Eric Pane Grusel-Krimi Sammelband 1 - Eric Pane - E-Book

Eric Pane Grusel-Krimi Sammelband 1 E-Book

Eric Pane

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Beschreibung

Eric Pane Grusel-Krimi Sammelband Nr. 1 2 Romane in großer Schrift beinhaltet die beiden Romane Die Erweckung und Die Loge der Neun Gruseln vom Feinsten

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Wer bist Du? Oder besser gefragt, was bist Du? Im schalen Licht des Vollmonds ging ich die Straße entlang, die hinausführte aus dieser Stadt. Die ausgetretenen Pflastersteine, die schon im Mittelalter hier verlegt wurden, ließen einen stabilen Tritt nicht zu. Ein leichter Moschusduft lag in der kalten Luft dieser Dezembernacht. Meine Hände tief in den Taschen meiner Fliegerjacke ballten sich zu Fäusten. Die Kälte, die ich körperlich nur im Gesicht spüren konnte, fraß sich in meine Seele wie eine Motte in den Pelz.

"Ich habe Angst!" Angst vor dem was kommt. Angst vor dem Grauen, das sich in Form dieses dunklen Schattens die Straße entlang schiebt und unaufhaltsam nach mir greift. Größer und immer größer wird der Schatten, der sich von außerhalb hier hereinfrißt. Bieten die Mauern der Stadt überhaupt noch Schutz? Da, die Straßenlaterne an der Biegung der Straße, die aus der Stadt herausführt. Ihr Licht reicht nicht aus, das Dunkel zu erhellen. Schwarz und kalt liegt dieser Abschnitt der Straße vor mir. Schwarz wie die Nacht. Der Schatten wird größer und immer größer. Schon erreichen seine dunklen Ausläufer die ersten Häuser und drohen sie zu verschlingen. Plötzlich, der Laut eines Schiffshorns dröhnt in meinen Ohren. So laut, als würde ich direkt neben einem Ozeanriesen stehen. Ein Schiff dieser Größe, hier im Schwarzwald? Unmöglich! Wieder dröhnt das Schiffshorn. Wieder zucke ich zusammen. Der Ton ist so laut, daß man ihn auch in 30 Kilometer Entfernung noch hören müßte. Doch in den anliegenden Häusern rührte sich nichts. Kein Fensterladen ging auf, kein Licht aus einem Zimmer erhellte die Straße. Bin ich der einzige Mensch hier, der sehen und hören kann was vor sich geht?

Endlich, eine menschliche Gestalt taucht auf aus der Dunkelheit und läuft auf mich zu. Sie kommt direkt aus dieser Finsternis und läuft, nein rennt die Straße entlang in meine Richtung. Es ist ein Mann schätze ich. Seine athletischen Bewegungen weisen darauf hin. An den Füßen trägt er weiße Turnschuhe, die sich deutlich, ja fast strahlend aus dem Dunkel der Umgebung abheben. Jogginghose und Trainingsjacke tragen die charakteristischen drei Streifen. Ein durchtrainierter Sportler könnte man meinen, der da auf mich zu gerannt kam. Wenn da nicht sein Kopf wäre! Sein Kopf! Sein Kopf ist aus Glas! Das Blut gefror mir in den Adern und die Kälte übernahm die Kontrolle meines ganzen Körpers. Der Gläserne rannte auf mich zu, doch nicht so als wolle er mich bedrohen. Es schien mir eher so, daß er selbst auf der Flucht vor diesem Schatten war.

"Laufen Sie!" "Laufen Sie...!" rief er mir zu und seine Stimme kam mir seltsam vertraut vor. Konnte das möglich sein? Jemand den ich kenne fordert mich zur Flucht auf? Nochmals wiederholte er seine Aufforderung: "Laufen Sie...!" rief er mir zu, als er an mir vorbeihastete und keine Anstalten machte stehen zu bleiben. Auf dem Absatz machte ich kehrt und folgte dem Gläsernen. So schnell mich meine Füße tragen konnten, lief ich davon vor diesem dunklen etwas, ohne auch nur einen Blick darauf erhaschen zu können. Zu groß war meine Angst. Meine Füße bewegten sich auch dann noch, als ich aus dem Bett mit weit aufgerissenen Augen hochschoß. Wieder einer dieser unerklärlichen Alpträume, die mich seit Monaten heimsuchten. Alpträume, die immer stärker und mächtiger zu werden schienen. Je mehr Zeit verging, um so heftiger wurden sie. Sogar einen Therapeuten hatte ich aufgesucht. Dr. Bender, ein erfahrener Psychotherapeut, tippte auf unbearbeitete Kindheitserlebnisse. Kindheitserlebnisse? Ich kann mich nicht erinnern, jemals in meinem Leben und schon gar nicht in meiner Kindheit, einen gläsernen Menschen getroffen zu haben.

* * *

David Garcia Cortes, so hatten sie den geheimnisvollen Jungen genannt, nachdem er vor 26 Jahren an der uralten Pforte des malerischen Klosters Maulbronn abgelegt worden war. Ein verlorenes Findelkind, das zart in einem Körbchen lag und dessen einziger Hinweis auf seine verborgene Identität aus einem simplen Zettel mit dem Namen David bestand. Der damalige, gütige Abt Constantin Roche Garcia Cortes nahm den kleinen Jungen liebevoll auf und gab ihm seinen eigenen Namen. Er bekam die deutsche Staatsbürgerschaft und wurde von Constantin aufgezogen, als wäre er sein eigener, leiblicher Sohn. Wer hätte ahnen können, was sich aus dieser barmherzigen Tat entwickeln würde? Seither erhält das Kloster Maulbronn jedes Jahr eine anonyme, großzügige Spende über 100.000,- Dollar, deren mysteriöse Absender über die ganze Welt verstreut zu sein scheinen. Alle eifrigen Versuche, über den oder die Absender des Geldes etwas über Davids geheime Herkunft zu erfahren, schlugen erfolglos fehl. Abt Garcia Cortes hatte entschieden, das Geld in einen sorgfältigen Treuhandfonds für sein Mündel anzulegen, so dass David sich jetzt und in der Zukunft über seine finanziellen Mittel keine Sorgen machen brauchte. Trotz allem lebte er immer noch innerhalb der schützenden Klostermauern. Er war kein Mönch geworden, auch wenn viele seiner mitfühlenden Brüder sich das gewünscht hätten. Doch irgend etwas tief in seiner Seele hatte ihn immer wieder von diesem Schritt abgehalten.

David war großgewachsen und von kräftiger, beeindruckender Statur. Er trainierte mehrmals die Woche in einem der renommiertesten Fitneßstudios, besaß den 3. Dan in der japanischen Kampfkunst des Aikido und übte sich im mittelalterlichen Schwertkampf. Seine dunkelblonden Haare hielt er stets kurzgeschnitten, was seinem markanten, ausdrucksstarken Gesicht zu noch mehr Ausdrucksfähigkeit verhalf. Trotz seines ansehnlichen Vermögens, war er stets der klösterlichen Erziehung treu geblieben und lebte eher bescheiden. Nur eines konnte er sich nicht verkneifen: seinen alpinweißen, eleganten BMW 335i Coupé. Während ihm das ganze luxuriöse Gedöns seiner Altersgenossen ziemlich gleichgültig war, legte er doch einen großen Wert auf ein angemessenes, stilvolles Transportmittel. Auch wenn der kraftvolle BMW mit 420 PS deutlich übermotorisiert war, hing David leidenschaftlich an diesem außergewöhnlichen Wagen.

* * *

Lorena Baptiste fühlte sich nicht wohl in ihrer Haut. Fast schon bereute sie es, diesen Auftrag angenommen zu haben. Ein Mann, der sich ihr telefonisch als Dr. Kano vorgestellt hatte, forderte ihre Dienste. Die Wahrsagerin hatte sich noch nie geirrt. Doch was dieser Dr. Kano von ihr forderte, kam ihr spanisch vor im wahrsten Sinne des Wortes. Ein stattliches Honorar, im Vorfeld auf ihr Konto überwiesen. Zu niedrig um Verdacht zu schöpfen und zu hoch, um es abzulehnen. Fast schon zögerlich klopfte sie an Tür Nr. 23 des leicht schäbigen Hotels Larnaca, das sich etwas außerhalb der Stadtmitte Sevillas in der Calle Puerto de Oro befand.

„Herein.“ Tönte eine dunkle Stimme aus dem Inneren des Zimmers. Lorena faßte sich ein Herz und drückte die Klinke herunter. Langsam öffnete sie die Tür und trat in ein nur schwach beleuchtetes Hotelzimmer, das auch schon bessere Tage gesehen hatte. Ein so stattliches Honorar stand in krassem Gegensatz zu dieser schäbigen Bude.

„Dr. Kano?“ fragte sie leise in das dunkle Zimmer hinein.

„Der bin ich.“

Jetzt erst erkannte Lorena die Umrisse einer männlichen Gestalt, die in einem Erker des Hotelzimmers stand. Das Gesicht war nicht zu erkennen. Nur schemenhaft zeichnete sich die Gestalt gegen das Licht einer starken Lampe ab, die auf einem Tisch stand und deren Schein direkt auf Lorena gerichtet war.

„Warum diese Lampe?“ fragte sie.

„Verzeihen Sie mir“, antwortete Dr. Kano. „Ein Mann in meiner Position muß auf seinen Ruf bedacht sein.“

„Wie mir mitgeteilt wurde, können Sie ihre Arbeit auch ausführen, ohne mein Gesicht zu sehen. Setzen Sie sich.“

Der Tonfall seiner Stimme ließ Lorena erahnen, daß dieser Mann es gewohnt war, Befehle zu geben und einen Widerspruch nicht duldete. Sie setzte sich auf einen einfachen Stuhl vor den Tisch, immer noch dem Licht der Lampe ausgesetzt. Nur am Rande bemerkte sie, wie die Tür hinter ihr ins Schloß fiel. Wenn sie ihre Augen seitwärts richtete, konnte sie schemenhaft so etwas wie einen Schrank erkennen und ihm gegenüber ein schäbiges Bett.

„Ganz recht“, sagte sie, „ich kann meine Künste ausführen, auch ohne ihr Gesicht zu sehen. Ihre Anwesenheit ist vollkommen ausreichend. Was möchten Sie wissen?“

Dr. Kano war etwas aus seinem Erker hervorgetreten, jedoch ohne Lorena die Möglichkeit zu geben, sein Gesicht zu erkennen.

„Ich habe nur eine einzige Frage.“

„Fragen Sie.“

„Wie werde ich begnadigt?“

Begnadigt? Fragte sich Lorena. Demnach hatte sie es doch mit einer zwielichtigen Gestalt zu tun.

„Nun denn“, antwortete sie, „ich werde sehen, was ich für Sie tun kann.“

Lorena legte beide Hände auf den Tisch, schloß ihre Augen und begab sich in einen Trance ähnlichen Zustand. Sie begann damit, sich mit dem Übersinnlichen zu verbinden. Langsam und wabernd erreichten sie die ersten Bilder. Doch dann!

„Aaah…“ Lorena stieß einen lauten Schrei aus und sprang von ihrem Stuhl auf. „Aufhören…., sofort aufhören!“

Lorena zitterte am ganzen Leib und starrte auf die Gestalt hinter der Lampe.

„Wer sind Sie?“ Lorena rang um ihre Fassung.

„Was haben sie gesehen?“

„Das kann ich nicht beschreiben.“

„Sie müssen, ich habe sie bezahlt!“

„Ich k..kann nicht“, stotterte Lorena. „Ich gebe ihnen ihr Geld zurück. Es ist besser, wenn ich jetzt gehe.“

Noch ehe Lorena sich zur Tür umdrehen konnte, schoß Dr. Kano nach vorne und packte sie mit der linken Hand am Kragen ihrer Bluse.

Jetzt erkannte sie sein Gesicht. Der Mann war alt, sehr alt. Seine schlohweißen Haare waren sorgfältig aus der Stirn nach hinten gekämmt. Das Gesicht war eingefallen und hager, was seinem Aussehen etwas Dämonisches verlieh. Seine Augen starrten auf Lorena, als wollte er sie damit durchbohren.

„Sie müssen, verstehen Sie, Sie müssen. Was haben Sie gesehen?“

„Ich kann es nicht aussprechen, ich werde es ihnen nicht sagen.“

„Dann werden Sie es auch niemand anderem sagen!“ In diesem Moment erkannte Lorena, daß sie einen tödlichen Fehler begangen hatte. Das Grauen, das sie gesehen hatte war zu mächtig, als daß man es jemals irgend jemand erzählen konnte. Sie realisierte, auch wenn sie jetzt sprechen würde, würde das ihr Leben nicht retten. - Vergebung – Vergebung war der letzte Gedanke, den Lorena aufbringen konnte, als sich die stählerne Klinge eines Stillet bereits durch ihre Brust in ihr Herz bohrte.

Ohne eine Miene zu verziehen, ließ Dr. Kano Lorena zu Boden sinken. Mit einem sauberen Taschentuch wischte er die Klinge des blutverschmierten Stillet ab und machte eine Geste in Richtung der Zwischentür, die zu einem weiteren Zimmer des Hotels führte. Vier Gestalten betraten den Raum.

„Laßt sie verschwinden“, befahl Dr. Kano.

„Ja, Herr, so soll es sein.“

* * *

David wurde aufmerksam beobachtet. Doch niemand wusste von diesem heimlichen Beobachter, denn er war kein Mensch. Er war ein düsterer Dämon. Sein Name war Nebruel, auserkoren zu einer ganz besonderen, gefährlichen Mission. Der Höllenfürst selbst hatte ihn dem intriganten Dr. Kano unterstellt. Auch wenn er ein Dämon war, konnte er äußerlich von einem Menschen nicht unterschieden werden. Nebruel hatte, wie alle finsteren Dämonen, die Fähigkeit, in erst kürzlich verstorbene Menschenleiber zu fahren. Ein namenloser, osteuropäischer Obdachloser, der auf der gescheiterten Suche nach dem Glück in der vorherigen Nacht auf einer einsamen Parkbank verstorben war. Nebruel saß auf dem kalten Straßenboden, einen lindgrünen, abgenutzten Parka über den Schultern hängend. Nur wenige Passanten achteten auf ihn, hielten sie ihn doch für einen Obdachlosen, der in seinem vor ihm stehenden Pappbecher bislang nur wenige schäbige Münzen gesammelt hatte. Nebruel beobachtete David, als dieser gerade aus der gegenüberliegenden, belebten Straßenseite zu ihm herüberkam. Noch ehe David etwas Geld dem vermeintlichen Obdachlosen spenden konnte, sprach er ihn an. „Guten Tag David.“ David war überrascht, hatte er diesen Menschen doch vorher noch nie gesehen.

„Du kennst mich?“

„Sicher, ich habe dich schon gekannt, als du noch ganz klein warst.“ „Woher? Aus dem Kloster? Warst du ein Mönch?“

„Nein, “ lachte Nebruel. „Ich war bestimmt kein Mönch.“

Der mysteriöse Dämon hatte Davids Neugier geweckt. „Aber woher kennst du mich dann?“

„Ich habe Hunger, “ antwortete der Dämon, „wenn du mir etwas zu essen gibst, erzähle ich dir alles.“

Davids Interesse war geweckt. Nicht nur, dass er einem Mittellosen etwas spenden wollte, brennender interessierte ihn die Frage, woher dieser Mann ihn kannte?

David und der vermeintliche Obdachlose gingen zusammen in eine naheliegende, gemütliche Bäckerei. Drei belegte Brötchen und einen dampfenden Kaffee spendierte er dem Dämon, ohne zu ahnen, in welcher tödlichen Gefahr er gerade schwebte. Nebruel verspeiste die belegten Brötchen mit Genuß, war es ihm in seiner ursprünglichen Gestalt doch so nicht möglich, etwas zu essen. Dann begann er zu erzählen.

„Ich habe dich schon als kleines Kind gekannt, als deine Mutter dich gerade geboren hat.“

„Du hast meine Eltern gekannt? Wer waren Sie?“

David rang um Fassung. Konnte das wahr sein? 26 Jahre lang war es ihm und den Brüdern des Klosters nicht gelungen, etwas über Davids Herkunft in Erfahrung zu bringen. Jetzt kommt da ein ihm scheinbar völlig Fremder daher und behauptet, seine Eltern zu kennen?

„Du wurdest in ein reiches Haus geboren“, log Nebruel, „deine Eltern waren reiche Leute. Sie haben in Schlierbach gelebt, in einem der Häuser direkt am Neckarufer. Leider kann ich dir den Namen nicht sagen, den habe ich vergessen, es ist alles schon so lange her. Aber wenn du möchtest, kann ich dir das Haus zeigen, daran erinnere ich mich noch.“

„Meine Eltern haben in Heidelberg gelebt?“

„Ja David, wir waren fast so etwas wie Nachbarn, bevor es mit mir bergab ging.“

David war mißtrauisch. Woher sollte dieser Obdachlose ihn kennen, wenn er doch als Säugling bereits im Kloster aufgenommen wurde.

„Wie hast du mich erkannt?“ David wollte ihn prüfen.

„Das war nicht schwer, wer sonst gehört einem Kloster an und fährt einen so teuren BMW? Ein Mönch bestimmt nicht.“

David war noch nicht überzeugt. Auf der einen Seite eine etwas dünne Erklärung. Auf der anderen Seite bot sich ihm vielleicht die Gelegenheit, etwas über seine Herkunft in Erfahrung zu bringen.

„Nun gut, nehmen wir einmal an, daß ich dir glaube. Was willst du von mir?“

„Gott bewahre“, sagte der Dämon in einem sarkastischen Unterton, „ich möchte nichts von dir. Wenn ich dir helfen kann, warum nicht? Soll ich dir das Haus zeigen?“

David überschlug in Gedanken den einfachen Fahrweg nach Heidelberg. Er hatte ja noch Zeit, es war erst am frühen Nachmittag. Hin- und Rückfahrt würden ihn etwa eine Stunde kosten. Nach kurzem Zögern willigte er ein.

„Gut, zeige mir das Haus.“

Nebruel machte es sich in dem neuwertigen Ledersitz des 335i bequem. David war rasch auf die B35 gefahren und schon nach etwa zehn schweigsamen Minuten erreichten sie die A5.

„Du sprichst nicht viel“, bemerkte David.

„Wer will schon hören, was ein armer Mann zu sagen hat?“

David beschleunigte den 335i auf der Autobahn rasch auf Tempo 200. Er wollte keine Zeit verlieren um herauszufinden, ob dieser Obdachlose die Wahrheit sprach oder sich alles nur ausgedacht hatte.

„Erzähl doch mal“, versuchte es David erneut, „wie bist du in diese Lage gekommen?“

„Du willst wissen, warum ich geworden bin was ich bin?“

„Ja“, antwortete David, ohne die Zusammenhänge auch nur erahnen zu können.

„Das will ich dir zeigen“, lachte der Dämon und David erkannte, daß er einen Fehler gemacht hatte. Blitzschnell griff Nebruel in das Lenkrad des 335i und riß es nach rechts. Bevor David reagieren konnte, zog es den alpinaweißen BMW auch schon runter von der Autobahn und er krachte Frontal in die Stützpfeiler einer Autobahnbrücke.

* * *

Blau. Tiefes und doch leuchtendes Blau umgibt mich. Ein Blau wie ich es noch nie in meinem Leben gesehen habe. Leicht, alles ist leicht. Keine Last bedrückt mich, ich bin frei. Unendlich frei. Das Blau geht in ein leuchten und strahlen über, wird heller und heller. Erst Hellblau, dann immer heller bis zu einem strahlenden Weiß. Es ist so hell und doch bin ich nicht geblendet. Da, Gestalten aus der Helligkeit. Menschliche Gestalten. Kommen sie auf mich zu, oder bewege ich mich zu ihnen hin? Ich weiß es nicht.

„Hallo David.“

Ich lausche der Stimme, die in mein Bewußtsein dringt. Ein Meer von Gefühlen umgibt mich. Angenehm weich, als wäre ich in Watte gepackt.

„Wer ist da? Warum kann ich hören? Was ist los mit mir?“

„Ich bin Uriel.“

„Uriel? Der Erzengel Uriel? Das Licht Gottes? Warum kann ich dich nicht sehen? Bin ich tot?“

„Fast. Aber nicht wirklich. Du erlebst gerade einen Zustand innerhalb der Zwischenwelt. Die Zwischenwelt, die zwischen dem Diesseits und dem Jenseits liegt.“

„Wie ist das möglich?“

„Deine Seele hat deinen Körper verlassen. Doch dein Körper funktioniert noch, wenn auch nur schwach.“

Ich hatte schon davon gehört, daß Sterbenden in den letzten Minuten ihr ganzes Leben an sich vorbei gehen sehen.

„Wenn ich nicht tot bin, warum bin ich dann hier?“

„Du bist in Gefahr David! Heute hat ein Dämon dich in eine Falle gelockt. Sein Auftrag war es, dich zu töten.“

„Den Obdachlosen meinst du?“

„Genau der, er war kein Mensch. Er war ein Dämon.“

„Aber warum, warum mich?“

„Du bist auserwählt David. Es ist deine Bestimmung, das Böse zu bekämpfen und für das Gute einzustehen.“

„Wie soll ich das machen? Ich bin nur ein Mensch.“

„Ja David, du bist nur ein Mensch. Aber auch ein Mensch mit besonderen Fähigkeiten! Deine Verletzungen werden schneller heilen als das normalerweise üblich ist. Warum, das erkläre ich dir ein anderes Mal. In Zukunft sollte dich nichts mehr überraschen. Du wirst es mit Mächten zu tun bekommen, von denen du zwar schon gehört hast, allerdings niemals mit ihnen zu tun hattest.“

So viele Fragen habe ich noch. Doch mit einem Schlag ist die Stimme verstummt. Was geschieht mit mir. Ich falle. Ich falle immer tiefer. Angst überkommt mich. Meine Brust schmerzt. Mir ist schwindelig und ich kann mich nicht orientieren. Da, wieder Stimmen. Aber das sind keine sanften Stimmen. Sie sind hektisch, aufgeregt. Mein Kopf dröhnt und ich spüre eine Last auf mir liegen. Eine Last so schwer wie ein Sack Zement.

„Uriel, Uriel…“, ich versuche den Kontakt nicht abreißen zu lassen, doch Uriel, der Erzengel und Licht Gottes, antwortet nicht mehr.

In diesem Moment wird mir klar, dass ich zurückkehren muß, zurück in meinen Körper, zurück in meine Welt. Ich muß kämpfen, das Böse bekämpfen, so wie Uriel es gesagt hat. Ich bin auserwählt, und ich darf diese Bestimmung nicht ignorieren.

Meine Anstrengungen, mich auf die Rückkehr zu konzentrieren, nehmen zu. Ich spüre, wie die Schwere des Sacks Zement nachläßt, wie die hektischen Stimmen in meinem Kopf langsam verstummen. Schließlich fühle ich, wie ich zurück in meinen Körper gleite, wie ein Puzzlestück, das an seinen richtigen Platz fällt.

Meine Augen öffnen sich langsam, und ich sehe die vertraute Umgebung eines Krankenhauses um mich herum. Schmerz durchzuckt meinen Körper, aber ich spüre auch die besondere Kraft, von der Uriel gesprochen hat. Meine Wunden heilen bereits, und ich fühle mich stärker und wacher als je zuvor.

* * *

Abt Constantin, ein Mann mittleren Alters in einer braunen Mönchskutte, stand am Fenster seines Arbeitszimmers und sah auf den Hof hinunter. Es war ein sonniger Tag und das Leben auf dem Klosterhof war wie immer in vollem Gange. Das Kloster Maulbronn ist eine Zisterzienserabtei, die im Jahr 1147 A.D. gegründet wurde. Die Klosteranlage ist von einer gut erhaltenen Mauer umgeben, die sie von der Außenwelt abschirmt. Im Inneren der Anlage befinden sich eine Vielzahl von Gebäuden, darunter die beeindruckende Klosterkirche, ein Kapitelsaal, ein Kreuzgang, ein Refektorium (Speisesaal), Wohnräume für Mönche und Laienbrüder, eine Bibliothek, sowie Arbeits- und Wirtschaftsräume wie Küchen, Backhaus und Stallungen.

Doch seine Gedanken waren woanders. Er machte sich Sorgen um David, er hätte längst hier sein müssen. David war ein sehr zuverlässiger Mensch und Constantin konnte sich seine Abwesenheit nicht erklären. Auch hatte er in letzter Zeit bemerkt, daß David sich immer mehr zurückzog und sich von den anderen Mönchen fernhielt.

Plötzlich wurde die Tür aufgerissen und Bruder Markus, der Sekretär des Abtes, stürmte herein. "Abt Constantin, es ist etwas passiert. David ist verunglückt!"

„Was ist geschehen?“

„Die Polizei hat eben angerufen. Davids Wagen hat sich auf der A5 überschlagen und ist in einen Brückenpfeiler gekracht.“

„Jesus!“ Entfuhr es Konstantin. „Wo ist er jetzt?“

„Sie haben ihn in Bruchsal in die Unfallchirurgie gebracht.“

Constantin zögerte keine Sekunde. Er gab Markus den Auftrag, den Wagen zu holen, kramte hastig noch seine Sachen zusammen und dann fuhren sie los. Während der Fahrt nach Bruchsal sagte keiner von beiden auch nur ein Wort.

Am Krankenhaus angekommen, eilten beide in den Bereich der Unfallchirurgie. Dr. Müller, ein erfahrener Arzt mit grauen Haaren und einem weißen Kittel, trat aus dem Zimmer, um mit Abt Constantin über Davids Zustand zu sprechen.

„Ich muß Ihnen leider mitteilen, dass David schwere innere Verletzungen erlitten hat. Er hat mehrere gebrochene Rippen, und eine davon hat seine Lunge durchstochen. Wir haben ihn sofort operiert und konnten die Blutung stoppen, aber sein Zustand ist immer noch kritisch.“

„Oh mein Gott! Das ist furchtbar. Werden seine Verletzungen langfristige Folgen haben?“

„Es ist noch zu früh, um das zu sagen. Die nächsten 48 Stunden sind entscheidend für seine Genesung. Wir müssen abwarten, wie sein Körper auf die Behandlung reagiert. Aber ich möchte ehrlich zu Ihnen sein: es besteht die Möglichkeit, dass er bleibende Schäden davontragen könnte.“

Constantin beschloß, in Davids Nähe zu bleiben und fragte Dr. Müller, ob er zu ihm gehen könne. Dr. Müller hatte nichts dagegen, trug Constantin und Bruder Markus jedoch auf, sich kurz zu fassen. Abt Constantin und Bruder Markus betraten das Krankenzimmer, in dem David noch verkabelt und an Schläuchen hängend lag. Zu ihrem Erstaunen, war David rein äußerlich nichts anzumerken. Ein so schwerer Unfall und doch waren äußerlich kaum irgendwelche Verletzungen zu erkennen. Abt Constantin sprach ein Gebet, als sie an Davids Bett herangetreten waren. David schlug die Augen auf! Er schaute beide fragend an und Constantin war völlig perplex, ihn in einem solchen Zustand zu sehen.

„David, kannst du sprechen? Was ist geschehen?“

„Ich habe Uriel gesehen!“

Uriel, den Erzengel Uriel, das Licht Gottes? Constantin und Bruder Markus erschraken.

„Ja, Uriel. Er ist mir erschienen, als ich dachte ich wäre tot.“

Nur ganz leise konnte David seine Worte formulieren, so dass Constantin und Markus sich zu ihm hinabbeugen mußten.

„Schone dich, David. Du mußt jetzt nichts sagen. Allein was zählt ist, daß du wieder gesund wirst.“

„Vater Constantin“, David nannte den Abt, der ihm seinen Namen gegeben hatte immer Vater, „etwas unheilvolles steht uns bevor. Es werden schwere Prüfungen kommen. Ein Dämon ist an mich herangetreten.“

„Beruhige dich“, sagte Constantin. „Hier bist du sicher. Wir werden später über alles sprechen.“

Constantin warf Markus einen vielsagenden Blick zu. Dann zogen sie sich zurück. Auf dem Flur trafen sie erneut auf Dr. Müller.

„Sagen Sie, Dr. Müller, war David allein im Wagen oder war noch jemand bei ihm?“

„Seltsam, daß Sie das fragen“, entgegnete Dr. Müller, „tatsächlich war noch eine Person mit ihm im Wagen.“

Dr. Müller machte eine bedeutungsvolle Pause, so als wolle er sich nicht trauen, etwas zu sagen.

„Was für eine Person?“ Constantin forderte ihn auf, weiter zu sprechen.

„Nun ja…, ein Obdachloser, zumindest dem äußeren Anschein nach.“

Wieder legte Dr. Müller eine Pause ein. Constantin und Bruder Markus schauten ihn fragend an.

„Das seltsame ist, daß diese Person zum Zeitpunkt des Unfalls bereits tot war, also nicht durch den Unfall gestorben ist.“

Vater Constantin und Bruder Markus schwiegen.

Constantin hatte beschlossen, die Nacht über bei David im Krankenhaus zu bleiben. Er schickte Markus nach Hause, um die anderen Mönche über das Geschehen zu informieren. In dieser Nacht erzählte ihm David alles, was er gesehen, gehört und getan hatte. Constantin hörte schweigend zu. In dieser Nacht vereinbarten David und Constantin, nichts über diese Vorfälle an die Öffentlichkeit kommen zu lassen. David war in Gefahr, das stand fest. Es galt nun, mit dieser Gefahr umzugehen und sich darauf einzustellen.

***

Als die Männer sich daran machten, Lorenas leblosen Körper zu beseitigen, wandte sich Dr. Kano von der Szene ab und ging in das angrenzende Zimmer. Dort setzte er sich an einen kleinen Schreibtisch, auf dem mehrere Dokumente und Bücher verstreut lagen. Er grübelte über die Worte der Wahrsagerin und über das, was sie hätte sehen können, das so schrecklich war, dass sie nicht einmal darüber sprechen wollte. War es etwas über seine Vergangenheit oder seine Zukunft? War es etwas, das ihn bedrohte oder das seine Pläne vereiteln könnte?

Tage vergingen, und Dr. Kano konnte die Begegnung mit Lorena Baptiste nicht vergessen. Er suchte weiterhin nach einer Antwort auf die Frage, wie er begnadigt werden könne. Er stellte Nachforschungen an, durchwühlte alte Schriften und befragte andere Wahrsager, doch niemand schien ihm die gewünschte Antwort geben zu können.

In der Zwischenzeit verbreitete sich in Sevillas Unterwelt das Gerücht von Lorenas grausamen Tod. Die Polizei hatte keine Spur, und es wurde gemunkelt, dass ein mysteriöser, mächtiger Mann dahinterstecken mußte. Das verschaffte Dr. Kano sowohl Respekt als auch Furcht, und viele wichen ihm aus oder schlossen sich ihm an in der Hoffnung, von seinen Machenschaften zu profitieren. Dr. Kano war in der Unterwelt berühmt und berüchtigt zugleich. Dabei war Kano nicht sein richtiger Name, sondern einer seiner unzähligen Pseudonyme. Im Lauf der vielen Jahre seiner Existenz, hatte er unter den verschiedensten Namen sein Unwesen getrieben. Nur die wenigsten wußten, dass sich hinter ihm die wahrscheinlich mächtigste und einflußreichste Verbrecherorganisation der ganzen Welt verbarg. Selbst die Bosse der Bosse anderer Mafiaorganisationen, wagten es nicht, sich mit Kano anzulegen. Zu grausam und brutal war seine Vorgehensweise. Unendlich weit schien sein langer Arm zu reichen. Dabei war er stets darauf bedacht, seine wahre Identität zu verbergen. Jeder, der es gewagt hatte, zu nahe an ihn heranzutreten, hatte dies mit seinem Leben bezahlt. Kano besaß ein unfaßbar großes Vermögen. Es gab wohl kaum irgendwelche illegalen Aktivitäten, an denen er nicht mitverdiente. Doch statt in einer herrschaftlichen Villa zu leben, zog er es vor von Stadt zu Stadt und von Hotel zu Hotel zu ziehen. Lediglich eine kleine, etwas abseits gelegene Finca in der Sierra Norte, suchte er ab und zu auf. Dort hatte er so etwas wie seinen Hausstand untergebracht.

Kano wußte, dass etwas auf ihn zukam. Eine Macht, größer als er selbst war auferstanden. Kano kannte die Einzelheiten noch nicht, doch er spürte instinktiv die Gefahr. Er packte seine Sachen zusammen und ließ sich durch die engen Gassen Sevillas zum Flughafen fahren und nahm die nächste Maschine nach Deutschland.

* * *

David hatte sich erstaunlich schnell von seinen Verletzungen erholt. Selbst Dr. Müller konnte nicht glauben, wie schnell Davids Wunden heilten. Schon nach wenigen Tagen konnte er das Krankenhaus verlassen. Constantin hatte in der Zwischenzeit einige Kontakte spielen lassen und sprach mit David darüber, was nun zu tun sei.

„Es ist wohl besser für dich David, wenn du Deutschland erst einmal verläßt. Ein Studienfreund von mir leitet in Spanien das Kloster La Cartuja. Das ist bei Sevilla in Andalusien.“ Constantin konnte nicht ahnen, dass er David genau dorthin schickte, wo sein größter Widersacher zu Hause war.

„Ich weiß nicht“, antwortete David, „bin ich denn für diese Aufgaben geeignet? Ich bin doch nur ein einfacher Mensch. Es ist das eine, über diese Dinge zu reden und an Übersinnliches zu glauben. Es mit ihnen aber tatsächlich zu tun zu bekommen, ist noch einmal etwas völlig anderes.“

„Ich verstehe was dich quält“, erwiderte Constantin, „doch wo auch immer unser Herrgott uns hinschicken mag, so ist es das Beste für dich und andere. Gott beruft nicht die Begabten, sondern er begabt die Berufenen!“

„Nach alledem, was mir in den letzten Tagen geschehen ist, werde ich wohl keine andere Wahl haben. Doch ich habe Angst.“

„Es würde mich eher wundern, wenn du keine Angst hättest, David. Was immer auch auf dich zukommen mag, vertraue dich unserem Heiland Jesus Christus an. Er wird dir immer zur Seite stehen. Wie es in Psalm 91.7 geschrieben steht: Fallen auch tausend zu deiner Seite, dir zur Rechten zehnmal tausend, so wird es doch dich nicht treffen.“

„So war es, als mich der Obdachlose töten wollte.“

„Und doch hat er versagt. Unter dem Schutz Gottes stehst du. Bis zu dem Tag David, an dem Gott dich zu sich holt, wird dir nichts passieren. Und an dem Tag, an dem er es tut, wird das nichts verhindern.“

* * *

Dr. Kano landete am frühen Nachmittag in Frankfurt am Main. Er checkte im Frankfurter Messehotel ein, bestellte sich etwas zu essen und wies die Hotelmitarbeiter an, ihn unter keinen Umständen zu stören. Aus seiner Wildleder Tasche packte er einen durchsichtigen Stein, der in drei Hälften zerfallen schien. Doch das schien nur so. Der Stein war kompakt und die drei Spitzen an der Oberseite ragten aus seinem Inneren empor. Kano stellte den Stein in die Mitte des Tisches. Nachdem er das Zimmer fast vollständig abgedunkelt hatte, zog es sich einen Stuhl heran und setzte sich vor den Stein. Dann begann er, in einer uralten Sprache den Stein zu beschwören. In singendem Rhythmus wiederholte er immer wieder die gleichen, uralten Rituale. Dann, erst ganz schwach, dann immer stärker entstand aus dem Inneren des Steines ein rotes Leuchten. Das Leuchten breitete sich aus und nahm die Form einer Blase an. Eine rötlich schimmernde Blase, die wie ein Luftballon aus dem Stein hervorwuchs.

Im Inneren der Blase zeichneten sich die ersten schemenhaften Konturen ab. Eine Person war zu erkennen. Ein junger Mann etwa Mitte zwanzig. Dann Klostermauern. Mönche, die im Inneren der Klostermauer ihren Arbeiten nachgingen. Kano hatte nie verstanden, wie man sich für ein solches Leben entscheiden konnte. Dann wieder der junge Mann.

Ein Name erschallte in seinem Bewußtsein. – David – Das mußte der Feind sein, der ihm zusetzen könnte. David hatte wohl eine Schwäche für schnelle Autos. In Dr. Kanos Gehirn nahm ein teuflischer Plan Gestalt an.

Nun veränderte Dr. Kano seinen Gesang und begann, den Höllenfürst direkt zu beschwören. Lucifers Gegenwart hatte Dr. Kano schon oft verspürt. Inständig betete er Lucifer an. – Schicke mir einen Gehilfen – beschwor er ihn. Er soll David in meinem Auftrag töten. Es dauerte nicht lange, da entstand in seinem Bewußtsein das Bild eines Dämons. Nebruel.

Kano erklärte Nebruel seinen Plan. Er solle in den Körper eines Obdachlosen fahren und sich so David nähern. Dr. Kano wollte unbedingt einen direkten Kontakt mit David vermeiden.

Kaum war die Sonne untergegangen, verlies Kano das Hotel. Er mietete sich einen Wagen und fuhr in die Innenstadt. Er mußte nicht lange suchen, bis er einen der Obdachlosen fand, die gerade hier in der Innenstadt sehr zahlreich waren. Kano fragte den Obdachlosen, ob er sich etwas verdienen möchte. Der Obdachlose stimmte zu und stieg zu Dr. Kano in den Wagen. Doch kaum waren sie etwas aus dem inneren Bereich Frankfurts herausgefahren, bog Kano in einen Feldweg an, stoppte und ehe der Obdachlose erfaßte was vor sich ging, hatte er schon die Drahtschlinge Kanos um den Hals. Seine Gegenwehr war nur schwach und Kano konnte einen weiteren Mord in seiner sehr langen Liste an Morden vermerken.

Danach fuhr er seelenruhig zurück ins Hotel. Den Toten auf dem Beifahrersitz ließ er einfach sitzen.

Zurück in seinem Zimmer begann er wieder damit, den Stein zu beschwören. Nebruel erschien ihm und Kano sagte ihm, wo er den Körper eines erst kürzlich verstorbenen finden konnte. Nebruel bemächtigte sich des toten Körpers. Im Körper des Fremden stieg er aus dem Wagen gerade in dem Moment, als ein Mitarbeiter des Hotels nach der Person im Wagen sehen wollte.

Nebruel setzte sich ans Steuer und fuhr an den Ort, den Dr. Kano ihm mitgeteilt hatte.

Kano selbst saß unterdessen in seinem Zimmer vor dem Stein. Er beobachtete innerhalb der roten Blase was vor sich ging. Nebruel hatte David dazu gebracht, mit ihm auf die Autobahn zu fahren. Im entscheidenden Moment riß er das Steuer herum und der Wagen krachte gegen den Betonpfeiler einer Brücke. Tief befriedigt und erleichtert beobachtete Dr. Kano mit Hilfe des Steins das Geschehen. Nebruel hatte ganze Arbeit geleistet. Fast ging es ihm etwas zu leicht, doch einen jungen Mann ohne große Erfahrung zu töten, erschien ihm nicht als eine besonders herausfordernde Aufgabe. Zufrieden beendete er seine Beschwörungen. Die rote Blase aus dem Stein verschwand. In seinem Zimmer lehnte sich Dr. Kano zurück und lächelte gelassen. Er hatte mit Nebruels Hilfe die Gefahr beseitigt und David, der ihm im Weg stand, ausgeschaltet. Er betrachtete den Stein, den er in seinen Händen hielt, und spürte seine ungeheure Macht.

* * *

"Du hast absolut recht", erwiderte David nachdenklich und entschlossen. "Ich werde nach Spanien gehen und mich dem friedvollen Kloster anschließen. Vielleicht finde ich dort ersehnte Antworten und einen Weg, mit alldem umzugehen. Und vielleicht kann ich dort anderen verängstigten Menschen helfen, die ebenfalls von diesen mysteriösen übersinnlichen Kräften heimgesucht werden."

Constantin nickte zustimmend und mitfühlend. "Das ist eine weise und bedachte Entscheidung, mein treuer Freund. Ich werde alles sorgfältig arrangieren, damit du so schnell wie möglich dorthin gelangen kannst. In der Zwischenzeit solltest du dich weiterhin erholen und auf deine körperliche und seelische Gesundheit achten."

David bedankte sich herzlich bei Constantin für seine unermüdliche Hilfe und Unterstützung und verabschiedete sich dankbar. In den kommenden aufregenden Tagen bereitete sich David auf seine abenteuerliche Reise nach Spanien vor, packte seine persönlichen Sachen und informierte die anderen wohlwollenden Brüder über seine zukünftigen Pläne. Er wusste, dass es eine herausfordernde Aufgabe sein würde, aber er war entschlossen, sich dieser mutig zu stellen.

Als David schließlich im majestätischen Kloster La Cartuja ankam, wurde er herzlich von Pater Mateo, dem fürsorglichen Leiter des Klosters, empfangen. Mateo zeigte ihm die bescheidenen und dennoch gemütlichen Räumlichkeiten und stellte ihn den anderen freundlichen Mönchen und Nonnen vor.

La Cartuja war ein gemischtes Kloster, in dem Mönche und Nonnen gemeinsam lebten und Gott inbrünstig dienten. Das Kloster La Cartuja, auch bekannt als Monasterio de la Cartuja de Santa María de las Cuevas oder einfach als La Cartuja, ist ein historisches und bedeutendes Kloster in Sevilla, Spanien. Es liegt auf der malerischen Isla de la Cartuja, einer Insel im Fluß Guadalquivir, und ist eines der prächtigsten religiösen Bauten der Stadt.