Enwor - Band 12: Das magische Reich - Wolfgang Hohlbein - E-Book
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Enwor - Band 12: Das magische Reich E-Book

Wolfgang Hohlbein

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Beschreibung

Dem Fluch entkommst du nicht: „ENWOR – Band 12: Das magische Reich“ von Wolfgang Hohlbein und Dieter Winkler jetzt als eBook bei dotbooks. ENWOR: Kriegsgeboren und vom Feuer getauft – eine postapokalyptische Welt voller Gefahren. Um seine Ausbildung zu vervollkommnen, macht sich der junge Satai Daart in den Süden Enwors auf. An seiner Seite ist der Geist des Kriegers Skar, der sich opferte, um Enwor zu retten. Doch auch Daarts Schicksal steht unter einem bösen Stern: Als ihm die junge Prophetin Irana offenbart, er sei auserwählt, ein sagenumwobenes magisches Reich zu finden, ahnt er noch nicht, welches Grauen ihn auf seiner Reise erwartet … Jetzt als eBook kaufen und genießen: „ENWOR – Band 12: Das magische Reich“ von Wolfgang Hohlbein und Dieter Winkler. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag. JETZT BILLIGER KAUFEN – überall, wo es gute eBooks gibt!

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Über dieses Buch:

ENWOR: Kriegsgeboren und vom Feuer getauft – eine postapokalyptische Welt voller Gefahren. Um seine Ausbildung zu vervollkommnen, macht sich der junge Satai Daart in den Süden Enwors auf. An seiner Seite ist der Geist des Kriegers Skar, der sich opferte, um Enwor zu retten. Doch auch Daarts Schicksal steht unter einem bösen Stern: Als ihm die junge Prophetin Irana offenbart, er sei auserwählt, ein sagenumwobenes magisches Reich zu finden, ahnt er noch nicht, welches Grauen ihn auf seiner Reise erwartet …

Über die Autoren:

Wolfgang Hohlbein, 1953 in Weimar geboren, ist Deutschlands erfolgreichster Fantasy-Autor. Der Durchbruch gelang ihm 1983 mit dem preisgekrönten Jugendbuch MÄRCHENMOND. Inzwischen hat er 150 Bestseller mit einer Gesamtauflage von über 44 Millionen Büchern verfasst. 2012 erhielt er den internationalen Literaturpreis NUX.

Dieter Winkler, geboren 1956 in Berlin, hat zusammen mit Wolfgang Hohlbein ENWOR entwickelt. Nach langen Jahren als Chefredakteur schrieb er mit Wolfgang Hohlbein das elfte Buch der ENWOR-Saga Der ewige Schlaf und führte die Serie mit neuen Abenteuern fort..

Wolfgang Hohlbein im Internet: www.hohlbein.de

Bei dotbooks veröffentlichte Wolfgang Hohlbein die Romane FLUCH – SCHIFF DES GRAUENS, DAS NETZ und IM NETZ DER SPINNEN, die ELEMENTIS-Trilogie mit den Einzelbänden FLUT, FEUER UND STURM und die große ENWOR-Saga; eine chronologische Übersicht der einzelnen Romane finden Sie am Ende dieses eBooks.

Wie wird es mit den Kriegern Skar und Del weitergehen? Finden Sie es heraus im nächsten Roman der ENWOR-Saga: ENWOR – Band 5: Das schwarze Schiff. Eine Leseprobe finden Sie am Ende dieses eBooks.

***

Neuausgabe Januar 2016

Copyright © der Originalausgabe © 2004 Piper Verlag GmbH, München

Copyright © der Neuausgabe 2016 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Tanja Winkler, Weichs

E-Book-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3-95824-493-1

***

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Wolfgang Hohlbein Dieter Winkler

ENWOR

Band 12: Das magische Reich

Roman

Zur Zeit des Todes,

als ich spürte, dass das Leben aus mir wich,

fand ich die Kraft des Feuers,

gebannt in die Essenz des Lebens,

und ich ging den unseligen Pakt ein,

der mich dem Todfeind des Lebens auslieferte:

dem Feuer!

TEIL 1

Wer sich vom rechten Weg abbringen lässt, stürzt ins Verderben.

Kapitel 1

Daart fror so erbärmlich wie nie zuvor in seinem Leben. Mit einem misstrauischen Blick auf den vereisten Abhang, der nur einen halben Schritt neben ihm steil abfiel, blieb er stehen und schlug den Kragen seines schwarzen Ledermantels nach oben. Nicht, dass es viel genutzt hätte; der eiskalte Wind fegte Schnee und Hagelkörner mit unbändiger Wut heran, und wann immer Daart versuchte, ihm durch Engerzurren der Kleidung oder Wegdrehen des ungeschützten Gesichts zu entgehen, nahm er an Heftigkeit noch zu. Die bittere Kälte drang in jede Ritze seiner an sich recht festen Lederkleidung, und wäre er nicht ständig in Bewegung gewesen, hätte sie sich über kurz oder lang in seine Knochen gefressen und seinen Körper unbarmherzig erstarren lassen.

Angespannt wandte er den Kopf, um nach Carnac zu sehen, die auf dieser Etappe die Nachhut ihres Dreier-Trupps übernommen hatte. Ihre Bewegungen wirkten so steif und ungelenk, wie es die Witterung erwarten ließ, aber zumindest deutete nichts daraufhin, dass ihr die Schulterschramme, die sie sich bei dem Überfall vor zwei Tagen zugezogen hatte, noch ernstlich zusetzte. Es war ein Haufen verwahrloster Gestalten gewesen, die sie mit einem Pfeilhagel eindeckt hatten, um sich dann mit Schwertern und Äxten auf sie zu stürzen; aber nachdem Carnac und er die erste Angriffswelle abgeschmettert und zwei der Männer erschlagen hatten, hatten die anderen schnell das Weite gesucht. Dennoch war es nicht ausgeschlossen, dass sie ihnen folgten, und sei es, um Rache für ihre toten Kameraden zu nehmen.

Carnac war in jeder Beziehung einzigartig. Immerhin war sie der erste weibliche Satai-Sjen, der überhaupt jemals die harte Ausbildung so weit durchlaufen hatte – sah man einmal von Skarissa Mama ab, die in wirren Zeiten sogar die Herrschaft über ein ziemlich wüstes Aufgebot schlecht ausgebildeter Satai erlangt hatte. Daart war sich nicht ganz im Klaren darüber, was er für Carnac empfand, aber in jedem Fall ging es weit über das hinaus, was ihm als Satai-Sjen zustand. Unzweifelhaft machte er sich mehr Gedanken um seine Kampfgefährtin als um diesen verdammten Schneesturm, in den sie vollkommen unerwartet vor zwei Tagen geraten waren. Während er sie beobachtete, wie sie mit gesenktem Kopf auf der Spur entlangstapfte, die er im Schnee auf dem Plateau hinterlassen hatte, empfand er ein beinahe zärtliches Gefühl für sie – verbunden mit der Sorge, ob sie den Strapazen der Reise gewachsen sein würde.

Dabei waren Gedanken dieser Art vollkommen unnötig. Carnac hatte die gleiche harte Ausbildung wie er selbst genossen, und die Fleischwunde, welche die Pfeilspitze in ihre Schulter gerissen hatte, war nicht der Rede wert. Er hatte sie vorsorglich ausgesaugt und mit Haankraut versorgt, und so war es so gut wie ausgeschlossen, dass sie sich entzündete. Auch in anderer Beziehung gab es keinen Grund, sich um Carnac zu sorgen. Nach ihrem denkbar schlechten Start bei den Satai hatte sie sich bald gefangen und trainierte seit nunmehr einem Jahr am verbissensten von allen. Sie war so kampfstark wie jeder andere Satai-Sjen, doch immer noch ein bisschen fieser und mit ein paar eigenen Tricks auf Lager, mit deren Hilfe sie so manchen Trainingskampf gegen körperlich überlegene Mitschüler – Daart eingeschlossen – zu ihren Gunsten entschieden hatte. Carnac wies Eigenschaften auf, die so gar nicht zu den Satai passten, aber das hatte er wohl mit ihr gemein. Sie beide pflegten einen sehr unorthodoxen Kampfstil, geprägt durch ihre jeweilige Vorgeschichte. Das Dumme daran war nur: Sie kannte das Geheimnis seiner Herkunft, aber er selbst hatte außer ein paar spärlichen Andeutungen bislang nichts über ihre Vergangenheit in Erfahrung bringen können.

Das machte es nicht gerade einfacher zwischen ihnen beiden. Vor ein paar Monaten, beim ersten Trainingskampf mit einem echten Tschekal, war Carnac mit solcher Gewalt über ihn hergefallen, dass er all seine Kampfkunst hatte aufbringen müssen, um gegen sie bestehen zu können. Es war etwas Ungestümes an ihr gewesen, eine körperlich spürbare Woge von Energie, die sie ihm regelrecht entgegengeschleudert hatte, einhergehend mit Bewegungen, die nicht mehr menschlich, sondern eher wie die einer Raubkatze gewirkt hatten. Als Skarissa Rabork, eines der sieben Mitglieder des Hohen Rats, den Kampf abgebrochen hatte, hatte Daart gespürt, dass auch er irritiert über Carnacs Ausbruch gewesen war; aber der Skarissa hatte auf eine entsprechende Bemerkung verzichtet. Damit war Daart auf sich allein gestellt mit seinem Verdacht, dass irgendetwas mit Carnac nicht stimmte. Warum er sich trotzdem mit ihr zusammengeschlossen hatte, sie sogar erst nach diesem Kampf zu seiner festen Satai- Sjen-Partnerin gewählt hatte, hätte er nicht zu sagen vermocht. Obwohl … nun, er konnte nicht leugnen, dass er sich ständig irgendwelche vollkommen übertriebene Sorgen um Carnac machte. Und dass er sie mochte und – zumindest einen Teil von ihr – besser zu verstehen glaubte als jeder andere. Und dass er ihr bei einem ihrer wenigen heimlichen Treffen außerhalb des Trainings leichtfertigerweise verraten hatte, wie sein Dorf unter der Knute der Feuer anbetenden Guhulan gestanden hatte – was bedeutete, dass er niemals bei den Satai hätte aufgenommen werden dürfen, denn Satai und Guhulan waren Todfeinde. Allein sein düsterstes Geheimnis – seine Feigheit während des Feuer-Rituals, die letztlich zur Ermordung seines Freundes Pe’te geführt hatte – hatte er für sich behalten. Doch all jene Vertraulichkeiten hatten das Band zwischen ihnen beiden gestärkt und wohl letztlich dazu geführt, dass sie sich gegenseitig als Kampfpartner erwählt hatten, die man direkt nach ihrer Rückkehr und der offiziellen Aufnahme in die Gemeinschaft der Satai durch den Hohen Rat gemeinsam nach Ikne schicken würde: er, Daart, der Mann zweifelhafter Herkunft, und sie, Carnac, der erste weibliche Satai seit Jahrhunderten und nebenbei eine ganz außergewöhnliche Frau, selbst für eine Kriegerin.

Jetzt stapfte Carnac vorbei an den teils mannshohen Schneeverwehungen und bemühte sich, dem vereisten Abhang nicht zu nahe zu kommen. Ihr schmales Gesicht mit den herben, aber durchaus attraktiven Zügen war wegen des hoch geschlagenen Kragens kaum auszumachen, und ihre sonst so katzenartigen Bewegungen wirkten eckig und mühsam. Dennoch glaubte Daart in ihnen ein trotziges Aufbegehren gegen ihr Schicksal zu erkennen, den unbeugsamen Willen, rechtzeitig mit der Essenz des Lebens zur Korona zurückzukehren, der Satai-Festung in den Tormon-Bergen.

Wo aber steckte Harkon? Daarts Blick wanderte weiter nach rechts, in Richtung der Schneeverwehungen und des verharschten Felsvorsprungs, der das Plateau auf dieser Seite begrenzte.

Und dann entdeckte er ihn. Der zwergenhafte Führer aus der Shimpta-Sippe war bis zum Bauchnabel in einem Schneeloch versunken und zappelte nun mit seltsam abgehackt wirkenden Bewegungen herum – ähnlich einem Hund, der in einen Morast geraten war und sich mit wilden Bewegungen zu befreien versuchte, ohne sich darüber im Klaren zu sein, dass heftiges Strampeln oft nur das Gegenteil bewirkt. Einen Augenblick lang war sich Daart nicht ganz sicher, wer sich als hartnäckiger erweisen würde – Harkon oder das Schneeloch -, doch dann schaufelte sich der Gnom frei und schüttelte sich wie ein räudiger Köter, der in einen Platzregen geraten war.

Endlich hatte er wieder halbwegs festen Boden unter den Füßen; doch statt mit vorsichtigen Schritten die vereiste Ebene zu überwinden, die sich zwischen ihm und Daart auftat, stürmte der Shimpta los. Noch bevor er seine Bewegungen richtig koordiniert hatte, rutschte er plötzlich aus, verlor die Kontrolle über seine Bewegungen und schoss mit wild rudernden Armen über die eisverkrustete Platte auf Carnac zu. Mit einem entsetzten Aufschrei packte er sie am Arm und riss sie dabei fast von den Füßen. Carnac machte zwei, drei weit ausholende Schritte, fing sich wieder und schob den Shimpta mit einer ärgerlichen Handbewegung zur Seite.

Daart glaubte das zornige Aufblitzen in ihren Augen zu sehen, als sie den Kopf in seine Richtung drehte – was wahrscheinlich aber nur daran lag, dass er genau wusste, wie viel Wut sich inzwischen in ihr angestaut hatte. Der Ärger hatte vor vier Tagen begonnen, als der Shimpta mit großer Verspätung und einem Schwall fadenscheiniger Ausreden am verabredeten Ort am Fuß der Berge zu ihnen gestoßen war. Dort hatten sie planmäßig ihre Pferde zurückgelassen, um die Abkürzung über einen wenig begangenen Pfad nach Irapûano zu wählen. Carnacs Verdruss hatte sich seitdem beständig gesteigert. Harkon war ein hässlicher, keifender Wurm, der ihnen ununterbrochen vollkommen überflüssige und meist sogar widersprüchliche Ratschläge erteilte. Erst redete er ihnen ein, unbedingt diese Abkürzung zu nehmen, um ihre Kräfte nicht unnötigerweise mit jenen gescheiterten Existenzen messen zu müssen, die als undisziplinierbar aus den Stadtstaaten und Königreichen im Westen verbannt worden waren; dann aber führte er sie geradewegs in den Hinterhalt einer Bande mordlüsterner Straßenräuber und Geächteter. Und nach dem Überfall wählte er einen Weg, der sie mitten in einen Schneesturm brachte.

Daart schloss die Augen, so als könnte er damit der Wirklichkeit entgehen, fuhr sich mit der Zunge über die aufgesprungenen Lippen und atmete tief durch. Auf seinen Netzhäuten spiegelten sich grell strahlendes Eis und das Abbild zu blitzendem Kristall erstarrter Bäume: eine Landschaft im eisigen Todesschlaf, die sich mit monotoner Gleichförmigkeit bis zum Horizont erstreckte – und vielleicht sogar darüber hinaus bis ans Ende der Welt.

Das Heulen des Windes riss ihn aus seinen Gedanken. Es hatte eindeutig eine andere Qualität angenommen, und als Daart die Augen wieder öffnete, bemerkte er die beunruhigenden Anzeichen einer nochmaligen Wetterverschlechterung: Der Himmel hatte sich tief blauschwarz verfärbt, und die wenigen verschneiten Büsche auf dem Plateau erzitterten, als wären böse Geister in sie gefahren, um sie ihrer schweren Schneelast zu entledigen.

Mit Bewegungen, die unzweifelhaft durch die Strapazen der letzten beiden Tage gekennzeichnet waren, aber dennoch erstaunlich anmutig wirkten, stapfte Carnac den Pfad zu Daart hinauf. Auf ihren Wimpern und Augenbrauen wuchsen Eiskristalle. Die Gesichtshaut war am Rand ihrer Kapuze unnatürlich weiß, aber überall dort, wo sie vom Sturm gepeitscht wurde, knallrot und von winzigen Schneepartikeln durchzogen, sodass sie wie vorzeitig gealtert wirkte. Daart hatte beinahe das Gefühl, als erlaubte sich das Schicksal einen Scherz und zeigte ihm Carnac so, wie sie vielleicht in zehn oder fünfzehn Jahren aussehen mochte.

»Schaff mir diesen Idioten vom Hals«, knurrte sie kaum verständlich, als sie zu ihm aufgeschlossen hatte. »Sonst breche ich ihm noch das Genick!«

»Ich glaube …«, sagte Daart mit vor Kälte tauben Lippen, während er beobachtete, wie Harkon schlitternd und strauchelnd zu ihnen aufschloss, »ich glaube, das besorgt er gerade selbst.«

»Mach dir nur keine falschen Hoffnungen.« Carnac drehte sich zu Harkon um, der mit unbeholfenen Bewegungen den äußersten Rand der Eisplatte erreicht hatte und sich nun, sichtbar erschöpft und angeschlagen, an den Aufstieg zu ihnen beiden machte.

»Ich …«, rief ihnen der Shimpta entgegen, »ich wäre fast in dieser Schneespalte verreckt. Warum … warum habt ihr mir nicht geholfen?«

»Ach … du hattest Schwierigkeiten?«, fragte Carnac gelangweilt. »Ist mir gar nicht aufgefallen.«

»Schwierigkeiten?«, krächzte Harkon. Er blieb dicht vor Carnac stehen, atmete tief durch und schüttelte sich, sodass ein wahrer Schneeschauer von ihm aufstob. »Das ist ja wohl die unglaublichste Untertreibung, die ich je gehört habe. Ich bin fast bis zum Kopf in dieser verfluchten Spalte eingesunken. Wenn ich nicht so schnell reagiert hätte, wäre ich unweigerlich noch tiefer gerutscht, und dann …«, er fuhr sich mit einer säbelnden Geste über die Kehle, »ratsch!«

»Sich in einem Schneeloch selbst zu enthaupten wäre wirklich einzigartig.« Carnac winkte ab, bevor Harkon etwas erwidern konnte. »Ich fürchte, die Spalte, die dir beinahe zum Verhängnis geworden wäre, ist nicht die einzige Gefahr auf der Route, welche du für uns ausgewählt hast. Vor uns braut sich mal wieder etwas zusammen.«

Sie deutete nach vorn, und auch Daart blickte in die angegebene Richtung. Harkon hatte behauptet, dass sie den schlimmsten Teil des Weges bereits hinter sich gelassen hätten, aber wieder einmal hatte er die Rechnung ohne das Wetter gemacht. Der beständig schärfer werdende Wind trug den Geruch von Schnee, Kälte und Eis mit sich, und über den zugefrorenen Kuppen tanzten Windhosen, schmale, schattenhafte Striche, die sich in ungewisser Bewegung befanden und sich irgendwo an der Grenze zwischen stahlgrauem Himmel und schneebedeckten Bergkuppen verloren. Daart hatte schon so manchen Schneesturm erlebt – schließlich lag die Satai-Festung auf beträchtlicher Höhe inmitten des Tormon-Gebirges –, aber dies hier war anders. Er hätte nicht einmal genau sagen können, worin der Unterschied bestand und was genau an dem Anblick so bedrohlich auf ihn wirkte; und doch hegte er keinen Zweifel daran, dass sie geradewegs in eine Katastrophe schlitterten, wenn sie nicht schleunigst irgendwo Deckung suchten.

»Das …« Harkon schluckte hart, und in seinen viel zu großen Augen mit den riesigen Pupillen spiegelte sich Erschrecken. »Das ist… ungewöhnlich.«

»Was ist ungewöhnlich?«, fragte Carnac ungeduldig.

»Nun ja, das halt.« Harkon wischte sich mit einer erschöpften Geste Schnee aus dem Gesicht. »Ich weiß gar nicht… im Grunde …«

»Hör mal!« Carnac machte einen Schritt auf Harkon zu, und der Gnom erstarrte inmitten der Bewegung. Die blau gefrorenen Finger ruhten auf seinem Gesicht wie bei einem verunsicherten Kind, das die Hand vor den Mund geschlagen hat, damit ihm nur ja kein unbedachtes Wort entschlüpft. »Vielleicht könntest du dich ein bisschen klarer ausdrücken«, fuhr Carnac fort. »Oder sollte dir entgangen sein, dass wir uns nicht auf einer gewöhnlichen Satai-Sjen-Reise befinden? Dass uns der Rat angewiesen hat, wegen … gewisser Vorkommnisse so schnell wie möglich den zeremoniellen Anforderungen gerecht zu werden, damit wir als frisch geweihte Satai bei den Auseinandersetzungen in Ikne eingreifen können?«

Harkon ließ die Hand sinken und zwang sich ein gequältes Lächeln ab. »Weiß ich ja alles. Und auch, dass der Aufruhr in Ikne nicht der einzige Grund ist, warum ihr so in Eile seid, sondern dass ihr für den Sterngeborenen gewisse Ingredienzien zu besorgen habt, die seine spezielle Form der Existenz, äh, erhalten sollen …«

Während Carnac innerlich erstarrte, spürte Daart heißes Entsetzen in sich aufsteigen. Skarissa Rabork hatte ihnen versichert, dass außer ihnen und dem Hohen Rat niemand von dem eigentlichen Grund ihrer Reise in Kenntnis gesetzt worden war. »Woher weißt du von dem Sterngeborenen?«, fragte Daart drohend. »Ganz zu schweigen von dem Blödsinn, den du dir um seine Person zusammenreimst.«

Harkon schien zu schrumpfen, als er den Satai-Sjen einen Schritt auf sich zukommen sah. »Aber … jeder kennt doch Sk…«, begann er.

»Sprich seinen Namen nicht aus«, donnerte Carnac, bevor Daart etwas sagen konnte. »Dir ist wohl nicht bewusst, dass du mit deinem Leben spielst, was?«

»Natürlich ist es mir das.« Harkon seufzte übertrieben. »In dieser Gegend, in der verrückte Digger und mordlustige Quorrl ihr Unwesen treiben, auch nur ein paar Tage zu überleben ist schon ein Kunststück für sich. Weißt du eigentlich, wie das ist, wenn zwei Reptilienkrieger hinter jemandem wie mir herjagen? Genau das ist mir nämlich erst vor ein paar Tagen passiert.«

Carnac nickte, während Daart an die geschuppten Giganten mit ihren Zackenschwertern dachte, die so manchen mutigen Krieger schon allein durch ihr bedrohliches Aussehen in die Flucht geschlagen hatten.

»Ich kann mir vorstellen, wie du beim Anblick der Reptilienkrieger die Beine in die Hand genommen hast«, sagte Carnac ärgerlich. »Hier aber sehe ich weit und breit keinen Quorrl.«

»Natürlich nicht«, erwiderte Harkon mit hörbarem Stolz in der Stimme. »Schließlich habe ich diese besondere Abkürzung gewählt, weil sich hier nur äußerst selten ein Quorrl oder anderes diebisches Gesindel hin verirrt…«

»Wie selten das geschieht, hat meine Schulter bereits zu spüren bekommen.« Carnac strich gedankenverloren mit der Schwerthand über den Riss im harten Echsenleder ihrer Schulterverstärkung, den die Pfeilspitze geschlagen hatte. »Und außerdem«, fuhr sie fort, »was nutzt uns eine Abkürzung, wenn wir auf ihr nicht vorankommen?«

»Überhaupt nichts.« Der Shimpta straffte sich. »Aber keine Sorge. Ich werde gleich nachsehen, in welche Richtung wir uns jetzt am besten wenden.« Noch während er sprach, setzte er sich in Bewegung und stiefelte mit hastigen Schritten an ihnen vorbei. »Von dem Felsen dort vorn kann ich mir einen besseren Überblick verschaffen«, rief er ihnen über die Schulter hinweg zu, offensichtlich froh darüber, für den Augenblick ihren lästigen Fragen entgehen zu können.

Carnac sah ihm mit einer unguten Mischung aus Wut und Erschöpfung hinterher. »Ich hoffe nur, er weiß, was er tut«, sagte sie leise.

»Das bezweifle ich. Dieses kleine Großmaul hat doch längst die Orientierung verloren …« Daart brach ab und beobachtete verblüfft, wie der Shimpta auf die Knie sank und nicht gerade elegant, aber doch wirkungsvoll auf allen vieren den schmalen, schneebedeckten Pfad nach oben robbte. »Bevor wir dem Knirps noch auf Händen und Füßen hinterherrutschen, sollten wir lieber umkehren. Wenn wir uns Pferde besorgen und ihnen die Sporen geben, kommen wir wahrscheinlich schneller nach Irapûano.«

»Glaube ich nicht. Schließlich müssten wir den ganzen Weg erst wieder zurücklaufen – und uns unterwegs womöglich noch mit unseren Verfolgern herumprügeln. Nein.« Carnac schüttelte entschieden den Kopf. »Wir sollten zusehen, dass wir so schnell wie möglich aus diesem dämlichen Unwetter herauskommen – und dann in Irapûano diesen Magier Cor Har’Kanarro aufstöbern. Allein das wird schon nicht einfach sein. Schließlich bietet er die Essenz des Lebens nicht auf dem Markt an.«

»Das wäre ja wohl auch noch schöner«, sagte Daart unwillig. »Schließlich ist es die geheimnisvollste Substanz, die ganz Enwor zu bieten hat. Und außerdem«, er beugte sich ein Stück näher zu Carnac, »ist der Kontakt zu Cor Har’Kanarro vor zwei Jahren abgebrochen – und kein Satai hat ihn seither zu Gesicht bekommen. Wer sagt uns, dass uns gelingen wird, was andere nicht schafften?«

»Weil wir mehr wissen als sie.« In Carnacs Gesichtsausdruck mischte sich eine Spur von Unwillen. »Wenn Skarissa Rabork Recht hat, brauchen wir bloß die alte blinde Frau aufzutreiben, die zu Cor Har’Kanarro Kontakt hält…«

Die alte blinde Frau. Ja … Daart hörte nicht mehr, was Carnac sagte, auch wenn es noch so wichtig war. Er hatte eine andere alte blinde Frau vor Augen, Kulana, um deren blicklose, aber scheinbar von innen leuchtende Augen so viele Lachfältchen gewesen waren. Die mussten noch aus jener Zeit stammen, bevor Zar’Toran und die Guhulan ihre Schreckensherrschaft über sein Heimatdorf übernommen hatten. Auch Zar’Toran war ein Magier gewesen, aber einer der ganz üblen Sorte. Letztlich war es sein Pakt mit den Guhulan gewesen, der sämtlichen Dorfbewohnern das Leben zur Hölle gemacht hatte. Hätte sich Kulana nicht um ihn und Pe’te gekümmert, hätten sie wohl nicht mal ein Jahr überlebt. Doch der Preis war hoch gewesen: Angst und Sorge hatten immer tiefere Spuren in Kulanas Gesicht gegraben, und ihr Gang war zunehmend kraftloser geworden, so als könnte sie dem Einfluss Zar’Torans kaum noch standhalten. Schließlich war sie gestorben, weit vor seinem und vor Pe’tes siebten Geburtstag, und damit hatte niemand sie mehr schützen können vor dem, was Zar’Toran ihnen zugedacht hatte …

»… und falls uns das alles gelingen sollte, müssen wir noch mit der Essenz im Gepäck durch halb Enwor zum Rat zurückhetzen, damit der Sterngeborene sie rechtzeitig bekommt«, beendete Carnac gerade ihren Satz.

»Ja. Sicher. Es wird nicht einfach werden.« Daart straffte sich, und ein Schauer weißer Flocken stob von ihm auf. »Abgesehen davon weiß ich gar nicht, ob …« Er brach ab und biss sich auf die Unterlippe. Die Erinnerung an Kulana war eine Sache; sie gehörte zu dem, was er am liebsten für immer in Guan, seinem kleinen Heimatdorf am Rande der Sümpfe von Cosh, zurückgelassen hätte. Es blieb ihm im Grunde auch gar nichts anderes übrig. Nach Pe’tes Tod hatte er mit den Wölfen geheult – zumindest nach außen hin – und sich ganz in den Dienst der verhassten Guhulan gestellt. Er hatte ein hervorragender Kämpfer werden wollen, um Pe’tes Tod zu rächen, wenn die Zeit dazu gekommen wäre. Doch dann hatte ihm die Begegnung mit einem alten, von den Guhulan schwer verletzten Satai einen gründlichen Strich durch die Rechnung gemacht, und nun war er selbst dabei, ein Satai zu werden – und damit, so widersinnig das war, sein eigener Todfeind. Wenn auch nur eine Seite – ob Satai oder Guhulan – herausbekäme, dass er sich auf eine Art doppeltes Spiel eingelassen hatte, wäre er verloren.

»Was weißt du nicht?«, bohrte Carnac nach.

Daart versuchte, sich auf den Gedankengang zu konzentrieren, der ihm immer wieder entwischen wollte. Es waren jetzt zwei Dinge, um die es ging: Er musste diese Reise zu einem vernünftigen Abschluss bringen, um zum Satai zu werden. Und es ging um den Sterngeborenen, dessen Leben sie retten sollten. Die Legende, die sich um ihn rankte, war in ganz Enwor bekannt, und mittlerweile hatte Daart begriffen, dass die Satai selbst es waren, die sehr geschickt die Gerüchte über seine geheimnisvolle Art der Existenz fütterten; schließlich zogen sie Vorteile daraus, wenn einer der ihren als unsterblich galt und angeblich über wahrhaft magische Fähigkeiten verfügte.

»Was weißt du nicht?«, fragte Carnac noch einmal, und diesmal mit hörbarer Ungeduld in der Stimme.

Daart zuckte mit den Schultern. »Hast du den Sterngeborenen schon einmal zu Gesicht bekommen?«, fragte er leise.

»Als Satai-Sjen?« Carnac starrte ihn fassungslos an. »Du weißt doch ganz genau, dass nur der Hohe Rat …« Sie stockte, als sie begriff, was Daart andeuten wollte. »Du meinst doch nicht etwa …«

»Doch, genau das meine ich«, sagte Daart grimmig. »Skarissa Rabork und der gesamte Hohe Rat tun so, als hielten sie, wenn auch unter schwierigsten Bedingungen, den Kontakt mit ihm aufrecht. Aber was, wenn das gar nicht stimmt? Was, wenn sie nur eine Legende am Leben erhalten – mit diesem ganzen Skarissa-Firlefanz, der bereits zu Mamas Zeiten entartet ist?«

Carnac antwortete eine ganze Weile nicht, und als sie es tat, ging ihre Stimme fast im Heulen des Sturms unter. »Das glaubst du doch nicht im Ernst, oder?«

»Ich weiß es nicht«, bekannte Daart.

»Aber ich.« Carnac funkelte ihn wütend an. »Dein Zweifel kommt zur falschen Zeit, Daart. Wenn du schon nicht die … Ausstrahlung des Sterngeborenen spürst, welche die ganze Korona ausfüllt, dann müsstest du doch wissen, dass man uns in derart unruhigen Zeiten gewiss nicht zum Vergnügen ins weit entfernte Irapûano schicken würde.«

»Aber es ist fraglich, ob sie die Essenz wirklich für den Zweck benötigen, den sie uns vormachen wollen«, wandte Daart ein.

Carnac gab einen abfälligen Laut von sich. »Das Unwetter hat deinen Geist verwirrt. Was willst du mit deinem Gerede erreichen? Dass wir uns unschuldig fühlen, wenn wir nicht rechtzeitig mit der Essenz des Lebens zurückkehren und der Sterngeborene nach all der Zeit endgültig stirbt?«

»Nein, natürlich nicht…«, antwortete Daart lahm.

»Dann solltest du endlich zur Kenntnis nehmen, dass es im Augenblick ums nackte Überleben geht«, fuhr Carnac unbarmherzig fort. »Die Korona ist geschwächt und mit ihr der gesamte Einfluss der Satai. Und was den Sterngeborenen angeht…«

»… den von uns Satai-Sjen noch keiner zu Gesicht bekommen hat«, beharrte Daart.

»Was den Sterngeborenen angeht«, wiederholte Carnac ärgerlich, »so hängt seine ganz besondere Form der Existenz nun einmal von der Essenz ab, die uns allein dieser Cor Har’Kanarro beschaffen kann. Und da er nun einmal vor zwei Jahren spurlos verschwand …«

Daart schnaubte abfällig. »Das wurde uns eingetrichtert. Aber wer sagt uns, dass es auch stimmt?« Irgendetwas warnte ihn weiterzusprechen. Wenn er in all den endlosen Nächten, in denen er keine Ruhe gefunden hatte und ihm Carnacs Nähe – wie auch die der anderen Satai-Sjens – nur zu bewusst gewesen war, dann waren ihm tausend verrückte Gedanken durch den Kopf geschossen: Erinnerungsfetzen an seine Zeit als Adept im Feuer-Tempel der Guhulan, Bruchstücke seiner Ausbildung bei den Satai oder auch Phantasien über Carnac. Aber da war noch mehr gewesen, etwas zutiefst Beunruhigendes: nämlich das Gefühl, von den Satai auf eine geradezu hinterhältige und vollkommen undurchschaubare Weise betrogen zu werden, einem überaus feinen Lügengespinst ausgeliefert zu sein, das sie über all ihre Taten gebreitet hatten, um ihre Macht zu mehren. Es waren nur winzige Anzeichen gewesen, die sein Misstrauen genährt hatten, und obwohl er seine wirren Vermutungen meist längst wieder vergessen hatte, wenn ihn der Weckruf aus dem Horn des Aufsehers aus dem unruhigen Schlaf gerissen hatte, war doch jedes Mal ein klein wenig davon hängen geblieben.

Und so war es jetzt denn auch sein lange aufgestauter Argwohn, der ihn trotz aller Zweifel weitersprechen ließ. »Wir müssen das glauben, was uns der Hohe Rat als Wahrheit vorsetzt«, sprudelte es aus ihm hervor. »Aber vielleicht dienen die ganzen Regeln und umständlichen Erklärungen ja nur dem Zweck, uns gefügig zu machen. Vielleicht besteht Skarissa Rabork nur deshalb auf strengster Einhaltung der alten Traditionen, weil er und der Hohe Rat etwas zu verbergen haben. Während blutige Bürgerkriege, gewalttätige Aufstände und kriegerische Auseinandersetzungen das Land erschüttern, lässt er uns hier mitten im Schnee herumlaufen, weil es von höchster Wichtigkeit sei, dieses Zeug zu besorgen, das er großspurig Essenz des Lebens nennt. Doch für wen soll sie so wichtig sein? Etwa für Jacurt und die anderen, die in Ikne tagtäglich ihr Leben aufs Spiel setzen und denen wir ursprünglich auf Geheiß des Rates beistehen sollten, ohne vorher die Satai-Sjen-Reise zu vollziehen?«

Carnac starrte ihn mit einem nicht zu deutenden Gesichtsausdruck an. »Mach dich doch nicht verrückt«, sagte sie schließlich. »Solche Gedanken führen zu nichts.«

»Das sehe ich anders«, entgegnete Daart. Er spürte selbst, wie unangemessen laut er geworden war, und fuhr etwas leiser fort:

»Ich bin doch kein blinder Befehlsempfänger wie irgendein gewöhnlicher Soldat. Und ganz abgesehen davon haben wir unsere Ausbildung doch längst vollendet und sind mittlerweile genauso gut wie andere Satai!«

»Wenn nicht sogar besser.« Carnac schien noch etwas sagen zu wollen, biss sich dann aber auf die Lippe. Gleichzeitig nahmen ihre dunklen Augen einen Ausdruck an, wie Daart ihn noch nie bemerkt hatte. Es war ein merkwürdiges Funkeln darin, fast so wie damals bei ihrem ersten Probekampf mit den Tschekals, und doch anders; es wirkte nicht nur wild, sondern auf eigentümliche Weise sehnsüchtig, ja, fast entrückt.

»Ikne kann warten«, fuhr Carnac schließlich tonlos fort. »Erst einmal müssen wir das erfüllen, was Skarissa Rabork von uns erwartet.« Sie klopfte auf den Griff ihres Schwerts unter dem Ledermantel. »Streng genommen dürften wir nur aus Eisen gefertigte Waffen mit uns führen. Wenn der Hohe Rat Wind davon bekommt, dass uns Skarissa Rabork mit aus Sternenstahl geschmiedeten Tschekals ausgestattet hat statt mit gewöhnlichen Klingen …«

»Der Hohe Rat«, unterbrach Daart sie ungehalten. »Du müsstest dich mal reden hören! Es ist noch nicht lange her, da hättest du dir den Mund über den Rat zerrissen und gespottet, seine Mitglieder wären ein Haufen verkalkter Greise, die mit Krückstöcken besser bedient wären statt mit den Tschekals, welche sie besser uns jungen Satai-Sjens überlassen sollten!«

Carnac lächelte flüchtig, was ihr halb erfrorenes Gesicht allerdings nicht humorvoll aussehen ließ, sondern eher wie die Spottmaske eines bösartigen Dämons. »Wer sagt dir denn, dass ich das heute anders sehe? Nein, im Ernst«, sie schüttelte den Kopf. »Skarissa Rabork hat völlig Recht. Die Ereignisse in Enwor überschlagen sich geradezu, und es steht weder gut um die Sache der Satai noch um die unserer Verbündeten. Wenn wir uns in einer solchen Lage nicht mehr auf uns selbst verlassen können, ist alles verloren.«

Daart nickte. »Stell dir mal vor: All das hab ich schon das eine oder andere Mal gehört.«

»Dann ist ja gut«, sagte Carnac ernst. Ihre Stimme war gegen den Wind kaum zu verstehen. »Denn dann weißt du ja auch, warum nur ausgebildete Satais Tschekals tragen dürfen – und wie hoch das Vertrauen zu bewerten ist, das Skarissa Rabork in uns setzt.«

»Nicht unbedingt.« Daart seufzte. »Der Hohe Rat wird zwar immer schrecklich nervös bei dem Gedanken, Unbefugte könnten mit den superscharfen Schnitzwerkzeugen herumspielen. Aber wir als Satai-Sjen sind doch wohl vertrauenswürdig genug, um die Sternenstahl-Waffen zu tragen, oder?«

Carnac brachte das Kunststück fertig, gleichzeitig zu nicken und den Kopf zu schütteln. »Du weißt so gut wie ich, dass beileibe nicht alle Satai-Sjen die Ausbildung durchhalten. Und wenn diese dann Tschekals in den Händen hielten …«

»Wäre die Versuchung groß, die Waffen mitgehen zu lassen, wenn sie in hohem Bogen rausfliegen, so wie Karteran letztes Jahr.« Daart winkte ab. »Geschenkt. Außerdem haben wir beide im Augenblick nicht die geringste Chance, den Vorteil unserer Tschekals auszuspielen. Oder sollen wir damit etwa versuchen, Eisplatten klein zu hacken …«

Ein Schrei, gefolgt von einem lauten Poltern und wilden Verwünschungen, unterbrach ihn. Daart und Carnac wirbelten herum, in die Richtung, in der Harkon zuvor verschwunden war.

Kapitel 2

»Ich fass es nicht«, kreischte Harkon mit sich überschlagender Stimme, während er den schmalen Fußweg herabrutschte, den er zuvor so mühsam hinaufgerobbt war. »Ich fass es einfach nicht!«

»Was fasst du nicht?«, konnte Daart gerade noch fragen, als Harkon in geradezu atemberaubendem Tempo auf ihn zuraste; er hatte wohl seinen eigenen Schwung unterschätzt, denn jetzt donnerte er wie ein lebendig gewordener Schlitten den eisbedeckten Pfad herunter.

»Harkon!«, brüllte Daart außer sich. Er hätte zur Seite springen können, doch dann wäre der Gnom auf dem hart gefrorenen Boden aufgeschlagen und womöglich weitergerutscht, auf den Abgrund zu, und mit ein wenig Pech gar über die Kante. Nicht, dass Daart den Shimpta besonders ins Herz geschlossen hätte, aber ein solch unrühmliches Ende wünschte er ihm dann doch nicht.

Also blieb ihm nichts anderes übrig, als die Hände auszustrecken und gleichzeitig in den Karama zu gehen, den festen Stand, den er jahrelang trainiert hatte. Da prallte der kleine Kerl auch schon auf ihn, und zwar weit heftiger, als er erwartetet hatte. Der Untergrund war so spiegelglatt, dass Daart der feste Stand überhaupt nichts nützte; mit Harkon auf den Armen schlitterte er rückwärts, genau in die Richtung, in welcher der Abgrund drohte. Es blieb ihm nicht mal die Zeit, Angst zu empfinden, und so kochte eine mordsmäßige Wut auf den Shimpta in ihm auf, der felsenfest behauptet hatte, in den Bergen erwarte sie heiteres, frühlingshaftes Wetter.

Es gab ein hässliches Geräusch, als Daart mit dem Rücken gegen ein Hindernis stieß und mitsamt dem Gnom herumgerissen wurde, nur um gegen eine Felswand zu prallen. Schnee und Eispartikel regneten auf sie herab und nahmen Daart einen Herzschlag lang die Sicht, aber immerhin war die Rutschpartie somit beendet, und er konnte Harkon endlich absetzen.

»Das gibt es doch gar nicht!«, schimpfte der Gnom, als er auf die Füße sprang und sich den Schnee aus Haaren und Kleidung schüttelte. »Da rast tatsächlich die Urmutter aller Schneestürme auf uns zu!«

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