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Wieder einmal ist es Sommer, und Stève, der Schriftsteller, denkt zurück. Forellenfischen in glühender Hitze am kühl glucksenden Bach, im wogenden Korn Versteckspiel mit den Nachbarmädchen, ungestüme Vorfreude und fast unerträgliche Spannung – denn zu Hause erwartete ihn Germaine, die zauberhafte Hausgehilfin. «Sei vernünftig und ärgere Germaine nicht!» hatten ihn seine Eltern vor ihrer Abreise ermahnt, nichts ahnend von den beglückenden Entdeckungen ihres Sohnes in den Armen der jungen, aber reifen und vor Zärtlichkeit überströmenden Frau.
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Seitenzahl: 135
Veröffentlichungsjahr: 2018
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André Hardellet
Erdbeeratem
Aus dem Französischen von Werner von Grünau
Ihr Verlagsname
Wieder einmal ist es Sommer, und Stève, der Schriftsteller, denkt zurück. Forellenfischen in glühender Hitze am kühl glucksenden Bach, im wogenden Korn Versteckspiel mit den Nachbarmädchen, ungestüme Vorfreude und fast unerträgliche Spannung – denn zu Hause erwartete ihn Germaine, die zauberhafte Hausgehilfin. «Sei vernünftig und ärgere Germaine nicht!» hatten ihn seine Eltern vor ihrer Abreise ermahnt, nichts ahnend von den beglückenden Entdeckungen ihres Sohnes in den Armen der jungen, aber reifen und vor Zärtlichkeit überströmenden Frau.
André Hardellet (1911–1974) war ein französischer Schriftsteller.
Für Jean-Jacques Pauvert
Ich bin lange Zeit früh zu Bett gegangen – am Morgen. Ich hatte meine Nächte; ich habe sie noch immer, aber sie lassen sich mit den früheren nicht vergleichen.
Fast jeden Abend greife ich gegen 21 Uhr zu einem Buch und strecke mich auf meinem Bett aus. Häufig gebe ich das Lesen schon bald auf; von da ab gerate ich in den Zustand scheinbarer Regungslosigkeit und Stille, in dem ich meine vollkommene Freiheit entdecke. Kein Späher auf den höchsten Erhebungen der schwarzen, blauen Stadt interessiert sich für den winzigen Raum, den ich unter meinem Dach bewohne, und nichts gibt mich seinem Mißtrauen preis. Noch haben sie keine Geräte, mit denen sie subversive Träume aufdecken könnten, aber das kommt noch: auf diesem Gebiet wollen wir ihnen das größte Vertrauen entgegenbringen. Wie ich annehme, liegen noch einige schöne Jahre für solche Exerzitien im dunkeln und im Geheimen vor mir.
Ich erzähle mir Geschichten, von denen nur eine unendlich kleine Zahl das Licht auf dem Papier erblicken wird. Das Schreiben ist eine anstrengende Arbeit: die Wörter auswählen und so aneinanderfügen, daß sie beim Lesen nicht allzu schnell an der Luft verderben und verfaulen! Eine Aufgabe, die in einem solchen Mißverhältnis zu unseren Kräften steht, daß man sich fragt, wie kluge Köpfe es jemals haben wagen können, sie zu übernehmen. Ohne Zweifel – ich spreche hier in meinem eigenen Namen – werden sie sich am Ende voller Überzeugung einreden, daß sie auf diese Weise mit dazu beitragen, eine Wirklichkeit zu erschaffen, die ihnen als Gegenleistung etwas von ihrer Kraft abgibt. Mein Gedanke spinnt und spinnt sich weiter, läßt jeden Zwang unbeachtet, windet sich, taucht und dreht sich mit der unvergleichlichen Gewandtheit einer Fischotter, die im Wasser spielt. Wir alle entwickeln in der horizontalen Lage und mit geschlossenen Augen geniale Fähigkeiten. Wie drängt alles mit unnachahmlicher Ungezwungenheit auf der Aschenbahn des Schlafs heran! Mir ist nichts unmöglich. Ich überfliege das Farnkrautdickicht meiner Jugend und Wege, die sich durch das von Gebüsch bedeckte Land schlängeln, an deren Ende nur das wunderbar gewaltige, willige Gesäß einer Schnitterin warten kann, die am Rand des Waldes eingeschlafen ist. Ihre Schenkel sind breit gespreizt, die Feige der Sonne dargeboten, reif, saftig, in Schweiß, in der Brunst des Erntemonats geschmolzen und zum Verschmelzen bereit. Eine Schnitterin aus Courbet, im Schlaf gekrümmt, fleischig, allein und gut wie das gute Brot, warm und tief. Niemals würde sie Nein sagen.
Hinter ihr jagten wir wie Besessene an jedem Donnerstag her, jenseits des Geheimnisses des Waldes, das sich mit den Händen greifbar und dunkel herabgesenkt hatte, gegen Mittag, wenn sich auf den Feldern, die wir zwischen den Zweigen hindurch erblickten, nur noch ausgespannte Wagen, stehengebliebene Traktoren und Schwärme von Elstern befanden. Wir wußten sehr genau, was wir taten, heuchlerische Burschen, die sich in den Gebüschen herumtrieben und nach Quellen suchten: welch andere Quelle jemals als nur die im geheimsten Winkel des blonden, des paradiesischen Deltas! Am Abend kehrten wir von Brombeeren verschmiert, zerzaust und die Beine von den dornigen Ranken zerkratzt unverrichteter Sache zurück. Die Scheunen brachen unter der Fülle des Heus fast auseinander, und auch unsere kleinen Hoden waren zum Platzen bereit. Zuweilen geschah es von ganz allein, wenn man sich auf der Erde im Gras wälzte. Man mußte warten, bis es getrocknet war. Josyane, Joelle, Denise, wenn es euch nur zugute gekommen wäre!
Ich gelange in jenes Alter, auf jene Ebene der Gelöstheit, in der meine erlebten und meine nur der Phantasie zugehörigen Tage so miteinander verschmelzen, daß ich mich für unfähig erklären muß, sie zu unterscheiden. Im übrigen, wozu auch? Hat nicht jemand einmal behauptet, die Wahrnehmung sei eine echte Halluzination? Alles ist wahr, alles erweist sich als wahr, sobald nur der Zufall mit einem Finger darauf deutet. Wenn, liebe Leute, nach eurem letzten nuklearen Spaß nur noch zwei Kerle einander gegenüberstehen – ein Wahnsinniger und einer, der sich noch seinen Verstand bewahrt hat –, wer wird bei einer Abstimmung dann den Ausschlag geben?
Schwer wie die Bäuche der Bienen, wie der träge Wind, wie die Erinnerung, wie die Farbe des Gewitters, wie die hellen Augen und wie ein Versprechen, das eingehalten wird. Von Milch, Honig und Saft geschwollen. Die Milch von oben, so sahnig, um die gierigen, saugenden jungen Bären zu beschwichtigen. Die Milch der Mitte, die beste, zwischen den ein wenig rosigen, ein wenig lila, ein wenig braunen Falten. Nur ein kleiner Strahl opalisierender Flüssigkeit, von einer unsichtbaren Tropfflasche verspritzt. Ein wenig fade, aber durch Pfeffer und Anchovis der Vulva gewürzt. Davon würde man unmittelbar mit dem Strohhalm oder mit kleinem Löffel ganze Tonnen trinken. Und sie schlägt dort oben aus, stöhnt, rast, ermutigt dich und schüttelt vor Verzweiflung ihre Schmetterlingsflügel. Und du, den Kopf im Schraubstock, der du geduldig dort grast, den Schweinerüssel in der Trüffel, deren Duft niemals auf Flaschen gefüllt wurde, du verachtest deine eigene Lust: nur auf die ihre kommt es an. Diese triefende Catcherin wird dich in der Schere ihrer Schenkel erwürgen. Du keuchst, ganz deiner salzigen Arbeit hingegeben, Arbeiter in den niederen Gefilden. Plötzlich lockert sie den Schraubstock, beschwichtigt ihre Dünung und läßt ihr Keuchen verstummen. Du tauchst mit leuchtendem Gesicht auf und kennst keine andere Befriedigung, als sie gesättigt zu wissen. Du zündest dir eine Zigarette an und ziehst den Vorhang am Fenster auseinander: Männer und Frauen gehen unten vorbei, von denen du nichts weißt – nur ihre flüchtige Erscheinung ist dir bekannt. Menschen, die, wer weiß, auf ein ähnliches Zimmer zueilen und der gleichen Schlappe ausgeliefert sind.
Sie schläft, und dir war keine Ekstase beschieden. Was macht es aus? Du blickst auf die Straße hinab, wo Männer vorbeigehen, die dir ähneln, die dir zu ähneln scheinen. Ich liebe dich – welche Bedeutung haben diese Worte, es sei denn, daß sie ein Geschenk ohne Gegengabe, ohne Gegenwert darstellen?
Ja, man würde ganze Gläser mit ihrem Saft gefüllt trinken, aber selbst die großzügigsten unter ihnen liefern davon nur eine knauserige Probe – während wir …!
Ich kann mir ihr Vergnügen vorstellen, wenn sie die Opfergabe hervorströmen sehen, dieses Feuerwerk, diese Salve, die ihre Haut wie mit Sternen überrieselt, und wenn sie sie immer wieder und wieder hinunterschlürfen, sie genießerisch auskosten und sich dabei von uns nähren.
Du unbekannte Stenotypistin, die diesen schändlichen Text auf der Maschine schreibt, von einer langen Fahrt in der U-Bahn, bei der du hast stehen müssen, ermüdet, ich ahne, daß dein makelloses Höschen schon feucht ist. Gisèle, Pervenche, Sylviane, vielleicht hast du auch deine Regel, bist noch entzückender, bist nachgiebiger, und deine Augen sind von Schatten umrandet. Wer ist dieser Kerl? Wie kann er es wagen, ein solches Zeug zu erzählen? Und ich bin gezwungen, mich dieser demütigenden Prostitution meiner Finger hinzugeben! Aber du weißt, Stenotypistin, daß ich die Wahrheit sage und du deine weiche intime Binde bereits durchtränkt hast. Außerdem ist es weniger langweilig, als etwa einen Bericht über die Struktur des Prägestocks seit Heinrich III. zu redigieren.
Schwerfällig und langsam sind sie. Sie nehmen sich ihre Zeit, um zu glänzen und glänzend zu machen. Ammen, Mütter, Schwestern. Voller Milch, voller Sekretionen und weicher Organe. Ihr anderen, ihr Mageren, ihr Schnellen, macht, daß ihr in eure enge Hölle zurückkehrt.
Germaine war schwerfällig, langsam.
Ich werde mich anstößiger Wörter bedienen (es ist bereits geschehen). Es muß sein. Ich muß euch eurem Schlummer und eurer Heuchelei entreißen und euch erklären, wie die Dinge vor sich gehen.
Brüllt von mir aus die Arbeiter an und ruft, soviel ihr nur wollt, die Staatsgewalt zu Hilfe, ihr müßt mir trotzdem folgendes einräumen: ich bleibe noch immer diesseits eurer verborgenen Vergnügungen und eurer Traumtänze.
Das schönste Wort unserer Sprache (zusammen mit Müßiggang) ist das Wort Fotze.
Die Fotze. Deine Fotze. Zeig mir deine Fotze, Germaine. Hol sie mit deinen Fingern gut aus dem Versteck heraus. Spreize sie, deine Fotze. Die großen Lippen, die kleinen Lippen. Deine Lippen, dein Kuß. Deine Fotze. Die einzige. Eine Fotze. Die Wörter und die Bilder verlieren mit der Zeit und dank der Gewohnheit an Wert. Es handelt sich hier eigentlich um eine wiedererlangte Unschuld (und sollte dieses Wort Unschuld zu einem spöttischen Lächeln reizen, dann kann ich euch versichern, daß ich auf euch pfeife). Überdies muß man Lust daran haben, die primitive, magische Macht der Wörter neu zu beleben. Sobald ich das Wort Fotze außerhalb seines Zusammenhangs höre, trifft es mich immer wieder wie ein Schlag. Die Fotze. Ich lecke mir dabei die Lippen. Die Fotze von Germaine, von Mariechen, von Vanessa und von Yaël. Jeder die ihre mit ihrem Duft, ihrer zierlichen Rundung, ihrem Salz und ihren Schleiern.
So gern ließe ich mir von studierten Leuten, von Ethnologen oder Sprachwissenschaftlern erklären, warum diese fünf Buchstaben das Symbol der Dummheit – unserer Dummheit – geworden sind: diese fünf Buchstaben des Großen Zeremoniells.
Ihr verfluchten Fotzen alle miteinander.
Der Sommer ist da und durchdringt das ganze Haus. Er hat sich mit dem Summen einer Wespe – wo ist sie eigentlich? –, einem Schwall von Düften und dem Geräusch prasselnder Wassertropfen beim Nachbarn, der seinen Rasen sprengt, überall eingenistet. Er herrscht. Seitdem meine Eltern heute früh für zwei Tage verreist sind, ist etwas in Bewegung geraten. Germaine ist da, aber ich höre sie nicht. Die seltsam verschwörerische Neigung der Stille, einander näherzubringen. Ich sitze regungslos auf dem Fensterbrett; das Fenster, das auf den Garten hinausgeht, steht offen, und ich bin im Besitz eines ganzen Tages, dessen Schätze ich noch nicht zu ermessen vermag. Angeln gehen? Nach dem Gewitter der letzten Nacht muß das Wasser etwas trüb sein, und mit der Fliege werde ich leicht mein Dutzend Forellen fangen. Ein Glöckchen läutet an der Tür des Nachbarn, des alten Lathuille; ich höre ihn brummen, und plötzlich verstummt das Prasseln des Gartenschlauchs. Nun sind jenseits der Mauer nur noch Tropfen zu vernehmen, die von Blättern herabfallen – wie ein eng begrenzter Regen, ein winziger, verspäteter Schauer. Das Wasser! Das «Loch» unter den Walnußbäumen der Gloire, oberhalb eines halb im Wasser liegenden Stammes, wo die Dicken ihre Jagdgründe haben und Würmer und Insekten verschlingen, die die Strömung ihnen zuträgt. Und dann die Strömungen, die dicht über die Steine hinwegrauschen und zwischen dem Schilfrohr schäumen. Ich werde mir meine Rute und meinen Korb aus dem Schuppen holen. Ich werde …
Germaine betritt das Eßzimmer, den Raum, in dem ich mich aufhalte. Sie ist das Dienstmädchen meiner Eltern, ein Mädchen aus dem Norden. Sie ist 23 Jahre alt, und ich bin zwölf. Blond, ein wenig ins Rötliche schlagend, Sommersprossen, dicke Lippen und einen Hintern wie eine Traberstute aus Vincennes. Schwer und langsam. Selbstsicher, wirklichkeitsnah und mit aller Welt im Frieden. Später, als ich Werke Maillols gesehen hatte, sollte ich es verstehen. Noch andere als ich haben dieselbe Verdichtung des Glücks bei diesen Mädchen aus reiner Erde und reinem Wasser verspüren müssen.
Was man liebt, liebt man von Ewigkeit an. «Wie geht es dir, mein Böcklein?» – «Maimaine, ich habe dir schon so oft gesagt, mich nicht mehr dein Böcklein zu nennen.» – «Warum nennst du mich dann Maimaine? Wie soll ich dich denn nennen? Stève?» – «Ich bin nicht dein Böcklein. Dein Böcklein ist Michel.»