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Trent Aldridge hasst mich. Er will mich zerstören. Und ich? Bin ihm hilflos ausgeliefert …
Die College-Studentin Payton Hart hat kaum Freunde und Familie. Doch dann stirbt ein väterlicher Freund und plötzlich ändert sich ihr Leben. Sie wird Millionen erben, wenn sie 22 ist. Bis dahin gibt es einen Treuhänder für das Geld: Trent Aldridge. Reich. Arrogant. Erfolgreich. Der Teufel in Person und gleichzeitig der heißeste Typ, den sie je getroffen hat. Doch Trent hat nur ein Ziel: Payton zu ruinieren und sie für alles bezahlen zu lassen, was seiner Familie angetan wurde …
USA Today-Bestsellerautorin Ava Harrison endlich auch auf Deutsch erhältlich! Alle Titel der "Corrupt Empire" Reihe können unabhängig voneinander gelesen werden.
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Trent Aldridge hasst mich. Er will mich zerstören. Und ich? Bin ihm hilflos ausgeliefert ….
Die College-Studentin Payton Hart hat kaum Freunde und Familie. Doch dann stirbt ein väterlicher Freund und plötzlich ändert sich ihr Leben. Sie wird Millionen erben, wenn sie 22 ist. Bis dahin gibt es einen Treuhänder für das Geld: Trent Aldridge. Reich. Arrogant. Erfolgreich. Der Teufel in Person und gleichzeitig der heißeste Typ, den sie je getroffen hat. Doch Trent hat nur ein Ziel: Peyton zu ruinieren und sie für alles bezahlen zu lassen, was seiner Familie angetan wurde …
USA Today-Bestsellerautorin Ava Harrison endlich auch auf Deutsch erhältlich! Alle Titel der "Corrupt Empire" Reihe können unabhängig voneinander gelesen werden.
USA Today Bestsellerautorin Ava Harrison liebt das Schreiben. Wenn sie sich nicht gerade neue Romances ausdenkt, kann man sie bei einem ausgiebigen Schaufensterbummel, beim Kochen für ihre Familie oder mit einem Buch auf der Couch antreffen.
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Ava Harrison
Shattered Dynasty
Aus dem Amerikanischen von Ivonne Senn
Cover
Titel
Inhaltsverzeichnis
Impressum
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Zitat
PROLOG — Trent
1. KAPITEL — Payton
2. KAPITEL — Payton
3. KAPITEL — Trent
4. KAPITEL — Payton
5. KAPITEL — Trent
6. KAPITEL — Payton
7. KAPITEL — Trent
8. KAPITEL — Payton
9. KAPITEL — Trent
10. KAPITEL — Payton
11. KAPITEL — Trent
12. KAPITEL — Payton
13. KAPITEL — Trent
14. KAPITEL — Payton
15. KAPITEL — Trent
16. KAPITEL — Payton
17. KAPITEL — Payton
18. KAPITEL — Trent
19. KAPITEL — Payton
20. KAPITEL — Trent
21. KAPITEL — Payton
22. KAPITEL — Payton
23. KAPITEL — Payton
24. KAPITEL — Trent
25. KAPITEL — Payton
26. KAPITEL — Trent
27. KAPITEL — Payton
28. KAPITEL — Payton
29. KAPITEL — Trent
30. KAPITEL — Trent
31. KAPITEL — Payton
32. KAPITEL — Trent
33. KAPITEL — Payton
34. KAPITEL — Trent
35. KAPITEL — Payton
36. KAPITEL — Trent
37. KAPITEL — Payton
38. KAPITEL — Trent
39. KAPITEL — Payton
40. KAPITEL — Trent
41. KAPITEL — Payton
42. KAPITEL — Trent
43. KAPITEL — Trent
44. KAPITEL — Payton
45. KAPITEL — Payton
46. KAPITEL — Payton
47. KAPITEL — Trent
48. KAPITEL — Payton
49. KAPITEL — Payton
50. KAPITEL — Trent
EPILOG — Payton
DANKSAGUNG
Impressum
»Ich bin nicht das, was mir passiert ist.
Ich bin, was ich beschließe zu werden.«
Carl Jung
Trent
Angespannt trommle ich mit den Fingern auf die Schreibtischplatte. Das Geräusch hallt dumpf und rhythmisch durch den Raum.
Es ist ein ruhiger Morgen. Vor den großen Fenstern mit Blick über New York City hängen unheilverkündende Wolken am noch dunklen Himmel.
Ich bin der Erste hier. Was nicht ungewöhnlich ist. Da viele meiner Geschäftspartner in Übersee sitzen, bin ich immer bereit, sobald die britischen Märkte öffnen.
Trotz der frühen Uhrzeit zerreißt das Klingeln des Telefons auf meinem Schreibtisch die Stille. Da meine Assistentin noch nicht da ist, muss ich selbst rangehen. Es könnte sich um einen Notfall handeln. Nur wenige wissen, dass ich so früh im Büro bin. Meine wichtigsten Klienten. Und meine Familie.
Trotzdem gehe ich nicht ran.
Das Klingeln hört kurz auf, um gleich wieder loszugehen. Es muss wichtig sein.
Seufzend greife ich nach dem Hörer. »Ja«, sage ich.
»Mr. Aldridge.«
»Am Apparat.«
»Hi, Mr. Aldridge. Ich bin Larry Baker, der Anwalt Ihres Vaters.«
»Kein Interesse.«
Ich will gerade auflegen, als er fortfährt: »Wenn ich eine Minute Ihrer Zeit haben könnte …«
»Nein, können Sie nicht.«
Nichts, was mein Vater zu sagen hätte, würde eine Unterhaltung mit ihm rechtfertigen. Nach dem, was er meiner Familie angetan hat, kann er von Glück reden, dass ich kein Kopfgeld auf ihn ausgesetzt habe. Dennoch sind seine Tage gezählt. Mein Dad ist nicht fürs Gefängnis gemacht, und ich habe keinen Zweifel daran, dass er gerade versucht, einen Weg da raus zu finden. Entweder durch einen Antrag auf vorzeitige Haftentlassung oder durch einen Ausbruch.
Angesichts der Männer, mit denen er früher so zu tun hatte, würde mich beides nicht überraschen. Denn wenn er da nicht bald rauskommt, ist es nur eine Frage der Zeit, bis ihn jemand umbringt. Er hat zu viele Feinde. Die russische Mafia will ihn tot sehen. Cyrus Reed will seinen Kopf. Und ich kann mir nichts Besseres vorstellen, als meinen Tag auf seiner Beerdigung zu verbringen. Wie zum Teufel hat er überhaupt so lange durchgehalten?
»Ihr Vater hat mich gestern panisch angerufen. Er wünscht, Sie zu sehen«, fährt der Schleimbolzen fort. Ich habe den Anwalt meines Vaters nie kennengelernt, aber jeder, der bereit war, ihn zu verteidigen, muss zum Abschaum der Welt gehören.
»Es ist mir scheißegal, was er wünscht«, zische ich.
»Bitte …«
Ich beuge mich vor und knalle den Hörer auf die Gabel. Egal, wie oft dieser Typ im Namen meines Vaters anruft, ich habe dem Arschloch nichts zu sagen. In Zukunft werde ich meine Anrufe gründlicher checken, bevor ich sie annehme.
Das Privileg, mit mir zu sprechen, hat mein Vater verloren, als er versuchte, meine Schwester als Einsatz in einem Pokerspiel zu verschachern. Keine Entschuldigung, keine Reue kann das jemals wiedergutmachen. Für ihn wird es keine Erlösung geben. Kein Geld der Welt ist diese unverzeihliche Sünde wert. Der Mistkerl hätte zuerst sein eigenes Leben anbieten sollen.
Ich werde nie verstehen, wie er das hat tun können. Damit meine ich nicht nur den Verlust unseres gesamten Vermögens. Das ist schließlich nur Geld und im Großen und Ganzen nicht wirklich wichtig. Was mich nachts wachhält, ist die Frage, wie er das meiner Schwester hat antun können. Er hat Ivy zur Schlachtbank geführt. Wie konnte das für ihn überhaupt eine Wahl sein?
Doch das alles ist jetzt nicht mehr wichtig. An jenem Tag vor zwei Jahren ist mein Vater für mich gestorben. Seit wir ihn haben verhaften lassen, habe ich nicht mehr mit ihm gesprochen.
Mit »wir« meine ich mich und Cyrus Reed – meinen Schwager. Seine Geschäftspartner haben auch geholfen. Männer, die inzwischen meine Klienten sind. Wir haben den Mistkerl nicht vorgewarnt, sondern die Beweise gestapelt, als wären sie Backsteine, aus denen wir ihm ein neues Zuhause in der Hölle bauen wollen. Wir haben ihn ruiniert. Es wird hundert verdammte Jahre dauern, bis er wieder einen Schritt als freier Mann machen kann. Außer, er zieht ein paar Strippen, was wir aber beinahe unmöglich gemacht haben. Wir haben ihm jegliche Macht genommen, die er einmal besaß, und dabei ist ihm auch die Willenskraft abhandengekommen.
Wenn er es durch ein Wunder doch schaffen sollte, aus dem Knast zu kommen, werden wir schon auf ihn warten, um ihm endgültig den Rest zu geben.
Das Telefon klingelt erneut.
Ich ignoriere es. Dabei frage ich mich, ob er sich wohl bei mir meldet, weil er meine Hilfe braucht. Doch da kann er lange warten. Ich würde ihm nicht mal helfen, wenn das Schicksal der Welt davon abhinge.
Ich drehe mich mit dem Stuhl zum Fenster und schaue hinaus. Um fünf Uhr morgens liegt die Stadt noch in Dunkelheit. Es ist kein Stern in den wenigen Lücken zwischen den dicken Wolken zu sehen. Die einzigen Lichter kommen von den Gebäuden.
Meine Gedanken rasen. Warum hat der Anwalt meines Vaters mich so früh am Morgen angerufen?
Interpretier da nicht zu viel hinein.
Mein Vater weiß, dass gerade die beste Zeit ist, um mich zu erreichen, und hat es vermutlich seinem Anwalt gesagt. Er weiß, dass außer mir noch niemand hier ist. Das hat sich nicht geändert, seitdem ich für ihn gearbeitet habe.
Wieder klingelt das Telefon. In einer Stadt, die noch schläft, hat das Geräusch etwas Verzweifeltes.
Ich habe genug und ziehe den Stecker. Stille hüllt mich ein. Für einen Moment denke ich darüber nach, was hätte sein können, hätte mein Vater seine Seele nicht verkauft. Die Vergangenheit ist inzwischen so weit weg, dass ich sie nicht länger berühren kann. In seinen glorreichen Tagen hat mein Vater einen der erfolgreichen Hedgefonds der Stadt geleitet. Ach, was sage ich – der Welt.
Er hat viele Männer sehr reich gemacht. Und als direktes Ergebnis viele andere sehr arm. Ich bin mir nicht sicher, was genau passiert ist. An einem Tag konnte er in einem Privatjet nach Saint-Tropez jetten, um sich kurz im Mittelmeer zu erfrischen, am nächsten konnte er sich nicht mal mehr ein Economy-Ticket nach Florida leisten.
Er hat alles verloren. Und zwar nicht nur sein Geld. In seiner Verzweiflung, seine Schatzkammer wieder auffüllen zu wollen, hat er bei einer geheimen Pokerrunde mitgemacht und ist zum Monster geworden.
Energisch fahre ich mir mit der Hand durch die Haare, um die Gedanken aus meinem Kopf zu vertreiben. Es bleibt ein bitterer Nachgeschmack, der sich mit dem noch immer im Raum haftenden Geruch von ihm verbindet – Spuren seines Verrats, die in jede Ecke, jede Entscheidung seines Lebens gesickert sind.
Ich leite immer noch einen Hedgefonds. Doch anstatt nur mit dem Geld von Trust-Fund-Babys zu arbeiten, verwalte ich auch das Geld von einigen der furchteinflößendsten Männern der Welt. Am Ende unterscheide ich mich nicht von dem Mann, den ich hasse. Doch im Gegensatz zu ihm lassen mich meine Entscheidungen nachts gut schlafen.
Was ironisch ist, denn im Moment kann ich mich nicht entspannen, egal, wie sehr ich mich bemühe. Der Anruf des Anwalts hat eine Erinnerung berührt, die ich seit Langem vergessen will.
Ich stehe auf und gehe in mein Badezimmer, um mir meine Trainingsklamotten anzuziehen. Eine Runde Laufen wird mir helfen, den Kopf zu klären.
Mit dem privaten Fahrstuhl fahre ich ins Erdgeschoss und nicke dem Portier beim Verlassen des Gebäudes zu. Dann laufe ich los. Jeder Schritt bringt mich weiter von meinem Büro weg. Sobald ich die Fifth Avenue überquert und den Park erreicht habe, sprinte ich los und treibe mich zu einem Tempo an, das nicht gesund sein kann.
Doch der Gegenwind in meinem Gesicht beruhigt mich. Das Adrenalin entspannt meine Nerven.
Ich habe keine Ahnung, wie lange ich laufe, bis ich endlich den Rückweg antrete. Die Wolken haben sich verzogen, die Sonne ist inzwischen über den Horizont gestiegen, und der Moment ist gekommen, in dem ich mich um den Shitstorm kümmern muss, der mich vermutlich erwartet.
Meine Priorität sollte es jetzt sein, Geld zu verdienen und zu vergessen, wie dieser Tag angefangen hat.
Ich bin nur noch einen Straßenzug von meinem Büro entfernt, als mein Handy in der Hosentasche vibriert. Jetzt ist es meine Mutter.
»Mom«, sage ich.
Vermutlich sollte ich netter sein. Normalerweise benehme ich mich meiner Mutter gegenüber nicht so arschig, aber ich ahne, warum sie anruft, und ich will damit nichts zu tun haben. Und ich weiß auch nicht, warum sie es trotz allem immer noch versucht.
Zum Glück hat sie sich wenigstens von ihm scheiden lassen. Doch aus einem mir unbekannten Grund hat sie seinen Nachnamen behalten, schickt ihm Geschenkkörbe ins Gefängnis, als wäre er für eine verdammte Geburtstagsparty dort, und legt ein gutes Wort für ihn ein, wenn ich mich weigere, mit ihm zu sprechen.
Das Leben ist zu kurz für Feindseligkeiten.
Ihre Worte, nicht meine. Und noch dazu eine fette Lüge.
»Gib dir die Erlaubnis, das hinter dir zu lassen. Eine Blume kann nur blühen, wenn sie die Wärme der Sonne fühlt.«
Wie ich ihre Kalendersprüche hasse.
Ich würde einen Teilzeitjob als Charon annehmen, nur um meinen Vater persönlich in die Tiefen der Hölle zu rudern. Und selbst das würde nicht reichen, um sich reinzuwaschen. Eine Ewigkeit der Folter ist keine adäquate Strafe für die Verbrechen, die er gegen meine Familie begangen hat.
»Hey Süßer.« Ihre Stimme ist klar, aber es fehlt der übliche fröhliche Tonfall. Sie klingt ernst.
Es hat eine Zeit gegeben, da hätte ich nicht damit gerechnet, Freude in ihrer Stimme zu hören. Als das Leben sie in die Knie gezwungen hatte. Ich schätze, der »Blumen brauchen die Sonne«-Scheiß hat bei ihr funktioniert, denn sie ist aufgeblüht und gärtnert in ihrer Freizeit, wenn sie mich nicht gerade mit diesem Kram belästigt.
»Rufst du an, um über Dad zu sprechen?«
»Trent …«
»Lass mich dich gleich unterbrechen. Ich sage dir das, was ich auch seinem Anwalt gesagt habe: Seit er versucht hat, Ivy zu verkaufen, ist er für mich gestorben. Es gibt nichts, was du sagen könntest, das meine Meinung ändert. Ich werde niemals mit ihm reden …«
»Trent!«, schreit sie. Meine Mutter schreit nie.
Ich halte inne. Vielleicht höre ich sogar für einen Moment auf zu atmen. Der Puls pocht spürbar in meinem Hals, während ich darauf warte, dass sie weiterspricht.
»Dein Vater ist tot.«
Payton
Meine Flip-Flops klappern unter meinen schnellen Schritten auf dem Bürgersteig. Sie sind nicht die beste Wahl, aber ich war heute früh spät dran, und sie standen noch von dem Wochenendtrip ans Meer da.
Zum Glück sind es nur wenige Straßen zum College. Deshalb hat Ronald diese Wohnung für mich ausgesucht. Das und ihre Schönheit waren die entscheidenden Faktoren, als wir den Mietvertrag unterschrieben haben.
Das ist vier Jahre her.
Die meisten Erstsemester an der Ludlow University wohnten in den Wohnheimen, aber ich nicht. Der damalige Freund meiner Schwester, Ronald, hätte das nie zugelassen. Er bestand darauf, mir das perfekte Haus zu mieten.
Erins Dating-Historie könnte ein ganzes Jahrbuch füllen. Sportler, Goths, Rocker. Sie hatte sie alle und das in schneller Reihenfolge. Doch das mit Ronald hat länger gehalten. Sie waren eine gefühlte Ewigkeit zusammen. Ungefähr neun Jahre. Bis etwas passiert ist, und er, wie der Rest, auf einmal fort war.
Ich liebe ihn immer noch wie einen Bruder. Oder eher wie einen Vater. Er ist wesentlich älter als Erin, die wiederum älter ist als ich. Im Gegensatz zu denen, die vor ihm kamen, hat er sein Leben im Griff und war immer gut zu mir. Weshalb ich ihm den Spaß gelassen habe, diesen Palast für mich zu mieten.
Denn genau das ist es. Ein wunderschönes Haus, das so nah am College liegt, dass ich keine Zeit aufs Pendeln verschwenden muss. Wofür ich bei dem heftigen Kursplan wirklich dankbar bin.
Ich will nie wieder in mein Leben zurückkehren, wie es vor Ronald war.
Am Fußgängerübergang tippe ich eine Nachricht in mein Handy ein und lösche sie gleich wieder. Die Unterlippe zwischen die Zähne gezogen laufe ich hin und her. Erin ist erwachsen. Sie ist dreizehn Jahre älter als ich. Ich sollte mir keine Sorgen um sie machen. Aber seitdem Ronald sich von ihr getrennt hat, ist sie bedürftiger als üblich.
Mir fällt auf, dass es heute ziemlich warm ist. Obwohl der Herbst schon Einzug gehalten hat, riecht es noch nach Sommer. Nach Grillkohle und frisch gemähtem Gras. Die New Yorker versuchen, das Letzte aus diesen Tagen herauszuholen. Doch das wird sich bald ändern. Kalter Wind, der Geruch nach brennendem Laub und der Duft gerösteter Maronen wird mir dann auf dem Weg zum College in die Nase steigen.
Die Ampel springt auf Grün und ich gehe los. Dabei stecke ich mein Handy in die Tasche zurück und zwinge mich, die Gedanken an meine Schwester loszulassen. Erin kann sich gut um sich selbst kümmern.
Im kommenden Frühling werde ich meinen Abschluss machen. Das ist noch über neun Monate hin. So, wie die letzten Jahre mich behandelt haben, könnte es gut auch noch ein Jahrzehnt sein.
Ich sehe dieses Semester schon vor mir. Weitere schlaflose Nächte mit Erin am Telefon. Sie wird panisch sein, wie immer, jetzt, wo es finanziell eng geworden ist. Sie wird mich fragen, was sie tun soll. Ich werde ihr sagen, dass alles gut wird, und sie wird mir nicht glauben.
Es ist der gleiche Anruf jeden Abend, der mich Stunden kostet, die ich dann später länger aufbleiben muss, um mein Lernpensum zu schaffen. Und jeden Morgen werde ich aufwachen und es wird wieder von vorn losgehen. Vorausgesetzt, ich schlafe überhaupt. Was ich in letzter Zeit nicht tue.
Mein Leben besteht nur noch aus zwei Dingen: Erin und Lernen. In dieser Reihenfolge. Doch anders als meine Schwester werde ich mir nach meinem Abschluss einen Job suchen und auf eigenen Beinen stehen.
An der nächsten Straßenecke bleibe ich stehen. Der Drang, mich bei meiner Schwester zu melden, hat gewonnen, also hole ich das Handy wieder heraus.
Ich: Hast du was gegessen? Geht es dir gut? Du solltest dich ausruhen. Bitte, kümmere dich gut um dich.
Die Nachricht bleibt ungesendet. Ich sollte diese Art von Abhängigkeit nicht unterstützen. Weder die zu mir noch die zu Ronald. Er fehlt mir wirklich, aber bei Erin ist es schmerzhaft offensichtlich, dass sie nicht ohne ihn leben kann. Oder ohne sein Geld.
Egal, was die beiden auseinandergetrieben hat, mir gegenüber hat er sich immer korrekt verhalten, und ich finde, dass er Besseres verdient hat. Sie war nur wegen seines Geldes mit ihm zusammen. Wegen seines Status. Wegen des Sicherheitsnetzes, das er ihr bieten konnte. Ohne ihn hängt sie am seidenen Faden, der kurz davor ist, zu reißen.
Ich bin es gewohnt, dass es sich anfühlt, als wäre sie die Kleine in der Familie, und ich habe nicht nur die Rolle ihrer älteren Schwester eingenommen, sondern auch die ihrer Mutter.
Dann kam Ronald. Und ihr Märchen begann. Er hat uns aus dem kleinen Haus geholt, in dem wir zusammen gewohnt haben, und uns in seine wunderschöne Villa am Wasser gebracht. Als ich alt genug war, hat er mich aufs College geschickt, mir ein Auto gekauft und ein Haus gemietet.
Alles war perfekt.
Bis er gegangen ist.
Jetzt ist Erin wieder ein Wrack.
Von dem Wenigen, das ich aus ihr herausbekommen habe, hat er aufgehört, ihre Rechnungen zu bezahlen. Was seltsam ist, denn meine zahlt er immer noch. Sie sagt mir nicht, was zwischen ihnen vorgefallen oder wohin er verschwunden ist. Sie meinte nur, er wäre fort. Ihre genauen Worte waren: »Das Arschloch hat uns verlassen. Wenn du wirklich nichts Unanständiges getan hast, um ihn zu überzeugen, deine Rechnungen anstatt meine zu bezahlen, dann streichst du ihn aus deinem Leben, okay, Payton?«
Dabei hätten wir es belassen können. Immerhin hat sie mir verboten, mich bei der einzigen Vaterfigur, die ich je hatte, zu melden. Aber nein. Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, ruft meine Schwester mich jeden Abend an, um sicherzugehen, dass ich ihn nicht kontaktiert habe. Dann wirft sie mir vor, mit ihm geschlafen zu haben. Warum sonst würde er immer noch meine Studiengebühren bezahlen, wenn er sie von allem abgeschnitten hat? Warum sonst ist mein Leben immer noch perfekt, während ihres den Bach runtergegangen ist?
Auch ihre Worte, nicht meine.
Dabei sind wir immer noch gut dran.
Wir haben ein Dach über dem Kopf. Essen im Kühlschrank. Es gab eine Zeit vor ihm, da hatten wir beides nicht.
Dennoch kann ich das Gefühl nicht abschütteln, dass irgendetwas nicht stimmt. Dass ihm etwas Schlimmes zugestoßen ist. Sonst hätte er sich doch mal bei mir gemeldet, oder? Vielleicht ist er krank? Verletzt? Die möglichen Szenarien sind endlos. Egal, wie sehr ich mich bemühe, mich abzulenken, es gelingt mir nicht. Das nagende Gefühl lässt mich nicht los.
Schließlich knicke ich ein, lösche die Nachricht an Erin und tippe eine an Ronnie.
Ich: Ich weiß, es ist eine Weile her, dass wir miteinander geredet haben. Es tut mir leid. Ich hätte mich früher melden sollen. Geht es dir gut? Erin hat mich gebeten, dich nicht zu kontaktieren, aber ich mache mir Sorgen.
Okay, meine Schwester zu verpetzen ist vermutlich kindisch, aber sie gewinnt derzeit auch nicht gerade Pokale im Erwachsensein. Ich habe versucht, ihre Wünsche so lange wie möglich zu respektieren. Wirklich.
Die Nachricht kommt als ungelesen zurück. Ich beiße mir auf die Unterlippe und schicke sie noch mal ab. Sie wird wieder zurückgewiesen.
Mit schwerem Herzen und verwirrtem Geist gehe ich in meine Vorlesung.
Heather winkt mir zu. Sie sitzt näher am Fenster als sonst. Ich schaue zu unseren üblichen Plätzen und sehe, dass sie besetzt sind. Vermutlich bin ich nicht die Einzige, die heute ein wenig zu spät dran ist.
Ich gehe zu ihr und setze mich neben sie.
»Was ist los?« Sie sieht mich aus leicht zusammengekniffenen Augen an.
»Nichts«, erwidere ich achselzuckend.
Sie schüttelt den Kopf. »Nein. Irgendetwas stimmt nicht. Denn du siehst nicht aus, als wäre es nichts.«
Natürlich fällt ihr das auf. Heather und ich sind seit der Einführungswoche im ersten Semester befreundet. Sie hat im Studentenwohnheim gewohnt und war mein Kontakt zur Außenwelt. Nachdem ich gesehen habe, wie meine Schwester sich zu viele Jahre hat treiben lassen, hat mein Ehrgeiz mich davon abgehalten, auf Studentenpartys zu gehen und zu riskieren, mein Studium zu vermasseln. Aber Heather hat mich immer über alles, was vor sich ging, auf dem Laufenden gehalten.
»Was meinst du?«, frage ich und betaste mein Haar. »Bin ich zerzaust?«
»Nein. Aber als du reinkamst, sahst du aus, als würdest du sehr hart über etwas nachdenken.«
Ich atme tief ein. »Ich habe an Ronald gedacht«, gestehe ich und stoße den Atem aus.
Sie mustert mich weiter mit ihren großen braunen Augen, während sie nachdenklich den Mund verzieht. »Du hast immer noch nichts von ihm gehört?«
»Nein. Das ist echt komisch. Warum ist er einfach so verschwunden? Ich weiß, meine Schwester zu lieben ist nicht einfach, aber … warum hat er dann nicht die Verbindung zu uns beiden gekappt?«
»Vielleicht will er was von dir?« Sie hebt anzüglich eine Augenbraue.
»Igitt.«
»Ja, kann sein. Aber vielleicht denkt er, du bist wie deine Schwester. Männer können manchmal echte Arschlöcher sein, Pay. Vielleicht taucht er eines Tages auf, so nach dem Motto: ›Ich habe deine Rechnungen bezahlt …‹.«
»Auf keinen Fall. Es muss etwas anderes dahinterstecken.«
»Wie was?« Sie tippt sich mit ihrem Stift an die Unterlippe. »Ich hab’s! Vielleicht hat er Erin etwas Schlimmes angetan, und deine Rechnungen zu bezahlen ist seine Buße.«
»Das ergibt keinen Sinn, denn dann würde er ihre Rechnungen bezahlen.«
»Stimmt … Okay, was ist, wenn sie etwas Schlimmes getan hat, und er sich schuldig fühlt, weil er dich im Stich gelassen hat?«
»Würde er mich dann nicht anrufen? Es ist Jahre her, und noch immer habe ich nichts von ihm gehört.«
Nachdenklich tippt sie sich weiter mit dem Stift gegen die Unterlippe. »Er ist auf dem Mars«, sagt sie schließlich. »Um ehrlich zu sein ist das die logischste Erklärung. Oder er arbeitet für die CIA und wir waren seine Coverstory.«
Darüber lachen wir beide.
»Wie geht es deiner Schwester?«
Ich lege den Kopf schief und werfe ihr einen Machst-du-Witze?-Blick zu. »Das reinste Wrack, wie immer.« Ich verdrehe die Augen.
»Trinkt sie?«
Ich schüttle den Kopf.
»Drogen?«
Ich zucke mit den Schultern. »Keine Ahnung. Ich besuche sie nicht so oft.«
»Das verstehe ich. Aber trotzdem, sie ruft dich doch ständig an.«
»Ja. Aber sie beantwortet keine meiner Fragen. Und ich stelle ihr viele. Irgendetwas verschweigt sie mir. Etwas Großes. Das weiß ich. Und deswegen ertrage ich es nicht, zu hören, wie sie mich anlügt. Vor Ronnie habe ich mich jahrelang mit diesem Verhalten herumschlagen müssen. Mit ihm ist alles besser geworden. Aber jetzt macht sie wieder Rückschritte. Sie ist so flatterhaft wie früher, und damit kann ich nicht umgehen. Außerdem trifft sie sich gerade mit diesem Typen …« Ich schüttle mich.
Dieser Kerl gruselt mich. Wie er mich ansieht. Als wäre ich ein Stück Fleisch. Was an sich schon nicht in Ordnung ist, aber da er meine Schwester datet, zeigt das, was für ein Abschaum er ist.
Heather verstummt, als die Tür aufgeht. Unsere Dozentin kommt herein und geht nach vorn zum Pult. Ihre Absätze klackern auf dem Boden, und angemessen respektvolles Schweigen senkt sich über den Raum.
Als die Vorlesung beginnt, lehne ich mich vor, um ja kein Wort zu verpassen.
So gebannt bin ich, dass ich nicht mitbekomme, wie Heather mir etwas zuflüstert. Oder dass die Dozentin aufgehört hat zu reden und alle Augen im Raum auf mich gerichtet sind.
Heather stößt mich mit dem Ellbogen an und holt mich aus meiner Trance.
»Bitte, Ms. Hart, lassen Sie sich von uns nicht aufhalten.« Die Dozentin deutet auf meine Tasche, und erst da höre ich es.
Mein Handy klingelt. Ich habe vergessen, es auf lautlos zu stellen.
»Bitte gehen Sie ran«, sagt sie in scharfem Ton.
Das ist nicht gut. Das Semester hat gerade erst begonnen, und meine Dozentin hasst mich schon. Am ersten Tag hat sie uns gewarnt, dass wir unsere Handys lautlos stellen sollen, wenn wir nicht wollen, dass es Ärger gibt. Jetzt verstehe ich, was sie damit meinte.
Das ist an einem kleinen College wie Ludlow so: Alle Dozenten kennen einen.
Das Handy klingelt weiter.
»Auf Lautsprecher bitte, damit wir alle hören, warum Sie meine Vorlesung so rüde unterbrochen haben.«
Ich zucke zusammen, als ich Erins Namen auf dem Display sehe. Man kann nie wissen, was sie sagen wird.
»Gehen Sie ran.«
Ich tue es.
Mein Herzschlag dröhnt in meinen Ohren.
Dann höre ich Erin schniefen, und ich will mit dem Stuhl verschmelzen.
Sie wird durchdrehen und eine ihrer wüsten Litaneien loslassen. Und alle werden es hören.
Flehend schaue ich die Dozentin an, bitte sie, mich nicht zu zwingen; sage ihr mit meinem Blick, dass ich meine Lektion gelernt habe.
Aber sie schenkt mir nur ein Lächeln, das mir sagt, ich habe gerade mein Schicksal besiegelt.
Ich unterbreche meine Schwester nicht. Sondern warte darauf, was sie zu sagen hat. Es ist nicht das, was ich erwarte.
Das Handy rutscht mir aus den Fingern und fällt zu Boden.
»Ronald ist tot.«
Payton
Ich kann nicht glauben, dass Ronald tot ist.
Nachdem ich endlich erfahren habe, was mit ihm passiert ist, stellt sich die erwartete Erleichterung darüber, endlich Bescheid zu wissen, nicht ein.
Es tut weh.
Damit hätte ich nicht gerechnet.
Ein Teil von mir ist immer davon ausgegangen, dass er uns verlassen hat, weil meine Schwester ihm irgendetwas angetan hat. Vielleicht seinen Stolz verletzt oder so. Aber ich dachte, er würde seine Wunden lecken, zurückkommen und sich entschuldigen. Doch das war nicht der Fall.
Stattdessen habe ich herausgefunden, dass alles eine Lüge war. Und das ist das Härteste. Ich trauere um ihn, aber gleichzeitig fällt es mir schwer, all die Wahrheiten unter einen Hut zu bringen, die seit Erins Anruf ans Licht gekommen sind.
Ich bin hier fehl am Platz. Außer meiner Schwester kenne ich niemanden. Von meinem Platz ganz hinten in der Kirche aus beobachte ich die Leute in der ersten Reihe. Da sie Ronalds Sarg am nächsten sitzen, müssen sie mit ihm verwandt sein. Im Gegensatz zu denen in der letzten Reihe. Die sich hineingeschlichen haben und hoffen, dass niemand ihnen ansieht, was sie sind …
Menschen, die eine Ehe zerstört haben.
Anders kann man es nicht ausdrücken.
Diese Wahrheit ist wie ein Messerstich ins Herz.
Die Lüge, die meine Schwester mir all die Jahre erzählt hat, ist endlich aufgedeckt worden.
Ronnie war niemals unser Ronnie.
Er war Vater.
Er war der Ehemann einer anderen Frau.
Ich schaue die beiden an, die ich für seine Tochter und seinen Sohn halte: eine blonde Frau und ein attraktiver Mann. Neben ihnen weint eine ältere Frau in ihr Taschentuch. Eine Frau, der er versprochen hat, mit ihr das Leben zu teilen. Das ist für mich der am schwersten zu verstehende Teil. Zu sehen, wie die drei einander halten, schnürt mir die Kehle zu.
Er hat gesagt, dass er uns liebt. Er sagte, er liebe mich und würde sich um uns kümmern.
Das war alles gelogen.
Diese Stimme in meinem Kopf hat die ganze Woche über nicht ein einziges Mal die Klappe gehalten.
Neben mir schnaubt meine Schwester. Das Geräusch geht mir auf die Nerven.
Sie wusste es.
Ich hatte keine Ahnung, aber sie hat es immer gewusst.
Auch sie beobachtet die Familie, aber anstatt Reue über die Rolle zu zeigen, die wir in ihrem Leben gespielt haben, erdolcht sie sie mit Blicken. »Die können weinen, so viel sie wollen. Warte nur, bis sie herausfinden, dass das Geld mir gehört«, murmelt sie vor sich hin. Ich sehe sie schockiert an, doch sie zuckt nur mit den Schultern. »Was denn? Ich habe diesem Mann beinahe zehn Jahre meines Lebens geschenkt. Es ist an der Zeit, dass ich bezahlt werde.«
Ich wünschte, ihre verbitterten Worte würden mich überraschen, doch das tun sie nicht.
Wir hätten nicht herkommen sollen.
Ich habe Erin gebeten, dass wir nur zur Testamentsverlesung gehen. Mr. Baker, Ronnies Anwalt, hat uns gesagt, dass wir uns nach der Trauerfeier in seinem Büro treffen, um den Inhalt des Testaments persönlich zu besprechen. Das bedeutete aber nicht, dass wir auch zur Beerdigung gehen mussten. Das war ganz allein Erins Entscheidung. Vermutlich, um dieser Familie noch mehr wehzutun, als sie es schon getan hat.
Ich bin nur gekommen, weil ich trotz der Lügen weiß, dass Ronald Aldridge uns geliebt hat und wir ihm unseren Respekt zeigen sollten.
Die Frage ist nur, was das für unsere Zukunft bedeutet.
Gestern Abend hat Erin sich mit mir hingesetzt und mir erzählt, dass Ronnie noch eine andere Familie hatte, mit der er sich auseinandergelebt hatte.
Ronald Aldridge war nicht der Mann, den ich kannte. Offenbar war er ein Krimineller. In den letzten Jahren, in denen ich mir Sorgen um ihn gemacht habe, saß er wegen Mordes im Gefängnis. Erin behauptet, er sei unschuldig, aber wie soll ich ihr das nach all den Lügen glauben?
Sie drückte meine Hand und benahm sich das erste Mal seit Jahren wie eine Schwester. »Er wollte nicht, dass du es weißt.«
Also hat sie mir lieber vorgeworfen, ich würde mit jemandem schlafen, der für mich wie ein Vater war, als mir die Wahrheit zu erzählen?
Aber es kam noch schlimmer. Sie zog ihre Hand zurück, strich sich über das Haar und betrachtete dann ihre Nägel. »Er meinte, wenn ich dir die Wahrheit sage, würde er aufhören, unsere Rechnungen zu bezahlen.«
Irgendetwas muss zwischen den beiden vorgefallen sein, als er im Gefängnis war, denn er hat ihr die finanzielle Unterstützung gestrichen. Was die Panikanfälle und die täglichen Anrufe bei mir in den letzten Monaten ausgelöst hat.
Die ganze Zeit über habe ich versucht, das Puzzle zusammenzufügen. Jetzt kenne ich endlich die Wahrheit.
Ich werde ihn nie wiedersehen.
Ronald ist im Gefängnis gestorben.
Jemand ist irgendwie an ein Messer gekommen und hat ihn erstochen.
Die Polizei hat keine Verdächtigen, aber nach allem, was Erin mir erzählt hat, hat es Ronald nicht an Feinden gemangelt.
Jedes Mal, wenn ich daran denke, wie er gestorben ist, dreht sich mir der Magen um. Denn trotz allem, was ich über ihn herausgefunden habe, liebe ich ihn.
Weshalb ich jetzt in einer Kirche sitze und mich von ihm verabschiede, auch wenn niemand mich hier haben will.
Der Trauergottesdienst ist kurz und emotionslos. Ich bin überrascht, dass niemand aus seiner Familie vortritt, um ein paar Worte zu sagen. Am liebsten würde ich aufstehen und den Anwesenden von dem Mann erzählen, der mich als Einziger an erste Stelle gesetzt hat.
Als der Pfarrer zum Ende kommt, steht meine Schwester auf und geht, bevor jemand sie sehen kann. Ich folge ihr schnell und rücke meine Brille zurecht.
»Geh schon mal vor zur Kanzlei von Mr. Baker«, sagt sie und zeigt auf ein Gebäude am Ende der Straße. »Ich komme gleich nach.«
»Okay.«
Mr. Baker hat uns angewiesen, ihn in einem der Konferenzräume zu treffen. Offenbar soll das Ganze nicht lange dauern.
Es überrascht mich, dass wir das jetzt gleich machen und nicht erst zum Friedhof gehen. Gibt es keine Beerdigung, weil seine Familie von uns erfahren hat und immer noch böse ist? Hat ihnen etwas an ihm gelegen? Ich meine, sie waren bei der Trauerfeier, haben aber nichts gesagt …
Auf dem Weg zur Kanzlei von Mr. Baker klebt mein schwarzes Kleid in der Hitze förmlich an mir. Seit ich weiß, dass Ronald tot ist und eine Familie hatte, kreisen die Fragen unaufhörlich durch meinen Kopf. Was bedeutet sein Tod für mich? Für meine Rechnungen? Mein Studium? Ich hasse mich für diese Gedanken, aber was ist, wenn ich deshalb zu diesem Treffen einbestellt wurde? Was, wenn ich meinen Traum aufgeben muss?
Als ich das Gebäude betrete, lässt mich die kühle Luft zittern. Vielleicht ist es aber auch die Nachwirkung von diesem Tag.
Davon, ihn verloren zu haben.
Mit dem Fahrstuhl fahre ich in den dritten Stock, wo sich laut Mr. Baker hinter der letzten Tür auf der rechten Seite der Besprechungsraum befindet.
Seiner Familie unter die Augen zu treten, wird schwer. Wie können wir sie nach dem, was Ronald getan hat, überhaupt ansehen? Ich weiß, ich habe die Wahrheit nicht gekannt, aber das wissen sie nicht. Sie haben jedes Recht, uns zu hassen. Mich zu hassen.
Wenn ich an ihrer Stelle wäre, würde ich es auch tun.
Die leise Fahrstuhlmusik ist deprimierend und passt zu meiner Stimmung.
Die Luft ist zu still.
Das Atmen fällt mir schwer.
Beim Aussteigen versuche ich, meine Nerven zu beruhigen, aber es nützt nichts.
Im Leben wird man immer wieder von Dingen überrascht, und es bleibt einem nichts anderes übrig, als sich anzupassen. Oder zu sterben. Ich ziehe Ersteres vor.
Ich straffe die Schultern und sammle meine Kräfte, um mich dieser Begegnung zu stellen.
Nach wenigen Metern erreiche ich die Tür, hinter der Mr. Baker laut Erin wartet. Die Klinke ist kalt unter meiner Handfläche. Ich öffne die Tür.
Und muss ein Keuchen unterdrücken.
In der hinteren Ecke des Raumes steht ein Schreibtisch, an dem ein attraktiver Mann sitzt. Ist das Mr. Baker? Immerhin scheint er hier zu arbeiten. Wusste meine Schwester, dass er so umwerfend ist? Nein, nicht umwerfend. Das ist ein zu schlichtes Wort für ihn.
Als wäre das nicht schlimm genug, hebt er jetzt den Kopf und fängt meinen Blick auf.
Meine Güte.
Mein Magen fühlt sich an, als wären Dutzende Schmetterlinge darin aufgeflogen und würden vor Aufregung mit ihren zarten Flügeln flattern.
Noch nie habe ich so blaue Augen gesehen. So blau wie die Tiefen des Ozeans. Bodenlos. Ich sollte nicht so ins Schwärmen geraten, aber guter Gott … Ich kann nicht aufhören, ihn anzustarren.
»Hi«, stoße ich nervös aus. »Ich bin für die Testamentsverlesung hier.«
Er sagt nichts, sondern schaut mich nur weiter an.
»Ich schätze, meine Schwester ist noch nicht da? Ich bin so nervös. Ich weiß nicht, warum ich hier bin. Ich … Er hat mir nie …« Nervös verlagere ich mein Gewicht von einem Bein aufs andere. »Davon erzählt. Von … Ihnen.«
Sein Schweigen hängt schwer in der Luft. Unbehaglich schaue ich mich im Büro um und setze mich dann in den Sessel, der am weitesten von seinem Schreibtisch entfernt steht. Dieser Anwalt ist wesentlich einschüchternder, als ich erwartet hatte.
»Sie sind nicht so, wie ich Sie mir vorgestellt habe«, sage ich, bevor ich mich zurückhalten kann. Ich spüre, wie meine Wangen heiß werden.
»Und was hast du dir vorgestellt?«
Auf seine tiefe Stimme war ich nicht vorbereitet.
Die Hitze breitet sich in meinem gesamten Körper aus.
Was stimmt nur nicht mit mir? Ich bin nicht hier, um wegen eines Mannes ins Schwärmen zu geraten.
»Sie sind jünger, als Sie am Telefon klangen.«
Ein Grinsen zupft an seinen Mundwinkeln. Wenn ich ihn vorher schon attraktiv fand, ist er jetzt nahezu tödlich.
Deshalb bist du nicht hier, Payton.
»Sonst noch was?«, fragt er.
»Äh …«
Am liebsten würde ich mir Luft zufächeln. Es ist, als hätte ich noch nie einen so gut aussehenden Mann getroffen. Was, wenn ich so darüber nachdenke, wahr ist.
Ich bin Studenten gewohnt. Und das ist er definitiv nicht. Er ist ein Mann. Ein Anwalt. Und zwar offenbar Ronalds Anwalt.
Ich schüttle den Kopf in dem Versuch, mich zusammenzureißen. »Ich kann nicht glauben, dass ich hier bin. Ich habe meiner Schwester gesagt, dass wir nicht herkommen, sondern uns privat von ihm verabschieden sollten. Aber sie hat darauf bestanden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass seine Familie glücklich darüber ist, uns zu sehen.« Bei dem Gedanken daran vergrabe ich mein Gesicht in den Händen. »Glauben Sie, sie wissen von uns? Ich fürchte, ich kann ihnen nicht gegenübertreten. Wenn ich mir vorstelle, wie es sein muss, herauszufinden, dass der eigene Vater noch eine andere Familie hatte …«
Als Mr. Baker nicht antwortet, hebe ich den Kopf und sehe ihn an.
Der spielerische Ausdruck in seiner Miene ist verschwunden. Ersetzt durch etwas, das ich nur als puren Hass beschreiben kann.
Was ich nicht verstehe.
Zwischen seinen Augenbrauen bildet sich eine kleine Falte, und seine Mundwinkel sind grimmig nach unten gezogen. Doch das ist es nicht, was mich den Rücken straffen lässt. Es sind seine Hände, die so fest zu Fäusten geballt sind, dass die Knöchel weiß hervortreten.
Gerade will ich ihn fragen, was an meinen Worten ihn so aufgebracht hat, als die Tür aufgeht und ein Mann eintritt. Er ist ungefähr in Ronalds Alter.
Er kommt auf mich zu und streckt mir die Hand hin. »Sie müssen Payton sein. Ich bin Larry Baker, Ronalds Anwalt.«
Ich schaue von ihm zu dem Mann, der eindeutig nicht er ist. Dann schüttle ich Mr. Bakers Hand, ohne den Blick von dem Fremden zu lösen, der nun wie ein wütendes Tier auf uns zukommt.
»Trent Aldridge. Und was zum Teufel war dieses Mädchen für meinen Vater?«
Seinen Vater?
Mist.
Trent
Ich weiß, das war arschig von mir.
Aber ich schätze, wenn man sich mit der Unterwelt einlässt, färbt das ein wenig ab.
Ach, wem will ich hier was vormachen? Ich war schon immer ein Arsch.
Dieses Mädchen glauben zu lassen, ich wäre der Anwalt, war mies, aber zu sehen, wie sie mich gemustert hat, war es wert. Nicht, dass ich diese Bestätigung für mein Ego bräuchte; das ist auch so schon groß genug. Trotzdem, es war lustig, mit ihr zu spielen.
Die Frage bleibt jedoch: Wer ist sie? Und warum zum Teufel ist sie auf der Testamentsverlesung meines Vaters?
»Hallo Trent.« Larry Baker wischt sich die schwitzigen Hände an der Hose ab und greift dann in die Innentasche seines Jacketts. »Ich habe hier einen Brief von deinem Vater. Er wollte, dass du ihn liest.«
Er reicht mir einen Umschlag, den ich nicht annehmen will. Aber ich tue es trotzdem. Doch ich werde den Brief nicht jetzt lesen. Oder überhaupt irgendwann. Also stecke ich ihn in die Innentasche meines Jacketts. »Können wir das jetzt hinter uns bringen?«, sage ich ungeduldig.
»Wir müssen noch auf ein paar Leute warten«, sagt er, und der Drang, genervt auf und ab zu laufen, schießt mir in die Beine.
Doch ich gebe ihm nicht nach, sondern trete ans Fenster und tue so, als würde ich hinausschauen. Dabei beobachte ich die beiden in der Spiegelung in der Scheibe. »Was soll das Ganze überhaupt? Er hatte doch nichts mehr«, murmle ich vor mich hin. Der Mann war pleite.
»Mr. Aldridge, können Sie sich bitte setzen? Sobald Ihre Mutter und Schwester hier sind, können wir loslegen.« Mr. Baker wendet sich an das Mädchen, das immer noch auf dem Sessel in der Ecke sitzt. »Payton, kommt deine Schwester auch?«
Sie nickt.
»Wer bist du?«, frage ich, obwohl ich weiß, dass dieses Mädchen vermutlich meine uneheliche Schwester ist.
Fick dich, Dad.
Natürlich hat er hinter dem Rücken meiner Mutter irgendeine Frau geschwängert. Nichts, was dieser Mistkerl getan hat, sollte mich noch überraschen.
Bei dem Gedanken, dass ich sie vor wenigen Minuten noch ausgecheckt habe, wird mir übel.
»Ich … Ich bin …«, stottert sie.
»Meine Schwester?« Ich konzentriere mich mit einer Intensität auf ihr Spiegelbild, die mir Sorgen machen sollte.
»Nein. Ja. Nun …«
»Das ist keine sonderlich schwere Frage. Entweder du bist es oder du bist es nicht.«
Ihre großen blauen Augen sind auf meinen Rücken gerichtet, und ich schwöre, sie sieht aus, als würde sie jeden Moment anfangen zu weinen.
Als sie immer noch nichts sagt, werde ich etwas energischer. »Okay, das Ganze funktioniert folgendermaßen: Du öffnest den Mund … Oder besser noch, nicke einfach.«
»Nein«, murmelt sie und senkt den Blick zu Boden, als hoffte sie, er würde sich auftun und sie verschlingen.
»Jetzt, wo du bewiesen hast, dass du weißt, wie man eine Unterhaltung führt, sag mir, warum du hier bist.«
»Trent, es gibt keinen Grund, dem armen Mädchen gegenüber so feindselig zu sein. Ich bin mir sicher, Mr. Baker wird uns aufklären.«
Ich drehe mich zu der Stimme um. Meine Schwester Ivy ist der Inbegriff von Gelassenheit. Gemeinsam mit Cyrus, ihrem Ehemann, ist sie lautlos eingetreten. Ein Zeichen dafür, dass seine schlechten Angewohnheiten auf sie abgefärbt haben. Meine Mutter folgt gleich hinter ihnen. Ihre Schritte sind langsam, als würde eine Last sie niederdrücken. Tiefe Falten ziehen sich über ihre Stirn, und ihre Augen sind rot und geschwollen, weil sie in den letzten Tagen so viele Tränen über den Mistkerl vergossen hat, mit dem sie verheiratet war.
So viele Jahre war sie eine gebrochene Frau. Endlich fing sie an, aus ihrem Schneckenhaus zu kriechen. Und jetzt muss sie sich mit noch mehr Lügen von diesem Arschloch herumschlagen.
»Wir warten jetzt nur noch auf Erin«, sagt Mr. Baker.
Der verdammte Anwalt soll das Ganze jetzt endlich hinter sich bringen.
»Wer zum Teufel ist Erin?«
Als hätten meine Worte sie hervorgerufen, geht die Tür auf und eine attraktive Frau, die etwas älter wirkt als Payton, kommt herein. Die Ähnlichkeit ist unverkennbar, auch wenn ihre Gesichtshaut von jahrelangem Botox und Fillern gespannt ist. Ich schätze, sie ist Paytons ältere Schwester. Mit hoch erhobenem Haupt tritt sie ein. Und als wäre ihre Arroganz nicht schlimm genug, als wäre ihre bloße Anwesenheit nicht schon eine Beleidigung, funkelt sie von Kopf bis Fuß unter unzähligen Diamanten.
Diamanten, von denen ich genau weiß, wie mein Vater sie finanziert hat.
Seine verfluchte Spielsucht.
Er hat sein Imperium verspielt, um seine Affäre mit dieser Frau zu finanzieren, und hat dabei seine eigene Tochter aufgegeben. Gut, dass er tot ist. Spätestens jetzt würde ich ihn für all das umbringen, was er uns angetan hat.
»Das muss Erin sein«, sage ich abfällig. Dann wende ich ihr den Rücken zu und sehe den Anwalt auffordernd an. »Jetzt, wo alle da sind, können Sie mir vielleicht sagen, warum ich ein wichtiges Meeting verschieben musste, um mich mit diesem Mist hier herumzuschlagen.«
»Ihr Vater wollte, dass wir seine Vermögenswerte durchgehen.«
»Mein Vater hatte keine Vermögenswerte mehr.«
»Nun, das stimmt so nicht.« Der Anwalt senkt den Blick.
»Ich verstehe nicht«, flüstert Ivy. »Dad hatte nichts.« Bei dem letzten Wort bricht ihre Stimme.
In den letzten Jahren ist so viel passiert. Allein über meinen Vater zu sprechen, sorgt dafür, dass ich unwillkürlich die Fäuste balle.
Alles, inklusive seiner Zeit im Gefängnis, geschah, weil er kein Vermögen mehr hatte und gewillt war, alles zu tun, um an Geld zu kommen.
Doch wenn er noch Kohle hatte, warum hat er das dann alles gemacht? Und wichtiger noch: Warum haben wir nichts davon gewusst?
Cyrus legt einen Arm um Ivys Schultern und flüstert ihr etwas ins Ohr. Ich höre nicht, was er sagt, aber es scheint sie zu beruhigen.
»Wenn dann bitte alle Platz nehmen würden.« Der Anwalt lächelt unbehaglich. Oh, oh, warum sind wir hierher gerufen worden?
»Ich würde lieber stehen, während ich mir anhöre, wie unser Vater uns ein letztes Mal über den Tisch gezogen hat.«
»Trent.« Die sanfte Stimme meiner Schwester sollte mich beruhigen, doch das tut sie leider nicht.
Angespannt gehe ich zur Tür und stelle mich zwischen den Ausgang und die Anwesenden. Meine Haltung macht klar, dass niemand hier rauskommt, bis jedes verdammte Geheimnis offengelegt ist.
»Nun gut.« Mr. Baker räuspert sich. »Wenn wir dann so weit sind, fange ich an.« Er schaut sich im Raum um, und alle nicken. »Ronald hatte bei seinem Tod ein beträchtliches Vermögen, das auf einem Offshore-Konto liegt.«
Ich beiße die Zähne zusammen. Dieser Scheißkerl. »Über wie viel reden wir?«
»Millionen.«
»Wie viele?«, stoße ich aus. »Sagen Sie mir einfach, wie viel Ivys Leben nicht wert war, als er seine Tochter im Stich gelassen hat.«
»Zweiundzwanzig Millionen.«
Bevor ich weiß, was ich tue, knallt meine Faust gegen die Wand. Die Rigipsplatte bricht, meine Mutter stößt einen Schrei aus, Ivy versucht, Cyrus zurückzuhalten, der aufgesprungen ist.
Ich drehe mich zu dem Anwalt um, mir wohl bewusst, was für einen Anblick ich mit dem von meinen Knöcheln tropfenden Blut biete.
»Wie lange …«, fragt Cyrus.
Wenigstens hat der Anwalt den Anstand, verlegen zu wirken.
»Lange genug, dass er Ivy alles hätte ersparen können«, murmle ich. »Das ist offensichtlich.«
Als der Anwalt nichts sagt, stößt Ivy einen erstickten Schrei aus und vergräbt ihr Gesicht in den Händen.
»Wenn er nicht schon tot wäre, würde ich ihn jetzt umbringen«, sagt Cyrus.
Da ist er nicht der Einzige.
»Okay«, stoße ich aus. »Jetzt, wo wir ohne jeglichen Zweifel wissen, dass mein Vater ein rücksichtsloses Stück Scheiße war – nicht, dass es jemals infrage gestanden hat –, was haben Sie uns sonst noch zu sagen? Ich kann nur für mich sprechen, aber ich versichere Ihnen, dass ich wesentlich bessere Dinge zu tun habe.«
»Setz dich einfach, Trent«, sagt meine Mutter.
Ich schaue zu der Frau, die so lange nur eine leere Hülle war. Es ist bewundernswert, wie weit sie gekommen ist. Sie ist jetzt stärker. Dafür ist die Abwesenheit meines Vaters verantwortlich. Einst war sie nur ein Schatten, und jetzt, wo sie aus dem herausgetreten ist, blüht sie auf. Vielleicht gibt es doch noch Hoffnung für uns alle. Aber ich sehe auch immer noch ihr gebrochenes Herz, was mich daran erinnert, wie nutzlos Gefühle sein können.
Seufzend setze ich mich an den Tisch.
Von hier aus kann ich das Mädchen sehen.
Payton.
Dass sie und ihre Schwester hier sind, bedeutet, dass mein Vater ihnen etwas hinterlassen hat. Das könnte interessant werden.
Sein Vermögen besteht aus Blutgeld, und ich will nichts davon haben. Aber ich würde es eher verbrennen, als es ihnen zu geben. Ivy wird es sicher irgendwo spenden wollen. Sie ist zu gut für diese Familie. Das war sie schon immer, und das wird sie immer sein. Und sie ist definitiv zu gut für Cyrus, diesen sadistischen Mistkerl.
Dennoch ist auch er gut zu ihr. Er liebt sie und würde nie zulassen, dass ihr etwas passiert. In meinen Augen macht ihn das zu einem besseren Menschen als mich, denn er ist zu dieser Art Liebe fähig.
»Spucken Sie es aus, Baker«, knurre ich. »Wer bekommt das Geld?«
Die Frau, von der ich annehme, dass sie Paytons Schwester ist, richtet sich auf. Als wüsste sie die Antwort auf diese Frage bereits.
Aus verengten Augen mustere ich sie. Wenn das passiert, was sie glaubt, bricht hier die Hölle los. Egal, was diese Frau weiß – Ivy hat das Geld verdient. Es war ihr Leben, das beinahe geopfert worden wäre.
Mr. Baker zieht eine dünne Mappe hervor, nimmt ein Blatt heraus und hebt den Kopf. Dabei vermeidet er es, mir in die Augen zu sehen. »Hiermit hinterlasse ich mein gesamtes Vermögen der einzigen Person, die mich je bedingungslos geliebt hat.«
Erins Lächeln wird breiter.
Ivy sackt in sich zusammen.
Cyrus zieht die Stirn kraus.
Und ich? Ich stelle mir vor, wie ich meinen Dad umbringe.
Wieder und wieder und wieder.
Es hilft nicht.
»Du warst meine Tochter«, fährt Mr. Baker fort.
Erins Miene fällt in sich zusammen.
Ivys Augen werden feucht.
Payton starrt auf den Boden.
»Auch wenn wir nicht durch Blut verbunden waren, war unsere Verbindung stark.«
Jetzt funkeln Erins Augen. Und ich erkenne, was gleich passieren wird.
»Payton. Alles soll dir gehören.«
Payton
Ein Schlag in den Magen.
So fühlt es sich an, als mein Name durch den Raum hallt.
Ich kriege kaum Luft. Es ist, als würden Glasscherben in meine Lunge schneiden.
Vielleicht bin ich tot.
Ja. Das ist es.
Ich halluziniere.
Oder vielleicht bin ich auf dem Weg zur Kanzlei von einem Auto angefahren worden und habe jetzt eine außerkörperliche Erfahrung. Das würde mehr Sinn ergeben als das, was der Anwalt gerade gesagt hat. Denn das kann auf keinen Fall stimmen. Niemals hat Ronald alias Ronnie alias der einzige Mann, der je wie ein Vater für mich war … Niemals hat er mir sein gesamtes Vermögen hinterlassen, wenn er eine Familie hatte.
Ich versuche, tief durchzuatmen, und erinnere mich daran, dass ich nicht allein im Raum bin. Nicht nur meine Schwester sitzt neben mir, sondern seine Familie, und als ich sehe, wie sie mich mit hasserfüllten Augen anschauen, weiß ich, dass das hier kein Traum ist.
Ich richte den Blick auf meine Schwester. Sie hat einen seltsamen Ausdruck in den Augen, obwohl sie lächelt. Ich kenne sie zu gut. Ich weiß, dass sie hier nur eine Show hinlegt. Ihre leicht verengten Augen verraten, dass sie hiermit nicht gerechnet hat und kurz davor ist, durchzudrehen.
Ich rücke näher an sie heran, bereit, sie zu beruhigen, sobald sie meinen Arm packt. Doch stattdessen kratzen ihre scharfen Fingernägel über meine Haut. »Was hast du getan?«, zischt sie.
Und es geht los.
Inzwischen bin ich ihre Anschuldigungen gewohnt. Was wird es dieses Mal sein? Erpressung? Sex? Ich weiß es nicht, aber ich weiß, dass der Sinn meiner Schwester fürs Dramatische gleich sein hässliches Haupt erheben wird. Wenn sie verletzt ist, kann sie damit nicht anders umgehen, als es an andere weiterzugeben.
»Ich wusste, dass du eine Schlampe bist. Ich hätte dich beim Jugendamt absetzen sollen.«
Das sind die Worte von einer Person, die verloren ist. Eine Person, die die Welt in die Knie gezwungen hat und die nun um sich schlägt.
Obwohl ich das weiß, tut es weh. Ich spanne alle meine Muskeln an und zwinge mich, auszuatmen. Ich werde mich von ihren Worten nicht verletzen lassen. Es ist an der Zeit, dass ich aufhöre, sie so an mich heranzulassen. Wegen unserer Vergangenheit habe ich ihr Verhalten bisher toleriert. Wegen allem, was sie für mich getan hat. Sie hat mich nicht nur aufgezogen, sondern gerettet, aber irgendwann ist es genug. Es gibt eine Grenze, und die hat sie gerade überschritten.
Doch darum kümmere ich mich später, denn Erin ist nach der Bombe, die hier gerade geplatzt ist, mein geringstes Problem. Das größere Problem ist der blauäugige Fremde, dessen Blicke mir einen Schauder über den Rücken jagen.
Pures Gift.
Er hasst mich.
Es ist ein seltsames Gefühl, so viel Hass in den Augen eines Menschen zu sehen, den man gar nicht kennt.
So habe ich mich sehr lange nicht mehr gefühlt. Nicht mehr, seit mein Leben stabiler geworden ist.
Er starrt mich an, und ich weigere mich, den Blickkontakt zu unterbrechen. Egal, was ich in diesem Moment empfinde, ich werde diesen Mann meine Gefühle nicht sehen lassen. Sicher, ich bin geschockt von dem, was ich gerade erfahren habe, aber anstatt es zu zeigen, drücke ich meine Fingernägel fest in die Handflächen, um mich zusammenzureißen.
Ganz langsam atme ich ein und richte meinen Blick auf den Anwalt, dessen Namen ich so schnell wie möglich vergessen will. »Was bedeutet das?«
»Zu diesem Thema gibt es noch viel zu besprechen. Er hat vor seinem Tod einige Bedingungen aufgestellt.«
»Was zum Teufel soll das heißen?«, donnert Trent. Er bemüht sich nicht mal, höflich zu sein. Ich glaube, wenn er das Büro niederbrennen könnte, würde er es tun.
»Dass es noch einiges zu bereden gibt.«
»Dann fangen Sie besser an, denn einige von uns haben einen Job. Wir sind nicht alle Goldgräber.« Er steht auf und fängt an, hin und her zu laufen.
Ich schüttle den Kopf und bemühe mich, ihn zu ignorieren. Er hat keine Ahnung, wer ich bin, und greift nach Strohhalmen, um mich einzuschüchtern. Doch nichts, was dieser Idiot sagt, kann dafür sorgen, dass ich mich infrage stelle.
Versuch es ruhig, Trent. Aber ich weiß genau, wer ich bin.
Seine Augen verengen sich, als könnte er meine Gedanken hören. In meiner Kehle bildet sich ein Kloß. Mein Mund ist ganz trocken, während die Schmetterlinge in meinem Bauch ihre Runden drehen.
Er lehnt sich gegen die Wand und starrt mich an, als wüsste er genau, welche Wirkung er auf mich hat.
Ich habe das Gefühl, gerade ein Spiel verloren zu haben, bevor es überhaupt begonnen hat.
Herzlichen Glückwunsch, Payton. Du weißt vielleicht, wer du bist, aber dein Körper braucht eine verdammte Werbetafel, um zu begreifen, dass er nicht so auf ihn reagieren darf.
Mr. Baker schiebt das Testament wieder in die Mappe, auch wenn es aussieht, als stünde da mehr drin, als er vorgelesen hat. Vielleicht hat er es auswendig gelernt.
»Normalerweise würden viele Formalitäten bezüglich Steuern und Ähnlichem auf uns warten, aber dieser Fall ist anders. Ronald hat das Konto vor Jahren in Paytons Namen eröffnet, und in der Zeit haben sich fleißig Zinsen angesammelt.«
»Wovon reden Sie da?«
Endlich kommt etwas aus meinem Mund. Trent, der den Blick nicht eine Sekunde von mir genommen hat, sieht mich noch eindringlicher an.
Ich recke das Kinn und hoffe, dass die Botschaft bei ihm ankommt. Du kannst mich nicht einschüchtern. Du magst mich hassen, aber ich habe nichts wissentlich falsch gemacht.
Das scheint egal zu sein.
Keiner von uns weiß, was hier eigentlich vor sich geht.
Drei Sekunden vergehen. Ich blicke wieder zu Mr. Baker. Wie ist es möglich, dass das Geld die ganze Zeit über in meinem Namen angelegt war? Das ergibt keinen Sinn. Sind meine Rechnungen deshalb immer beglichen worden, weil es technisch gesehen die ganze Zeit über mein Geld gewesen ist?
Nein. Das hätte ich gewusst.
Oder?
»Warum sollte er das getan haben?«, höre ich meine Schwester fragen. Also, sie murmelt es mehr vor sich hin, aber es ist scheinbar laut genug, dass die anderen es hören. Denn jetzt spricht er. Der, dessen volle Aufmerksamkeit immer noch auf mich gerichtet ist. Und nichts kann den Sturm aus Hass verbergen, der in ihm tobt. Seine Stimme klingt, als würde er auf Kies kauen.
»Ich weiß genau, warum er das getan hat. Er hat es im Namen des kleinen Mädchens angelegt, damit wir da nicht rankommen.«
Kleines Mädchen.
Er spuckt die Worte aus, als würde ich weit unter ihm stehen. Wenn ich ein wenig unsicherer wäre, würden seine Worte mich verletzen. Aber so presse ich mir nur die Fingernägel noch ein wenig fester in die Haut.
»Aber warum nicht in meinem Namen?«, jammert Erin und steht auf.
»Das ist doch offensichtlich.« Trent drückt sich von der Wand ab und stolziert in die Mitte des Raumes; sein Fokus liegt jetzt auf ihr, und er ist tödlich. So tödlich, dass selbst meine schamlose Schwester unwillkürlich ein paar Schritte zurückweicht.
Trents Schwester streckt die Hand aus, um ihn zu stoppen, aber der Mann, der sie begleitet, hält sie zurück.
»Du warst nur eine Hure«, sagt Trent, als würde er den Wetterbericht vorlesen. Er umkreist sie wie ein Jäger seine Beute. »Und wenn du glaubst, ihm hätte irgendetwas an einem von euch gelegen, irrst du dich. Welche Versprechen er euch auch immer gegeben hat, es waren Lügen.« Nun schaut er wieder mich an. Kommt näher. Raubt mir den Atem mit dem Blutdurst, der aus ihm heraussickert. »Er hat sich für niemanden interessiert. Nur für sich. Ihr seid nichts. Ihr seid niemand.«
»Trent«, fleht seine Schwester.
»Halte dich da raus, Ivy«, warnt er sie, nimmt aber ein wenig den Biss aus seinem Ton heraus. Dann zeigt er mit dem Daumen auf Erin: »Diese Ehezerstörerin und ihre Schwester waren für ihn eine Möglichkeit, uns das Geld nicht hinterlassen zu müssen, Ivy. Das Ganze hat er für den Fall gemacht, dass Mom sich von ihm scheiden lässt – was sie schließlich getan hat. So konnte sie keinen Anteil von dem Geld verlangen, weil sie nichts davon wusste.« Er lacht trocken auf und schaut dann zu Boden, als wäre dort der Einstieg zur Hölle. »Gut gemacht, Dad. Ein Punkt für dich, du verdammter Mistkerl.«
Niemand korrigiert ihn.
Weder seine Schwester.
Noch deren Mann.
Oder ihre Mutter.
Und ganz sicher nicht Erin, die völlig ungerührt wirkt. Wobei, in dem Blick, den sie mir zuwirft, liegt Wut. Ich kann es gar nicht erwarten, all die Anschuldigungen zu hören, die sie mir nach diesem Treffen an den Kopf werfen wird.
Mr. Baker räuspert sich. »Da gibt es noch etwas, das Sie wissen sollten.«
Meine Güte. Je mehr Informationshäppchen er uns hinwirft, desto schlimmer wird die Sache.
»Na super.« Trent hebt schnaubend die Hände. »Was hat das Arschloch jetzt noch gemacht?«
»Wie ich schon sagte, das Konto wurde vor seinem Tod eingerichtet. Er allein hat über das Geld verfügt. Davon wurden Paytons Studium und ihre Lebenshaltungskosten beglichen. Aber Payton kann nicht auf das Geld zugreifen. Während Ihr Vater im Gefängnis war, habe ich als sein Stellvertreter gedient. Er hat mir Anweisungen gegeben, und ich habe mich um alles gekümmert.«
Trent verengt den Blick. »Sie haben es die ganze Zeit über gewusst.«
Nun ja, da Mr. Baker Ronalds Anwalt war, ist das wohl offensichtlich. Doch Trent kommt auch nicht erst jetzt zu dem Schluss, sondern er hängt die Anklage als Warnung in die Luft. Für später. Sein scharfer Ton könnte genauso gut eine Klinge sein, denn er gleitet leise und scharf durch den dünnen Vorhang des Friedens, der sich über den Raum gelegt hatte.
Erin, dumm wie sie ist, achtet nicht darauf. »Ich verstehe das nicht. Meine Schwester hat das Geld, aber sie darf es nicht anrühren?« Mr. Baker nickt, was Erin ein Keuchen entlockt. »Wie kann sie es dann nutzen?«
»Mr. Aldridge hat das Vermögen in einem Trustfund angelegt. Ursprünglich hätte sie niemals Zugriff darauf gehabt, aber nachdem er ins Gefängnis kam, hat er das geändert.«
»Wie?«
»Er hat Vorkehrungen getroffen und einen Notfallplan entworfen.«
»Der da lautet?«, hakt Trent nach. Er sieht aus, als bräuchte er nach den Enthüllungen der letzten zehn Minuten mindestens zehn Jahre in einem buddhistischen Meditationskloster. Oder jemanden, an dem er seine aufgestaute Wut ablassen kann.
Scheint so, als würde diese Rolle mir zufallen.
Großartig.
Mr. Baker rückt von Trent ab und stellt sich schräg hinter mich. »Wir haben ein Konto eingerichtet, von dem Paytons Lebenshaltungskosten bestritten werden, bis sie zweiundzwanzig ist. Danach kann sie über das Geld verfügen.«
»Und wie alt ist sie jetzt?«
Ich winke. »Ich stehe hier. Sie können mich direkt fragen.«
Er mustert mich mit einem Blick, als wäre ich Dreck unter seinem Schuh.
»Also, wie alt?«
»Einundzwanzig«, sagt Mr. Baker hinter mir.
Feigling.
Der Ansatz eines Grinsens zeichnet sich auf Trents Lippen ab. Seine Augen funkeln so verschlagen wie die einer Kobra. »Interessant …«
Ich erstarre.
»Und wer ist bis dahin für die Verwaltung des Vermögens verantwortlich?«, fragt Trent.
»Sie.«