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In "Erinnerungen an Ernst Rietschel" gewährt Berthold Auerbach einen tiefen Einblick in das Leben und Schaffen des bedeutenden Bildhauers Ernst Rietschel. Auerbachs literarischer Stil zeichnet sich durch eine melancholische Reflexion und eine bildhafte Sprache aus, die es dem Leser ermöglicht, die emotionale Tiefe der Charaktere und ihrer kreativen Kämpfe nachzuvollziehen. Das Werk kontextualisiert Rietschels künstlerische Vision innerhalb des 19. Jahrhunderts, einer Zeit des Wandels und der kulturellen Erneuerung, und beleuchtet die Wechselwirkungen zwischen Kunst, Gesellschaft und individueller Identität. Berthold Auerbach, ein prominenter Schriftsteller der deutschen Aufklärung, war selbst stark von den Strömungen seiner Zeit geprägt. Als Angehöriger einer jüdischen Familie, die in der Schwäbischen Provinz lebte, erlebte er die Spannungen zwischen Tradition und Fortschritt, die auch in Rietschels Werk wiederzufinden sind. Auerbachs beständiges Interesse an menschlicher Natur und Kunst machte ihn zu einem idealen Chronisten von Rietschels Leben, das voller Leidenschaft und schöpferischer Visionen war. "Erinnerungen an Ernst Rietschel" ist nicht nur eine Hommage an einen außergewöhnlichen Künstler, sondern auch eine fesselnde Erzählung über die Herausforderungen und Triumphe der kreativen Schaffensprozesse. Dieses Buch ist sowohl für Kunstliebhaber als auch für Literaturfreunde von unschätzbarem Wert, da es die Brücke zwischen Kunst und literarischer Reflexion schlägt und den Leser einlädt, über die tiefere Bedeutung von Kreativität nachzudenken.
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So möchte ich sterben, wie Rietschel. Solchen Ruhm zu erreichen, wie er, ist nur Wenigen vergönnt, aber so gehegt zu sein im Herzen der Freunde, das überragt allen Ruhm, ist größer, als alle Unsterblichkeit des Namens, gemeißelt und geschrieben. – Das waren meine Empfindungen, bald nachdem der erste erschütternde Schmerz vorüber, da ich den Tod des getreuen Freundes vernommen.
„Du hättest sehen können, was nicht so leicht wiederkommt: eine ganze Stadt in Thränen.“ So schreibt mir ein Freund, mich scheltend, daß ich nicht zum letzten Geleit gekommen war. Ich konnte nicht. Und konnte ich dem Abgeschiedenen nicht ein Wort in das offene Grab nachrufen, so will ich versuchen, jetzt, da die ersten Blumen aus seinem Grabe sprießen, einzelne Erinnerungen an ihn aufzuerwecken, mir zum Trost, Andern zur Erquickung.
Oft bereut man es, daß man nicht feste Aufzeichnungen von Lebensbegegnissen machte, und doch glaube ich, hat das wiederum sein Gutes. Das Leben wird bei der Tagebuch-Führung nicht unbefangen aufgenommen, unwillkürlich bildet sich ein Blick nach der Fixirung hin, und die unmittelbare gerade Aufnahme erhält etwas Schielendes. Eines jeden Menschen Leben und Entwicklung muß sich in gewisser Weise halten wie das Leben der Pflanze, die den Sonnenschein, Regen und Thau nicht als solche aufbewahrt; sie verwandeln sich vielmehr in das eigene Leben, das solche Einflüsse aufnimmt. –
Ich habe durch den Tod Rietschel’s einen Freund verloren, wie nicht leicht einer mehr wird. Zehn volle Jahre haben wir in innigem, beständigem Verkehr gelebt. Nie haben wir uns daran erinnert, wann und wie und wo wir einander zuerst kennen gelernt. Das war für uns keine Zeit mehr, es war von jeher nothwendig gewesen. Ich glaube, daß es in den meisten Fällen nicht aus Freude und Vertiefung, sondern aus theilweise unbewußter innerer Lockerung geschieht, wenn man einander die ersten Momente des Bekanntwerdens vergegenwärtigt: Du sahst so und so aus … kamst mir so und so vor … und fast wäre es anders geworden, u. dergl. Solches Heraufbeschwören der Vergangenheit in fragwürdiger Erscheinung, solches Bloßlegen der Wurzeln dient nicht zur Befestigung. In einem wohnlichen Heimwesen denkt man nicht daran, was für Wahrzeichen und Jahreserzeugnisse in den Grundstein gelegt wurden, auf dem das Haus steht …
Indem ich das hier Niedergeschriebene eben überdenke, steht sofort die Gestalt des Freundes vor mir, wie er mir freundlich zulächelt. Glücklich war der Freund, wenn man ihm einen Gedanken in einem Bilde darlegte oder überhaupt in zusammengefaßter Rede sich aussprach. Er klagte oft, daß ihm die Kraft hierzu fehle; er könne das nicht so hergeben, was er in sich habe. Er ließ sich aber auch beruhigen beim Vorhalte, daß die innerste Kraft, zumal des Künstlers, wesentlich nur eine Seite habe, nach der sie sich voll ausdrücke; hätte er die Kraft des Wortes, so würde er sich nicht gedrungen fühlen, seine Worte, seine Gedanken, seine Anschauungen als Figuren herauszumeißeln. Jedes echte Wesen hat seine eigene Sprache, das eine in Farben, das andere in Tönen, das in Erz, das in Worten. – Der Gegensatz unserer beiden Berufsarten trat oft zu Tage. Ich stand jetzt zum ersten Mal und ein volles Jahrzehnt lang im vertrautesten Verkehr mit einem Meister der bildenden Kunst und kannte die Gemüthsbewegungen, die der äußeren Darstellung vorangehen und ständig sie begleiten. Auch den bildenden Künstler verfolgen und begleiten seine Gestaltungen Tag und Nacht auf Weg und Steg; seine Theilnehmung an der Welt ist auch oft nur eine halbe; er hört und sieht und redet und lebt oft wie fremd, wie abwesend in der gegebenen Welt, denn der Hintergrund seiner Seele ist ganz ausgefüllt und gespannt von dem einen Gedanken, von dem einen Gebilde, mit dem er sich trägt, und das Tagesleben erscheint wie traumhaft, wie durch einen Schleier verdeckt. Aber der bildende Künstler hat es leichter, sich der Gespanntheit seines Wesens durch Fixirung seiner Vorstellung zu entledigen, und er hat einen großen Vorzug vor dem Dichter, daß er sein inneres Schauen dem teilnehmenden Freundesblick zu einer einzigen Betrachtung vor Augen stellen kann, während wir an das Nacheinander des Wortes gebunden sind und dadurch nur schwer von fremder Anschauung bestätigt oder berichtigt werden können.
Ich betrachte es als ein großes Glück, daß ich theilnehmcn konnte an dem Wirken und Schaffen eines Mannes, der in erster Reihe zu denen gehört, die die Größe unseres zeitgenössischen Culturlebens bilden. –
Das Jahr 1846 gehört zu den glücklichsten meines Lebens. Ich hatte mich schon im Vorfrühling in Dresden angesiedelt, das ich im Herbste vorher kurz besucht hatte. Es war ein Kreis trefflicher Freunde, in den ich mich bald eingeschlossen fühlte. Ich weiß nicht wie es kam, schon in der ersten Zeit hatte ich ein ganz besonders vertrauliches Verhältniß zu Rietschel. Ich traf ihn eines Nachmittags bei Robert Reinick, und dieser sagte: „Es kommt mir widersprechend vor, daß man „Sie“ zu Dir sagt.“ – „Und mir auch“ stimmte Rietschel bei. Wir umarmten uns alle Drei, und der gute Reinick war so voll von dieser Stunde, daß er sagte: „Wir können jetzt nicht in der Stube bleiben, wir müssen in’s Freie.“ Wir gingen hinaus in den hellen Frühlingsabend, dort den Weg nach Blasewitz, am „weiten Kirchhof“ vorbei, wo jetzt Reinick ruht, nach dem Birkenwäldchen, und dann an der Elbe entlang nach der Stadt zurück. Die Sonne ging prächtig unter über den Lößnitzer Höhen, und ich weiß nicht mehr wer von uns es sagte: „Das sind Stunden, das sind Blicke in’s Leben, um derentwillen es sich verlohnt auf der Welt zu sein.“
Wir saßen dann noch bis spät in der Nacht dicht am Elbufer, im sogenannten italienischen Dörfchen, bei Speise und Trank; und hier, wie später noch oft, war viel davon die Rede, daß die blasirte Welt jedes heiße Empfinden, jedes treue, innige Versenken in die Tiefe des Augenblicks und in das Leben des Andern gern mit dem Ketzerwort „sentimental“ brandmarken möchte. – Rietschel sagte mir damals, daß er in den nächsten Tagen ein Relief von mir machen wollt. Ich arbeitete in jenem Sommer an der Erzählung „die Frau Professorin“, und daneben wurde das Buch „Schrift und Volk“ vollendet. Auch der „Gevattersmann“ war im vollen Gang, wozu mir Ramberg bereits einige treffliche Zeichnungen machte. Alles war voller Leben, und die Nachmittagsstunden, die ich in Rietschel’s Atelier und dann im kühlen Schatten der Linden auf der Terrasse mit ihm zubrachte, waren voll innerster Erquickung. Wir erzählten einander die Geschichte unseres Lebens, und ich will es nur gleich hier sagen: daß wir Beide uns aus kümmerlichen Verhältnissen heraufgearbeitet, daß wir Hunger und Noth in der Jugend kennen gelernt hatten, das bildete immer einen tiefen Grundton unserer Vereinigung. Oft und oft kam Rietschel wieder darauf zurück, daß wir uns am besten verstehen, weil wir Beide Noth und Elend kennen gelernt. Eine gewisse Zaghaftigkeit und – daß ich es nur geradezu bekenne – eine gewisse Verletzlichkeit, die Jedem, der seine Jugend in Noth verbracht, lebenslang anhaftet, verstanden wir Beide am besten zu erkennen und einander zu deuten. Jenes übermüthig Angrifsslustige, jenes schnell Fertige, jene zu Schutz und Trutz gerüstete Geistesgegenwart, die der hat, der immer gesichert im Leben stand, sich nie zu beugen, zu demüthigen, stille zu sein hatte, wie der in Armuth steht und Wohlthaten zu empfangen hat – das legten wir einander hundertfältig aus. Aber Armuth und Noth giebt auch etwas Besseres und Höheres. Man lernt die Wahrheit, die Güte, die Opferwilligkeit und freundliche Hegung der Menschen kennen, wie ein auf sich Gestellter, in geschützten Verhältnissen Erwachsener sie nie erfährt. Es bildete jetzt und später oft den Gegenstand unseres Gesprächs, daß wir es nicht verstehen könnten, wie Menschen leben mögen, die nicht an die wahrhafte Güte, an den Edelsinn und die Reinheit in der Welt glauben; und noch mehr, wie es Künstler geben kann, die das Schöne, das Wahre, das Höhere bilden und schaffen, und doch der Ueberzeugung sind, daß es in Wahrheit in der Welt nicht besteht.