Etage 13 - Es gibt kein Entkommen, und deine Zeit läuft ab - C.M. Ewan - E-Book
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Etage 13 - Es gibt kein Entkommen, und deine Zeit läuft ab E-Book

C.M. Ewan

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Beschreibung

Ein verlassenes Gebäude. Ein gefährlicher Mann. Kein Entkommen für dich ...

Kate Harding erhält das Jobangebot ihres Lebens. Nach dem Tod ihres Mannes vor fünfzehn Monaten ist das ihre Chance auf einen Neubeginn. Doch das vermeintliche Vorstellungsgespräch entwickelt sich zu einem Albtraum. Eingesperrt in einem Glaskastenbüro in einem leeren Bürogebäude, ist Kate allein mit ihrem Kidnapper. Einem gefährlichen Mann, der Informationen über ihre Vergangenheit will. Informationen, die sie ihm nicht geben kann. Doch er schreckt vor nichts zurück, um diese von Kate zu bekommen ...

Nervenzerreißende Spannung aus UK! Verpassen Sie auch nicht den packenden SPIEGEL-Bestseller »Das Ferienhaus« von C.M. Ewan.

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Buch

Kate Harding bekommt den Job ihres Lebens angeboten. Nach dem Tod ihres Mannes vor fünfzehn Monaten ist das ihre Chance auf einen Neubeginn. Doch das vermeintliche Vorstellungsgespräch entwickelt sich zu einem Albtraum. Eingesperrt in einem Glaskastenbüro in einem leeren Bürogebäude, ist Kate allein mit ihrem Entführer. Einem gefährlichen Mann, der Informationen über ihre Vergangenheit will. Informationen, die sie ihm nicht geben kann. Doch er schreckt vor nichts zurück, um diese zu bekommen …

Autor

C.M. Ewan wurde 1976 in Taunton geboren und hat an der Universität von Nottingham Amerikanische und Kanadische Literatur und später Jura studiert. Nach elf Jahren auf der Isle of Man ist er mit seiner Frau, seiner Tochter und seinem Hund nach Somerset zurückgekehrt, wo er sich ganz dem Schreiben widmet. Mit »Das Ferienhaus«, seinem ersten Roman bei Blanvalet, hat er gleich die SPIEGEL-Bestsellerliste erklommen und sich zahlreiche Fans geschaffen.

Von C.M. Ewan bereits erschienen

Das Ferienhaus

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C.M. EWAN

ETAGE 13

ES GIBT KEIN ENTKOMMEN,

UND DEINE ZEIT LÄUFT AB

Thriller

Deutsch von Bernd Stratthaus

Die Originalausgabe erschien 2022 unter dem Titel »The Interview« bei Macmillan, ein Imprint von Pan Macmillan, London.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Copyright der Originalausgabe © 2022 by C.M. Ewan

Published by Arrangement with Christopher Ian Ewan

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2023 by Blanvalet in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Susann Rehlein

Covergestaltung: Johannes Wiebel | punchdesign,

unter Verwendung von Motiven von stock.adobe.com

(alice_photo, Claudia Hi, binik)

JaB · Herstellung: sam

Satz: KCFG – Medienagentur, Neuss

ISBN 978-3-641-29690-2V003

www.blanvalet-verlag.de

Für Jack

Eine Faust schlägt gegen eine Glasscheibe.

Schlägt erneut.

Auf einer Seite der Scheibe ist alles mucksmäuschenstill.

Auf der anderen Seite hallen Rufen und Lärm durch die Luft.

Vierzig Meter weit oben, mitten in einer Neunmillionenstadt – und niemand hört oder sieht etwas.

LEBENSLAUF

Kate Harding

17b Beaumont Street, Balham, London

[email protected]

Ich bin eine erfahrene PR-Managerin, habe an der University of London studiert und mit 2,0 in Kommunikations- und Medienwissenschaft sowie in Soziologie abgeschlossen. Früher habe ich als Flugbegleiterin gearbeitet, bin begabt in Kundenbetreuung und Problemlösung. Ich möchte gern zur Senior-PR-Managerin aufsteigen, sodass ich meine kreativen und kaufmännischen Kenntnisse verfeinern und mehr Verantwortung in einer dynamischen, marktführenden PR-Agentur übernehmen kann, die sich auf den Reisesektor spezialisiert.

BERUFLICHERWERDEGANG

Account Managerin bei Simple PR & Communications (September 2021 bis heute)

Bei Simple habe ich ein Kundenportfolio betreut, das Coachman European Travel, HomeSense Holidays und Scandinavian Getaways umfasste.

PR-Executive, später PR-Managerin bei MarshJet Aerospace Engineering (September 2014 bis März 2021) PR-Assistentin bei MarshJet (September 2013 bis September 2014)Flugbegleiterin bei Global Air (September 2009 bis September 2013)

AUSBILDUNG

Abschluss in Kommunikations- und Medienwissenschaft sowie in Soziologie an der City University of London (2,0)Ausbildung zur Flugbegleiterin, Stufe 2Mittlere Reife, Schnitt 2,1

HOBBYSUNDSONSTIGEFÄHIGKEITEN

Ich spreche fließend Französisch und Spanisch und habe ein gutes Niveau in Deutsch.Ich habe einen Fortgeschrittenenkurs für Erste Hilfe am Arbeitsplatz absolviert.Ich jogge regelmäßig und schwimme gern.

1

Freitag, 17:03 Uhr

Das Schlimmste, was einem beim Vorstellungsgespräch passieren kann, ist, bei einer Lüge ertappt zu werden. Die kleine Lüge in meinem Lebenslauf war ein weiterer Stressfaktor für mich, als ich versuchte, das imposante Gebäude 55 Ludgate Hill zu betreten.

»Komm schon, komm schon.«

Die gläserne Drehtür bewegte sich viel zu langsam. Angst machte sich in mir breit. Stockend ging es vorwärts, dann war ich endlich frei und eilte zum Empfang. Drei Sicherheitsleute hatten Dienst, eine Frau und zwei Männer. Hinter ihnen befand sich ein Raum, in dem ich eine Wand aus Überwachungsmonitoren flimmern sah.

»Ich bin Kate Harding«, keuchte ich völlig außer Atem. »Ich bin zu spät, ich hatte um fünf einen Termin bei Edge Communications.«

»Aha.« Der Wachmann, der mir am nächsten saß, nahm das Telefon ab. Er wirkte steif und geschäftsmäßig, war Anfang sechzig, hatte schütteres Haar und einen Schnurrbart und trug einen marineblauen Blazer mit glänzenden Messingknöpfen. »Ich sage Bescheid. Sie können sich solange ins Gästebuch eintragen, bitte.«

Ich schnappte mir einen Stift und schrieb meine Daten auf. Mir zitterte die Hand. Trotz der kalten Luft im Empfangsbereich konnte ich fühlen, wie mir Schweiß in den Nacken trat.

Hatte ich es schon vermasselt? Nachdem ich buchstäblich den ganzen Tag gewartet hatte, hatte mich eine verspätete U-Bahn gezwungen, von der Haltestelle Blackfriars hierher zu rennen. Ich hatte vorher schon Angstträume darüber gehabt, zu spät zu meinem Vorstellungsgespräch zu erscheinen, und jetzt passierte es wirklich.

Außerdem war da noch mein Lebenslauf. Warum hatte ich das mit dem Schwimmen hinzugefügt? Es war zwar keine totale Lüge, früher bin ich sehr gern geschwommen. Vor langer Zeit war ich sogar mal in einem Verein. Es war eine sehr viel geselligere Art gewesen, mich fit zu halten, verglichen mit dem strapaziösen Joggen im Morgengrauen, das ich mir im Park von Tooting über die letzten neun Monate zur Gewohnheit gemacht hatte. Aber wenn die mich fragen würden, wann ich zum letzten Mal schwimmen gewesen bin, hätte ich keine Antwort darauf. Es war, bevor mein Leben auf den Kopf gestellt worden war. Wie für alles andere auch, gab es fürs Schwimmen ein Davor und ein Danach.

Der Wachmann legte den Hörer auf. »Sie schicken jemanden runter, aber sie sind selbst ein bisschen in Verzug und bitten Sie, zu warten.«

Er zeigte hinter mich, und ich drehte mich um und betrachtete zum ersten Mal das großzügige Atrium. Es war riesig. Überall Glas und Stahl. Mehrere Hektar Kalksteinfußboden. In der Ferne stand neben drei glänzenden Aufzugtüren eine Sitzgruppe aus schwarzem Leder.

»Gehen Sie einfach da rüber. Sie werden dann abgeholt.«

Neben den Aufzügen plätscherte Wasser eine unebene Schieferwand hinab in einen Infinity-Pool. Die andere Seite war bepflanzt. Davor liefen Angestellte in Businessanzügen hin und her. Manche hielten sich ein Handy ans Ohr, andere hatten Aktentaschen oder Dokumentenmappen dabei. Die meisten schienen zum Ausgang zu eilen, vermutlich ins Wochenende.

Du warst mal genau wie sie, dachte ich. Aber irgendwie gab mir das nur noch mehr das Gefühl, eine Hochstaplerin zu sein.

»Und, Miss, wenn Sie gestatten: Toi, toi, toi.«

Ich zuckte zusammen. »Sieht man es mir an? Wie nervös wirke ich denn?«

Die beiden Kollegen des Wachmanns blickten von ihrer Arbeit auf, und alle drei schenkten mir ein nachsichtiges Lächeln.

»Weniger als viele andere«, antwortete er. »Vielleicht wollen Sie das lieber nicht hören, aber die Vorstellungsgespräche laufen schon den ganzen Tag. Allerdings, Edge Communications? Ich würde sagen, da passen Sie sehr gut rein.«

Schön wär’s. Früher vielleicht mal, aber im Moment fühlte ich mich eingeschüchtert. Das glamouröse Atrium war nicht einfach nur beeindruckend, sondern imposant. Und allein von den anderen Bewerbern zu hören reichte, um meine Zweifel schlagartig wieder zutage zu fördern.

Nicht zum ersten Mal dachte ich, ich hätte Nein sagen sollen, als Maggie, meine Personalberaterin, dieses Vorstellungsgespräch anberaumt hatte. Ich musste zugeben, sie hatte mir mit der Behauptung geschmeichelt, dass meine letzten Kampagnen das Team bei Edge beeindruckt hätten. Inzwischen fragte ich mich, ob Maggie diesbezüglich gelogen hatte. Und … Oh Gott. Was, wenn das Team tatsächlich noch nie etwas von mir gehört hatte und das alles hier nur eine riesige Zeitverschwendung war?

Nein, rief ich mich zur Ordnung. Konzentrier dich.

Ich wusste, dass ich dazu neigte, mich verrückt zu machen, dass der Strudel aus negativen Gedanken mich erfassen und mitreißen würde, wenn ich nicht aufpasste. Im stillen Zentrum meines Verstandes versuchte ich, Gelassenheit heraufzubeschwören, das beruhigende Mantra meiner Psychotherapeutin, einer weisen und lebenserfahrenen Mutter von zwei Kindern, zu der ich alle zwei Wochen fuhr: Das ist jetzt nicht der richtige Moment für Hysterie.

Und das stimmte ja wirklich. Ich bewegte mich hier zwar aus meiner Komfortzone heraus – es hatte ja keinen Sinn, so zu tun, als wäre das anders –, allerdings hatte ich mich früher in dieser Welt ganz selbstverständlich bewegt. Das konnte ich wieder. Musste es einfach können.

»Miss? Darf ich sonst noch etwas für Sie tun?«

»Nein, alles gut. Aber danke für Ihre Hilfe.«

Langsam entfernte ich mich vom Empfangstresen, das Klappern meiner Absätze hallte durch die Leere. Juni in London. So viel Sonnenlicht strömte ins Atrium, dass ich die Hand heben musste, um nicht geblendet zu werden.

Ein Putzmann in einem grauen Overall polierte mit einer lauten Maschine den Boden. Ich konnte das Putzmittel riechen, das er versprühte – ein süßlicher Duft, der eine Erinnerung in mir weckte, die ich gerade überhaupt nicht gebrauchen konnte. Für einen schwindelerregenden Augenblick hatte ich das Gefühl, wieder durch eine Flughafenhalle zu einer Pressekonferenz zu eilen. Das Blitzlichtgewitter. Die durcheinandergeschrienen Fragen. Die aufwallenden Gefühle, die mir die Kehle zuschnürten.

Ein Vorstellungsgespräch.

Warum tat ich mir das an?

Mein Bauch sagte mir, dass ich die Antwort auf diese Frage kannte. Ich tat es, weil dieses Vorstellungsgespräch vielleicht alles ändern würde – vielleicht aber auch nicht.

2

Joel Whites Puls beschleunigte sich, als er Kate das lichtdurchflutete Atrium durchqueren sah. Er hatte sie bereits beobachtet, als sie das Gebäude betreten hatte, und sie seither keine Sekunde aus den Augen gelassen.

Sie konnte ihn nicht sehen, denn er stand weit oben auf einem der gläsernen Stege, die kreuz und quer über der Halle verliefen, nur ein anonymer Angestellter in Hemd und Krawatte neben einem zweiten Mann in einem teuren Anzug, der ein Kollege hätte sein können, aber keiner war.

Der Mann neben ihm war dünn, grauhaarig und hatte einen wütenden Gesichtsausdruck. Er schien um ein oder zwei Kleidergrößen geschrumpft zu sein, seit der Anzug geschneidert worden war. Seine Hände schlossen sich um das Stahlgeländer vor ihm und wrangen es so fest, dass das Metall quietschte. Er war ein prominenter Geschäftsmann und hatte ein immenses Vermögen angehäuft, er war Millionär, auf dem Papier vielleicht sogar Milliardär – jedenfalls reich genug, dass der Unterschied nicht mehr allzu sehr ins Gewicht fiel.

»Haben Sie alles, was Sie brauchen?«, fragte der Mann mit pfeifender, erstickter Stimme, die von einer Kombination aus angegriffener Gesundheit, Stress und tiefem Unbehagen herrührte. Kehlkopfkrebs, vermutete Joel, obwohl er nicht nachgefragt hatte und sicher ohnehin keine Antwort erhalten hätte.

Er antwortete nicht auf die Frage des Mannes. Er hatte viele Jahre Vorstellungsgespräche geführt, viele Jahre rund um den Erdball seine ganz besonderen Fähigkeiten eingesetzt, und doch staunte er immer wieder darüber, wie die hohen Tiere aus der Geschäftswelt in sich zusammenfielen, sobald ihr Ruf und ihre Lebensgrundlage auf dem Spiel standen. Wenn das passierte, wandten sie sich an ihn.

»Ich habe Sie etwas gefragt.« Die Stimme des Mannes klang gepresst und angestrengt. »Man hat mir versichert, dass Sie mich nicht enttäuschen werden.«

Auch jetzt antwortete Joel nicht, sondern drehte sich kommentarlos um, ging zu den Aufzügen und drückte den Rufknopf. Als einer der Fahrstühle aufging, hielt er inne, warf einen kurzen Blick auf die lederne Aktenmappe, die der Mann ihm gegeben hatte, und starrte dann ein letztes Mal auf Kate Harding hinunter. Er spürte, wie sich etwas in ihm veränderte. Seine Muskeln zogen sich zusammen. Seine Entschlossenheit verstärkte sich. Es war wie ein leichtes saures Brennen in seinen Adern.

»Gehen Sie ans Telefon, wenn ich Sie anrufe«, sagte er zu dem Mann, als sich die Aufzugtüren schlossen. »Ich verschaffe Ihnen, was Sie wollen.«

3

Freitag, 17:06 Uhr

Ich war schon fast bei der Sitzgruppe angekommen, als eine Frau hinter einer hohen Pflanze neben mir hervortrat und mich am Arm festhielt. »Denken Sie ja nicht, ich mache das für alle meine Kundinnen«, flüsterte sie mir ins Ohr.

»Maggie?«

»Setzen Sie sich hin. Lächeln Sie. Lassen Sie uns einfach so tun, als wären Sie nicht zu spät und als würde ich mich nicht furchtbar darüber aufregen. Sie haben ungefähr zehn verpasste Anrufe.«

»Was machen Sie denn hier?«

»Meine Arbeit.« Maggie drückte mich in eins der Sofas, setzte sich dann neben mich und stellte ihre Handtasche auf dem Schoß ab. Ihre Handtasche war groß und ohne Schnickschnack, ganz wie Maggie selbst. Sie hatte einen erdbeerblonden Haarschopf und scharf und intelligent blickende grüne Augen. Ihr olivgrüner Hosenanzug war an Brust und Hüften weit geschnitten. Darunter trug sie eine tief ausgeschnittene weiße Bluse. »Es ist Freitagabend, Kate. Ich war in der Gegend.«

»Ihr Büro ist in Dulwich.«

»Na, dann schütze ich eben meine Investition. Sie wissen hoffentlich, dass ich einen Bonus kriege, wenn Sie diese Stelle bekommen?«

Ich musterte sie. In unseren wiederholten Zoom-Calls in den vergangenen zwei Wochen hatte ich Maggie nur auf ein paar Jahre älter als mich selbst geschätzt, auf Mitte, Ende dreißig. Jetzt zeigten mir die feinen Fältchen um Augen und Mund allerdings, dass sie schon weit über vierzig war.

»Haben Sie gedacht, ich tauche hier nicht auf?«, fragte ich sie.

»Das sollte ich wohl besser gar nicht beantworten. Übrigens sehen Sie toll aus.«

Zweifelnd sah ich an mir hinab. Noch immer befürchtete ich, dass mein Outfit für eine Firma wie Edge zu formell und bieder wirken würde. Ich hatte mich für einen schwarzen Bleistiftrock und ein passendes Jackett entschieden, das ich über einer roten Seidenbluse trug, die deutlich mehr gekostet hatte, als mein Budget erlaubte. Heute Morgen war ich als Allererstes bei meinem Friseur gewesen, nichts Aufregendes, ich hatte nur ein wenig nachschneiden lassen, den Look vervollständigen. Wenn man näher hinsah, konnte man allerdings die dunklen Ringe unter meinen Augen und die eingefallenen Wangen erkennen. Ich konnte von Glück sagen, dass ich in den vier Jahren bei einer Fluglinie, wo ich vor meinem Wechsel in die PR-Branche gearbeitet hatte, alle möglichen Make-up-Tricks gelernt hatte.

»Maggie, der Wachmann hat mir gerade gesagt, dass Edge den ganzen Tag über Vorstellungsgespräche geführt hat.«

»Warum machen Sie sich deshalb Sorgen? Sie sind die Einzige, die sie wirklich wollen. Vertrauen Sie mir. Mehr als genug Bewerberinnen haben Erfahrung in der Öffentlichkeitsarbeit, aber niemand hat außerdem noch Ihren Hintergrund in der Reisebranche.«

»Wie viele Kandidaten haben Sie denn hergeschickt?«

»Nur Sie.«

Ich blickte sie skeptisch an.

»Ehrlich.« Sie ergriff meine Finger mit ihrer fleischigen Hand. »Kate, wie oft muss ich Ihnen noch sagen, dass diese Stelle perfekt auf Sie passt und umgekehrt? Ich hätte Sie nicht ausgewählt, wenn ich das nicht glauben würde. Nicht nachdem Sie oft genug versucht haben, uns beide aus der Sache rauszuquatschen.«

Dass sie so fest an mich zu glauben schien, erzeugte in mir ein wohlig-warmes Gefühl, obwohl auch die Zweifel wieder aufstiegen. Mir kam es seltsam vor, dass jemand, mit dem ich bisher nur telefoniert oder online kommuniziert hatte, für mein Leben in so kurzer Zeit solch eine Bedeutung gewonnen hatte. Als Maggie sich vor etwas über zwei Wochen bei mir gemeldet hatte, war sie hartnäckig geblieben, sogar als ich ihr (immer weniger überzeugend) mitgeteilt hatte, dass ich nicht auf Jobsuche sei. Ich bin nicht sicher, ob das mehr über Maggies Durchsetzungskraft aussagte oder mehr darüber, was für eine Einzelgängerin ich inzwischen war. Insgeheim war mir klar, dass ich, hätte sie sich nicht an mich gewandt und mir gesagt, dass ich mein Talent bei Simple verschwendete, wahrscheinlich in dem unglücklichen Trott weitergemacht hätte, in dem ich mich seit Monaten befand.

»Atmen Sie durch«, wies sie mich an. »Entspannen Sie sich. Sehen Sie sich eine Sekunde mit mir hier um. Habe ich Ihnen nicht gesagt, dass diese Firma unglaublich ist?«

Gemeinsam blickten wir uns in der Halle um, lauschten dem sanften Plätschern des Wasserfalls hinter uns.

Und sie hatte recht. Das hier war unglaublich. 55 Ludgate Hill – im Volksmund als The Mirror bekannt – war Londons neuestes Wahrzeichen. Es hatte achtunddreißig Stockwerke und überragte damit die benachbarte St.-Paul’s-Kathedrale um ein Vielfaches, obwohl sein auffälligstes Merkmal die vollständig silbrig verspiegelte Glasfassade war. Von außen konnte niemand sehen, was in den oberen Stockwerken des Gebäudes vor sich ging, aber von meiner Online-Recherche her wusste ich, dass man von dort aus einen atemberaubenden Blick über die Themse und weit darüber hinaus hatte.

The Mirror war erst im Februar offiziell eröffnet worden, aber es gab bereits Gerüchte, dass die Firma hinter dem Projekt kurz vor dem Bankrott stand. Die Bauarbeiten hatten noch vor der weltweiten Covid-Pandemie begonnen, und jetzt, da das Gebäude fertiggestellt war, hatte sich die Geschäftswelt komplett verändert. Immer mehr Menschen arbeiteten von zu Hause aus, was bedeutete, dass immer weniger Firmen nach Büroflächen in Toplage in der City suchten. Das Penthouse-Restaurant hatte die Aufmerksamkeit der Presse erregt, weil der berühmte Koch es nach wie vor nicht für das Publikum geöffnet hatte, außerdem wurde gemunkelt, dass mehrere Stockwerke nicht vermietet waren und leer standen. Das passte zu dem, was ich hier in der Halle sah. Zwar gab es hier Leute, aber längst nicht so viele wie vorgesehen.

Das kam mir seltsam vor. Vielleicht zählte ich zu einer Minderheit, aber ich hatte keinerlei Interesse daran, von zu Hause zu arbeiten, und zwar nicht nur, weil meine Einzimmerwohnung in Balham deprimierend war. Einer der attraktivsten Punkte an Maggies Angebot, bei Edge zu arbeiten, war für mich die Ablenkung, die mir ein geschäftiges Büro bieten würde. Meine Psychotherapeutin hatte mir gesagt, es sei für mich an der Zeit, mich wieder nach draußen zu wagen, Risiken einzugehen, mich selbst das Fürchten zu lehren.

Auftrag erfüllt, dachte ich bei mir.

»Es tut mir immer noch leid wegen Simon und Rebecca«, vertraute ich Maggie an. »Sie waren wirklich gut zu mir.«

»Und das verstehe ich auch. Aber was Sie jetzt tun, ist richtig, Kate. Und das wissen Sie auch.«

Ich blickte auf meine Hände hinab und war mir da nicht so sicher. Simon und Rebecca waren ein Paar und die Besitzer von Simple PR. Ich war die einzige Angestellte. Und ich glaube, sie hatten mich mehr aus Sympathie denn aus Bedarf eingestellt. Sie hatten unglaublich viel Geduld mit mir gehabt, während ich neues Vertrauen gefasst hatte – mich langsam wieder in die Arbeitswelt vortastete –, und hatten mir immer mit Rat und Tat zur Seite gestanden. Ich hatte bis jetzt noch nicht den Mut aufgebracht, ihnen zu gestehen, dass ich mich auf eine andere Stelle bewarb.

»Kate, hören Sie mir zu. Auf Ihrer jetzigen Stelle ist es für Sie bequem, und das hat ja auch seine Vorteile. Aber Sie sind ein Star. Das wissen Sie, und ich weiß es ebenfalls. Edge sind die Besten in der Branche. Sie gehören dorthin.«

Ich rang mir ein schwaches Lächeln ab. »Haben Sie das geübt?«

»Ein bisschen. Hat es funktioniert?«

Ich machte ein unbestimmtes Geräusch, der Knoten aus Schuld in meiner Brust machte es mir noch immer schwer zuzugeben – sogar mir selbst gegenüber –, dass es mich sehr reizte, für Edge zu arbeiten. Edge hatte luxuriöse Büros in London, New York und Sydney. Sie vertraten die berühmtesten Klienten und Marken im Unterhaltungsbereich, im Sport und in der Wirtschaft. Es wurde sogar über einige sehr reiche Klienten gemunkelt, über die sie nicht offen sprachen.

Wie der Name der Firma schon sagte, war Edge für große Kampagnen bekannt: hip und außerordentlich innovativ. Das war die Art greller Kampagnen, über die Simon und Rebecca die Nase gerümpft hätten, denn bei Simple taten wir immer genau das, was Simon und Rebecca schon immer getan hatten – wir zielten auf die traditionellen Medien und auf ein älteres Publikum.

Wie Maggie gesagt hatte, dort war es bequem. Und mit bequem, das wusste ich, meinte sie eigentlich »langweilig«.

Ich nickte und war drauf und dran, mich bei ihr für ihr Kommen zu bedanken und mich zu einer Demonstration von Selbstvertrauen durchzuringen, die sie glauben machen sollte, dass ihr Vertrauen in mich gerechtfertigt war, als das Telefon in meiner Handtasche klingelte.

»Sekunde.«

»Na toll.« Maggie warf in gespielter Verzweiflung die Hände in die Höhe. »Jetzt schaut sie auf ihr Telefon.«

Ich öffnete meine Handtasche und zog das iPhone heraus. Auf dem Sperrbildschirm war eine kurze Textnachricht zu sehen.

Zeig’s ihnen, Schwesterherz. Du wirst sie umhauen. Garantiert.

»Mein Bruder«, erklärte ich. »Er wünscht mir viel Glück.«

Schon als ich das sagte, schoss mir ein gereizter Gedanke durch den Kopf. Mark sollte mir schreiben. Warum kann Mark mir nicht schreiben? Aber fast im selben Augenblick, in dem dieser Gedanke auftauchte, zwang ich ihn sofort wieder nieder. Ich konnte es mir gerade nicht leisten, so an meinen Mann zu denken. Das würde mir nicht helfen. Und ich wusste, ich sollte dankbar dafür sein, dass mein Bruder in den hektischen Sekunden zwischen zwei Patienten eine Nachricht an mich schickte. Luke arbeitete als Krankenpfleger im St.-Thomas-Krankenhaus. Er war mein Fels in der Brandung. Seit wir vor fast zehn Jahren Mum und Dad innerhalb von drei grausamen Monaten verloren hatten, war er mein engster Vertrauter.

Unter Lukes Nachricht konnte ich nun sehen, dass ich auch zwei Anrufe von Maggie verpasst hatte. Außerdem wurden ein paar Nachrichten angezeigt: Im MarshJet-Prozess werden die Aussagen der Familie der Toten gehört …

Zu spät wandte ich den Blick ab und deckte das Telefon mit der Hand ab. Mir zog sich das Herz in der Brust zusammen.

Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt. Jetzt ist nicht der richtige …

»Kate?«

Mir wurde schwarz vor Augen, und ein plötzlicher Kälteschauer lief mir über den Rücken. Ich biss die Zähne zusammen und umklammerte fest das Telefon in meiner Faust. Maggie drückte meine Hand. Ihre Berührung fühlte sich zugleich klamm und heiß an.

»Atmen Sie durch, Kate. Sie schaffen das. Denken Sie an das, was ich Ihnen gesagt habe. Die werden Sie nicht mit Samthandschuhen anfassen, sondern Ihnen ungewöhnliche Fragen stellen, vielleicht müssen Sie sogar irgendwelche vorgeschobenen Aufgaben lösen. Deren Masche ist es, Sie zu überraschen. So sind die. Aber das ist okay. Sie sind darauf vorbereitet. Sie werden sich ausgezeichnet schlagen, das verspreche ich.«

Ich nickte und zwang mich zu einem Lächeln, während mir zugleich sehr bewusst war, dass ich nicht ganz ehrlich zu ihr war. Denn sosehr ich Maggies Rat auch schätzte, gab es doch einige Dinge, über die ich mit ihr nicht sprechen konnte. Dinge, über die ich mit niemandem außer meiner Psychotherapeutin sprach.

»Auf der anderen Straßenseite, an der Ecke, ist ein Pub.« Sie stand auf. »Dort warte ich auf Sie. Kommen Sie rüber, wenn Sie fertig sind, dann feiern wir ein bisschen. In Ordnung?«

Ich zuckte zusammen.

»Oder wir trauern. Ausreden akzeptiere ich nicht. Keine Sorge, es wird nicht spät. Ich muss heute Abend noch nach Devon zu meinen Eltern rausfahren. Aber ich lasse Sie nicht hängen, Kate. Wir finden die perfekte Stelle für Sie, sei es bei Edge oder eben woanders.« Sie wandte den Blick ab und nickte in Richtung Aufzug. »Sieht so aus, als wären Sie jetzt an der Reihe.«

Ich drehte mich um und sah, dass eine lächelnde junge blonde Frau auf mich zukam, während Maggie sich mit einem kleinen Winken abwandte und wegging. Die Frau trug einen modischen Overall und blendend weiße Sneakers. In der Sekunde, in der ich sie erblickte, befürchtete ich sofort, dass ich falsch angezogen war, overdressed, einfach ganz offensichtlich unpassend für Edge.

»Kate Harding?«

Ich stand auf und zupfte mir den Rock zurecht.

»Ich bin Hayley.« Sie streckte mir die Hand entgegen. »Schön, Sie kennenzulernen. Sollen wir raufgehen?«

4

Oben in den Büroräumen von Edge Communications saß Joel allein da, nur mit seinen Gedanken beschäftigt.

Und mit der Aktenmappe.

Er blätterte sie durch.

Darin befand sich alles, was es über Kate Harding zu wissen gab. Natürlich ihr Lebenslauf. Der stand im Mittelpunkt. Außerdem gab es eine detaillierte Aufschlüsselung ihres persönlichen Lebens und ihrer Familiengeschichte. Ihres Social-Media-Profils. Ihrer finanziellen Situation und Kreditwürdigkeit. Ihrer Krankengeschichte. Ihrer politischen Einstellungen. Ihrer Leidenschaften. Darüber, was sie mochte und was nicht.

Ihrer Ängste.

Er hielt bei einem der Fotos einer Überwachungskamera inne, das sie von ihr hatten.

Es war eine glänzende Farbfotografie. Das Papier war von erstklassiger Qualität. Das Bild war scharf.

Kate lächelte darauf. Ihre Augen glänzten. Ihre Haut sah weich und vom Wind rosig aus. Sie trug eine rosa Wollmütze und fingerlose Handschuhe und hielt vor einem Marktstand einen Blumenstrauß in den Händen. Es regnete, und Joel konnte Wassertropfen im Licht eines benachbarten Cafés funkeln sehen. Aber was seine Aufmerksamkeit erregte – heute vielleicht noch mehr als bei irgendeinem anderen Bewerber, mit dem er es in der Vergangenheit zu tun gehabt hatte –, war, dass er an ihrem nicht in die Kamera gerichteten Blick erkennen konnte, dass sie überhaupt nicht wusste, dass sie gerade fotografiert wurde.

5

Freitag, 17:13 Uhr

Hayley drückte auf den Aufzugknopf. »Nervös?«, fragte sie mich.

Ich hob die Hand und hielt Zeigefinger und Daumen ein kleines Stückchen voneinander entfernt. In Wahrheit war mir übel, schwindelig, und der Knoten in meinem Magen zog sich fester und fester zusammen, aber ich wusste, dass ich vorsichtig sein musste. Hayley wirkte freundlich, aber möglicherweise hatte sie den Auftrag, über alles zu berichten, was ich jetzt zu ihr sagte und wie ich mich verhielt. Jetzt das Falsche zu sagen könnte meine Chancen zunichtemachen, bevor das Gespräch überhaupt angefangen hatte.

»Mir geht’s gut«, antwortete ich also. »Bisschen aufgeregt.«

»Sehr gut.« Ihr Blick löste sich kurz von mir. »Oh, hallo Leute!« Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und winkte zwei Arbeitern hinter mir zu. Sie durchquerten die Lobby in Overalls voller Farbkleckse und hatten Werkzeugkästen dabei. »Seid ihr fertig?«

»Fast«, erwiderte einer von ihnen. »Am Dienstag sollten wir durch sein.«

»Kann’s kaum erwarten! Schönes Wochenende, ihr zwei!« Hayley klatschte in die Hände und lehnte sich dann näher zu mir her. »Oben wird ein Fitnessstudio eingerichtet«, erklärte sie mir. »Und falls das hilft: Versuchen Sie, sich wegen des Gesprächs heute nicht allzu viele Gedanken zu machen. Wir sind hier ein netter Haufen bei Edge. Und der Kerl, der mit Ihnen das Gespräch führt, ist ziemlich heiß.«

Die Türen von einem der Fahrstühle gingen auf, und Hayley trat ein, aber ich folgte ihr nicht. Ich war erstarrt.

»Gibt es ein Problem?«, fragte sie mich.

Ja, das gab es.

»Mir wurde gesagt, dass Amanda Palmer das Gespräch führen wird.«

»Oh. Nein, tut mir leid. Amanda ist heute den ganzen Tag bei einem Kunden. Hat Ihnen das denn niemand gesagt?«

Ich schüttelte den Kopf und sah mich nach Maggie um, doch sie war schon auf dem Weg durch die gläserne Drehtür nach draußen und achtete nur auf ihr Telefon. Auf einmal erfasste mich eine Welle der Furcht. Amanda Palmer war die PR-Chefin. Ich hatte mir ihren Lebenslauf auf der Seite von Edge Communications genau angesehen. Ich hatte sie auf Google und LinkedIn recherchiert. Wir hatten einen ähnlichen Hintergrund. Ich wusste, dass sie im Management einer Fluglinie gearbeitet hatte, bevor sie zu Edge gewechselt war, und hatte gehofft, das würde mir einen Vorteil verschaffen.

War das die Art von Trick, vor der Maggie mich gewarnt hatte, eine List, um mich aus dem Konzept zu bringen?

»Wer führt das Gespräch?«

»Er heißt Joel White.«

Im Geiste ging ich die anderen Lebensläufe durch, die ich auf der Edge-Homepage gesehen hatte, aber der Name kam mir nicht bekannt vor.

»Entspannen Sie sich.« Hayley winkte mich in den Aufzug hinein, und nach kurzem Zögern leistete ich ihrer Aufforderung Folge und stellte mich neben sie. »Er ist neu. Brite, arbeitet aber in unserem New Yorker Büro. Kümmert sich wohl von nun an um Einstellungen. Das halbe Büro versucht gerade herauszufinden, ob er noch Single ist.«

»Er ist für diese Vorstellungsgespräche extra nach London gekommen?«

»Ja, aber darüber müssen Sie nicht erstaunt sein. Personalangelegenheiten werden hier sehr ernst genommen. Außerdem dachten sie wahrscheinlich, das wäre eine gute Gelegenheit für ihn, das Londoner Team kennenzulernen.« Sie drückte auf einen Knopf auf der Kontrolltafel. »Wir sind übrigens im dreizehnten Stock. Fantastische Aussicht und kein Straßenlärm.«

Dreizehn. Normalerweise glaubte ich nicht an schlechte Vorzeichen, doch so wie die Dinge für mich in letzter Zeit gelaufen waren …

Die Türen hatten sich fast schon geschlossen, als eine Hand in der Lücke erschien und sie wieder aufgingen.

»Sorry, sorry.«

Der Putzmann im grauen Overall kam rückwärts zu uns in den Aufzug und zog seine schwere Bodenpoliermaschine hinter sich her. Er war ein stämmiger, muskulöser Mann mit rabenschwarzem Haar, das er sich glatt an den Kopf gegelt hatte. Seine Kopfhörer hingen ihm um den Hals.

»Hey, Raul«, begrüßte ihn Hayley. »Bitte sag mir, dass du neue Fotos für mich hast.«

Raul nickte, lächelte strahlend und drückte auf den Knopf für den achten Stock. Die Türen schlossen sich, der Aufzug fuhr an, und er zog ein Handy aus der Tasche, drückte mit dem Daumen darauf und drehte das Display so, dass Hayley es sehen konnte.

»Süß!« Sie lächelte mich an. »Rauls Frau hat letzte Woche ein kleines Töchterchen bekommen.«

»Zarita.« Seine Augen leuchteten vor Stolz, als er auch mir das Telefon unter die Nase hielt.

Eine Sekunde lang wurden meine Knie ganz weich vor Elend. Auf dem Foto war eine attraktive, dunkelhaarige Frau zu sehen, die ein Neugeborenes in einem rosa Strampler im Arm hielt.

Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt … Jetzt ist nicht der richtige …

Ich fühlte mich, als ob mir die Luft abgeschnürt würde. Wie gefangen. Vor nicht allzu langer Zeit schien Mutterschaft noch ein Pfad zu sein, den ich beschreiten würde. Und Mark war genauso begeistert wie ich selbst.

Wie sich herausgestellt hat, hatte das Universum andere Pläne.

»Niedlich«, presste ich hervor und merkte, wie sich der Knoten in meinem Magen löste und ein leeres Gefühl an seine Stelle trat.

Ich legte eine Hand auf meine Hüfte, als Raul das Telefon wieder einsteckte. Hayley bemerkte meine Reaktion und warf mir einen besorgten Blick zu. Ich konnte sehen, dass sie drauf und dran war, mich zu fragen, ob es mir gut gehe, aber in diesem Moment verlangsamte sich der Aufzug und kam mit einem Ruck im achten Stock zum Stillstand. Sobald die Türen auseinandergeglitten waren, wuchtete Raul seine Maschine nach draußen.

»Bis später«, rief er noch.

»Ja, bis später, Raul.« Als die Türen sich geschlossen hatten und der Aufzug sich summend wieder auf den Weg nach oben gemacht hatte, warf Hayley mir noch einmal einen prüfenden Blick zu und stellte sich dann auf den Platz, den Raul gerade freigemacht hatte. »Raul ist eine Seele von Mensch. Eigentlich soll er den Lastenaufzug benutzen, aber jeder hier kennt ihn, und er ist so nett, dass keiner was sagt. Haben Sie noch irgendwelche Fragen?«

Ich presste mir die Fingernägel in die Handflächen und versuchte so, meine Aufmerksamkeit wieder auf das Hier und Jetzt zu lenken.

»Meine Personalberaterin hat erwähnt, dass es während der Vorstellungsgespräche manchmal zu Aufgaben kommen kann …?«

»Oh. Ach, machen Sie sich deshalb keine Sorgen. Ich bin sicher, dass Joel Ihnen alles erklärt. Wollen Sie meinen Rat? Wenn die Ihnen den Job anbieten, nehmen Sie ihn. Das hier ist ein wirklich toller Arbeitgeber, und wir haben viel Spaß. Ich arbeite zusammen mit einem Typ namens Justin an der Rezeption. Heute ist sein Geburtstag, und später gehen wir alle zusammen noch was trinken.«

Das war auch so etwas, worauf Maggie mich vorbereitet hatte: Bei Edge gab es eine Kultur der harten Arbeit und des harten Feierns. Das Team war jung, die Arbeitszeit lang, die Aufgaben waren anspruchsvoll. Wer hier eingestellt wurde, hielt ein paar Jahre durch, um Edge auf dem Lebenslauf stehen zu haben, dann hatte man einen Burn-out und wechselte den Job.

Das hatte ich nicht vor. Ich wollte irgendwo arbeiten, wo die Herausforderungen so groß waren, dass sie mich vollständig in Anspruch nahmen. Mich verschlangen. Mich vergessen ließen.

Der Aufzug hielt im dreizehnten Stock, und Hayley führte mich in einen eleganten Vorraum und auf eine zweiflügelige schwarze Metalltür im Industrial Style zu. In die Türen waren Scheiben aus mit Draht verstärktem Sicherheitsglas eingelassen. Daneben standen Töpfe mit Kunstgrün. Hayley zog eine Schlüsselkarte aus einer Tasche ihres Overalls.

»Wahrscheinlich haben Sie schon gehört, dass der Großteil des Gebäudes noch immer leer steht, was seine Vorteile hat. Anscheinend war der Mietvertrag, den wir unterschrieben haben, ein totales Schnäppchen. Wir haben das ganze Stockwerk nur für uns.«

Sie hielt ihre Schlüsselkarte vor einen Metallsensor an der Wand. Ein grünes Lämpchen leuchtete auf, und sie drückte die Tür vor mir auf.

»Willkommen bei Edge.«

6

Freitag, 17:17 Uhr

Der Kontrast zur opulenten Lobby im Erdgeschoss hätte nicht größer sein können. Das Foyer von Edge war schlicht und im Industrial Style gehalten. Nackte Zementböden. Offene Decken, die Belüftungsschächte und Rohrsysteme bloßlegten. Unlackierte Stahlträger. Trennwände aus alten Ziegeln.

Direkt vor mir gab es einen halbrunden Empfangstresen aus grob behauenen Brettern. Hinter dem Tresen prangte das Edge-Logo in rosa Neonröhren über einer Reihe von schulterhohen Metallspinden. Zwei der neuesten Apple-Computer standen auf dem Tresen, und ein magerer Mann in einem Pullover mit V-Ausschnitt über einem karierten Hemd mit Krawatte – vermutlich Justin – telefonierte mit einem Bluetooth-Headset. Vorne auf dem Tresen war der Leitspruch von Edge aufgesprüht: Brich die Regeln.

»Hier lang.«

Hayley ging zielstrebig nach rechts, und ich eilte ihr hinterher. Die Räumlichkeiten waren im Grunde ein einziger großer Raum, der von bodentiefen Fenstern umgeben war, das Markenzeichen des Gebäudes. Ihr silberner Schimmer dämpfte sanft den beeindruckenden Blick auf die Londoner Skyline.

»Ein schneller Rundgang.« Hayley wedelte mit der Hand. »Hier sind die Arbeitsplätze. Bei uns gibt es eine Clean-Desk-Policy, das heißt, am Ende des Tages muss der Arbeitsplatz aufgeräumt werden. Alles muss entweder abgelegt oder geschreddert werden.«

Zu meiner Rechten standen, von niedrigen Trennwänden abgegrenzt, hufeisenförmige Einheiten weiß laminierter Tische. An den einzelnen Arbeitsplätzen gab es die übliche Büroausstattung: Computer, Festnetztelefone, Lampen, ergonomische Schreibtischstühle. Wie Hayley bereits angemerkt hatte, lag auf den meisten Schreibtischen kaum Papier, auch der persönliche Kram, den ich von Simple her gewohnt war, fehlte hier.

An den Schreibtischen saßen um die dreißig stylish wirkende Angestellte. Manche saßen einfach nur herum, andere tippten etwas auf ihren Tastaturen, wieder andere standen in kleinen Grüppchen zusammen, plauderten und warfen mir verstohlene Blicke zu. Die meisten von ihnen sahen wie Hayley- oder Justin-Klone aus.

»Der Food-Court.«

Hayley zeigte auf eine Küche mit glänzend weißen Schränken links von ihr. An einer Wand hing eine gigantische Tafel, auf der ein Gittersystem eingezeichnet war.

»Das ist der Schaltplan«, erklärte Hayley. »Alles, was wir tun, kommt an diese Wand. Jede einzelne Kampagne wird in Presseziele, Budgets, verantwortliche Mitarbeiter und all den üblichen Kram aufgeschlüsselt. Im Food-Court gibt es umsonst stilles und Sprudelwasser, Cola, Saft und Smoothies. Außerdem Kaffee und Tee. Am Morgen gibt es Müsli, Obst und Muffins. Und am Abend bestellt meistens irgendwer etwas bei Deliveroo oder sonst wo.«

»Perfekt«, erwiderte ich und versuchte, so zu tun, als wäre es normal für mich, in einer Firma zu arbeiten, die Essen und Trinken umsonst zur Verfügung stellt. Bei Simple aß ich jeden Tag mehr oder weniger das gleiche Mittagessen aus derselben traurigen Tupperdose an meinem Schreibtisch. Eine meiner Aufgaben bestand darin, Wasser, Tee oder löslichen Kaffee für Simon und Rebecca aufzubrühen, wann immer sie mich darum baten.

»Manchmal halten wir auch Besprechungen im Food-Court ab. Aber normalerweise versammeln wir uns in kleinen Gruppen in einem der Pods.«

Hayley zeigte quer durch den Raum, aber keiner der »Pods« schien ein Besprechungsraum im herkömmlichen Sinn zu sein. Einer sah wie die Karosserie eines alten VW-Busses aus, in den Sitze und dazwischen ein Surfbrett als Tisch eingepasst worden waren. Ein weiterer sollte aussehen wie der Korb eines Heißluftballons, der schon halb zur Decke aufgestiegen war. Es gab zwei bemalte Karussellpferde und einen weißen Pavillon, um den sich künstliche Pflanzen rankten.

»Hinter der Rezeption gibt es Unisex-Toiletten, und da hinten sehen Sie unsere Games Area.«

Hayley zeigte auf eine junge Frau und einen jungen Mann, die an einer mit Leuchtfarbe übergossenen Platte Tischtennis spielten. Neben ihnen waren Tanzmatten ausgelegt, darüber Blinklichter, wie man sie sonst in Spielhallen fand.

»Ich bin Top Scorer.« Hayley lächelte mich über die Schulter hinweg an. »Und Justin ist ein Ass an der Kletterwand. Wenn Sie die Stelle annehmen, müssen Sie ihn dazu bringen, es Ihnen beizubringen.«

Wenn ich die Stelle annahm. Als wäre das so einfach.

Die Kletterwand befand sich am hinteren Ende des Raums, noch hinter der Games Area. Sie reichte bis ganz zur Decke hinauf, eine riesige Stecktafel, auf die bunte Klettergriffe geschraubt worden waren. Am unteren Ende der Wand lagen Matten und Sitzsäcke.

»Oder sind Sie schon eine teuflisch gute Kletterin?«, fügte sie hinzu.

Ich schüttelte den Kopf. »Ich hab mich mal abgeseilt. Für einen wohltätigen Zweck, bei meinem alten Job.«

»Und, hat es Ihnen gefallen?«

»Ja, als ich wieder unten war.«

»Verraten Sie keinem, dass Sie das von mir haben, aber auf diesen Sitzsäcken kann man prima ein Nickerchen machen, wenn man einen Kater hat.«

Als Hayley weiterging, fielen mir noch andere Dinge auf, die sie nicht angesprochen hatte. Eine kleine Bibliothek mit durchsichtigen, aufblasbaren Stühlen. Eine Schaukel.

»Hinter dem Schaltplan haben wir noch freien Platz. Da kommt das Fitnessstudio hin. Ihr Vorstellungsgespräch findet im Kubus statt. Das ist der einzige abgeschlossene Besprechungsraum, den wir haben.«

Sie wandte sich nach rechts und ging zwischen zwei Gruppen von Arbeitsplätzen hindurch und auf einen großen Glaskasten zu, der sich in der Mitte des Großraumbüros befand. Er war ungefähr so groß wie ein Schiffscontainer, und sein Gerüst wurde von weiteren nackten Stahlträgern gebildet. Die Wände bestanden aus großen Glasscheiben, die nicht getönt oder verspiegelt waren, aber von innen waren weiße Jalousien mit Lamellen angebracht. Sie waren sämtlich heruntergelassen.

Ich hielt mir die Hand vor den Mund, um einen trockenen Husten zu unterdrücken, den ich oft bekomme, wenn ich nervös bin. Meine Hände waren schwitzig, und ich wischte sie verstohlen an meinem Rock ab.

Dann blieb ich stehen.

Ein Mann in einem maßgeschneiderten weißen Hemd und einer schmalen, dunklen Krawatte hatte die Tür geöffnet und war herausgetreten. Er wirkte athletisch und hatte ein kantiges Kinn. Er hatte etwas an sich, was einen unmittelbar in seinen Bann schlug. Ja, er sah gut aus, damit hatte Hayley recht gehabt. Aber er hatte auch so eine Präsenz, eine Intensität. Er wirkte unheimlich konzentriert.

Konzentriert auf mich.

»Kate Harding?«

Mir hatte es die Stimme verschlagen.

»Joel White. Kommen Sie doch bitte herein.«

7

Joel streckte Kate die Hand hin und meinte, einen kleinen Schlag zwischen ihnen zu spüren, wie eine elektrische Ladung. Hatte sie es auch gespürt?

Sie machte nicht den Eindruck, aber ihm fiel auf, dass ihre Hand feucht war, und er sah, dass ihr das peinlich war, schnell zog sie ihre Hand wieder zurück, und er bedeutete ihr mit einer Geste, dass sie an ihm vorbei in den Glaskasten gehen solle.

Er blickte ihr nach, und eine seltsame Sekunde lang verlor er die Orientierung – sein Gehör verzerrte alle Geräusche, ein saurer Geschmack trat auf seine Zunge –, bis alles zurückschnappte und er wieder vollkommen konzentriert war.

Pass jetzt auf.

Als sie eingetreten war, zögerte sie, verhielt sich ängstlich, sah sich um. Nicht dass es viel zu sehen gab.

Ein Glastisch mit zwei passenden Schreibtischstühlen aus weißem Leder, einander gegenüber. Deckenbeleuchtung, die geschlossenen Jalousien.

Die karge Einrichtung war mit Bedacht so gewählt und etwas, was Joel genauso angewiesen hatte. Er beschränkte gern jede Ablenkung, soweit er konnte.

»Tut mir leid, dass ich Sie so spät am Freitag hierhergebeten habe«, sagte er nun. »Hayley, könnten Sie Kate bitte die Tasche abnehmen?«

»Ach, nein, das geht schon.« Kate zuckte zusammen und drückte die Tasche an sich. »Ich behalte sie bei mir, wenn das in Ordnung ist?«

»Natürlich. Kein Problem, Kate. Können wir Ihnen einen Kaffee anbieten? Oder Tee?«

»Wasser genügt.«

Hayley zeigte auf die Karaffe, die auf einer Seite des Glastischs neben zwei Longdrinkgläsern stand. Auf der anderen Seite des Tisches stand ein Telefon. Die lederne Aktenmappe lag in der Mitte, das war alles.

»Sonst noch was?«

»Ich denke nicht.«

»Dann wären wir so weit. Danke, Hayley. Sie können beim Rausgehen die Tür schließen.«

Die Tür ging hinter ihnen mit einem gut geölten Klicken zu. In der kurzen Stille, die darauf folgte, fühlte Joel, wie die Luft im Zimmer gegen seine Haut drückte, seine Instinkte sich schärften und sein Blick sich auf Kate richtete.

»Setzen Sie sich doch bitte, Kate. Machen Sie es sich bequem.«

Er ging um den Tisch herum und wartete, dass sie sich ihm gegenüber hinsetzte. Sie stellte die Tasche rechts neben sich auf den Boden, strich ihren Rock glatt, und als sie dann saß, drückte er seine Krawatte platt gegen seine Brust und ließ sich auf seinen eigenen Stuhl fallen.

»Ich muss mich dafür entschuldigen, dass ich Sie habe warten lassen, Kate. Das war nicht meine Absicht. Leider ist es ein ziemlich voller Tag gewesen.«

»Ist schon in Ordnung. So konnte ich ein Gefühl für das Gebäude entwickeln.«

»Gefällt es Ihnen?«

»Sehr.«

Er nickte, lächelte freundlich. Es war ihm daran gelegen, dass sie sich wohlfühlte. Die Erfahrung hatte ihn gelehrt, die frühen Interaktionen einfach zu halten. Ein Verhältnis herzustellen. Eine Vertrauensgrundlage zu schaffen. Kates Namen mehrfach auszusprechen war eine Technik, die sie beruhigen sollte. Das Gleiche sollte die Tatsache bewirken, dass er sich Zeit nahm und sie in keiner Weise zur Eile drängte.

Joels oberstes Anliegen war im Moment, sie zu beobachten, zu studieren, zu sehen, wie sie sich verhielt. Blinzelte sie häufig? Zog sie die Augenbrauen hoch oder gestikulierte sie beim Sprechen? Falls ja, was genau tat sie mit den Händen? Legte sie sie ineinander? Vielleicht fasste sie sich ins Gesicht oder ans Haar? Dann gab es die Frage des Lächelns. Wie oft lächelte sie? Wie schnell? Runzelte sie die Stirn, wenn sie über eine Antwort nachdachte? Zogen sich ihre Pupillen zusammen oder weiteten sich? Zuckte sie mit der Oberlippe oder der Wange? Was hatte sie für verräterische Angewohnheiten?

Während seiner Ausbildung beim Geheimdienst, als er Zeugen und Verdächtige, Spione und Informanten befragt hatte, hatte Joel begonnen, sich diese Stufe des Prozesses wie die Kontrollfragen vorzustellen, die ein Techniker vielleicht benutzte, wenn er einen Lügendetektor kalibrierte. Der Unterschied bestand darin, dass er sich für intuitiver und am Ende des Tages auch für genauer als jede Maschine irgendwo auf der Welt hielt. Und die Kunden, die ihn gut bezahlten, stimmten mit ihm in dieser Einschätzung überein.

»Also, Kate. Ich nehme an, in einem Büroturm zu arbeiten ist für eine ehemalige Flugbegleiterin wie Sie kein Thema?«

Da. Entspannung. Eine leichte Lockerung der Lippen. Eine kleine Abwärtsbewegung an den Augenwinkeln.

»Das ist jetzt schon ein paar Jahre her«, antwortete sie, »aber ich glaube schon, dass ich mit Höhe klarkommen sollte.«

Er lachte, nickte anerkennend und ermunternd, bemerkte, wie ihr Lächeln schief wurde und sie schließlich bescheiden mit den Schultern zuckte.

Sonst noch etwas? Nein.

»Also, ich weiß, dass Sie ursprünglich eigentlich das Vorstellungsgespräch bei Amanda hätten haben sollen …« Erneute Anspannung. Das Kinn wurde gereckt. Auf der Stirn erschienen Falten. »… und es tut mir auch leid, dass das nicht geklappt hat, aber ich hoffe, Ihnen ist rechtzeitig mitgeteilt worden, dass ich für sie einspringe.«

Ihre Pupillen bewegten sich rasch hin und her. Sie strich sich das Haar hinters Ohr und zuckte zusammen.

»Eigentlich nicht.«

»Ach?«

»Um ehrlich zu sein, habe ich es gerade eben erst erfahren, als Hayley Ihren Namen erwähnt hat.«

Sein Blut geriet leicht in Wallung. Normalerweise war der Ausdruck »um ehrlich zu sein« für Joel ein Warnzeichen. Wenn eine Person ihn benutzte, dann normalerweise, weil sie plante, alles andere als ehrlich zu sein. Doch Joel wusste, dass das hier nicht zutraf. Dass sie »um ehrlich zu sein« gesagt hatte, musste er im Hinterkopf behalten.

»Nun, das hätte auf keinen Fall passieren dürfen. Tut mir leid, Kate. Es ist mir unangenehm, auch im Namen von Edge. Sie müssen den Eindruck haben, dass wir Sie damit aus dem Konzept bringen wollen.«

»Ist schon in Ordnung. Wirklich.«

Sie winkte ab. Schürzte die Lippen. Übertrieb es.

»Nein, das ist nicht in Ordnung. Überhaupt nicht. Ich möchte, dass Sie wissen, dass ich auf Ihrer Seite bin, Kate. Ich möchte, dass das Gespräch für Sie gut verläuft. Und in diesem Sinn möchte ich, dass Sie sich keine Sorgen darüber machen, dass Sie keine Gelegenheit hatten, irgendetwas über mich in Erfahrung zu bringen. Ich stelle mich Ihnen erst einmal vor, dann fangen wir an. Klingt das fair?«

»Ja. Danke.«

»Gut. Also, das Erste, was Sie wissen sollten, ist, dass ich selbst neu bei Edge bin, ich arbeite in unserem New Yorker Büro. Ich komme aus der Personalrekrutierung, obwohl ich in den letzten Jahren auch immer wieder für Unternehmen auf der ganzen Welt an der Fehlerbehebung und im Krisenmanagement gearbeitet habe. Allerdings glaube ich immer noch, dass meine Spezialität das Vieraugengespräch ist, wie jetzt mit Ihnen. Ich unterhalte mich mit Ihnen und finde heraus, was Sie antreibt.«

Er verschränkte die Hände, legte den Kopf schief und lächelte wieder ungezwungen. Manches von dem, was er gesagt hatte, entsprach sogar der Wahrheit, allerdings nicht der Teil, dass er aus den Staaten hergekommen war. Er hatte das New Yorker Büro von Edge noch nie betreten. Tatsächlich war er aus Shanghai hergeflogen, unter anderem Namen und mit anderen Papieren. Davor war er in Hongkong gewesen. Mit einem ähnlichen Auftrag. Ein Gespräch in einer langen Reihe von Gesprächen. In Hongkong war ein niederrangiger Angestellter der Industriespionage verdächtigt worden. Zu Unrecht, wie sich herausstellte. In Shanghai hatte eine Managerin zugegeben, eine Affäre mit der Frau eines Aufsichtsratsmitglieds zu haben. Nicht genau das, was man ihr eigentlich unterstellt hatte, doch obwohl die Enthüllung seinem Auftraggeber offensichtlich peinlich gewesen war, war er natürlich bezahlt worden.

Nun tippte er die Daumen gegeneinander und lächelte freundlich, wobei Kate diesmal seinem Blick standhielt und zuließ, dass der Moment sich in die Länge zog. Das mochte er an ihr. Es bedeutete, dass er erkennen würde, wenn die Fassade bröckelte.

»Also …« Er griff nach den Gläsern, drehte sie um und schenkte Wasser aus der Karaffe ein. »Ich habe hier eine Kopie Ihres Lebenslaufs.«

8

Freitag, 17:25 Uhr

Ich nickte und versuchte mitzukommen. Es war seltsam. Ich konzentrierte mich so stark auf das Hier und Jetzt, dass sich alles mehr als real anfühlte – fast schon wieder irreal –, als ob das Gespräch einfach an mir vorbeirollen würde.

Es war nicht hilfreich, dass ich ständig daran denken musste, wie schlimm meine Hand bei der Begrüßung in der von Joel White geschmatzt hatte. Jetzt schwitzte ich zu allem Überfluss auch noch unter den Achseln. Ich verlagerte das Gewicht und zupfte meine Bluse zurecht.

Bemerkte er das? Wahrscheinlich nicht. Außerdem, so höflich und zuvorkommend, wie er war, hätte er mich das ohnehin nicht spüren lassen.

Im Moment war sein Blick nach unten gerichtet, und er klappte die Ledermappe vor sich auf. Ich reckte den Hals ein bisschen und warf einen Blick auf meinen Lebenslauf, der obenauf lag. Das Papier war zerknittert. Einige Punkte waren unterstrichen worden. Unter anderem der Satz mit dem Schwimmen.

Oje.

Darunter lag noch ein ungefähr zwei Finger dicker Stapel von weiteren Papieren. Ich nahm an, dass es sich dabei um die Bewerbungen der anderen Kandidaten handelte. Mir wurde ein bisschen flau im Magen, als ich darüber nachdachte, wie viele weitere Bewerber mit mir um diese Stelle konkurrierten und wie dringend ich sie inzwischen haben wollte. Joel White war wahrscheinlich genauso charmant und freundlich zu ihnen allen gewesen.

Dann blickte er zu mir auf, und es kam mir vor, als ob jeder einzelne meiner Gedanken aus meinem Kopf verschwunden wäre. Er hatte mattgraue Augen, wie kleine stumpfe Spiegel, und erneut hatte ich das Gefühl, dass in seiner Art, mich anzuschauen, etwas Unwiderstehliches lag. Ich war schon seit sehr langer Zeit nicht mehr auf diese Weise angesehen worden.

Für eine Sekunde zuckte mir ein verrückter Gedanke durch den Kopf … Flirtete er etwa mit mir?

Darauf folgte ein nächster, noch merkwürdigerer Gedanke: Störte mich das?

Er hatte ein kantiges Kinn, eine gewölbte Stirn, sein dunkles Haar war gepflegt, genau wie sein Dreitagebart. Die Hemdsärmel hatte er an den muskulösen Unterarmen aufgerollt, die Manschetten waren ordentlich geknöpft, die Krawatte wurde von einer silbernen Krawattennadel gehalten. Ich konnte schwach sein Parfum riechen. Noten von Zedernholz und Zitrusfrüchten. Kurz durchfuhr mich der Gedanke, dass ich diesen Duft kannte, doch er war fast im selben Augenblick auch schon wieder verschwunden.

»Ihr Lebenslauf ist kurz und auf den Punkt, Kate, aber Ihrer Erfahrung nach zu urteilen, scheinen Sie ausgezeichnet auf diese Stelle zu passen.«

»Danke. Mir wurde geraten, meinen Lebenslauf kurz zu halten, damit wir mehr haben, worüber wir uns unterhalten können. Aber ich weiß, dass meine Personalberaterin sich ausführlich mit Amanda über meine Berufserfahrung unterhalten hat.«

Oh Gott. Das Schnarren in meiner Stimme. Ich musste mich sehr bemühen, meine Nerven im Zaum zu halten, aber das war in der vollkommenen Stille, die hier in dem Kubus herrschte, keine leichte Aufgabe. Hayley hatte recht gehabt, als sie mir sagte, dass man hier seine Ruhe hatte. Alle Geräusche und das Stimmengewirr des Großraumbüros waren verschwunden. Durch die heruntergelassenen Jalousien konnte ich nicht nach draußen sehen, und ich war mir ziemlich sicher, dass die erzwungene Intimität der Situation zu meinem unwirklichen Gefühl beitrug.

»Darf ich offen mit Ihnen sprechen, Kate?«

Schon wieder rutschte mir das Herz in die Hose. War die Stelle bereits besetzt worden? Mir war klar, dass er sich vielleicht schon für einen anderen Kandidaten entschieden haben konnte. Wenn er extra aus den Staaten hergeflogen war, hatte er wahrscheinlich einen Jet-Lag. Vielleicht wollte er das hier einfach nur hinter sich bringen.

Er beugte sich zu mir vor. »Wahrscheinlich sollte ich das nicht sagen, aber ich habe hier drin den ganzen Tag Vorstellungsgespräche geführt und muss Ihnen sagen, dass diese ganze Situation langsam ein bisschen künstlich auf mich wirkt.«

Na, wenigstens bin ich da nicht die Einzige.

Er hob seine Hände. Kein Ehering. Ich schämte mich, dass mir das auffiel.

»Wenn man zu viel darüber nachdenkt, wird man irre. Ich bin ein professioneller Personalreferent, also weiß ich, wie es läuft. Ich stelle Ihnen die Fragen, die Sie von mir erwarten, und Sie geben mir die Art von Antworten, die ich von Ihnen hören will, schließlich soll ich Sie dann noch beurteilen, obwohl ich doch eigentlich gar nichts über Ihr wahres Wesen weiß.«

»Nun, wenn es Ihnen hilft, beantworte ich all Ihre Fragen so ehrlich wie möglich.«

Das war eine Lüge. Ich würde sie so zu beantworten versuchen, wie es in dem Ratgeber stand, der in meiner Handtasche steckte: SOS Vorstellungsgespräch. 101 Fragen und wie man sie beantwortet. Die Seiten meines Exemplars waren mit Post-its gepflastert, außerdem hatte ich mir mit Textmarker verschiedene Stellen angestrichen. Die letzten drei Nächte hatte ich mir um die Ohren geschlagen, um es von vorn bis hinten durchzuackern. Als Simon und Rebecca ihr Vorstellungsgespräch mit mir geführt hatten, war es mehr eine unverbindliche Plauderei gewesen – vor allem weil ein Freund meines Bruders ein gutes Wort für mich eingelegt hatte. Mein letztes richtiges Vorstellungsgespräch war inzwischen Jahre her. Das letzte Mal hatte ich vor drei leitenden Angestellten gesessen, bevor ich bei MarshJet zur PR-Managerin befördert worden war.

»Wissen Sie was, Kate? Ich habe mal vor einiger Zeit einen Artikel gelesen – ich weiß nicht mehr, wo –, aber es ging darin um die Wissenschaft des ersten Eindrucks. Davon haben Sie sicher schon gehört, oder? Die These lautet, dass wir alle in den ersten Minuten des Kennenlernens Urteile über den anderen fällen, die sich dann nur schwer revidieren lassen. Wie wir aussehen, wie wir uns verhalten und uns präsentieren. Der erste Händedruck. Die erste Begrüßung. Wir nehmen all diese Daten auf, verarbeiten sie unheimlich schnell, und dann wissen wir schon auf einer instinktiven Ebene, wie wir zu jemandem stehen, bevor wir uns überhaupt mit dieser Person unterhalten haben.«

»Stimmt.« Ich zögerte. »Also, bekomme ich den Job?«

Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und lachte lauter als notwendig. »Ich wünschte, es wäre so einfach. Glauben Sie mir. Aber wir müssen hier beide durch irgendwelche Reifen springen, Kate. Ich schätze, Sie wissen bereits, dass die Dinge bei Edge ein bisschen anders laufen?«

»Darum bin ich hier.«

»Nun, manchmal, wenn wir jemanden einstellen, nutzen wir psychometrische Tests oder ähnliche Techniken. Für die vielversprechenden Kandidaten.« Er drehte meinen Lebenslauf um und zog eine durchsichtige Plastikhülle aus der Mappe, die er dann über den Schreibtisch zu mir hinschob. Darin steckten mehrere ausgedruckte Seiten. »Was meinen Sie? Wären Sie bereit, so etwas zu machen?«

Mir war nicht mitgeteilt worden, dass so etwas Teil des Vorstellungsgesprächs sein würde, und ich hatte auch noch nie einen psychometrischen Test absolviert. Um ehrlich zu sein, wusste ich nicht, worum es dabei ging. Aber ich fühlte mich wohl mit Joel. Ich war geneigt, seinem Wunsch zu entsprechen. Und noch wichtiger, mir waren zwei Dinge aufgefallen, die er gesagt hatte: Manchmal, wenn wir jemanden einstellen. Manchmal. Nicht immer. Und außerdem: Für die vielversprechenden Kandidaten.

»Das kann ich schon machen, ja.«

»Großartig.« Er steckte zwei Finger in seine Brusttasche und zog einen Druckbleistift daraus hervor, drückte ein paarmal darauf. »Warum fangen Sie nicht gleich an?«

9

Freitag 17:30 Uhr

»Sofort?«, fragte ich.

»Es ist nur ein kurzer Test, Kate. Sie brauchen nicht mehr als zehn Minuten zum Ausfüllen. Wir haben danach noch genügend Zeit, um uns zu unterhalten, das verspreche ich.«

Er reichte mir den Bleistift.

»Soll ich rausgehen?«

»Nein, das ist nicht nötig. Wir können beide hierbleiben.«

Ich blickte ihn verwirrt an.

»Entspannen Sie sich, Kate. Ich habe diesen Fragebogen selbst entworfen. Er ist vollkommen schmerzfrei, und Sie werden keinerlei Probleme damit haben.«

Ich zog die Blätter aus der Klarsichthülle. Sie waren ordentlich zusammengeheftet, und es waren auch nur fünf oder sechs Seiten. Ich war mir sehr bewusst, dass Joel mich beobachtete, als ich sie durchblätterte und dann aufblickte.

»Darf ich Sie etwas fragen?«

»Natürlich.«

»Was hoffen Sie, dadurch zu erfahren?«

»Etwas über Sie, Kate.« Er spreizte die Hände und grinste, als ob ich genau die Frage gestellt hätte, auf die er gehofft hatte. »Genauer gesagt, etwas über Ihre Persönlichkeit. Am besten gehen Sie es an, als ob es gar kein Test wäre, denn Sie können dabei nicht durchfallen. Es ist mehr wie ein Fragebogen. Ziel ist, dass ich einen besseren Eindruck davon bekomme, wer Sie wirklich sind, um zu beurteilen, ob Sie gut in die Firma passen, und noch wichtiger, ob die Firma gut zu Ihnen passt.«

»Und wenn wir nicht gut zueinander passen?«

Er lächelte erneut. »Warum machen Sie nicht einfach den Test, dann sehen wir weiter. Und antworten Sie bitte unbedingt ehrlich, um unser beider willen.«

Ich blickte auf das oberste Blatt.

1. Ich mag keinen Streit und vermeide ihn so weit wie möglich.

(a) Trifft gar nicht zu

(b) Trifft manchmal zu

(c) Trifft oft zu

(d) Trifft genau zu

2. Ich arbeite lieber allein als im Team.

(a) Trifft gar nicht zu

(b) Trifft manchmal zu

(c) Trifft oft zu

(d) Trifft genau zu

3. Ich fälle schnell Entscheidungen und weiche dann nicht mehr von ihnen ab.

(a) Trifft gar nicht zu

(b) Trifft manchmal zu

(c) Trifft oft zu

(d) Trifft genau zu

Ich setzte den Stift auf das Papier, hielt dann inne und blickte noch einmal auf. »Was, wenn ich mir nicht sicher bin, was ich ankreuzen soll?«

»Folgen Sie Ihrem Bauchgefühl.«

»Aber bei einigen dieser Fragen hängt es doch sehr von den Umständen ab, meinen Sie nicht?«

»Machen Sie es nach bestem Ermessen, Kate. Vertrauen Sie sich selbst.«

1. Ich mag keinen Streit und vermeide ihn so weit wie möglich.

Nun, das war doch gar nicht so schwer. Man musste doch ein totaler Psycho sein, um Streit zu mögen, aber andererseits war mir auch klar, dass es mir nicht viel nutzen würde zu behaupten, dass ich ihn aktiv vermied. Edge würde von seinen Bewerbern erwarten, etwas zu sagen, wenn sie mit etwas nicht einverstanden waren oder jemand einen herausforderte. Ich kreuzte (b) an: Trifft manchmal zu.

Ich machte weiter und gab auch bei der zweiten Frage die Antwort (b) (Ich arbeite lieber allein als im Team). Bei Frage drei (Ich fälle schnell Entscheidungen und weiche dann nicht mehr von ihnen ab) wählte ich (c) aus: Trifft oft zu.

Danach füllte ich den Fragebogen immer schneller aus. Joel hatte recht. Obwohl es sich etwas komisch anfühlte, dass er mich beobachtete, musste ich wirklich nicht allzu lange nachdenken. Außerdem konnte ich nur wenig falsch machen, wenn ich meine Antworten die ganze Zeit zwischen (b) und (c) aufteilte.

Es sei denn …

Ich drückte fest mit dem Bleistift auf und hätte beinahe die Mine abgebrochen. Ich musste über das nachdenken, was ich über Edge wusste. Sie mochten es aufzufallen, die Dinge anders zu erledigen. Hieß das vielleicht, dass sie nach Angestellten suchten, die aktiv zum einen oder zum anderen Extrem tendierten? Vielleicht war es falsch, niemals (a) oder (d) anzukreuzen.

»Kate?«

Ich blickte auf, und er schüttelte leicht den Kopf.

»Hören Sie auf, darüber nachzudenken, was wir hören wollen, und kreuzen Sie einfach nur an, was sich für Sie richtig anfühlt.«

Konnte er etwa Gedanken lesen?

»Es ist nur so, dass …«

»Alles in Ordnung, Kate. Wirklich. Jeder tut das.«

»Jeder?«

»Fast jeder.«

War das ein Hinweis? Ich las die nächste Frage.

10. Öffentlich zu sprechen macht mich nervös.

Ich starrte so hart auf das Papier, dass die Wörter vor meinen Augen zu verschwimmen begannen. Mich überlief ein heißer Schauer, und sofort fürchtete ich, dass er das bemerkte, was mein Gefühl nur noch verstärkte. Einmal war es so gewesen – das eine Mal, das jetzt nie mehr verschwinden würde –, aber darüber musste ich hinwegkommen. Und mein wahres Ich – von dem ich meiner Psychotherapeutin gesagt hatte, dass ich fürchtete, den Kontakt zu ihm verloren zu haben – war immer auf natürliche Weise gesprächig gewesen. Man konnte nicht effektiv Öffentlichkeitsarbeit machen, wenn man kein Vertrauen in die eigene Redekunst hatte. Ich kreuzte (a) an: Trifft gar nicht zu.

»Gut, Kate.«

Ich unterdrückte die schlechten Gedanken, die sich in mein Bewusstsein drängten, den Eindruck, dass ich irgendwie schummelte, und versuchte, mich nicht zu winden. Still sitzen zu bleiben erschien mir auf einmal wichtig zu sein, denn allmählich fragte ich mich, ob Joel vielleicht ebenso interessiert daran war, wie ich den Test anging, wie an den angekreuzten Antworten. Jetzt da ich darüber nachdachte, war das vielleicht auch der Grund dafür, warum er mit mir im Raum hatte bleiben wollen.

Ich machte weiter, versuchte, selbstsicher zu wirken, auch wenn ich mich überhaupt nicht so fühlte. Bald war ich so in die Fragen vertieft, dass ich Joel Whites Anwesenheit beinahe vergaß, und die nächsten beiden Seiten löste ich problemlos.

Bis ich zur vorletzten Seite kam und die oberste Frage las.

26. Beim Sex stelle ich mir mich mit anderen Partnern vor.

Hilfe.

»Gibt’s ein Problem?«, fragte mich Joel White.

Ich zeigte ihm das Blatt und deutete auf die Frage.