Ermittlerin in Sachen Liebe - Alexandra Potter - E-Book
SONDERANGEBOT

Ermittlerin in Sachen Liebe E-Book

Alexandra Potter

4,6
7,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 7,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Ruby Miller hat den Glauben an die Liebe verloren. Um ihren betrügerischen Ex-Verlobten zu vergessen und ihre Schreibblockade zu überwinden, beschließt die Autorin, ihre Schwester in Indien zu besuchen. Geplant ist eine Woche Stranderholung – doch stattdessen erwartet Ruby auf dem fremden Kontinent das Abenteuer ihres Lebens. Auf einer exotischen Reise, inmitten von Magie und überwältigender Farbenpracht, zwischen Palästen und Hochzeiten, trifft Ruby auf unzählige Lebens- und Liebesgeschichten voller Sehnsucht und Glück. Doch wird sie auch ihr eigenes Happy End dort finden?

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 623

Bewertungen
4,6 (16 Bewertungen)
11
3
2
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Buch

Die Autorin Ruby Miller ist in ihren Dreißigern, Single und lebt mit ihrem Hund Heathcliff in einem hübschen viktorianischen Mietshaus in London. Rubys Bücher verkaufen sich gut. Ihr Thema: die Liebe. Die kleine, die große – die für ein ganzes Leben. Und bis vor gar nicht allzu langer Zeit glaubte Ruby selbst, ihren Mr Right gefunden zu haben. Sie und ihr Freund wollten sogar den Bund fürs Leben schließen. Doch eine Woche vor der geplanten Hochzeit musste Ruby erfahren, dass ihr Verlobter sie nach Strich und Faden betrogen hat. Seitdem ist nichts mehr, wie es war. Ruby Miller hat den Glauben an die Liebe verloren. Um ihren Ex zu vergessen und ihre Schreibblockade zu überwinden, beschließt sie, ihre Schwester in Indien zu besuchen. Geplant ist eine Woche Stranderholung: Cocktails schlürfen, die Seele baumeln lassen, vielleicht ein bisschen Yoga machen – doch stattdessen erwartet Ruby auf dem fremden Kontinent das Abenteuer ihres Lebens. Auf einer exotischen Reise, inmitten von Magie und überwältigender Farbenpracht, zwischen Palästen und Hochzeiten, trifft Ruby auf unzählige Lebens- und Liebesgeschichten voller Sehnsucht und Glück. Doch wird sie auch ihr eigenes Happy End dort finden?

Weitere Informationen zur Autorin

sowie zu lieferbaren Titeln

finden Sie am Ende des Buches.

Alexandra Potter

Ermittlerin

in Sachen Liebe

Roman

Aus dem Englischen

von Stefanie Retterbush

Die Originalausgabe erschien 2014 unter dem Titel

»The Love Detective« bei Hodder and Stoughton,

an Hachette Livre UK company, London.

1. Auflage

Taschenbuchausgabe Oktober 2014

Copyright © der Originalausgabe

2013 by Alexandra Potter

Copyright © dieser Ausgabe 2014

by Wilhelm Goldmann Verlag

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur München

Umschlagillustration: FinePic®, München

Redaktion: Patrick Frankenbach

LT · Herstellung: Str.

Satz: omnisatz GmbH, Berlin

ISBN: 978-3-641-13141-8

www.goldmann-verlag.de

Denn die Liebe

ist das größte aller Geheimnisse …

Erstes Kapitel

Sein dunkles Haar glänzte in der Sonne, als er sich zu ihr umdrehte und ihre Hand ergriff.

»Ich liebe dich, Suzie. Ich habe dich von dem Augenblick an geliebt, als ich dich zum ersten Mal gesehen habe. Willst du mich heiraten?«

Suzie schaute in Richs hübsches Gesicht. Es verschlug ihr die Sprache.

»Suzie?«, flüsterte er und steckte ihr einen funkelnden Diamantring an den Finger. »Was sagst du dazu?«

Im ersten Moment fehlten ihr die Worte.

Dann, plötzlich, sprudelten sie nur so aus ihr heraus.

»Dazu sage ich: Du bist ein verlogener, betrügerischer Mistkerl, der es mit Miriam vom Marketing treibt!« Und damit riss sie sich den Ring vom Finger und schleuderte ihn Rich so fest an den Kopf, dass er von seiner Stirn abprallte wie ein Flummi. »Scher dich zum Teufel!«

Argh, nein!

Das sollte sie doch gar nicht sagen!

Entsetzt starre ich auf meinen Computerbildschirm und drücke dann auf LÖSCHEN. Ich halte die Taste gedrückt und sehe zu, wie der Cursor rückwärtsläuft und die Worte verschlingt wie Pac Man, bis alles verschwunden ist.

Und wieder sitze ich da und stiere auf eine leere Seite.

Mist.

Noch im Flanellpyjama hocke ich in meinem Arbeitszimmer am Schreibtisch. Wobei mein Arbeitszimmer genau genommen nur eine Ecke des Wohnzimmers ist, bestehend aus einem wackligen IKEA-Bücherregal, einem Drucker, dem andauernd die Tinte ausgeht (ständig sind die Kartuschen leer, und haben Sie mal gesehen, was die Dinger kosten? Also ehrlich, man könnte meinen, die seien vergoldet), und einer Orchidee – mein kläglicher Versuch, ein wenig hippen Designerchic zu verbreiten. Leider hat das Pflänzchen schon nach kurzer Zeit sämtliche Blüten abgeworfen und ist jetzt nur noch ein nacktes Ästchen, das dürr aus einem Blumentopf ragt.

Komisch, in der Elle Decor sehen die immer ganz anders aus.

Ich drücke meine heißgeliebte Wärmflasche fest an die Brust (die blöde Heizung spinnt mal wieder) und schaue ein Weilchen auf eine plötzliche Eingebung hoffend auf den blinkenden Eingabezeiger. Schließlich gebe ich auf und logge mich ins Online-Banking ein, um einen Blick auf meinen heillos überzogenen Dispo zu werfen.

Und da denken die meisten Leute, Schriftstellerin sei ein glamouröser Beruf.

Wobei, früher hab ich das auch geglaubt.

Jahrelang habe ich tagein, tagaus im Büro gesessen und davon geträumt, einen Roman zu schreiben. Schriftstellerin zu werden. Das wäre ja so aufregend! Ausbrechen aus dem öden, engen Städteplanungsbüro und im schicken Designer-Outfit eintauchen in einen schillernden Jetset-Lifestyle (und ganz nebenbei ein paar Bestseller schreiben). Abends dann angesagte Literaturpartys besuchen, bei denen man sich in geistreichen Unterhaltungen und Gratis-Champagner ergeht.

Bis ich mich dann eines Tages tatsächlich hinsetzte und den Roman schrieb, von dem ich die ganze Zeit geredet hatte, einen Vertrag bekam, nach London zog und mir meinen Traum verwirklichte!

Woraufhin ich einsehen musste, dass Schriftstellerin zu sein hauptsächlich bedeutet, selten den Pyjama auszuziehen, viele unnütze Dinge auf eBay zu ersteigern und ständig Selbstgespräche zu führen.

»Wuff …«

Oder sich mit Heathcliff, seines Zeichens Kurzhaardackel, zu unterhalten.

Ein weiteres hohes, schrilles Bellen reißt mich aus meinen Gedanken, und mein Blick geht zu Heathcliff, der sich die Schnauze am Fenster plattdrückt und zähnefletschend die Katze unserer Nachbarin anbellt, seine Erz-Nemesis. Heathcliff leidet unter einer Art Selbstwahrnehmungsstörung, denn er scheint felsenfest davon überzeugt, ein blutrünstiger Deutscher Schäferhund zu sein. Tatsächlich sieht er eher aus wie ein lustiger Zugluftstopper und legt sich ständig mit anderen Tieren an, die doppelt so groß sind. Selbst die Tigerkatze von nebenan ist größer als er.

»Hey, Kumpel, ignorier sie einfach, die will dich doch bloß ärgern.«

Und damit nehme ich den kleinen, wienerwürstchenförmigen Hund auf den Arm und kitzle ihm den Bauch, was er mit fröhlichem Gesichtablecken quittiert. Ich habe ihn aus dem örtlichen Tierheim gerettet, wobei ich mich nach allem, was im letzten Jahr passiert ist, inzwischen ernsthaft frage, wer hier eigentlich wen gerettet hat …

Ich lasse Heathcliff vom Arm, woraufhin er Mrs Flannagans Tigerkatze, die jetzt im Garten auf und ab stolziert, als wolle sie ihm eine lange Nase drehen und die Zunge rausstrecken, umgehend den Krieg erklärt, und setze mich wieder an den Rechner. Geistesabwesend greife ich nach der Kaffeetasse und trinke einen großen Schluck.

Um ihn gleich wieder auszuspucken. Igitt, der ist ja eiskalt!

Angewidert verziehe ich das Gesicht, tappe in die Küche, schalte den Wasserkocher ein und öffne den Kühlschrank, dessen Tür gepflastert ist mit einem wilden Durcheinander aus Lieferservice-Flyern, To-do-Listen und Fotos. Ich greife nach der Milch, und mein Blick fällt auf eins der Bilder – ich und die Mädels, wie wir Arm in Arm angeschickert in die Kamera grinsen.

Dieses Bild entlockt mir immer wieder ein Lächeln. Inzwischen sehen wir alle uns nur noch selten, so vielbeschäftigt und kreuz und quer über den Globus verstreut, wie wir sind. Das Foto wurde an meinem letzten Geburtstag geschossen. Wir hatten es tatsächlich geschafft, uns alle hier in London zu treffen, um gemeinsam ein paar Cocktails zu trinken. Ich bleibe stehen und schaue mir das Bild zum ungefähr tausendsten Mal an.

Ganz links, das ist Harriet. Sie zeigt ungewollt etwas zu viel von ihrem berühmt-berüchtigten Dekolleté. Harriet ist kürzlich nach Paris gezogen, der Arbeit wegen, und schwelgt nun in französischer Lebensart, zu der auch Rotwein, Käse und andere Vollfett-Lebensmittel gehören.

Wobei sie es mit der Gott-in-Frankreich-Geschichte womöglich etwas übertrieben hat, denn gestern habe ich von ihr eine Mail bekommen, in der sie jammerte: Es stimmt, französische Frauen werden nicht fett. Aber, verflucht, ich bin einfach keine Französin. Merde! Zum Beweis hatte sie ein Foto angehängt von sich in einer schlabberigen Jogginghose mit der Unterschrift: Die einzigen Hosen, die mir noch passen, haben einen Gummibund.

Als jemand, der für sämtliche Tätigkeiten weite Yogahosen trägt (außer um Yoga zu machen), habe ich ihr geantwortet, sie solle sich deswegen nicht grämen. Worauf sie erbost zurückschoss: Du verstehst das nicht! Wir sind hier in Paris! Der Modehauptstadt der Welt! Ich bin geächtet!

Merke: niemals nach Paris ziehen.

Neben ihr, mit Armen, bei deren Anblick ich immer hektisch nach einer langärmeligen Strickjacke suchen will, ist Molly. Molly ist Pilates-Lehrerin und wohnt in Los Angeles, hat aber mal einen Kurs in London gegeben, der versprach, die Teilnehmer zu »Beleben, verwandeln und stärken«. Ich persönlich fühlte mich danach eher »hundskaputt, steif und schlapp«, aber dafür konnte Molly nichts. Sie ist eine wunderbare Lehrerin und mittlerweile eine ebenso wunderbare Freundin. Wobei sie mich jedes Mal, wenn wir uns sehen, mit meiner Rumpfmuskulatur aufzieht. Oder vielmehr, mit deren mangelhafter Ausbildung. Ein bisschen Training könnte wirklich nicht schaden, denke ich beim Anblick des kleinen Speckröllchens, das über den Gummibund wabbelt, und ziehe rasch den Bauch ein.

Die Dritte im Bunde ist Rachel. Kurzsichtig blinzelt sie in die Kamera, weil sie es nicht ausstehen kann, mit Brille fotografiert zu werden. Sie kam gerade von der Arbeit und trägt noch ihr Bürokostüm. Rachel arbeitet als Anwältin in einer großen Kanzlei und hat immer alle Hände voll zu tun mit irgendwelchen mordswichtigen Fällen. Ich persönlich finde ja, sie arbeitet zu viel. Sie ist permanent gestresst und ständig irgendwo auf Geschäftsreise. Urlaub ist für sie ein Fremdwort. Irgendwann hatte sie so viele Überstunden angehäuft, dass die Personalabteilung ihr eine ganze Woche lang verbot, ins Büro zu kommen. Also blieb sie zu Hause und arbeitete dort noch mehr als in der Kanzlei.

Ganz rechts, das ist meine kleine Schwester Amy. Wobei niemand auf die Idee käme, uns für Schwestern zu halten. Wir sehen uns kein bisschen ähnlich. Ich habe braune Augen und braune Haare, sie ist blond und blauäugig. Außerdem ist sie ganze zehn Jahre jünger als ich. Meine Eltern bezeichnen sie liebevoll als »unseren entzückenden kleinen Unfall«. Was ganz gut zu Amy passt, denn sie hat den Kopf in den Wolken und ist ein Missgeschick auf zwei Beinen. Als große Schwester fühle ich mich immer ein bisschen verantwortlich für sie. Schon an dem Tag, als sie geboren wurde, sagte man mir, ich solle »gut auf deine kleine Schwester aufpassen«. Was ich dann auch gemacht habe. Wie oft musste ich ihr schon aus der Patsche helfen, wenn sie mal wieder vollkommen nichtsahnend in irgendwelche Schwierigkeiten geraten ist.

Was ihr allerdings an bodenständiger Vernunft fehlt, macht sie mit ihrem klugen Köpfchen wieder wett. Amy hat einen messerscharfen Verstand. Sie möchte als Archäologin arbeiten, aber obwohl sie ihr Studium mit Auszeichnung abgeschlossen hat, findet sie einfach keinen Job. Weshalb sie seit nunmehr einem Jahr unermüdlich Bewerbungen schreibt und sich von einem Aushilfsjob zum nächsten hangelt. Sie hat als Fahrradkurier gearbeitet (schlimm, denn sie hat einfach überhaupt keinen Orientierungssinn), gekellnert (schlimmer, denn sie kann kaum eine Tasse Tee auf ihrem Teller mit Toast balancieren, geschweige denn vier Hauptgerichte einschließlich Beilagensalat unfallfrei an den Tisch tragen) und sich als Gassigängerin versucht (am schlimmsten, weil ihr zwei Hunde weggelaufen sind; glücklicherweise haben beide von allein nach Hause zurückgefunden).

Vor etwa einem halben Jahr hatte sie schließlich die Nase voll von der ewigen Jobsuche und davon, ständig bei Freunden auf der Couch zu kampieren, und so beschloss sie, sehr zur Bestürzung unserer Eltern, auf Weltreise zu gehen. Als hätte sie ihnen nicht schon genug schlaflose Nächte bereitet, sind die beiden, seit Amy den Rucksack geschultert und ihnen in Heathrow zum Abschied fröhlich zugewunken hatte, fast krank vor Sorge. Ich gebe mir Mühe, sie ein bisschen zu beruhigen – schließlich ist sie einundzwanzig, alt genug also, um selbst auf sich aufzupassen.

Und außerdem amüsiert sie sich, ihrer Facebook-Seite nach zu urteilen, prächtig. Ich meine, was soll schon groß passieren, wenn man den ganzen Tag in Goa am Strand liegt?

Wobei, wenn ich so darüber nachdenke, will ich die Antwort gar nicht wissen.

Aber wie dem auch sei, die gute Nachricht ist, dass eins der Museen, bei denen sie sich beworben hat, ihr eine Stelle in einem Forschungsprojekt angeboten hat. Und nicht nur das, es ist auch noch eine der prestigeträchtigsten archäologischen Forschungsstellen und Archive überhaupt in London, und in zwei Wochen geht es los! Sie kommt also wieder nach Hause. Ich weiß gar nicht, wer sich mehr darüber freut. Amy – oder unsere Eltern.

Und dann bin da noch ich, Ruby Miller, in der Mitte, ein bisschen eingequetscht zwischen den anderen, die Arme weinselig um meine Freundinnen geschlungen. Ehrlich gesagt ist das Foto nicht besonders schmeichelhaft. Damals hatte ich mir gerade so einen Schimmerpuder gekauft, weil die Verkäuferin mich bequatscht und mir versichert hatte, das sei das Einzige, was zwischen mir und einem strahlend frischen, jugendlichen Teint, wie ihn die Cover-Models der Vogue haben, stünde.

Aber als ich dann nach Hause kam und die Anleitung durchlas, stand da, man solle es nur ganz sparsam auf die Wangenknochen stäuben. Leicht gesagt. Ich habe gar keine Wangenknochen. Also habe ich es stattdessen gleichmäßig über das ganze Gesicht verteilt. Das Ergebnis war ein kugelrundes, glänzendes Mondgesicht. Kein Scherz. Der Blitz spiegelt sich in meinem Gesicht.

Ich bin Single und Mitte dreißig und wohne mit Heathcliff in einer Wohnung in einem alten umgebauten viktorianischen Stadthaus im Westen von London. Nicht unbedingt riesig und nicht unbedingt die hellste Wohnung, aber immerhin gehört zu dem Apartment ein ganz entzückender kleiner Garten mit einem richtigen Apfelbaum und einem Kamelienstrauch, der den ganzen Sommer über blüht. Wobei in England »der ganze Sommer« mehr oder minder eine kurze sonnige Woche irgendwann Ende Mai ist. Trotzdem, Heathcliff liebt es, selbst im Regen draußen herumzuschnüffeln, und ich mag es, beim Arbeiten hinauszuschauen.

Wobei mir das Schreiben nie wie Arbeit vorkommt. Nicht nur, weil ich im Pyjama am Schreibtisch herumlümmeln kann, sondern weil es für mich viel mehr ist als bloß ein Job. Es ist, als trete ich aus meiner Welt hinaus in eine andere. Ich lerne neue Menschen kennen, mit denen ich lache, wenn sie glücklich sind, und weine, wenn sie traurig sind. Und meine Heldin wird meine beste Freundin.

Und – das ist das Allertollste überhaupt – ich verliebe mich jedes Mal ein wenig in meinen Helden.

Die Menschen fragen mich immer, was für Bücher ich schreibe. Gemeinhin würde man sie wohl als Liebesromane bezeichnen (ausgenommen dieser fiese Journalist vom Weekly Telegraph,der sie als etwas bezeichnet hat, das ich hier nicht wiedergeben möchte), aber ich finde, genauso gut könnte man sie auch Detektivgeschichten nennen.

Denn warum verlieben sich zwei Menschen ineinander? Diese Frage stellen sich Menschen überall auf der Welt, in einer Million verschiedener Sprachen. Was ist Liebe? ist die beliebteste Google-Suche im Netz. Und doch scheint es niemand so recht zu wissen. Selbst die ausgewiesenen Experten sind sich uneins. Wissenschaftler verbreiten hochkomplizierte Theorien über Chemie und Botenstoffe, über Pheromone und Neurotransmitter, während Philosophen Lobhudeleien auf die Liebe anstimmen und Psychotherapeuten sie analysieren. Aber sie entzieht sich einfach jeder Definition.

Wie George Harrison so treffend sagte, sie ist »etwas«. Ein nicht greifbares, flüchtiges Gefühl, das weder Sinn noch Verstand kennt. Sich an keine Regeln hält. Sich keine Grenzen setzen lässt. Für jeden Menschen ist sie anders, und doch empfinden wir alle dasselbe. Sie ist unerklärlich. Sie ist wie Vertrauen oder Hoffnung …

Oder Magie.

Inzwischen habe ich drei Romane über dieses Thema geschrieben, und noch immer suche ich nach der Antwort. Man könnte fast sagen, ich bin eine Detektivin, eine Ermittlerin in Sachen Liebe. Nicht wie Sherlock Holmes mit Pfeife, Mütze und Lupe. Nein, ich suche nicht nach Indizien für ein Verbrechen, auch wenn ich schon stundenlang mit meiner Freundin Rachel darüber gerätselt habe, warum sich ihre Online-Bekanntschaft nach einer Verabredung einfach nicht mehr bei ihr meldet. Was gewissermaßen auch ein Verbrechen ist.

Denn, das können Sie mir glauben, sie ist tausend Mal netter als er.

Ständig erzählen meine Freunde mir Geschichten aus ihrem mehr oder minder aufregenden Liebesleben. Ich weiß schon nicht mehr, wie oft wir bis in die Nacht dagesessen und eine kryptische Nachricht von einem Verehrer analysiert oder irgendwen gegoogelt haben, um herauszufinden, ob derjenige wirklich geschieden ist (und nein, war er nicht; die ganze Firmenwebseite war gepflastert mit Bildern von ihm und seiner Frau; der armen Harriet hat es das Herz gebrochen).

Aber nur ein Ass beim Googeln zu sein reicht mir nicht. Was die Liebe angeht, bin ich Detektivin aus Leidenschaft, denn Geschichten von Liebe und Romantik haben mich schon immer fasziniert. Am liebsten beschäftige ich mich damit, wie zwei Menschen sich kennengelernt haben und was sie aneinander anziehend finden. Gebannt höre ich mir an, wie sie über Chemie sprechen und sich wundern, wie es sein kann, dass zwei Menschen sich – durch unglaubliches Glück, durch gutes Timing oder Schicksal oder alles zusammen – ineinander verlieben.

Und weil Detektive sich mit der Aufklärung von Geheimnissen befassen … Was ist die Liebe, wenn nicht das größte Geheimnis aller Zeiten?

Ich meine, man denke doch nur an Prinz Charles und Camilla!

Oder an mich und Sam.

Beim Gedanken an Sam spüre ich wieder den altbekannten Knoten im Magen. Denn wenn das mal nicht Ironie des Schicksals ist: Während meine Heldinnen sich reihenweise verlieben und es immer ein märchenhaftes Happy End für sie gibt, kann man das von mir und meinem Liebesleben nicht unbedingt behaupten. Es heißt immer, als Autor solle man über das schreiben, was man kennt, aber wenn das stimmt, dann sollte ich wohl besser Horrorstorys verfassen.

Wie sollte man es sonst beschreiben, wenn man eine Woche vor der Hochzeit nach Hause kommt und seinen Verlobten in flagranti im Bett mit einer anderen erwischt?

Ich weiß. Es klingt wie ein abgedroschenes Klischee, und das war es auch. Aber nur weil es ein Klischee ist, tut es deshalb nicht weniger weh. Nein, man sitzt nicht nur da mit gebrochenem Herzen, sondern fühlt sich auch noch zum Gespött gemacht.

Wie dem auch sei, das ist alles längst vergessen.

Ich schnappe mir die Milch, mache den Kühlschrank wieder zu und schalte den Wasserkocher noch mal ein. Während der fröhlich losblubbert und lustig vor sich hinkocht, ohne sich wie vorgesehen abzuschalten, füllt die Küche sich rasch mit dicken Dampfschwaden, die sich an den kalten Fensterscheiben niederschlagen. Was mich daran erinnert, noch einen weiteren Punkt auf meine To-do-Liste zu setzen.

Also greife ich zum Kuli und kritzele »Neuen Wasserkocher kaufen« auf einen der Zettel an der Kühlschranktür.

Ich liebe Listen. Ich liebe es, Sachen durchzustreichen, die ich erledigt habe. Dann fühle ich mich immer wie ein großes Organisationstalent. Ich verrate Ihnen ganz im Vertrauen ein kleines Geheimnis: Manchmal schreibe ich sogar Dinge auf die Liste, die ich schon erledigt habe, nur um sie gleich wieder durchzustreichen.

Wie zum Beispiel »Mittagessen mit Diana. Freitag um 12.30 h«.

Sehen Sie, und dann nehme ich den Stift und streiche es gleich wieder durch.

Moment mal … ich stutze. Wenn man zu Hause arbeitet, verliert man manchmal den Überblick, welcher Tag gerade ist. Rasch gehe ich im Geiste die Wochentage durch. Mist, verflixter, Freitag ist ja heute! Mein Blick geht zur Uhr an der Mikrowelle. Ist es wirklich schon so spät?

Mistimist.

Hektisch lasse ich den halb gemachten Kaffee stehen, stürze ins Schlafzimmer, springe in meine Klamotten und versuche, schnell noch meine widerspenstigen Haare zu bändigen. Was ich gleich wieder erfolglos aufgebe. Stattdessen setze ich in Windeseile eine Wollmütze auf und schnappe mir den Mantel.

Heathcliff kläfft ganz aufgeregt. Er kann es nicht ausstehen, wenn ich ohne ihn weggehe und ihn allein zu Hause lasse. »Heathcliff, schau mal! Da ist das Kätzchen!«, schwindele ich, um ihn abzulenken. Während er zur Terrassentür jagt, flitze ich unauffällig nach draußen.

Ehrlich. Den eigenen Hund zu belügen. Wie tief kann man noch sinken?

Immer zwei Stufen auf einmal nehmend renne ich runter zur Straße und hetze zur U-Bahn.

Zweites Kapitel

Es ist ein typischer Januartag in London. Kalt, grau und nass kommt die Stadt mir mürrisch und lustlos vor. Nicht mal das Wetter gibt sich Mühe; statt wenigstens wie aus Eimern zu schütten, nieselt es bloß halbherzig. Aber ich habe keine Zeit, noch mal zurückzugehen und einen Schirm zu suchen. Und selbst wenn, der Wind würde ihn sicher in null Komma nix umstülpen. Also verziehe ich nur unwillig das Gesicht, klappe den Kragen hoch, ziehe den Kopf ein und stemme mich gegen den Wind.

Mit der U-Bahn fahre ich bis Baker Street und laufe dann zur Marylebone High Street. Diana ist meine Agentin, und wir sind in dem kleinen italienischen Café an der Ecke verabredet. Vor meiner Karriere als Schriftstellerin habe ich mir ein Geschäftsessen mit Agenten immer als sehr glamouröse Angelegenheit vorgestellt. Teure Restaurants, dicke Geschäftsabschlüsse, aber die Wirklichkeit ist nicht ganz so schillernd. Meistens treffen wir uns in einem gemütlichen Café, und statt geistreich das tagespolitische Geschehen zu kommentieren, tratschen wir über Männer.

Und weil ich mich so schrecklich beeilt habe, bin ich jetzt sogar ein paar Minuten zu früh dran. Diana ist noch nicht da, als ich durchs Schaufenster hineinluge, ist sie nirgendwo zu sehen. Prima, dann kann ich ja noch schnell nach nebenan und eine Glückwunschkarte für meine Eltern kaufen – in zwei Wochen haben sie ihren Hochzeitstag.

Denn gleich neben dem Café ist mein allerliebster Lieblingsbuchladen von ganz London. Womöglich sogar der ganzen Welt. Ich öffne die Tür, und schon beim Reingehen durchströmt mich ein wonniges Hochgefühl. Ich stehe in einem alten Buchladen aus der Zeit Edwards VII., mit wunderschönen deckenhohen Bücherregalen und einer knarrenden Holztreppe, und da die Bücher hier nicht thematisch, sondern nach Ländern sortiert sind, ist es mehr als nur ein Buchladen. Es ist eine Reise um die Welt.

Zielstrebig marschiere ich an Malaysia und Afrika vorbei zum Kartenständer, den ich kurz drehe, und auf Anhieb habe ich schon die perfekte Karte für Mum und Dad gefunden. Zufrieden drehe ich mich um und will zur Kasse gehen.

Bleibe dann aber abrupt stehen.

Moment mal …

In einer dunklen Ecke des Ladens drückt sich eine stattliche grauhaarige Dame in einem Columbo-Trenchcoat mit hochgeklapptem Kragen herum, auf der Nase eine überdimensionale Sonnenbrille, und benimmt sich wirklich sehr verdächtig. Hektisch kaugummikauend zieht sie etliche Bücher aus dem Großbritannien-Regal und schaut sich dann um, ob irgendwer sie beobachtet.

Das ist doch Diana. Wobei sie mich anscheinend noch nicht gesehen hat. Was um alles auf der Welt macht sie denn da?

Gerade will ich ihren Namen rufen, da lässt sie die Bücher in einer einzigen geschmeidigen Bewegung einfach unter dem Mantel verschwinden.

Ach du lieber Himmel. Sie klaut!

Entsetzt muss ich mit ansehen, wie sie zielstrebig auf den Ausgang zusteuert und dabei geflissentlich den Blicken der Verkäufer ausweicht. Ich traue meinen Augen kaum. Im ersten Moment bin ich vor Schreck wie versteinert, dann komme ich schlagartig zu mir. Ich kann nicht einfach dastehen und tatenlos zusehen, wie sie in ihr Unglück rennt. Ich muss etwas tun. Ich muss sie aufhalten, ehe sie auf frischer Tat ertappt wird. Diana ist nicht nur meine Agentin, sondern auch eine gute Freundin.

Plötzlich habe ich schon die Schlagzeilen vor Augen:

Erfolgreiche Literaturagentin in London beim Bücherdiebstahl erwischt

»Ich weiß auch nicht, was mich dazu getrieben hat«, jammerte die blamierte Diana Diamond, als sie in Handschellen abgeführt wurde. »Mein Ruf und meine Karriere sind ruiniert!«

Wild entschlossen, sofort einzuschreiten, stürme ich auf sie zu wie ein Rugbyspieler. Sie mag zwar über eins achtzig groß sein, aber wenn’s sein muss, werfe ich sie um und ringe sie zu Boden.

»Diana!«, rufe ich laut und versperre ihr den Weg.

Sie schaut überrascht auf, und als sie mich sieht, verzieht sich ihr Gesicht zu einem strahlenden Lächeln. »Hey, Süße!«, ruft sie mit ihrem unüberhörbaren New Yorker Akzent. »Du siehst toll aus, wie immer!«

»Du aber auch«, entgegne ich lächelnd und versuche, nicht auf den dicken Knubbel unter ihrem Trench zu schielen. Mir fehlen die Worte. Die Situation erinnert mich an meine Schulzeit; damals hatte eine meiner Klassenkameradinnen ganz schrecklichen Mundgeruch, und wir wussten einfach nicht, wie wir es ihr sagen sollten. Schließlich habe ich ihr eine Schachtel Atemfrische-Pastillen gekauft in der Hoffnung, dass sie den Wink mit dem Zaunpfahl versteht.

Aber diese Situation erfordert wohl etwas mehr als eine Lutschpastille.

»Ich dachte mir, ich springe mal eben rein und schaue mir an, was die Konkurrenz so treibt«, erklärt sie lachend. »Alte Gewohnheit von mir.«

Vielleicht ist sie Kleptomanin. Vielleicht kann sie nicht anders. Vielleicht ist es eine Zwangsstörung, eine richtige Krankheit, die sie mir bisher verschwiegen hat.

»Aber hey, lass uns doch rübergehen, dann essen wir eine Kleinigkeit und quatschen ein bisschen.«

Mist. Ich muss sie aufhalten. Aber wie? Wie nur?

Sie will an mir vorbeigehen, und mir bleibt keine andere Wahl. Todesmutig stelle ich mich ihr in den Weg.

»Hoppla!«, ruft sie lachend, als wir beinahe zusammenstoßen, und macht einen Schritt zur Seite. Ich tue es ihr gleich. Wieder weicht sie mir lachend aus. Ich folge ihr wie ein Spiegelbild. Hin und her, vor und zurück wie bei einem seltsamen Tanz, bis sie schließlich entnervt aufstöhnt. »Ruby, alles okay mit dir?«, fragt sie, schiebt sich die Sonnenbrille in die Haare und schaut mich durchdringend an. »Du benimmst dich wirklich sehr eigenartig.«

»Ich benehme mich eigenartig?«, poltere ich ungehalten, reiße mich aber rasch zusammen und senke die Stimme. »Du hast Bücher unter dem Mantel versteckt«, zische ich entrüstet.

»Ich weiß«, erwidert sie ungerührt.

Ich bin ehrlich schockiert. Himmel, wie dreist sie es auch noch zugibt.

»Das sind alles deine Bücher«, erklärt sie trocken und schlägt kurz den Mantel zurück. Ich sehe einen ganzen Stapel meines neuesten Romans, den sie im Mantelfutter versteckt hat.

Vollkommen fassungslos starre ich sie an. »Aber warum klaust du meine Bücher?«, flüstere ich.

Worauf sie den Kopf in den Nacken legt und in kehliges Gelächter ausbricht. »Die wollte ich doch nicht klauen, du Dummchen!« Und damit rauscht sie an mir vorbei zum »Bücher der Woche«-Tisch und macht sich daran, die Auslage umzuarrangieren.

»Was tust du denn da?«, zische ich entsetzt und stürze zu ihr.

»Na, wenn sie da hinten im Regal stehen, sieht sie doch kein Mensch, oder?«, fragt sie, schiebt rücksichtslos ein paar Promis-packen-aus-Bestseller beiseite und knallt stattdessen meine Bücher schwungvoll mitten auf den Tisch. Dann verteilt sie das Ganze gleichmäßig über die Auslage, nimmt ein Buch und wedelt damit vor meiner Nase herum.

»Kommen Sie, und kaufen Sie diesen Roman von Ruby Miller«, trompetet sie laut einer älteren Dame zu, die gerade in der Ecke mit den russischen Klassikern stöbert. Die alte Dame schaut von ihrem Dostojewski auf und betrachtet sie skeptisch durch die Brille.

»Wirklich toll, und trieft nur so vor Sex«, versichert Diana augenzwinkernd.

Oh mein Gott.

»Entschuldigen Sie bitte vielmals, ignorieren Sie meine Freundin einfach«, stammele ich mit hochrotem Kopf. »Sie ist Amerikanerin«, erkläre ich, fasse Diana entschlossen am Ellbogen und dirigiere sie zum Ausgang.

»Was hast du denn gegen Sex?«, protestiert sie.

Bilde ich mir das ein, oder wird sie immer lauter? Etliche Kunden haben sich bereits nach uns umgedreht und starren uns mit offenen Mündern an. Entschlossen schubse ich sie nach draußen vor die Tür.

»Ich schreibe Liebesgeschichten, keine Pornos!«, empöre ich mich, kaum dass wir auf der Straße stehen.

»Na und?«, fragt sie achselzuckend. »Sex sells.«

Worauf ich sie nur mit einem abfälligen Blick bedenke. Nachdem Fifty Shades of Grey für so viel Furore gesorgt hat, liegt sie mir ständig in den Ohren, ich solle es doch mal mit erotischer Frauenliteratur versuchen. Aber das kann ich nicht. Nie im Leben. Einmal habe ich beim Sex schmutzige Sachen zu meinem Freund gesagt – auf seinen ausdrücklichen Wunsch, wie ich betonen möchte –, und es war mir todpeinlich. Ich kann das einfach nicht. Nicht dass ich prüde wäre, ich nenne mein bestes Stück nicht »die vordere Öffnung« wie meine Freundin Harriet, aber ich kann das Sie-wissen-schon-Wort nicht mal laut aussprechen, geschweige denn schreiben. Man stelle sich nur vor, meine Eltern würden das lesen!

Mir wird siedend heiß bei dem Gedanken. Himmel, nein. Lieber nicht.

Rasch flüchten wir vor dem Regen, der sich nun doch noch entschlossen hat, Ernst zu machen, und in Bindfäden vom Himmel regnet, in das Café nebenan. Sofort kommt eine Kellnerin, führt uns an einen Tisch und nimmt unsere Bestellung auf.

»Und, wie läuft es mit dem neuen Buch?«, fragt Diana. Sie kommt immer gleich ohne Umschweife zur Sache.

Ich habe ein flaues Gefühl im Magen bei dem Gedanken daran, wie ich vorhin vor dem Rechner saß und auf den leeren Bildschirm gestarrt habe. »Langsam«, entgegne ich ausweichend.

»Wie viel hast du denn schon geschrieben?«

»Ähm, du meinst, wie viele Seiten genau?«, versuche ich Zeit zu schinden.

»Ich kann es nämlich kaum erwarten, endlich was davon zu lesen!«, plappert sie munter weiter. »Ich dachte, du könntest mir vielleicht die ersten ein-, zweihundert Seiten oder so mailen, dann habe ich auf dem Rückflug nach New York was zu schmökern.«

Diana arbeitet für eine Literaturagentur mit Sitz in London, die in New York eine Zweigstelle hat, weshalb sie ständig hin- und herfliegt. Klingt aufregend, bedeutet aber in Wirklichkeit nur, sich von minderwertigem Flugzeugfraß zu ernähren und permanent unter Jetlag zu leiden.

»Also, die Sache ist die …« Ich schlucke schwer. Mist. Ich muss die Karten auf den Tisch legen. »Es gibt nichts zu lesen«, platze ich heraus.

Erst wird es ganz still, und dann …

»Nichts?« Selbst Diana, die nicht so leicht zu erschüttern ist, die bei Verlegern notfalls mit Klauen und Zähnen für meine Rechte kämpft und die einfach nichts aus dem Konzept bringt, wirkt leicht beunruhigt.

»Nein, noch nicht«, erkläre ich hastig. »Aber das ist nur eine ganz harmlose kleine Schreibblockade. Das wird schon«, versichere ich, wobei ich nicht so genau weiß, ob ich damit eher sie oder mich beruhigen will.

»Klar wird das«, pflichtet sie mir aufmunternd bei. Anscheinend ist ihr gerade wieder eingefallen, dass es ihr Job ist, mich, wo es nur geht, zu unterstützen und zu ermutigen. »Du brauchst ein bisschen Inspiration. Ich habe genau das Richtige für dich. Also, pass auf, da ist so ein Mann …«

»Nein«, falle ich ihr energisch kopfschüttelnd ins Wort.

»Was soll das heißen, nein? Du weißt ja noch gar nicht, was ich sagen wollte.«

Worauf ich sie nur vielsagend ansehe. »Ist der Papst katholisch?«

»Was?« Mit weit aufgerissenen Augen und Unschuldsmiene schaut sie mich an. »Ich bin deine Agentin; unfassbar, dass du mir nicht vertraust.«

Sofort zwackt mich ein Gewissensbiss. »Tut mir leid«, entschuldige ich mich schnell und fühle mich richtig mies, ihr niedere Absichten unterstellt zu haben. »Ich dachte tatsächlich, du willst mich schon wieder verkuppeln.«

Sie wird puterrot. »Also, verkuppeln würde ich es jetzt nicht unbedingt nennen.«

Augenblick mal …

»Wieso, wie würdest du es denn nennen?«, frage ich misstrauisch.

»Es ist mehr ein Gefallen. Es geht um den Freund eines Freundes, der Ende des Monats nach London kommt. Er kennt hier niemanden«, erklärt sie knapp, noch ehe ich einen Pieps sagen kann. »Und ich habe versprochen, dass du dich mit ihm auf einen Kaffee triffst. Mehr nicht«, sagt sie mit einem strahlenden Lächeln.

»Tja, dann muss ich dich leider enttäuschen«, entgegne ich sehr bestimmt.

Missbilligend runzelt sie die Stirn. »Ach komm, Ruby. Nur auf eine kleine Tasse Kaffee.«

»Genau so haben Sam und ich uns kennengelernt. In der Warteschlange bei Starbucks. Schon vergessen? In einem Moment spendiert er mir einen Cappuccino und fragt nach meiner Telefonnummer, achtzehn Monate später betrügt er mich, und ich muss die Hochzeit absagen.«

»Ich weiß, und das ist wirklich ätzend, aber das ist inzwischen über ein Jahr her …«

»Für mich fühlt es sich immer noch an, als sei es gestern gewesen«, entgegne ich leise.

Sie beugt sich über den Tisch und drückt mitfühlend meine Hand. »Ich weiß, Süße«, sagt sie sanft, »aber du darfst den Glauben an die Liebe nicht verlieren.«

»Und warum nicht?«, frage ich hitzig.

»Weil du sonst als Ladenhüter im Regal liegen bleibst, genau wie deine Bücher«, witzelt sie. Sie will mich zum Lachen bringen, aber ihre Bemerkung bestärkt mich noch in meinem Widerstand.

»Mir doch egal«, brumme ich achselzuckend und lehne mich zurück. »Wer weiß, vielleicht ist es ja besser so.«

Schockiert schaut Diana mich an.

»Ja, warum denn nicht?«, blaffe ich, und der Gedanke, gerade gedacht, glimmt auf wie eine glühende Kohle, aus der eine Flamme züngelt. »Ich war immer eine rettungslose Romantikerin, habe von Liebe und Hochzeit und Märchen-Happy-Ends geträumt … Und ja, ich weiß, es ist nicht immer leicht«, füge ich rasch hinzu, ehe sie mich unterbricht, »aber ich habe nie die Hoffnung aufgegeben – wie die Beatles schon sagten: ›All you need is love‹.« Ich breche ab und starre auf den Tisch. Aufgewühlt drehe ich die Serviette zusammen, und in meinem Kopf geht es drunter und drüber. Es brodelt in mir, die Emotionen kochen hoch; all der Schmerz, die vielen Enttäuschungen, die mein armes gebrochenes Herz ertragen musste. »Aber weißt du was? Ich mach da nicht mehr mit. Die Beatles haben ja keine Ahnung, das ist alles Käse …«

»Das kannst du doch so nicht sagen!«, protestiert Diana.

»Doch, ich kann«, gebe ich zurück.

Es ist, als hätte mir jemand den Schleier von den Augen gezogen. Als zerfiele alles, woran ich immer felsenfest geglaubt habe, woran ich mich im Leben festgehalten habe, um mich herum zu Staub, und plötzlich sehe ich die nackte Wahrheit. »Ich bin ja nicht die Einzige, der es so geht. Schau dir doch nur meine Freundinnen an!«, schimpfe ich nur mühsam beherrscht. »Alle sind von der Liebe enttäuscht. Sieh dir Harriet an. Die hat gerade erfahren, dass der Mann, mit dem sie sich seit einiger Zeit trifft, noch verheiratet ist! Oder Molly: Ihr Freund ist bindungsunfähig und hat ihr auch nach sieben Jahren Beziehung noch immer keinen Antrag gemacht. Und was ist mit Rachel? Sie ist seit Ewigkeiten Single, weil jedes Date in einer Katastrophe endet …«

»Und genau aus diesem Grund bringst du auch nichts Gescheites zu Papier«, unterbricht Diana mich.

Ich verstumme und schaue sie an.

»Du hast keine simple Schreibblockade. Du glaubst einfach nicht mehr an das, was du da schreibst. Du glaubst nicht mehr an die wahre Liebe, Ruby«, stellt sie fest und schaut mich lange durchdringend an. »Du hast den Glauben an die Liebe verloren.«

Ich sage keinen Ton, ihre Worte hallen durch meinen Kopf, aber diesmal wettere ich nicht dagegen.

Ich kann die Augen nicht mehr davor verschließen. Monatelang habe ich versucht, die Angst zu ignorieren; habe versucht, mich daran festzuklammern, dass ich trotz allem immer noch dieselbe bin – die Frau, die an die große Liebe glaubt. Die große, echte, wahre Liebe. Die Himmel und Hölle bewegen und Berge versetzen und ohne die man nicht leben kann. Eine Liebe, die Menschen unglaubliche, verrückte, wunderbare Dinge tun lässt. Und trotz allem, was passiert ist, obwohl ihr Herz mit Füßen getreten, gebrochen und weggeworfen wurde, will ich diese Frau nicht loslassen.

Dabei ist sie längst nicht mehr da, wie ich nun einsehen muss.

»Du hast Recht«, wispere ich leise. »Ich glaube, ich habe den Glauben an die Liebe verloren.«

Die Kellnerin, die meine Gnocchi und Dianas Spaghetti marinara bringt, unterbricht uns. Weil sie hektisch herumwuselt und noch einen Teller für die Schalen bringt und ein Fingerschälchen mit einer Zitronenscheibe, ist Diana abgelenkt. Als die Kellnerin endlich fertig ist, widmen wir uns schweigend dem Essen.

Ein paar kurze Augenblicke später hört Diana zwischen zwei Bissen auf zu kauen. »Du brauchst ein bisschen Urlaub«, erklärt sie entschieden. »Wieso nimmst du dir nicht eine kleine Auszeit? Klappst den Laptop zu, schaltest das Handy aus und legst dich ein paar Tage irgendwo an den Strand.«

»An den Strand? Ich kann mich doch nicht einfach irgendwo an den Strand legen«, stöhne ich, aber sie walzt meinen Protest einfach platt.

»Das würde dir sicher guttun. Mal ehrlich, wann hast du dir das letzte Mal einen Urlaub gegönnt?«, fragt sie und sieht mich vielsagend an.

»Vorletztes Jahr. Sam und ich waren zum Radfahren in Norwegen. Du weißt ja, er hatte ein Faible für Aktivurlaube.«

»Das ist doch kein Urlaub. Urlaub heißt, im Bikini am Strand zu liegen, und nicht, sich mit Fleecepulli und Rucksack auf einem Fahrrad abzustrampeln.«

Ich muss lächeln. »Ich weiß, aber es geht einfach nicht, ich habe zu viel zu tun …«

»Vertrau mir, ich bin deine Agentin, ich weiß, was das Beste für dich ist. Schau mal …« Und dann weist sie mit der Gabel zum Fenster. Mein Blick folgt dem Besteck, und ich sehe die kleine alte Dame aus dem Buchladen. Sie sitzt dort an einem Tisch, nippt an ihrem Cappuccino und ist ganz in ein Buch vertieft. Allerdings ist es nicht Dostojewski, sondern einer meiner Romane.

Ich drehe mich wieder zu Diana um, die mich mit hochgezogenen Augenbrauen anschaut. »Tust du jetzt, was ich dir sage?« Mit der Gabel fuchtelt sie beängstigend nahe vor meiner Nase herum. »Ein Urlaub würde dir guttun. Also, worauf wartest du noch?«

Drittes Kapitel

Als ich nach Hause komme, dämmert es schon. Es regnet in Strömen, und ich stecke gerade den Schlüssel ins Schloss, als ich hinter mir auf der Treppe lautes Gerumpel höre. Mir bleibt vor Schreck fast das Herz stehen, und zittrig vor Angst drehe ich mich um.

»Wer ist da?«, knurre ich, so tief und brummig ich nur kann.

Eine dunkle Gestalt. Dann raschelt es in den Büschen. Ach du liebes bisschen! Gerade wenn man denkt, es kann nicht schlimmer kommen, wird man hinterrücks überfallen! Noch dazu vor der eigenen Haustür!

Von Panik und Entsetzen gepackt versuche ich, mein vor Schreck lahmgelegtes Hirn zu reaktivieren. Ich muss jetzt schnell sein und meinen Angreifer überrumpeln. Angriff ist die beste Verteidigung…

»Ruby, Liebes, sind Sie das?«

Auf einmal höre ich eine zittrige Stimme.

»Mrs Flannagan!«, rufe ich erleichtert. »Was machen Sie denn da?«

»Tut mir leid, habe ich Sie erschreckt?« Das Außenlicht geht an, und auf der anderen Seite der Hecke erscheint unvermittelt ein runzeliges Gesicht unter einer Plastikregenhaube.

»Nein, gar nicht, wie kommen Sie denn darauf?«, schwindele ich und komme mir reichlich dumm vor, dass meine kleine, silbergrauhaarige Nachbarin mich beinahe zu Tode erschreckt hätte. Mrs Flannagan geht auf die achtzig zu, ist verwitwet und raucht wie ein Schlot. Seit achtundfünfzig Jahren wohnt sie in der Wohnung nebenan. Oft halten wir über die Gartenmauer ein kleines Schwätzchen. Zum Rauchen geht sie gerne vor die Tür. Inzwischen geht sie am Stock, weil sie so wacklig auf den Beinen ist, aber mindestens dreimal am Tag steht sie vor der Tür und pafft ihre Rauchzeichen in den Himmel, wie sie es schon seit über einem halben Jahrhundert macht.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!