Sinful Crown - Ava Harrison - E-Book
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Sinful Crown E-Book

Ava Harrison

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Beschreibung

Gideon ist ein gefürchteter Drogenlord mit gefährliche Verbindungen zur Unterwelt. Er verspricht er Roman, einem Freund und ehemaligen Drogenhändler, sich um dessen Schwester zu kümmern – denn ihre Sicherheit steht auf dem Spiel. Doch als Roman in derselben Nacht stirbt, gerät alles aus den Fugen. Sasha, die Schwester von Roman, hat seit Jahren keinen Kontakt mehr zu ihm und ahnt nichts von seinem düsteren Leben oder der Gefahr, in der sie sich befindet. Plötzlich wird sie von Gideon entführt und in seinem Haus festgehalten – angeblich zu ihrem eigenen Schutz. Doch je mehr sie über die Vergangenheit ihres Bruders erfährt, desto klarer wird ihr, dass die Wahrheit viel schockierender ist als alles, was sie sich je vorgestellt hat. Während sie verzweifelt versucht zu fliehen, spürt sie gleichzeitig eine unerklärliche Anziehung zu dem Mann, der ihr Leben auf den Kopf gestellt hat. Wird sie es schaffen, sich zu befreien? Oder wird sie in die dunkle Welt eintauchen, die ihr Bruder hinterlassen hat? Die Grenzen zwischen Gefahr und Verlangen verschwimmen – und Sasha steht am Abgrund einer Entscheidung, die alles verändern könnte ...

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Seitenzahl: 463

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Liebe Leserin, lieber Leser,

Danke, dass Sie sich für einen Titel von »more – Immer mit Liebe« entschieden haben.

Unsere Bücher suchen wir mit sehr viel Liebe, Leidenschaft und Begeisterung aus und hoffen, dass sie Ihnen ein Lächeln ins Gesicht zaubern und Freude im Herzen bringen.

Wir wünschen viel Vergnügen.

Ihr »more – Immer mit Liebe« –Team

Über das Buch

Gideon ist ein gefürchteter Drogenlord mit gefährliche Verbindungen zur Unterwelt. Er verspricht er Roman, einem Freund und ehemaligen Drogenhändler, sich um dessen Schwester zu kümmern – denn ihre Sicherheit steht auf dem Spiel. Doch als Roman in derselben Nacht stirbt, gerät alles aus den Fugen.

Sasha, die Schwester von Roman, hat seit Jahren keinen Kontakt mehr zu ihm und ahnt nichts von seinem düsteren Leben oder der Gefahr, in der sie sich befindet. Plötzlich wird sie von Gideon entführt und in seinem Haus festgehalten – angeblich zu ihrem eigenen Schutz. Doch je mehr sie über die Vergangenheit ihres Bruders erfährt, desto klarer wird ihr, dass die Wahrheit viel schockierender ist als alles, was sie sich je vorgestellt hat.

Während sie verzweifelt versucht zu fliehen, spürt sie gleichzeitig eine unerklärliche Anziehung zu dem Mann, der ihr Leben auf den Kopf gestellt hat. Wird sie es schaffen, sich zu befreien? Oder wird sie in die dunkle Welt eintauchen, die ihr Bruder hinterlassen hat?

Die Grenzen zwischen Gefahr und Verlangen verschwimmen – und Sasha steht am Abgrund einer Entscheidung, die alles verändern könnte ...

Über Ava Harrison

USA Today Bestsellerautorin Ava Harrison liebt das Schreiben. Wenn sie sich nicht gerade neue Romances ausdenkt, kann man sie bei einem ausgiebigen Schaufensterbummel, beim Kochen für ihre Familie oder mit einem Buch auf der Couch antreffen.

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Ava Harrison

Sinful Crown

Aus dem Amerikanischen von Valeska Schorling

Übersicht

Cover

Titel

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Inhaltsverzeichnis

Titelinformationen

Grußwort

Informationen zum Buch

Newsletter

PROLOG — Gideon

KAPITEL EINS — Gideon

KAPITEL ZWEI — Sasha

KAPITEL DREI — Gideon

KAPITEL VIER — Sasha

KAPITEL FÜNF — Sasha

KAPITEL SECHS — Gideon

KAPITEL SIEBEN — Sasha

KAPITEL ACHT — Gideon

KAPITEL NEUN — Sasha

KAPITEL ZEHN — Gideon

KAPITEL ELF — Sasha

KAPITEL ZWÖLF — Sasha

KAPITEL DREIZEHN — Sasha

KAPITEL VIERZEHN — Sasha

KAPITEL FÜNFZEHN — Gideon

KAPITEL SECHZEHN — Gideon

KAPITEL SIEBZEHN — Sasha

KAPITEL ACHTZEHN — Sasha

KAPITEL NEUNZEHN — Gideon

KAPITEL ZWANZIG — Sasha

KAPITEL EINUNDZWANZIG — Gideon

KAPITEL ZWEIUNDZWANZIG — Sasha

KAPITEL DREIUNDZWANZIG — Gideon

KAPITEL VIERUNDZWANZIG — Gideon

KAPITEL FÜNFUNDZWANZIG — Sasha

KAPITEL SECHSUNDZWANZIG — Sasha

KAPITEL SIEBENUNDZWANZIG — Sasha

KAPITEL ACHTUNDZWANZIG — Gideon

KAPITEL NEUNUNDZWANZIG — Sasha

KAPITEL DREISSIG — Sasha

KAPITEL EINUNDDREISSIG — Sasha

KAPITEL ZWEIUNDDREISSIG — Gideon

KAPITEL DREIUNDDREISSIG — Sasha

KAPITEL VIERUNDDREISSIG — Sasha

KAPITEL FÜNFUNDDREISSIG — Gideon

KAPITEL SECHSUNDDREISSIG — Sasha

KAPITEL SIEBENUNDDREISSIG — Sasha

KAPITEL ACHTUNDDREISSIG — Sasha

KAPITEL NEUNUNDDREISSIG — Gideon

KAPITEL VIERZIG — Sasha

KAPITEL EINUNDVIERZIG — Sasha

KAPITEL ZWEIUNDVIERZIG — Gideon

KAPITEL DREIUNDVIERZIG — Sasha

KAPITEL VIERUNDVIERZIG — Gideon

KAPITEL FÜNFUNDVIERZIG — Sasha

KAPITEL SECHSUNDVIERZIG — Sasha

KAPITEL SIEBENUNDVIERZIG — Gideon

KAPITEL ACHTUNDVIERZIG — Sasha

KAPITEL NEUNUNDVIERZIG — Sasha

KAPITEL FÜNFZIG — Gideon

KAPITEL EINUNDFÜNFZIG — Sasha

KAPITEL ZWEIUNDFÜNFZIG — Sasha

KAPITEL DREIUNDFÜNFZIG — Gideon

KAPITEL VIERUNDFÜNFZIG — Sasha

KAPITEL FÜNFUNDFÜNFZIG — Gideon

KAPITEL SECHSUNDFÜNFZIG — Sasha

KAPITEL SIEBENUNDFÜNFZIG — Sasha

EPILOG — Sasha

Impressum

Lust auf more?

PROLOG

Gideon

Der Tod bereitet mir kein Kopfzerbrechen. Er ist unausweichlich. Ein Stück Natur. Eine von nur zwei Garantien, die das Leben bietet: Wir werden geboren, und wir sterben. Man sagt, das, was zwischen Punkt A und Punkt B liegt, sei das eigentlich Schlimme. Das Leben sei hart. Tja, für die meisten Menschen vielleicht.

Ich hingegen lebe verdammt gut.

Der Mann unter meinem Schuh windet sich röchelnd. »B…bitte …«, stammelt er. Pech für ihn, dass er gerade direkt auf Punkt B zusteuert.

Er liegt im Sterben, aber nach allem, was er getan hat, hält sich mein Mitleid in Grenzen.

Wer auch immer ihn hier liegen ließ, hat mir damit einen Gefallen erwiesen. Mir praktisch ein Geschenk gemacht.

»Ich kann dich nicht verstehen.« Ich streife mir ein Paar Lederhandschuhe über die Hände. »Sprich lauter.«

Der Mann röchelt wieder – ringt verzweifelt nach dem nächsten Atemzug. Mit meinen Opfern halte ich mich nicht so lange auf. Das hier ist gewissermaßen ein Freundschaftsdienst.

Da sein Tod naht, ist es meine Pflicht, ihn daran zu erinnern, wie tief er gesunken ist. Dass er und nur er allein für seinen derzeitigen Zustand verantwortlich ist. Sollte es ein Leben nach dem Tod geben, wird er bestimmt an meine Worte denken und sich entsprechend verhalten.

Seufzend beuge ich mich vor und festige meinen Griff. »Oder halt einfach die Klappe.«

Durch ein einsames Fenster im Dach scheint der Mond in die verlassene, stockdunkle Lagerhalle und sorgt für schwache Beleuchtung. Es ist gerade hell genug, um die blasse Haut und die glasigen Augen des Mannes zu erkennen, der rasselnd und zitternd unter mir hustet.

Sein mitleiderregendes Keuchen hallt laut von den Metallwänden wider und zerreißt die Stille. Mich überläuft es eiskalt – auch das ein unglückseliges Nebenprodukt meiner Bekanntschaft mit diesem Mann. Weil er von mir erwartet, ihn zu beruhigen. Weil ich das nicht gut hinkriegen werde. Und weil ich weiß, dass er direkt in der Hölle landen wird, sobald ich ihn an der Schwelle zum Jenseits verabschiedet habe. Obwohl, so ganz steht das noch nicht fest. Wäre ich nämlich der Teufel, was man schon öfter gemutmaßt hat, würde ich ihm die Pforten der Hölle direkt vor der Nase zuschlagen.

»Ich … ich …«

»Das wird schon wieder.« Während ich ihm eine Wange tätschele, werfe ich einen Blick auf meine Rolex. Das hier dauert viel zu lange.

Die aus seinem Mund quellende dunkle Flüssigkeit straft mich Lügen. Ein scharfer metallischer Geruch unterstreicht die Tatsache, dass sein Tod feststeht. Er ist nur noch eine Frage der Zeit.

Die Lider des Mannes senken sich flatternd. »Ich …« Mehr kriegt er nicht heraus, bevor ihm die Stimme bricht, doch plötzlich reißt er die Augen wieder auf und sieht mich verwirrt an.

Roman.

Er heißt Roman und ist für mich kein Unbekannter.

Ich kenne ihn von früher. Ich weiß, dass er verrückt nach Smashed Burgers und Chili Cheese Fries ist. Ich weiß auch, dass er mal seine halben Ersparnisse bei einer lächerlichen Fußballweltmeisterschaftswette verloren hat, was den Raub seiner Unschuld nach sich zog – ausgerechnet durch seinen Buchmacher. Er ist ein runtergekommenes, kettenrauchendes ehemaliges Model. Wir haben eine gemeinsame Vergangenheit, so bunt wie eine Schachtel Wachsmalstifte.

Aber mehr als einen Anflug von Unbehagen ist er mir nicht wert. Sein grausamer Tod ist nicht der erste, dessen Zeuge ich werde, und er wird auch nicht der letzte sein. Betrachten Sie es als Berufsrisiko. Als Lohn meiner Lebensentscheidungen.

Ich bin kein guter Mensch.

Und ich habe nie behauptet, einer zu sein.

Romans Blutverlust schwächt seinen Blick – reduziert seine Augen auf zwei ausdruckslose, glasige Halbkugeln. Irgendwo in den dumpfen Sphären dahinter muss ein innerer Kampf toben, aber seine Schmerzen hindern ihn daran zu sagen, was auch immer er sagen will. Sein Hals bewegt sich mühsam beim Schlucken.

Blut sickert aus einer Wunde. »Wenn du mir etwas zu sagen hast, dann sag es jetzt!«

Seine wächserne Blässe und der Schweiß auf seiner Stirn verraten schreckliche Qualen. Mehrfach öffnet und schließt er den Mund – sucht sichtlich nach Kraft für weitere Worte.

»M…meine …« Ein Husten unterbricht ihn. Mehr Blut quillt aus seinem Mund.

Seufzend richte ich seinen Oberkörper etwas auf und stütze ihn. Es wäre irgendwie ärgerlich, wenn Roman vor seiner letzten Beichte an seinem eigenen Blut ersticken würde. Wenigstens diesen einen Gefallen kann ich dem Mann noch tun. Ihm letzte Worte gewähren.

Ein Ruck scheint durch seinen Körper zu gehen. »Meine Schwester …«

Seine was?!

Die Info ist mir neu. Ehrlich gesagt ist das das Letzte, womit ich gerechnet hätte. Bisher wusste ich noch nicht mal, dass Roman überhaupt eine Schwester hat. Wenn er mir etwas so Wichtiges verschwiegen hat, was hat er mir dann noch alles verheimlicht?

Andererseits ist diesem Mann nicht zu trauen. Junkies kann man grundsätzlich kein Wort glauben. Die Grundregel jedes Drogendealers lautet, hübsch die Finger von der eigenen Ware zu lassen, und Roman hat diese Lektion offensichtlich verpasst. Ihm war Party machen immer wichtiger als alles andere.

Tja, und genau deshalb liegt er jetzt hier.

Roman Lennox.

In seinem eigenen Blut.

Dem Tod geweiht.

Und erzählt mir etwas, das er mir schon viel früher hätte erzählen müssen.

Allmählich verliere ich die Geduld mit ihm und damit jeden Anschein von Menschlichkeit. »Rede endlich, und zwar sofort!«

Die Lügen dieses Schwachkopfs nehmen anscheinend nie ein Ende. Auf wie viele Arten hat er mich noch hintergangen? Und wie kann es sein, dass ich nichts davon mitbekommen habe? Es ist schließlich nicht so, dass ich ein schlechter Geschäftsmann bin. Ich bin sogar ein verdammt guter. Konkurrenzlos geradezu.

Mir entgeht praktisch nichts.

Nur dass dir diesmal anscheinend gleich ein ganzer Mensch entgangen ist.

Verdammte Scheiße!

Roman greift mit zitternder Hand nach meinem Hemd und hinterlässt einen frischen Blutfleck darauf. »S…sie ist jünger als ich. I…ich habe sie enttäuscht … Sie werden sie holen.«

Die Auswirkungen dieser kleinen Ansprache folgen auf dem Fuß. Seine Lippen verfärben sich dunkel. Ich bezweifle, dass er mich überhaupt noch erkennen kann. Nicht mit diesen glasigen Augen.

Wärst du wenigstens einmal ehrlich gewesen, wärst du jetzt nicht in direktem Sturzflug in die Hölle!

»M…meine … Sch…schw…«

Meine Neugier wächst. Was ist mit seiner Schwester? Dass Roman so ein Geheimnis aus ihr gemacht hat, macht die Sache nur umso faszinierender. Warum wollen sie sie holen?

Und vor allem …

Wer?

Wieder fallen Roman die Augen zu, und er erschlafft in meinen Armen.

Frustriert beiße ich die Zähne zusammen.

»Was hast du angestellt, Roman?«, stoße ich hervor, während ich ihn schüttle. Verdammte Scheiße! Nutzlos im Leben wie im Tod! »Wag es ja nicht, mir jetzt einfach wegzusterben!«

Ja, der Tod ist unausweichlich, vor allem sein Tod. Aber der Idiot darf nicht krepieren, bevor ich nicht sämtliche Informationen von ihm bekommen habe. Warum sollte jemand seine Schwester töten wollen? Und was wissen sie über sie, das ich nicht weiß?

Da Romans Augen geschlossen bleiben, presse ich zwei Finger auf seine Halsschlagader. Mehr Blut quillt über meine Hand. Die Anzahl der Löcher in seinem Körper würde reichen, um die Titanic zu versenken. Trotzdem spüre ich noch einen Puls. Schwach zwar, aber vorhanden.

Sein Blick, als er die Augen wieder aufschlägt – benommen und komplett verwirrt –, ist mir nur allzu vertraut. Im Normalzustand hat sein Körper mehr Drogen intus als eine ganze Apotheke.

Romans Augen fallen wieder zu. Er sieht aus, als sei er bereits tot. Als habe seine Seele seinen Körper schon verlassen. Wenn ich ihn jetzt frage, wie es im Jenseits aussieht, kriege ich vielleicht sogar eine Antwort. Obwohl man wahrscheinlich nichts glauben kann, das aus Roman Lennox’ Mund kommt.

Bester Beweis: die angebliche Existenz seiner Schwester.

Was weiß ich, ob er sich das nicht nur ausgedacht hat, um mich ein letztes Mal zu verarschen, bevor er abkratzt? Aber möglicherweise hat er sich ja verändert. Das Timing wäre zwar etwas schräg, aber im Angesicht des Todes sehnen wir uns vielleicht alle nach Wiedergutmachung.

Obwohl ich das ehrlich gesagt bezweifle.

Ich packe ihn am Hemdkragen. »Was hast du angestellt?«, wiederhole ich.

Verdammt, er verliert schon wieder das Bewusstsein! Allmählich läuft mir die Zeit davon.

Wieder schüttle ich ihn und versetze ihm einen Klaps, um ihn zu wecken. »Sprich endlich!«

Es kostet ihn fast übermenschliche Anstrengung, nach meiner Hand zu greifen. »Versprich mir …«

Ich verenge die Augen zu schmalen Schlitzen. »Was soll ich dir versprechen?«

Er bleibt stumm. Seine Augen sind nach wie vor geschlossen. Ich will gerade wieder seinen Puls checken, als ich seinen schwachen Atem am Ohr spüre.

Schluckend festigt er den Griff um meine Hand. »Versprich mir, meine Schwester zu beschützen.«

Der Mann hat vielleicht Nerven!

Trotzdem frage ich mich …

»Warum soll ich sie beschützen, Roman?«

Wieder schluckt er und blinzelt ein paarmal. »S…sie wollen e…etwas …«

»Was wollen sie?«

»… et…etwas, das sie hat …«

Ich entreiße ihm meine Hand und reibe mir damit eine schmerzhaft pochende Schläfe. Allmählich bin ich mit meiner Geduld am Ende. »Du musst mir schon genauer sagen, was sie von deiner Schwester wollen, sonst kann ich dir nicht versprechen, sie zu beschützen.«

Es ist offensichtlich, dass ihm jedes Wort Höllenschmerzen bereitet, aber das hält ihn trotzdem nicht zurück. »Bitte … v…versprich es mir …«

»Roman …«

»Nein!« Er bekommt einen weiteren überraschenden Energieschub. Zum ersten Mal, seit er in meinen Armen stirbt, fixiert er mich direkt. »Sie werden sie töten. Du musst sie retten.«

Ich schüttle den Kopf.

Er packt mich am Arm – mit mehr Kraft, als er zu diesem Zeitpunkt noch haben dürfte. »Du musst!«

Stumm erwidere ich den Blick des Mannes, dem ich früher einmal vertraut habe. Er ist der lebende (okay, sterbende) Beweis, dass man sich letztlich nur auf sich selbst verlassen kann. Wo auch immer man hinsieht – überall lauern Geheimnisse und Lügen unter der Oberfläche.

»Sasha hat das nicht verdient …«

Sasha heißt sie also.

Es ist das erste Mal, dass er ihren Namen erwähnt. Ich wiederhole ihn mehrfach in meinem Kopf, um ihn mir einzuprägen. Wo ist sie? Wie sieht sie aus? Fragen über Fragen. Eigentlich dürfte mich das alles gar nicht interessieren. Und schon gar nicht sollte ich den seltsamen Wunsch verspüren, sie ausfindig zu machen.

Werde ich ihr helfen? Mal sehen.

»Es tut mir leid …« Roman redet so leise, dass ich ihn eigentlich nicht verstehen dürfte, doch in der Totenstille des leeren Lagerhauses dröhnt seine Stimme so laut wie ein Flugzeugmotor.

Ich betrachte ihn. Aufmerksam. Die Zunge hängt ihm aus dem Mund, unter ihm breitet sich eine Blutlache aus, und mit seinen großen Bambi-Augen erinnert er mich an eine tödlich verletzte Zeichentrickfigur.

Erbärmlich.

Ich werfe meinen Männern hinter mir einen Blick zu. Sie warten auf meinen Befehl, egal welchen. Ich vertraue ihnen vielleicht nicht gerade blind, aber wenigstens kann ich mich darauf verlassen, dass sie meine Befehle befolgen. Nicht zuletzt natürlich, weil ich sie fürstlich dafür bezahle.

Sie nicken mir zu. Sie wissen, dass unsere Zeit hier abgelaufen ist.

Ich richte den Blick wieder auf Roman. »Ich werde Sasha finden.«

»W…wirst du sie beschützen?«

»Ja, und anders als gewisse andere Menschen mache ich, was ich sage«, antworte ich nicht ohne Schärfe.

Er verzieht das Gesicht, geht aber nicht auf seinen damaligen Verrat ein. Wahrscheinlich fehlt ihm dafür die nötige Energie. »D-danke …« Es geht in lautes Stöhnen über. Sogar im Tod kotzt er mich noch an. Mehr Blut quillt aus seinem Mund. »Gideon …«

Eine Träne rinnt ihm über eine Wange.

Der Tod, die launische Bestie, lässt sich wirklich verdammt viel Zeit damit, ihn zu holen.

Ich lege Roman wieder hin.

Das hier ist mein letzter Gnadenakt.

Auch wenn Roman Lennox ihn nicht verdient hat.

KAPITEL EINS

Gideon

Der Schocker der letzten Nacht kommt in Gestalt einer richtigen Bruchbude. Hier wohnt also Sasha Lennox?

»Bist du sicher, dass das hier die richtige Adresse ist?«

Tony am anderen Ende der Leitung gibt ein gekränktes Schnaufen von sich. »Ja, Chef, ich bin doch nicht blöd.«

»Das sagst du.«

Ich stelle den Motor aus und betrachte das heruntergekommene Wohnhaus angewidert. Nasse Bierkisten stapeln sich neben der Eingangstreppe, und unweit davon steht ein rostiger Müllcontainer.

Diesen Schandfleck sollte man sofort abreißen.

Ich leite den Anruf von Bluetooth auf mein Handy um und steige aus dem Wagen. »Das hier ist das reinste Drecksloch.«

»Echt?«

»Ja. Man sollte es mit Brettern zunageln. Obwohl …« Mein Blick fällt auf ein Fenster im zweiten Stock, in dem eine Glasscheibe fehlt. Jemand hat das Loch notdürftig mit einer kaputten Holzlatte geflickt. »Schon passiert.«

»Ist sie etwa auch ein Junkie?«

Sieht ganz so aus. Wer sonst würde freiwillig hier wohnen?

»Bezahle ich dich nicht für solche Informationen?« Ich weiche einer verdreckten Plastiktüte aus, die mir der Wind vor die Füße weht. »Welche Wohnung ist es?«

Schotter knirscht unter meinen Schuhsohlen, während ich den Bürgersteig entlang zum Eingang gehe. Die Oberfläche hat mehr Löcher als Belag.

Wow, Roman, du warst wirklich ein Stück Scheiße. Von wegen, du machst dir Sorgen um ihre Sicherheit. Und ich hätte dir fast geglaubt.

Ich höre Tonys Finger über seine Computertastatur jagen. »Dem Schaltplan nach zu urteilen liegt ihre Wohnung seitlich im ersten Stock, direkt an der Feuertreppe.«

Ich folge den Angaben des Schwachkopfs und betrachte das Fluchtfenster im ersten Stock. Feuchtigkeit kriecht die Außenwand bis zu den Glasscheiben hoch, durch die man ungehindert in die Wohnung sehen kann. Dieses Fenster bietet eindeutig keinerlei Schutz vor jedem halbwegs geschickten Einbrecher.

Was zum Teufel hat Roman sich nur dabei gedacht, seine Schwester hier wohnen zu lassen?

Ich reibe mir die schmerzhaft pochenden Schläfen. »Hast du noch mehr Informationen über sie?«

Wahrscheinlich sollte ich einfach wieder in meinen Wagen steigen, nach New Jersey zurückkehren und auf mein Versprechen scheißen. Damit würde ich meinem Ruf, durch und durch amoralisch zu sein, wenigstens gerecht werden.

»Nein, sie scheint einfach nur zu existieren.« Tony schnalzt missbilligend mit der Zunge. »Das Mädel hat anscheinend überhaupt kein Leben. Keine Freunde. Kein Studium. Keine sozialen Medien. Keine Freizeitbeschäftigungen. Ich habe schon aussagekräftigere Zeugenschutzakten gesehen. Es gibt nichts wirklich Interessantes zu berichten.«

»Wen interessiert, was du für interessant hältst und was nicht?« Ich beiße die Zähne zusammen. »Ich will alle Infos, die du kriegen kannst.«

Andererseits – wozu eigentlich? Das hier scheint reine Zeitverschwendung zu sein. Wie der Bruder, so die Schwester.

Tony scheint meine Irritation zu spüren, denn er tippt schneller. »Also, sie lebt sehr zurückgezogen. Im Netz findet man kaum etwas über sie.« Noch ein paar Klicks. Wieder schnalzt er mit der Zunge. Ich kann nur hoffen, dass er endlich etwas gefunden hat, sonst kann er schon mal sein Testament schreiben! »Sie arbeitet schichtweise in einem Diner.«

»Das ist alles?« Meine Kopfschmerzen sind inzwischen voll ausgewachsen.

»Ich fürchte ja.«

Ich habe keine Zeit für diesen Scheiß. »Hast du wenigstens den Namen des Diners?«

»Mel’s.«

»Welcher Mel’s? Im Dreiländereck gibt es mehrere, verdammt noch mal!«

Am liebsten würde ich Tony direkt zum Arbeitsamt schicken, aber andere Dinge haben erst mal Vorrang. Zum Beispiel, der Frage auf den Grund zu gehen, warum mich die banalen Details des Lebens dieses Mädchens überhaupt interessieren.

Scheiß auf Roman!

Was mache ich hier eigentlich? Der Mistkerl kotzt mich tot sogar noch mehr an als lebendig, und das will etwas heißen. Trotzdem lungere ich nach wie vor in dieser verdreckten Straße herum, nur um vielleicht endlich einen Blick auf das geheimnisvolle Mädchen werfen zu können.

Was für ein Scheiß!

Roman ist tot.

Ich schulde ihm gar nichts.

Nichts bindet mich an mein Versprechen. Schon gar nicht, wenn er mir offensichtlich sein halbes Leben verheimlicht hat.

Als ich mich gerade umdrehen will, um zu meinem Wagen zurückzukehren, taucht sie plötzlich am Fenster auf. Üppige blonde Locken fallen ihr über die Schultern. Sie streicht sie aus dem Gesicht, bevor sie das Fenster öffnet, ihren zierlichen Körper durch den Spalt schiebt und auf die Plattform der Feuertreppe steigt, die unter ihrem Gewicht ächzt. Das rostige Teil gehört auf eine Mülldeponie. Es wird dem bildhübschen Geschöpf darauf überhaupt nicht gerecht.

Denn die junge Frau ist bildhübsch.

Hinreißend geradezu. Umwerfend. Wunderschön. Es ist beinahe peinlich, was für Adjektive mir bei ihrem Anblick durch den Kopf schießen, aber trotzdem gehe ich wie ferngesteuert auf sie zu, als wollte mein Körper die Distanz verzweifelt überbrücken. Leider bin ich trotzdem viel zu weit weg von Sasha Lennox, um die erlesenen Details ihres Gesichts zu erkennen.

Ich ducke mich hinter den Müllcontainer. Eine Wildfremde in direkter Nachbarschaft von vergammelten McDonald’s-Überresten, abgelaufenen Milchtüten und schmutzigen Windeln zu stalken, ist ein völlig neuer Tiefpunkt für mich. Aber offensichtlich habe ich den tiefsten Punkt noch nicht erreicht, denn ich kann gar nicht damit aufhören.

Ich rücke noch ein Stück vor – dicht genug an sie heran, um freie Aussicht zu haben, aber weit genug weg, um nicht von ihr entdeckt zu werden.

Ich komme mir vor wie ein ausgewachsener Voyeur.

Was macht sie überhaupt auf der Feuertreppe?

Und warum interessiert mich das eigentlich?

Sie setzt sich so hin, dass ihre Unterschenkel runterbaumeln, und vergräbt das Gesicht in den Händen.

Weint sie? Hat sie etwa schon vom Tod ihres Bruders erfahren?

Nein, das kann nicht sein. Romans Leiche ist kaum erkaltet. Die Bullen können ihn unmöglich schon gefunden haben.

Meine Geistesverfassung sollte mir eigentlich Sorgen machen, aber ich bin zu abgelenkt von der schönen Aussicht. Die Abendsonne lässt die blonden Locken des Mädchens schimmern und erhellt das bisschen, das ich von ihrem Gesicht erkenne. Da auch das Haus hinter ihr die Sonne reflektiert, sieht sie aus dieser Entfernung so aus, als habe sie einen Heiligenschein. Sie wirkt geradezu ätherisch.

Wie die süßeste Versuchung schlechthin.

Als sie die Hände vom Gesicht nimmt, bestätigt sich mein erster Eindruck.

Sie ist eine gottverdammte Sirene.

Keine Ahnung, womit ich gerechnet habe, als Roman mir von ihr erzählt hat, aber damit jedenfalls nicht.

Sie ist ganz anders als ihr Bruder. Eine Einzelgängerin. Lebt in ihrer eigenen Welt. Kehrt Tag für Tag allein von der Arbeit zurück in dieses Drecksloch, wenn man Tony glauben kann. Und trotzdem hat sie richtig Klasse.

Was zum Teufel ist bloß mit dir los, Gideon?!

Ich darf nicht zulassen, dass ihre Schönheit mein Urteilsvermögen trübt. In meiner Welt ist Schönheit eine gefährliche Waffe, was diese Frau hier zur schärfsten und tödlichsten Waffe von allen macht.

Ich betrachte sie aufmerksam – suche nach Anzeichen für eine Drogensucht. Wenn sie auch nur annähernd ist wie ihr Bruder, werde ich auf mein Versprechen scheißen. Junkies sind unberechenbar, und zum Babysitten habe ich weiß Gott keine Zeit.

Ich kann den Blick gar nicht von ihr losreißen, obwohl sie gar nichts Ungewöhnliches macht. Sie sitzt einfach nur da und betrachtet gedankenverloren das Gebäude auf der anderen Straßenseite.

Ob ich mich zeigen und ihr mitteilen soll, dass sie in Gefahr ist? Dann kann sie in Zukunft allein auf sich aufpassen, und ich kann mein lächerliches Versprechen an Roman abhaken. Es würde sowieso nur damit enden, dass sie sich stöhnend unter mir windet. So viel Willenskraft habe ich nämlich nicht.

Gute Idee, genau das werde ich machen! Ich werde sie warnen und sie dann sich selbst überlassen.

Dann hat sich dieses Problem ein für alle Mal erledigt.

Ich will meinen Vorsatz gerade in die Tat umsetzen, als mein Handy vibriert.

Ich nehme das Gespräch an. »Schieß los«, knurre ich.

Julian lacht. »Was ist denn mit dir los?«

Julian ist meine rechte Hand, und nur er darf so mit mir reden. Seit Tobias Kostas Ausscheiden halten wir beide den Laden am Laufen.

»Willst du dich etwa beschweren?«

Wieder lacht er, aber nur ganz kurz, bevor er sich räuspert.

Ich versteife mich instinktiv.

Mich beschleicht ein ungutes Gefühl.

»Was ist los?«

»Woher weißt du, dass etwas los ist?«

»Spann mich nicht auf die Folter.« Ungeduldig klopfe ich mit der Fußspitze auf den Boden. »Wir wissen beide, dass ich ein gutes Gespür für Zwischentöne habe, und jetzt gerade sagt mir mein Gespür, dass du schlechte Neuigkeiten hast.«

Julian seufzt. »Es gibt ein Problem mit einem Paket. Ich brauche deine Hilfe.«

»Kümmere dich gefälligst allein darum«, schnauze ich. »Dafür bezahle ich dich schließlich, und zwar nicht zu knapp. Ich bin gerade indisponiert.«

»Mit stalken, meinst du wohl …?«

Wortlos lege ich auf. Als ich aus meinem Versteck komme, ist Sasha Lennox verschwunden. Wie bedauerlich. Leider werde ich mich ein andermal um sie kümmern müssen, denn im Gegensatz zu ihr können Lieferprobleme nicht warten.

Na ja, ein paar Minuten habe ich vielleicht …

Lange genug zumindest, um mich noch etwas umzusehen.

KAPITEL ZWEI

Sasha

»Wie geht es dir?«

Das fragt Johnny mich jedes Mal beim Ausstempeln, und wie immer reagiere ich mit einem halbherzigen Achselzucken.

Er zupft seine Schürze zurecht, auf deren Brust das Wort »Chefkoch« eingestickt ist. »So schlimm?«

Untertreibung des Jahrhunderts.

Ich nicke naserümpfend. »Sagen wir mal, dieser Tag war ein echter Reinfall.« Seufzend blättere ich das magere Bündel Scheine in meiner Linken durch, bevor ich es in meine Handtasche stecke. »Damit kann ich meine Miete jedenfalls nicht bezahlen.«

Genauso wenig das Abendessen, Einkäufe, Strom … Wie viel kriegt man heutzutage eigentlich für eine Spenderniere? Genug für ein Riesensteak mit Pommes?

Obwohl, eigentlich … Ich recke die Nase in die Luft und atme den Geruch ein, der aus der Küche kommt. Er ist jedoch ein solcher Angriff auf meine Sinne, dass sich mir der Magen umdreht. Bin ich verzweifelt genug, um …?

Ich muss plötzlich würgen, als wolle mein Magen mir sagen: Großer Gott, Sasha, wenn du das isst, melde ich mich freiwillig auf dem Schwarzmarkt für Organhändler!

Sonst ist das Essen hier eigentlich ganz okay – fettig, aber genießbar. Heute hat Johnny sich für das Tagesgericht jedoch etwas Neues einfallen lassen. Spoilerwarnung: So bald wird es nicht mehr auf der Speisekarte stehen. Es war so schrecklich, dass ich schon mit dem Gedanken gespielt habe, unsere Chefin zu bitten, Johnny zu degradieren, um ihn künftig vom Herd und weiteren Anschlägen auf die Geschmacksknospen unserer Gäste fernzuhalten.

Johnny schnaubt belustigt. »Du arbeitest im falschen Diner, wenn du mehr Trinkgeld willst, Mädchen. Von dem, was man hier kriegt, kann kein Mensch seine Miete bezahlen.«

Er hat nicht ganz unrecht. Das hier ist nicht gerade der ideale Arbeitsplatz für großzügige Trinkgelder, aber wenigstens habe ich einen kurzen Arbeitsweg, und wenn ich genügend Schichten arbeite, reicht es, um die Rechnungen zu bezahlen.

Heute waren allerdings nur halb so viel Gäste da wie sonst – ein Rückschlag, den ich mir eigentlich nicht leisten kann. Zurzeit kann ich es mir kaum leisten zu atmen.

»Nicht nur das Trinkgeld war heute unterirdisch – die Kundschaft genauso.« Johnny nimmt seine Latexhandschuhe ab und wirft sie in den Mülleimer des Pausenraums. »Wenn ich noch mal jemanden über seine Eier meckern höre, flipp ich aus.«

Fairerweise muss man sagen, dass Johnnys gewendete Spiegeleier so hart wie Gummi sind und auch genauso schmecken.

»Die Gäste waren heute mal wieder besonders unfreundlich.«

Ich seufze zustimmend, als mir die Frau einfällt, die nicht nur ihren Teller nach mir geworfen, sondern mich dabei reizenderweise auch noch als Flittchen beschimpft hat, obwohl ihr Mann meinen Arsch abgecheckt hat und nicht umgekehrt. Ich und meine zwei Bäckchen gingen gerade völlig nichtsahnend unserer Beschäftigung nach, als ihr Teller mit Brathähnchen plötzlich wie eine Frisbeescheibe an mir vorbeiflog und an der Wand über mir zerschellte. Ich muss zu Hause bestimmt zweimal duschen, um die Soße aus dem Haar zu bekommen.

»So, ich gehe jetzt.« Ich hänge mir meine Handtasche über eine Schulter. »Bis morgen.«

Johnny hebt nur wortlos eine Hand. Kein auf Wiedersehen. Typisch für ihn, aber ich habe es mir abgewöhnt, mehr von ihm zu erwarten als die täglichen zwei Minuten geheucheltes Interesse. Im Grunde bin ihm sogar dankbar. Es gibt nur wenige Dinge, auf die ich mich in dieser Stadt verlassen kann, und Johnnys Routine gehört dazu.

Ich öffne die Tür und mische mich unter die Passanten. Nachdem ich stundenlang Gäste bedient habe, sind meine Schritte etwas schleppend. Langsam trotte ich durch die belebten Straßen. Überall, wo ich hinsehe, sind Menschen in Eile. Das Stimmgewirr überfordert mich etwas. In diesem Moment wünsche ich mir mal wieder nichts sehnlicher, als der bedrückenden Enge der City zu entfliehen und irgendwohin aufs Land oder zumindest in eine Vorstadt zu ziehen. Mehr sogar als die nächste Mahlzeit. Mehr als einen Studienplatz an der Juilliard School. Mehr, als dass mein Bruder endlich clean wird.

Die Sonne strahlt fröhlich vom Himmel, aber mir ist schwer ums Herz. Während ich mir meinen Weg durch den üblichen mittäglichen Fußverkehr bahne, stoße ich fast mit einem über sein Handy gebeugten Mann zusammen.

»Pass doch auf!«, motzt er mich an, ohne auch nur den Blick von seinem Gerät zu heben.

Anscheinend ist ihm die Tatsache entgangen, dass er mir vor die Füße gelatscht ist und nicht umgekehrt. Ich muss mich beherrschen, dem Augenoptikergenie nicht einen Coupon vor die Füße zu werfen. Ich bin nämlich nicht nur pleite, sondern auch noch Coupon-Hamsterin. Eigentlich habe ich mir mein Leben mit einundzwanzig etwas glamouröser vorgestellt, aber was soll’s.

»Arschloch!«, murmele ich. Gott sei Dank ist er schon zu weit weg, um mich zu hören. Eine weitere Auseinandersetzung würde ich heute nämlich nicht überstehen. Im Grunde nie. Dafür fehlt mir einfach die nötige Energie.

Dabei ist heute nur ein ganz normaler Tag in New York City. Die Leute hier neigen generell dazu, unfreundlich zu sein, vor allem, wenn sie noch einen halben anstrengenden Arbeitstag vor sich haben.

Ha, von wegen City of Dreams!

Meine Wohnung liegt nur ein paar Blocks entfernt vom Diner, aber als ich sie betrete, bleibt die erhoffte beruhigende Wirkung aus. Ich bekomme jetzt schon Klaustrophobie, und dabei bin ich noch keine Sekunde hier.

Mein Studio ist mit seinen achtzehn Quadratmetern eigentlich viel zu klein für mich, aber mehr kann ich mir leider nicht leisten. Schon allein diese Tatsache erinnert mich wieder unangenehm an das magere Trinkgeld in meinem Portemonnaie. Wenn ich ganz eisern spare, kann ich mir diese Woche im Supermarkt vielleicht das Fleisch leisten, das gerade im Angebot ist, aber mehr auch nicht. Was der Hauptgrund dafür ist, warum ich nicht ins Grüne ziehen kann. Obwohl … das stimmt nicht ganz. Der eigentliche Grund ist, dass ich nicht genug Geld für ein Auto habe. Es mag verwöhnt wirken, aber jeden Tag zehn Meilen zur Arbeit und zurück zu laufen, ist für mich einfach undenkbar.

Ich greife nach meinem Handy und betrachte die drei verpassten Anrufe von Roman in meiner Anrufliste. Obwohl sie von vorgestern sind, habe ich die Anzeige noch nicht gelöscht. Irgendwie lassen sie mir keine Ruhe. Ich kann meine Sorgen seinetwegen auch nicht so leicht abschütteln wie sonst. Die Angst abschalten, die sich in meine Gehirnwindungen drängt.

Mein Bruder ruft sonst nie an. Niemals. Schon gar nicht dreimal an einem Tag. Und zwar aus gutem Grund, denn ich habe ihn explizit darum gebeten. Ich habe ihm sogar verboten, anzurufen. Seine Neigung, Ärger anzuziehen wie ein Magnet, vor allem, wenn es um Drogen geht, hat uns schon vor Jahren entzweit.

Dass er sogar eine Nachricht auf meiner Mailbox hinterlassen hat, macht mich daher erst recht nervös. Schweiß tritt mir auf die Stirn. Ich sollte ihn vielleicht zurückrufen. Was er wohl wieder angestellt hat? Oder besser gefragt – reichen ein paar Anrufe, um wieder Kontakt zuzulassen?

Schließlich gebe ich seufzend klein bei und spiele die Nachricht ab.

Du bist ja so schwach! Dabei hast du dir doch geschworen, dich nie wieder auf ihn einzulassen!

Romans Stimme krächzt aus dem Lautsprecher. »Sash, ich bin’s. Ich weiß, du hast mich gebeten, dich nicht anzurufen, aber es ist dringend. Bitte ruf mich zurück. Ich muss dir etwas Wichtiges mitteilen. Bitte.«

Danach ist die Leitung tot. Irgendwie beunruhigt mich sein Tonfall. Roman klingt schrecklich nervös.

Geradezu verzweifelt.

Ach was, er braucht bestimmt nur Geld für den nächsten Schuss!

Geld, das ich nicht habe und ihm auch dann nicht geben würde, wenn ich es hätte.

Ich stecke mein Handy wieder ein, lege meine Handtasche auf den gelben Secondhand-Sessel, der leider nicht in Würde altert, und gehe in die Schlafnische.

Zum einzigen Glück meines Lebens: meinem Cello.

Ein Geschenk von Roman.

Des Bruders, von dem du dich abgekehrt hast.

Ich stoße einen frustrierten Schrei aus. »Aaargh!«, durchdringt er die Stille.

Nur Roman gelingt es, trotz unserer Entfremdung so starke Emotionen in mir auszulösen.

Denn obwohl wir seit Jahren keinen Kontakt mehr haben, mache ich mir Sorgen um ihn.

Andererseits standen wir uns früher mal nahe. Sehr nahe.

Ich schüttle die Erinnerungen an Roman ab und nehme mein Cello aus seinem Kasten. Eigentlich sollte ich direkt anfangen zu üben, aber meine Finger fühlen sich an, als würden sie nicht zu meinen Händen gehören, die sich wiederum anfühlen, als würden sie nicht zu meinen Armen gehören und so weiter. Zurzeit würde mir anscheinend nur eine Ganzkörpertransplantation dabei helfen, meine tiefsitzende Müdigkeit zu überwinden.

In den letzten Tagen konnte ich nämlich nur schlecht schlafen, was meine Arbeit umso anstrengender gemacht hat.

Ach, wem willst du etwas vormachen? Du hast Angst, dass Roman plötzlich vor deiner Tür auftaucht und dich um Geld für Drogen anpumpt.

Bisher dachte ich eigentlich, ich sei hier vor ihm sicher. Das hier ist die erste Wohnung, von der er keine Adresse hat, und ich sehe nicht ein, mich deswegen schuldig zu fühlen. Abgesehen davon sind mir meine Zurechnungsfähigkeit und mein Geldbeutel sehr dankbar dafür, seinen häufigen Besuchen einen Riegel vorgeschoben zu haben, die meistens die Bitte um Geld nach sich zogen. Ich verdiene nun mal nicht genug, um mich selbst und einen Junkie zu finanzieren. Ich weiß, er ist mein älterer Bruder, aber meistens kam ich mir eher wie seine co-abhängige Mutter vor.

Ich hielt diese Situation einfach nicht mehr aus. Wollte den Teufelskreis endlich durchbrechen, an dem ich so lange beteiligt war.

Vielleicht habe ich ja deshalb ein so mulmiges Gefühl. Ich habe Angst, dass er mich findet und alles wieder von vorne losgeht.

Eigentlich dürfte es ihm nicht schwerfallen, mich aufzuspüren. Er hat Kontakte, über die ich lieber nichts Näheres wissen will. Ich weiß auch so schon mehr als genug.

Erst seit ich ihn aus meinem Leben verbannt habe, schaffe ich es, regelmäßig Geld zurückzulegen. Wenn ich so weitermache und mich für ein großzügiges Überbrückungsgeld qualifiziere, müsste ich mich nächstes Jahr an der Juilliard School bewerben können. Es ist zwar nicht leicht, das Geld zusammenzukratzen, wenn man nur den Mindestlohn und kaum Trinkgeld bekommt, aber irgendwie kriege ich das schon hin.

Klar kriege ich das hin. Ich kann bereits ein Licht am Ende des Tunnels sehen. Ich bin sogar schon fast raus aus dem Tunnel. Auf meinem Bankkonto ist inzwischen genug Geld für die Studiengebühren, Miete und Lebenshaltungskosten. Ich weiß, ich habe eine Ewigkeit dafür gebraucht, das Geld zusammenzukratzen, und wenn ich Roman nicht losgeworden wäre, hätte ich das nie geschafft, aber bald ist es so weit. Ich habe das Geld fast zusammen. Ich habe es verdammt noch mal geschafft!

Leider gibt es nur noch ein Problem … das Vorspiel.

Lampenfieber ist echt scheiße. Es ist vor allem dann ein Riesenproblem, wenn man eigentlich davon träumt, Konzertsolistin zu werden.

Es ist ein Fluch.

Ich kann mich kaum dazu überwinden, in meiner eigenen Wohnung zu spielen, wie soll ich das da vor fremden Menschen schaffen?

Aber bisher habe ich noch für jedes Problem eine Lösung gefunden. Was blieb mir auch anderes übrig?

So, genug gezaudert!

Ich setze mich so bequem hin wie möglich. Ich brauche immer eine Weile, bis ich den nötigen Mut zusammenhabe, anzufangen. Wie immer greife ich zum Bogen und stelle mich innerlich darauf ein, die Saiten zum Schwingen zu bringen, aber kaum erklingen die ersten tiefen Töne, erstarre ich.

So läuft das bei mir jedes Mal. Ich fange an. Ich höre wieder auf. Ich atme tief durch. Ich spiele weiter.

Als ich mich wieder beruhigt habe, mache ich weiter. Eine tiefe, heitere Melodie erfüllt das winzige Zimmer. Die Vibrationen des Cellos dringen durch meine Füße hindurch in den Fußboden. Ich spüre die Musik bis tief in die Knochen. Es ist fast, als halle sie in meinem Herzen wider.

Ich wünschte, ich wäre mutiger. Stärker. Ich wünschte, ich wäre fähig, so wie jetzt auch vor Publikum zu spielen.

Ich habe bisher noch nie in der Öffentlichkeit gespielt.

Beziehungsweise nicht mehr, seit …

Abwehrend schüttle ich den Kopf.

Nein. Denk nicht daran zurück!

Mein Griff festigt sich wieder um den Bogen. Kaum spiele ich weiter, erschüttert ein lautes Dröhnen die Decke über mir. Gipsflocken rieseln auf mich und das Cello herunter und besprenkeln uns weiß. »Ruhe verdammt noch mal!«, gellt die Stimme meines Nachbarn von oben. »Ich versuche gerade zu schlafen!«

Ich richte den Blick auf den Wecker auf meinem Nachttisch. Er zeigt sechs Uhr an.

»Ach, halt einfach die Klappe!«, brülle ich zurück, bis mir einfällt, dass ich auf die günstige Miete dieser miesen Wohnung dringend angewiesen bin. Ich kann es mir nicht leisten, sie zu verlieren. »Schlaf gut!«, füge ich hastig in der Hoffnung hinzu, dass mich morgen nicht der Vermieter anruft.

Ups!

Ach egal, ich kann sowieso nicht richtig spielen. Also kann ich mich genauso gut darauf beschränken, die Finger an die richtigen Stellen zu legen und den Bogen hin- und herzubewegen, ohne die Saiten zu berühren. Nur so zu tun, als würde ich spielen. Und wissen Sie was? Das Lampenfieber ist weg. Irgendwie bezweifle ich jedoch, dass ich die Probespielkommission der Juilliard School mit diesem Stil beeindrucken kann.

Als ich genug geübt habe, verstaue ich mein Cello wieder im Kasten und recke gähnend die Arme. Es ist inzwischen Abend. Die Sonne geht allmählich unter und färbt die Häuser auf der anderen Straßenseite orangerosa. Ich habe das seltsame Gefühl, aus der Zeit gefallen zu sein. Vielleicht wegen meiner Sorgen um Roman.

Soll ich ihn zurückrufen oder nicht?

Ich atme bewusst tief durch, um mich wieder zu beruhigen. Meine Füße schmerzen und mein Rücken ebenfalls. Und, wie ich zugeben muss, auch mein Herz. Abgesehen davon bin ich total verschwitzt, und zu allem Überfluss klebt auch noch die Hähnchensoße von vorhin in meinem Haar. Kurzum, mein Zustand ist einfach ekelerregend.

Vielleicht rufe ich Roman nach dem Duschen an. Ja, so werde ich das machen. Oder nachdem ich geduscht und etwas gegessen habe. Das klingt sogar noch besser.

Ich bin gerade auf dem Weg ins Bad, als jemand an meine Tür klopft.

Ich verkrampfe mich unwillkürlich. Spontan fällt mir mein Bruder ein. Ist er das etwa? Das kann doch nicht sein, oder?

Auf Zehenspitzen gehe ich zur Tür und sehe durch den Spion. Schlagartig beschleunigt sich mein Herzschlag. Zwei Polizisten stehen davor. Das kann nichts Gutes bedeuten.

Sie stehen so, dass ich ihre Gesichter nicht sehen kann, aber als sich einer von ihnen bewegt, erkenne ich ihn sofort.

Das ist Matt.

Wir kennen uns noch von der Highschool. Matt ist so sympathisch, dass er früher mit allen gut zurechtkam.

Mich mochte er immer ganz besonders.

Wir blieben nach der Schule in Kontakt, und er behielt Roman für mich im Auge. Als ich dann in die City zog, versprach er mir, mich sofort zu informieren, wenn es etwas Neues gibt.

Ich beiße die Zähne zusammen und wappne mich innerlich gegen schlechte Neuigkeiten.

Matts Kommen verheißt nichts Gutes. Etwas Schlimmes muss passiert sein.

Höchstwahrscheinlich ist Roman im Gefängnis und wird nicht so bald wieder rauskommen.

Es ist nicht das erste Mal, dass Matt unangemeldet bei mir auftaucht. Mein Bruder war schon öfter in Konflikt mit dem Gesetz.

Obwohl … eigentlich stimmt das gar nicht.

Es gab mal eine Zeit, da war das anders. Als unsere Eltern noch am Leben waren, war er ein ganz normaler Teenager.

Aber ihr Tod hat alles verändert.

Danach mussten wir um unsere Existenz kämpfen, sodass er dazu gezwungen war, den ersten Job anzunehmen, der sich ihm bot. Aber das ist eine andere Geschichte.

Jetzt muss ich mich erst mal um meinen unerwarteten Besuch kümmern.

Tief Luft holend, öffne ich die Tür und sehe Matt kopfschüttelnd an. Er sieht gut aus, wenn man auf den Typ Junge-von-nebenan steht – glatt rasiert und mit kurz geschnittenem Haar. Er ist blond und hat warme grünbraune Augen.

Leider ist er nicht mein Typ, weshalb es mir auch ziemlich unangenehm war, als er mich vor ein paar Jahren mal gefragt hat, ob ich mir eine Beziehung mit ihm vorstellen könnte. Ich habe nein gesagt, weil ich mich einfach nicht zu ihm hingezogen fühle. Außerdem wollte ich nicht, dass er wegen meines Bruders in einen Interessenskonflikt kommt.

Trotzdem bin ich dankbar für seine Freundschaft. Es ist immer angenehmer, schlechte Neuigkeiten von jemandem zu erfahren, den man kennt und dem man vertraut.

Ich stütze eine Hand in eine Hüfte. »Sag schon, wie hoch ist die Kaution diesmal?«

Matt schluckt. »Können wir kurz reinkommen, Sasha?«

Nein.

Meine Fingernägel bohren sich in meine Handflächen. »Äh … klar.«

Ich bin etwas überrumpelt. Normalerweise empfange ich keinen Besuch. Zunächst mal ist in meiner Wohnung kaum genug Platz für mich, geschweige denn für drei Menschen, und sonst kommt Matt allein und fragt nie, ob er reinkommen darf. Ich muss jedes Mal darauf bestehen.

Ich fühle mich daher extrem unwohl.

Steif und unbeholfen folge ich den beiden Männern in meine winzige Wohnung. Mit jedem Schritt verdoppelt sich meine Nervosität, zumal die Anwesenheit der beiden meine Klaustrophobie noch verstärkt. Wir sind wie Ölsardinen zwischen die Möbel gequetscht. Ich scheine es bei Goodwill etwas übertrieben zu haben. Anscheinend sammle ich nicht nur Coupons im Übermaß.

»Sash …«, setzt Matt an und verstummt wieder.

Ich erwidere seinen Blick ungeduldig. »Sag es einfach.«

Ich hasse es, unangenehme Gespräche unnötig hinauszuzögern, wie Matt eigentlich auch weiß.

Erst als er seufzt, fällt mir auf, wie angespannt er selbst wirkt.

Was auch immer Roman angestellt hat, muss etwas richtig Schlimmes gewesen sein. Mein Magen fühlt sich plötzlich an wie mit Steinen gefüllt. Oder mit einer Bowlingkugel. Ich schlucke die bittere Flüssigkeit hinunter, die mir in den Mund steigt.

»Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll …«

»Spuck’s einfach aus!« Mein üblicher Abwehrmechanismus – Kampf oder Flucht – hat eingesetzt, und der Kampfinstinkt gewinnt wie immer die Oberhand.

»Sasha, es geht um Roman …« Matt schüttelt den Kopf und lässt ihn dann hängen. »Er ist tot.«

Tot.

Roman ist tot?!

Das letzte Wort hallt in Endlosschleife in meinem Kopf wider, aber von Mal zu Mal kommt es mir absurder vor. Wie losgelöst von jeglicher Realität. Mein Bruder kann sich nur einen schlechten Scherz erlaubt haben. Aber im Grunde weiß ich es besser, denn der ernste, bedauernde Gesichtsausdruck des anderen Polizisten spricht Bände. Er wirkt unglaublich verlegen. Matts Neuigkeit ist ein solcher Schock, dass ich mich nicht mehr aufrecht halten kann.

Mir sacken einfach die Beine weg.

Rasch hält Matt mich fest und drückt mich an sich. »Hoppla, Sash, ist ja schon gut«, flüstert er an meinem Haar, bevor er mich wieder loslässt.

Ich zittere inzwischen so heftig, dass ich kein vernünftiges Wort herausbekomme. Mein Mund ist trocken, und meine Lippen beben. Lange stehen wir so da, während ich vergeblich versuche, mich zusammenzureißen. Zu verarbeiten, was Matt mir gerade erzählt hat.

Als ich endlich die Kraft finde, die Lippen wieder zu bewegen, stelle ich die Frage, die mich am meisten beschäftigt: »Wie ist er gestorben?«

Eigentlich will ich es gar nicht so genau wissen, aber ich kann nicht anders.

Matt wechselt einen verlegenen Blick mit seinem Partner, der stumm bleibt. Als Matt mich wieder ansieht, ist er erschreckend blass. »Sasha …«

»Hör auf mit dem ständigen ›Sasha‹ und komm endlich zur Sache!«

Als er einen Schritt auf mich zukommt, weiche ich instinktiv zurück. »Du solltest dir die Details besser ersparen.«

Ich weiß, dass er mich nur schützen will, aber ich brauche seinen Schutz nicht. Ich war noch nie der Typ, den man schonen muss. Mein Bruder ist tot, und ich will wissen, wie er gestorben ist, verdammt noch mal!

»Matt!«, stoße ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Jetzt sag schon endlich, was passiert ist!«

Matts bisher schweigsamer Kollege schaltet sich ein. »Ma’am, Sie sollten wirklich nicht …«

»Jetzt sofort!«, brülle ich lauter, als ich mir je zugetraut habe.

Wieder springt mein Nachbar über mir auf den Boden und verlangt lautstark nach Ruhe. Er scheint Astronautenstiefel zu tragen, denn diesmal wackelt die Decke so heftig, dass ich Angst bekomme, sie stürzt ein.

»Sir, hier unten ist die Polizei!«, donnert Matt zurück.

»Na klar doch!« Der Mann springt erneut. »Man kann’s ja mal versuchen, was, Sash?«

Ich höre kaum hin, so aufgewühlt bin ich. Mir ist plötzlich unerträglich heiß.

Aber wütend sein ist immer besser als traurig.

Ein Motto, nach dem ich schon lange lebe.

Ich zwinge mich, tief durchzuatmen. »Es … tut mir leid.«

Beruhige dich, Sasha.

»Bitte sag es mir.« Ich senke meine Stimme um eine Oktave. »Ich muss es wissen.«

Matt schließt gequält die Augen. Seine Nüstern blähen sich. Er sieht aus, als sei er innerlich hin- und hergerissen. Als wisse er nicht, ob er es mir sagen soll oder nicht. Seinem Seufzen nach zu urteilen entscheidet er sich für Ersteres, aber seine nächsten Worte hauen mich trotzdem aus den Socken.

»Er wurde gefoltert und dann erschossen.«

Meine Hände und Knie beginnen zu zittern. Verdammt, mein ganzer Körper zittert. Verzweifelt versuche ich, den Schmerz zu verdrängen, der in mir aufsteigt. »Hatte es mit Drogen zu tun?«

»Keine Ahnung. Wir wissen erst Näheres, wenn wir den Obduktionsbericht vorliegen haben.«

Ich balle die Hände zu Fäusten und schiebe sie in die Taschen meiner Kellnerinnenkluft. »Und wann wird das sein?«

»Der toxikologische Befund kann eine Weile dauern.« Matt schlägt die Augen nieder. »Es tut mir sehr leid, Sasha. Ich wünschte … ich wünschte, ich hätte mehr für ihn tun können.«

Da ist er nicht der Einzige.

Irgendwie kann ich das irrationale Gefühl nicht abschütteln, dass Roman nur wegen meiner Sturheit tot ist, so lächerlich das auch ist. »Das ist nur meine Schuld! Hätte ich nicht den Kontakt zu ihm …«

Matt nimmt rasch meine Hände und sieht mich eindringlich an. »Sag so etwas nicht! Es ist nicht deine Schuld. Er hat für sehr schlimme Menschen gearbeitet.«

»Für wen denn?«

Die Namen werden mir zwar nicht weiterhelfen, aber ich will sie trotzdem wissen.

Und dann? Willst du diese Männer eigenhändig zur Strecke bringen? Sehr realistisch!

Nein, es würde nichts Gutes dabei herauskommen, wenn ich mich in Romans Angelegenheiten einmische.

»Roman hatte Verbindungen zu Gideon Byrne und Lorenzo Amanté.«

Ich schüttle den Kopf. »Wer sind die beiden?«

Ihre Namen klingen wie Marken völlig überteuerter Handtaschen.

»Gideon beherrscht das Drogengeschäft in der City und Lorenzo … Also, den Namen solltest du so schnell wie möglich wieder vergessen.«

Ich schlucke den schmerzhaften Kloß in meinem Hals hinunter, der sich dort gebildet hat. Was haben diese Männer alles auf dem Kerbholz, dass Matt schon bei der Erwähnung ihrer bloßen Namen blass wird?

»Es war wirklich nicht deine Schuld, glaub mir«, fährt er fort. »Dein Bruder hatte auch so schon genug Probleme, und sich mit solchen Leuten einzulassen, hat seine Situation noch verschlimmert.«

Ich weiß, er will mir nur helfen, aber seine Worte sind mir trotzdem kein Trost.

Meine Brust fühlt sich immer noch hohl an.

Ich habe Roman weggestoßen. Ich bin vor ihm weggelaufen. Habe mich hier in diesem schrecklichen Loch versteckt, um Geld für ein besseres Leben zu sparen, während seins anscheinend immer weiter den Bach runterging. Hätte ich versucht, mit ihm zu reden, hätte er sich vielleicht wieder gefangen, wer weiß? Vielleicht hätte er sein Leben als Krimineller aufgegeben.

Tatsache ist jedoch, dass ich das nicht getan habe, und jetzt ist es für immer zu spät.

KAPITEL DREI

Gideon

Ich lungere im Hintergrund wie ein scheiß Psychopath und warte auf den idealen Moment, mich Sasha vorzustellen.

Ganz egal, wie oft ich sie beobachte – ich bin immer noch hingerissen von ihr. Verspüre immer noch den unstillbaren Wunsch, sie zu betrachten, und sei es auch nur aus der Ferne.

Eine Woche ist es jetzt her, dass die Polizei sie über Romans Tod informiert hat.

Zehn Tage, seit ich sie zum ersten Mal gesehen habe, und noch immer kriege ich nicht genug von ihrem Anblick.

Ich habe keine Ahnung, was mich so an diesem Mädchen fasziniert. Ich weiß nur, dass ich machtlos dagegen bin. Sie ist meine neueste Obsession.

Sie treibt mich noch in den Wahnsinn!

Ich habe versucht, mein Interesse an ihr ganz nüchtern zu betrachten. Mir einzureden, dass ich mich ihretwegen nur deshalb so ins Zeug lege, weil ich ihrem Bruder nun mal versprochen habe, sie zu beschützen.

Aber natürlich weiß ich genauso gut wie meine Männer, dass das kompletter Schwachsinn ist.

Es gibt nur einen Ausweg: diese Situation beenden.

Ich muss Sasha ins Bild setzen.

»Wie lange willst du eigentlich noch hierbleiben?«, fragt Julian, der hinter mir steht.

»Weiß ich nicht«, antworte ich, ohne mich zu ihm umzudrehen.

Das muss reichen. Er wird schon merken, wenn ich so weit bin. Bis dahin werde ich Sasha einfach weiter beschatten. Von hier aus leuchtet ihr blondes Haar fast zu hell zwischen all den schwarz gekleideten Menschen. Sie erinnert mich an ein Glühwürmchen an einem nächtlichen Sommerhimmel.

Sie huscht von einem Trauergast zum nächsten und bedankt sich für das Beileid. Es sind nicht viele gekommen, höchstens fünfzehn, aber trotzdem mehr, als ich bei Romans Beerdigung erwartet hätte. In all den Jahren unserer Bekanntschaft hat er nicht ein einziges Mal über sein Privatleben gesprochen, immer nur über die Mädchen, die er vögelt. Nie hat er eine Familie erwähnt, und abgesehen von meinen Leuten schien er keine Freunde zu haben, und von denen ist niemand hier. So etwas würden sie nie tun.

Diese Menschen müssen also Sasha zuliebe gekommen sein. Das ist das Einzige, das Sinn macht, auch wenn es mich noch mehr verwirrt, als ich ohnehin schon bin. Man sollte meinen, jemand wie Sasha hätte mehr Freunde und Familienmitglieder.

Sie ist mir nach wie vor ein Rätsel.

Die Dynamik zwischen diesen Menschen und Sasha wirft die Frage auf, in welchem Verhältnis sie eigentlich zu ihr stehen. Sie wechselt mit jedem ein paar Worte, aber bisher hat noch niemand sie umarmt. Niemand scheint sie besonders gut zu kennen.

Ich finde das wirklich schräg.

In dem Moment sehe ich einen groß gewachsenen Mann auf Sasha zugehen. Ich kann sein Gesicht nicht erkennen, aber als er vor ihr stehen bleibt und sie in die Arme nimmt, balle ich unwillkürlich die Hände zu Fäusten.

Ich gehe etwas nach links, um ihn besser sehen zu können, und stelle fest, dass er einer der Typen ist, die bei ihr waren, um sie über Romans Tod zu informieren. Ein beschissener Bulle also.

Wer zum Teufel ist dieses Arschloch, und was hat sie privat mit der Polizei zu tun? Und wie zum Teufel kommt er eigentlich dazu, sie zu trösten?

Irgendwie gefällt mir das alles gar nicht.

Bedeutet er ihr womöglich etwas?

Er darf sie nicht in die Arme nehmen …

Wenn das überhaupt jemand darf, dann ich.

Was zum Teufel …?

Eigentlich dürfte ich so etwas noch nicht mal denken. Sasha ist schließlich nicht meine Freundin.

Das wäre auch sehr unklug.

Ich gehe etwas dichter an die beiden heran, um zu beobachten, wie sie miteinander umgehen. Sie wirken ziemlich vertraut. Zu vertraut für meinen Geschmack. Auch das gefällt mir nicht.

Ist die Nummer, die dieser Typ da abzieht, vielleicht nur ein Trick, um Sasha Informationen zu entlocken? Macht er sich an sie heran, um mehr über die Aktivitäten ihres Bruders vor dessen Tod herauszufinden?

Vielleicht ist er ja korrupt. Ehrlich gesagt kann ich mir sogar das gut vorstellen. Roman hat gesagt, sie sei in Gefahr. Vielleicht arbeitet der Bulle ja für diejenigen, die hinter ihr her sind, wer auch immer das sein mag.

Scheiße!

Ich muss eingreifen, und zwar schnell.

Der Kerl hört gar nicht mehr auf, Sasha zu trösten. Ich spüre, dass sich meine Fingernägel in meine Handflächen bohren. Ich bin so geladen wie eine tickende Zeitbombe.

Mein Wunsch, die beiden auseinanderzureißen, wird fast übermächtig, aber ich weiß natürlich, dass das nicht geht. Nicht hier.

Sie kennt mich nicht, und wenn ich mich zwischen die beiden dränge, alarmiert das vielleicht nur die Falschen.

Der Mann ist allerdings nicht der einzige Grund für meinen Ärger.

Ich gebe es zu – diese Frau macht mich verrückt. Meine Besessenheit von ihr ist heftiger, als gut für mich ist. Wenn das so weitergeht, verliere ich ihretwegen noch den gottverdammten Verstand!

Dabei wäre es nicht ratsam, etwas mit ihr anzufangen. Vor allem, wenn sie mit diesem Kerl zusammen ist.

Also halte ich mich widerstrebend zurück, so schwer mir das auch fällt. Ich darf mich ihr nicht nähern. Ich muss noch abwarten.

Mich in Geduld üben.

Etwas, das mir noch nie leichtgefallen ist.

Als die Trauerfeier beginnt, ziehe ich mich wieder in den Hintergrund zurück. Da alle anderen im Raum die üblichen Trauerfarben Grau und Schwarz tragen, wirkt Sasha mit ihrem hautengen hellrosa Kleid unter ihnen wie ein Fremdkörper.

Sie wirkt so kultiviert. So unglaublich schön.

Außerdem ist sie viel stärker, als ich dachte. Kerzengerade und mit hoch erhobenem Kopf sitzt sie in der ersten Reihe des Beerdigungsunternehmens und vergießt keine Träne wegen ihres Bruders, was mich ehrlich gesagt etwas wundert.

Was hatten die beiden für eine Beziehung?

Ich hatte eigentlich damit gerechnet, dass sie untröstlich schluchzen würde, so wie die meisten Menschen, wenn sie auf so tragische Art ein Familienmitglied verlieren.

Sie ist so stark.

In dem Moment treffe ich eine Entscheidung.

Ich könnte natürlich versuchen, sie aus der Ferne zu beschützen, aber das dürfte schwierig bis unmöglich werden. Nein, es gibt eine viel bessere Lösung – eine, die so unglaublich verrückt ist, dass ich mir eigentlich in den Fuß schießen sollte, um mich von diesem Schwachsinn abzuhalten.

Kaum ist die Trauerfeier vorbei, lege ich los. Ich straffe die Schultern und setze jene Maske auf, die ich nach außen hin immer zur Schau trage, wenn ich es mit Untergebenen zu tun habe. Ich bewege mich so selbstsicher, dass sich mehrere Leute nach mir umdrehen, schenke ihnen jedoch keine Aufmerksamkeit. Ich habe nur Augen für Sasha.

Sie hebt den Kopf und erwidert meinen Blick.

Ihre Augen sind kornblumenblau mit grau umrandeter Iris. Faszinierend.

Sie schimmern wie der Himmel in der Abenddämmerung. Ihre Wirkung auf mich ist geradezu magnetisch.

Halb neugierig, halb misstrauisch sieht sie mir entgegen, als könne sie mich nicht ganz einordnen. Doch als ich näher komme, verfinstert sich ihr Gesichtsausdruck plötzlich.

Sie ist stinksauer.

Das sieht man auf den ersten Blick.

Ich brauche nicht lange zu warten, um den Grund zu erfahren, denn sie stolziert bereits auf mich zu.

»Wie können Sie es wagen?«, zischt sie mit leiser und trotzdem scharfer Stimme. »Ich weiß, wer Sie sind!«

Ich lächle süffisant – eine instinktive Reaktion, die ich nur schwer steuern kann. »Tun Sie das?«

»Ihretwegen ist mein Bruder drogensüchtig geworden! Sie sind schuld an seinem Tod!«

Für ein paar Sekunden bin ich sprachlos. Obwohl meine Freundschaft mit Roman längst passé ist, trifft mich Sashas Vorwurf tief. Das Gefühl hält jedoch nicht lange an. Ungefilterte Faszination tritt an seine Stelle.

Niemand wagt es, so mit mir zu reden.

Niemand, dem sein Leben lieb ist.

Aber diese zierliche, schöne Frau hier hat offensichtlich nicht die geringste Angst vor mir. Sie behauptet, mich zu kennen. Zu wissen, was für Geschäfte ich betreibe.

»Was. Wollen. Sie. Hier?«, stößt sie durch zusammengebissene Zähne hervor.

Ich öffne den Mund, aber nichts kommt heraus.

Sie ist anscheinend ein richtiger Hitzkopf!

Das gefällt mir.

Scheiße, es törnt mich sogar an. Sie törnt mich an.

»Was grinsen Sie so dämlich?«, zischt sie, und mein Lächeln vertieft sich.

»Ich grinse Ihretwegen.«

Sasha sieht mich an, als würde sie mich am liebsten erwürgen. »Sie haben vielleicht Nerven!«, ruft sie so empört, dass sie die Blicke der Umstehenden auf sich zieht.

»Vorsicht, Glühwürmchen«, warne ich sie, ohne sie aus den Augen zu lassen.

Sie ballt die zarten Hände zu Fäusten. »Vorsicht? Was wollen Sie schon machen!«

Ich will gerade näher rücken, um ihre Frage zu beantworten, als sich schon wieder der Scheißbulle an sie heranpirscht.

»Alles okay?«, fragt er Sasha und zieht sie an sich, als habe er jedes Recht dazu.