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Der Auftakt von Christopher Paolinis Weltbestseller "Eragon" - tauch ein in Alagaësia, die fantastische und faszinierende Welt der Drachenreiter!
Als Eragon auf der Jagd einen blauen Stein findet, ahnt er nicht, dass dieser Fund sein Leben verändern wird. Denn aus dem Stein schlüpft ein Drachenjunges und beschert Eragon ein Vermächtnis, das älter ist als die Welt. Über Nacht wird er in eine schicksalhafte Welt voller Magie und dunkler Mächte geworfen, die regiert wird von einem Herrscher, dessen Grausamkeit keine Grenzen kennt. Mit nichts als einem Schwert bewaffnet, stellt sich Eragon dem Kampf gegen das Böse, an seiner Seite seine treue Gefährtin, der blaue Drache Saphira.
Mit seiner Drachenreitersaga Eragon begeistert Christopher Paolini ein Millionenpublikum. Alte Fans und neue Leser*innen lieben Alagaësia, die fantastische und faszinierende Welt der Drachenreiter, die Christopher Paolini mit seinem im November 2023 erscheinenden neuen Roman »Murtagh« noch weiter ausbaut.
Alle Bände der »World of Eragon«:
Eragon – Das Vermächtnis der Drachenreiter (Band 1)
Eragon – Der Auftrag des Ältesten (Band 2)
Eragon – Die Weisheit des Feuers (Band 3)
Eragon – Das Erbe der Macht (Band 4)
Die Gabel, die Hexe und der Wurm. Geschichten aus Alagaësia. Band 1: Eragon (Kurzgeschichten, Band 1)
Murtagh – Eine dunkle Bedrohung
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Seitenzahl: 843
Christopher Paolinis Leidenschaft für Fantasy und Science Fiction inspirierte ihn zu »Eragon – Das Vermächtnis der Drachenreiter«, seinem Debütroman, den er mit fünfzehn Jahren schrieb. Heute ist Paolini einundzwanzig Jahre alt und wird weltweit als Bestseller-Autor gefeiert. Er lebt mit seiner Familie in Montana, wo er inzwischen am dritten Teil der Drachenreiter-Trilogie arbeitet.
Weitere Informationen zu Autor und Buch unter: www.eragon.de
Christopher Paolini im Spiegel der Presse: Christopher Paolinis Erstling blitzt aus den Schwert- und Zauberei-Büchern hervor wie Eragons Schwert Zar’roc aus einem Berg gewöhnlicher Waffen.
DIE ZEIT
Man möchte mit dem Lesen gar nicht mehr aufhören.
Gala
DIESES BUCH widme ichmeiner Mutter, die mir die Magie in der Welt zeigte;meinem Vater, der mir verriet,wer hinter dem Vorhang steht.Und meiner Schwester Angela,die mich aufmuntert, wenn ich traurig bin.
Der Wind heulte durch die Nacht und trug einen Duft heran, der die Welt verändern sollte. Ein hoch aufragender Schatten hob den Kopf und schnüffelte. Bis auf sein blutrotes Haar und seine gelb glühenden Augen sah er aus wie ein Mensch.
Er blinzelte überrascht. Die Botschaft war eindeutig: Sie kamen. Oder war es eine Falle? Er überlegte kurz, dann sagte er eisig: »Verteilt euch. Versteckt euch hinter den Bäumen und Büschen. Haltet jeden auf, der kommt… oder ihr sterbt.«
Um ihn scharten sich zwölf groß gewachsene Urgals mit Kurzschwertern und runden Eisenschilden, die mit schwarzen Symbolen bemalt waren. Die Urgals ähnelten Menschen mit krummen Beinen und muskelbepackten Armen, die zum Zuschlagen wie geschaffenen schienen. Über ihren kleinen Ohren sprossen lange, knorrige Hörnerpaare. Die Ungeheuer huschten grunzend ins Unterholz und versteckten sich. Kurz darauf verstummte das Geraschel und der Wald war wieder still.
Der Schatten spähte um einen dicken Baum und schaute den Pfad hinauf. Ein Mensch hätte in der Dunkelheit nichts mehr erkennen können, aber für ihn war das schwache Mondlicht wie Sonnenschein, der zwischen den Bäumen hindurchfiel. Scharf und deutlich nahm sein suchender Blick jede Einzelheit wahr. Er war unnatürlich ruhig, in seiner Hand hielt er ein langes blankes Schwert. Eine Scharte, fein wie ein Haar, verlief über die gesamte Länge der Klinge bis hinab zur Spitze. Das Blatt war dünn genug, um zwischen zwei Rippen hindurchgleiten zu können, und dennoch so stabil, dass es selbst die härteste Rüstung durchdrang.
Die Urgals sahen nicht so gut wie der Schatten. Sie kauerten am Boden wie blinde Bettler und griffen dabei unruhig nach ihren Waffen. Ein Eulenschrei durchschnitt die Stille. Keiner der Urgals entspannte sich, bis der Vogel vorbeigeflogen war. Dann fröstelten die Ungeheuer in der kalten Nacht; eins von ihnen trat mit seinem schweren Stiefel auf einen Zweig. Der Schatten zischte wütend und die Urgals zogen erschrocken die Köpfe ein. Er unterdrückte seine Abscheu – sie stanken wie ranziges Fleisch – und wandte sich ab. Sie waren Werkzeuge, nichts weiter.
Der Schatten rang mit seiner wachsenden Ungeduld, während aus Minuten Stunden wurden. Der Duft musste seinen Besitzern weit vorausgeeilt sein. Der Schatten erlaubte es nicht, dass die Urgals aufstanden und sich wärmten. Auch sich selbst versagte er diese Annehmlichkeit, blieb hinter dem Baum stehen und beobachtete den Pfad. Ein weiterer Windstoß fegte durch den Wald. Dieses Mal war der Duft stärker. Er verzog die schmalen Lippen und knurrte aufgeregt.
»Haltet euch bereit«, flüsterte er. Sein ganzer Körper vibrierte. Die Spitze seines Schwertes zog kleine Kreise. Es hatte ihn viel Hinterlist und große Anstrengung gekostet, an diesen Punkt zu gelangen. Es wäre töricht gewesen, jetzt die Selbstbeherrschung zu verlieren.
Unter den dichten Brauen der Urgals begannen ihre Augen zu schimmern und die Kreaturen verstärkten den Griff um die Waffen. Vor ihnen hörte der Schatten ein Klirren, als etwas Hartes an einen losen Stein stieß. Undeutliche Schemen lösten sich aus der Dunkelheit und kamen den Pfad hinab.
Drei weiße Pferde galoppierten auf den Hinterhalt zu. Die Reiter hielten ihre Häupter stolz erhoben und ihre Umhänge kräuselten sich wie flüssiges Silber im Mondschein.
Auf dem ersten Pferd saß ein Elf mit spitzen Ohren und elegant geschwungenen Augenbrauen. Sein Körper war gertenschlank, aber kräftig wie ein Degen. Ein mächtiger Bogen war auf seinem Rücken befestigt. An einer Seite hing ein Schwert, an der anderen ein Köcher voller weiß gefiederter Pfeile.
Der hintere Reiter hatte dieselbe helle Haut und dieselben länglichen Gesichtszüge wie der andere. In der rechten Hand hielt er einen Langspeer und in seinem Gürtel steckte ein weißer Dolch. Auf dem Kopf trug er einen außergewöhnlich kunstvollen, mit Gold und Bernstein beschlagenen Helm.
Zwischen den beiden ritt eine Elfe mit rabenschwarzem Haar, die aufmerksam ihre Umgebung beobachtete. Ihre von langen dunklen Wimpern umrahmten Augen blickten entschlossen. Ihre Kleidung war schlicht, was jedoch ihre Schönheit nicht minderte. An ihrer Seite hing ein Schwert, auf dem Rücken ein langer Bogen mit einem Köcher. Auf ihrem Schoß lag ein Beutel, auf den sie immer wieder hinabsah, als wollte sie sich vergewissern, dass er noch da war.
Einer der Elfenmänner sagte etwas, aber so leise, dass der Schatten die Worte nicht verstehen konnte. Die Elfenfrau antwortete mit offenkundiger Autorität, woraufhin ihre Wachen die Plätze tauschten. Der mit dem Helm übernahm die Führung und hielt den Langspeer nun so, dass er ihn sofort einsetzen konnte. Sie ritten am Versteck des Schattens und an den ersten Urgals vorbei, ohne Verdacht zu schöpfen.
Der Schatten schwelgte bereits im Siegestaumel, als der vom Gestank der Urgals durchdrungene Wind die Richtung änderte und den Elfen entgegenschlug. Die Pferde schnaubten aufgeregt und warfen die Köpfe herum. Die Reiter erstarrten, ihre Blicke schossen umher, dann rissen sie ihre Rösser herum und galoppierten davon.
Das Pferd der Elfe stob vorwärts und ließ ihre Begleiter weit hinter sich. Die Urgals sprangen aus ihren Verstecken, erhoben sich und schickten ihnen einen Hagel schwarzer Pfeile hinterher. Der Schatten trat hinter dem Baum hervor, hob die rechte Hand und rief: »Garjzla!«
Ein roter Blitz schoss aus seiner Handfläche auf die Elfe zu und tauchte die Bäume in blutiges Licht. Er traf ihr Pferd, das mit einem schrillen Schrei zusammenbrach und mit dem Brustkorb in den Boden pflügte. Sie sprang mit übermenschlicher Schnelligkeit von dem Tier herab, landete leichtfüßig und schaute sich nach ihren Begleitern um.
Die tödlichen Pfeile der Urgals prasselten auf die beiden Elfenkrieger nieder. Sie fielen von ihren edlen Rössern in die Blutlachen, die sich rasch auf dem Boden ausbreiteten. Als die Urgals auf die Gefallenen zurannten, brüllte der Schatten: »Ihr nach! Sie ist es, die ich haben will!« Die Ungeheuer stürmten grunzend den Pfad hinauf.
Der Elfe entfuhr ein Schrei, als sie ihre toten Begleiter sah. Sie ging einen Schritt auf sie zu, dann verfluchte sie ihre Feinde und schlüpfte mit einem geschmeidigen Satz in den Wald.
Während die Urgals ihr zwischen den Bäumen hindurch nachstürmten, kletterte der Schatten auf einen Granitfelsen, der die Baumkronen überragte. Von dort konnte er das gesamte umliegende Gebiet überblicken. Er hob eine Hand und murmelte:»Istalrí boetk!«, woraufhin etwa dreihundert Quadratmeter Wald in Flammen aufging. Grimmig setzte er ein Stück nach dem anderen in Brand, bis ein riesiger Feuerring die Stätte des Hinterhalts umgab. Die Flammen sahen aus wie eine geschmolzene, auf den Wald niedergefallene Krone. Mit zufriedenem Gesicht beobachtete er aufmerksam den Ring, für den Fall, dass das Feuer frühzeitig erlosch.
Doch der Ring verdichtete sich und konzentrierte sich auf den Bereich, in dem sich die Urgals befanden. Plötzlich hörte der Schatten Rufe und einen Aufschrei. Zwischen den Bäumen sah er drei seiner Handlanger tödlich verwundet übereinander fallen. Er erhaschte einen kurzen Blick auf die Elfe, die vor den übrigen Urgals floh.
Sie rannte mit unglaublicher Geschwindigkeit auf den Granitfelsen zu. Der Schatten blickte prüfend auf den Waldboden zwanzig Fuß unter ihm, dann sprang er und landete direkt vor ihren Füßen. Sie wirbelte herum und rannte zum Pfad zurück. Schwarzes Urgal-Blut tropfte von ihrem Schwert und beschmutzte den Beutel in ihrer Hand.
Die gehörnten Ungeheuer stürmten aus dem Wald, umstellten sie und versperrten ihr den einzigen Fluchtweg. Sie sah sich in alle Richtungen nach einem Ausweg um. Als sie keinen entdeckte, straffte sie in vornehmer Verachtung den Rücken. Der Schatten trat mit erhobener Hand auf sie zu und weidete sich an ihrer Hilflosigkeit.
»Schnappt sie euch.«
Als die Urgals losstürmten, öffnete die Elfe den Beutel, griff hinein und ließ ihn dann zu Boden fallen. In ihren Händen lag ein großer Saphir, in dem sich das grimmige Licht des Feuers spiegelte. Sie hob ihn über den Kopf, während ihre Lippen fieberhaft Worte formten. Verzweifelt brüllte der Schatten: »Garjzla!«
Ein roter Feuerball entsprang seiner Hand und schoss pfeilschnell auf die Elfe zu. Aber der Schatten kam zu spät. Einen Moment lang erhellte ein grüner Lichtblitz den ganzen Wald – und dann war der Stein aus ihren Händen verschwunden. Im nächsten Augenblick traf sie der rot glühende Feuerball und sie brach zusammen.
Der Schatten stieß einen wütenden Schrei aus und marschierte auf sie zu, dabei hieb er sein Schwert gegen einen Baum. Die Klinge fuhr durch den halben Stamm und blieb zitternd stecken. Neun weitere Energieblitze schossen aus seiner Handfläche und töteten die Urgals in Sekundenschnelle. Dann zog der Schatten das Schwert wieder aus dem Baum und ging zu der Elfe hinüber.
Racheschwüre, gesprochen in einer grässlichen Sprache, die nur er verstand, rollten über seine Zunge. Er ballte die hageren Hände zu Fäusten und starrte zum Himmel empor. Die kalten Sterne starrten ungerührt zurück wie Zuschauer aus einer anderen Welt. Wütend verzog er die Lippen, bevor er sich der bewusstlosen Elfenmaid zuwandte.
Ihre Schönheit, die jeden sterblichen Mann verzaubert hätte, ließ ihn kalt. Er vergewisserte sich, dass der Stein tatsächlich verschwunden war, dann holte er sein Pferd aus dem Versteck zwischen den Bäumen. Nachdem er die Elfe an den Sattel gefesselt hatte, saß er auf und ritt aus dem Wald.
Er löschte die Feuer, die ihm im Weg waren, ließ die übrigen aber brennen.
Eragon kniete im zertrampelten Schilfgras und musterte mit geübtem Auge die Fährte. Die Abdrücke verrieten ihm, dass die Hirsche erst vor einer halben Stunde auf der Lichtung gewesen waren. Bald würden sie sich zur Nacht hinlegen. Sein Ziel, eine kleine Hirschkuh, die stark auf dem linken Vorderlauf lahmte, war noch bei der Herde. Es erstaunte ihn, dass sie es so weit geschafft hatte, ohne von einem Wolf oder einem Bären gerissen zu werden.
Der Himmel war klar und dunkel und es wehte ein leichter Wind. Eine silbrige Wolke trieb über die umliegenden Berge, deren Ränder im Lichtschein des zwischen zwei Gipfeln hängenden Herbstmonds rötlich schimmerten. An den Berghängen flossen aus trägen Gletschern und glitzernden Schneemassen entstandene Bäche hinab. Ein zäher Nebel kroch über den Talboden, so dicht, dass er fast Eragons Füße zu verschlucken schien.
Eragon war fünfzehn, nur noch ein knappes Jahr vom Mannesalter entfernt. Dunkle Brauen überspannten seine eindringlichen braunen Augen. Die Kleider waren von der Arbeit abgenutzt. Ein Jagdmesser mit Knochengriff steckte in einer Scheide an seinem Gürtel und ein wildledernes Futteral schützte den Eibenholzbogen vor der Feuchtigkeit. Auf dem Rücken trug er einen holzgerahmten Rucksack.
Die Hirsche hatten ihn tief in einen unzugänglichen Gebirgszug geführt, der Buckel genannt wurde und das Land Alagaësia von Norden nach Süden durchzog. Aus diesen Bergen kamen oft sonderbare Geschichten und eigenartige Menschen und meistens verhießen sie nichts Gutes. Trotzdem fürchtete Eragon diese raue Gegend nicht – er war der einzige Jäger in der Umgebung von Carvahall, der es wagte, das Wild bis in den Buckel zu verfolgen.
Er war bereits die dritte Nacht auf der Jagd und sein Proviant war zur Hälfte verbraucht. Wenn er die Hirschkuh nicht erlegte, war er gezwungen, mit leeren Händen heimzukehren. Seine Familie brauchte Fleisch wegen des in Kürze anbrechenden Winters, und sie konnten es sich nicht leisten, es in Carvahall zu kaufen.
Eragon stand voll stiller Zuversicht im fahlen Mondlicht, dann ging er in den Wald und marschierte auf eine Lichtung zu, auf der er die Hirsche vermutete. Die Bäume versperrten den Blick zum Himmel und warfen federförmige Schatten auf den Boden. Er schaute nur gelegentlich auf die Spuren; er kannte ja den Weg.
Am Rande der Lichtung zog er den Bogen aus dem Futteral, nahm drei Pfeile und legte einen an die Sehne, während er die anderen in der linken Hand bereithielt. Im Mondlicht waren etwa zwanzig reglose Schatten zu erkennen – die im Gras liegenden Hirsche. Die Hirschkuh, auf die er es abgesehen hatte, lag etwas abseits des Rudels und hatte ihr linkes Vorderbein unbeholfen ausgestreckt.
Eragon schlich langsam näher und spannte den Bogen. Die ganze Mühsal der letzten drei Tage war auf diesen Augenblick gerichtet gewesen. Er atmete ein letztes Mal tief durch und – eine Explosion erschütterte die Nacht.
Das Rudel sprang auf. Eragon stürmte los, und während er durchs Gras rannte, streifte ein heftiger Windstoß seine Wange. Schlitternd kam er zum Stehen und schoss auf die umherspringende Hirschkuh. Der Pfeil verfehlte sie um Fingerbreite und verschwand zischend in der Dunkelheit. Fluchend wirbelte Eragon herum und legte instinktiv den nächsten Pfeil an.
Hinter ihm, wo eben noch die Hirsche gewesen waren, schwelten Gras und Bäume in einem kreisrunden Areal. Viele der Kiefern waren nackt, hatten all ihre Nadeln verloren. Das Gras, das die verkohlte Stelle umgab, war platt gedrückt. Kleine Rauchfahnen stiegen in die Höhe und verströmten einen brenzligen Geruch. Im Zentrum des Explosionsherds lag ein polierter blauer Stein. Nebelschwaden schlängelten auf dem verkohlten Boden und ließen substanzlose Ranken über den Stein gleiten.
Eragon hielt mehrere Minuten nach Gefahr Ausschau, aber das Einzige, was sich rührte, waren die Nebelschwaden. Vorsichtig ließ er den Bogen sinken und ging los. Der Mondschein warf sein mattes silbriges Licht auf ihn, als er vor dem Stein stehen blieb. Er stieß ihn mit dem Pfeil an, dann sprang er zurück. Als nichts geschah, hob er ihn vorsichtig auf.
Nie hatte die Natur einen Stein so glatt poliert wie diesen. Seine makellose Oberfläche war dunkelblau, bis auf die feinen weißen Adern, die ihn wie ein Spinnennetz überzogen. Der Stein war kühl und Eragons Finger spürten nicht die geringste Unebenheit. Die Oberfläche fühlte sich an wie gehärtete Seide. Oval und etwa einen Fuß lang, wog der Stein mehrere Pfund, obwohl das Gewicht dem Jungen bei weitem nicht so schwer erschien.
Der Stein gefiel ihm, aber gleichzeitig machte er ihm auch Angst. Wo kommt er her? Hat er irgendeinen Zweck? Dann kam ihm ein beunruhigender Gedanke: Ist er zufällig hier gelandet oder sollte ich ihn finden? Wenn Eragon irgendetwas aus den alten Geschichten gelernt hatte, dann die Tatsache, dass man der Magie und jenen, die sie ausübten, mit Vorsicht begegnen musste.
Aber was soll ich mit dem Stein anfangen? Es wäre eine Mühsal, ihn mitzuschleppen, und es bestand nach wie vor die Möglichkeit, dass er gefährlich war. Vermutlich wäre es am klügsten gewesen, ihn einfach liegen zu lassen. Ein Anflug von Unentschlossenheit überkam ihn, und beinahe hätte er ihn wieder fallen gelassen, aber irgendetwas schien seine Hand zurückzuhalten. Zumindest kann man ihn bestimmt gegen ein paar Lebensmittel eintauschen, dachte er und schob den Stein achselzuckend in den Rucksack.
Die Lichtung war zu ungeschützt, um ein sicheres Nachtlager zu bieten, und so ging er in den Wald zurück und breitete unter den herausgerissenen Wurzeln eines umgestürzten Baumes sein Schlafzeug aus. Nach einem kalten Abendessen aus Brot und Käse kuschelte er sich in seine Wolldecke und schlief ein, während er darüber nachgrübelte, was er gerade erlebt hatte.
Der Sonnenaufgang am nächsten Morgen bot ein prachtvolles Feuerwerk aus schillerndem Rosa und Gelb. Die Luft war frisch, klar und sehr kalt. Eis bedeckte die Ufer der Bäche und die kleinen Teiche waren vollständig zugefroren. Nach einem Frühstück aus Haferbrei kehrte Eragon zu der Lichtung zurück und nahm das verkohlte Gelände in Augenschein. Das Morgenlicht offenbarte keine neuen Einzelheiten und so machte er sich auf den Heimweg.
Der holprige Wildpfad war nur leicht ausgetreten und an manchen Stellen kaum zu sehen. Da er von Tieren erschaffen worden war, wand er sich oft im Kreis und verursachte lange Umwege. Aber trotzdem war es immer noch der schnellste Weg aus den Bergen.
Der Buckel war eines der wenigen Gebiete, über die König Galbatorix keine Macht besaß. Noch immer erzählte man sich Geschichten darüber, wie einmal die Hälfte seiner Armee spurlos verschwand, nachdem sie in den uralten Wald einmarschiert war. Über diesem schien eine Wolke des Unheils zu schweben. Obwohl die Bäume dort hoch in den strahlenden Himmel emporwuchsen, konnten sich nur wenige Menschen längere Zeit im Buckel aufhalten, ohne dass ihnen etwas zustieß. Eragon war einer dieser wenigen – nicht weil er eine besondere Gabe besaß, sondern, so schien es ihm jedenfalls, weil er wachsam war und schnelle Reflexe hatte. Er wanderte schon seit Jahren in den Bergen herum und trotzdem nahm er sich noch immer vor ihnen in Acht. Jedes Mal wenn er glaubte, sie hätten ihm all ihre Geheimnisse offenbart, geschah etwas, das sein scheinbares Wissen über diesen Ort erschütterte – so wie das Auftauchen des blauen Steins.
Eragon behielt sein zügiges Tempo bei und unter seinen Stiefeln flogen die Meilen nur so dahin. Am späten Abend erreichte er den Rand einer steilen Schlucht. Tief unten rauschte der Fluss Anora dem Palancar-Tal entgegen. Von hunderten kleinerer Bäche bis zum Überlaufen gefüllt, wurde er zu einer rohen Naturgewalt und toste schäumend über die Steinplatten und Felsbrocken hinweg, die ihm im Wege lagen. Ein dumpfes Donnern erfüllte die Luft.
Der Junge schlug sein Nachtlager in einem Dickicht unweit der Schlucht auf und beobachtete den aufgehenden Mond, bevor er sich schlafen legte.
Im Laufe der nächsten anderthalb Tage wurde es kälter. Eragon lief schnell und nahm das Wild in seiner Nähe kaum wahr. Kurz nach Mittag des dritten Tages, seit er nach Hause aufgebrochen war, hörte er die rauschenden Wassermassen der Igualda-Fälle, die schon aus der Ferne jedes andere Geräusch übertönten. Der Pfad führte ihn auf einen nassen Felsvorsprung, an dem der Fluss vorbeirauschte, ehe er über moosbewachsene Klippen in die Tiefe stürzte.
Das Palancar-Tal lag vor ihm wie eine aufgerollte Landkarte. Der Fuß der Igualda-Fälle, mehr als eine halbe Meile weiter unten, war der nördlichste Punkt des Tales. Ein Stück vom Wasserfall entfernt, lag Carvahall, eine Ansammlung brauner Gebäude. Aus den Schornsteinen stieg weißer Rauch auf, wie zum Trotz gegen die allgegenwärtige Wildnis, die das Dorf umgab. Aus dieser Höhe waren die Bauernhöfe kleine rechteckige Flecken, nicht größer als seine Fingerkuppe. Das Land, auf dem sie standen, war sandbraun, mit totem, sich im Wind wiegenden Gras. Vom Wasserfall aus schlängelte sich der Anora zum südlichen Ende des Tales, dabei glitzerten breite Streifen goldenen Sonnenlichts auf seiner Oberfläche. In der Ferne floss er an dem Dorf Therinsford und dem abgelegenen Berg Utgard vorbei. Das Einzige, was Eragon außerdem wusste, war, dass er dahinter nach Norden abbog und ins große Meer mündete.
Nach einer kurzen Rast trat Eragon vom Felsvorsprung herab, schnitt eine Grimasse angesichts des steilen Wegs, der vor ihm lag, und machte sich dann an den Abstieg. Als er unten ankam, kroch bereits die Abenddämmerung heran und ließ Farben und Formen zu grauen Flächen verschwimmen. Nicht weit entfernt schimmerten Carvahalls Lichter in der zunehmenden Dunkelheit. Die Häuser warfen lange Schatten. Außer Therinsford war Carvahall das einzige Dorf im Palancar-Tal. Die Siedlung lag abgeschieden inmitten einer rauen, wunderschönen Landschaft. Bis auf fahrende Händler und Fallensteller fanden nur wenige Reisende den Weg hierher.
Das Dorf bestand aus gedrungenen Holzhäusern mit niedrigen Dächern – einige waren strohgedeckt, andere hatten Dachschindeln. Der aus den Schornsteinen aufsteigende Rauch erfüllte die Luft mit dem würzigen Duft brennender Holzscheite. Die Gebäude besaßen breite Veranden, auf denen die Menschen zusammenkamen, um zu reden und Geschäfte abzuschließen. Gelegentlich erstrahlte ein Fenster, wenn dahinter eine Kerze oder Lampe angezündet wurde. In der kühlen Abendluft hörte Eragon lautstarke Männergespräche und Frauen, die schimpfend versuchten, die Saumseligen zur Heimkehr zu bewegen.
Eragon schlängelte sich zwischen den Häusern hindurch zur Metzgerei, einem ausladenden Gebäude mit massivem Gebälk. Schwarzer Rauch quoll aus dem Schornstein.
Er drückte die Tür auf. Der große Raum war warm und gut beleuchtet durch ein knisterndes Feuer in dem steinernen Kamin. Die Ladentheke nahm die gesamte gegenüberliegende Seite ein. Auf dem Boden lag locker verstreutes Stroh. Alles war peinlich sauber, als würde der Besitzer in seiner Freizeit jede Ritze nach winzigen Schmutzspuren absuchen. Hinter der Theke stand Sloan, der Metzger. Ein kleiner Mann in einem Baumwollhemd und darüber einem langen, blutverschmierten Kittel. An seinem Gürtel hing eine beeindruckende Messersammlung. Er hatte ein bleiches, pockennarbiges Gesicht und seine schwarzen Augen blickten missmutig. Mit einem abgewetzten Putzlappen wischte er die Theke ab.
Sloans Mund verzog sich, als Eragon eintrat. »Sieh mal an, der große Jäger stattet uns Sterblichen einen Besuch ab. Wie viele hast du diesmal erlegt?«
»Keins«, war Eragons knappe Antwort. Er hatte Sloan nie gemocht. Der Metzger hatte ihn immer von oben herab behandelt, als wäre er unrein. Als Witwer schien Sloan sich nur für einen einzigen Menschen zu interessieren – für seine Tochter Katrina, die er abgöttisch liebte.
»Das überrascht mich«, sagte Sloan mit gespieltem Erstaunen. Er kehrte Eragon den Rücken zu, um etwas von der Wand zu kratzen. »Und deswegen kommst du zu mir?«
»Ja«, gab Eragon beklommen zu.
»Na, dann zeig mir erst mal dein Geld.« Sloan trommelte mit den Fingern auf die Theke, als Eragon schwieg und unruhig von einem Fuß auf den anderen trat. »Komm schon – entweder hast du welches oder nicht. Was ist nun?«
»Eigentlich habe ich kein Geld, aber ich …«
»Was, du hast kein Geld?«, unterbrach ihn der Metzger barsch. »Und da glaubst du, du bekommst trotzdem Fleisch von mir! Haben die anderen Händler vielleicht etwas zu verschenken? Soll ich dir meine Ware etwa umsonst geben? Außerdem«, sagte er abrupt, »ist es schon spät. Komm morgen mit Geld zurück. Ich habe geschlossen.«
Eragon funkelte ihn an. »Ich kann nicht bis morgen warten, Sloan. Aber es wird sich für dich lohnen. Ich habe etwas gefunden, womit ich dich bezahlen kann.« Er holte den Stein hervor und legte ihn behutsam auf die zerkratzte Theke, wo er im Lichtschein der tanzenden Flammen aufleuchtete.
»Den hast du wohl eher gestohlen«, murmelte Sloan und beugte sich interessiert vor.
Eragon ignorierte die Bemerkung und fragte: »Wird das reichen?«
Sloan nahm den Stein und wog ihn abschätzend in der Hand. Er strich über die glatte Oberfläche und betrachtete das feine weiße Aderngeflecht darin. Dann legte er ihn mit berechnendem Blick auf die Theke zurück. »Er ist hübsch, aber was ist er wert?«
»Ich weiß nicht«, gestand Eragon, »aber niemand hätte sich die Mühe gemacht, ihn so glatt zu polieren, wenn er nichts wert wäre.«
»Das ist einleuchtend«, sagte Sloan mit aufgesetzter Geduld. »Aber wie viel? Da du es nicht weißt, solltest du zu einem Händler gehen und ihn fragen oder mein Angebot von drei Kronen annehmen.«
»Das ist das Wort eines Geizhalses! Der Stein ist mindestens zehnmal so viel wert«, protestierte Eragon. Für drei Kronen bekam er nicht einmal genügend Fleisch für eine Woche.
Sloan zuckte mit den Schultern. »Wenn dir mein Angebot nicht gefällt, dann warte, bis die Händler kommen. So oder so, ich habe jetzt genug von dieser Unterhaltung.«
Die fahrenden Händler waren eine Nomadengruppe von Kaufleuten und Spielmännern, die im Frühling und Winter Carvahall besuchten. Sie kauften die Überschüsse der ansässigen Handwerker und Bauern und handelten mit allem, was die Leute brauchten, um durch das folgende Jahr zu kommen: Saatgut, Tiere, Stoffe und Vorräte wie Salz und Zucker.
Aber Eragon wollte nicht warten, bis die Händler kamen; es würde noch eine Weile dauern und seine Familie brauchte das Fleisch jetzt. »Na schön, ich nehme das Angebot an«, knurrte er.
»Gut, dann hole ich dein Fleisch. Nicht dass es wichtig wäre, aber wo hast du ihn gefunden?«
»Vorgestern Nacht im Buckel…«
»Raus mit dir!«, keifte Sloan ihn an und schob den Stein von sich. Wutentbrannt stapfte er ans Thekenende und begann, mit einem Messer alte Blutflecken abzukratzen.
»Warum?«, fragte Eragon. Er zog den Stein näher zu sich heran, als wollte er ihn vor Sloans Zorn schützen.
»Ich nehme nichts an, was aus diesen verdammten Bergen stammt! Bring deinen Zauberstein woanders hin.« Sloans Hand rutschte ab, und er schnitt sich mit dem Messer in den Finger, schien es aber gar nicht zu merken. Er kratzte weiter und beschmierte die Klinge mit frischem Blut.
»Du weigerst dich, mir etwas zu verkaufen?«
»Richtig. Außer du bezahlst mit Münzen«, knurrte Sloan, wandte sich um und hob das Messer. »Verschwinde, bevor ich dich rauswerfe!«
Hinter ihnen flog die Tür auf. Eragon wirbelte herum, auf den nächsten Ärger gefasst. Hereinmarschiert kam Horst, ein bulliger Mann. Sloans Tochter Katrina – ein großes, 16-jähriges Mädchen – folgte ihm mit entschlossener Miene. Es überraschte Eragon, sie zu sehen; normalerweise hielt sie sich aus den Streitigkeiten ihres Vaters heraus. Sloan sah vorsichtig zu den beiden hinüber, dann begann er, Eragon zu beschuldigen. »Er weigert sich …«
»Ruhe«, sagte Horst mit donnernder Stimme und ließ seine Fingerknöchel knacken. Er war der Dorfschmied von Carvahall, das bezeugten sein stiernackiger Hals und seine zerkratzte Lederschürze. Seine kräftigen Arme waren bis zu den Ellbogen entblößt; ein breites Stück seines behaarten, muskulösen Brustkorbs war oberhalb seines geöffneten Hemds zu sehen. Ein schwarzer, wild wuchernder Bart bebte im Rhythmus seiner zuckenden Kiefermuskeln. »Sloan, worüber regst du dich denn jetzt schon wieder auf?«
Der Angesprochene warf Eragon einen finsteren Blick zu, dann spuckte er aus. »Über diesen … Jungen. Er kam hier rein und fing an, mich zu bedrängen. Ich bat ihn zu gehen, aber er tat es nicht. Ich habe ihm sogar gedroht, aber selbst das hat er ignoriert!« Sloan schien unter Horsts Blick zusammenzuschrumpfen.
»Ist das wahr?«, wollte der Schmied wissen.
»Nein!«, antwortete Eragon. »Ich habe ihm diesen Stein als Bezahlung für etwas Fleisch angeboten und er hat akzeptiert. Als ich ihm sagte, dass ich den Stein im Buckel gefunden habe, wollte er ihn nicht mehr haben. Welchen Unterschied macht es denn, woher er stammt?«
Horst betrachtete den Stein neugierig, dann richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf den Metzger. »Warum willst du auf den Handel nicht eingehen, Sloan? Ich mag den Buckel auch nicht, aber wenn es um den Wert des Steins geht, bürge ich dafür mit meinem eigenen Geld.«
Die Frage hing einen Moment lang im Raum. Dann leckte Sloan sich über die Lippen und sagte: »Das ist mein Laden. Ich kann hier tun und lassen, was ich will.«
Katrina trat hinter Horst hervor und warf ihr rotbraunes Haar zurück wie eine Gischt geschmolzenen Kupfers. »Vater, Eragon ist bereit zu bezahlen. Gib ihm das Fleisch und dann können wir endlich zu Abend essen.«
Sloans Augen wurden gefährlich schmal. »Geh ins Haus zurück; die Sache geht dich nichts an … ich sagte geh!« Katrinas Züge verhärteten sich, dann marschierte sie hoch erhobenen Hauptes hinaus.
Eragon sah missbilligend zu, wagte es aber nicht einzuschreiten. Horst zupfte an seinem Bart, bevor er vorwurfsvoll sagte: »Na schön, dann verkaufst du eben mir etwas. Eragon, wie viel Fleisch willst du?« Seine Stimme schallte durch den Raum.
»So viel wie möglich.«
Horst zog seinen Geldbeutel heraus und zählte einen Stapel Münzen ab. »Gib mir deine beste Ware. Genug, um Eragons Sack zu füllen.« Der Fleischer zögerte, sein Blick wanderte zwischen Horst und Eragon hin und her. »Mir nichts zu verkaufen, wäre ein sehr törichter Fehler«, stellte Horst fest.
Mit giftigem Blick wandte sich Sloan um und verschwand in den hinteren Raum. Ein lärmender Wirbelsturm aus Hacken, Papiergeraschel und leisem Fluchen drang zu ihnen heraus. Nach einigen unbehaglichen Minuten kam er mit einem Arm voll eingepacktem Fleisch zurück. Mit ausdrucksloser Miene nahm er Horsts Geld entgegen und säuberte dann angelegentlich sein Messer, als wären die beiden gar nicht da.
Horst wuchtete das Fleischpaket von der Theke und ging nach draußen. Eragon lief ihm eilig mit seinem Rucksack und dem Stein hinterher. Die kühle Abendluft wehte ihnen ins Gesicht, erfrischend nach dem stickigen Laden.
»Vielen Dank, Horst. Onkel Garrow wird sich freuen.« Horst lachte leise. »Du brauchst dich nicht zu bedanken. Ich wollte diesem ekelhaften Nörgler schon lange mal eins auswischen; das kann nicht schaden. Katrina hat euch gehört und mich schnell geholt. Zum Glück – sonst hätte es am Ende noch eine Rauferei gegeben. Allerdings wird er dir oder jemandem von deiner Familie wohl beim nächsten Mal nichts mehr verkaufen, selbst wenn ihr Geld mitbringt.«
»Warum hat er sich denn so aufgeregt? Wir sind nie Freunde gewesen, aber unser Geld hat er immer genommen.
Und ich habe ihn auch noch nie so mit Katrina umspringen sehen«, sagte Eragon und schnürte den Rucksack auf.
Horst zuckte mit den Schultern. »Frag deinen Onkel. Der weiß mehr darüber als ich.«
Eragon stopfte das Fleisch in den Rucksack. »Ein Grund mehr, schnell nach Hause zu gehen … denn dieses Rätsel muss ich lösen. Hier, der gehört jetzt dir.« Er reichte ihm den Stein.
Horst lachte. »Nein, behalte deinen seltsamen Stein. Und was die Rückzahlung betrifft: Albriech geht im nächsten Frühjahr nach Feinster. Er möchte Meister-Schmied werden und ich werde einen Helfer brauchen. Du kannst an deinen freien Tagen kommen und deine Schulden bei mir abarbeiten.«
Eragon verneigte sich leicht; er war hocherfreut. Horst hatte zwei Söhne, Albriech und Baldor, die beide in seiner Schmiede arbeiteten. Einen von ihnen zu ersetzen, war ein großzügiges Angebot. »Nochmals vielen Dank! Ich freue mich darauf, bei dir zu arbeiten.« Er war froh, dass sich ihm eine Möglichkeit bot, Horst zu bezahlen. Sein Onkel würde niemals Almosen annehmen. Dann fiel Eragon ein, was sein Cousin ihm aufgetragen hatte, bevor er zur Jagd aufgebrochen war. »Roran wollte, dass ich Katrina eine Nachricht überbringe, aber da ich es jetzt nicht mehr kann, könntest du das vielleicht erledigen?«
»Natürlich.«
»Er lässt ihr ausrichten, dass er nach Carvahall kommt, sobald die Händler hier sind, und dass er sich dann mit ihr treffen wird.«
»Ist das alles?«
Eragon war etwas verlegen. »Nein, er möchte ihr auch sagen, dass sie das schönste Mädchen ist, das er je gesehen hat, und dass er an nichts anderes mehr denken kann.«
Ein breites Grinsen legte sich über Horsts Gesicht und er zwinkerte Eragon zu. »Die Sache wird ernst, was?«
»Ich glaube schon«, antwortete Eragon mit einem verschmitzten Lächeln. »Könntest du ihr auch meinen Dank ausrichten? Es war nett von ihr, sich meinetwegen mit ihrem Vater anzulegen. Ich hoffe, sie wird dafür nicht bestraft. Roran wäre außer sich, wenn ich sie in Schwierigkeiten gebracht hätte.«
»Keine Sorge. Sloan weiß nicht, dass sie mich geholt hat, und darum wird die Strafe, wenn überhaupt, schon nicht so schlimm ausfallen. Möchtest du bei uns essen, bevor du nach Hause gehst?«
»Tut mir Leid, aber ich kann nicht. Garrow erwartet mich«, sagte Eragon und verschnürte den Rucksack. Er wuchtete ihn auf den Rücken, hob zum Abschied die Hand und lief die Straße hinunter.
Das Fleisch war schwer und verlangsamte seine Schritte, aber der Gedanke an zu Hause verlieh ihm neue Kraft. Das Dorf endete abrupt und er ließ die behaglichen Lichter hinter sich zurück. Der wie eine Perle schimmernde Mond spähte über die Berge und warf einen geisterhaften Abglanz des Tageslichts über die Landschaft. Alles wirkte grau und formlos.
Sein Weg war nun fast zu Ende. Er bog von der Straße ab, die weiter nach Süden ging. Ein einfacher Trampelpfad führte durch hüfthohes Gras auf eine Anhöhe, die verborgen im Schatten schützender Ulmen lag. Oben angekommen, hieß ihn das warm schimmernde Licht in den Fenstern willkommen.
Das Haus hatte ein Schindeldach mit einem dicken Schornstein. Dachtraufen ragten über die ausgeblichenen Mauern und beschatteten den Boden darunter. Auf einer Seite der umfriedeten Veranda stapelte sich gehacktes Brennholz, auf der anderen lag ein Wirrwarr von Werkzeugen herum.
Das Haus hatte ein halbes Jahrhundert lang leer gestanden, bevor sie nach dem Tod von Garrows Frau Marian dort eingezogen waren. Es lag sechs Meilen von Carvahall entfernt, weiter abseits als jedes andere Haus. Die Leute hielten die Entfernung für gefährlich, weil die Familie im Notfall nicht auf schnelle Hilfe aus dem Dorf hoffen konnte, aber Eragons Onkel kümmerte das nicht.
Die alte Scheune, hundert Fuß vom Haus entfernt, beherbergte zwei Pferde – Birka und Brugh –, zusammen mit einigen Hühnern und einer Kuh. Manchmal besaßen sie auch ein Schwein, aber in diesem Jahr hatten sie sich keins leisten können. Zwischen den beiden Gebäuden eingekeilt, stand ein Pferdekarren. Am Rande ihres Feldes säumte eine dichte Baumreihe das Ufer des Anora.
Als Eragon erschöpft die Veranda erreichte, sah er, wie sich hinter einem Fenster ein Licht bewegte. »Onkel, ich bin’s, Eragon. Lass mich rein.« Ein Riegel glitt zurück, dann ging die Tür nach innen auf.
Garrow stand mit der Hand an der Tür da. Seine zerschlissenen Kleider hingen an ihm herab wie Lumpen an einem Stock. Ein hageres, ausgemergeltes Gesicht mit eindringlichen Augen schaute unter einem ergrauenden Haarschopf hervor. Er sah aus wie ein Mensch, den man schon halb mumifiziert hatte, bevor man merkte, dass er noch am Leben war. »Roran schläft«, war seine Antwort auf Eragons suchenden Blick.
Eine flackernde Laterne stand auf einem Holztisch, der so alt war, dass die Maserung winzige Furchen bildete, die wie ein gigantischer Fingerabdruck aussahen. Neben dem Ofen hingen an selbst gemachten Nägeln Kochutensilien an der Wand. Eine zweite Tür führte in den hinteren Teil des Hauses. Der Fußboden bestand aus Holzbrettern, die wegen der jahrelangen Abnutzung durch schwer beschuhte Füße ganz abgewetzt waren.
Eragon nahm seinen Rucksack ab und holte das Fleisch heraus. »Was soll das bedeuten? Hast du das Fleisch gekauft? Woher hattest du das Geld?«, fragte sein Onkel streng, als er die eingepackten Fleischstücke sah.
Eragon holte tief Luft, bevor er antwortete. »Nein, Horst hat es für uns gekauft.«
»Du hast ihn dafür bezahlen lassen? Ich habe dir doch gesagt, dass ich keine Almosen annehme. Wenn wir nicht mehr in der Lage sind, uns selbst zu ernähren, können wir ja gleich ins Dorf ziehen. Bevor man sichs versieht, schenken sie einem ihre abgelegten Kleider und fragen uns, ob wir auch durch den Winter kommen.« Garrows Gesicht wurde bleich vor Zorn.
»Ich habe keine Almosen genommen«, schnaubte Eragon. »Horst möchte, dass ich die Schulden im Frühjahr abarbeite. Er braucht einen Helfer, weil Albriech fortzieht.«
»Und woher willst du die Zeit nehmen, um für ihn zu arbeiten? Willst du deswegen hier all die Dinge liegen lassen, die getan werden müssen?«, fragte Garrow mit gepresster Stimme.
Eragon hängte Bogen und Köcher an die Haken neben der Haustür. »Ich weiß noch nicht, wie ich es anstellen werde«, antwortete er gereizt. »Außerdem habe ich etwas gefunden, das uns ein bisschen Geld einbringen könnte.« Er legte den Stein auf den Tisch.
Garrow beugte sich darüber. Sein Gesicht nahm einen hungrigen Ausdruck an und seine Finger begannen, seltsam zu zucken. »Den hast du im Buckel gefunden?«
»Ja«, nickte Eragon. Er schilderte seinem Onkel, was geschehen war. »Und zu allem Unglück habe ich auch noch meinen besten Pfeil verloren. Ich werde demnächst neue schnitzen müssen.« Sie starrten beide in dem schummrigen Licht auf den Stein.
»Wie war das Wetter da oben?«, fragte Garrow und nahm den Stein in die Hand. Er umschloss ihn so fest, als befürchtete er, der Stein könnte plötzlich verschwinden.
»Kalt«, war Eragons Antwort. »Es hat nicht geschneit, aber es gab jede Nacht Frost.«
Garrow schien besorgt über diese Nachricht. »Morgen wirst du Roran bei der Gerstenernte helfen. Und wenn wir auch gleich noch die Kürbisse einsammeln, braucht der Frost uns nicht zu kümmern.« Er reichte Eragon den Stein. »Hier, nimm ihn. Wenn die Händler kommen, werden wir herausfinden, was er wert ist. Ihn zu verkaufen, ist wahrscheinlich das Beste. Je weniger wir mit Magie zu tun haben, desto besser … Warum hat Horst für das Fleisch bezahlt?«
Eragon schilderte in knappen Sätzen seinen Streit mit Sloan. »Trotzdem verstehe ich nicht, warum er so wütend war.«
Garrow zuckte mit den Schultern. »Ein Jahr bevor sie dich herbrachten ist seine Frau Ismira in die Igualda-Fälle gestürzt. Seitdem ist er nicht mal mehr in die Nähe des Buckels gegangen und will auch nichts mehr darüber hören. Aber das ist kein Grund, sich zu weigern, dir etwas zu verkaufen. Ich glaube, er wollte dich einfach nur ärgern.«
Eragon schwankte müde hin und her und sagte: »Es ist schön, wieder zu Hause zu sein.« Garrows Blick wurde weicher und er nickte. Eragon schlurfte in sein Zimmer, schob den Stein unters Bett und ließ sich auf die Matratze fallen. Wieder daheim. Zum ersten Mal, seit er zur Jagd aufgebrochen war, entspannte er sich wieder vollständig, während der Schlaf ihn überwältigte.
Im Morgengrauen fielen die ersten Sonnenstrahlen durchs Fenster und wärmten Eragons Gesicht. Er rieb sich die Augen und setzte sich auf die Bettkante. Der Holzboden unter seinen Füßen war kalt. Er streckte seine vor Muskelkater schmerzenden Beine und rubbelte sich gähnend den Rücken.
Neben dem Bett befanden sich mehrere Regalbretter mit Fundstücken, darunter verdrehte Holzteile, skurril geformte Muscheln, aufgebrochene Steine, deren Inneres geheimnisvoll schimmerte, und Knäuel aus getrocknetem Schilfgras. Einen Gegenstand mochte er besonders – eine Wurzel, die so kunstvoll in sich verschlungen war, dass er nie müde wurde, sie zu betrachten. Ansonsten war das Zimmer bis auf eine Kommode und einen Nachttisch leer.
Er zog seine Stiefel an und starrte nachdenklich zu Boden. Dies war ein besonderer Tag. Fast auf die Stunde genau vor sechzehn Jahren war seine Mutter Selena allein und schwanger nach Carvahall zurückgekehrt. Sie war sechs Jahre fort gewesen und hatte in den Städten gelebt. Als sie zurückkam, trug sie teure Kleider, und ein perlenbesetztes Netz hielt ihr Haar zusammen. Sie hatte ihren Bruder Garrow aufgesucht und ihn gebeten, bis zur Entbindung bleiben zu dürfen. Fünf Monate später wurde ihr Sohn geboren. Alle waren schockiert, als Selena Garrow und Marian unter Tränen anflehte, den Jungen aufzuziehen. Als diese sie nach dem Grund fragten, weinte sie nur und sagte: »Es muss sein.« Ihre Bitten waren immer verzweifelter geworden, bis die beiden schließlich eingewilligt hatten. Sie gab ihm den Namen Eragon und am nächsten Morgen verließ sie das Haus und ward nie mehr gesehen.
Eragon erinnerte sich daran, wie ihm zumute gewesen war, als Marian ihm kurz vor ihrem Tod die Geschichte erzählt hatte. Die Erkenntnis, dass Garrow und Marian nicht seine leiblichen Eltern waren, hatte ihn tief getroffen. Unumstößliche, nie angezweifelte Wahrheiten hatten sich als Irrtum erwiesen. Irgendwann hatte er gelernt, damit zu leben, aber immer wieder hatte der Verdacht an ihm genagt, für seine Mutter nicht gut genug gewesen zu sein. Ich bin mir sicher, sie hatte einen triftigen Grund für ihr Handeln. Ich wünschte nur, ich wüsste, was dieser Grund war.
Und noch eine Frage beschäftigte ihn: Wer war sein Vater? Selena hatte es niemandem erzählt, und wer immer es auch sein mochte, er war nie gekommen, um nach Eragon zu schauen. Der Junge wünschte sich so sehr, ihn zu kennen, wenigstens seinen Namen zu erfahren. Er hätte zu gern gewusst, welches Erbe er in sich trug.
Seufzend ging er zum Nachttisch und spritzte sich kaltes Wasser aus der Waschschüssel ins Gesicht. Ihn fröstelte, als es ihm in den Nacken lief. Erfrischt zog er den Stein unterm Bett hervor und legte ihn auf eines der Regalbretter. Das sanfte Morgenlicht fiel darauf und warf einen warmen Schatten an die Wand. Er strich noch einmal über die glatte Oberfläche, dann eilte er in die Küche, begierig darauf, seine Familie zu sehen. Garrow und Roran saßen schon am Tisch und aßen Huhn. Als Eragon sie begrüßte, stand Roran grinsend auf.
Roran war zwei Jahre älter als Eragon, muskulös, stämmig und bedächtig in seinen Bewegungen. Er und Eragon hätten einander nicht näher stehen können, selbst wenn sie richtige Brüder gewesen wären.
Roran lächelte. »Schön, dass du zurück bist. Wie war die Jagd?«
»Anstrengend«, erwiderte Eragon. »Hat Onkel Garrow dir erzählt, was passiert ist?« Er nahm ein Stück Huhn und schlang es hungrig hinunter.
»Nein«, sagte Roran, woraufhin die Geschichte rasch noch einmal erzählt wurde. Auf Rorans Drängen ließ Eragon das Essen stehen und zeigte ihm den Stein. Roran bezeugte ein zufrieden stellendes Maß an Bewunderung, aber kurz darauf fragte er nervös: »Hast du mit Katrina gesprochen?«
»Nein, nach dem Streit mit Sloan hatte ich dazu keine Gelegenheit mehr. Aber sie wird sich mit dir treffen, wenn die Händler kommen. Ich habe es Horst erzählt und er wird ihr deine Botschaft ausrichten.«
»Du hast es Horst erzählt?«, fragte Roran ungläubig. »Das war etwas sehr Persönliches. Wenn ich wollte, dass es jeder erfährt, würde ich ein Feuer entzünden und Rauchsignale schicken. Wenn Sloan davon hört, wird er ihr verbieten, sich mit mir zu treffen.«
»Von Horst wird er nichts erfahren«, versicherte ihm Eragon. »Er verrät niemanden bei Sloan, dich schon gar nicht.« Roran schien nicht überzeugt, stritt aber nicht mehr mit ihm. Sie kehrten in die Küche zurück und beendeten in Garrows schweigsamer Gegenwart ihre Mahlzeit. Als die letzten Bissen verzehrt waren, gingen die drei zur Arbeit auf die Felder.
Die Sonne war blass und entrückt und spendete kaum Wärme. Unter ihrem wachsamen Auge wurde die letzte Gerste in der Scheune eingelagert. Als Nächstes sammelten sie die Kürbisse ein, dann die Steckrüben, Erbsen, Karotten und Bohnen und verstauten alles im Gemüsekeller. Nach stundenlanger Arbeit streckten sie ihre strapazierten Muskeln, zufrieden, dass die Ernte eingefahren war.
Die folgenden Tage wurden mit Einlegen, Salzen und Enthülsen zugebracht, bis die Vorräte für den Winter haltbar gemacht waren.
Neun Tage nach Eragons Rückkehr trieb aus den Bergen ein teuflischer Schneesturm heran und blieb über dem Tal hängen. Es schneite ununterbrochen, bis alles unter einer dicken weißen Decke lag. Sie verließen das Haus nur noch, um Brennholz zu holen und die Tiere zu füttern, da sie fürchteten, sich im heulenden Wind und in der konturlosen Landschaft zu verirren. Sie verbrachten die Zeit dicht zusammengedrängt vor dem Ofen, während die Windböen an den schweren Fensterläden rüttelten. Nach einigen Tagen legte sich der Sturm endlich und offenbarte eine fremde Welt aus sanft geschwungenen weißen Schneewehen.
»Ich fürchte, bei diesem Wetter kommen die Händler dieses Jahr nicht«, sagte Garrow. »Sie sind jetzt schon spät dran. Wir warten noch ein bisschen, bevor wir nach Carvahall gehen. Aber wenn sie nicht bald eintreffen, werden wir das, was wir noch für den Winter benötigen, wohl im Dorf einkaufen müssen.« Seine Miene war verdrossen.
Als die Tage ohne jedes Anzeichen von den Händlern dahinkrochen, wurden sie immer unruhiger und einsilbiger, und im Haus breitete sich Trübsinn aus.
Am achten Morgen ging Roran zur Straße hinunter und vergewisserte sich, dass die Händler noch nicht vorbeigekommen waren. Sie verbrachten den Tag damit, den Besuch in Carvahall vorzubereiten, und suchten mürrisch alles zusammen, was sich verkaufen ließ. Aus reiner Verzweiflung ging Eragon am Abend noch einmal zur Straße. Als er tiefe Wagenspuren im Schnee entdeckte und dazwischen zahllose Hufabdrücke, rannte er mit einem Freudengeheul zum Haus zurück und brachte neues Leben in ihre Vorbereitungen.
Schon vor Sonnenaufgang luden sie die Überschüsse ihrer Ernte auf den Karren. Garrow steckte das Jahresgeld in einen Lederbeutel, den er sorgsam an seinem Gürtel festband. Eragon legte den eingewickelten Stein zwischen die Gerstenkornsäcke, damit er nicht herunterfiel, wenn der Karren über die holprigen Wege fuhr.
Nach einem eiligen Frühstück legten sie den Pferden das Zaumzeug an und schaufelten den Pfad hinab zur Straße frei. Die Wagen der fahrenden Händler hatten die Schneewehen durchbrochen, was ihnen das Vorankommen erleichterte. Gegen Mittag rückte Carvahall in Sicht.
Im Tageslicht war es eine kleine, zünftige Siedlung, erfüllt von Rufen und lautem Gelächter. Die Händler hatten ihr Lager auf einem leeren Feld am Dorfrand aufgeschlagen.
Wagengruppen, Zelte und Feuerstellen wirkten wie wahllos über den Schnee verstreute Farbtupfer. Die vier Zelte der Troubadoure waren grellbunt geschmückt. Ein steter Menschenstrom verband das Lager mit dem Dorf.
Die Dorfbewohner drängelten sich vor einer Reihe bunter Zelte und Stände und verstopften die Hauptstraße. Pferde wieherten gegen den Lärm an. Der Schnee war platt getrampelt, was ihm eine glasige Oberfläche verlieh; an anderen Stellen hatten Freudenfeuer ihn geschmolzen. Geröstete Haselnüsse gaben den Gerüchen, die durch die Luft zogen, ein würziges Aroma.
Garrow fuhr den Karren an den Straßenrand, stieg vom Bock und band die Pferde an einen Pfosten. Dann zog er ein paar Münzen aus seinem Beutel. »Kauft euch ein paar Leckereien. Roran, du kannst tun, was du möchtest, aber sei rechtzeitig zum Abendessen bei Horst. Eragon, du holst den Stein und kommst mit.« Eragon grinste Roran an und steckte sein Geld ein, während er bereits überlegte, wofür er es ausgeben würde.
Roran machte sich sofort mit entschlossener Miene auf den Weg. Garrow führte Eragon hinein ins Getümmel und bahnte ihnen unter Einsatz seiner Schultern einen Weg durch die Menge. Frauen kauften Stoffe, während nebenan ihre Ehemänner neue Bolzen, Haken oder Werkzeuge begutachteten. Aufgeregt herumschreiende Kinder tollten kreuz und quer über die Straße. Hier wurden Messer feilgeboten, dort Gewürze, und neben ledernem Zaumzeug waren Reihen schimmernder Kochtöpfe aufgebaut.
Eragon starrte die Händler neugierig an. Sie schienen weniger wohlhabend zu sein als im letzten Jahr. Ihre Kinder sahen ängstlich und erschöpft aus und ihre Kleider waren überall geflickt. Die hageren Männer trugen mit ungewohnter Selbstverständlichkeit Schwerter und Dolche und selbst in den Hüftgürteln der Frauen steckten kleine Messer.
Was mag wohl mit ihnen geschehen sein?, fragte sich Eragon. Und warum sind sie diesmal so spät gekommen? Er dachte daran, wie fröhlich sie früher immer gewesen waren, aber heute war davon nichts zu spüren. Garrow schob sich die Straße hinunter, auf der Suche nach Merlock, einem Händler, der auf Schmuck und Edelsteine spezialisiert war.
Sie fanden ihn an seinem Stand, wo er einer Gruppe von Frauen Broschen zeigte. Jedes neue Stück, das er hervorholte, erzeugte bewundernde Ausrufe. Eragon nahm an, dass schon bald etliche Geldbeutel geleert sein würden. Jedes Mal wenn Merlock für seine Ware gerühmt wurde, schien der Händler aufzublühen und ein Stück zu wachsen. Er trug einen Ziegenbart, wirkte völlig entspannt und schien den Rest der Welt mit leichter Geringschätzung zu betrachten.
Die aufgeregten Frauen hinderten Garrow und Eragon daran, den Händler anzusprechen, daher setzten sie sich auf eine Treppenstufe und warteten. Sobald Merlock allein war, eilten sie zu ihm hinüber.
»Was möchten sich die werten Herren anschauen?«, fragte Merlock. »Ein Amulett oder ein Schmuckstück für eine Dame?« Mit einer flinken Drehung zog er aus einer Schatulle eine kunstvoll gefertigte silberne Rose. Das glänzende Edelmetall weckte Eragons Aufmerksamkeit und er betrachtete die Rose bewundernd. Der Händler sagte: »Sie kostet nicht einmal drei Kronen, obwohl sie von den berühmten Silberschmieden in Belatona hergestellt wurde.«
Garrow sprach mit leiser Stimme. »Wir möchten nichts kaufen, sondern etwas verkaufen.« Sofort legte Merlock die Rose zurück in die Schatulle und musterte die beiden mit neuem Interesse.
»Ich verstehe. Wenn dieser Gegenstand etwas wert ist, wollt ihr ihn vielleicht gegen eines oder zwei dieser exquisiten Stücke eintauschen.« Er hielt einen Moment lang inne, während Eragon und sein Onkel beklommen dastanden, dann fügte er hinzu: »Habt ihr den Gegenstand bei euch?«
»Ja, aber wir würden ihn Euch lieber woanders zeigen«, sagte Garrow entschieden.
Merlock hob eine Augenbraue, sagte aber gelassen: »Gut, dann lade ich euch in mein Zelt ein.« Er raffte seine Ware zusammen und verstaute sie sorgfältig in einer eisenbeschlagenen Truhe, die er verschloss. Dann führte er sie die Straße entlang und zum Lager der Händler. Sie schlängelten sich zwischen den Wagen hindurch und gingen zu einem Zelt, das etwas abseits von den anderen stand. Oben war es purpurrot und unten schwarz, besetzt mit bunten Stoffdreiecken, die einander überlappten. Merlock löste den Knoten und schlug die Zeltplane zurück.
Das Zelt war mit allem möglichen Krimskrams und sonderbaren Möbeln wie einem runden Bett und drei aus Baumstümpfen geschnitzten Stühlen voll gestopft. Auf einem weißen Kissen lag ein korkenzieherartig verdrehter Dolch mit rubinbesetztem Knauf.
Merlock schloss die Plane wieder und wandte sich zu ihnen um. »Bitte, nehmt Platz.« Als sie sich gesetzt hatten, sagte er: »Nun zeigt mir, worüber wir uns nicht in der Öffentlichkeit weiter unterhalten konnten.« Eragon packte den Stein aus und legte ihn zwischen die beiden Männer. Merlock griff mit glänzendem Blick danach, dann hielt er inne und fragte: »Darf ich?« Als Garrow nickte, nahm Merlock den Stein in die Hand.
Er legte ihn in den Schoß und griff neben sich nach einem niedrigen Kasten. Darin befand sich eine kupferne Balkenwaage, die er herausnahm und auf den Boden stellte. Nachdem er den Stein gewogen hatte, betrachtete er die Oberfläche unter einer Juwelierslupe, klopfte behutsam mit einem Holzhammer darauf und strich mit der Spitze eines Klarsteins darüber. Er maß Länge und Durchmesser, dann schrieb er die Zahlen auf eine Schiefertafel. Er dachte eine Weile über die Ergebnisse nach. »Wisst ihr, was er wert ist?«
»Nein«, gab Garrow zu. Seine Wange zuckte und er rutschte unruhig auf dem Stuhl herum.
Merlock verzog das Gesicht. »Ich leider auch nicht. Aber so viel kann ich euch sagen: Die weißen Äderchen bestehen aus demselben Material wie der blaue Stein, der sie einschließt. Worum es sich dabei handelt, ist mir allerdings ein Rätsel. Er ist härter als jeder Stein, den ich bisher gesehen habe, sogar härter als Diamant. Wer immer ihn formte, hat Werkzeuge verwendet, die ich nicht kenne – oder Magie. Außerdem ist er hohl.«
»Was?«, rief Garrow aus.
Ein gereizter Unterton schlich sich in Merlocks Stimme. »Habt ihr je einen Stein gehört, der so klingt?« Er nahm den Dolch vom Kissen und schlug mit der flachen Klinge dagegen. Ein heller Ton erfüllte das Zelt und verklang gleichmäßig. Eragon war erschrocken, denn er befürchtete, sein Schatz könnte beschädigt worden sein. Merlock hielt ihnen den Stein hin. »Ihr werdet weder einen Kratzer noch einen Riss daran finden. Selbst wenn ich mit einem Hammer draufschlüge, könnte ich diesem Stein nichts anhaben.«
Garrow verschränkte mit reservierter Miene die Arme. Eine Mauer des Schweigens umgab ihn. Eragon war verwirrt. Ich wusste ja, dass der Stein auf magische Weise im Buckel aufgetaucht ist, dachte er bei sich, aber dass er durch Magie erschaffen wurde? Wofür und warum? »Aber was ist er wert?«, entfuhr es ihm.
»Das kann ich euch nicht sagen«, meinte Merlock mit gequälter Stimme. »Ich bin mir sicher, dass es Leute gibt, die viel bezahlen würden, um ihn zu besitzen, aber diese Leute leben nicht in Carvahall. Ihr müsstet in die südlichen Städte gehen, um einen Käufer zu finden. Für die meisten Menschen ist er bloß eine Kuriosität – nichts, wofür man Geld ausgibt, wenn man praktische Dinge braucht.«
Garrow starrte zur Zeltdecke hinauf wie ein Spieler, der seine Chancen abwägt. »Würdet Ihr ihn kaufen?«
Der Händler antwortete prompt. »Es ist das Risiko nicht wert. Bei meinen Reisen im Frühjahr könnte ich vielleicht einen wohlhabenden Käufer finden, aber sicher ist das nicht. Und selbst wenn ich einen fände, würdet ihr das Geld erst bei meiner Rückkehr im nächsten Jahr bekommen. Nein, ihr werdet euch an jemand anderen wenden müssen, wenn ihr ihn veräußern wollt. Aber mich interessiert noch … Warum habt ihr darauf bestanden, mit mir allein zu sprechen?«
Eragon legte den Stein beiseite, bevor er antwortete. »Weil …« Er schaute den Mann an und fragte sich, ob er genauso aus der Haut fahren würde wie Sloan. »Weil ich ihn im Buckel gefunden habe und das behagt den Dorfbewohnern nicht.«
Merlock warf ihm einen erschrockenen Blick zu. »Ist euch bekannt, warum meine Zunftgenossen und ich uns in diesem Jahr verspätet haben?«
Eragon schüttelte den Kopf.
»Unterwegs wurden wir vom Unglück nur so verfolgt. In Alagaësia scheint das Chaos zu herrschen. Uns plagten Krankheiten, wir wurden angegriffen und ständig mussten wir schlimme Schwierigkeiten überwinden. Weil die Angriffe der Varden zugenommen haben, hat Galbatorix die Städte gezwungen, mehr Soldaten an die Grenzen zu schicken, Männer, die eigentlich für den Kampf gegen die Urgals gebraucht werden. Die Bestien ziehen nach Südosten, in Richtung Hadarac. Keiner weiß, warum, und normalerweise würde es uns nicht kümmern, aber dabei kommen sie durch besiedelte Gebiete. Sie wurden auf Straßen und in der Nähe von Städten gesichtet. Am schlimmsten sind die Berichte über einen Schatten, wenngleich die Geschichten bisher nicht bestätigt wurden. Nicht viele Menschen überleben eine solche Begegnung.«
»Warum haben wir nichts von alledem gehört?«, fragte Eragon entgeistert.
»Weil es erst vor wenigen Monaten begann«, sagte Merlock verdrossen. »Ganze Dörfer waren gezwungen umzusiedeln, weil die Urgals ihre Felder zerstört haben und ihnen der Hungertod drohte.«
»Unsinn«, brummte Garrow. »Wir haben keine Urgals gesehen. Der einzige, den es hierher verschlug, wurde getötet, und seine Hörner hängen heute an der Wand von Morns Schankhaus.«
Merlock hob eine Braue. »Mag sein, aber dies ist ein kleines Dorf, umgeben von hohen Bergen. Es ist nicht verwunderlich, dass ihr noch nichts bemerkt habt. Aber ich fürchte, das wird nicht so bleiben. Ich habe diese Ereignisse nur erwähnt, weil auch hier merkwürdige Dinge im Gange sind, wenn ihr im Buckel einen solchen Stein gefunden habt.« Und mit dieser ernüchternden Bemerkung beendete er das Gespräch, verneigte sich und lächelte unverbindlich.
Garrow und Eragon gingen nach Carvahall zurück. »Was denkst du?«, fragte Eragon.
»Ich werde weitere Informationen einholen, bevor ich mir eine Meinung bilde. Bring den Stein zum Karren zurück, dann kannst du tun, was du willst. Wir sehen uns zum Abendessen bei Horst.«
Eragon drängelte sich durch die Menschenmenge und rannte freudig zum Karren zurück. Sein Onkel würde nun stundenlang mit seinem Handel beschäftigt sein, und er hatte vor, die Zeit zu genießen. Er versteckte den Stein zwischen den Säcken, dann marschierte er mit federndem Gang zurück ins Dorf.
Er ging von einem Stand zum nächsten und sah sich die Waren mit den willigen Augen eines Käufers an, trotz seines mageren Münzvorrats. Als er mit den Händlern sprach, bestätigten sie, was Merlock über die unruhige Lage in Alagaësia berichtet hatte. Ein ums andere Mal hörte er das Gleiche: Die Sicherheit der letzten Jahre ist dahin; neue Gefahren sind aufgetaucht und nirgendwo ist es mehr sicher.
ENDE DER LESEPROBE
9. Auflage Erstmals als cbt Taschenbuch April 2006 Gesetzt nach den Regeln der Rechtschreibreform © 2003 der Originalausgabe by Christopher Paolini Die amerikanische Originalausgabe erschien 2003 unter dem Titel »Eragon – Inheritance Book One« bei Alfred A. Knopf, New York Published by arrangement with Random House Children’s Books, a division of Random House, Inc. © 2004 der deutschsprachigen Ausgabe cbj Verlag, München in der Verlagsgruppe Random House GmbH Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten Übersetzung: Joannis Stefanidis Lektorat: Alexandra Ernst Innenillustration: © 2003 Christopher Paolini Umschlagillustration: © 2003 John-Jude Palencar Umschlaggestaltung: init.büro für gestaltung, Bielefeld lf · Herstellung: CZ Satz: Uhl + Massopust, Aalen
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