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Erziehung braucht den Blick auf Vielfalt
Der Alltag in Deutschland ist längst multikulturell und Kinder kommen durch Gleichaltrige mit anderen Familienmodellen, Religionen, Hautfarben oder Sprachen in Berührung. Doch diese Vielfalt führt auch unter Kindergarten- und Grundschul-Kindern nicht automatisch dazu, dass alle auch »gleich« wahrgenommen und behandelt werden. Mit diesem Buch zeigt die Diversity-Expertin Nkechi Madubuko Eltern Wege auf, wie sie ihre Kinder vorurteilsbewusster erziehen und für Vielfalt sensibilisieren können. Eltern legen die Grundlagen für die kindliche Wahrnehmung anderer und die Offenheit gegenüber Unterschieden – im Denken, in der Sprache und im Handeln. Dieser alltagsnahe Ratgeber hilft Eltern mit Fallbeispielen und Tipps dabei, über die Erziehung ihrer Kinder Ausgrenzung, Alltagsrassismus und Diskriminierung etwas entgegen zu setzen.
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Seitenzahl: 208
Die Autorin
Dr. Nkechi Madubuko ist promovierte Soziologin, Diversity-Trainerin, ausgebildete Fernsehjournalistin (ZDF) und arbeitet als Dozentin an der Uni Kassel. Sie berät Verbände, hält Vorträge und gibt Trainings für Eltern, Erzieher_innen und Lehrpersonal zu Empowerment, rassismuskritischer Bildung und diversitätssensiblem Umgang in Bildungskontexten. Als Autorin veröffentlichte sie mehrere Artikel und Bücher zu Diskriminierungserfahrungen von Migrant_innen und Empowerment im Umgang mit Rassismuserfahrungen für Kinder und Jugendliche. Nkechi Madubuko ist dreifache Mutter.
Das Buch
Obwohl wir unsere Gesellschaft oft als tolerant wahrnehmen, finden Diskriminierungen, Rassismus und Ausgrenzungen alltäglich statt – auch unter Kindern. Und selbst Eltern, die ihre Kinder tolerant und offen erziehen möchten, fällt es manchmal schwer, eigene Vorurteile wahrzunehmen und Diskriminierung anzusprechen. Dieser alltagsnahe Ratgeber hilft Eltern mit Gesprächsbeispielen und Tipps, Ausgrenzung, Alltagsrassismus und Diskriminierung über die Erziehung der eigenen Kinder früh und wirkungsvoll etwas entgegenzusetzen. Die Diversity-Trainerin Nkechi Madubuko unterstützt Eltern dabei, ihren Kindern zu vermitteln, in erster Linie den Menschen zu sehen, nicht verletzend zu sein und sich gegen Diskriminierung einzusetzen.
Nkechi Madubuko
Erziehung zur Vielfalt
Wie Kinder einen wertschätzenden Umgang mit Unterschieden lernen
Kösel
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Wir haben uns bemüht, alle Rechteinhaber an den aufgeführten Zitaten ausfindig zu machen, verlagsüblich zu nennen und zu honorieren. Sollte uns dies im Einzelfall nicht möglich gewesen sein, bitten wir um Nachricht durch den Rechteinhaber.
Copyright © 2021 Kösel-Verlag, München,
in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München
Umschlag: Weiss Werkstatt München
Umschlagmotiv: © Rawpixel.com/Shutterstock.com
Redaktion: Dr. Daniela Gasteiger
E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering
Illustrationen: Ford Kelly
Zitate: siehe hier, hier, hier, hier, hier: Mungi Ngomane: I am because you are. Ubuntu – 14 südafrikanische Lektionen für ein Leben in Verbundenheit. Mit einem Vorwort von Erzbischof Desmond Tutu, Übersetzer: Gabriele Würdinger, © 2019 Kailash Verlag, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH
ISBN 978-3-641-28102-1V001
www.koesel.de
Inhalt
Einleitung
Warum dieses Buch?
Was Sie erwartet
1Grundgedanken einer Erziehung zur Vielfalt
Wie lernen Kinder Vorurteile?
Vielfalt wertschätzen
Die dominante Kultur aufbrechen: Kindern ein vollständigeres Bild zeigen
Mit Solidarität Diskriminierung begegnen
Der Gerechtigkeitsbasierte Diversity-Ansatz
Ubuntu: Credo einer Erziehung in Vielfalt
2 Eltern mit ihren Vielfaltsdimensionen, Prägungen und Vorurteilen
Ihre Erziehungswünsche
Ihre Vielfaltsblume: Wo stehen Sie?
Identitäten verstehen
Vorurteile und »Geschichten« hinterfragen
Ihre neue Erziehungsbotschaft
3 Elemente einer Erziehung zur Vielfalt
Element 1: Unterschiede mitdenken
Element 2: Sprachsensibler sein und Wertschätzung zeigen
Element 3: Wenn das eigene Kind ausgrenzt: In Gesprächen Sachinformationen geben
Element 4: Wann und wie mit Kindern Unterschiede ansprechen?
Element 5: Stereotype und rassistische Zuschreibungen vermeiden – auch »positive«
Element 6: Ich-Identität stärken und Empowerment: Kinder mit der eigenen Lebenswelt annehmen
Element 7: Vielfalt im Kinderzimmer und bei den Spielmaterialien sichtbar machen
Element 8: Vielfältige Kontakte ermöglichen
Element 9: Empathie bei Kindern fördern
Element 10: Wie Kinder den Kern von Diskriminierung erkennen
Erziehung zur Vielfalt leben
4 Antirassistische Erziehung und Empowerment von Kindern of Color
Was ist Rassismus? Die Vergangenheit entdecken, um die Gegenwart zu verstehen
Weiße Privilegien: Vorteile, für die man nichts kann
Weiße Kinder lernen ein überhöhtes Selbstbild
Antirassistisch sein und Solidarität zeigen: Ally werden
Empowerment für Kinder of Color
Deutsche oder nicht? Wie Kinder of Color eingeordnet werden
Was erleben Kinder of Color? Rassismuserfahrungen und emotionale Folgen
Empowerment als Erziehungsaufgabe
Strategien gegen rassistische Diskriminierungserfahrungen
5 Variationen an Familienformen, Vielfaltsaspekte und Lebenssituationen
Armut in der Kindheit
Kinder mit Migrationshintergrund
Regenbogenfamilien, Patchworkfamilien und Ein-Eltern-Familien
Typisch Mädchen, typisch Junge?
Interreligiöse Erziehung
Kinder mit Behinderungen
Abschließende Gedanken
Danksagung
Anhang
Checklisten
Bücher und Materialien
Literatur zu Antirassismus und rassismuskritischem Denken
Empowerment-Kinderbücher
Diversitätssensible Bücherlisten & Spielmaterialien
Glossar
Endnoten
Mia hat deutsche Wurzeln, ist weiß und konfessionslos, Fatimas Familie kommt aus der Türkei und ist muslimischen Glaubens. Patrik hat kongolesische Eltern und ist blind. David ist gehörlos, Marc hat zwei Mamas und spricht drei Sprachen, Janines Mutter ist alleinerziehend und hat wenig Einkommen. Nicht jedes dieser Kinder ist in Deutschland geboren, und doch besuchen sie gemeinsam eine Klasse. Alle Kinder bringen eine eigene Lebenswelt mit. Sie wachsen in Patchworkfamilien oder Ein-Eltern-Haushalten auf. Sie haben eine weiße oder dunklere Hautfarbe, sprechen zum Teil eine andere Erstsprache als Deutsch, sind von Beeinträchtigungen betroffen, haben unterschiedliche Herkunftsländer oder Wurzeln und daran gebundene Erfahrungen. Können diese Kinder auch befreundet sein und unbefangen miteinander spielen? Ich sage ja, wenn Eltern entsprechend sensibilisiert sind. Dieses Buch erklärt, woran Offenheit oft scheitert. Es zeigt Ihnen als Eltern und Bezugspersonen Wege auf, Kindern in der Erziehung eine wertschätzende Haltung gegenüber Vielfalt zu vermitteln. Denn ob Sprache, Hautfarbe, Kleidung oder Beeinträchtigungen eine Rolle für Freundschaften spielen, hängt davon ab, was die Kinder in ihrem täglichen Umfeld, besonders von Eltern und anderen Familienmitgliedern, lernen, sehen und hören, ob sie Bücher lesen und Spielsachen haben, die Vielfalt zulassen.
Vielfalt beziehungsweise Diversität oder Diversity beschäftigt sich mit Eigenschaften und Merkmalen, die Menschen voneinander unterscheiden und gesellschaftliche Zugänge und Teilhabe bestimmen – auch schon bei Kindern.1 Für sie sollte es selbstverständlich sein, beispielsweise in der Schule gleich bewertet zu werden, unabhängig von der Herkunft. Dem ist aber nicht so. Menschen werden anhand dieser Merkmale von anderen praktisch »gelesen«. Welche Merkmale sind das? Marilyn Loden und Judy B. Rosener nennen in ihrem Diversity-Ansatz Hautfarbe, Alter, ethnische und kulturelle Herkunft, sexuelle Orientierung, physische Fähigkeiten, Geschlecht, Weltanschauung/Religion, Einkommen, Sprache, eigene Bildung und die der Eltern sowie Familienstand.2 Schon Kleinkinder speichern entsprechende Bewertungen über Merkmale ab. Erwachsene sind dabei nicht immer gute Vorbilder, denn sie können falsch liegen: etwa, wenn sie Schwarze Menschen3 auf Englisch ansprechen, weil sie aufgrund der Hautfarbe davon ausgehen, diese würden kein Deutsch verstehen. Als »asiatisch« gelesene Menschen erlebten in der ersten Phase der Covid-Pandemie 2020 Beschimpfungen und rassistische Diskriminierung vor dem Hintergrund der Annahme, alle, die »chinesisch« aussähen, seien eine Virengefahr.
Unsere heutige Gesellschaft in Deutschland wird vielfach als tolerant wahrgenommen, vor allem dann, wenn man mit seinen eigenen Vielfaltskombinationen Akzeptanz erlebt. Dennoch werden Kinder und Familien täglich diskriminiert. Schmerzhaft erleben sie, was Herabsetzungen mit ihrem Leben machen. Rassismus beispielsweise hat viele Gesichter. Er begegnet Betroffenen bei der Wohnungssuche, wenn sie aufgrund des Namens und ihrer Herkunft nicht für eine Mietwohnung in Betracht kommen, wenn sie bei Bewerbungen von vornherein aussortiert oder erst gar nicht eingeladen werden, wenn ihre Kinder geärgert werden oder offene Beschimpfungen aushalten müssen. Schon die Kleinen erleben, vom Spiel ausgeschlossen zu werden. Pädagogisches Personal, dem teilweise selbst das Bewusstsein für Diskriminierung fehlt, schützt sie nicht unbedingt. Schule und Kita können so zu einem andauernden Stressfaktor werden bis zu dem Punkt, dass Kinder und Jugendliche nicht mehr hingehen möchten und schon allein bei dem Gedanken daran Bauchschmerzen bekommen. Ob sie der vermittelten »Norm« entsprechen, wird Kindern mit zunehmendem Alter bewusst, wenn sie häufiger auf eine Beeinträchtigung oder ein anderes Merkmal angesprochen oder sogar deswegen ausgegrenzt werden. Auch nehmen Kinder sehr deutlich wahr, dass ihr Merkmal beispielsweise in Kinderbüchern wenig sichtbar ist. Das bestärkt Kinder in der Annahme, nicht zugehörig und wertgeschätzt zu sein. Alles das sind Erfahrungswerte aus meiner Arbeit als Trainerin, die sich mit Wissen aus der Antidiskriminierungspädagogik, Beratungs- und Empowerment-Arbeit decken.4
Noch immer herrscht die romantische Vorstellung, Kinder hätten keine Vorurteile und würden im Kindergarten- und Grundschulalter immer offen aufeinander zugehen. Die Realität ist jedoch eine andere. Dass auch schon Kinder an Ausgrenzungen beteiligt sind, wird nicht gern zugegeben. Manche Kinder verhalten sich gegenüber Kindern anderer Hautfarbe oder Herkunft distanziert, finden sie »komisch« oder hänseln sie, weil sie sie nicht als »normal« empfinden, und lassen sie deshalb gegebenenfalls nicht mitspielen. Diesen Kindern ist es wichtig zu zeigen, was daran ungerecht ist, und ihre falschen Annahmen richtigzustellen. Zudem beobachten nicht betroffene Kinder auch Ausgrenzung von anderen Kindern und wollen wissen, was sie tun können. Leider ist das, was unsere Kinder in ihrem Umfeld lernen, geprägt von Auslassungen, Stereotypen und Vorurteilen, etwa was die Darstellungen, Zuschreibungen und Rollen in Werbung und Medien angeht. Bestimmte Gruppen sind nicht sichtbar oder werden nur in Klischees gezeigt. Aussagen von Erwachsenen geben ihren Anteil hinzu. Auf diese Art entsteht ein verzerrtes Bild, das eine offene und wertschätzende Wahrnehmung von Vielfalt verhindert. Kinder ordnen sich und andere zunehmend in diese vorgefertigten Schubladen ein. Sie lernen und erkunden die Welt auch über Kindermedien, Kinderbücher und Spielmaterialien. Hier sammeln sie Botschaften über sich, andere Menschen und die Welt. Was wird ihnen dort gezeigt, wer wir sind, und wer ist dabei nicht sichtbar? Viele von diesen Botschaften sind problematisch, wenn sie von den Kindern verinnerlicht werden.
Wie kann man diesen Prozess nun verändern? Viele Eltern wollen sich dem Thema öffnen, andere individuell wahrnehmen und einen sensibleren Umgang mit Vielfalt in der Familie und in der Erziehung leben. Der elterliche Hinweis »Alle Kinder sind gleich« ist aber wenig hilfreich, da es de facto Unterschiede im Aussehen und in den Lebenswirklichkeiten gibt. Welche Bedeutung soll Ihr Kind nun diesen Unterschieden geben? Soll es kopieren, was es in seiner Umwelt immer wieder an Stereotypen und ausgrenzendem Verhalten beobachtet? Vorurteile über andere Menschen lernen Kinder schnell, wenn sie nicht richtiggestellt werden. Oder soll es, wenn es selbst betroffen ist, Zuschreibungen, die an es herangetragen werden, glauben und denken, es sei weniger wertvoll als andere? Ganz egal, ob Ihr Kind selbst von Diskriminierung betroffen ist oder nicht: Sie als Eltern sind gefragt, Orientierung zu bieten.
Und das ist der Weg zu mehr Vielfalt in der Erziehung: Hinterfragen Sie zuerst Ihre eigene Wahrnehmung von Vielfalt. Welche Zuschreibungen haben Sie gelernt, die Sie unbedacht an Ihre Kinder weitergeben? Ich lade Sie dazu ein, Ihre eigenen Vorurteile zu reflektieren. Machen Sie sich bewusst, wie sehr Ihre Kinder in einer »dominanten Kultur« aufwachsen, die ein bestimmtes Bild von Normalität vermittelt, in der zahlreiche Vielfaltsdimensionen kaum vorkommen. Es gilt, hier bewusst neue Akzente zu setzen. Ich zeige Ihnen, welche das sein können. Studien aus der Vorurteilsforschung geben Hinweise, wie wir Vorurteile reduzieren können oder dafür sorgen, dass sie sich in der frühen Kindheit so wenig wie möglich entwickeln. Nehmen Sie Einfluss auf die Normalitätsvorstellungen Ihrer Kinder. Je mehr Sie als Eltern beispielsweise über Migration, Religionen, sexuelle Identitäten, Familienformen, Leben mit Behinderung oder einem geringen sozialen Status wissen, umso empathischer und sachlicher können Sie diese Vielfalt vermitteln. Sie können bei Ihrem Kind gezielt mit sachlichen Gesprächen, aber auch mit Ihrem Verhalten sowie ausgewählten Medienangeboten Impulse für Vielfalt setzen. Es braucht viele solcher Gespräche, um Vorurteile nach Möglichkeit überhaupt nicht erst entstehen zu lassen. Aber letztlich sind wir alle Menschen, und Gemeinsamkeiten lassen sich immer wieder entdecken. Kinder, die von vorurteilsbewussten Eltern und Pädagog_innen begleitet werden, lernen einen wertschätzenden Umgang mit Unterschieden und neigen auch weniger zur Diskriminierung.5 Wir müssen lernen, Menschen als einzigartige Individuen zu sehen und zu behandeln, statt sie in Schubladen zu stecken. Vermitteln Sie diese Haltung Ihren Kindern.
Eltern, deren Kinder Diskriminierung erleben, brauchen noch etwas anderes. Ihre Kinder benötigen Strategien zum Umgang und viel Identitätsstärkung speziell zu ihrem persönlichen Hintergrund, die ich als mein Empowerment-Konzept hier vorstelle. Die Kinder sollen nicht verinnerlichen, dass mit ihnen etwas nicht »richtig« sei, sie »dümmer« oder »hässlicher« seien oder nicht dazugehören. Sie sollten wissen, dass ihnen Unrecht geschieht und sie dem nicht ohnmächtig und wehrlos gegenüberstehen müssen. Akzeptiert zu sein, wie man ist, ist ein Grundbedürfnis in der kindlichen Persönlichkeitsentwicklung. Von Diskriminierung betroffene Kinder brauchen Ihre elterliche Hilfe und Gegenerfahrungen, ohne Abwertung und Spott. Ihr Kind darf mit diesen Erlebnissen nicht allein gelassen werden, denn das kann es überfordern und sogar zu körperlichen Beschwerden führen.
Für mich ist diversitätssensible Erziehung eine Erziehung, die Vielfalt auf menschlicher Ebene mit Wertschätzung begegnet, die Empathie fördert, Unsicherheiten zu Bewertungen anderer auf sachliche Weise klärt und gezielt Impulse für mehr Vielfalt im Alltag der Kinder setzt.
Ich freue mich, mit Ihnen im Buch diesen Weg einzuschlagen.
Mein Schwerpunkt als Schwarze Diversity-Trainerin ist Empowerment, das bedeutet Selbstermächtigung und Selbststärkung von Betroffenen im Umgang mit Rassismuserfahrungen. Ich hatte in meiner Arbeit als Referentin und in den Eltern-Trainings aber schon länger beobachtet, dass über rassistische Erfahrungen hinaus immer wieder auch Diskriminierungserlebnisse der Kinder mit hineinspielten, die sich z.B. um das Geschlecht oder den muslimischen Glauben drehten. Als ich mit der Arbeit an diesem Buch begann, wurde mir klar, dass es mit Blick auf die Vielfalt von Kindern wichtig ist, über Empowerment aus vielen verschiedenen Perspektiven zu schreiben: aus der des Schwarzes Kindes, des Mädchens, als Muslim, als Kind mit Beeinträchtigung. Außerdem versuche ich, Eltern anzusprechen, die selbst verschiedenste Vielfaltsdimensionen in sich vereinen. Dabei gilt es immer im Blick zu behalten: Ihr eigenes Kind könnte andere ausgrenzen oder aber auch selbst diskriminiert werden. Für beide Perspektiven wollte ich etwas anbieten.
Ihre eigenen Vorurteile und die Folgen, wenn sie von Kindern übernommen werden, sind aber ein Kernthema des Buches. Mir war es wichtig, Ihnen an mehreren Stellen Raum zu geben, darüber nachzudenken. Ich möchte Ihnen Anregungen geben, zu überlegen, welche Vielfalt Sie selbst in Ihrem Leben haben und was Sie aufgrund dessen alltäglich erleben beziehungsweise von welchen Erfahrungen Sie verschont bleiben. Über das Buch verteilt finden Sie deshalb Momente der Reflexion über Ihre Vorurteile, darüber, was es bedeutet, mit verschiedenen Zuschreibungen leben zu müssen, und welche davon für Betroffene besonders bedrückend sind. Die Reflexionsfragen sind als Lesepausen gedacht und eine Einladung an Sie, Festgelegtes einmal neu zu bewerten. Denn: Was Sie über andere denken und wie Sie sich verhalten, ist letztlich das, was Sie Ihren Kindern an Wissen und Bewertungen mitgeben.
Das Buch steigt ein mit meinen Grundgedanken rund um Erziehung zur Vielfalt. Ich erkläre, wie und in welchem Alter Kinder Vorurteile lernen und zeige, dass es oftmals an Wertschätzung für Vielfalt fehlt und damit ein unvollständiges Bild unserer Gesellschaft entsteht – und wie wichtig es ist, Solidarität zu zeigen.
Im zweiten Kapitel setzen Sie sich Ihr Ziel für eine Erziehung Ihrer Kinder in Vielfalt. Sie werden eingeladen, Ihr neues Erziehungsziel zu finden. An dieser Stelle lohnt es sich, sich mit den eigenen Prägungen und Vorurteilen zu beschäftigen, um Stereotype zu hinterfragen. Sie werden mehrmals die Gelegenheit haben, kleine Aufgaben und Reflexionsfragen zu beantworten.
Das dritte Kapitel ist der Kernteil des Buches, in dem ich Ihnen meine Elemente einer Erziehung zur Vielfalt vorstelle. Ich zeige, wie Sie als Eltern durch Ihr Verhalten und Gespräche, aber auch die Gestaltung des Umfelds für Ihr Kind wichtige Impulse setzen können.
Im Kapitel zur antirassistischen Erziehung möchte ich Sie auch für Ausgrenzungserfahrungen, die Sie aus eigener Erfahrung vielleicht nicht kennen, sensibilisieren. Schärfen Sie Ihr Verständnis dafür, welche Verletzungen man anderen mit Worten oder Verhaltensweisen zufügen kann. Ich zeige Ihnen aber auch, wie Sie Unterstützer_in (Ally) gegen Rassismus sein können. Außerdem behandele ich in diesem Kapitel identitätsstiftende Empowerment-Strategien für Kinder of Color und Kinder mit Migrationshintergrund. In dem Rahmen stelle ich auch mein Konzept für Empowerment gegen Rassismuserfahrungen von Kindern vor.
Im letzten Kapitel blicken wir genauer auf die Vielfaltsaspekte und Lebenssituationen, die wir in unserem Alltag vorfinden. Hier finden Sie sachliche Informationen, die Ihnen Faktenwissen an die Hand geben und helfen sollen, Sie für typische Vorurteile zu sensibilisieren. Erfahrungsberichte aus Kinderperspektive und Empfehlungen für gemeinsame Gespräche mit Ihrem Kind runden diesen Teil ab. Das Buch schließt mit Checklisten und Literatur zu diversitätssensibler und antirassistischer Erziehung.
»Wenn es uns gelingt, uns selbst in anderen zu sehen, erleben wir auf dieser Welt mehr Vielfalt, Liebe und Verbundenheit. Erkennen wir beim Blick auf andere uns selbst im Spiegelbild, behandeln wir unsere Mitmenschen automatisch besser. Das ist Ubuntu.«
Mungi Ngomane6
Wie kommt es, dass manche Kinder sich so überlegen fühlen, dass sie andere Kinder aufgrund von deren Merkmalen unterdrücken oder verspotten? Was führt dazu, dass Karim, dessen Großeltern aus der Türkei nach Deutschland eingewandert sind, nicht mit Fußball spielen darf, und Anna gehänselt wird, weil sie wegen eines Unfalls langsamer spricht? Ein wichtiger Grundgedanke für eine Erziehung zur Vielfalt ist: Kinder lernen bereits im Kindergartenalter, dass äußerliche Merkmale in ihrer Gesellschaft mit Macht verbunden und akzeptierter sind als andere. Daraus leiten sie auch für sich selbst Macht ab.7 »Kinder kriegen ganz früh mit, dass in einer Gesellschaft Unterschiede gemacht werden«, sagt Stefani Boldaz-Hahn, Erziehungswissenschaftlerin und Expertin für Kleinkindpädagogik, vorurteilsbewusste Bildung und Erziehung, im Gespräch mit mir. »Sie kriegen mit, wer mehr und wer weniger Privilegien hat und verhalten sich, wenn sie nicht korrigiert werden, entsprechend. Sie wissen, welches Kind sie diskriminieren können. Das erfahren schon kleine Kinder im Hinblick auf Hautfarbe, Geschlecht, Sprache und Beeinträchtigungen.«8
Nicht untypisch ist etwa die folgende Situation im Kindergarten: Im Sandkasten möchte ein koreanischer Junge bei zwei weißen Jungen mitspielen. Die beiden weisen ihn zurück: »Na, na, na, du spielt nicht mit uns, du Chinese.« Die Kinder ziehen ihre Augen zu Schlitzen auseinander.9
Die weißen Jungen fühlen sich überlegen, weil ihre Augen anders aussehen. Sie sind in vielen Medien repräsentiert und fühlen sich deshalb einer wichtigen gesellschaftlichen Gruppe zugehörig. Diese Zugehörigkeit sehen sie in dem anderen Jungen nicht. Wenn dann keine Rückmeldungen von Erwachsenen kommen, denken diese Kinder, dass es richtig ist, ihn wegen seiner Augen und Herkunft auszugrenzen. Die Jungen verinnerlichen, dass man aufgrund eines Merkmals oder einer Gruppenzugehörigkeit Unterdrückungs- und Handlungsmacht hat.10 Schwarze Kinder, Kinder mit Beeinträchtigung, Kinder, die »nicht deutsch« aussehen, erleben solche Situationen wiederholt. Manche Kinder nehmen die verletzenden Sprüche hin, um keine Freundschaften zu verlieren oder um schlicht mitspielen zu können. Eine weiße Mutter erzählte mir in einem meiner Trainings, dass ihre afrodeutsche Tochter Süßigkeiten mitbringen musste, um bei den weißen Kindern Anschluss zu finden. Sonst wurde das Kind ausgeschlossen, weil sie »die Schwarze« war. Andere Kinder werden wütend und wehren sich körperlich.
Weitere Aussagen von Kindern im Kindergartenalter aus meinen Trainings lauten:
»Du kannst nicht mitspielen, weil Schwarze und Weiße nicht heiraten können.« Das sagte ein weißes Mädchen beim Spielen zu einem Schwarzen Mädchen.
»Mit Daniel spiele ich nicht, der ist ein Baby.« Daniel ist gehbehindert.
Aus Unterschieden werden Vorurteile
Mit neun Monaten erkennen Babys Hautfarben.11
Im Alter von zwei Jahren nehmen Kinder Unterschiede in Lebensformen, Familienformen, Religionen, Sprachen, Herkünften, Beeinträchtigungen, materiellen Unterschieden und Geschlechtern der anderen Kinder wahr.12
Drei- und Vierjährige beginnen, Bewertungen aus ihrer Umwelt zu übernehmen und lernen, Machtverhältnisse zwischen gesellschaftlichen Gruppen zu sehen.13
Im Kindergartenalter von vier bis fünf Jahren haben sie in Büchern, Geschichten und Gesprächen eine Vorstellung davon bekommen, wer »normal« und damit gesellschaftlich zugehörig ist und wer eher nicht. Kinder entwickeln mit vier Jahren aber auch schon ein Gerechtigkeitsgefühl, an das Eltern appellieren können.14
Bis zum Grundschulalter haben Kinder schon relativ feste Bedeutungsmuster zu Merkmalen mit dazugehörigen Machtverhältnissen und Vorurteile über andere gelernt und unter Umständen schon einige Erfahrungen an Diskriminierungen erlebt.15
Aus der Sozialpsychologie weiß man: Kinder lernen ihr Wissen über Botschaften aus der Umwelt im Austausch mit Eltern, Erzieher_innen oder Familienmitgliedern. Dabei haben sie feine Antennen. Sie merken sich, wer ungefragt als zugehörig gesehen wird. Sie registrieren aber auch, wer nicht sichtbar und damit unbedeutend ist, welche Merkmale verspottet oder negativer bewertet werden.16 In einem mehrheitlich von wohlhabenden Familien bewohnten Stadtviertel fällt auf, wenn ein Kind im dortigen Kindergarten oder in der Grundschule aus einer Ein-Eltern-Familie kommt, die sich weniger leisten kann. Mit zwei Jahren beginnen Kinder Merkmale und Unterschiede wahrzunehmen und mit zunehmendem Alter, im Kindergartenalter, lernen sie die Bedeutungen, die beispielsweise der Hautfarbe eines Menschen gesellschaftlich gegeben werden. Kinder lernen, dass Menschen wegen eines Merkmals anders behandelt werden.17
Auf diese Weise bilden Kinder Wissen darüber, was in ihrer Gesellschaft als »Norm« gilt. Und sie spüren das unter Umständen am eigenen Leibe. Werden bestimmte Merkmale häufig betont, lernen Kinder, diesen mehr Beachtung zu schenken, auch wenn sie nicht gleich äußerlich sichtbar sind. In der nordirischen Gesellschaft bekommen sie etwa schnell mit, dass es bedeutsam ist, Protestant_in oder Katholik_in zu sein. Es bestimmt ihr Leben und mit wem sie zu tun haben. Diese Art von Wissen kann sich im kindlichen Verhalten wiederfinden, etwa, wenn bestimmte Kinder nicht auf die Schaukel dürfen oder vom Sandkastenspiel ausgeschlossen werden. Die Merkmale werden zum Machtinstrument, um Hierarchiestufen innerhalb einer Gruppe abzugrenzen.18
Kinder lernen Unterschiede also nicht als etwas Neutrales kennen, sondern mit den dazugehörigen Bewertungen, in denen sich gesellschaftliche Machtverhältnisse und Akzeptanz spiegeln. Wie sie dies in ihr Verhalten einbinden, sieht man beispielsweise an der Ausgrenzung durch die weißen Jungen oder die negative Botschaft an das afrodeutsche Mädchen, das sich das Dabeisein mit Süßigkeiten »erkaufen« muss. Maisha Auma, Professorin im Bereich Diversity Studies, resümiert, dass Kinder »nicht nur Machtdifferenzen wahrnehmen, sondern für die damit zusammenhängenden gesellschaftlichen Wertungen und für ihre (ganz konkreten) Folgen sensibel sind. Ich argumentiere, dass Kinder ein berechtigtes Interesse daran haben, Macht zu empfinden, zu erfahren und auszuüben, weil dies für die Entwicklung und Ausbildung der eigenen Selbstwirksamkeit, des handlungsorientierten Teils ihres Selbst, notwendig ist.«19 Kinder sollen grundsätzlich lernen, dass sie mit ihrem Handeln Einfluss nehmen und auch verletzend sein können. Dass sie von dieser abwertenden Macht Gebrauch machen, sollten wir aber nicht zulassen und vermitteln, dass ein solches Verhalten falsch ist.
An Merkmale gebundene Bewertungen sind ein zentraler Ansatzpunkt in der Erziehung zur Vielfalt. Es geht darum, diese kindlichen Bewertungen in eine Richtung zu steuern, sodass andere Kinder wegen ihrer Merkmale nicht negativ belegt werden. Kinder sollen Merkmale, eigene und die anderer, wertschätzend sehen und sich deswegen nicht mächtiger fühlen.
Wann zeigt sich Macht?
Macht entsteht dann, wenn die gesellschaftliche Gruppe, zu der man sich zugehörig fühlt, als besser, klüger, überlegener, heldenhafter dargestellt wird.
Macht entsteht dann, wenn meine Ausgrenzung nicht kommentiert wird, sondern bestehen darf.
Unterdrückungsmacht liegt auf mir, wenn ich Ablehnung und Abwertung aufgrund meiner Zugehörigkeit oder Merkmale erlebe.
Man kann also sagen: Kinder, die ausgrenzen, haben erfahren, dass sie Unterdrückungsmacht ausüben können. Das festigt sich, wenn keiner sie darauf hinweist, dass dieses Verhalten nicht in Ordnung ist. Diversitätssensible Erziehung hat damit letztlich eine machtkritische Perspektive auf unseren Alltag und den unserer Kinder. Zu vermitteln, dass dieses Machtgefühl unberechtigt ist, wird Teil der neuen Erziehung vor allem für Nicht-Betroffene sein. Für von Ausgrenzung betroffene Kinder wiederum ist es bedeutsam, dem Gefühl, weniger wert zu sein, durch empowernde Erziehung etwas entgegenzusetzen: durch Erfahrungen von Akzeptanz, Gegenstrategien und vor allem dadurch, Freundschaften gut auszuwählen.
Eine wertschätzende Haltung gegenüber Diversität ist notwendiger denn je. Sie sollte sich auch im eigenen Verhalten spiegeln, indem wir vermeiden, jemanden vorzuverurteilen. Welche »Wahrheiten« haben Sie als Eltern über andere verinnerlicht, und geben Sie diese Wahrheiten an Ihre Kinder weiter? Dabei lohnt es sich, mit Blick auf die Betroffenen im Hinterkopf zu behalten: Erlebt ein Kind Diskriminierung statt Wertschätzung, verstärkt dies das Gefühl, nicht dazuzugehören. Akzeptiert zu werden, ist aber ein Grundbedürfnis in der Identitätsentwicklung eines Kindes. Erinnern wir uns an die imaginäre Klasse aus der Einleitung: Mia, Fatima, David, Patrik, Marc und Janine. Sie repräsentieren die Vielfalt, die die Kinder mitbringen. Die Normalität, wie wir sie in Werbung, Kindermedien und Büchern sehen, sieht allerdings anders aus: Das sind meist Menschen in Mutter-Vater-Kind-Familien, weiß, ohne Beeinträchtigung, heteronormal, zur bürgerlichen Mittelschicht gehörend und ökonomisch abgesichert. Letztlich spiegelt nur Mia diese einseitige Norm, mit der die Kinder aufwachsen. Kinder mit Beeinträchtigungen werden beispielsweise kaum gezeigt. Sie haben es schwerer, in Bildungseinrichtungen einen Platz zu bekommen. Im Spiel werden sie auch vielfach nicht mitgedacht, sodass sie nicht dabei sein können. Auch Armut ist oft nicht präsent. Jedes fünfte Kind bis 15 Jahre ist aber unabhängig von der Herkunft zeitweise oder dauerhaft von Armut betroffen. Das geringe Einkommen der Eltern beeinflusst das Leben, da Selbstverständlichkeiten wie neue Kleidung, ein eigener Computer oder Urlaub schwer erreichbar sind. Dazu kommt die Scham, sich nicht alles leisten, weniger an Bildung und am gesellschaftlichem Leben teilhaben zu können.20 Auch Kinder aus Regenbogenfamilien mit lesbischen Müttern oder schwulen Vätern erleben Konflikte und Spott, weil sie nicht in das heteronormale Familienbild passen. Genau das ist Diskriminierung: Der Stress, nicht dazuzugehören und deswegen stigmatisiert, ausgeschlossen und abgewertet zu werden.
Auch Menschen, die sichtbar aus anderen Herkunftsländern kommen, werden häufig stereotyp dargestellt. Jedes dritte Kind unter zehn Jahren in Deutschland hat aber andere Herkünfte als die deutsche, was mit einer anderen Sprache oder einem anderen Aussehen einhergehen kann. Faktisch hat jedes dritte Kind in Deutschland einen Migrationshintergrund.21 Sollte man diese Kinder alle als nicht zur deutschen Gesellschaft zugehörig sehen? Sollte das eigene Verständnis von Zugehörigkeit nicht den Lebensrealitäten im Jahr 2021 angepasst werden, indem man hier lebende und teilweise auch geborene Generationen von Einwander_innen in das eigene Selbstverständnis einbezieht, statt sie als außenstehende Gruppe wahrzunehmen? Sie sind genauso Deutsche, wenn sie sich so identifizieren.