem Leben los ist. Wir mögen uns seit Jahren nicht gesehen haben, aber es fühlt sich genauso an wie in alten Zeiten.

4. KAPITEL

River

»Bist du sicher, dass wir dich nicht überreden können, noch etwas zu bleiben?«, fragt Kim neben mir auf dem Sofa.

»Ich kann wirklich nicht. Ich treffe mich morgen mit Lily.«

»Also habe ich dich nur heute für mich?« Ihre Stimme klingt traurig.

»Es tut mir leid. Es ist nur so …«

»Ich weiß. Ich ärgere dich doch nur. Keine Sorge. Aber könntest du dir bitte noch einmal durch den Kopf gehen lassen, diesen Sommer nach New York zu kommen? Ich weiß, das waren nicht deine Pläne, aber es wäre wunderbar, dich dort zu haben.« Ihre Lippen wölben sich nach oben, aber ihr Lächeln ist verkrampft. Fast eine Grimasse. Ich weiß, ich sollte Portugal einfach vergessen, aber meine Mutter …

Kim ist deine Mutter.

Lily Pad ist keine Mom.

Sie ist die Frau, die dich im Stich gelassen hat. Die Frau, die glaubt, du wärst nur einen Sommerurlaub wert und nichts weiter.

Auf Kim ist Verlass. Sie ist diejenige, die immer für mich da war, diejenige, mit der ich reden und an deren Schulter ich mich ausweinen konnte.

»Wenn ich dich nur heute haben kann, wie willst du den Tag verbringen?«

»Es sind nur wir beide, ja?«, frage ich, und Kims Augenbraue hebt sich.

»Hattest du sonst noch jemanden erwartet?«

Meine Zunge fühlt sich schwer an in meinem Mund, während ich versuche, mir eine plausible Antwort zu überlegen. Ich sehne mich nach nichts anderem, als Grayson wiederzusehen, aber das kann ich ihr wohl schlecht sagen.

»Äääh, Dad.« Meine Antwort klingt völlig daneben und am liebsten würde ich im Erdboden versinken, während ich darauf warte, dass sie nachbohrt. Ich habe Kim nie von der verrückten Obsession erzählt, die ich für den Freund meines Vaters empfinde, und das habe ich auch jetzt nicht vor. Nein. Meine Gefühle für Grayson gehen niemanden etwas an.

»Ist das eine Frage oder eine Aussage?« Sie kichert.

»Eine Aussage«, murmele ich und sie beugt sich mit schräg gelegtem Kopf zu mir.

»Hm, und da hätte ich fast gedacht, du würdest von Grayson Price sprechen.«

»W … W … Was? Wer? Nein«, stammle ich. »Nein. Nein. Nein.«

»Wirklich …?«

»Natürlich nicht.« Ich klinge ganz sicher nicht überzeugend und meine Wangen glühen vor Hitze.

»Warum nicht? Er ist eine echte Augenweide. Hat einen tollen Job. Ist ernst. Keine Ahnung, ob er überhaupt lächeln kann, aber er ist zumindest ein Hingucker.«

»Natürlich kann er lächeln«, entgegne ich, bevor ich mich zurückhalten kann.

»Ist das so?« Sie schürzt die Lippen. »Und woher willst du das wissen?«

»Verdammt, Kim. Du bist wie ein Hund mit einem Knochen.«

»Und was für ein Knochen! Er ist süß.«

Süß ist gewiss nicht das Wort, das mir bei Grayson als Erstes in den Sinn gekommen wäre. Attraktiv, nachdenklich, einfach herrlich perfekt – das sind allesamt bessere Adjektive, um den Mann zu beschreiben, der eine immer wiederkehrende Hauptrolle in meinen Tagträumen spielt.

»Außerdem ist er alt genug, um mein Vater zu sein.«

»Nummer eins, nicht wirklich.«

»Er ist so alt wie Dad.«

»Nein, ist er nicht. Er ist zwei Jahre jünger als dein Vater. Und du darfst nicht vergessen, dass dein Dad superjung war, als er dich bekommen hat«, erklärt sie nüchtern, was der Wahrheit entspricht. Dad war siebzehn, als er Vater wurde. Und er wusste es nicht einmal von Anfang an.

»Dann wäre er trotzdem fünfzehn Jahre älter als ich.« Streng genommen sechzehn bis zu meinem Geburtstag nächste Woche. Aber wer will schon so kleinlich sein?

»Dein Dad ist auch älter als ich und bei uns klappt es wunderbar. Außerdem warst du schon immer reif für dein Alter, River. Du besitzt eine uralte Seele. Ein älterer Mann wäre vielleicht genau das, wonach du suchst.«

»Dad ist nur sieben Jahre älter als du. Das ist wohl kaum ein echter Altersunterschied.« Während die Worte meine Lippen verlassen, denke ich eine Sekunde über sie nach und erkenne, dass Kim womöglich recht hat. Vielleicht ist es gar nicht so schlimm. Im Grunde ist Grayson überhaupt nicht so viel älter. Zumindest im großen Fluss des Lebens nicht.

»Na schön.« Sie wirft die Hände in die Luft. »Wenn du nicht willst …«

Was sie nicht weiß, ist, dass ich mir nicht einmal selbst eingestehe, wie sehr ich ihn will, und obwohl der Altersunterschied für mich überhaupt keine Rolle spielt, weiß ich, dass es für ihn anders ist. Das und die Tatsache, dass Tyler mein Dad ist, sind keine große Hilfe. Und da niemals irgendetwas zwischen uns sein wird, sollte ich mir keine falschen Hoffnungen machen. Ich kann das lächerliche Hirngespinst, das meine Stiefmutter sich für mein Leben ausgedacht hat, nicht noch befeuern. Es wird einfach niemals passieren.

»Lass uns shoppen gehen«, sage ich, während ich mich vom Sofa aufrapple und jedes weitere Gespräch über Grayson Price und mein fehlendes Sozialleben im Keim ersticke. Vielleicht in meiner nächsten Stadt. Vielleicht treffe ich bei Mom jemanden, der mich den Mann vergessen lässt, den ich nicht haben kann.

In dieser Hinsicht ist Lily spitze. Sie ist immer das Zentrum der Party. Während der Zeit, die ich mit ihr verbracht habe, war ich diejenige, die sie erzogen hat, nicht andersherum. Sie lebt, als wäre jeder Tag ihr letzter. Wie eine Nomadin reist sie von einem Ort zum nächsten, lässt sich treiben und unterrichtet gerade einmal so viel Yoga, um sich ein Dach über dem Kopf und etwas zu essen leisten zu können. Sie wohnt nie lange genug in einer Stadt, um Wurzeln schlagen zu können.

Ich schüttle sämtliche Gedanken an Lily ab und schnappe mir meine Handtasche.

Kim erhebt sich ebenfalls vom Sofa. Sie sieht müde aus.

Ich runzele die Stirn. »Bist du sicher, dass du losziehen willst?«

»Natürlich.« Sie nimmt ihren Geldbeutel vom Tisch und geht zur Tür. »Vielleicht finden wir sogar das ein oder andere, mit dem du mir eine Halskette kreieren kannst.«

Gemeinsam spazieren wir aus dem Zimmer in den Hotelflur und fahren mit dem Aufzug nach unten. Nach wenigen Minuten haben wir das Gebäude verlassen. Die warme Sommerluft streicht mir übers Gesicht, als wir die kreisrunde Auffahrt vor dem Hotel entlanggehen.

Das Hotel, das wir ausgesucht haben, liegt nahe der Innenstadt, weshalb wir diese Richtung einschlagen, dann ein paar Straßen entlang und an einem wunderschönen Park vorbeischlendern, bis wir den Marktplatz erreichen.

Wir sind von historischen Gebäuden und wunderschönen Kirchen umgeben, die mit herrlichen Mosaikkacheln verziert sind. Der Marktplatz sieht wie ein wahr gewordener Traum aus. Ich bin glücklich, diese besondere Erfahrung mit Kim teilen zu dürfen.

Wir spazieren weiter, bis wir die Boutiquen in den kleinen Gässchen erreichen, und sobald wir hineingeschlüpft sind, sehen wir uns um und probieren ein paar Kleidungsstücke an. Winzige Bikinis, für die Dad mich umbringen würde, sähe er mich in einem. Doch für Portugal sind sie perfekt.

Eine weitere Stunde bummeln wir noch durch die Stadt. Ich finde ein paar Dinge, mit denen ich eine Halskette für Kim machen kann. Zurück im Hotel legen wir uns an den Pool. Ich trinke ein Glas Sangria, während Kim unter einem großen, weichen Strohhut und dem Sonnenschirm an ihrem Zitronenwasser nippt.

Und obwohl wir nichts tun, ist es perfekt. Der perfekte Start in mein Sommerabenteuer.

Am nächsten Abend komme ich in Portugal an. In der englischen Sprache gibt es nicht genügend Wörter, um meinen Erschöpfungszustand zu beschreiben. Sobald ich in Lissabon lande, nehme ich mir ein Taxi zu meinem Hotel. Ich habe in demselben reserviert, in dem auch meine Mutter absteigen wird. Beim Check-in kann ich kaum die Augen offen halten, aber letztlich schaffe ich es auf mein Zimmer. Ich habe versucht, meine Mutter anzurufen, als ihr Zug ankam, doch sie ist nicht drangegangen. Nun, da ich es mir auf meinem Bett gemütlich gemacht habe, greife ich erneut nach meinem Handy. Wieder nichts. So wie ich ist sie wahrscheinlich völlig ausgelaugt, weshalb ich das Telefon auf das Kopfkissen lege und mich unter die Decke schmiege, bis mir warm wird.

Im nächsten Moment öffne ich schon wieder die Augen und es ist der nächste Tag. Müde recke ich die Arme über dem Kopf und stoße ein tiefes Gähnen aus.

Sobald ich mir den Schlaf vom Körper geschüttelt habe, taste ich nach meinem Handy. Ich habe einen verpassten Anruf von Dad und eine Nachricht von Kim.

Kim: Hoffentlich bist du gut angekommen. Meld dich bitte kurz bei deinem Vater oder mir, damit wir uns keine Sorgen machen.

Ich lächle still in mich hinein. Meine Mom hat nicht angerufen. Aber Kim und mein Dad melden sich.

Zwei Tage vergehen.

Zwei lange Tage.

Zwei lange Tage ohne ein Wort von Lily Pad.

Zu diesem Zeitpunkt weigere ich mich, sie als meine Mom zu bezeichnen, denn keine Mutter würde ihre Tochter ohne ein einziges Wort allein in Portugal zurücklassen.

Die Tage habe ich damit verbracht, meine neuen Bikinis am Pool zur Schau zu stellen. Doch meine anderen Eltern kann ich nicht viel länger im Unklaren lassen. Immerhin habe ich ihnen bisher nur eine einzige Textnachricht geschrieben.

Kim hat mehrmals versucht, mich anzurufen, weshalb ich mich zurückmelden muss. Aber ich kenne mich. Wenn Kim nachfragt, wird es aus mir herausplatzen. Ich werde es nicht schaffen, die Kränkung, dass Lily Pad mich einfach vergessen hat, für mich zu behalten.

Doch mir bleibt keine andere Wahl.

Als das Handy just in diesem Moment klingelt, gehe ich ran. »Hi«, sage ich mit leiser Stimme.

»River?«

»Ja, ich bin’s.«

»Geht’s dir … gut?«

Obwohl ich die Frage erwartet habe, fühle ich mich genau wie damals, als ich ein kleines Mädchen war und meine Mutter mich ohne Vorwarnung allein gelassen hat. Tränen steigen mir in die Augen und ich wische sie mit einem Finger weg.

»Alles gut.«

»Wirklich?«

Jetzt fallen sie schneller. So schnell, dass es sich wie ein gebrochener Damm anfühlt. Mein Atem wird abgehackter, durchbrochen von ersticktem Schluchzen.

»Oh, River. Was ist passiert? Was hat sie diesmal getan?«

Ich kann kaum durch die Geräusche sprechen, die aus mir kommen. Mir ist bewusst, dass ich völlig überreagiere. Das ist nicht das erste Mal, und es wird gewiss nicht das letzte Mal sein, dass meine Mom mich versetzt.

»S … Sie hat es vergessen«, stoße ich zwischen heftigem Schluckauf hervor. Wie es mir gelingt, die Worte überhaupt laut auszusprechen, ist mir ein Rätsel.

»Das tut mir so schrecklich leid«, murmelt Kim mit sanfter Stimme.

»Warum kümmert es mich überhaupt«, schluchze ich. »Sag mir bitte, warum zum Teufel es mir noch etwas ausmacht?«

Ich weiß nicht, ob ich mich das an diesem Punkt selbst frage oder sie.

»Weil sie, egal, was los ist, deine Mutter ist, und du sie liebst.«

»Und warum?«

»Weil du ein guter Mensch bist. Der beste, den ich kenne.«

»Danke.«

»Das ist die Wahrheit. Und jetzt hör mir gut zu. Wir werden Folgendes tun: Ich erwarte dich im nächsten Flieger nach New York …«

»Aber …«

»Nein. Kein Aber. Eigentlich solltest du den Sommer mit ihr verbringen, doch jetzt wirst du zu mir kommen.«

»Bist du sicher?«

»Ob ich sicher bin? Ja, natürlich. Das Haus in den Hamptons ist schrecklich ruhig, sobald dein Dad bei der Arbeit ist. Ich fände es wunderbar, wenn du hier wärst. Es wird wie in jenem ersten Sommer sein …«

Jener erste Sommer, als meine Mutter mich einfach bei ihm abgeladen hat. Meine Brust zieht sich schmerzhaft zusammen und ich kann nicht glauben, was hier passiert. Nach dem Sommer hatte ich mir geschworen, nie wieder zuzulassen, dass sie mich enttäuscht. Ich hatte mir geschworen, meine Erwartungen niedrig zu halten und eine Mauer um mein Herz zu bauen bei allem, was mit meiner Mom zu tun hat. Doch leider ist mir das nicht gelungen.

»Wir schauen uns am Pool Filme an. Essen die ganze Zeit über Eis. Es wird toll.«

»Okay. Ich komme nach Hause, aber ich weiß nicht, ob ich gleich in die Hamptons fahre.«

»Oh, na klar, egal. Ich kann dir gar nicht sagen, wie glücklich mich das macht.« Sie stößt einen Seufzer der Erleichterung aus, und ich weiß, dass sie begeistert ist. Auch ich freue mich. Kim und Dad sind meine Familie. Warum sehne ich mich nach jemandem, der mich nicht will?

Seufzend steige ich aus dem Bett und packe alles zurück in meinen Koffer.

Es ist Zeit, nach Hause zu fahren.

5. KAPITEL

Grayson

Es tut gut, wieder in New York zu sein. Es ist nicht so, als würde ich grundsätzlich nicht gern verreisen, aber ich bin lieber zu Hause. Ich mag mein Apartment. Ich mag meine Dinge. Ich mag meine Ruhe.

In dieser Hinsicht unterscheide ich mich stark vom Rest meiner Familie. Addison liebt es, die Welt zu sehen, und Jax … nun, er liebt Menschen.

Ich hasse beides. Nicht meine Familie, aber die Welt. Und Menschen.

Nur Stille. Die liebe ich. Die und ein Glas Scotch.

Das Bedürfnis nach Einsamkeit setzte in meiner frühesten Jugend ein, als ich erkannte, wie vergänglich das Leben ist.

Das passiert, wenn dein Großvater in deinen Armen verstirbt.

Einen Vater zu haben, der im Alter von siebenundfünfzig das Zeitliche segnet, ist auch keine große Hilfe.

Jetzt bin ich gern allein. Ich will nicht, dass mir jemand zu nahe kommt. Nur für alle Fälle.

Und so genieße ich abgesehen von meiner Familie nun diese zwei Dinge – Stille und Scotch –, und je nach Jaxsons Eskapaden lässt sich selbst darüber streiten.

Ich liebe es, zu Hause zu sein, und jetzt in meinem Büro ist mein Leben wieder im Lot. Es gibt viel zu tun. Addison sollte bald zurück sein und ich muss sämtliche Umsatzzahlen für sie auflisten. Auf diese Weise wird sie perfekt vorbereitet sein für den Ort, an den sie als Nächstes fahren muss, denn ich werde gewiss nicht an ihrer Stelle verreisen. Ich ziehe es vor, den Sommer arbeitend in der Stadt zu verbringen.

Die Gegensprechanlage auf meinem Schreibtisch summt und reißt mich aus meinen Gedanken. Als ich den Kopf senke, sehe ich auf dem Display, dass es Nicole ist, meine Assistentin.

Ich drücke auf den Knopf. »Ja.«

»Addison ist hier.«

»Können Sie ihr bitte sagen, dass sie in den Konferenzraum kommen soll?«

»Kein Problem.«

»Könnten Sie außerdem Jax anrufen und nachsehen, wo er mal wieder steckt?«

Sie lacht in die Leitung.

Jax hat im Gegensatz zu jedem anderen Angestellten dieser Firma für alles seinen eigenen Zeitplan. Egal, was ich ihm sage, er kommt und geht, wie es ihm in den Kram passt. Der einzige Grund, warum Addison und ich ihm nicht mehr im Nacken sitzen, ist der, dass er am Ende des Tages punktgenau abliefert. Wen kümmert es also, ob er seine Arbeit hier oder von seinem Apartment aus erledigt? Meinetwegen könnte er in Bora Bora sitzen, solange das Ergebnis perfekt ist.

Im Grunde ist er vielleicht sogar dort …

»Ja, Boss.«

Ich starre in meinen Kaffee. Endlich ist meine Schwester zurück. Ich habe keine Lust, gleich schon wieder ins Flugzeug steigen zu müssen. Das einzig Gute an meiner Reise nach Málaga war das Wiedersehen mit Tyler, doch das führte nur zu einem größeren Problem … seiner Tochter.

Als ich sie an der Bar sah, habe ich sie ganz offensichtlich nicht wiedererkannt, aber wie auch? Sie ist erwachsen geworden. Sie ist nicht mehr das kleine Mädchen, das ich vor langer Zeit getroffen habe.

Nein, sie hat sich definitiv verändert.

Perfekt gerade Zähne haben ein schiefes Gebiss ersetzt. Zerzauste Wellen gehören der Vergangenheit an. Ihre Haut ist makellos wie das Porzellan einer Puppe, ihr Mund voll und zum Küssen bestimmt.

Verdammt, was ist nur los mit mir?!

Ich stoße ein Stöhnen aus. Warum muss sie Tylers Tochter sein? Wenn auch etwas jung, wäre sie die perfekte Abwechslung für meine Reise gewesen. Eine namenlose Schönheit, in der ich mich hätte verlieren können. Dann wäre ich nach New York gekommen und hätte sie auf der Stelle vergessen.

Stattdessen bin ich nun zu Hause und kann mir dieses verfluchte Mädchen nicht aus dem Kopf schlagen. Ihren Körper, ihren Geruch, ihre Augen.

Ich hebe meine Tasse an die Lippen, trinke einen Schluck – und verbrenne mir die Zunge an dem heißen Kaffee. Fühlt sich gut an. Alles, nur um River und all die Dinge aus meinem Gedächtnis zu verbannen, die ich mit ihr habe tun wollen.

Mein Freund würde mir an die Gurgel gehen, wenn er auch nur Wind davon bekäme. Verdammt, selbst Addison würde mich umbringen. Jax fände es lustig.

Doch zu meinem großen Glück wird nichts davon eintreten. Ihr Vater hat erwähnt, dass sie weiter nach Portugal reist, also werde ich sie nie wiedersehen. Was etwas Gutes ist, denn sie verdient mehr als eine schnelle Nummer, und ich kann ihr nicht mehr als das bieten.

Mein Telefon klingelt wieder und erneut ist es Nicole. »Sie werden in Konferenzraum eins erwartet.«

»Vielen Dank.«

Nach einem letzten Schluck Kaffee mache ich mich auf den Weg zu meinen Geschwistern.

Die Korridore liegen still da. Es ist jetzt kurz nach acht. Ich bin überrascht, wie früh wir alle zusammentrommeln konnten. Addison leidet höchstwahrscheinlich noch unter Jetlag und Jax … wie ich ihn kenne, hat er wahrscheinlich im Apartment hier im Firmensitz geschlafen.

Ich öffne die Tür und mein ansonsten immerwährendes Stirnrunzeln glättet sich.

Meine Schwester sieht wunderschön aus. Glücklich. Nicht wie früher.

»Du siehst blendend aus«, wiederhole ich meine Gedanken laut.

»Danke, du siehst müde aus«, erwidert sie achselzuckend.

»Ich habe gearbeitet.« Der Sarkasmus in meiner Stimme entgeht ihr nicht, während sie scherzhaft die Augen verdreht.

»Ich habe auch gearbeitet.«

»Ja … woran?«, platzt es aus Jax heraus.

»Natürlich an meiner Bräune.«

»Was hat Olly mit unserer Schwester angestellt?«, murmelt Jax und dreht den Kopf zu mir.

Ich zucke mit den Schultern. »Wie waren deine Flitterwochen?«, frage ich.

»Sie waren wirklich unglaublich.« Bei ihrer Antwort strahlt sie über beide Ohren.

»Aber es ist gut, wieder zu Hause zu sein …«, lege ich ihr die Worte in den Mund. Ich werde nicht erlauben, dass sie so schnell wieder verschwindet.

»Ja, das ist es. Ich habe diesen Ort vermisst.«

»Nun, wir haben dich auch vermisst. Ohne dich ist New York nicht dasselbe«, sagt Jax, und ich nicke beipflichtend. Das ist die Stadt wirklich nicht.

»Apropos …« Sie beißt sich auf die Unterlippe.

Mist. Hier kommt er. Der Moment, an dem meine kleine Schwester verkündet, dass sie nach England ziehen wird.

»Bitte sag nicht, dass du nicht für immer hierbleibst.« Ich seufze tief, greife mir mit beiden Händen an den Kopf und raufe mir beim Gedanken an einen möglichen Umzug die Haare. Sie hat mir die Neuigkeiten noch nicht einmal überbracht und ich bekomme allein bei der Vorstellung, was ich ohne Addison hier tun werde, heftige Kopfschmerzen.

»Nun …«, setzt sie an und verstummt.

»Addy. Das darfst du nicht tun.«

»Ich werde meine Zelte hier nicht permanent abbrechen. Ich werde drei Monate in New York sein und dann drei Monate dort und so weiter.«

»Dein Ernst?«, fragt Jax.

»Ja. Sein Leben findet in England statt und, nun ja, ich kann von überall aus arbeiten. Normalerweise bin ich sowieso ständig auf Reisen.«

»Das ist nicht der Punkt«, schnaube ich verärgert. Ich bin mir nicht sicher, warum ich so sauer bin. Meine Schwester ist glücklich. Ist das nicht alles, was zählt?

Ich bin wütend, weil sie umzieht. Wütend, weil sich alles verändert. Im Moment bin ich einfach stinkwütend.

»Gray …« Addison hebt die Hand, um meine zu berühren. »Es ändert sich nichts. Ich werde immer noch hier sein und dir ständig auf die Nerven gehen.«

»Du warst nie eine Nervensäge«, murmele ich.

»Ja. Immer nur ich, nicht wahr?«, scherzt Jax.

»Es sagt mir nur nicht zu, dass du …«

»Ich weiß. Du willst die Kontrolle über alles. Genau wie ich. Aber lass dir eines sagen, Gray. Du solltest versuchen, mal im Hier und Jetzt zu leben … das ist so viel besser.«

»Ich lebe doch.«

»Wofür, die Arbeit?«

»Fang nicht damit an, Ad. Es ist nicht lange her, dass wir im selben Boot saßen.«

»Ich weiß, weshalb es mir durchaus zusteht, nun zu sagen, dass ich das weiß, und glaube mir, das hier ist so viel besser. Du solltest versuchen, diesen Sommer einen Gang zurückzuschalten.«

»Das tue ich«, erwidere ich überstürzt.

»Wirklich?«

»Nun … ich werde etwas Zeit brauchen, um an einem anderen Projekt mitzuarbeiten. Ich schaffe es nicht mehr, hier für dich einzuspringen.«

»Oh, nun, was hast du vor?«

»Ich helfe Tyler bei den Lancaster-Entwürfen.«

Addison legt den Kopf schräg. »Wirklich? Sollte ich mir Sorgen machen? Will er dich abwerben?«

»Nein, nichts dergleichen. Im Grunde will ich ihm nur ein bisschen unter die Arme greifen. Seine Firma steckt im Moment ganz schön in Schwierigkeiten und während ihm der Auftrag, den wir ihm beschafft haben, im Moment über die Runden hilft, muss er bei der Lancaster-Sache den Posten als Architekt an Land ziehen.«

Addisons Gesicht wird ernst und sie knabbert besorgt an ihrer Unterlippe. »Gut. Tu, was du nicht lassen kannst.«

Jaxson beugt sich aufgeregt auf seinem Stuhl vor. »Also bin ich dann der Boss? Ihr seid weg, ihr seid beide weg …«

»NEIN!«, rufen Addison und ich im Chor und brechen dann in schallendes Gelächter aus.

6. KAPITEL

River

Sobald mir klar wurde, dass meine Mom mich mal wieder versetzt hatte, nahm ich den nächsten Flieger zurück nach Valencia, packte meinen Kram zusammen und kaufte mir ein Ticket nach New York.

Zu Hause, im Apartment meiner Eltern, kann ich mich nun endlich entspannen. Oder zur Ruhe kommen oder, um ehrlich zu sein, auch einfach nur atmen. Das Verhalten meiner Mutter hat schwer auf mir gelastet, während ich in Europa war, doch jetzt fühle ich mich allmählich besser.

»Du bist hier?«, fragt Kim, als sie mein Zimmer betritt, ihre Schritte ein leises Klopfen auf dem Boden.

Ich hebe den Kopf und mustere sie eingehend. Ihre Erschöpfung ist nicht zu übersehen.

»Ja«, antworte ich mit einem Lächeln.

»Wie fühlt es sich an?«, erkundigt sie sich zögerlich.

Ich lasse mich theatralisch auf mein Bett fallen, was ihr ein Lachen entlockt.

»Es fühlt sich so verdammt gut an.«

Die Matratze senkt sich noch einmal, und als ich aufblicke, sitzt sie neben mir.

»Hast du Pläne, wo du jetzt wieder zurück in der Stadt bist?«, fragt sie. »Wirst du dich mit deinen Freunden von der Uni treffen?« Ihr Kopf neigt sich vor Neugierde leicht zur Seite. Das ist der Grund, weshalb ich Kim so sehr liebe. Im Gegensatz zu meiner Mutter, der Frau, der mein Leben ein Herzensanliegen sein sollte, interessiert sich Kim wirklich für mich. Selbst früher, als sie dafür bezahlt wurde, sich um mich zu kümmern, hat sie mich mehr als jeder andere Mensch auf der Welt geliebt.

»Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht. Außerdem ist keiner meiner Freunde den Sommer über in der Stadt.«

»Die Stadt ist im Sommer heiß.« Sie lächelt und ich weiß, worauf sie anspielt.

»Das stimmt.«

»Es gibt keinen Pool«, sagt sie als Nächstes.

»Das stimmt auch«, pflichte ich ihr bei.

»Noch dazu stinkt es.«

Bei dieser Aussage muss ich lachen. »Ich würde nicht wirklich behaupten, dass es stinkt.«

»Nun, vielleicht nicht hier, in unserem Apartment, aber in anderen Gegenden …« Ihre Stimme verhallt.