Erzählungen von der Alhambra - Washington Irving - E-Book

Erzählungen von der Alhambra E-Book

Washington Irving

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Der berühmte Reisebericht von Washington Irving über die maurische Vergangenheit von Andalusien

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Washington Irving

Erzählungen von der Alhambra

Der berühmte Reisebericht von Washington Irving über die maurische Vergangenheit von Andalusien

Novelaris Verlag 2024

ISBN: 978-3-68931-007-3

Inhaltsverzeichnis

Widmung an David Wilkie

Die Reise

Befehlshaberschaft der Alhambra.

Das Innere der Alhambra.

Der Turm des Comares.

Gedanken über die maurische Herrschaft in Spanien.

Die Haushaltung.

Der Flüchtling.

Des Verfassers Wohnung.

Die Alhambra im Mondlichte.

Bewohner der Alhambra.

Der Löwenhof.

Boabdil el Chico.

Erinnerungen an Boabdil.

Der Balkon.

Das Abenteuer des Maurers.

Ein Spaziergang auf die Hügel.

ÖRTLICHE SAGEN

Das Haus des Wetterhahns.

Sage von dem arabischen Astrologen.

Der Turm der Prinzessinnen.

Sage von den drei schönen Prinzessinnen.

Besucher der Alhambra.

Sage von dem Prinzen Ahmed al Kamel; oder der Liebespilger.

Sage von des Mauren Vermächtnis.

Sage von der Rosa der Alhambra; oder der Page und der Geierfalk.

Der Veteran.

Der Statthalter und der Notar.

Statthalter Manco und der Soldat.

Sage von den zwei verschwiegenen Statuen.

Muhamed Abu Alahmar, der Gründer der Alhambra.

Yusef Abul Hagig, der Vollender der Alhambra.

Cover

Table of Contents

Text

Widmung an David Wilkie

Mein lieber Herr!

Sie werden sich erinnern, dass wir bei unseren gemeinschaftlichen Wanderungen in einigen der alten Städte Spaniens, namentlich in Toledo und Sevilla, eine große Mischung des Sarazenischen mit dem Gotischen – Überbleibsel aus der Zeit der Mauren – bemerkten, und mehr als einmal über Szenen und Vorfälle in den Straßen staunten, welche uns Stellen aus den Märchen der tausend und einen Nacht zurückriefen. Sie drangen damals in mich, etwas zu schreiben, das diese Eigentümlichkeiten erläuterte, »etwas in dem Haroun Al Raschid Styl,« das einen Beigeschmack von jenem arabischen Gewürz hätte, welches alles in Spanien durchdringt.

Ich erinnere Sie daran, um Ihnen zu zeigen, dass Sie in gewisser Hinsicht für dieses Werk verantwortlich sind, in welchem ich einige Arabesken-Skizzen aus dem Leben, und auf Volksüberlieferungen gegründete Erzählungen gegeben habe, welche während eines Aufenthalts in einem der vorzugsweise Maurisch-Spanischen Paläste der Halbinsel gesammelt wurden.

Ich weihe Ihnen diese Blätter als ein Andenken an die fröhlichen Szenen, von denen wir in jenem Lande der Abenteuer gemeinschaftlich Zeugen waren, und als einen Beweis der Achtung für Ihren Werth, die nur von der Bewunderung Ihrer Talente übertroffen wird.

Ihr Freund und Reisegefährte,

Im Mai, 1832.

der Verfasser.

Die Reise

Im Frühling 1829 machte der Verfasser dieses Werkes, den die Neugierde nach Spanien geführt hatte, in Gesellschaft eines Freundes, einem Mitgliede der russischen Gesandtschaft zu Madrid, eine Reise von Sevilla nach Granada. Der Zufall hatte uns aus verschiedenen Regionen des Erdballs zusammengeführt und eine Gleichartigkeit des Geschmacks veranlasste uns gemeinschaftlich in Andalusiens romantischen Bergen umher zu wanderen. Wenn ihm diese Blätter zu Gesicht kommen, wohin auch die Pflichten seines Berufes ihn geschleudert haben, ob er an dem Gepränge der Höfe Teil nehme, oder über den echteren Glanz der Natur nachsinne, mögen sie die Szenen unserer abenteuerlichen Genossenschaft und mit ihnen die Erinnerung an Jemand zurückrufen, bei dem weder Zeit noch Entfernung das Andenken an sein einnehmendes Wesen und seinen Wert verlöschen werden.

Und hier sei es mir, ehe wir die Reise beginnen, vergönnt, vorläufig einiges über spanische Landschaften und spanisches Reisen zu bemerken. Mancher mag sich wohl in seinem Geiste Spanien als ein mildes, südliches Land denken, mit all den üppigen Reizen des wollüstigen Italiens ausgeschmückt. Im Gegenteil ist es, obgleich in einigen der Küstenprovinzen Ausnahmen gefunden werden, zum größeren Teil ein ernstes, melancholisches Land, mit rauen Gebirgen, lang hinziehenden Ebenen, baumlos, unbeschreiblich stumm und einsam, dem wilden und abgeschlossenen Charakter Afrikas sich nähernd. Was dieses Schweigen und diese Einsamkeit vermehrt, ist der Mangel an Singvögeln, eine natürliche Folge des Abgangs an Laubwerk und Hecken. Wohl sieht man den Geier und den Adler über den Bergen kreisen und über die Ebenen schweben, und Gruppen von scheuen Trappen auf den Heiden umherschreiten; allein die Myriaden kleinerer Vögel, welche den ganzen Charakter anderer Gegenden beleben, trifft man nur in wenigen Provinzen Spaniens und hier vorzüglich in den Obststücken und Gärten, welche die Wohnungen der Menschen umgeben.

In den Inneren Provinzen durchschneidet der Reisende zuweilen große Strecken, die soweit das Auge reichen kann, mit Frucht besäet sind, jetzt in grünen Wellen wogend, jetzt nackt und sonnenverbrannt; aber vergebens sucht er rund umher die Hand, welche den Boden gebaut hat. Endlich bemerkt er irgendein Dorf an einer steilen Höhe oder an einem rauen Fels, mit zerfallenden Zinnen und den Trümmern eines Wartturms, in alten Zeiten ein fester Platz gegen Bürgerkrieg oder maurischen Einfall; denn die Gewohnheit, sich zu wechselseitigem Schutz zu versammeln, wird zufolge der Räuberei umherstreifender Freibeuter, in den meisten Teilen Spaniens noch unter den Landleuten beibehalten.

Obgleich es aber einem großen Teil von Spanien an dem Schmuck des Laubwerks und der Wälder und den sanfteren Reizen einer kunstreichen Anbauung fehlt, so hat seine Szenerie doch etwas von einem hohen und stolzen Charakter, wodurch jener Mangel ausgeglichen wird. Sie hat einige Ähnlichkeit mit den Eigentümlichkeiten ihres Volkes, und ich glaube den stolzen, kühnen, mäßigen und enthaltsamen Spanier, seinen männlichen Trotz gegen Mühseligkeiten und seine Verachtung gegen Verweichlichung besser zu kennen, seit ich das Land gesehen habe, welches er bewohnt.

Auch in den streng einfachen Zügen der spanischen Landschaft ist etwas, das die Seele mit einem Gefühl der Erhabenheit erfüllt. Die unermesslichen Ebenen der beiden Kastilien und der Mancha, die sich, soweit das Auge nur reichen kann, ausdehnen, erhalten selbst durch ihre Nacktheit und Unabsehbarkeit ein Interesse und haben etwas von der feierlichen Größe des Oceans. Wenn man diese grenzenlosen Wüsten durchwandert, fällt der Blick da und dort auf eine einzelne Rinderherde von einem einsamen Hirten gehütet, der bewegungslos wie eine Statue steht und dessen langer, schlanker Stab wie eine Lanze in die Luft emporragt; oder man sieht einen langen Zug von Maultieren, die sich langsam die Einöde entlang bewegen, wie ein Zug Kamele in der Wüste; oder einen einzelnen Hirten, der, mit Gewehr und Dolch bewaffnet, durch die Ebene eilt. So hat das Land, so haben die Sitten, selbst das Aussehen des Volkes etwas von dem arabischen Charakter. Der allgemeine Gebrauch der Waffen beweist, dass es überall unsicher in dem Lande ist. Der Hirt auf dem Feld, der Schäfer in der Ebene hat seine Flinte und sein Messer. Der reiche Dorfbewohner wagt sich selten in den Marktflecken, ohne seinen Trabuco und vielleicht einen Diener zu Fuß mit einer Büchse auf der Schulter bei sich zu haben, und die unbedeutendste Reise wird mit den Vorbereitungen eines kriegerischen Unternehmens angetreten.

Die Gefahren auf der Heerstraße veranlassen auch eine Reiseart, die in einem kleinen Maßstab den Karawanen des Ostens gleicht. Die Arrieros, oder Kerner, vereinigen sich zu Geleitschaften und gehen an bestimmten Tagen in großen und wohlbewaffneten Zügen ab, während hinzukommende Reisende ihre Zahl vermehren und ihre Stärke erhöhen. Auf diese alt einfache Weise wird der Handel des Landes betrieben. Der Maultiertreiber ist der allgemeine Vermittler des Verkehrs und der gesetzmäßige Durchzieher des Landes, der die Halbinsel von den Pyrenäen und den asturischen Gebirgen bis zu den Alpujarras, der Serrania de Ronda und selbst zu den Pforten von Gibraltar durchstreift. Er lebt mäßig und mühevoll; sein Alfurjas von grobem Tuche enthält seinen knappen Vorrat von Lebensmitteln; eine Lederflasche, die an dem Sattelbogen hängt, ist mit Wein oder Wasser gefüllt, um auf dem öden Gebirge oder den dürren Ebenen den Durst zu stillen. Eine Maultierdecke, auf den Boden gebreitet, ist des Nachts sein Bett und sein Packsattel ist sein Kissen. Seine kleine, aber schön gegliederte und kräftige Gestalt zeugt von Kraft; seine Gesichtsfarbe ist dunkel und sonnenverbrannt; sein Auge entschlossenen aber ruhigen Ausdrucks, ausgenommen wenn eine plötzliche Erregung es entflammt; sein Benehmen ist frei, männlich, höflich und er geht nie an dir vorbei ohne einen ernsten Gruß: »Dios guarde à usted!« »Va usted con Dios, Caballero!« – »Gott schirme euch! Gott sei mit euch; Herr!«

Da diese Leute oft ihr ganzes Vermögen in dem Gepäck ihrer Maultiere tragen, so haben sie ihre Waffen, die an den Sattel befestigt und augenblicklich zu verzweifeltem Widerstand bereit sind, stets zur Hand. Ihre vereinte Zahl aber sichert sie gegen kleine Banden von Schnapphähnen; und der einsame Bandolero, bis zu den Zähnen bewaffnet und auf seinem Andalusier sitzend, umschwebt sie, wie ein Seeräuber das Geleitschiff eines Kauffahrers, ohne einen Angriff zu wagen.

Der spanische Eseltreiber hat einen unerschöpflichen Vorrat von Liedern und Balladen, um sein unaufhörliches Wanderleben damit zu erheitern. Die Weisen sind rau und einfach, indem sie nur aus wenigen Inflexionen bestehen. Diese singt er mit lauter Stimme und langem, gezogenem Tonfall heraus, während er quer auf seinem Maultier sitzt, das mit unendlichem Ernste zu lauschen und mit seinem Schritt den Takt zu der Weiße zu halten scheint. Die so abgesungenen Strophen sind oft alte überlieferte Romanzen, die Mauren betreffend, oder irgendeine Heiligen-Legende, oder ein Liebesliedchen; oder, was noch häufiger der Fall ist, eine Ballade auf einen kecken Schleichhändler, oder einen kühnen Bandolero, denn der Schmuggler und der Räuber sind poetische Helden bei dem gemeinen Volke Spaniens. Oft ist der Gesang des Maultiertreibers ein Erzeugnis des Augenblicks und bezieht sich auf eine örtliche Scene oder auf irgendeinen Reisevorfall. Dieses Talent des Gesanges und der Improvisation ist sehr häufig in Spanien und soll ihnen von den Mauren vererbt worden sein. Es hat etwas wild Ergötzliches, diesen Liedern in den rauen und einsamen Gegenden, von denen sie Kunde geben, zu lauschen, wenn sie von dem Geklingel der Glocke des Maultiers begleitet werden.

Es ist auch von einer sehr malerischen Wirkung, in einem Gebirgspass auf einen Zug von Eseltreibern zu stoßen. Zuerst hört man die Glocken der vorderen Maultiere, die mit ihrem einfachen Tone die Stille der luftigen Höhe unterbrechen; oder vielleicht die Stimme des Eseltreibers, der ein träges oder vom Weg abgekommenes Thier ermahnt, oder mit der ganzen Kraft seiner Lunge eine alte Ballade singt. Endlich sieht man die Maultiere sich langsam den engen Felsenpass entlang winden, zuweilen steile Klippen niedersteigend, so dass sie sich scharf gegen den Himmel abzeichnen, zuweilen aus den tiefen öden Klüften unten sich empor arbeitend. Während sie sich nähern, unterscheidet man ihren bunten Schmuck von wollenen Büschen, Troddeln und Satteldecken, während, beim Vorüberziehen, der stets bereite Trabuco hinter den Päcken und Sätteln, die Unsicherheit der Straße andeutet.

Das alte Königreich Granada, in welches wir nun eintreten, ist eines der bergigsten Länder Spaniens. Weite Sierras, oder Gebirgsketten, ohne Strauch oder Baum, farbig von mannigfachen Marmorn und Graniten, erheben ihre sonnverbrannten Gipfel gegen einen tief blauen Himmel; allein in ihren schroffen Gründen liegen die grünsten und fruchtbarsten Täler eingeklüftet, wo Wüste und Garten um den Vorrang streiten und selbst der Fels gezwungen scheint, Feigen, Orangen und Zitronen zu spenden und sich mit der Myrthe und der Rose zu schmücken.

Der Anblick ummauerter Städte und Dörfer, die wie Adlernester an den Klippen hängen und von maurischen Zinnen umgeben sind, oder von zerfallenden Warttürmen, die auf luftigen Kuppen thronen, führen in den wilden Pässen dieser Berge den Geist in die ritterliche Zeit des christlichen und mohammedanischen Kriegslebens und zu dem romantischen Kampf um Granadas Eroberung zurück. Der Reisende muss, wenn er diese hohen Gebirge durchzieht, absteigen und sein Pferd die steilen und eingekerbten Pfade, die bergan und talab führen und den zerbrochenen Stufen einer Treppe gleichen, auf und nieder leiten. Zuweilen windet sich der Weg schwindlige Abgründe entlang, ohne ein Geländer, das ihn vor der Tiefe unten schützt, und stürzt dann tiefe, dunkle und gefährliche Abhänge nieder. Zuweilen geht er durch raue Barrancas, oder Schluchten, von Winterströmen ausgewaschen, der heimliche Pfad der Schmuggler; während da und dort das bedeutungsvolle Kreuz, das Denkzeichen einer Räuberei oder eines Mordes, auf einem Steinhaufen an irgendeinem einsamen Teil des Weges errichtet, den Reisenden ermahnt, dass er im Bereich von Banditen, vielleicht in diesem Augenblick unter den Augen eines lauernden Bandolero ist. Zuweilen setzt ihn, wenn er sich durch die engen Täler windet, ein raues Gebrüll in Erstaunen und er sieht über sich, auf einem grünen Einschnitt der Bergseite, eine Heerde wilder andalusischer Stiere, die zum Kampfe der Arena bestimmt sind. Es ist etwas Schauerliches in dem Anblick dieser furchtbaren Tiere, mit schreckenhafter Kraft begabt und, fast Fremdlinge dem Antlitz des Menschen, in ungezähmter Wildheit ihre heimatlichen Weiden durchstreifend; sie kennen niemand, als den einsamen Hirten, der sie hütet und er selbst wagt es zu Zeiten nicht, ihnen nahe zu kommen. Das tiefe Brüllen dieser Stiere und ihr drohendes Aussehen, wenn sie von der Felsenhöhe nieder blicken, erhöht die Wildheit der rauen Szenerie umher.

Ich habe mich unwillkürlich verleiten lassen, bei den allgemeinen Zügen des Reisens in Spanien länger zu verweilen, als meine Absicht war. Es ist aber etwas Romantisches in jeder Erinnerung an die Halbinsel und die Einbildungskraft scheidet ungern davon.

Am ersten Mai verließen mein Gefährte und ich Sevilla, um nach Granada zu gehen. Wir hatten alle Vorbereitungen getroffen, welche eine solche Reise durch gebirgige Gegenden, wo die Wege wenig mehr als bloße Pfade für Maultiere und zu häufig von Räubern belagert sind, notwendig machte. Der wertvollere Teil unseres Gepäcks war durch Arrieros vorausgeschickt worden; wir behielten nur Kleidung und das Notwendigste für den Weg und Geld für die Ausgaben der Reise bei uns; doch steckten wir von letzterem einen kleinen Überschuss zu uns, um den Erwartungen der Räuber, wenn wir angegriffen würden, Genüge zu tun, und uns die raue Behandlung zu ersparen, die den zu sparsamen geldarmen Reisenden erwartet. Zwei starke Pferde wurden für uns, ein drittes für unser kleines Gepäck und einen stämmigen Biskaier gemietet, einen Burschen von ungefähr zwanzig Jahren, der uns durch die Irrgewinde der Bergwege führen, für die Pferde sorgen, gelegentlich die Stelle unseres Bedienten und immer die unseres Wächters vertreten sollte; denn er hatte einen furchtbaren Trabuco oder Karabiner, um uns gegen Rateros, oder Straßenräuber zu Fuß, zu verteidigen; er prahlte mit dieser Waffe ungemein viel, obgleich ich, zur Unehre seiner Anführerschaft, sagen muss, dass sie gewöhnlich ungeladen hinter seinem Sattel hing. Er war jedoch ein treues, munteres, gutherziges Wesen, voller Phrasen und Sprichwörter, wie jenes Wunder von Knappen, der berühmte Sancho selbst, dessen Namen wir ihm gaben; und als echter Spanier überschritt er, obgleich wir ihn mit genossenschaftlicher Vertraulichkeit behandelten, nicht einen Augenblick, selbst nicht in seiner besten Laune, die Grenzen des respektvollen Anstandes.

So ausgerüstet und begleitet begaben wir uns auf die Reise, in der echten Stimmung, uns zu vergnügen. Welch ein Land ist, mit einer solchen Stimmung, Spanien für einen Reisenden, wo das elendeste Wirtshaus voll Abenteuer wie ein bezaubertes Schloss, und jede Mahlzeit an sich schon eine Heldentat ist! Lasst andere über den Mangel regelrechter Straßen und stattlicher Gasthäuser und all die künstlichen Behaglichkeiten eines zu Zahmheit und Alltäglichkeit ausgebildeten Landes klagen; aber mir gebt das raue Bergklettern, das umschweifende, aufs Gradewohl hingehende Wanderleben, die offenen, gastfreundlichen, obwohl halbwilden Sitten, welche dem romantischen Spanien einen so echten Hochgeschmack geben.

Unser erstes Nachtlager bot etwas der Art dar. Wir kamen nach einer ermüdenden Reise über eine weite, hauslose Ebene, wo Regenschauer uns wiederholt durchnässt hatten, nach Sonnenuntergang zu einer kleinen Stadt in den Bergen. In dem Wirtshaus war eine Abteilung von Miqueletes, welche die Gegend durchstreiften, um Räuber zu verfolgen. Die Erscheinung von Fremden, wie wir, war in dieser entlegenen Stadt etwas Ungewöhnliches; unser Wirth studierte mit zwei oder drei alten gesprächigen Kameraden in braunen Mänteln in einer Ecke der Posada unsere Pässe, während ein Alguazil bei dem trüben Licht einer Lampe mit Schreiben beschäftigt war. Die Pässe waren in fremden Sprachen und verwirrten sie, bis unser Knappe Sancho sie in ihren Studien unterstützte und unsere Wichtigkeit mit der Großsprecherei eines Spaniers erhob. Mittlerweile hatte die großmütige Verteilung einiger Zigarren die Herzen aller um uns gewonnen; nach kurzer Zeit schien die ganze Gemeinde in Aufruhr, um uns zu bewillkommnen. Der Corregidor selbst machte uns seinen Besuch, und die Wirtin machte mit Gepränge einen Armstuhl mit einem Strohsitz in unserer Stube für die Bequemlichkeit dieser wichtigen Person zurecht. Der Anführer der Misqueletes aß mit uns zu Nacht, ein lebendiger, gesprächiger, lachlustiger Andalusier, der einen Feldzug in Südamerika mitgemacht hatte, und uns seine Liebes- und Kriegstaten mit vielem Wortgepräng, heftigem Mienenspiel und geheimnisvollem Rollen der Augen erzählte. Er sagte uns, er habe eine Liste aller Räuber der Umgegend, und gedenke, einen wie den anderen an das Tageslicht zu ziehen; zugleich bot er uns einige seiner Soldaten als Geleit an. »Einer reicht hin, Sie zu schützen, Sennores; die Räuber kennen mich und kennen meine Leute; der Anblick eines einzigen reicht hin, Schrecken in der ganzen Sierra zu verbreiten.« Wir dankten ihm für sein Anerbieten, versicherten ihn aber in seiner eignen Weise, unter dem Schutz unseres gefürchteten Knappen Sancho flößten uns alle Räuber Andalusiens keine Angst ein.

Während wir mit unserm eisenfresserischen Freunde zu Nacht aßen, hörten wir die Töne einer Gitarre und den Schall von Kastagnetten, und dann einen Chor von Stimmen, die eine bekannte Melodie sangen. In der Tat hatte unser Wirth die Sänger und Musiker und die ländlichen Schönen der Nachbarschaft zusammengerufen, und als wir hinaustraten, bot der Hof des Wirtshauses eine Szene echt spanischer Festlichkeit dar. Wir nahmen unsere Sitze bei dem Wirthe, der Wirtin und dem Anführer der Patrouille unter dem Bogenthor des Hofes; die Gitarre ging von Hand zu Hand, aber ein jovialer Schuhmacher war der Orpheus des Ortes. Er war ein freundlich aussehender Bursche mit großem schwarzem Backenbart; seine Ärmel waren bis zu den Ellenbogen aufgerollt; er spielte die Gitarre meisterhaft, und sang kleine verliebte Lieder mit einem ausdrucksvollen Seitenblick auf die Frauen, bei denen er augenscheinlich sehr in Gunst stand. Er tanzte dann zur großen Freude der Zuschauer mit einer drallen andalusischen Maid den Fandango. Aber keine der anwesenden Mädchen konnte sich unsers Wirthes hübscher Tochter, Pepita, vergleichen, die sich weggeschlichen und ihre Toilette gemacht, und ihren Kopf mit Rosen geschmückt hatte, und sich in einem Bolero mit einem schönen jungen Dragoner auszeichnete. Wir hatten unserm Wirth aufgetragen, Wein und Erfrischungen unter den Leuten herumzugeben, und obgleich die Gesellschaft aus einem bunten Gemisch von Soldaten, Eseltreibern und Dörflern bestand, überschritt doch niemand die Grenzen nüchterner Belustigung. Die Scene konnte eine Studie für Mahler abgeben: die pittoreske Gruppe der Tänzer, die Miqueletes in ihrer halb militärischen Tracht, die Landleute in ihre braune Mäntel drapiert, auch darf ich des alten magern Alguazil in einem kurzen schwarzen Mantel nicht vergessen, der an nichts, was um ihm vorging, Teil nahm, sondern in einem Winkel saß, und emsig beim trüben Licht einer großen kupfernen Lampe schrieb, welche in den Tagen des Don Quixote eine Rolle gespielt haben mochte.

Ich schreibe keinen regelmäßigen Reisebericht, und beabsichtige keine Schilderung der mannigfaltigen Begegnisse unserer mehrtägigen Streifereien über Täler und Höhen, Niederungen und Berge. Wir reisten auf echte Schleichhändlerweise, indem wir alles das Rauhe wie das Freundliche hinnahmen, wie sich’s fand, und mit allen Klassen und Ständen in einer Art landstreicherischer Genossenschaft verkehrten. Dies ist die rechte Weise, in Spanien zu reisen. Da wir die Spärlichkeit der Speisekammer der Wirtshäuser und die öden Landstriche kannten, welche der Reisende oft durchziehen muss, sorgten wir bei der Abreise, dass die Alforjas oder Sattelsäcke unseres Knappen mit kaltem Mundvorrat gut versehen, und sein Bota oder lederne Flasche, die einen stattlichen Umfang hatte, bis zum Hals mit ausgesuchtem Valdepenas-Wein gefüllt war. Da dieser Kriegsvorrat für unsern Feldzug sogar wichtiger war, als sein Trabuco, ermahnten wir ihn, ein wachsames Auge darauf zu haben, und ich muss ihm die Gerechtigkeit widerfahren lassen, und sagen, dass sein Namensvetter, der 1eckere Sancho, selbst ihn als sorglichen Proviantmeister nicht übertreffen konnte. Obschon die Alforjas und die Bota auf der Reise wiederholt und kräftig angegriffen wurden, schienen sie doch die wunderbare Eigenschaft zu haben, dass sie nie leer wurden; denn unser wachsamer Knappe sorgte, dass alles, was von unserer Abendmahlzeit in den Wirtshäusern übrigblieb, eingepackt und für die Zwischenmahlzeit des nächsten Tags aufgehoben wurde.

Welche üppigen Nachmittagsmahle hielten wir auf dem grünen Rasen, zur Seite eines Bachs oder Brunnens, unter einem schattigen Baum! und dann welche köstlichen Siestas auf unseren Mänteln, die wir auf das Grün breiteten!

Wir hielten eines Nachmittags, um ein Mahl dieser Art uns zu nehmen. Es war auf einer freundlichen, kleinen, grünen Wiese, von Hügeln umgeben, die mit Olivenbäumen bedeckt waren. Unter einer Ulme, am Rand eines sprudelnden Bächleins, waren unsere Mäntel ausgebreitet; auf einem grasigen Platz weideten die los angebundenen Pferde, und Sancho brachte seine Alforjas mit triumphierender Miene. Sie enthielt die Beisteuer von vier Reisetagen, hatte sich aber dadurch ungemein vermehrt, dass ein gut versehenes Wirtshaus zu Antequerra am vergangenen Abend neuen Vorrat lieferte. Unser Knappe zog den verschiedenartigen Inhalt allmählig hervor, und schien nicht zum Ende kommen zu können. Zuerst erschien ein gerösteter Bocksschlegel, der durch das Aufheben nicht viel schlechter geworden war; dann ein ganzes Rebhuhn; dann ein großes Stück gesalzenen Stockfisches, in Papier gewickelt; dann der Rest eines Schinkens, dann ein halbes Huhn mit verschiedenen Broden und einem bunten Haufen von Orangen, Feigen, Rosinen und Wallnüssen. Auch seiner Rota war mit trefflichem Malaga-Wein nachgeholfen worden. Bei jedem neuen Zug aus dem Sacke ergötzte er sich an unserm scherzhaften Staunen, warf sich zurück auf das Gras und lachte wie ein Kind. Dem einfach- gutmütigen Burschen gefiel nichts mehr, als wegen seiner Leckerhaftigkeit mit dem berühmten Knappen des Don Quixote verglichen zu werden. Er war in der Geschichte des Don sehr belesen, und hielt sie, wie die meisten gemeinen Leute in Spanien, für eine wahre Historie.

»Alles das hat sich aber doch vor langer Zeit zugetragen, Señor?« fragte er mich eines Tages mit forschendem Blick.

»Vor sehr langer Zeit,« war die Antwort.

»Ich glaube wohl, vor mehr als tausend Jahren?« immer noch zweifelhaft aussehend.

»Ich glaube wohl nicht weniger.«

Der Knappe war zufrieden gestellt.

Während wir, wie gesagt, unser Mahl hielten, und uns an dem einfach drolligen Wesen unsers Knappen belustigten, näherte sich uns ein Bettler, der fast das Aussehen eines Pilgers hatte. Er war augenscheinlich sehr alt, hatte einen grauen Bart und stützte sich auf einen Stab, doch hatte das Alter ihn noch nicht gebeugt; er war groß und grade, und zeigte die Trümmer einer schönen Gestalt. Er trug einen runden andalusischen Hut, eine Jacke von Schafspelz und lederne Hosen, Gamaschen und Sandalen. Seine Kleidung war alt und geflickt, aber anständig, sein Benehmen männlich; er redete uns mit jener ernsten Höflichkeit an, die man bei dem niedrigsten Spanier bemerkt. Wir waren in einer für solchen Besucher günstigen Stimmung, und gaben ihm in einem Anfall launenhafter Milde etwas Silber, ein schönes Weizenbrot und einen Becher von unserm trefflichen Malagawein. Er nahm dies erkenntlich an, doch ohne den kriechenden Tribut der Dankbarkeit. Als er den Wein versucht hatte, hielt er ihn, mit einem leichten Strahl des Erstaunens in seinem Auge, gegen das Licht; dann leerte er den Becher auf einen Zug. »Es sind viele Jahre,« sagte er, »dass ich solchen Wein nicht gekostet habe. Er tut dem Herzen eines alten Mannes wohl.« Und dann auf das schöne Weizenbrot schauend: »Bendito sea tal pan« (gesegnet sei solches Brod). Bei diesen Worten steckte er es in seine Tasche. Wir drangen in ihn, es sogleich zu essen. »Nein, Sennores,« sagte er, »den Wein musste ich trinken, oder hierlassen; aber das Brod muss ich für meine Familie mit nach Hause nehmen.«

Unser Freund Sancho suchte unser Auge, und da er darin die Erlaubnis las, gab er dem Alten etwas von den reichen Resten unsers Mahls, jedoch unter der Bedingung, dass er sich niedersetze und esse.

Er nahm also seinen Sitz in einiger Entfernung von uns, und begann langsam und mit einer Nüchternheit und einem Anstand zu essen, der einem Hidalgo Ehre gemacht hätte. Es war etwas Gemessenes, eine ruhige Selbstbeherrschung in dem alten Mann, die mich glauben ließ, er habe bessere Tage gesehen. Auch seine Sprache hatte, obschon sie einfach war, gelegentlich etwas Malerisches und fast Poetisches in der Ausdrucksweise. Ich hielt ihn für einen herabgekommenen Adligen. Ich irrte mich; es war nichts als die angeborene Sittenfeinheit des Spaniers, und die poetische Wendung der Gedanken und Worte, wie man sie oft in den niedrigsten Klassen dieses geistvollen Volkes findet. Fünfzig Jahre, sagte er uns, sei er ein Schäfer gewesen, doch jetzt sei er ohne Beschäftigung und verlassen. »Als ich jung war,« sagte er, »konnte mich nichts grämen oder beunruhigen; ich war stets gesund, stets heiter; aber jetzt bin ich 79 Jahre alt und ein Bettler, und mein Muth fängt an mich zu verlassen.«

Doch war er noch kein eigentlicher Bettler; erst neuerlich hatte ihn der Mangel zu dieser Erniedrigung getrieben; er gab uns ein rührendes Gemälde von dem Kampf zwischen Hunger und Stolz, als die äußerste Noth über ihn kam. Er kehrte von Malaga ohne Geld zurück; er hatte eine Zeit lang nichts gegessen, und musste eine der größten Ebenen Spaniens, wo sich nur wenige Wohnungen finden, durchwanderen. Als er vor Hunger fast verging, hielt er an der Türe einer Venta (Wirtshaus auf dem Lande) an. »Perdon usted por Dios, hermano« (entschuldigt uns um Gottes willen, Bruder), war die Antwort – in Spanien die gewöhnliche Art, einen Bettler abzuweisen. »Ich wandte mich,« sagte er, »hinweg, meine Scham war größer als mein Hunger, denn mein Herz war noch zu stolz. Ich kam an einen Fluss mit hohen Ufern und tiefer, rascher Strömung, und fühlte mich versucht, hinein zu stürzen. Wozu soll, sagte ich mir, ein solcher alter, unnützer, unglücklicher Mann, wie ich bin, leben? Als ich aber an dem Rande des Ufers war, gedachte ich der gebenedeiten Jungfrau und wandte mich ab. Ich reiste weiter, bis ich in einiger Entfernung von der Straße einen Landsitz sah. Ich trat an das äußere Thor des Hofes. Die Türe war verschlossen, aber an einem Fenster waren zwei junge Señoras. Ich näherte mich und bettelte: Perdon usted con Dios, hermano« (entschuldigt uns um Gottes willen, Bruder), und das Fenster schloss sich. Ich kroch aus dem Hofe, aber der Hunger übermannte mich und meine Kraft brach. Ich glaubte, meine letzte Stunde sei gekommen, legte mich drum an dem Tor nieder, empfahl mich der heiligen Jungfrau und verhüllte mein Haupt, um zu sterben. Nach einer Weile kehrte der Herr des Hauses zurück; da er mich an seinem Tor liegen sah, enthüllte er mein Haupt, fühlte Mitleid mit meinem grauen Haare, nahm mich in sein Haus und gab mir zu essen. So sehen Sie, Sennores, dass man stets Vertrauen in den Schutz der Jungfrau setzen sollte.«

Der alte Mann war auf dem Weg zu seinem Geburtsort, Archidona, das ganz nahe, auf dem Gipfel eines steilen und rauen Berges lag. Er zeigte auf die Ruinen eines alten maurischen Schlosses. »Dieses Schloss,« sagte er, »wurde zur Zeit der Kriege von Granada von einem maurischen König bewohnt. Die Königin Isabelle umzingelte es mit einem großen Heere; aber der König blickte aus seinem Schlosse in den Wolken nieder, und lachte ihrer höhnisch. Darauf erschien die Jungfrau der Königin, und führte sie und ihr Heer einen geheimnisvollen Pfad in den Bergen empor, welchen vorher noch niemand gekannt hatte. Als der Maure sie kommen sah, war er erstaunt, sprang mit seinem Pferde von einer Klippe und wurde zerschmettert. Am Rande des Felsens,« sagte der alte Mann, »sieht man noch heute die Spuren von den Hufen seines Rosses. Und sehen Sie, Sennores, dort ist der Weg, auf welchem die Königin und ihr Heer emporstiegen; Sie sehen ihn wie ein Band die Seite des Berges hinanziehen; aber das Wunderbare ist, man sieht ihn wohl in einiger Entfernung, wenn man aber näherkommt, verschwindet er.«

Der geglaubte Weg, auf den er zeigte, war ohne Zweifel ein sandiger Wasserriss des Berges, welcher in der Entfernung schmal und begrenzt aussah, aber breit und unbestimmt wurde, wenn man näherkam.

Der Wein erwärmte das Herz des alten Mannes, und er erzählte uns eine Geschichte von einem vergrabenen Schatze, der unter dem Schlosse des maurischen Königs liege. Sein Haus grenze an die Grundmauer des Schlosses. Der Pfarrer und der Notar hätten dreimal von dem Schatze geträumt, und begonnen, an dem durch die Träume bezeichneten Orte zu graben. Sein eigener Schwiegersohn habe den Klang ihrer Bicken und Spaten in der Nacht gehört. Niemand wisse, was sie gefunden; sie seien plötzlich reich geworden, hätten aber ihr Geheimnis für sich behalten. So war der alte Mann einst vor der Türe des Glückes gewesen, war aber verurteilt, nie mit ihm unter dasselbe Dach zu kommen.

Ich habe bemerkt, dass die in ganz Spanien verbreiteten Geschichten von Schätzen, welche die Mauren vergraben, unter den ärmsten Leuten am gangbarsten sind. Die gütige Natur tröstet auf diese Art mit Schatten für die Entbehrung des Wesentlichen. Der Durstige träumt von Quelle und strömenden Bächen; der Hungrige von idealen Festmahlen; und der Arme von Haufen verborgenen Goldes; es gibt gewiss nichts Prächtigeres als die Einbildungskraft eines Bettlers.

Die letzte Reise-Skizze, welche ich geben werde, ist eine Abendscene in dem Städtchen Loxa. Dies war ein berühmter kriegerischer Grenzposten zu den Zeiten der Mauren, und Ferdinand wurde vor seinen Wällen zurückgeworfen. Es war die Schutzwehr des alten Aliatac, des Schwiegervaters von Boabdil, als der feurige alte Krieger mit seinem Schwiegersohn zu seinem unglücklichen Überfall auszog, welcher mit dem Tode des Anführers und mit der Gefangenschaft des Monarchen endigte. Loxa liegt wild in einem öden Gebirgspasse, an den Ufern des Xenil, unter Felsen und Laubwerk, Wiesen und Gärten. Das Volk scheint noch ganz den kühnen, feurigen Geist der alten Zeit zu besitzen. Unser Gasthaus war der Stelle angepasst. Es war im Besitz einer jungen und schönen andalusischen Witwe, deren niedliche Basquinna von schwarzer Seide, mit Glaskorallen besetzt, das Spiel einer anmutigen Form und runder gelenker Glieder hervorhob. Ihr Gang war fest und elastisch, ihr schwarzes Auge voll Feuer, und die Koketterie ihres Wesens und der vielfache Schmuck an ihrem Körper zeigte, dass sie gewohnt war, bewundert zu werden.

Ein Bruder, fast mit ihr von gleichem Alter, passte trefflich zu ihr; sie waren vollkommene Vorbilder der andalusischen Majo und Maja. Er war groß, kräftig, schön geformt, mit heller Oliven-Gesichtsfarbe, einem dunkeln, strahlenden Auge und lockigem, kastanienbraunen Backenbart, der unter dem Kinn zusammengewachsen war. Er war zierlich in eine kurze grüne samtene Jacke gekleidet, die seiner Gestalt angepasst, und verschwenderisch mit silbernen Knöpfen geschmückt war, und hatte in jeder Tasche ein weißes Taschentuch. Die Hosen waren von demselben Stoff, mit Reihen von Knöpfen von der Hüfte bis zu den Knieen; ein blassrotes seidenes Halstuch, das durch einen Ring zusammengehalten ward, und auf einem schön gefältelten Hemde ruhte, um den Hals; einen Gürtel um den Leib; Bottinas oder Gamaschen vom schönsten braunen Leder, zierlich ausgenäht und an der Wade offen, um die Strümpfe sehen zu lassen, und braune Schuhe, die einen schön geformten Fuß hervorhoben.

Während er an der Türe stand, kam ein Reiter die Straße herab, und begann eine leise und ernsthafte Unterhaltung mit ihm. Er war in ähnlicher Weise gekleidet und fast mit gleicher Zierlichkeit; ein Mann gegen dreißig, stark gebaut, mit kräftigen römischen Gesichtszügen, schön, obgleich leicht von den Blattern zerrissen, mit einem freien, kühnen und etwas anmaßenden Wesen. Sein kräftiges schwarzes Pferd war mit Troddeln und fantastischem Putz geschmückt, und ein Paar weitgemündete Büchsen hingen hinter dem Sattel. Er hatte das Ansehen eines jener Schleichhändler, welche ich in den Bergen von La Ronda gesehen hatte, und stand offenbar im Einverständnis mit dem Bruder der Wirtin; ja, wenn ich nicht irre, war er ein Liebling der Witwe. Das ganze Wirtshaus und seine Bewohner hatte in der Tat etwas von schleichhändlerischem Ansehen, und die Büchse stand in einem Winkel neben der Gitarre. Der Reiter, dessen ich gedachte, brachte seinen Abend in der Posada zu, und sang mehrere kecke Gebirgslieder mit vieler Lebhaftigkeit. Während wir zu Nacht aßen, kamen zwei arme Asturier herein, und baten um Speise und Nachtherberge. Sie waren auf einem Markt im Gebirge gewesen, Räuber hatten sie auf dem Rückweg angefallen, ihnen ein Pferd genommen, das ihren ganzen Warenvorrat trug, sie ihres Geldes und des größten Teils ihrer Kleidung beraubt, sie geschlagen, weil sie sich widersetzt, und sie fast nackt auf der Straße gelassen. Mein Gefährte befahl mit dem raschen Edelsinne, der ihm eigen, dass man ihnen Nachtessen und ein Bett geben solle, und schenkte ihnen eine Summe Geldes, damit sie ihre Heimat erreichen könnten.

Mit dem Vorschreiten des Abends vermehrten sich die Personen des Dramas. Ein dicker Mann, ungefähr sechzig Jahre alt, von kräftiger Gestalt, kam herein, um mit der Wirtin zu schwatzen. Er war in der gewöhnlichen andalusischen Tracht, hatte aber einen großen Säbel unter dem Arme stecken; er trug einen großen Schnurrbart und hatte ein etwas großtuerisches, windiges Wesen. Alles schien ihn mit großer Ehrerbietung zu behandeln.

Unser Bursche Sancho flüsterte uns zu, es sei Don Ventura Rodriguez, der Held und Kämpe von Loxa, berühmt wegen seiner Kühnheit und der Kraft seines Armes. Zur Zeit des französischen Einfalls überraschte er sechs Reiter, die eingeschlafen waren; er brachte erst ihre Pferde in Sicherheit, griff sie dann mit seinem Säbel an, tötete einen und nahm die übrigen gefangen. Wegen dieser Tat bewilligte ihm der König eine Peseta (den fünften Teil eines Duro oder Talers) täglich, und verlieh ihm den Titel eines Don.

Es ergötzte mich, das hochfahrende seiner Sprache und seines Benehmens zu beachten. Er war sichtbar ein echter Andalusier, so prahlerisch als brav. Sein Säbel war stets in seiner Hand oder unter seinem Arm. Er trägt ihn überall mit sich herum, wie ein Kind sein Spielzeug, nennt ihn seinen Santa Teresa und sagt, wenn er ihn ziehe, »trempla la tierra« zittere die Erde.

Ich saß bis spät in die Nacht da, und lauschte den vielfachen Gesprächen dieser bunten Gruppe, welche mit der Rückhaltlosigkeit einer spanischen Posada mit einander verkehrten. Wir hörten Schleichhändlerlieder, Räubergeschichten, Guerillathaten, und maurische Legenden. Die letzteren waren von unserer schönen Hausfrau, welche einen poetischen Bericht von den Infiernos, oder den Höllenlegionen von Loxa mitteilte – dunkle Höhlen, in denen unterirdische Ströme und Wasserfälle einen geheimnisvollen Ton hervorbringen. Das gemeine Volk sagt, es seien dort Geldmünzer seit der Zeit der Mauren eingeschlossen, und die maurischen Könige bewahrten ihre Schätze in diesen Höhlen.

Wenn es der Zweck dieses Werkes wäre, könnte ich alle seine Blätter mit den Begebenheiten und Szenen unserer Wanderung anfüllen; aber mich ladet ein anderer Vorwurf ein. Auf diese Weise reisend, kamen wir endlich aus dem Gebirge, und betraten die schöne Vega von Granada. Wir verzehrten hier unser letztes Mittagsmahl unter einer Gruppe von Olivenbäumen, am Rand eines Bächleins, die alte maurische Hauptstadt in der Entfernung, und von den rötlichen Türmen der Alhambra[*] belebt, während ferne darüber die schneeigen Gipfel der Sierra Nevada wie Silber glänzten. Der Tag war ganz wolkenlos, und die Hitze der Sonne durch den kühlen Wind aus dem Gebirge gemäßigt; nach dem Mahle breiteten wir unsere Mäntel aus, und hielten unsere letzte Siesta, von dem Gesumme der Bienen in den Blüten und dem Girren der Ringeltauben in den nahen Olivenbäumen eingelullt. Als die heißen Stunden vorüber waren, setzten wir unsere Reise fort; der Weg führte durch Aloegebüsch und indische Feigen und durch ein Labyrinth von Gärten; gegen Sonnenuntergang kamen wir an das Tor von Granada.

Der Reisende, der von einem Gefühl für das Historische und Poetische durchdrungen ist, sieht in der Alhambra einen ebenso würdigen Gegenstand der Verehrung, wie jeder echte mohammedanische Pilger in dem Kaaba oder dem heiligen Hause von Mekka. Wie viele wahre und fabelhafte Legenden und Erzählungen; wie viele, spanische und arabische Gesänge und Romanzen von Liebe, Krieg und Ritterlichkeit sind mit diesem romantischen Gebäude verbunden! Der Leser kann sich daher unsere Freude denken, als uns der Gouverneur der Alhambra kurz nach unserer Ankunft zu Granada die Erlaubnis gab, seine unbewohnten Gemächer in dem maurischen Palaste zu bewohnen. Mein Gefährte wurde bald von den Pflichten seines Standes hinweggerufen; ich aber blieb mehrere Monate an das alte bezauberte Gebäude festgebannt. Die folgenden Blätter sind das Ergebnis meiner Träumereien und Untersuchungen während dieser köstlichen Zeit. Wenn sie im Stande sind, etwas von den bezaubernden Reizen des Ortes, der Einbildungskraft des Lesers mitzuteilen, so wird er es nicht bereuen, eine Zeit lang mit mir in den sagenvollen Hallen der Alhambra zu verweilen.

Befehlshaberschaft der Alhambra.

Die Alhambra ist eine alte Veste oder ein ummauerter Palast der maurischen Könige von Granada, wo sie über ihr gerühmtes irdisches Paradies geboten, und wo ihre Herrschaft über Spanien am längsten währte. Der Palast nimmt nur einen Teil der Festung ein, deren Mauern, mit Türmen besetzt, sich unregelmäßig um den ganzen Kamm eines stattlichen Hügels ziehen, der die Stadt überschaut, und ein Vorsprung der Sierra Nevada oder des schneeigen Gebirges ist.

Zu den Zeiten der Mauren konnte die Festung ein Heer von vierzig tausend Mann in ihrem Umfang einschließen, und diente gelegentlich als fester Platz für die Herrscher gegen ihre aufrührerischen Untertanen. Als das Königreich in christliche Hände gekommen war, blieb die Alhambra ein königliches Besitztum, und wurde zuweilen von den kastilischen Monarchen bewohnt. Karl der Fünfte begann ein kostbares Gebäude in ihrem Umkreis aufzuführen; wiederholte Erdstöße aber schreckten ihn von der Vollendung ab. Die letzten königlichen Bewohner waren Philipp V. und die schöne Königin Elisabeth von Parma, am Anfange des achtzehnten Jahrhunderts. Man machte große Vorbereitungen zu ihrer Aufnahme. Der Palast und die Gärten wurden einigermaßen hergestellt, eine neue Reihe von Gemächern gebaut, und von italienischen Künstlern ausgeschmückt. Der Aufenthalt des Herrscherpaars war vorübergehend, und nach ihrer Abreise wurde der Palast wieder öde und verlassen. Doch wurde der Platz mit einigem militärischen Prunk erhalten. Der Statthalter hatte ihn unmittelbar von der Krone; seine Gerichtsbarkeit erstreckte sich auf die Vorstädte hinab, und war unabhängig von dem Oberbefehlshaber von Granada. Eine bedeutende Garnison wurde beibehalten, der Kommandant hatte seine Zimmer auf der Vorderseite des alten maurischen Palastes, und kam nie ohne ein militärisches Geleit nach Granada. Die Veste war freilich eine kleine Stadt an sich, da sie mehrere Straßen mit Häusern innerhalb ihrer Mauern hatte, sowie ein Franziskanerkloster und eine Pfarrkirche.

Die Entfernung des Hofes war jedoch ein Unglück für die Alhambra. Ihre schönen Säle wurden öde, und einige verfielen in Trümmer; die Gärten wurden verwüstet, und die Brunnen hörten auf zu springen. Allmählig füllten sich die Wohnungen mit einer zweideutigen und gesetzlosen Bevölkerung; mit Schleichhändlern, welche die unabhängige Gerichtsbarkeit des Platzes in Anspruch nahmen, um ihr Schmuggler-Gewerbe dreist und ausgedehnt zu betreiben; mit Dieben und Schurken aller Art, welche hierher flüchteten, um Granada und seine Umgebungen von diesem Punkte aus zu plündern. Die Regierung schritt zuletzt kräftig ein; die ganze Gemeinde wurde einer durchgehenden Prüfung unterworfen; niemand durfte bleiben, als der, welcher einen ehrbaren Charakter und ein gesetzliches Recht des Aufenthaltes hatte; der größere Teil der Häuser wurde niedergerissen, und es blieb ein bloßes Dörfchen mit der Pfarrkirche und dem Franziskanerkloster. Als Granada, während der neuen Unruhen in Spanien, in den Händen der Franzosen war, lag eine französische Besatzung in der Alhambra, und die Oberoffiziere bewohnten zuweilen den Palast. Mit jenem erleuchteten Geschmacke, der die französische Nation stets bei ihren Siegen auszeichnete, wurde dies Monument maurischer Eleganz und Größe von dem gänzlichen Ruin und der Zerstörung, der es anheimgegeben war, gerettet. Die Dächer wurden hergestellt, die Säle und Galerien vor dem Wetter geschirmt, die Gärten angebaut, die Wasserleitungen wieder hergestellt, die Brunnen versendeten wieder ihre glänzenden Wasserstrahlen; und Spanien darf seinen Eroberern danken, dass sie ihm das schönste und anziehendste seiner historischen Monumente erhalten hat.

Bei der Abreise der Franzosen sprengten sie einige Türme an der äußern Mauer, und ließen die Festung in einem kaum haltbaren Zustande. Seit dieser Zeit hat die militärische Wichtigkeit des Platzes ein Ende. Die Besatzung besteht aus einer Handvoll Invaliden, deren Hauptdienst darin besteht, einige der äußern Türme, die gelegenheitlich als Staatsgefängnis dienen, zu bewachen; und der Statthalter verlässt die luftige Höhe der Alhambra, und wohnt, zu bequemerer Erledigung seiner Dienstpflicht, in der Mitte von Granada. Ich kann diese kurze Nachricht von dem Zustand der Veste nicht schließen, ohne der ehrenvollen Bemühungen ihres jetzigen Statthalters, Don Francisco de Gerna, zu gedenken, der alle die beschränkten Hilfsmittel, über die er zu gebieten hat, benützte, um den Palast in wohnlichem Stande zu erhalten, und durch seine kluge Vorsicht seinen zu gewissen Verfall verzögert hat. Wären seine Vorgänger den Pflichten ihres Postens mit gleicher Treue nachgekommen, so wäre die Alhambra noch fast in ihrer früheren Schönheit geblieben; unterstützte die Regierung ihn mit Mitteln, welche seinem Eifer gleichkämen, so dürfte dieses Gebäude noch erhalten werden, um das Land zu schmücken, und die Neugierigen und Aufgeklärten jedes Himmelstriches manche Lebensalter hindurch anzuziehen.

Das Innere der Alhambra.

Die Alhambra ist so oft und so genau von Reisenden beschrieben worden, dass eine bloße Skizze wahrscheinlich hinreichen wird, dem Leser das Ganze in das Gedächtnis zurückzurufen; ich will daher eine kurze Nachricht von dem Besuche geben, den wir am Morgen nach unserer Ankunft zu Granada dort abgestattet haben.

Indem wir unsere Posada »La Espanda« verließen, schritten wir über den berühmten Platz von Vivarrambla, einst die Scene maurischer Tourniere und Kampfspiele, jetzt ein besuchter Marktplatz. Von da kamen wir in das Zacatin, die Hauptstraße dessen, was zu der maurischen Zeit der Bazaar war, wo die kleinen Läden und engen Gässchen noch den orientalischen Charakter bewahren. Nun gingen wir über einen offenen Platz vor dem Hause des Oberbefehlshabers, und stiegen eine enge, gewundene Straße hinauf, deren Name uns an die ritterlichen Tage von Granada erinnerte. Man heißt sie »Calle,« oder Straße der Gomeres, von einer in der Geschichte und in Gesängen berühmten maurischen Familie. Diese Straße führte zu einem massiven Torweg, der, in griechischem Styl, von Karl V. erbaut, den Eingang zu den Bezirken der Alhambra bildet.

Am Tor schliefen auf einer steinernen Bank zwei zerlumpte, abgelebte Soldaten, die Nachfolger Zegris und der Abencerragen, während ein langer, hagerer Bursche, dessen rost-brauner Mantel augenscheinlich dazu diente, den zerlumpten Zustand der Unterkleidung zu bedecken, im Sonnenschein sich gütlich tat und mit einer alten Schildwache im Dienst plauderte. Er kam, als wir in das Thor traten, zu uns und erbot sich, uns das Schloss zu zeigen.

Ich Teile das Missfallen der Reisenden an dienstfertige Ciceroni und fand auch an dem Kleid des Erbötigen keinen Gefallen.

»Ich hoffe, Ihr seid mit dem Orte gut bekannt?«

»Ninguno mas; pues Sennor, soy hijo de la Alhambra. « (Niemand besser, denn, Herr ich bin ein Sohn der Alhambra.)

Der gemeine Spanier hat gewiss eine sehr poetische Art sich auszudrücken. »Ein Sohn der Alhambra!« Der Name gewann mich alsbald; selbst das zerrissene Gewand meines neuen Bekannten erhielt eine gewisse Würde in meinen Augen. Es war ein Sinnbild der Schicksale des Ortes und passte zu der Nachkommenschaft einer Ruine.

Ich stellte ihm einige fernere Fragen und fand seine Ansprüche gesetzmäßig. Seine Familie hatte von Geschlecht zu Geschlecht seit der Zeit der Eroberung in der Veste gelebt. Sein Name war Mateo Ximenes. »Dann seid Ihr vielleicht,« sagte ich, »ein Nachkomme des großen Kardinals Ximenes?« – »Dios sabe! das weiß Gott, Señor. Es kann sein. Wir sind die älteste Familie in der Alhambra, – Christianos viejos, alte Christen, ohne einen Makel von Mauren oder Juden. Ich weiß, dass wir irgendeiner großen Familie angehören, aber ich vergaß, welcher. Mein Vater kennt das alles genau: denn er hat das Wappenschild in der Hütte, droben in der Veste, aufgehängt.« Es gibt keinen noch so armen Spanier, der nicht einige Ansprüche auf eine hohe Abstammung hätte. Die erste Bezeichnung dieses zerlumpten Herrn hatte mich jedoch vollkommen gewonnen, so dass ich die Dienste des »Sohnes der Alhambra« gern annahm.

Wir kamen jetzt in eine tiefe, enge Schlucht, mit schönem Gebüsch angefüllt, und zu einem steilen Aufweg, und vielen Fußpfaden, die sich durch denselben wanden, mit steinernen Sitzen zur Seite und mit Brunnen verziert. Zu unserer Linken sahen wir die Türme der Alhambra über uns emporragen; zur Rechten, auf der entgegengesetzten Seite der Schlucht, überragten uns gleichfalls zwei aufstrebende Türme auf der felsigen Höhe. Wir hörten, dies seien die Torres vermejos, oder die roten Türme, wegen ihrer Farbe so genannt. Man kennt ihren Ursprung nicht. Sie sind viel älter als die Alhambra: einige glauben, sie seien von den Römern erbaut worden, andere, von einer wanderenden Kolonie der Phönizier. Indem wir den steilen und schattigen Aufgang hinaufstiegen, kamen wir an den Fuß eines großen, viereckigen maurischen Turms, der eine Art von Warte bildete, durch die der Haupteingang in die Veste führte. In der Warte war eine zweite Gruppe alter Invaliden, deren einer am Portal Wache stand, während die anderen, in ihre zerfetzten Mäntel gehüllt, auf den steinernen Bänken schliefen. Dieses Portal heißt man das Thor der Gerechtigkeit, von dem Gerichte, welches während der mohammedanischen Herrschaft zum unmittelbaren Richterspruch über kleine Streitsachen in dem bedeckten Gang desselben gehalten wurde, eine Sitte, welche der orientalischen Nation gemein ist und auf die in der Heiligen Schrift gelegentlich angespielt wird.

Die große Vorhalle, oder den Torgang bildet ein unermesslicher arabischer Bogen, in Form eines Hufeisens zur halben Höhe des Turmes emporspringend. Auf dem Schlussstein dieses Bogens ist eine riesige Hand eingehauen. In dem Gange, auf dem Schlussstein des Portals, ist in gleicher Art ein gigantischer Schlüssel zu sehen. Die, welche einige Kenntnis von den mohammedanischen Symbolen zu haben glauben, behaupten, die Hand sei das Sinnbild der Wissenschaft, der Schlüssel das des Glaubens; der letztere, sagen sie, sei auf der Fahne der Muslime zu sehen gewesen, als sie Andalusien unterjochten – ein Gegenstück zu dem christlichen Sinnbild des Kreuzes. Eine andere Erklärung gab uns aber der rechtmäßige Sohn der Alhambra, die auch mehr in Einklang mit den Ansichten des gemeinen Volkes war, an alles, was maurisch ist, etwas Geheimnisvolles und Magisches knüpft und jede Art Aberglauben mit dieser alten mohammedanischen Veste verbindet.

Mateo zufolge war es eine von den ältesten Bewohnern herrührende Sage, die er von seinem Vater und Großvater gehört hatte, dass die Hand und der Schlüssel magische Bilder seien, von denen das Schicksal der Alhambra abhänge. Der maurische König, der sie gebaut, sei ein großer Zauberer gewesen, oder habe sich, wie einige glauben, dem Teufel verschrieben gehabt und habe die ganze Veste unter einen Zauberbann gelegt. Dadurch war sie mehrere hundert Jahre gestanden, trotz Stürmen und Erdbeben, während fast alle anderen maurischen Gebäude zerfallen oder verschwunden wären. Dieser Zauber, ging die Sage weiter, würde dauern, bis die Hand an den äußern Bogen nieder reiche und den Schlüssel ergreife, wo denn das ganze Gebäude in Trümmer zerfallen und alle von den Mauren unter demselben vergrabenen Schätze an das Licht kommen würden.

Trotz dieser unheilschwangeren Prophezeiung wagten wir es, durch den bezauberten Torweg zu schreiten, indem wir ein wenig Zuversicht gegen die Zauberkünste in dem Schutze der Jungfrau fanden, von der wir eine Statue über dem Portal bemerkten.

Wir gingen durch die Warte, stiegen eine kleine, durch Mauern sich windende Gasse hinan und kamen auf eine offene Esplanade innerhalb der Veste, die Plaza de los Algibes, oder Platz der Zisternen genannt, wegen der großen Wasserbehälter unter demselben, welche zum Bedarf der Veste von den Mauren in den lebendigen Fels gehauen wurden. Auch ist hier ein Brunnen von unermesslicher Tiefe, welcher das klarste und kälteste Wasser liefert, – ein ferneres Denkmal des zarten Geschmacks der Mauren, welche in ihren Bemühungen, dieses Element in seiner kristallinen Reinheit zu erhalten, unermüdlich waren.

Auf der Vorderseite dieser Esplanade ist das glänzende Gebäude, welches Karl V. angefangen und das, wie man sagt, die Wohnung der maurischen Könige übertreffen sollte. Bei all seiner Größe und seinem architektonischen Werth erschien es uns wie eine anmaßende Aufdringlichkeit; wir gingen vorüber und traten in ein einfaches anspruchsloses Portal, das in das Innere des maurischen Palastes führte.

Der Übergang war beinahe magisch; es schien als wären wir plötzlich in andere Zeiten und in ein anderes Reich versetzt und beträten die Szenen der arabischen Geschichte. Wir fanden uns in einem großen Hofe, mit weißem Marmor gepflastert und an jedem Ende mit leichten maurischen Säulengängen geziert: er heißt der Hof der Alberca. In der Mitte war ein großes Basin, oder ein Fischteich, 130 Fuß lang und 30 Fuß breit, mit Goldfischen besetzt und von Rosenhecken begrenzt. An dem oberen Ende dieses Hofes stieg der große Turm des Comares empor.

Aus dem unteren Ende gingen wir durch einen maurischen Torweg in den berühmten Löwenhof. Kein Teil des Gebäudes gibt uns eine vollkommenere Idee von der ursprünglichen Schönheit und Pracht, als dieses, denn keiner hat von den Verwüstungen der Zeit weniger gelitten. In der Mitte ist der in Liedern und der Geschichte berühmte Brunnen. Die Alabaster Basins ergießen noch ihre Diamant-Tropfen: und die zwölf Löwen, welche sie tragen, spenden ihre Krystal-Ströme wie zu den Zeiten Boabdils. Der Hof ist mit Blumen-Beeten ausgelegt und von leichten arabischen Arkaden von durchbrochener Gold-Arbeit umgeben, welche von leichten weißen Marmorsäulen getragen werden. Eher Eleganz als Größe charakterisiert die Architektur hier, wie in allen anderen Teilen des Palastes; es gibt sich ein zarter und zierlicher Geschmack und eine Neigung zu müßigem Vergnügen überall kund. Wenn man auf die feenhafte Zeichnung der Säulengänge und das anscheinend gebrechliche Schnitzwerk an den Wänden sieht, wird es schwer zu glauben, dass so vieles den Sturm der Zeit, die Verwüstung der Erdbeben, die Verheerung des Kriegs, und die stille, aber nicht minder verderbliche Diebshand des gebildeten Reisenden überlebt hat; es reicht beinahe hin, die Volkssage zu entschuldigen, das Ganze werde durch einen Zauber geschirmt.

Auf der einen Seite des Hofes öffnet sich ein reich verziertes Portal in einen hohen Saal, dessen Boden mit weißem Marmor ausgelegt ist und welcher der Saal der zwei Schwestern heißt. Eine Kuppel oder Laterne gewährt eine mäßige Beleuchtung von oben und freien Luftzug. Der untere Teil der Mauern ist mit schönen maurischen Ziegelplatten belegt, auf denen man hier und da die Wappen der maurischen Monarchen gemalt sieht; der obere Teil ist mit dem schönen Stuck bedeckt, das zu Damaskus erfunden ward und aus großen, in Formen gegossenen und kunstreich zusammengesetzten Platten besteht, so dass das Ganze mühevoll mit der Hand in leichte Reliefs und fantastische Arabesken, mit Sprüchen aus dem Koran und poetischen Inschriften, in arabischen und cufischen Charakteren untermischt, ausgearbeitet scheint. Diese Verzierungen der Wände und Kuppeln sind reich vergoldet und die Zwischenräume mit Lasurstein und anderen glänzenden und dauerhaften Farben ausgemalt. An jeder Seite des Saales sind Vertiefungen für Ottomanen und Ruhebette. Über dem Inneren Durchgang ist ein Balkon, der mit den Frauengemächern in Verbindung stand. Die vergitterten »Jalousien,« von welchen die dunkeläugigen Schönheiten des Harems ungesehen auf die Freuden des Saals herabblicken konnten, sind noch zu sehen.

Es ist unmöglich, auf diesen ehemaligen Lieblingssitz orientalischer Sitten zu schauen, ohne die früheren Anklänge der arabischen Märchenwelt zu fühlen, und fast zu erwarten, dass der weiße Arm irgendeiner geheimnisvollen Prinzessin von dem Balkone winke, oder ein schwarzes Auge durch das Gitter blicke. Der Sitz der Schönheit ist hier, als habe sie erst gestern hier geweilt; aber wo sind die Zoraydas und Lindaraxas!