EscortLady | Erotischer Roman - Clarissa Thomas - E-Book

EscortLady | Erotischer Roman E-Book

Clarissa Thomas

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Beschreibung

Dieses E-Book entspricht 192 Taschenbuchseiten ... Das Leben ist zu kurz, um keine Geheimnisse zu haben … Als EscortLady versteht sich Ophelia darauf, die geheimsten Wünsche ihrer exklusiven Kunden zu erfüllen. Ihre eigenen Bedürfnisse kommen dabei oft zu kurz. Alles ändert sich, als der erfolgreiche Sänger Trystan in ihr Leben tritt und die Grenze zwischen wahrer und käuflicher Liebe zu verschwimmen beginnt. Denn plötzlich kommen ihre echten Gefühle zu Tage, die sie sich bei ihrem Beruf als EscortLady nicht erlauben darf … Diese Ausgabe ist vollständig, unzensiert und enthält keine gekürzten erotischen Szenen.

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Impressum:

EscortLady | Erotischer Roman

von Clarissa Thomas

 

Clarissa Thomas lebt, liebt und schreibt in einem beschaulichen Küstenort Nordeuropas. Die Inspiration für ihre Texte findet sie in zufälligen Begegnungen, intensiven Blicken oder einem Sonnenaufgang am Strand. Besonders fasziniert sie die geheimnisvolle Anziehungskraft zwischen zwei Menschen – geistig wie körperlich. Wenn Clarissa an einer neuen Geschichte arbeitet, darf nur ihre Mitbewohnerin sie unterbrechen: Chauchat, eine ebenso elegante wie eigensinnige Siamkatze.

 

Lektorat: Nicola Heubach

 

 

Originalausgabe

© 2016 by blue panther books, Hamburg

 

All rights reserved

 

Cover: © Georgijevic @ istock.com

Umschlaggestaltung: Matthias Heubach

 

ISBN 9783862775651

www.blue-panther-books.de

Die ganze Welt ist eine Bühne

Das Glück ist eine unzuverlässige Freundin. Es spielt nach seinen eigenen Regeln, macht sich rar, wenn wir uns am stärk­sten danach sehnen – und ist doch immer für eine Überraschung gut.

Es heißt, das Glück sei nicht käuflich. Wir allerdings sind es. Wir spenden Trost, erfüllen Wünsche, schenken Kraft und inspirieren. Wir sind Geliebte auf Zeit, Göttinnen für ein paar Stunden. Wer einmal das Vergnügen hatte, unsere Gegenwart zu erleben, will nicht mehr darauf verzichten. Schnell verfällt man unserem Charme, unseren äußeren wie inneren Reizen, unserer Kunstfertigkeit. Bankkonten werden für uns geplündert, Alibis erfunden, Treueschwüre gebrochen – doch noch nie hat es jemand bereut ...

***

Wir trafen uns in der Lobby seines Hotels.

James hielt eine aufgeschlagene Ledermappe auf den Knien, konzentriert blätterte er darin, sah höchstens kurz auf, um eine Notiz in sein Smartphone zu sprechen. Nicht einmal hier blieb er von der Arbeit verschont.

Er war der Prototyp eines Geschäftsmannes, auch wenn seine muskulöse Erscheinung leicht darüber hinwegtäuschen konnte. Unter dem maßgeschneiderten Anzug zeichneten sich mächtige Schultern und kräftige Arme ab, der strahlend-weiße Hemdkragen schloss sich um einen breiten, von starken Sehnen durchzogenen Hals. Ohne die Brille und den akkuraten Wallstreet-Schnitt seines langsam ergrauenden Haares hätte man ihn für einen Fitnesstrainer halten können, der nur zufällig in einem dunkelblauen Dreiteiler steckte und für einen Tag die Rolle des Top-Managers spielte.

Erst, als ich bereits vor ihm stand, bemerkte James mich. Sein Blick wanderte von meinen schwarzen Pumps über den enganliegenden Bleistiftrock bis zu der tiefdekolletierten Bluse. Erleichtert schloss er die Mappe, stand auf und schenkte mir sein perfektes Lächeln.

»Ophelia – wie schön, dass du es so spontan einrichten konntest.«

Wir begrüßten einander mit einer Umarmung, die jedem Außenstehenden unverständlich erscheinen musste; sie war zugleich fremd und vertraut, eine Geste zwischen Freunden, die einander lange nicht gesehen hatten und eine gewisse Zeit brauchten, um den normalen Grad an Herzlichkeit wieder zu erreichen. Nur die Eingeweihten, die Escortdamen und ihre Kunden, kennen diesen speziellen Drahtseilakt.

»Für dich verschiebe ich gern den einen oder anderen Termin«, erwiderte ich mit einer Stimme, in die sich eine verspielte Sinnlichkeit mischte. Schnell fanden wir in unsere vorgegebenen Rollen. James, der selbstsichere Gentleman, und ich, die Muse, die ihm ein paar Stunden Ablenkung und Erholung von der Last seiner Arbeit sein würde.

Ein Mann wie er hatte es ganz bestimmt nicht nötig, ein kleines Vermögen für ein paar Stunden sinnlicher Zweisamkeit auszugeben. Allein an der Bar des Hotels hätte er genügend Frauen für ein ganzes Jahr aufreißen können, doch James schätzte unseren diskreten Service – und die Unverbindlichkeit.

»Frauen bedeuten Verantwortung«, hatte er mir einmal in seiner leicht patriarchalischen Art erklärt, »eine Verantwortung, die ich mir in meinem Job nicht erlauben kann.«

Obwohl bei weitem nicht jede Frau den kapitalen Fehler beging, Sex mit Liebe zu verwechseln, verstand ich seine Argumentation sofort. Viele meiner Kunden dachten wie James: Sie bezahlten mich für eine Zuneigung und Intimität, die im richtigen Leben niemals ohne Komplikationen und verletzte Gefühle zu haben war.

»Wollen wir?« James hielt mir galant seinen Arm hin.

Ich hakte mich bei ihm ein und gab mir alle Mühe, auf meinen hochhackigen Schuhen mit seinen ausladenden Schritten mitzuhalten.

Im Fahrstuhl übte er sich in entschiedener Zurückhaltung. Kaum ein Blick, kaum ein Wort – wir waren wie zwei Menschen, die der Zufall in dieser kleinen Metallkabine zusammengeführt hatte und deren Wege sich bereits ein paar Stockwerke weiter verlieren würden. Ich kannte James lange genug und wusste von der Verwandlung, die sich mit ihm vollziehen würde, sobald wir unter uns waren. Er konnte bei einem gemeinsamen Essen sehr detailliert über die Besonderheiten des ostasiatischen Aktienmarkts referieren, um dann, nur kurze Zeit später, in der sicheren Sphäre einer Suite, zu dem Tier zu werden, das tagsüber unter der Oberfläche seiner Kultiviertheit schlummerte.

Mir drängte sich das Bild einer Flasche Champagner auf, Sekunden bevor sich der Korken endgültig unter kundigen Fingern löst und der vorher so gut verborgene Druck schlagartig hervortritt. Auch in mir breitete sich das nervöse Prickeln der Vorfreude aus. Bei aller Erfahrung, die ich mittlerweile in diesem einschlägigen Bereich besaß, war doch jeder Termin etwas Einzigartiges, etwas Unberechenbares ...

Obwohl James nur ein zweistündiges Private-Date gebucht hatte, war der Umschlag, den er mir überreichte, gut gefüllt. Ich vertraute ihm und machte mir gar nicht erst die Mühe, nachzuzählen. James war sehr spendabel, häufig legte er noch ein beachtliches Trinkgeld dazu, sodass ich in meiner kleinen Handtasche einen Betrag verschwinden ließ, für den andere Menschen einen Monat lang arbeiten mussten.

Bevor die verspiegelten Türen des Fahrstuhls auseinanderglitten, musterte ich ein letztes Mal mein Erscheinungsbild – doch, ich konnte mit dem Anblick zufrieden sein. Mein langes, hellblondes Haar, die azurblauen Augen, die schlanke Silhouette ... einmal mehr würde ich dem hohen Preis gerecht werden.

Der Teppich des Flurs schluckte jedes Geräusch. Die Ruhe vor dem Sturm, ging es mir durch den Kopf, doch der Sturm war längst da. Ich spürte es, als James nach meiner Hand griff, so fest und bestimmt, als würde er sie nie wieder loslassen wollen. Nur kurz, um mit der Sicherheitskarte die Zimmertür zu öffnen, trennten sich unsere Finger. Kaum waren wir eingetreten, zogen sich unsere Körper mit einer Kraft, die mehr als nur magnetisch war, zueinander hin.

Und dann war er da, dieser jedes Mal so großartige Moment des ersten Kusses. Diese eine Sekunde zwischen dem Schließen der Augen und dem Aufeinandertreffen der Lippen, diese Grauzone von Sehnsucht und Erfüllung. Alles schien möglich, die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft verschmolzen zu einem einzigen Augenblick. Unsere Münder erkannten einander, das Spiel der Zungen setzte ein – schüchtern zunächst, erkundend nur, um sich schließlich mit ganzer Kraft in die Welle der Erregung zu werfen.

Die Bewegungen meiner Finger verselbstständigten sich; waren sie eben noch an James’ breitem Nacken beschäftigt, gingen sie nun ihre eigenen Wege, lösten die Krawatte und öffneten den Hemdkragen. Ich wollte diesen Mann, wollte ihn von aller unnötigen Verkleidung befreien und so sehen, wie die Natur ihn geschaffen hatte: groß, stolz und kräftig. Doch dann, mit einer schier übermenschlichen Anstrengung, mäßigte sich James, bremste die eigenen Zärtlichkeiten und wehrte meine sanft ab.

»Ophelia, warte kurz – es gibt da etwas, das du wissen solltest.«

James war kein Mann unnötiger Worte. Wenn er etwas zu sagen hatte, erst recht in dieser besonderen Situation, musste es wichtig sein.

»Ich habe dir doch von dem Angebot aus Japan erzählt, und dass ich mit dem Gedanken spiele, nach Tokyo zu ziehen ... Es fiel mir nicht leicht, aber ich habe eine Entscheidung getroffen.«

Es dauerte etwas, bis mein Verstand die Bedeutung dieser Worte völlig erfasste. Das, was ich vermutete und mir unmittelbar Angst machte, ließ sich in drei fragenden Worten zusammenfassen. »Du gehst also?«

James nickte, dann trat er an das Fenster, um meinen Gesichtsausdruck nicht sehen zu müssen. Das Bedauern war aufrichtig, ich spürte, wie sich eine graue Wolke über den Horizont meines Denkens legte.

»Und wann ... wann wird das sein?«

»Wenn alles klappt, bereits nächste Woche.«

»Nächste Woche schon ... das heißt ...«, ein ungewohntes Zittern schlich sich in meine Stimme, die Aussicht auf den bevorstehenden Abschied schnürte mir mit aller Macht die Kehle zusammen. Da ich meinen Satz nicht vollenden konnte, sprach James meine Befürchtung ganz aus.

»Ja, das heißt, dass dies wahrscheinlich unser letztes Treffen ist.«

Einen Augenblick kämpfte ich mit meinem Drang, in Tränen auszubrechen, aber die souveräne, selbstbewusste Frau in mir behielt die Oberhand. Bei aller Zuneigung blieb James ein Kunde. Ein Kunde, der mich dafür bezahlt hatte, dass ich mit ihm auf sein Hotelzimmer ging und mich seiner Begierde hingab. Ein Kunde von vielen, auch wenn er sich durch seinen Stil und seinen erlesenen Geschmack auszeichnete – und uns eine Kette faszinierender Begegnungen miteinander verband.

»Ich habe da noch etwas ... vielleicht tröstet es dich ein wenig«, sagte er und griff in die Innentasche seiner Anzugjacke, »Hier. Nimm es.«

Es war ein in rotem Samt eingeschlagenes Etui. Als ich es öffnete, kam eine goldene Halskette zum Vorschein.

»Das soll dich an mich erinnern.«

Ein Lächeln kämpfte entschlossen gegen die Traurigkeit an.

»Als ob ich dich vergessen könnte, James.«

Vorsichtig legte er mir den Schmuck an, dann küssten wir uns, so zärtlich, so hingebungsvoll, dass jedes richtige Liebespaar vor Neid erblasst wäre. Keine Tränen, nein, kein wehmütiger Abschied. Ich würde dafür sorgen, dass James mich ebenfalls in bester Erinnerung behalten würde ...

»Jetzt möchte ich, dass du bis auf mein kleines Präsent alles ablegst«, sagte James und seine Finger begannen, an meinem Rücken nach dem Reißverschluss meines Kleides zu suchen.

»Da hat es aber jemand eilig ...«

Es fiel mir schwer, ihn hinzuhalten. Die kurze Unterbrechung, die Offenbarung, dass dies unsere letzten gemeinsamen Stunden sein würden, hatten meine Lust nicht etwa verringert. Ganz im Gegenteil, mehr denn je brauchte ich James’ greifbare Körperlichkeit, es verlangte mich danach, seine Hände auf jeder noch so empfindsamen Stelle meines Körpers zu spüren.

»Möchtest du mich denn gar nicht in meinen neuen Dessous bewundern? Nur für dich war ich vorhin noch einkaufen.«

Es stimmte. Kurz nachdem mich James angerufen hatte, um mir mitzuteilen, dass er in der Stadt wäre und mich unbedingt treffen müsste, stattete ich meiner Lieblings-Boutique einen Besuch ab. Mir blieb nicht viel Zeit, um lange zu suchen, doch ich landete einen Glücksgriff: Eine Kombination aus dunkelblauem BH und Höschen, beides von nahezu unverschämter Transparenz.

Ich wusste von seinen Vorlieben, ganz besonders von seiner Schwäche für hauchdünnen, durchscheinenden Chiffon, der wesentlich mehr zur Schau stellte als er verhüllte ... Nun gestattete ich James, mir mit dem Ablegen meines Oberteils behilflich zu sein. Sekunden später glitt auch der schwarze Rock an meinen Beinen hinab. Seine Augen weiteten sich erwartungsvoll.

Langsam aber entschieden drückte ich ihn auf das Bett hinunter. Als ich mich an seiner Hose zu schaffen machte, rechnete er wahrscheinlich fest damit, dass ich ihn mit dem Mund verwöhnen würde. Er sollte sich täuschen. Heute würde ich bestimmen, und er durfte sich meinem Willen fügen. Üblicherweise bevorzugte er es, oben zu sein und den Takt anzugeben, doch dieses Mal, unser letztes Mal, warf ich alle Regeln und Gewohnheiten ab.

»Du bist sehr dominant, James – das weiß ich zu schätzen. Doch wie gehst du damit um, wenn jemand deine Vorherrschaft streitig macht?«, erklärte ich so beiläufig wie nur möglich.

James sah mich fragend an. »Was hast du vor?«

Ich gab ihm keine Antwort, genoss viel zu sehr das Spiel mit der Ungewissheit und berauschte mich an meiner eigenen Frivolität. Als ich ihn von jeder unnötigen Bekleidung befreit hatte, ragte mir sein zu voller Größe aufgerichteter Schwanz entgegen; leicht hätte ich ihn zwischen meine Lippen nehmen und ihm innerhalb weniger Sekunden die ersehnte Befriedigung verschaffen können, stattdessen zog ich ihm schnell das Kondom über und stieg auf ihn. James blickte mich fassungslos an. Er wollte sich aufsetzen, aber meine Hände hielten seinen Oberkörper auf dem Laken. Mit den Fingern machte ich mich an seinen Brustwarzen zu schaffen, die sich unverzüglich verhärteten. James mochte gern den Überlegenen spielen, aber ich durchschaute ihn. Als ich seinen Mund mit meinen Lippen verschloss, sodass nur noch gedämpftes Stöhnen zu hören war, brach jeder Widerstand in ihm – stattdessen verlegte er sich darauf, meinen Hintern mit erprobten Griffen zu massieren. James genoss es, von mir geritten zu werden, und ich, von jeder Hemmung befreit, beschleunigte den Rhythmus. Die goldene Halskette pendelte aufgeregt im Takt, kühl schlug das Metall gegen meine erhitzte Haut.

Mein Becken kreiste auf seinem Schoß, wobei ich meine Bewegungen gekonnt dosierte. Wenn ich spürte, wie die Erregung mit James durchging, verlangsamte ich etwas, pausierte sogar kurz, um ihm eine Atempause zu gewähren. Unser großes Finale sollte schließlich nicht vorzeitig enden.

An seinen von willenloser Gier durchzogenen Laute merkte ich, dass er kurz vor dem Höhepunkt stand – doch diesen sollte er sich erst verdienen. Ich stieg von James ab und legte mich neben ihn. In der größten Eile kam er über mich, drang ein und nahm sich, was er so verzweifelt brauchte. Er stützte sich auf einer Hand ab, mit der anderen massierte er meine Brüste, was mich fast um den Verstand brachte. Seine Männlichkeit war unantastbar, in dieser Situation mehr denn je. Mit schnellen, aber ebenso geschickten Stößen liebte er mich, bis das gesamte Bett die Schwingungen aufgriff und lautstark gegen die Wand schlug. Wie von Sinnen klammerten sich unsere Münder aneinander. Der Gipfel riss uns beide hinfort und trieb uns erst nach zahlreichen Wellen des Genusses wieder an ein Ufer.

Später lagen wir eng aneinandergeschmiegt. James streichelte meinen nackten Körper.

Beiläufig, als würde er es zu jemand anderem sagen, begann er ein Gespräch. »Du hast mir nie deinen richtigen Namen verraten.«

»Meinen richtigen Namen?«

»Ophelia ist doch wohl ein Pseudonym.«

Ich dachte nach, bevor ich zu dem Versuch einer Erklärung ansetzte. Mir war klar, dass James das dringende Bedürfnis nach Wahrheit hatte – doch wie weit konnte ich gehen? Hätten zu intime Geständnisse den Abschied nicht noch schwerer gemacht?

»Zu Beginn war es nur ein Pseudonym, ja. Ophelia war eine Rolle, in die ich hineinschlüpfen konnte, eine Kunstfigur gewissermaßen. Sie half mir, auch in schwierigen Situationen die Kontrolle zu behalten ... Doch dann verschmolzen Fantasie und Wirklichkeit miteinander. Ich fühlte mich wie eine Schauspielerin, die nach dem erfolgreichen Auftritt ihr Kostüm nicht mehr ablegen möchte. Die Maskerade war so wunderschön, dass ich sie als Wirklichkeit akzeptierte. Ich war Ophelia. Ich bin Ophelia.«

Die letzten Worte hatte ich mit einem eigentümlichen Nachdruck gesagt, als wären sie ein religiöses Bekenntnis – und vielleicht stimmte das auch. Ich hatte mich immer schwer damit getan, an etwas zu glauben, sei es nun an Gott oder an meine eigenen Stärken. Doch als Ophelia hatte ich Macht. Magisch zog ich die Aufmerksamkeit der Männer auf mich, sorgte für eine konzentrierte Stille, wenn ich einen Raum betrat, konnte mit einem Blick beleben oder vernichten.

James schien mit meiner Antwort nicht völlig zufrieden zu sein. »Und das Mädchen von früher, die junge Frau, die du vorher warst? Was ist mit ihr passiert? Ist sie fort? Einfach so verschwunden?«

Ich konnte ihm keine Antwort geben, so angestrengt ich auch über seine Fragen nachdachte. Alles hätte aufgesetzt, wenn nicht sogar verlogen geklungen. Als ich schließlich gehen musste – die vereinbarten zwei Stunden waren längst vorüber, aber wer achtete bei einem solchen Treffen schon auf den Minutenzeiger? –, stand das Thema noch immer zwischen uns. Es überlagerte unseren letzten Kuss, es begleitete mich auf den Flur hinaus und beschäftigte mich den kompletten Weg nach Hause.

Ich dachte an die Frau, die ich einmal gewesen war.

Chroniken versunkener Zeit

Drei Jahre zuvor hieß ich noch Olivia, saß in einem hoffnungslos überfüllten Hörsaal und lauschte Professor Philson, der sehr eindringlich die Position eines überzeugten Stratfordianers vertrat.

»... zeugt aber nicht die Unterstellung, dass ein Mensch ohne akademischen Hintergrund und höheren Bildungsabschluss niemals in der Lage sei, Stücke wie Hamlet oder den Sommernachtstraum zu vollbringen von einer zutiefst elitären Verblendung? Woher diese Furcht, in Shakespeare beides zugleich zu sehen: Den gewinnorientierten Theatermann und den vielleicht größten Dramatiker aller Zeiten? Weil keine Briefe von ihm überliefert sind? Weil seine Unterschrift so ungelenk wirkt wie die eines Analphabeten?«

Ich hatte mich für ein Studium der Literaturwissenschaft entschieden, weil Bücher seit meiner frühesten Kindheit eine fast schon unheimliche Anziehungskraft auf mich ausübten. Jeden Abend war meine Mutter mit einem schweren Märchenband bewaffnet auf mein Zimmer gekommen, um mir daraus vorzulesen. Wie ein Schwamm hatte mein kindliches Gehirn die Worte aufgesogen, mit ihnen gespielt und neue Sätze gebildet. Noch lange nachdem meine Mutter das Buch zugeschlagen und mir eine gute Nacht gewünscht hatte, dachte ich über die Geschichten nach, ersann alternative Enden und ließ den Schlaf erst über mich kommen, als es unvermeidbar war.

Später dann setzte ich meine Lektüre verbotenerweise unter der Bettdecke fort. Ich erarbeitete mir im Schein meiner Taschenlampe die großen Klassiker der Literatur. Mein Studium war die logische Fortsetzung einer immerwährenden Leidenschaft, und mit etwas Glück würde es es mir ermöglichen, eines Tages in einem kleinen, aber hochwertigen Verlagshaus zu arbeiten. Konnte es denn etwas Schöneres geben, als seinen Lebensunterhalt mit kostbaren Worten zu bestreiten?

»Auf welche Genies müsste diese Welt doch verzichten, wenn wir nur das Werk derer berücksichtigen würden, die an den besten Hochschulen gelernt haben! Und würden wir die Leserlichkeit der Unterschrift als qualitatives Kriterium werten, so dürften wohl die meisten Ärzte ihre Approbation verlieren ...«

Ein Raunen ging durch den Saal. Philson war für seine Vorlesungen bekannt, die eben nicht nur darauf abzielten, jungen Menschen das absolut notwendige Wissen für das Bestehen der nächsten Klausur zu vermitteln, sondern die auch unterhaltsam waren, amüsant, kunstvoll.

Neben mir drehte sich meine Freundin und Mitbewohnerin Emma gedankenverloren ihre dunklen Locken. Mit den schwarzen, kniehohen Stiefeln, dem knappen Lederrock, dem ausladenden Dekolleté und den Smokey-Eyes war sie der Inbegriff einer begehrenswerten Studentin. Unfassbar langsam bearbeitete sie einen Kaugummi, fast schon meditativ bewegte sie ihren hübschen Mund und starrte den Professor an. Ihr Blick war eindeutig. Als sie die Schenkel leicht spreizte, tat sie das nicht etwa, weil sie die Mutmaßungen über den großen englischen Dramatiker so faszinierten ...

»Doch ich möchte, dass Sie sich Ihre eigenen Gedanken zu diesem gewiss schwierigen, aber auch überaus bedeutsamen Thema machen. Fragen Sie sich ernsthaft, welche intellektuellen Leistungen Sie einem Mann aus Stratford Ende des 16. Jahrhunderts zutrauen – oder welche eben nicht. Meine Damen und Herren, ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.«

Das kollektive Trommeln setzte ein, diese typisch universitäre Geste des Applauses, bei der die Fäuste in einer Mischung aus Ehrfurcht und Ironie auf die abgeschabten Holzplatten der Klapptische schlugen.

Emma sah noch immer unverhohlen in Richtung Professor, der inzwischen seine Unterlagen zusammenpackte und noch von übereifrigen, hauptsächlich weiblichen Studenten belagert wurde.

»Das Thema scheint dich ja ziemlich gefesselt zu haben«, sagte ich zu ihr, doch sie verstand meine Bemerkung nicht sofort.

»Was? Oh ... ja ... ist wirklich eine spannende Sache.«

Erst jetzt wandte sie den Blick ab, schob ihren unbenutzten Schreibblock in die Tasche und stand auf. Etwas verspätet schlossen wir uns der allgemeinen Aufbruchsstimmung an. Vor dem Hörsaal hatte sich inzwischen eine größere Ansammlung gebildet, deren Wortwechsel zwischen klassischer Dramatik und dem aktuellen Speiseplan schwankte. Emma und ich zogen schnell an ihnen vorbei, um noch einen Sitzplatz in der Mensa zu ergattern.

Bewaffnet mit unseren Tabletts reihten wir uns in die schier endlose Schlange vor der Essensausgabe ein. Auch das heutige Menü stellte kein kulinarisches Highlight dar, aber es war erschwinglich, selbst für Studentinnen, die nicht über den Luxus eines wohlhabenden Elternhauses verfügten.

Es gelang uns, einen kleinen Tisch an der Fensterfront zu ergattern, wir blickten hinaus auf den herbstlichen Campus, der von Frisbee-Spielern und Lesegruppen besiedelt wurde. Emma arbeitete sich mühsam durch etwas hindurch, das auf der Karte als »Steak« bezeichnet worden war.

»Du interessierst dich also für Professor Philson, ja?«

Sie versuchte gar nicht erst, meinen Verdacht abzustreiten. »Oh ja, und wie ... Er ist so selbstbewusst, so elegant. Findest du ihn nicht auch heiß?«

»Heiß trifft es vielleicht nicht ganz, immerhin ist Philson gut zwanzig Jahre älter als wir.«

Mit einer eiligen Geste verscheuchte Emma meinen Einwand, als wäre er ein lästiges Insekt. »Ich glaube, ich habe eine ernsthafte Schwäche für ältere Männer. Und ganz besonders für ihn ...«

Die Kartoffeln waren nahezu ungenießbar, aber nachdem schon mein Frühstück nur aus Kaffee und Joghurt bestanden hatte – für mehr fehlte Zeit und ein gefüllter Kühlschrank – war ich nicht mehr sonderlich wählerisch. Um mich etwas von der mehligen Konsistenz der Beilage abzulenken, versuchte ich, unser Gespräch fortzusetzen.

»Das hätte doch keine Zukunft mit euch«, sagte ich, bemüht, es möglichst beiläufig klingen zu lassen.

»Muss denn alles immer gleich eine Zukunft haben? Die Gegenwart fühlt sich jedenfalls großartig an ... Du kannst dir nicht vorstellen, wie gern ich diesen Mann zwischen meinen Beinen hätte.«

Emmas Direktheit machte mich für einen Moment sprachlos.

Erst ein paar Monate zuvor hatte ich meine dreijährige Beziehung mit Mike beendet, was mir noch immer zu schaffen machte. Mike war mein erster richtiger Freund gewesen – richtig im Sinne von: Erster Sex, erster Urlaub zu zweit, erste gemeinsame Wohnung. Lange Zeit dachte ich, dass wir zwangsläufig heiraten, Kinder kriegen und den Rest unseres Lebens miteinander glücklich sein würden. Es war der einfache Traum eines einfachen Mädchens, und er zerplatzte auf eine ebensolche Art und Weise ... Mike und ich entfremdeten uns. Er zeigte kaum noch Interesse an mir und nahm meine Gegenwart hin wie etwas Selbstverständliches. Ich war für ihn kaum mehr als ein Möbelstück, und irgendwann wurde der Zustand so unerträglich, dass ich aus unserer Wohnung auszog und mein Glück in einem radikalen Neuanfang suchte.

»Du denkst schon wieder an Marc, oder?«

Emma verfügte über die unheimliche Fähigkeit, die Gedanken ihrer Mitmenschen erraten zu können.

»Mike, nicht Marc. Sein Name ist Mike. Und ja, ich denke oft an ihn ... eine dauerhafte Beziehung hinterlässt eben ihre Spuren. Aber du kannst das nicht nachvollziehen, weil du jedes Wochenende einen anderen Typen in unsere WG schleppst.«

»Wenn du das so formulierst, fühle ich mich wie ein Flittchen«, entgegnete Emma und verzog ihre Lippen zu einem übertriebenen Schmollmund. Was auch geschah, man konnte ihr schlicht und ergreifend nicht böse sein.

»So war das nicht gemeint. Es ist nur ...«

»Es ist nur was? Dass du dich zurücksehnst nach der Beschaulichkeit der Langeweile? Hoffentlich war zumindest der Sex mit Marc ...«

»Mike.«

»... mit Mike gut.«

»Ja, der Sex war wirklich in Ordnung«, gab ich nur halblaut zurück, da sich zwei Studentinnen, die Teil unserer Lerngruppe waren, direkt neben uns gesetzt hatten. Emma kümmerte sich, wie so oft, überhaupt nicht darum.

»In Ordnung?!«, entgegnete sie unüberhörbar. »Der Sex war wirklich in Ordnung?! Meine Güte, Olivia! Wenn du das auch zu Mike gesagt hast, ist es kein Wunder, dass ihr nicht mehr zusammen seid.«

Um Emmas Ausführungen wieder auf eine akzeptable Lautstärke zu senken, gab ich mich rhetorisch geschlagen. »Der Sex war großartig. Zufrieden?«

»Noch nicht ganz. Dir fehlen schließlich die Vergleichswerte. Du gehörst wahrscheinlich auch zu diesen Menschen, die Blümchensex für das Größte halten und sich schon verrucht vorkommen, weil sei einmal anal ausprobiert haben.«

Ich war durchaus kein Kind von Traurigkeit. In unserer Anfangszeit waren Mike und ich manchmal ganze Tage mitein­ander im Bett geblieben, auch wenn sich irgendwann natürlich eine gewisse Routine eingestellt hatte. Schlimm war eigentlich nur sein Hang gewesen, es sofort für ein Kapitalverbrechen zu halten, wenn ich einmal nicht zum Orgasmus gekommen war. Dann durfte ich ein selbstzerfleischendes Kreuzverhör über mich ergehen lassen und musste ihm dutzendfach versichern, dass das nichts mit seinen Qualitäten als Liebhaber zu tun hatte. Ein zermürbender Prozess, zermürbend für ihn, aber genauso zermürbend für mich.

In gewisser Hinsicht stimmte ich Emma zu. Mike hatte sich nie auf den kunstvollen Tabubruch verstanden, wenig von der animalischen Gier einer Frau und ihren unausgesprochenen Bedürfnissen gewusst. Aber ich war nicht der Mensch gewesen, es ihm zu sagen.

»Für mich gehören Sex und Liebe eben zusammen. Ich kann das nicht so feinsäuberlich trennen wie du«, erklärte ich beherzt und wagte einen letzten Versuch, meine Position zu retten.

Doch Emma rammte teilnahmslos ihre Gabel in die Erbsen und entgegnete: »Du solltest anfangen, von deiner neugewonnen Freiheit Gebrauch zu machen, Olivia. Langweilig kannst du in sechzig Jahren immer noch sein. Jetzt bist du jung, hast ein hübsches Gesicht, einen knackigen Hintern, volle Brüste und nicht zuletzt einen Kopf, der mehr ist, als die Grundlage einer modischen Frisur. Stell dir vor, dass sich eine riesige Bibliothek vor dir auftut – da willst du doch auch nicht nur ein einziges Buch lesen, oder?«

Emma hatte unsere verbale Schlacht gewonnen, sie kannte mich inzwischen zu gut. Zufrieden lächelnd fasste sie ihr Weltbild zusammen: »Amüsier dich.«

***

Amüsier dich.

Ich musste an Emmas Worte denken, als ich wieder einmal zu spät bei »Haute Cuisine« ankam, einem Restaurant im Süden der Stadt, nicht ganz in der Oberklasse französischer Küche angekommen, aber doch auf einem sehr guten Weg.

Jules, mein direkter Vorgesetzter, beließ es diesmal nicht bei verärgerten Blicken, sondern hielt mir eine mehrminütige Ansprache, wie wichtig doch Pünktlichkeit für den reibungslosen Betrieb des Restaurants sei.

Ich verzichtete darauf, Jules zu erklären, dass ich gerade mitten in einer wichtigen schriftlichen Ausarbeitung steckte und diesen undankbaren und schlecht bezahlten Job lediglich machte, um mich knapp über dem Existenzminimum zu halten. Stattdessen ordnete ich meine Dienstkleidung – weiße Bluse, dunkler Rock –, setzte mein freundlichstes Lächeln auf und bediente die ersten Gäste. Es war Montagabend, nicht gerade die typische Zeit für den Besuch eines Vier-Sterne-Restaurants, die Tische waren kaum zu einem Viertel besetzt.

Die Stunden zogen sich.

Weniger Gäste bedeuteten weniger Trinkgeld, aber das gab mir auch die Möglichkeit, die Anwesenden genauer zu beobachten. Ich fragte mich, wer von den Herren wohl eine vorteilhafte Partie wäre und entschied mich schließlich für einen Mann, der allein im hinteren Teil des Restaurants saß. Seine körperliche Präsenz war überwältigend. Die Aura des Geheimnisvollen umgab ihn. In irgendwelchen Hollywood-Filmen wäre er ein Agent gewesen, von dem der Zuschauer lange Zeit nicht weiß, ob er gut oder böse ist. Genau diese Ambivalenz war es, die mich für ihn einnahm.

Fest entschlossen, das Beste aus der Situation zu machen, spielte ich ein wenig mit meinen Reizen. Ich bog den Rücken durch, streckte meine Brust vor und stöckelte so kunstvoll über den Parkettboden, wie es beladen mit einem mittelschweren Tablett nur möglich war.

Während ich am gegenüberliegenden Tisch die Bestellung eines älteren Ehepaars aufnahm, senkte ich meinen Oberkörper unnötig weit hinunter, vorgeblich, um den über 70jährigen die Empfehlung des Tages verständlich zu machen, aber eigentlich, weil ich meinem attraktiven Unbekannten einen tiefen Einblick in meinen Ausschnitt gewähren wollte.

Als ich mich wieder aufrichtete, sah ich kurz zu ihm hinüber. Aus seinen Augen sprach pures Begehren.

Den Höhepunkt meiner kleinen Vorstellung leitete ich mit einer Gabel ein, die ich – so ungeschickt aber auch! – fallen ließ und ganz langsam, mit durchgestreckten Beinen und einem Rock, der sich bei dieser Bewegung eng an meinen Hintern schmiegte, aufhob ... Es war unnötig, mich seiner Aufmerksamkeit zu versichern.

Abgesehen von vielsagenden Blicken blieb er vollkommen passiv. Weiter in die Offensive wollte ich nicht gehen, weniger aus einem Mangel an Mut heraus, sondern weil mir völlig unklar war, wie ich auf gesellschaftlich akzeptable Weise andeuten sollte, dass ich bereit war mit einem völlig fremden Mann ins Bett zu gehen.

Ich gab mein kleines Spiel bereits verloren, als er die Rechnung, übertrieben aufgerundet, bezahlte. Doch bevor ich nach dem gebrauchten Geschirr greifen konnte, um es zurück in die Küche zu tragen, spürte ich seine Finger an meinem Handgelenk. Sein Griff war entschlossen, aber nicht unangenehm. Er wusste sehr genau, was er tat.

»Wie lange müssen Sie heute noch arbeiten?«, fragte er gerade so laut, dass nur ich seine Worte verstehen konnte.

Die Farbe meines Gesichts wollte entschieden ins Rötliche übergehen, aber mit einer übermäßigen Anstrengung gelang es mir, ruhig und souverän zu wirken. »Weshalb interessiert sich ein Mann wie Sie für die Arbeitszeiten einer gewöhnlichen Kellnerin?«, gab ich kühl zurück, so kühl wie es in dieser Situation überhaupt möglich war.

Doch er durchschaute mich. »Weil Sie eben nicht nur eine gewöhnliche Kellnerin sind, sondern eine äußerst attraktive Frau, und seit etwa einer Stunde nichts unversucht lassen, mir das zu zeigen.«

Seine Worte klangen kraftvoll und überlegt, vermutlich war er es gewohnt, beruflich vor vielen Leuten zu reden.

»Ist das so, ja? Vielleicht bilden Sie sich auch alles nur ein, Mr ...«

»John. Einfach nur John. Und für Tagträume bleibt mir keine Zeit, ich stehe mit beiden Beinen fest im Leben. Glauben Sie mir: Ich weiß, was ich will.«

Ich wagte einen kleinen Vorstoß. »Und das wäre?«

»Das sind Sie.«

Ich biss mir auf die Unterlippe. Hatte ich nicht genau das beabsichtigt? So viel Mühe hatte ich darauf verwandt, ihm meine äußerlichen Vorzüge zu präsentieren, seine und meine Fantasie immer weiter befeuert, nur um jetzt einen Rückzieher zu machen? Ganz bestimmt nicht.

»Das trifft sich gut«, entgegnete ich, wobei es mir immer schwerer fiel, die Maskerade der Gleichgültigkeit aufrecht zu erhalten.

»Meine Schicht dauert bis zweiundzwanzig Uhr. Treffen wir uns im Anschluss?«

»Ich hole Sie ab.«

»Einverstanden. Warten Sie hinter dem Gebäude.«

Es kam mir so vor, als hätte ich gerade eine Verschwörung angezettelt ... Es fühlte sich gut an, ein böses Mädchen zu sein.

»Wie heißen Sie überhaupt?«

Ich wollte ihm nicht meinen richtigen Namen verraten, also dachte ich an meine jüngste Vorlesung, in der Shakespeares Hamlet im Mittelpunkt gestanden hatte.

»Ophelia«, antwortete ich schließlich und verschwand mit dem Geschirr in der Küche, eifrig bemüht, meinen Hintern bei diesem Abgang hübsch schwingen zu lassen. Etwas Derartiges war mir noch nie passiert. An Gelegenheiten hatte es nicht gemangelt, oft genug waren Männer mit ziemlich eindeutigen Absichten an mich herangetreten, doch nie zuvor hatte ich mich auch darauf eingelassen.

Salvatore, unser Chefkoch, hatte eine Flasche Merlot geöffnet, um damit eine Sauce au vin rouge zuzubereiten. Als er mich sah, bot er mir spontan ein Glas an. Dankend nahm ich an und spürte sofort, wie der letzte Rest Nervosität einer ungeduldigen Vorfreude wich. Doch was, wenn meine Hoffnungen enttäuscht werden würden? Vielleicht hatte längst etwas anderes Johns Aufmerksamkeit erweckt. Warum sollte er noch zwei Stunden warten, bis er sich in eine Seitengasse schleichen und eine Aushilfskellnerin treffen würde?

***

John hielt sein Wort.

Als ich nach dem Ende meiner Schicht aus dem Personal­eingang trat, stand sein Wagen bereits davor. Er stieg aus, wir küssten einander kurz auf die Wange, dann öffnete er mir die Beifahrertür.

»Wie aufmerksam von Ihnen«, quittierte ich seine Geste.