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Wir haben alle jemanden, in dessen Geschichte wir das Dunkle sind. Ava konnte vielen Schattenwanderern Erlösung bringen. Aber wird sie es schaffen, auch die Verbliebenen zu retten? Sie wird in die Enge getrieben und die Grenzen zwischen ihrem Menschenleben und der Schattenwelt verschwimmen. Ihr steht eine schwere Aufgabe bevor, die sie ohne die Unterstützung ihrer Verbündeten bewältigen muss und während sie um ihre Verluste trauert. Wie kann sie weiter die beschützen, die sie liebt?
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Seitenzahl: 271
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Für das Interesse an meinem Werk bin ich überaus dankbar. Diese Geschichte soll für dich jedoch keine Bürde sein. Wenn sensiblere Inhalte, wie z. B. Tod, Trauerprozess, Darstellungen von Gewalt und/oder der Konsum von Rauschmitteln dir zusetzen, würde ich dir davon abraten, weiterzulesen. Pass auf dich auf.
Für euch Träumer.
»Wenn du an die Zukunft denkst und ich bin nicht da. Bricht es dir das Herz?« »Es pulverisiert mein ganzes Sein.«
Maisie
Kapitel 1
Ava
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Epilog
Unsere Niederlage war bereits eine Woche her und Ben seitdem verschwunden. Zumindest glaubten das alle. Ich hingegen wusste ganz genau, wo er war, behielt es aber für mich. Er hatte niemanden vorgewarnt, auch mich nicht, aber ich wollte ihm Zeit zum Trauern geben.
Seine Abwesenheit hinterließ ein großes Loch. Mit jedem Tag, der verging, wurde das deutlicher. Unsere Gruppe war zerrüttet. Wir waren planlos, hilflos und mussten uns neu aufstellen. Ohne Ben fehlte die Zuversicht, der Kleber, der uns zusammenhielt.
Außerdem wog mein Gewissen schwer und ich hatte Angst. Ein ungewohntes Gefühl für mich, das mich noch nervöser werden ließ. Es wurde immer schwieriger, vor den anderen zu verbergen, was ich getan hatte und was in mir vorging. Die Kontrolle entglitt mir zusehends.
Ich musste Ben reinen Wein einschenken. Er hatte die Wahrheit verdient und ich brauchte ihn. Die Vorstellung, ihn um Hilfe zu bitten, fühlte sich an, als würde ich einen viel zu engen Pullover tragen. Es gefiel mir nicht, so bedürftig zu sein, aber wenn jemand wusste, was zu tun war, dann Ben.
»Was willst du, Maisie?«, grollte es hinter der geschlossenen Tür.
Irritiert hielt ich inne. Meine Faust schwebte nutzlos in der Luft. Ich war gar nicht dazu gekommen, anzuklopfen.
Natürlich konnte er mich auch durch die Tür hindurch spüren. Die Aura war wie eine Duftwolke, die uns weitläufig umgab. Wir konnten sie überall erkennen. Egal, welche Hindernisse sich zwischen zwei Schatten befanden.
Trotz dieses Umstands behielten wir die menschlichen Verhaltensweisen jedoch bei, wenn es um Konversation ging. Wir klopften an, begrüßten und verabschiedeten uns. Wir warteten auf bestimmte Aktionen und reagierten entsprechend darauf, um uns unsere Menschlichkeit zu bewahren.
Aber ich hatte nicht geklopft. Ben hatte die Geste übersprungen und nicht gewartet. Was bedeutete es, dass er diese Gepflogenheiten in den Wind schoss?
Ich befand mich in meiner menschlichen Gestalt, die auf meine Befangenheit mit einer gerunzelten Stirn reagierte. Kurzerhand packte ich den Griff und drückte ihn runter. Die Tür schwang nach innen auf und ich konnte den sanften Umriss eines Menschen aufgeregt von ihrem Stuhl aufstehen sehen. Eine kleine Frau mit krummem Rücken. Während sie zur Tür eilte und hektisch auf den Flur hinausschaute, betrat ich gemächlich den Raum und konnte ein Schmunzeln nicht unterdrücken.
Menschen. Manchmal vermisste ich die Zeit, in der ich sie in den Wahnsinn getrieben hatte. Auch, wenn ich es nur getan hatte, um dem Namenlosen auf die Nerven zu gehen.
Sofort meldete sich mein schlechtes Gewissen. Ich war nie so weit gegangen, dass es bleibende Schäden in den Individuen hinterlassen hätte, aber Bens Einfluss hatte ganze Arbeit in mir geleistet. Jetzt tat mir leid, was ich getan hatte.
Er saß am Fenster und hatte mir den Rücken zugewandt.
»Warum ziehst du dich immer gerade hierher zurück?«, fragte ich und hob eine Augenbraue, während ich den Blick über die kitschigen Familienfotos schweifen ließ, die die Wand pflasterten. Ich hatte ihn schon oft danach gefragt, was ihn an diesem Ort reizte, und bekam einmal mehr keine Antwort darauf.
Die Frauengestalt hatte die Tür mittlerweile wieder geschlossen und sich zurück an den Schreibtisch gesetzt. Wir waren mit ihr in einem Raum, aber sie hatte natürlich keine Ahnung davon.
Und schon wusste ich, wie ich Bens Aufmerksamkeit auf mich lenken konnte. Ein Lächeln formte sich auf meinem Gesicht, während ich die Hand zur Seite ausstreckte und leicht mit den Nägeln über die Wand strich. Sofort reagierte der Mensch auf das Geräusch. Sie hielt inne und horchte.
»Maisie!«, knurrte es vom Fenster zu mir heran und es fiel mir schwer, das Schaudern zu unterdrücken, das es in mir auslöste.
Stattdessen zwang ich mich zu einem Augenrollen und ließ mich ihm gegenüber in einen Sessel fallen. Das Knarren führte dazu, dass der Mensch erschrocken zu uns herumfuhr.
Die plötzliche Bewegung ließ Ben den Blick vom Fenster reißen und mich anfunkeln.
Welche Geräusche wir in die Menschenwelt leiteten, konnten wir kontrollieren. Er wusste also, dass es Absicht war.
»Ups«, machte ich und hielt unschuldig die Hände vor den Mund. Seine Gesichtszüge blieben hart. Er verstand keinen Spaß. »Was denn? So hat sie was Interessantes zu erzählen, wenn sie das nächste Mal ihre Freundinnen zum Tee trifft«, sagte ich und zuckte mit den Schultern.
»Sie trifft ihre Freundinnen zum Tee?«, wiederholte er und seine Miene gab keinen Aufschluss darüber, was er dachte.
»Klar.« Theatralisch wirbelte ich die Hand in der Luft und drehte den Körper im Sessel, um die Beine über die Armlehne zu schlagen. »Oder zum Kaffee. Oder Kuchen. Oder was auch immer Menschen nun mal so treiben.«
Ohne ein weiteres Wort wandte Ben sich ab und schaute wieder aus dem Fenster.
Erneut runzelte ich die Stirn und musterte ihn aufmerksam. Ich war hergekommen, um zu sehen, wie er mit unserer Niederlage zurechtkam.
Die Aura eines Schattens war unsichtbar und so glatt wie die Oberfläche eines ruhigen Sees. Seit seiner Rückwandlung vom Biest pulsierte Bens jedoch unentwegt. Sie erinnerte eher an das geschäftige Treiben eines Bienenstocks. Es war schwer, sich in seiner Nähe aufzuhalten, weil es einen schnell in den Wahnsinn trieb.
Ein Gefühl von Überreiztheit stieg in mir auf, was nicht an seiner Aura lag, aber es unterstützte.
»Und? Gibt es nun einen bestimmten Grund, wieso du hier bist?« Seine Stimme hatte diesen gereizten Unterton und er würdigte mich keines Blickes.
»Was denkst du denn, was ich will?«, fragte ich zurück, während ich versuchte, die Unruhe in mir unter Kontrolle zu bekommen. Meine Konzentration verstreute sich in alle Winde und es machte mir Mühe, sie wieder zusammenzusetzen.
Plötzlich spürte ich, wie etwas an meinem Bewusstsein zupfte und der Schrecken darüber, schien all die Geister zusammenzutrommeln. Wäre ich eine Katze, so hätte sich mir das Fell aufgestellt. Es war ein Gefühl, dem ich schon lange nicht mehr ausgesetzt war. Und es war das Letzte, womit ich gerechnet hätte.
Meine steinerne Fassade wurde brüchig. Ich sprang auf, als hätte mir jemand einen Schwall Wasser vor die Füße gekippt. »Mach das nie wieder«, zischte ich mit weit aufgerissenen Augen.
Ben hatte versucht, nach meinem Bewusstsein zu greifen.
»Entspann dich.« Seine Worte begleitete ein hohles Lachen. Als er mich ansah, war seine Miene aber kühl.
Ungläubig starrte ich ihn an und beobachtete, wie sich der dunkle Rauch aus seinen Augen zurückzog und wieder das helle Grau zum Vorschein kam.
»Sag mir doch einfach, was du willst«, forderte er nüchtern. Nichts an ihm verriet mehr, was er einen Wimpernschlag zuvor versucht hatte. Welche Grenze er bereit war, zu übertreten. Ich hatte es nicht kommen sehen. Zu sehr war ich von meinem inneren Kampf abgelenkt gewesen.
Ben schnipste mit den Fingern. »Maisie«, rief er ungeduldig.
Wut stieg in mir auf und entlud sich in meiner Stimme. »Wir haben den Kampf verloren. Ein paar der Schatten hat es wirklich schlimm erwischt, Ben. Mian ist weg«, knurrte ich. »Und du bist einfach verschwunden. Verkriechst dich hier und schaust aus dem Fenster. Die anderen fragen nach dir.«
»Das ist mir egal«, entgegnete er. Das konnte nicht sein Ernst sein. Ben war keiner, dem gleichgültig war, wie seine Familie sich fühlte. Er hatte sich immer um uns gesorgt, war unser Anführer und Freund.
»Ach ja?«, äußerte ich harsch. »Warst es nicht du, der mir erklärt hat, dass wir alle verbunden sind? Dass wir zusammenhalten müssen? Wo ist dieses ganze Gerede jetzt?«
»Es ist …« Sein Kopf senkte sich und eine Dunkelheit legte sich über seine Augen. »… egal.«
Plötzlich war mein Bewusstsein im ganzen Raum. Meine Wahrnehmung erstreckte sich über jeden Zentimeter des Zimmers. Ich brauchte einen Moment, um es zu realisieren. Meine Schattengestalt war in den Vordergrund gesprungen. Hatte sich selbstständig gemacht. Ohne dass ich es beabsichtigt hatte, war mein Körper regelrecht zerplatzt und verteilte sich über die gesamte Fläche des Büros. Schon wieder. Es war unmittelbar nach dem Kampf schon einmal passiert, als wir mit Cam die Verluste sichteten.
Die Schemen des menschlichen Schattens zeigten, wie sie die Jacke enger zog, als die Kälte meines Selbst sie einhüllte.
Ben warf die Arme in die Luft. »Ist das nicht etwas zu dramatisch?« Er wartete mit belustigter Miene. Als ich nichts veränderte, rollte er mit den Augen. »Schon gut. Das hätte ich nicht sagen sollen. Hab’s verstanden.«
Er glaubte, dass ich das bewusst machte. Dass ich in meine Schattengestalt wechseln und sie im Raum freisetzen wollte. Aber so war es nicht. Sie hatte sich verselbstständigt und ohne meine Kontrolle reagiert.
Scham legte sich über mich und ich versuchte angestrengt, zurück in meine menschliche Gestalt zu finden, aber es funktionierte nicht. Und dann kroch es in mir hoch. Verwirrung. Angst.
Meine Versuche waren wie Finger, die verzweifelt versuchten, Halt zu finden, um mich vor einem Absturz zu bewahren. Aber ich kam dem Boden immer näher.
Bens Kiefer mahlten. »Was soll das?«, knurrte er.
Seine Anspannung war greifbar und ich sorgte mich, was er als Nächstes tun könnte. Er hatte schon versucht, in meine Gedanken einzudringen. Was, wenn er die Beherrschung verlor?
Würde er entdecken, dass etwas mit mir nicht stimmte? Vielleicht hätte er eine Erklärung für mich … Oder aber er würde mich als Bedrohung sehen.
In diesem Augenblick spürte ich einen Ruck. Etwas in mir schien einzurasten und ich zog mich wie ein Gummiband zusammen. Die Wucht, mit der ich wieder auf menschlichen Beinen ankam, ließ mich gegen den Sessel stoßen. Das Wackeln brachte die Gestalt dazu, erneut herumzufahren.
Einen Augenblick lang fiel es mir schwer, die Orientierung wiederzufinden. Ich japste und ließ misstrauisch die Hände über die Rückenlehne fahren. Ob ich wirklich wieder die Kontrolle über mich hatte, wusste ich nicht. Für den Moment schien es so.
»Was ist mit dir?«, fragte Ben und runzelte die Stirn.
Ich schüttelte den Kopf und zwang mich augenblicklich zur Ruhe. »Nichts.«
»Geht’s dir nicht gut?« Plötzlich war der empathische Ben wieder da. Der es verurteilte, wenn ich einen Pfifferling auf die Gepflogenheiten gab, und der sich sorgte, wenn ein Schatten litt. Genauso, wie ich es von ihm kannte.
Wärme stand in seinen Augen und er machte Anstalten, sich mir zu nähern.
»Du wirst gebraucht«, erklärte ich schnell und meine Stimme war härter, als ich es beabsichtigte.
Sofort verdüsterte sich sein Gesicht wieder. »Ich kann für niemanden etwas tun. Keiner braucht mich.«
»Das stimmt nicht –«
Er fuhr aus dem Stuhl hoch. Seine Stimme war leise, aber die Augen schnitten wie Laser in mein Fleisch. Hinter ihm sammelte sich eine Dunkelheit, die nach und nach die Wand verschluckte.
»Es war alles umsonst. Diese Schatten haben sich darauf verlassen, dass wir die Klinge bekommen.« Während er sprach, musste ich mich zusammenreißen, um nicht vor ihm zurückzuweichen. »Sie haben alles gegeben. Aber wir haben die Klinge nicht. Ich habe einen Schatten eliminiert. Und –«
Plötzlich fiel alle Intensität von ihm ab. Seine Lider wurden schwer und er warf einen Seitenblick zum Fenster. Die Dunkelheit zog sich zurück.
Er musste nicht weitersprechen. Ich wusste schon, was er hatte sagen wollen. Mein schlechtes Gewissen pikste mir in die Eingeweide und hinterließ dort schmerzende Einstichstellen.
»Es geht ihr gut«, flüsterte ich, nachdem ich tief Luft geholt hatte.
Seine Augen schlossen sich und er schnaubte. »Ava ist beim Namenlosen. Sie ist verloren.«
Der Ton seiner Stimme ließ Gänsehaut über meine menschliche Gestalt kriechen und es kribbelte unangenehm an meinem Hinterkopf. Sie war so voller Traurigkeit, Schmerz und Resignation. Er tat mir leid, was mir nur noch mehr zusetzte.
Niemals könnte ich ihm verraten, was ich getan hatte.
Dass es auf Avas Wunsch hin passiert war, wäre für ihn sicher kein akzeptabler Trost. Die Wahrheit war, dass Ava vom Namenlosen geschnappt werden wollte. Nur so konnte sie an den Griff kommen und den Dolch zusammensetzen. Sie hatte gewusst, dass Ben das niemals erlaubt hätte, dagegen gewesen wäre. Deshalb hatten wir vereinbart, dass ich ihn ablenkte, und ich hatte zwei Biester auf ihn losgelassen, als der Nebel plötzlich verschwunden war. So konnte er nicht dazwischengehen, als der Namenlose Ava holte.
»Du weißt, was Avas Vater tun musste, um am Leben zu bleiben«, flüsterte er mit brüchiger Stimme. »Glaubst du, dass sie das kann?«
Wieder ein Stich der Schuld in meinem Bewusstsein. Ein tiefer, der ein klaffendes Loch hinterließ. Ich wollte es ihr sagen. Sie darauf vorbereiten, was ihr bevorstand. Aber ich hatte es nicht gekonnt. Die Worte wollten meine Lippen einfach nicht verlassen.
Ava war so entschlossen und ich hatte eine Möglichkeit gesehen, wie wir den Namenlosen endlich loswürden. Ich konnte es ihr nicht sagen.
»Sie kann das«, sagte ich mit festem Blick. »Sie wird alles tun, um die zu schützen, die sie liebt.«
Dessen war ich mir sicher. Dabei dachte ich an ihre Familie. Aber auch an ihn.
Oder ich redete es mir ein, damit ich mir nicht eingestehen musste, dass die egoistische Maisie in mir einmal mehr gewonnen hatte. Hatte ich Ava in den Tod geschickt, für die kleine Wahrscheinlichkeit, dass sie einen Weg fand, den Namenlosen zu töten?
Bens Blick brannte auf mir. Ich konnte seine Gedanken nicht deuten und hatte plötzlich das Bedürfnis vor ihm zu fliehen. Aber gerade als ich mich umdrehen wollte, zögerte ich.
»Danke«, presste ich hervor.
»Danke?«, wiederholte er fragend.
Ich zwang mich dazu, ihn wieder anzusehen. Es fiel mir schwer, aber ich musste es ihm sagen.
»Du hast mir das Leben gerettet«, stellte ich klar. »Der Namenlose steckte in dem Schatten. Wenn du nicht gewesen wärst, dann hätte er mich eliminiert.«
»Dank mir nicht.« Bens Züge verdunkelten sich abermals. Seine Lippen waren fest aufeinandergepresst und die Mundwinkel zitterten. Gerade als ich dachte, er würde nichts mehr sagen, öffnete er den Mund. Die Worte sprühten vor Abscheu und jedes einzelne schien ihm physische Qualen zu bereiten. »Ihr Name war Beatrice. Ich hatte sie schon einmal getroffen. Der Namenlose hat sie ins Biest gezwungen und hat ihren Körper übernommen. Sie musste dabei zusehen, wie er versuchte, dich zu eliminieren.«
Ben holte rasselnd Luft. »Ich habe gesehen, dass du stirbst. Diese Wut –« Die Erinnerung ließ seine Augen Feuer fangen. »Und dann war sie tot. Ich habe sie eliminiert und wofür? Sie hat nichts getan.«
Die Worte ließen die Luft schwer werden. Ich konnte seine Empfindungen beinahe greifen. Sie waren düster und schmerzhaft.
»Du hast die Beherrschung verloren. Es war keine Absicht –«
»Und was wenn doch?«, unterbrach er mich und ich stutzte. »Woher weißt du, dass es ein Versehen war? Vielleicht wollte ich nur austesten, ob ich es kann.«
Nein, so war Ben nicht. Seine Worte rührten aus Selbstzweifel und der Reue, die er wegen Beatrice empfand.
In meinen Hirnwindungen suchte ich nach den richtigen Worten. Etwas, das ihm den Schmerz und die Schuld nahm. Aber alles, was mir durch den Kopf ging, blieb mir im Halse stecken.
Ich konnte ihm nicht sagen, was ich getan hatte und dass etwas mit mir nicht stimmte.
Mein Schweigen deutete er als Zuspruch. Mit glänzenden Augen nickte er kaum merklich und wandte sich ab.
Dann spürte ich erneut ein entferntes Klicken. Alles, was ich jetzt noch hätte sagen können, verdampfte zu einem Hauchen.
Ich musste hier raus und wechselte in meine Schattengestalt, um pfeilförmig durch den Raum zu schießen. Kaum, dass ich außerhalb des Hauses war, kam ich ungewollt zurück in die menschliche Gestalt und strauchelnd zum Stehen. Ich tastete nach meiner Schattenform und merkte, wie sie mir immer wieder entglitt. Ungläubig besah ich meine Finger, während mein ganzer Körper pulsierte und punktuell immer wieder in meine Schattenform zurücksprang.
»Du musst es ihm sagen«, hörte ich eine vertraute Stimme und zuckte dennoch verschreckt zusammen.
Ich hob das Kinn und begegnete Cams Blick. Sie hatte die Augen weit aufgerissen und die Brauen sorgenvoll zusammengezogen. Da wurde mir bewusst, dass ich dieselben Sorgen in mir trug. Mein Körper gehorchte mir nicht mehr richtig. Die Verzweiflung ließ meine ganze Gestalt zittern.
»Ja«, kam es mir lautlos über die Lippen. Ich presste die Hände zu Fäusten und versuchte, wieder die Gewalt über meine Erscheinung zu erlangen.
»Aber nicht jetzt«, knirschte ich unglücklich. »Er ist nicht er selbst.«
Sachte drückte ich mit dem Finger auf den Bluterguss an meinen Rippen und sog zischend die Luft ein. Es war nichts gebrochen, aber die Färbung veränderte sich nur langsam. Und es tat noch immer verdammt weh.
Mit einem Seufzen schob ich den staubigen Stoff meines Shirts nach unten. Ich ließ den Kopf gegen die Wand im Rücken sinken und umarmte die Knie fest, die ich wieder angezogen hatte.
Meine Augen wanderten zum tausendsten Mal über die kargen Wände des Abstellraums, der als meine Zelle diente, und blieben dann an dem leeren Teller am Boden hängen. Weil es hier kein Fenster gab, konnte ich die vergangene Zeit nur daran festmachen, wie oft ich hatte essen können. Eine Mahlzeit pro Tag. So viel erlaubte der Namenlose mir und es war wenig. Wie zur Bestätigung meines Gedankens knurrte mein Magen.
»Was ist das nur mit euch Menschen und dem Essen?«, hörte ich Dorians Stimme von der Tür her höhnen.
»Wir brauchen das zum Leben. Es gibt uns Energie und hält unseren Motor am Laufen«, zischte ich gereizt. »Ihr Schatten werdet doch auch von irgendetwas angetrieben.«
Darüber hatte ich mir eigentlich nie Gedanken gemacht. Sie mussten sich nicht pflegen, nicht essen. Woher nahmen ihre Körper die Kraft, um ihre Schattenform zu bewegen? Gab es eine Biologie dahinter? Eine physikalische Erklärung?
»Vom Namenlosen«, war die knappe Antwort.
»Ah«, murmelte ich leise vor mich hin. Ich rollte die Augen, sodass es in den Höhlen schmerzte. »Ja, klar.«
Langsam erhob ich mich und schwankte dabei. Sofort ließ ein Schwindel es mir schwarz vor Augen werden. Es verging ein Moment, in dem ich darauf wartete, wie das Bild wieder klar wurde. Dann stützte ich mich an der Wand ab, um in einen sicheren Stand zu kommen. Langsam schleppte ich mich daran entlang bis zur Tür, die in der Mitte ein kleines Sichtfenster hatte.
Ich riskierte einen Blick auf den Flur und sah dann zur Seite, wo Dorian an der Wand lehnte. Er war derjenige der vier Reiter, der die meiste Zeit vor meiner Zelle verbrachte.
»Und was treibt den Namenlosen an?«, fragte ich, ohne zu wissen, was ich mir als Antwort erhoffte.
Dorian hielt die Arme weiterhin verschränkt und würdigte mich keines Blickes. Bisher hatte ich ihn nur mürrisch erlebt.
Ich legte die Stirn an das Glas der Tür und schürzte theatralisch die Lippen. »Alles muss doch einen Antrieb haben«, versuchte ich es weiter und musterte ihn von der Seite. Bisher hatten die Reiter für mich alle gleich ausgesehen. Wie der Tod höchstpersönlich.
Aber jetzt, da wir während der letzten sieben Tage so viel Zeit miteinander verbracht hatten, konnte ich Abweichungen feststellen. Sie waren sich ähnlich, aber ihr Verhalten unterschied sich.
Preston sagte einst, sie würden zu jeder Zeit durch den Namenlosen kontrolliert, aber ich kam nicht umhin, mich zu fragen, wie viel von ihm wirklich in ihnen steckte.
»Was ist dein Antrieb?«, fragte ich flüsternd.
Dorian seufzte und seine kleinen Augen zuckten. »Du vergisst, dass die Dinge hier anders laufen als in deiner geschätzten Menschenwelt.« Endlich wandte er mir das kantige Gesicht zu. Sein Ausdruck war gleichgültig, gelangweilt sogar. Er war groß und hatte breite Schultern. Wenn er lächelte, wirkte er schon beinahe freundlich. Aber in allen anderen Fällen strahlte er Bedrohung aus.
Bei den anderen Reitern verhielt es sich da ähnlich. Sie waren alle nach einem bestimmten Typ ausgewählt. Aber ich wusste, dass das alles Fassade war. Nur vier Hüllen, auf die sich der Namenlose aufteilte, deren Bewusstsein er zu jeder Zeit anzapfte, sich ihrer Beine bemächtigte, durch sie sprach, durch ihre Augen sah.
»Das werde ich wohl kaum vergessen können«, hielt ich schmallippig dagegen. »Was genau meinst du?«
»In deiner Welt sind Schatten nichts weiter als Projektionen. Sie entstehen immer in Abhängigkeit zu etwas. Aber gibst du ihnen ein Bewusstsein, lässt sie etwas Selbstständiges sein und –«
Ein lautes Lachen meinerseits unterbrach ihn. »Du kannst unmöglich andeuten wollen, die Schatten wären selbstständig.«
Ein Funkeln huschte ihm übers Gesicht und der kurze Bart hüpfte, während sich seine Lippen zu einem breiten Lächeln verzogen. »Von den Schatten habe ich nicht gesprochen.«
Zuerst stutzte ich, aber dann wurde es mir klar. »Du sprichst vom Namenlosen«, äußerte ich nüchtern meine Gedanken.
»Und du erhältst etwas Unbesiegbares«, beendete er seinen Satz von zuvor.
Nicht mehr lange, dachte ich bitter. Eine trotzige Stärke strahlte in meiner Brust. Ich drehte mich herum und bettete den Hinterkopf an der Tür, starrte an die graue Wand mir gegenüber. Die Aussicht darauf, all dem Wahnsinn ein Ende zu setzen, ließ mich grinsen, was mich verraten könnte.
Dennoch suhlte ich mich einen weiteren Moment in meiner Entschlossenheit. Lange träumte ich von Rache. Die Vorstellung, wie ich sie endlich bekam, war in den letzten Tagen das Einzige, was mich bei Verstand hielt. Das Einzige, was mich die Füße stillhalten ließ.
Aber dann spürte ich, wie meine Gedanken abschweiften. Sie gingen zu Mom, Nathan und Marcus. Die Sehnsucht schwappte so mächtig über mich, dass mir die Brust schmerzte. Etwas, das mich an ein anderes, sehr spezielles Gefühl erinnerte.
Schuld.
Maisie hatte mir nichts über ihre Pläne verraten, aber sie schien ihre Sache gut gemacht zu haben. Sie hatte getan, worum ich sie gebeten hatte: Ben abzulenken, damit ich mich schnappen lassen konnte. Sonst wäre er sicher dazwischengegangen und das hatte ich nicht zulassen können.
Der Pakt zwischen mir und Maisie hatte sich wie Verrat angefühlt, aber es war der einzige Weg, den ich sah – und es auch immer noch tat. Damals hatte Ben noch keinen Schatten eliminiert. Da war er noch nicht zu einem Mör… nein, es war unmöglich, dass Ben das mit Absicht getan hatte. So war er nicht. Er war einer von den Guten, mit einem Gewissen. Und genau deshalb wurde er in diesem Augenblick sicherlich von Schuldgefühlen zerfressen. Ich hoffte inständig, dass er jemanden an seiner Seite hatte, nicht alleine war. Dass jemand da war, der ihm gut zuredete und ihm klarmachte, dass es nicht seine Schuld gewesen war, sondern ein Unfall.
So, wie ich es tun würde. Der Gedanke daran, dass ich nicht bei ihm sein und für ihn sorgen konnte, schmerzte in meiner Brust. Ich steckte hier in dieser Abstellkammer, obwohl ich eigentlich immer an seiner Seite stehen wollte. Im Nachhinein betrachtet hätte ich mich wohl zu einem passenderen Zeitpunkt schnappen lassen sollen.
Aber wann wäre das schon gewesen? Wann war der perfekte Zeitpunkt, um in einem kleinen grauen Raum darauf zu warten, dass man an Altersschwäche draufging?
Ich musste das Gedankenkarussell verlassen. Jetzt.
Aber kaum hatte ich den Mund geöffnet und nur Luft geholt, unterbrach mich Dorian mit strenger Stimme. »Keine Fragen mehr.«
Während der letzten Tage hatte ich jede Menge davon gestellt. Wie war der Kampf ausgegangen? Wo hatten sie die Klinge hingebracht, nachdem sie mir entrissen worden war? Was würde der Namenlose nun tun, da Griff und Schneide in seinem Besitz waren? Was war mit Ben und den anderen? Ich brauchte Informationen. Und Antworten zu den Geheimnissen der Schattenwelt. Zudem versuchte ich, herauszufinden, wer die Reiter des Namenlosen eigentlich waren. Mein Erfolg damit glich einer fetten Niete im Glücksspiel. Was ich erfahren hatte, war nur mit einem Wort zu beschreiben: nichts. Ich kam nicht weiter. Sie antworteten entweder gar nicht oder nur sehr knapp und hielten sich vage.
»Ich habe nur noch eine Frage«, kündigte ich an und drehte mich wieder zur Tür herum, um Dorian mit hochgezogenen Augenbrauen anzufunkeln. »Wie lange lässt du mich hier noch warten?«
Für den Bruchteil einer Sekunde flackerten seine Augen schwarz auf. Er wusste, dass ich das Spiel nun unterbrach und direkt mit dem Namenlosen sprach. »Hast du es eilig?«, fragte er.
»Gleich zu Anfang hatte ich es schon gesagt. Ich will den Platz meines Vaters einnehmen. War das alles, was er getan hat? Rumsitzen?« Ihn zu erwähnen, versetzte mir einen Stich, aber ich zwang mich dazu, kühl zu wirken.
»Du weißt doch gar nicht, was er für mich tun musste.« Dorian verengte die Augen, aber es war unverkennbar der Namenlose, der da sprach.
»Mir ist egal, was er tun musste. Ich werde seine Aufgaben übernehmen.«
»Warum?«, fragte er und es klang wie ein Bellen.
»Ich hänge an meinem Leben«, erklärte ich wahrheitsgemäß. Und ich will dir so nah kommen, dass ich dir eine Klinge ins Herz rammen kann.
»Hm«, grunzte er nur zur Antwort.
»Hm?«, äffte ich ihn nach und spürte wütenden Qualm in meinem Kopf aufkommen. »Das war keine Einladung zum Abschlussball. Was soll dieses Hm? Hast du Verwendung für mich? Ja oder Nein? Wenn du dir nicht sicher bist, dann beende es doch einfach.«
Ich warf die Hände in die Luft und setzte mich dann auf den Boden, weil mir die Beine weich wurden. Meine Hoffnung war, dass es frustriert oder trotzig rüberkam, tatsächlich wäre ich im nächsten Moment sonst hingefallen. Die Bedeutung der Worte und die Wut warfen mich in einen Strudel.
»Du verschwendest nur meine Zeit«, warf ich noch völlig außer Atem hinterher.
Dorian lachte auf. Dann war ein dumpfer Knall zu hören.
Einen Moment später klopfte es an der Scheibe in der Tür. »Du hast Glück«, ertönte nun die Stimme des Namenlosen, die seine gewohnte Gestalt von sich gab.
Und tatsächlich sah ich in das belustigte Gesicht des Hatmans, als ich den Blick hob. Er hatte Dorian zur Seite treten lassen und beugte sich nun ein Stück vor, um besser durch das Fenster sehen zu können.
»Ich hatte sowieso vor, dich heute zu besuchen.«
Mein Körper vibrierte mit jedem Schritt, den ich machte. Während ich mich nicht dazu überwinden konnte, den Namenlosen anzusehen, war es mir gleichzeitig nicht möglich, wegzusehen. Er hatte mich dazu aufgefordert, ihm zu folgen. Und so beobachtete ich jetzt die Bewegung in den Falten seines Jacketts, während ich hinter ihm herlief.
Der Abstellraum, in dem ich festgehalten und bewacht wurde, lag im Keller des Gebäudes und als wir die grauen Betonwände hinter uns ließen, überraschte mich das Sonnenlicht. Ich blinzelte angestrengt gegen die goldenen Strahlen, die hier durch die großen Fenster fluteten.
Die Gänge, durch die mich der Namenlose nun entlangführte, hatten eine gebogene Decke und waren mit roten Teppichen ausgelegt. In kurzen Abständen säumten weiße Säulen die Wände und dazwischen hingen Bilder in verschnörkelten Rahmen besetzt. Gemäuer, wie ich sie nur aus dem Fernsehen oder den Beschreibungen in Büchern kannte.
Während wir uns so durch die verwinkelten Flure schlängelten, trafen wir immer wieder auf die schattenartigen Schemen von Menschen. Sie erschienen in den gewohnten dunstigen Formen und waren allein oder in den Gruppen unterwegs. In der Menschenwelt war hier offensichtlich einiges los. Wir passierten einander, ohne dass sie überhaupt von unserer Existenz wussten.
Obwohl es nicht kalt war, rieb ich mir die Arme. Der Namenlose hatte nichts darüber gesagt, wo wir hingehen würden oder was seine Pläne waren. Aber was blieb mir schon anderes übrig, als ihm zu folgen?
»Wie weit ist es noch?«, fragte ich bemüht, meine Stimme nicht zu erheben, was sie hohl und zittrig klingen ließ.
Er lachte schnaubend, aber drehte sich nicht um. »Wir sind gleich da.«
»Und was erwartet mich?«, versuchte ich erneut, seine Pläne herauszufinden.
»Immer diese Fragen«, stellte er amüsiert fest. »Es ist eine Überraschung, Ava. Das Risiko macht es spannend.«
Sein Lachen fühlte sich an, als schüttete jemand einen Eimer mit kaltem Wasser über meinem Nacken aus.
Risiko. Am liebsten hätte ich laut gelacht.
Vor uns wurde es heller und ich schielte an seiner Gestalt vorbei in die Ferne. Dort öffnete sich der Gang und gab einen Vorgeschmack auf den Raum dahinter. Mein Herz schlug eine Spur schneller.
Wir gingen auf etwas Großes zu und diese unmittelbare Erkenntnis ließ mir die Beine steif werden. Ich fiel ein Stück zurück, bis ich gegen die beiden Reiter stieß, die hinter mir hergelaufen waren. Dorian und Adeon.
Links und rechts hielten sie mich an meinen Ellenbogen fest. Sie drängten mich weiter und ich hatte Probleme damit, die Füße zum Kooperieren zu bringen.
Schnell hatten sie zum Namenlosen aufgeschlossen und wir betraten eine große Halle. Nervös suchte ich nach Anhaltspunkten dazu, was gleich passieren würde. Wellen der Furcht spülten über mich hinweg.
Die Decke war wahnsinnig hoch und bestand in der Mitte komplett aus Milchglas. Es gab eine Empore, die einmal rundherum führte und immer wieder von steinernen Säulen durchbrochen wurde, die den Boden mit dem Dach verbanden. Zu meiner Rechten fanden sich die Treppen. Breite Stufen, geschmückt mit blutroten Teppichen, zackten sich symmetrisch zueinander und führten zur Empore hinauf. Es sah aus wie in einem Schloss.
Mein Blick war noch darauf geheftet, in meinen Gedanken als Fluchtplan in Erwägung gezogen, da schlugen die beiden Schatten an meiner Seite einen Bogen und ließen uns auf die Mitte zusteuern.
Ich riss den Kopf herum und entdeckte dort auf dem schwarz-weißen Boden ein bekanntes Gesicht. Mian.
Eine Woge der Freude überschwemmte mich. Endlich jemand Vertrautes in dieser Schlangengrube. Es war schwer zu fassen, aber sein Anblick brachte ein Gefühl von Heimat mit sich. Durch die Rebellion waren wir verbunden. Durch Ben.
»Ihr könnt sie loslassen«, hörte ich den Befehl des Namenlosen und die Reiter ließen von mir ab.
Keine Sekunde dachte ich darüber nach, als ich auf den Schatten am Boden zustürzte. Erst als ich ihn bereits erreicht hatte, wanderte ein Schauer über meine Glieder. Wieso sollten sie mich auf einmal loslassen?
Während ich in die Hocke ging, warf ich einen kurzen Blick zurück zu dem Namenlosen und seinen beiden Lakaien. Keine ihrer Mienen verriet auch nur das Geringste. Was hast du vor, Hatman?
Nur schwer konnte ich den Blick von ihnen nehmen. »Geht es dir gut?«, fragte ich dann an Mian gewandt.
Er saß auf seinen Schienbeinen und hielt die Hände hinten auf dem Rücken. Die Haltung wirkte unnatürlich und unbequem. Freiwillig saß er nicht so da. Sein Blick war auf den Namenlosen gerichtet. Ängstlich, in Alarmbereitschaft.
Nur kurz unterbrach er den Blickkontakt, um mir zuzunicken. »Bis gerade eben war ich noch festgesetzt und stand im Keller«, sagte er ruhig.
Ich betrachtete ihn mit gerunzelter Stirn. Die Vibration, die ich die ganze Zeit spürte, nahm zu.
»Mian ist mir gegen Ende des Kampfes in die Arme gelaufen. Genau in dem Augenblick, als sich der Nebel verzogen hat.« Der Namenlosen legte die Hände vor sich ineinander und tippte immer wieder die Daumen aneinander. »Ein glücklicher Zufall.«
»Glücklicher Zufall? Warum?«, fragte ich ihn.
Sein Blick wanderte von Mian ab, rüber zu mir. »Er soll als Motivation dienen.«
»Für wen?«, schloss ich und die aufsteigende Wut machte mein Gesicht hart. Als das Lächeln des Namenlosen breiter wurde, konnte ich spüren, wie ich die Nasenflügel aufblähte. Er sprach von mir.
»Ich brauche keine Motivation. Ich habe doch schon gesagt, dass ich den Platz meines Vaters einnehmen werde. Freiwillig. Mian hat damit nichts zu tun.«
»Das ist wahr«, gab er zu und brachte mich so zum Stutzen. »Aber ich sagte es ja schon: Du weißt gar nicht, was er tun musste.«
Ich öffnete den Mund, um etwas zu entgegnen, aber er erhob sogleich die Stimme. »Ob du es auch wirklich tun kannst, macht mir Sorgen. Und das ist ein Risiko.«
»Das Risiko macht es spannend«, wiederholte ich nüchtern seine Worte von zuvor.
Das brachte ihn zum Lachen und machte das Vibrieren in meiner Brust damit noch stärker. So stark, dass ich mir nicht mehr sicher war, was das eigentlich war.
»Du bist zu weich, Ava«, erklärte er, während sein Lachen langsam erstarb. »Genau wie dein Vater. Du kannst nicht tun, was ich will, weil du zu weich bist. Menschen wie ihr brauchen einen speziellen Anreiz.«
Ich konnte mich kaum mehr auf seine Worte konzentrieren, weil das Vibrieren weiter zunahm. Es war so aufdringlich geworden, dass ich es regelrecht dröhnen hören konnte.
»Woher willst du wissen, dass ich wie mein Vater bin?«, hielt ich dagegen und mein Magen schien zu fallen.
»Ich beobachte dich schon ziemlich lange, wie du weißt –«