Evelina - Frances Burney - E-Book
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Frances Burney

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Beschreibung

Ein fulminanter Briefroman über Klassenunterschiede und die Schwierigkeiten, sich als Frau zu behaupten: Die 17-jährige Evelina ist im Haushalt eines englischen Landpfarrers aufgewachsen. Ihr adliger Vater weigert sich, sie anzuerkennen, und ihre verstorbene Mutter stammte aus einfachen Verhältnissen. Als die hübsche, aber naive Evelina von einer befreundeten Familie in die feine Gesellschaft Londons eingeführt wird, machen sich aufdringliche Verehrer ihren unklaren sozialen Status schnell zunutze. Und dann taucht auch noch Evelinas dreiste Großmutter aus Paris auf, die die junge Frau zwingen will, sich ihr Erbe einzuklagen. Was soll nur der gutaussehende, sympathische Lord Orville von ihr denken? Burney zeichnet ein humorvolles Gesellschaftsporträt und fängt die galante Welt der Bälle und Vergnügungsparks des 18. Jahrhunderts lebhaft ein. Mit spitzer Feder entlarvt sie Klischees, Vorurteile und Borniertheit aller sozialen Schichten – ein echtes Lesevergnügen! »Mit viel Humor erkundet Burney das Leben der englischen Aristokratie, ihren gesellschaftlichen Dünkel und ihre geheimen Schwächen – immer mit einem kritischen Blick auf die unterlegene Stellung der Frau.« DEUTSCHLANDFUNK

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Frances Burney

Evelina

oder der Eintritt einer jungen Dame in die Welt

Aus dem Englischen übersetzt von Rebecca ScharpenbergDurchgesehen und mit einem Nachwort von Mascha Hansen

Reclam

2022 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

 

© Übersetzung und Anmerkungen Rebecca Scharpenberg

 

Covergestaltung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH

Coverabbildungen: akg-images / De Agostini Picture Lib. / A. Dagli Orti

Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Made in Germany 2022

RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN978-3-15-962055-8

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-011414-8

www.reclam.de

Inhalt

An die Verfasser der Monthly Review sowie der Critical Review

Vorwort

Evelina

Teil I

Teil II

Teil III

Anhang

Zu dieser Ausgabe

Nachwort

Für –––1

 

Oh, Autor meines Daseins! – Teurer mir

Als Licht und Nahrung oder auch als Ruh,

Hygieias2 Segen, Freudentränen und

Des Lebens Blut, das strömt durch meine Brust!

 

Wo Tugendliebe glühet tief in mir,

Sie ward entfacht von ehernem Gesetz;

Nach deinem Beispiel wuchs die Flamme hell,

Dein Lebenswerk ist Grund und Schule mir.

 

Käm’ meine Kraft bloß deiner Tugend gleich,

Von kindlich’ Liebe wär verdrängt die Angst;

Die Scham der Unzulänglichkeit verjagt,

Ich wär enttarnt, Chronistin deines Werts:

 

Doch da mein Stern mir dies Geschenk verwehrt,

Bleibt mir als Segen die Verborgenheit;

Die Muse, weiterhin obskur, versagt,

Doch mehret nicht, noch schmälert deinen Ruf.

 

Oh! Meines Lebens Quelle und auch Freud’!

Wenn je dein Auge diese Zeilen sieht,

Gib ihrer Absicht statt der Torheit Raum;

Nimm an den Preis – vergiss dabei die Form.

An die Verfasser der Monthly Review sowie der Critical Review

Meine Herren, die Freiheit, die ich mir herausnehme, Ihnen das unbedeutende Ergebnis einiger weniger Mußestunden zu zeigen, wird zweifelsohne Ihre Verwunderung auslösen und wahrscheinlich Ihre Verachtung. Dennoch will ich nicht mit der Sinnlosigkeit von Entschuldigungen Ihre Zeit in Anspruch nehmen, sondern Ihnen stattdessen die Beweggründe für meine Kühnheit mit knappen Worten erklären, denn ich fürchte, durch die verfrühte Inanspruchnahme jener Geduld, die, wie ich hoffe, mir freundschaftlich gesinnt sein wird, deren Güte zu verringern und mich damit zur Helfershelferin meiner eigenen Verurteilung zu machen.

Ohne Namen, ohne Empfehlung und an Erfolg so wenig gewöhnt wie an Ungnade, wen könnte ich schicklicher um Unterstützung bitten als diejenigen, die öffentlich bekunden, Begutachter jedweder literarischen Darstellung zu sein?

Das umfangreiche Vorhaben Ihrer kritischen Beobachtungen, das sich nicht auf nützliche oder scharfsinnige Werke begrenzt, sondern auch denen des leichtfertigen Vergnügens – oder schlimmer noch: der Dummheit – offen steht, ermutigt mich dazu, um Ihren Schutz zu ersuchen, da ich einen Anspruch auf Ihre Kommentare habe – und womöglich geschieht es mir sogar recht. Sich über dieses Angebot, so unbedeutend es auch sein mag, zu ärgern, würde somit der Allgemeingültigkeit Ihres Unternehmens schlecht zu Gesicht stehen; auch wenn Sie sich – leider Gottes – außerstande sehen mögen, es nicht zu verschmähen.

Die Sprache der Verherrlichung und der Weihrauch der Schmeichelei wecken in mir, obgleich sie seit undenklichen Zeiten das natürliche Erbe und das beständige Mittel desjenigen sind, der die Widmung verfasst, nichts weiter als sehnsüchtiges Bedauern, da ich nicht wage, dieses Mittel nun in Anspruch zu nehmen. Üble Absichten würden allem zugeschrieben, was ich sagen könnte, da es in einer Ausgangslage wie meiner nur wie das Ergebnis einer List erscheinen würde, sich Ihres Urteils zu rühmen, und Ihre Unvoreingenommenheit zu feiern wirken müsste wie ein Zeichen des Zweifels genau daran.

Als Richter der Presse und Zensoren für die Öffentlichkeit sind Sie durch die heiligen Fesseln der Redlichkeit gebunden, die energischste Unparteilichkeit an den Tag zu legen und in Ihren Urteilen die Merkmale der reinen, unerschrockenen, unwiderlegbaren Wahrheit erkennen zu lassen: An Ihre Gnade zu appellieren würde bedeuten, Schande zu erbitten, und daher – obgleich sie süßer ist als Weihrauch, lieblicher für die Sinne als all die wohlriechenden Düfte Arabiens, und obgleich

»Sie träufelt, wie des Himmels milder Regen

Zur Erde unter ihr«3,

werbe ich nicht darum! Auf Ihr Urteil allein habe ich ein Anrecht, und daran muss ich mich halten. Ihre Verpflichtungen bestehen nicht gegenüber dem flehenden Autor, sondern gegenüber der aufrichtigen Öffentlichkeit, die es nicht versäumen wird,

»Die Buß und den Verfall des Scheines hier«4

zu verlangen. Kein abgedroschener Schreiberling, der Beleidigung gewohnt und gefühllos gegen Kritik ist, trotzt hier Ihrer Strenge, und auch kein halb verhungerter Poet wird Sie,

»Vom Hunger gezwungen, von Freunden gedrängt«5,

um Ihre Gnade anflehen. Ihre Untersuchung wird gleichermaßen frei sein von Voreingenommenheit und Vorurteil. Kein störrisches Murren wird auf Ihre Bewertung folgen, kein Eigeninteresse von Ihrem Lob erfreut sein.

Möge die ängstliche Dienstbeflissenheit, mit der ich mich Ihrer Aufmerksamkeit empfehle, mich nicht Ihrem Spott aussetzen. Denken Sie daran, meine Herren, Sie alle waren einmal junge Schreiberlinge, und der erfahrenste Veteran Ihrer Truppe mag sich beim Gedanken an seine erste Veröffentlichung auch seines ersten Schreckens entsinnen und lernen, den meinen zu bedenken. Obschon der Mut eine der edelsten Tugenden dieser irdischen Sphäre ist und obschon er auf dem Schlachtfeld kaum mehr vonnöten ist, um den kämpfenden Helden vor der Schande zu bewahren, als im privaten Handel der Welt, um jene Kleinlichkeit des Herzens fernzuhalten, die mit unmerklichen Schritten zu all den niederen Zügen minderwertiger Leidenschaften führt und durch die der zu schüchterne Verstand einer für die Würde der menschlichen Natur nachteiligen Unterwürfigkeit preisgegeben wird, ist er dennoch eine Tugend, die in einer Lage wie der meinen keinen Nutzen hat, einer Lage, die sogar der Feigheit höchstpersönlich den Stachel der Schmach nimmt, denn gewiss mag man auf solchen Mut leicht verzichten, der eher Abscheu als Bewunderung auslöst! In der Tat ist es das besondere Privileg eines Autors, den Schrecken vor Verachtung und die Verzagtheit vor Vorwürfen zu bewahren.

Hier lasst mich innehalten – und mich, solange ich noch dazu imstande bin, von der Faszination der Ichsucht losreißen – einem Monster, das mehr Anhänger hat, als jemals der berühmtesten Gottheit der Antike gehuldigt haben, und dessen einzig Gutes darin besteht, dass, während es eine blinde und ungewollte Bewunderung in beinahe jedem Individuum auslöst, sein Einfluss allgemein verboten ist, seine Macht allgemein verachtet wird und sein Wert sogar bei seinen Anhängern nie anders als mit Abscheu Erwähnung findet.

Ich spreche Sie nur deshalb gemeinsam an, weil ich die großzügigen Gefühle hervorheben möchte, durch die vorurteilsfreie Kritik sich zwecks vollkommener Vernichtung von Neid, Eifersucht und allen selbstsüchtigen Ansichten auszeichnen sollte.

Ich habe die Ehre, meine Herren, Ihr gehorsamster Diener zu sein.

–––6

Vorwort

In der Republik der Gelehrten gibt es kein Mitglied, das von solch niederem Rang ist oder von seinen schreibenden Artgenossen in derselben Weise verachtet wird wie der kleine Romanschreiber. Auch ist sein Schicksal auf der ganzen Welt nicht weniger hart, da unter sämtlichen Gattungen der Schriftsteller vielleicht keine einzige zu benennen ist, deren Anhänger zahlreicher und doch weniger angesehen wären.

Solange wir aber in den Annalen der wenigen unserer Vorgänger, denen geschuldet ist, dass diese Spezies vor Geringschätzung bewahrt und vor Sittenlosigkeit gerettet wurde, Namen ausfindig machen können wie Rousseau, Johnson1, Marivaux, Fielding, Richardson und Smollett, sollte kein Mann sich dafür schämen müssen, derselben Art zu entstammen, obgleich viele, nein, die meisten Menschen darüber seufzen mögen, zu jenen niemals aufschließen zu können.

Die folgenden Briefe werden der Öffentlichkeit – denn so werden Romanleser von Romanschreibern genannt – mit einer sehr ungewöhnlichen Mischung aus Schüchternheit und Zuversicht übergeben, die der besonderen Situation des Verfassers entspringt, der sich, obwohl er im Bewusstsein ihrer Unvollkommenheit um ihren Erfolg bangt, dennoch nicht scheut, an ihrer Schande teilzuhaben, während er glücklich in den Mantel obskurer Unkenntlichkeit gehüllt bleibt.

Charaktere, wenn auch nicht aus dem Leben gegriffen, dennoch naturgetreu zu beschreiben und die Umgangsformen der Zeit zu schildern, ist das Ansinnen der folgenden Briefe. Zu diesem Zweck hat eine junge Frau, aufgewachsen und erzogen in äußerster Einsamkeit, im Alter von siebzehn Jahren ihren ersten Auftritt in der großen und geschäftigen Welt. Trotz eines tugendhaften Wesens, guter Bildung und eines gefühlvollen Herzens lösen ihre Unwissenheit im Hinblick auf Etikette und ihre Unerfahrenheit in Sitten und Gebräuchen der Welt all die kleinen Zwischenfälle aus, von denen diese Briefe berichten und die den natürlichen Verlauf des Lebens einer jungen Frau von obskurer Herkunft, aber auffälliger Schönheit in den ersten sechs Monaten nach ihrem Eintritt in die große Welt beschreiben.

Vielleicht würden, wenn es möglich wäre, die völlige Ausrottung von Romanen zu erwirken, unsere jungen Damen im Allgemeinen und unsere Pensionatszöglinge im Besonderen von ihrer Vernichtung profitieren. Doch da die Krankheit, die sie verbreitet haben, unheilbar zu sein scheint, da die Ansteckung dem Medikament des Rates und dem des Tadels trotzt und da sie erwiesenermaßen die gesamte geistige Kunst der Medizin vereitelt, das ausgenommen, was von der langsamen Wirkung der Zeit und der bitteren Fastenkur der Erfahrung verschrieben wird, sollten gewiss alle Versuche, zu der Zahl der Werke beizutragen, die wenn nicht zum Vorteil, dann wenigstens ohne Schaden gelesen werden dürften, eher ermutigt als verachtet werden.

Lassen Sie mich daher jene auf eine Enttäuschung vorbereiten, die sich beim Durchlesen dieser Seiten der freudigen Erwartung hingeben, in die phantastischen Gefilde einer Romanze befördert zu werden, in der die Erzählung in all den vergnüglichen Tönen der üppigen Vorstellungskraft gehalten ist, aus der die Vernunft verbannt ist und in der die Erhabenheit des Phantastischen jede Hilfe nüchterner Wahrscheinlichkeit ablehnt. Die Heldin dieser Memoiren ist, so jung, arglos und unerfahren sie ist, »kein fehlerloses Ungeheuer, das die Welt nie gesehen«7, sondern ein Kind der Natur, und zwar der Natur im einfachsten Gewand.

In sämtlichen Künsten kann der Wert der Kopien nur an der Seltenheit der Originale bemessen werden. Unter Bildhauern und Malern mag eine edle Statue oder ein schönes Bild irgendeines großen Meisters verdientermaßen die Nachahmungstalente junger und geringerer Künstler beschäftigen, damit die Konzentration auf einen einzigen Punkt eine allgemeinere Verbreitung ihrer Vortrefflichkeit nicht vollständig verhindern möge. Aber unter Schriftstellern ist genau das Gegenteil der Fall, da die edelsten Werke der Literatur beinahe ebenso verfügbar sind wie die schlechtesten. Daher kann Nachahmung gar nicht gründlich genug vermieden werden. Denn gerade die Vollkommenheit eines Modells, das häufig zu sehen ist, dient nur umso deutlicher dazu, die Minderwertigkeit der Kopie aufzuzeigen.

Das Gewöhnliche zu vermeiden, ohne dass etwas gekünstelt wirkt, muss den Ehrgeiz der gemeinen Masse der Autoren begrenzen. So eifrig daher meine Verehrung für die großen Schriftsteller, die ich erwähnt habe, auch ist, sosehr ich mich auch durch das Wissen Johnsons erleuchtet fühle, so bezaubert von der Redegewandtheit Rousseaus, so besänftigt von der ergreifenden Wortgewalt Richardsons und so beschwingt durch den Geist Fieldings und den Humor Smolletts, maße ich mir dennoch nicht an, denselben Boden betreten zu wollen, auf dem sie bereits ihre Spuren hinterlassen haben und wo sie, obwohl sie das Unkraut entfernt, dennoch auch die Blumen gepflückt haben, so dass sie, selbst wenn sie den Pfad begradigt haben, ihn gleichwohl unfruchtbar hinterlassen.

Ich besitze nicht die Unverschämtheit, die Aufrichtigkeit meiner Leser anzuzweifeln, und ich bin mir bewusst, dass ich keinen Anspruch auf ihre Nachsicht habe. Mir bleibt daher nur, darum zu bitten, dass meine eigenen Worte mich nicht verurteilen mögen und dass das, was ich hier im Hinblick auf Nachahmung zu sagen versucht habe, so verstanden werden möge, wie es gemeint ist, im allgemeinen Sinne, und nicht einer Überzeugung von meiner eigenen Einzigartigkeit zugeschrieben wird, die zu unterhalten ich nicht die Eitelkeit, die Torheit oder die Blindheit besitze. Was auch immer das Schicksal dieser Briefe sein mag, der Herausgeber ist zufrieden, wenn ihnen Gerechtigkeit widerfährt, und übergibt sie der Presse, wenn auch ohne Hoffnung auf Ruhm, so doch nicht ohne Rücksicht auf den Tadel.

Evelina

Teil I

Erster Brief

Lady Howard an den Pfarrer Mr Villars

Howard Grove, Kent

Kann irgendetwas, mein lieber Sir, für einen freundschaftlich gesinnten Geist schmerzlicher sein als die Notwendigkeit, unangenehme Nachrichten zu überbringen? In der Tat ist es manchmal schwierig zu bestimmen, wer mehr zu bemitleiden ist, der Überbringer oder der Empfänger schlechter Neuigkeiten.

Gerade habe ich einen Brief von Madame Duval erhalten. Sie ist sich vollkommen unschlüssig, wie sie sich verhalten soll. Anscheinend hat sie das Bedürfnis, das Unrecht, das sie begangen hat, wiedergutzumachen; zugleich möchte sie die Welt glauben machen, sie sei schuldlos. Viel lieber möchte sie die Schuld an dem abscheulichen Unglück, für das sie allein verantwortlich ist, auf einen anderen abwälzen. Ihr Brief ist heftig und zuweilen beleidigend, und das gegen Sie, ausgerechnet gegen Sie, dem gegenüber ihre Verpflichtungen sogar noch größer sind als die Fehler, die sie gemacht hat, und dessen Rat sie dennoch böswillig das Leid ihrer so schwer geschädigten Tochter, der verstorbenen Lady Belmont, zuschreibt. Ich werde Ihnen den Hauptinhalt ihres Schreibens mitteilen. Der Brief selbst ist es nicht wert, dass Sie überhaupt Notiz von ihm nehmen.

Sie sagt, sie sei seit vielen Jahren in ständiger Erwartung gewesen, eine Reise nach England zu machen, was sie wiederum davon abgehalten habe, schriftlich um Informationen über jene traurige Angelegenheit zu bitten, da sie die Hoffnung gehabt habe, persönlich Erkundigungen einholen zu können. Aber familiäre Ereignisse hätten sie bisher immer in Frankreich zurückgehalten, und nun habe sie keine Aussicht darauf, jenes Land überhaupt zu verlassen. Aus diesem Grund habe sie kürzlich die allergrößten Anstrengungen unternommen, um verlässliche Informationen über all das zu erhalten, was in Zusammenhang mit ihrer seinerzeit so schlecht beratenen Tochter stehe. Das Resultat dieser Nachforschungen gebe ihr gewissenAnlass zu der Befürchtung, dass ihre Tochter auf ihrem Sterbebett der Welt ein Waisenkind hinterlassen habe. Äußerst gnädig bietet sie an, dass Sie, in dessen Obhut sie das Kind vermutet, sofern Sie echte Beweise für dessen Verwandtschaft mit ihr erbringen können, das Kind nach Paris schicken mögen, wo sie angemessen für es sorgen werde.

Diese Frau hat damit letztendlich zweifellos bewiesen, dass ihr Verhalten höchst unnatürlich war. Aus ihrer Art zu schreiben wird deutlich, dass sie noch genauso vulgär und ungebildet ist wie damals, als ihr erster Ehemann, Mr Evelyn, die Schwachheit besaß, sie zu heiraten. Davon abgesehen entschuldigt sie sich in keiner Weise dafür, dass sie sich an mich wendet, obwohl ich mich nur ein einziges Mal in ihrer Gesellschaft befunden habe.

Ihr Brief hat in meiner Tochter Mirvan das starke Verlangen geweckt, zu erfahren, welche Motive Madame Duval dazu bewogen haben, die unglückliche Lady Belmont zu einer Zeit zu verlassen, in der der Schutz einer Mutter für ihren Seelenfrieden und ihren guten Ruf so besonders nötig war. Obwohl ich mit allen in diese Angelegenheit eingebundenen Parteien bekannt und vertraut bin, erschien mir das Thema als solches immer zu heikel, um es mit den Hauptpersonen zu besprechen. Daher weiß ich mir einfach keinen Rat, wie ich Mrs Mirvan anders zufriedenstellen könnte als in der Weise, dass ich mich damit an Sie wende.

Indem sie sagt, Sie mögen das Kind zu ihr schicken, zielt Madame Duval darauf ab, sich den zu verpflichten, dem doch sie am meisten verpflichtet ist. Ich gebe nicht vor, Ihnen einen Rat zu erteilen, Ihnen, dessen großmütigem Schutz diese hilflose Waise alles zu verdanken hat. Sie allein werden am besten wissen, was sie tun soll. Aber ich mache mir große Sorgen wegen all des Ärgers und der Unannehmlichkeiten, welche diese unwürdige Frau Ihnen bereiten mag.

Meine Tochter und mein Enkelkind schließen sich mir in dem Wunsch an, dass Sie dem liebenswürdigen Mädchen unsere freundlichsten Grüße ausrichten, und sie bitten mich, Sie daran zu erinnern, dass der alljährliche Besuch in Howard Grove, der uns damals versprochen wurde, seit nunmehr vier Jahren nicht stattgefunden hat.

Mit großer Achtung

Ihre ergebenste Dienerin und Freundin

M. Howard

Zweiter Brief

Mr Villars an Lady Howard

Berry Hill, Dorsetshire

Ihre Ladyschaft hat nur zu gut die Verblüffung und das Unbehagen vorausgesehen, die durch Madame Duvals Brief hervorgerufen wurden. Wie auch immer, ich sollte viel lieber dankbar sein für die vielen Jahre, in denen ich unbehelligt geblieben bin, als dass ich mich über meine derzeitige Verlegenheit beklage, vor allem, da dies wenigstens beweist, dass diese erbärmliche Frau endlich Reue empfindet.

Was meine Antwort angeht, muss ich Ihre Ladyschaft bescheiden darum bitten, ihr Folgendes zu schreiben: dass ich keinesfalls die Absicht habe, Madame Duval zu beleidigen, aber dass ich wichtige, nein, unstrittige Gründe dafür habe, ihre Enkeltochter zum jetzigen Zeitpunkt in England zu behalten. Der Hauptgrund dafür ist, dass es das ernsthafte Verlangen einer Person war, deren Willen sie stillschweigend verpflichtet ist. Madame Duval kann sich sicher sein, dass ihre Enkelin größtmöglicher Aufmerksamkeit und höchstem Feingefühl begegnet und dass ihre Erziehung, auch wenn sie weniger umfassend ist, als ich es mir wünsche, mich nahezu gänzlich in Anspruch nimmt. Und ich bilde mir ein, dass, wenn die Zeit für sie gekommen ist, ihrer Großmutter gegenüber ihre Pflicht zu erfüllen, Madame Duval keinen Grund finden wird, mit dem unzufrieden zu sein, was für sie getan worden ist.

Ich bin mir sicher, dass Ihre Ladyschaft über diese Antwort nicht überrascht sein wird. Madame Duval ist unter keinen Umständen ein passender Begleiter oder Vormund für ein junges Mädchen. Sie ist ungebildet und gewissenlos, hat eine unfeine Wesensart und ist kein bisschen liebenswürdig, was ihr Benehmen betrifft. Ich weiß schon lange, dass sie sich selbst eingeredet hat, sie habe eine Abneigung gegen mich – unglückliche Frau! Ich kann sie nur bedauern!

Ich wage es nicht, bei einer Bitte, die von Mrs Mirvan ausgesprochen wurde, zu zögern. Dennoch werde ich mich, wenn ich ihr nachkomme, so kurz wie möglich fassen. Denn die grausamen Vorkommnisse, die der Geburt meines Mündels vorangegangen sind, werden einen so empfindsamen Geist wie den ihren schwerlich unterhalten.

Ihre Ladyschaft wird wahrscheinlich gehört haben, dass ich die Ehre hatte, den Großvater meines jungen Schützlings, Mr Evelyn, als Hauslehrer auf seinen Reisen zu begleiten. Seine unglückliche Heirat – direkt nach seiner Rückkehr nach England – mit Madame Duval, die damals Bedienung in einem Gasthof war und die er gegen den Rat und die dringenden Bitten all seiner Freunde, unter denen ich ihn am stärksten davon abzubringen versuchte, heiratete, veranlasste ihn dazu, seine Heimat zu verlassen und seinen Wohnsitz nach Frankreich zu verlegen. Scham und Reue folgten ihm dorthin, Gefühle, die sein Herz nicht zu ertragen vermochte. Denn zwar war er zu schwach gewesen, dem Reiz der Schönheit zu widerstehen, welche die Natur ihr mit verschwenderischer Hand zugeteilt hatte, während sie, was alle anderen möglichen Vorzüge betrifft, ihr gegenüber sehr geizig gewesen war. Jedoch war er ein junger Mann, der einen ausgezeichneten Charakter besaß und dessen Betragen bis zu dem Zeitpunkt, zu dem er auf so unerklärliche Weise verblendet wurde, frei von Tadel gewesen war. Er überlebte diese schlecht gewählte Heirat zwei Jahre. Auf seinem Sterbebett schrieb er mir mit zitternder Hand folgende Notiz: »Mein Freund! Vergessen Sie Ihren Groll, Ihrer Menschlichkeit zuliebe! Ein Vater, der um das Wohl seiner Tochter besorgt ist, überlässt sie Ihrer Obhut. Oh, Villars! Hören Sie mich an! Haben Sie Erbarmen, helfen Sie mir!«

Hätten es mir die Umstände erlaubt, wäre ich dieser Bitte durch eine sofortige Reise nach Paris nachgekommen. Aber stattdessen war ich gezwungen, diese Angelegenheit einem Freund zu überlassen, der zu dieser Zeit direkt vor Ort und bei der Testamentseröffnung zugegen war. Mr Evelyn vermachte mir 1000 Pfund und die alleinige Vormundschaft für seine Tochter bis zu ihrem achtzehnten Geburtstag, wobei er mich auf eindringliche Art bat, mich um ihre Erziehung zu kümmern, bis sie in der Lage sei, angemessen für sich selbst zu sorgen. Was aber das Vermögen anbelangte, ließ er sie vollständig in Abhängigkeit gegenüber ihrer Mutter, deren Mitgefühl er sie wärmstens empfahl.

Obwohl er seine Tochter im Hinblick auf Benehmen und Moral einer solch ungebildeten und engherzigen Frau wie Mrs Evelyn nicht anvertrauen wollte, hielt er es dennoch für angemessen, ihr den Respekt und den Gehorsam zu sichern, die, da sie von ihrem eigenen Kind ausgingen, in Anspruch zu nehmen sicherlich ihr gutes Recht war. Aber unglücklicherweise kam es ihm nie in den Sinn, dass die Mutter selbst, was Zuneigung und Gerechtigkeit betraf, versagen könnte.

Miss Evelyn, Madam, wuchs von ihrem zweiten bis zum achtzehnten Lebensjahr unter meiner Obhut und, mit Ausnahme der Schulzeit, unter meinem Dach auf. Ich brauche Ihrer Ladyschaft nichts über die guten Eigenschaften dieses exzellenten jungen Geschöpfs zu erzählen. Sie liebte mich wie einen Vater. Auch Mrs Villars erfuhr nicht weniger Wertschätzung von ihrer Seite. Währenddessen gewann ich sie so lieb, dass der Kummer über ihren Verlust kaum geringer war als der, den ich verspüre, seitdem Mrs Villars selbst gestorben ist.

An diesem Punkt ihres Lebens trennten sich unsere Wege. Ihre Mutter, inzwischen mit Monsieur Duval verheiratet, holte sie nach Paris. Wie oft habe ich seitdem bereut, dass ich sie nicht dorthin begleitet habe! Von mir behütet und unterstützt, hätte sie das Übel und die Schande, die sie erwarteten, wahrscheinlich abwenden können. Um es kurz zu machen, auf Betreiben ihres Gatten bemühte Madame Duval sich ernstlich, nein, eher tyrannisch darum, eine Verbindung zwischen Miss Evelyn und einem seiner Neffen herbeizuführen. Und als sie merkte, dass ihre bisherigen Anstrengungen noch nicht ausreichten, behandelte sie sie, wütend über ihr fehlendes Einverständnis, mit der größten Härte und drohte ihr mit Armut und Ruin.

Miss Evelyn, der Zorn und Gewalt bis zu diesem Zeitpunkt fremd gewesen waren, konnte eine solche Behandlung schon sehr bald nicht mehr ertragen, so dass sie überstürzt und ohne Zeugen in eine geheime Heirat mit Sir John Belmont einwilligte, einem sehr lasterhaften jungen Mann, der doch nur allzu erfolgreich geeignete Mittel fand, um sich bei ihr beliebt zu machen. Er versprach, sie nach England zu bringen – was er auch tat. Oh, Madam, Sie kennen den Rest! – Enttäuscht darüber, dass sie wegen der unerbittlichen Boshaftigkeit der Duvals das Vermögen, welches er erwartet hatte, nicht bekam, verbrannte er niederträchtig die Heiratsurkunde und verleugnete, dass sie jemals verheiratet gewesen waren.

Sie floh zu mir, um Schutz zu finden. Mit welcher Mischung aus Freude und Schmerz sah ich sie wieder! Auf meinen Rat hin bemühte sie sich, Beweise für ihre Heirat herbeizuschaffen, aber vergebens. Ihre Leichtgläubigkeit war seiner Verschlagenheit nicht gewachsen gewesen.

Aufgrund ihrer Jugend, die schuldlos und ohne Tadel verlaufen war, glaubte jeder an ihre Unschuld, zumal die Zügellosigkeit dessen, der sie so barbarisch betrogen hatte, allgemein bekannt war. Dennoch war ihr Leid zu heftig für ihre zarte Gestalt. So kam es, dass derselbe Moment, der ihrem Kind das Leben schenkte, ihrem eigenen und damit ihren Sorgen mit einem Schlag ein Ende setzte.

Die Wut Madame Duvals darüber, dass ihre Tochter fortgelaufen war, legte sich nicht, solange dieses verwundete Opfer der Grausamkeit noch am Leben war. Wahrscheinlich hatte sie vor, ihr mit der Zeit zu verzeihen. Aber diese Zeit blieb ihr nicht. Als man sie über den Tod informierte, so erzählte man mir, führten die Qualen des Kummers und der Reue sie selbst in eine schwere Krankheit. Aber von der Zeit ihrer Genesung an bis zu dem Tag, an dem Ihre Ladyschaft ihren Brief erhielt, hatte ich niemals gehört, dass sie ein Verlangen entwickelt hätte, mit den Umständen, die mit dem Tod Lady Belmonts und der Geburt ihres hilflosen Kindes verbunden sind, vertraut gemacht zu werden.

Dieses Kind, Madam, soll niemals um den Verlust wissen, den es erlitten hat. Von ihrer frühesten Kindheit bis zu ihrem sechzehnten Lebensjahr habe ich sie gehegt, ihr beigestanden und sie unterstützt. Und so, wie sie meine Liebe und Fürsorge belohnt, ist mein innigster Wunsch von dem Verlangen getragen, sie in jemandes Obhut zu geben, der ihren Wert zu schätzen weiß, und dann in Erwartung der ewigen Ruhe in ihre Arme zu sinken.

So kam es, dass die Erziehung des Vaters, der Tochter und der Enkeltochter auf mich übertragen worden ist! Welch unendliche Qual haben mir die ersten beiden beschert! Sollte das Schicksal der lieben Verbliebenen ebenso ungünstig sein, wie elendig wäre das Ende meiner Fürsorge – das Ende meiner Tage!

Selbst wenn Madame Duval den Preis verdient hätte, den sie fordert, fürchte ich, dass meine innere Kraft einer solchen Trennung nicht gewachsen wäre. Aber so, wie sie ist, schreckt nicht nur meine Zuneigung, sondern auch meine Menschlichkeit vor dem barbarischen Gedanken zurück, das mir so heilig Anvertraute im Stich zu lassen. Tatsächlich fiel es mir schwer, ihre ehemals jährlichen Besuche in Ihrem Hause in Howard Grove zu unterstützen. Bitte verzeihen Sie, Madam, und denken Sie nicht, ich sei mir der Ehre nicht bewusst, die Ihre Ladyschaft uns beiden erweist! Aber der Eindruck, den das Unglück ihrer Mutter auf mein Herz gemacht hat, sitzt so tief, dass sie niemals, nicht einmal für einen Augenblick, von meiner Seite weichen kann, ohne dass Furcht und Schrecken mich beinahe überwältigen. So groß, Madam, ist meine Zärtlichkeit, und so groß ist meine Schwäche! Dennoch ist sie das Einzige, was mich noch an diese Erde bindet, und ich vertraue auf Ihrer Ladyschaft Güte, über meine Gefühle nicht mit Strenge zu urteilen. Ich bitte Sie, mich Mrs und Miss Mirvan in aller Bescheidenheit zu empfehlen, und habe die Ehre, Madam, als Ihrer Ladyschaft gehorsamster und ergebenster Diener

Arthur Villars

Dritter Brief (der einige Monate nach dem letzten geschrieben wurde)

Lady Howard an den Pfarrer Mr Villars

Howard Grove, 8. März

Teurer und ehrwürdiger Freund,

Ihr letzter Brief hat mir unendlich viel Freude bereitet. Wie dankbar müssen Sie selbst und Ihre Freunde nach einer so langen und beschwerlichen Krankheit für Ihre Genesung sein! Es ist der herzlichste Wunsch jeder einzelnen Person in diesem Hause, dass jene voranschreiten und sich weiter festigen möge.

Denken Sie jetzt nicht, dass ich die Bestätigung Ihrer Genesung zu meinem Vorteil nutzen möchte, indem ich es erneut wage, Ihre Schülerin im Zusammenhang mit Howard Grove anzusprechen? Doch Sie müssen die Geduld bedenken, mit der wir Ihrem Wunsch nachgegeben haben, sich in der Zeit Ihres schlechten Gesundheitszustandes nicht von ihr zu trennen, obwohl wir nur sehr widerwillig darauf verzichteten, um ihre Gesellschaft zu bitten. Insbesondere meine Enkelin ist nur schwer in der Lage gewesen, ihre Ungeduld über das Wiedersehen mit ihrer Freundin aus Kindertagen zu unterdrücken. Und was mich selbst betrifft, so ist es mir ein besonders großes Anliegen, meine Wertschätzung für Lady Belmont zu untermauern, indem ich mich ihrer Tochter erkenntlich zeige; das scheint mir der beste Weg, ihrem Andenken den ihm gebührenden Respekt zu erweisen. Erlauben Sie mir daher, Ihnen einen Plan vorzuschlagen, den Mrs Mirvan und ich gemeinsam im Zuge Ihrer Genesung entwickelt haben.

Ich möchte Ihnen keine Angst machen. Aber glauben Sie, Sie könnten es ertragen, sich für zwei oder drei Monate von Ihrer jungen Begleiterin zu trennen? Mrs Mirvan hat vorgeschlagen, den kommenden Frühling in London zu verbringen, wohin meine Enkelin sie zum ersten Mal begleiten wird. Nun, mein guter Freund, es ist ihr ernstlicher Wunsch, ihre Gesellschaft durch Ihr liebenswertes Mündel zu erweitern und zu beleben, wobei ihr von Mrs Mirvan dieselbe Fürsorge und die Aufmerksamkeit zuteil werden würden wie deren eigener Tochter. Erschrecken Sie nicht bei diesem Vorschlag! Es ist Zeit, dass sie etwas von der Welt zu sehen bekommt. Wenn junge Menschen zu stark abgeschottet werden, beginnen ihre lebendigen und romantischen Vorstellungen, sich die Welt als ein Paradies zu malen, aus dem sie vertrieben worden sind. Aber wenn man sie ihnen auf angemessene Art zeigt, dann sehen sie die Welt zur rechten Zeit so, wie sie wirklich ist, mit Leid und Freude, Hoffnung und Enttäuschung zu gleichen Teilen.

Sie brauchen nicht zu befürchten, dass es ein Zusammentreffen mit Sir John Belmont geben könnte. Denn dieser lasterhafte Mann befindet sich derzeit außer Landes und wird in diesem Jahr nicht mehr zurückerwartet.

Also, mein lieber Sir, was sagen Sie zu unserem Vorschlag? Ich hoffe, er wird auf Ihre Zustimmung treffen. Aber falls nicht, seien Sie versichert, dass ich niemals irgendeiner Entscheidung einer Person widersprechen könnte, die ich so sehr respektiere und schätze wie Sie, Mr Villars.

Ihre treu ergebene Dienerin

M. Howard

Vierter Brief

Mr Villars an Lady Howard

Berry Hill, 12. März

Der Gedanke, starrsinnig zu erscheinen, betrübt mich, und ich schäme mich, dass ich mich dem Vorwurf aussetze, selbstsüchtig zu sein. Der Grund dafür, dass ich meine junge Pflegetochter so lange bei mir auf dem Lande festgehalten habe, ist nicht etwa allein meine persönliche Neigung. Da sie aller Wahrscheinlichkeit nach nur ein sehr bescheidenes Vermögen ihr Eigen nennen wird, wollte ich ihren Blick auf etwas richten, was sich in diesem Rahmen hält. Der menschliche Geist ist nur allzu natürlich an Vergnügung interessiert, und zu leicht gibt er der Verschwendung nach. Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, sie vor deren Irreführungen zu beschützen, indem ich sie gelehrt habe, eben diese zu erwarten – und zu verschmähen. Aber die Zeit rückt näher, in der Erfahrung und eigene Beobachtung an die Stelle der Belehrung treten werden. Wenn ich ihr in gewissem Maße die Fähigkeit gegeben habe, die eine wohlüberlegt zu nutzen und sich im Umgang mit der anderen zu verbessern, sollte ich mich über die Gewissheit freuen, einen großen Beitrag zu ihrem Wohlergehen geleistet zu haben. Sie befindet sich nun in einem Alter, in dem die Freude darauf brennt, sich zu ihr zu gesellen. Lassen Sie sie es also genießen! Ich vertraue sie dem Schutze Ihrer Ladyschaft an und hoffe, sie möge der Güte, der sie, wie ich sicher weiß, in Ihrem gastfreundlichen Hause begegnen wird, auch nur zur Hälfte würdig sein.

So weit, Madam, komme ich Ihrem Verlangen voller Freude nach. Mein Mündel der Obhut Lady Howards anzuvertrauen, bedeutet für mich kein anderes Unbehagen über ihre Abwesenheit als das, was ohnehin durch den Verlust ihrer Gesellschaft in mir aufkeimen wird, da ich von ihrer Sicherheit genauso überzeugt sein kann wie unter meinem eigenen Dach. – Aber kann Ihre Ladyschaft ihren Vorschlag tatsächlich ernst meinen, sie mit den Vergnügungen des Londoner Lebens vertraut machen zu wollen? Erlauben Sie mir die Frage, mit welchem Ergebnis und zu welchem Zweck? Ein jugendlicher Geist ist selten vollkommen frei von Ambitionen. Diese zu zügeln, ist der erste Schritt zur Zufriedenheit, denn die Erwartungen zu mindern bedeutet, die Freude zu vergrößern. Ich fürchte nichts mehr, als ihre Hoffnungen und Aussichten zu hoch anzusetzen, was bei ihrer von Natur aus lebhaften Wesensart nur allzu leicht geschehen könnte. Mrs Mirvans Stadtbekanntschaften bewegen sich allesamt im Kreise der höheren Gesellschaft. Dieses ungekünstelte Geschöpf, das zu schön ist, um unbemerkt zu bleiben, besitzt ein zu starkes Feingefühl, als dass ihr dies gleichgültig sein könnte. Aber ihr Vermögen ist zu gering, als dass sie von Männern aus der feinen Welt mit Anstand umworben werden könnte.

Bedenken Sie, Madam, die besondere Grausamkeit ihrer Situation. Einziges Kind eines wohlhabenden Baronets, den sie niemals persönlich gesehen hat, dessen Charakter zu verabscheuen sie gute Gründe hat und dessen Namen zu tragen ihr nicht gestattet ist. Sosehr sie auch ein Anrecht darauf hat, als rechtmäßige Erbin seines Vermögens und seines Besitzes betrachtet zu werden, besteht auch nur die geringste Wahrscheinlichkeit, dass er sie als solche anerkennen wird? Und solange er nicht aufhört, seine Heirat mit Miss Evelyn beharrlich zu leugnen, soll sie niemals auf Kosten der Ehre ihrer Mutter auch nur einen Teil dessen, was ihr rechtmäßig zusteht, in Form einer Spende als Zeichen seiner Großzügigkeit annehmen.

Und was Mr Evelyns Vermögen betrifft, so habe ich keinen Zweifel daran, dass Madame Duval und ihre Verwandten es unter sich aufteilen werden.

Folglich scheint dieses verlassene Kind, obwohl von Rechts wegen Erbin zweier großer Vermögen, all seine vernünftigen Erwartungen anderen gegenüber auf bloße Billigung und Freundschaft reduzieren zu müssen. Dennoch wird ihr Einkommen wenigstens dergestalt ausfallen, dass es sie glücklich machen kann, wenn sie bereit ist, entsprechende Einschränkungen in ihrem häuslichen Leben hinzunehmen. Aber unter keinen Umständen wird es ihr erlauben, den Luxus einer Dame aus der feinen Londoner Gesellschaft zu genießen.

Also lassen Sie, Madam, Miss Mirvan in all dem Glanz der feinen Welt erstrahlen, aber lassen Sie mein Kind auch weiter die Freuden der gehorsamen Zurückgezogenheit mit einem Bewusstsein genießen, dem höhere Aussichten unbekannt sind!

Ich hoffe, diesen Gründen wird die Ehre zuteil, von Ihnen gebilligt zu werden. Und ich habe zudem noch ein weiteres Motiv, welches aus meiner Sicht von einigem Gewicht ist: Ich möchte niemanden willentlich beleidigen, und sicherlich wird mich Madame Duval der Ungerechtigkeit bezichtigen, wenn ich, während ich ihrer Enkelin verweigere, ihr ihre Aufwartung zu machen, mich damit einverstanden erkläre, dass sie sich einem Vergnügungsausflug nach London anschließt.

Wenn ich sie nach Howard Grove schicke, kommt keines dieser Bedenken in mir auf. Daher soll Mrs Clinton, eine außerordentlich ehrenwerte Frau, ehemals ihr Kindermädchen und nun meine Haushälterin, sie nächste Woche dorthin begleiten.

Obwohl ich sie immer Anville genannt und in der Nachbarschaft verbreitet habe, dass ihr Vater, mein eng vertrauter Freund, sie meiner Vormundschaft überlassen habe, habe ich es dennoch für notwendig gehalten, sie mit den traurigen Umständen, die in Verbindung mit ihrer Geburt stehen, vertraut zu machen. Denn obwohl ich mir so sehr wünsche, Neugier und Unverfrorenheit von ihr fernzuhalten, indem ich ihren Namen, ihre Familie und die dazugehörige Geschichte verberge, mag ich es nicht der Macht des Zufalls überlassen, ihr sanftes Wesen mit einer so kummervollen Nachricht zu schockieren.

Doch, Madam, Sie dürfen nicht zu viel von meiner Schülerin erwarten. Sie ist ein wahres Mädchen vom Lande und weiß nichts von der Welt, und obwohl ihre Erziehung die beste gewesen ist, die ich ihr an diesem zurückgezogenen Ort, der von der nächsten Stadt Dorchester sieben Meilen entfernt liegt, bieten konnte, sollte ich nicht überrascht sein, wenn Sie an ihr tausend Mängel entdeckten, von denen ich mir nie hätte träumen lassen. Sie muss sich sehr verändert haben, seit sie zuletzt in Howard Grove gewesen ist. – Aber ich werde nichts über sie sagen. Ich überlasse sie Ihrer Ladyschafts eigenen Beobachtungen, von denen ich mir eine genaue Beschreibung erhoffe, und verbleibe mit dem größten Respekt

Ihr ergebener und gehorsamster Diener

Arthur Villars

Fünfter Brief

Mr Villars an Lady Howard

18. März

Liebe Madam,

dieser Brief wird Ihnen von meinem Kind übergeben – meinem angenommenen Kind – dem Kind meines Herzens! Mit keinem einzigen naturgegebenen Freunde gesegnet, verdient sie doch Tausende. Ich schicke sie Ihnen so unschuldig wie einen Engel und so ungekünstelt wie die Reinheit selbst: Und mit ihr sende ich Ihnen das Herz Ihres Freundes, die einzige Hoffnung, die er auf Erden besitzt, den Gegenstand seiner zärtlichsten Gedanken und seiner jüngsten Fürsorge. Sie ist diejenige, Madam, für die allein ich seit kurzem noch zu leben wünsche und für die ich mit Begeisterung sterben würde, wenn es ihr dienlich wäre! Geben Sie sie mir nur genauso unschuldig zurück, wie Sie sie erhalten haben, und die größte Hoffnung meines Herzens wird reichlich erfüllt sein.

A. Villars

Sechster Brief

Lady Howard an den Pfarrer Mr Villars

Howard Grove

Teurer und ehrwürdiger Freund,

die ernste Art, mit der Sie Ihr Kind meiner Obhut übergeben haben, hat in gewisser Weise meine Freude, die ich über das in mich gesetzte Vertrauen empfinde, gedämpft, da ich nun fürchte, Sie könnten unter Ihrem Zugeständnis leiden, wobei ich mir in diesem Fall ernsthafte Vorwürfe wegen der Nachdrücklichkeit machen würde, mit der ich diese Bitte vorgebracht habe. Aber bedenken Sie, mein Lieber, sie wird nur wenige Tage bei uns bleiben, und seien Sie versichert, ich werde sie keinen Moment länger festhalten, als Sie es gestatten.

Sie wünschen meine Meinung über sie zu hören.

Sie ist ein kleiner Engel! Dass Sie sie für sich behalten wollten, wundert mich nicht. Aber Sie dürfen sich auch nicht wundern, dass dies unmöglich ist.

Ihr Gesicht und ihre Person entsprechen meinen Idealvorstellungen von vollkommener Schönheit, und obwohl dieser Vorzug sowohl für Sie als auch für mich von geringerer Bedeutung ist als für jeden anderen, ist er so auffällig, dass es unmöglich ist, ihn nicht zu bemerken. Hätte ich nicht gewusst, wer sie erzogen hat, wäre ich beim ersten Anblick eines so perfekten Gesichtes in Sorge um ihren Verstand gewesen. Denn schon lange hat man zu Recht festgestellt, dass Torheit sich schon immer gern in Verbindung mit Schönheit hat sehen lassen.

Sie hat dieselbe Sanftheit in ihrem Benehmen, dieselbe natürliche Anmut in ihren Bewegungen, die ich zuvor bei ihrer Mutter so sehr bewundert habe. Ihr Charakter scheint ganz und gar aufrichtig und natürlich zu sein, und obwohl die Natur sie mit einem exzellenten Verstand und sehr schneller Auffassungsgabe ausgestattet hat, umgibt sie ein gewisser Hauch von Unerfahrenheit und Unschuld, der äußerst interessant ist.

Sie haben keinen Grund, die Zurückgezogenheit zu bedauern, in der sie gelebt hat, zumal die Höflichkeit, die im Umgang mit der feinen Gesellschaft erforderlich ist, durch ihr natürliches Verlangen, gefällig zu sein, gepaart mit ihrem außerordentlich reizenden Benehmen, ganz hervorragend ersetzt wird.

Ich beobachte mit erheblicher Genugtuung eine große Zuneigung zwischen diesem liebenswerten Mädchen und meiner Enkeltochter, deren Herz so frei ist von Eigensucht und Selbstgefälligkeit wie das ihrer Freundin von Hinterhältigkeit. Ihre Beziehung könnte ihnen von beiderseitigem Nutzen sein, da von ihrem Wetteifer viel zu erwarten, hingegen an Neid nichts zu befürchten ist. Ich wünschte, sie würden einander wie Schwestern lieben und den Platz dieser zärtlichen und fröhlichen Verwandtschaft ersetzen, die keine von beiden auf natürlichem Wege für sich in Anspruch nehmen kann.

Seien Sie versichert, mein teurer Freund, dass Ihrem Kind dieselbe Aufmerksamkeit zuteil werden soll wie unserem eigenen. Wir alle gemeinsam senden Ihnen die herzlichsten Wünsche für Ihre Gesundheit und Ihr Glück und unseren aufrichtigen Dank für die Gefälligkeit, die Sie uns erwiesen haben.

Ich verbleibe, mein lieber Sir, als Ihre treue Dienerin

M. Howard

Siebter Brief

Lady Howard an den Pfarrer Mr Villars

Howard Grove, 26. März

Werden Sie nicht unruhig, mein verehrter Freund, weil ich Sie schon so schnell wieder behellige! Ich mache selten Gebrauch von der Förmlichkeit, auf eine Antwort zu warten oder mit irgendeiner Regelmäßigkeit zu schreiben, und jetzt habe ich unmittelbar Anlass, um Ihre Nachsicht zu bitten.

Mrs Mirvan hat soeben einen Brief von ihrem so lange Zeit abwesenden Ehemann erhalten, der die willkommene Nachricht enthält, er hoffe London zu Beginn der kommenden Woche zu erreichen. Meine Tochter und der Kapitän sind fast sieben Jahre getrennt gewesen, und es ist daher unnötig zu sagen, welche Freude, Überraschung und folglich Verwirrung seine bis dahin unerwartete Rückkehr in Howard Grove ausgelöst hat. Mrs Mirvan wird, wie Sie sich denken können, sofort in die Stadt fahren, um ihn zu treffen, ihre Tochter hat tausend verbindliche Gründe, ihr zu folgen, und es schmerzt mich, dass ihre Mutter es ihnen nicht gleichtun kann.

Und nun, mein lieber Sir, schäme ich mich fast fortzufahren – doch sagen Sie mir, darf ich fragen – würden Sie erlauben, dass Ihr Kind sie begleitet? Bitte halten Sie uns nicht für unvernünftig, aber bedenken Sie die vielen Anlässe, die zusammengenommen London derzeit zum glücklichsten Ort machen, den es für sie geben kann. Das freudige Ereignis der Reise, die Heiterkeit der gesamten Gesellschaft, ganz im Gegensatz zu dem langweiligen Leben, das sie führen muss, wenn sie nur mit einer einzelnen alten Dame als ihrer Gefährtin hier zurückgelassen wird, während sie sich der Fröhlichkeit und des Vergnügens, die der Rest der Familie genießt, sehr wohl bewusst ist, sind Umstände, die es verdienen, von Ihnen mitbedacht zu werden. Mrs Mirvan lässt Ihnen versichern, dass eine Woche alles ist, worum sie Sie bittet, da sie sich sicher ist, dass der Kapitän, der London hasst, darauf brennen wird, nach Howard Grove zurückzukehren, und Maria wünscht sich so sehnlich die Begleitung ihrer Freundin, dass sie, falls Sie unerbittlich sein sollten, der Hälfte ihrer Freude beraubt würde, die sie andernfalls zu haben hofft.

Wie dem auch sei, ich werde Ihnen nicht vortäuschen, dass sie etwa vorhätten, ein zurückgezogenes Leben zu führen, da dies mit Fug und Recht nicht erwartet werden kann. Aber Sie brauchen sich, was Madame Duval anbelangt, keine Sorgen zu machen. Sie hat keinen einzigen Briefpartner in England und erhält keinerlei Informationen außer durch allgemeine Berichte. Der Name, den Ihr Kind trägt, muss ihr unbekannt sein, und – selbst wenn sie von diesem Ausflug hören sollte – eine so kurze Zeit wie eine Woche oder weniger zu einem so speziellen Zweck kann, auch wenn er vor ihrem Zusammentreffen stattfindet, von ihr nicht als Respektlosigkeit ihr gegenüber ausgelegt werden.

Mrs Mirvan bittet mich, Ihnen zu versichern, dass sie ihren beiden Kindern, wenn Sie ihr diesen Gefallen täten, ihre Zeit und ihre Aufmerksamkeit zu gleichen Teilen widmen würde. Sie hat einem Freund in der Stadt den Auftrag erteilt, für sie ein Haus anzumieten, und während sie diesbezüglich auf eine Antwort wartet, werde ich dasselbe bezüglich Ihrer Antwort auf unsere Bitte tun. Indessen schreibt Ihr Kind selbst an Sie und das, daran habe ich keinen Zweifel, wird von größerem Nutzen sein als all unser Drängen.

Meine Tochter sendet ihre verbindlichsten Grüße, aber nur dann, wie sie sagt, wenn Sie ihrer Bitte nachkommen, andernfalls nicht.

Leben Sie wohl, mein lieber Sir, wir alle erhoffen uns das Beste von Ihrer Güte.

M. Howard

Achter Brief

Evelina an den Pfarrer Mr Villars

Howard Grove, 26. März

Dieses Haus scheint das Haus der Freude zu sein. Jedes Gesicht trägt ein Lächeln, und das Lachen scheint jedermann zu Diensten zu sein. Es ist recht amüsant, herumzugehen und die allgemeine Verwirrung zu sehen. Ein Zimmer, das zum Garten hinführt, wird als Kapitän Mirvans Studierzimmer eingerichtet. Lady Howard bleibt keinen einzigen Moment an ein und derselben Stelle sitzen, Miss Mirvan stellt Hauben her; jeder ist so beschäftigt! So ein Umherschwirren von einem Raum zum nächsten, so viele Anordnungen werden gegeben und zurückgenommen und wieder gegeben! Nichts als Eile und Aufregung!

Nun jedoch, mein lieber Sir, soll ich eine Bitte an Sie herantragen. Ich hoffe, Sie werden mich nicht für unverschämt halten. Lady Howard hat darauf bestanden, dass ich Ihnen schreibe. Dennoch weiß ich kaum, wie ich fortfahren soll. Eine Bitte deutet einen Mangel an, und haben Sie es mir an etwas fehlen lassen? Nein, sicher nicht!

Ich bin halb beschämt über mich selbst, dass ich diesen Brief begonnen habe. Aber diese beiden lieben Damen drängen mich so sehr – ich kann den Vergnügungen, die sie mir anbieten, beim besten Willen nicht widerstehen, vorausgesetzt, Sie missbilligen sie nicht.

Geplant ist ein ganz kurzer Aufenthalt in London. Dort wird der Kapitän in ein oder zwei Tagen eintreffen. Mrs Mirvan und ihre liebenswerte Tochter fahren beide. Was für eine glückliche Gesellschaft! Trotzdem bin ich nicht sehr begierig darauf, sie zu begleiten, zumindest werde ich damit zufrieden sein, zu bleiben, wo ich bin, wenn Sie es verlangen.

Mein teurer Sir, ich bin Ihrer Güte, Ihrer Großzügigkeit und Ihrer nachsichtigen Freundlichkeit gewiss, sollte ich da einen Wunsch äußern, der nicht Ihre Zustimmung findet? Entscheiden daher Sie für mich ohne die geringste Besorgnis, ich könnte mich unwohl fühlen oder unzufrieden sein! Während ich mich jetzt noch im Ungewissen befinde, mag ich vielleicht hoffen, aber ich bin ganz sicher, dass, wenn Sie einmal einen Entschluss gefasst haben, ich ihn nicht bedauern werde.

Man erzählt mir, dass London sich jetzt in voller Pracht zeige. Zwei Schauspielhäuser sind geöffnet, das Opernhaus, Ranelagh8, das Pantheon9. Sie sehen, ich habe all diese Namen gelernt. Denken Sie indessen nicht, ich würde in irgendeiner Weise darauf bestehen, zu fahren, denn ich werde kaum seufzen, weil ich sie ohne mich abreisen sehe, obwohl ich wahrscheinlich nie wieder eine solche Gelegenheit bekommen werde. Und in der Tat wird ihr häusliches Glück so groß sein, dass es nur natürlich ist, sich zu wünschen, daran teilhaben zu können.

Ich glaube, ich bin verhext! Als ich anfing zu schreiben, fasste ich den Entschluss, auf nichts zu drängen, aber meine Feder – oder eher: meine Gedanken lassen es nicht zu, dass ich mich danach richte, denn ich gebe zu, ich muss zugeben, ich kann nicht anders, als mir Ihre Erlaubnis zu wünschen. Ich bereue beinahe bereits, dass ich dieses Geständnis gemacht habe. Bitte vergessen Sie, dass Sie dies gelesen haben, falls Ihnen diese Reise missfällt. Aber ich werde nicht mehr weiterschreiben, denn je mehr ich über diese Angelegenheit nachdenke, umso weniger gleichgültig ist sie mir.

Leben Sie wohl, mein meistgeachteter, höchst verehrter und geliebter Vater! Denn bei welchem anderen Namen kann ich Sie nennen? Ich habe kein anderes Glück und keine Sorgen, keine Hoffnung oder Furcht außer dem, was Ihre Freundlichkeit oder Ihr Missfallen hervorbringen mag. Sie werden, da bin ich sicher, mir meinen Wunsch nicht abschlagen, ohne unwiderlegbare Gründe dafür zu haben, und deshalb werde ich mich Ihrer Entscheidung freudig fügen. Dennoch hoffe ich – ich hoffe, Sie werden in der Lage sein, mir Ihre Erlaubnis zur Mitreise zu geben.

Ich bin Ihre Ihnen mit der größten Zuneigung und Dankbarkeit verpflichtete

Evelina

 

Ich kann Ihnen gegenüber nicht mit Anville unterschreiben, und auf welchen anderen Namen mag ich Anspruch erheben?

Neunter Brief

Mr Villars an Evelina

Berry Hill, 28. März

Einer dringenden Bitte zu widerstehen, setzt eine Stärke voraus, die ich bisher nicht erworben habe. Ich berufe mich nicht auf die Autorität, dich deiner Freiheit zu berauben, sondern ich wünsche mich von einer Klugheit leiten zu lassen, die mich vor einer schmerzlichen Reue bewahrt. Deine Ungeduld, schnell an einen Ort zu gelangen, den dir deine Phantasie in solch verlockenden Farben ausgemalt hat, überrascht mich nicht. Ich kann nur hoffen, dass die Lebendigkeit deiner Einbildungskraft dich nicht täuscht. Dir deine Bitte abzuschlagen, würde deine Phantasie nur noch mehr beflügeln. Meine Evelina glücklich zu sehen, bedeutet, mich selbst wunschlos zu sehen. Geh also, mein Kind, und möge der Himmel, der allein dich leiten kann, dich beschützen und stärken! An ihn, meine Liebe, werde ich täglich meine Gebete für dein Glück richten. Oh, möge er dich behüten, über dich wachen, dich gegen Gefahren verteidigen, dich vor Elend bewahren und das Laster von dir genauso fernhalten wie von deinem Herzen! Und was mich betrifft, möge er mir den allergrößten Segen gewähren, dass ich meine alten Augen in den Armen jener schließen darf, die mir so teuer, so verdientermaßen lieb ist.

Arthur Villars

Zehnter Brief

Evelina an den Pfarrer Mr Villars

Queen Ann Street, London, Samstag, 2. April

Sind soeben angekommen. Gehen jetzt ins Drury Lane Theater10. Der gefeierte Mr Garrick spielt den Ranger11. Ich bin ganz aufgeregt. Miss Mirvan ist es auch. Was für ein Glück, dass er gerade jetzt spielt! Wir ließen Mrs Mirvan keine Ruhe, bis sie einwilligte hinzugehen. Ihr Haupteinwand galt unseren Kleidern, da wir bisher keine Zeit hatten, uns zu »londonisieren«, aber wir haben es geschafft, sie zu überreden, und so werden wir an einer dunklen Stelle sitzen, damit sie nicht gesehen wird. Was mich betrifft, so werde ich im öffentlichsten Teil des Hauses genauso unbekannt sein wie in dem privatesten.

Ich kann jetzt nicht mehr schreiben. Ich habe kaum Zeit zum Atmen – nur dieses eine noch: Die Häuser und Straßen sind nicht ganz so prächtig, wie ich erwartet habe. Wie auch immer, ich habe noch nichts zu sehen bekommen, so dass ich auch nicht urteilen sollte.

Also, leben Sie wohl, mein lieber Sir, für diesmal! Ich konnte einfach nicht anders, als Ihnen ein paar Zeilen direkt nach meiner Ankunft zu schreiben, obwohl ich annehme, dass mein Dankesbrief für Ihre Einwilligung immer noch unterwegs ist.

Samstagabend

Oh, mein lieber Sir, in welcher Verzückung bin ich zurückgekommen! Mit Recht wird Mr Garrick so gefeiert, so allgemein bewundert! Ich hatte keine Vorstellung von einem so großartigen Schauspieler.

Solche Leichtigkeit! Solch eine Lebendigkeit in seiner Wesensart! Solch eine Anmut in seinen Bewegungen! Solch ein Feuer und tiefer Sinn in seinen Augen! Ich konnte kaum glauben, dass er einen Text auswendig gelernt hatte, denn jedes Wort schien ein spontaner Einfall des Augenblicks zu sein.

Sein Handeln – so anmutig und ungezwungen! Seine Stimme – so klar, so melodisch und dabei so abwechslungsreich in ihrem Klang! Solche Lebhaftigkeit! Jeder Blick spricht!

Ich hätte alles dafür gegeben, das gesamte Stück noch einmal vorgespielt zu bekommen. Und als er tanzte! Oh, wie ich Clarinda12 beneidete! Ich wünschte mir beinahe, auf die Bühne zu springen und mich ihnen anzuschließen.

Ich fürchte, Sie werden mich für verrückt halten, deshalb werde ich nichts mehr sagen. Dennoch glaube ich wirklich, Mr Garrick würde Sie auch verrückt machen, wenn Sie ihn sehen könnten. Ich habe vor, Mrs Mirvan zu bitten, dass wir das Stück jeden Abend ansehen, solange wir in der Stadt sind. Sie ist ausgesprochen freundlich zu mir, und Maria, ihre bezaubernde Tochter, ist das liebste Mädchen auf der Welt.

Ich werde Ihnen jeden Abend alles schreiben, was am Tag passiert ist, und ich werde es so tun, wie ich es Ihnen erzählen würde, wenn ich Sie sehen könnte.

 

Sonntag

Heute Morgen waren wir in der St.-Pauls-Kirche13, und danach sind wir auf der Mall im St. James’s Park14 spazieren gegangen, die in keiner Weise meinen Erwartungen entsprach. Es handelt sich um einen langen, schmutzigen Kiesweg, sehr unbequem für die Füße, und an jedem Ende sind anstelle eines offenen Ausblicks nur Backsteinhäuser zu sehen. Als Mrs Mirvan mir den Palast15 zeigte, hätte ich, glaube ich, überraschter nicht sein können.

Trotzdem war der Spaziergang für uns sehr angenehm. Jeder machte ein vergnügtes Gesicht und wirkte zufrieden, und die Damen waren so aufwendig gekleidet, dass Miss Mirvan und ich nicht aufhören konnten, sie anzuschauen. Mrs Mirvan traf einige ihrer Freunde. Kein Wunder, denn ich habe noch nie so viele Menschen auf einmal versammelt gesehen. Ich schaute mich nach ein paar meiner Bekannten um, aber vergebens, denn ich sah seltsamerweise nicht eine einzige Person, die ich kannte, obwohl alle Welt dort zu sein schien.

Mrs Mirvan sagt, wir würden nächsten Sonntag nicht wieder in den Park gehen, auch wenn wir dann noch in der Stadt sein sollten, da es in Kensington Gardens16 bessere Gesellschaft gebe. Aber seien Sie versichert, wenn Sie gesehen hätten, wie aufwendig jedermann gekleidet war, würden Sie das nicht für möglich halten.

 

Montag

Heute Abend gehen wir auf einen privaten Ball, der von Mrs Stanley, einer sehr eleganten Dame aus Mrs Mirvans Bekanntenkreis, gegeben wird.

Wir haben heute den ganzen Morgen eine Einkaufsrunde gemacht, wie Mrs Mirvan es nennt, um Seidenstoffe, Hauben, Gaze und so weiter zu kaufen.

Die Läden sind wirklich sehr unterhaltsam, vor allem die Stoffhändler. Sechs oder sieben Herren scheinen jeweils zu einem Laden zu gehören, und jeder gab sich Mühe, durch Verbeugungen und Lächeln auf sich aufmerksam zu machen. Wir wurden von einem zum anderen weitergeleitet und von Raum zu Raum geführt, und dies mit solch einer Feierlichkeit, dass ich beinahe Angst hatte weiterzugehen.

Ich dachte schon, ich würde nie einen Seidenstoff aussuchen, weil sie so viele herbeibrachten, dass ich nicht wusste, für welchen ich mich entscheiden sollte, und jeden davon empfahlen sie so ernsthaft, dass ich vermute, sie dachten, mit der nötigen Überredung würde ich alles kaufen, was sie mir zeigten. Und sie gaben sich tatsächlich solche Mühe, dass ich mich beinahe schämte, es nicht zu können.

Beim Hutmacher waren die Damen, die wir trafen, so aufwendig gekleidet, dass ich eher gedacht hätte, sie wären zu Besuch, statt Einkäufe zu machen. Aber am meisten amüsierte mich, dass wir hauptsächlich mehr von Männern bedient wurden als von Frauen – und was für Männern! So geziert, so affektiert! Sie schienen jedes Detail eines Damenkleides besser zu kennen als wir selbst, und sie empfahlen Hauben und Bänder mit einer so hochwichtigen Miene, dass ich sie am liebsten gefragt hätte, wann sie aufgehört hätten, selbst welche zu tragen. Die Geschwindigkeit, mit der sie in diesen großen Geschäften arbeiten, ist erstaunlich, denn sie haben mir bis gegen Abend ein vollständiges Kleid aus Leinen versprochen.

Ich habe gerade meine Haare frisiert bekommen. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie eigenartig sich mein Kopf anfühlt, voller Puder und Haarnadeln und mit einem großen Polster obendrauf. Ich glaube, Sie würden mich schwerlich erkennen, denn mein Gesicht sieht völlig anders aus als zuvor. Wann ich wieder in der Lage sein werde, selbst einen Kamm zu benutzen, kann ich nicht sagen, da meine Haare so ineinander verwickelt sind – sie nennen das Toupieren –, dass ich fürchte, es wird äußerst schwierig werden.

Ich habe fast etwas Angst vor dem Ball heute Abend, denn ich habe, wie Sie wissen, außer in der Schule noch nie getanzt. Miss Mirvan sagt zwar, es sei mit dem Tanzen nicht weit her, aber ich wünschte trotzdem, es wäre schon vorüber.

Leben Sie wohl, mein lieber Sir, und bitte entschuldigen Sie das alberne Zeug, das ich schreibe! Vielleicht werde ich mich bessern, während ich hier in dieser Stadt bin, und dann werden meine Briefe weniger unwürdig sein, von Ihnen gelesen zu werden. In der Zwischenzeit bin ich die Ihnen gehorsam und herzlich zugetane, wenn auch »ungeschliffene«

Evelina

 

Die arme Miss Mirvan kann nicht eine einzige ihrer selbstgefertigten Hauben tragen, da man ihre Haare dafür zu breit frisiert hat.

Elfter Brief

Evelina, in Fortsetzung

Queen Ann Street, 5. April, Dienstagmorgen

Ich habe eine Menge zu erzählen und werde den ganzen Morgen mit Schreiben verbringen. Was meinen Plan angeht, jeden Abend die Ereignisse des Tages aufzuschreiben, stelle ich fest, dass er nicht durchführbar ist; die Veranstaltungen finden hier so spät statt, dass ich, wenn ich danach meine Briefe beginnen würde, überhaupt nie ins Bett gehen könnte.

Wir haben einen ganz außerordentlichen Abend verbracht. Einen privaten Ball hatten sie es genannt, und so erwartete ich, dort vier oder fünf Paare anzutreffen. Aber, Himmel! Mein lieber Sir, ich glaube, ich habe die halbe Welt gesehen. Zwei sehr große Räume waren voller Gäste; in einem befanden sich Kartentische für die älteren Damen, und in dem anderen waren die Tänzer. Meine Mama Mirvan, denn sie nennt mich immer ihr Kind, sagte, sie werde bei Maria und mir sitzen, bis wir beide mit Tanzpartnern versorgt seien, und sich dann den Kartenspielern anschließen.

Während die Herren vor uns auf- und abschritten, wirkten sie, als stünden wir ganz zu ihrer Verfügung und würden nur auf die Ehre ihrer Befehle warten. Und sie schlenderten in einer so gleichgültigen und trägen Art und Weise umher, als hätten sie die Absicht, uns zappeln zu lassen. Ich sage das nicht nur in Bezug auf Miss Mirvan und mich, sondern ganz allgemein für alle Damen. Und ich habe es als so ärgerlich empfunden, dass ich für mich selbst beschloss, weit entfernt davon, einem solchen Verhalten gegenüber nachzugeben, lieber überhaupt nicht zu tanzen als mit irgendjemandem, der zu glauben schien, ich wäre bereit, den ersten Tanzpartner zu akzeptieren, der sich herabließe, mich aufzufordern.

Nicht lange danach kam ein junger Mann, der uns einige Zeit mit einer Art von nachlässiger Unverschämtheit betrachtet hatte, auf Zehenspitzen auf mich zu. Er hatte ein aufgesetztes Lächeln im Gesicht, und seine Kleidung war so geckenhaft, dass ich wirklich glaube, er wollte sogar, dass man ihn anstarrte, und doch war er sehr hässlich.

Während er sich mit einer Art Schaukelbewegung beinahe bis zum Boden verbeugte und dabei mit der größten Selbstgefälligkeit eine ausladende Handbewegung machte, sagte er nach einer albernen kleinen Pause: »Madam! Darf ich bitten?« Dann hielt er inne, wobei er Anstalten machte, meine Hand zu nehmen. Ich zog sie weg, aber konnte mir kaum das Lachen verbeißen. »Erlauben Sie mir«, fuhr er fort, während er in affektierter Weise immer wieder seine Rede unterbrach, »die Ehre und das Glück – wenn ich nicht das Pech habe, Sie zu spät angesprochen zu haben –, das Glück und die Ehre zu haben –«

Wieder hätte er meine Hand genommen, aber ich neigte den Kopf, bat darum, mich zu entschuldigen, und drehte mich zu Miss Mirvan, um mein Lachen zu verbergen. Dann wünschte er zu erfahren, ob ich mich bereits irgendeinem glücklicheren Mann versprochen hätte. Ich sagte nein und außerdem, dass ich vorhätte, überhaupt nicht zu tanzen. Er werde sich, so erklärte er mir, freihalten, in der Hoffnung, ich würde noch nachgeben, und dann trat er, einige lächerliche Worte über Bedauern und Enttäuschung von sich gebend, den Rückzug an, während sein Gesicht weiter dasselbe aufgesetzte Lächeln trug.

Zufällig unterhielt Mrs Mirvan sich, wie wir uns nun erinnern, während dieses kleinen Gesprächs mit der Dame des Hauses. Und sehr bald danach wünschte ein anderer Herr, der ungefähr sechsundzwanzig Jahre alt zu sein schien, festlich, aber nicht geckenhaft gekleidet und in der Tat äußerst gutaussehend, mit einer Haltung, die eine Mischung aus Höflichkeit und Ritterlichkeit ausstrahlte, zu wissen, ob ich bereits vergeben sei oder ob ich ihn mit meiner Hand beehren würde. So geruhte er zu sprechen, obwohl ich ganz bestimmt nicht weiß, welche Ehre er von mir erlangen konnte, aber diese Ausdrucksweise wird offensichtlich als bloße Floskel verwendet, ohne jede Unterscheidung der Personen oder einen Gedanken daran, ob sie zutreffend ist.

Gut, ich verbeugte mich, und ich bin mir sicher, dass ich rot wurde, denn ich hatte in der Tat Angst bei dem Gedanken daran, vor so vielen Menschen zu tanzen, die mir zudem alle fremd waren, und das auch noch, was viel schlimmer war, mit einem Fremden. Das allerdings war unvermeidbar, denn obwohl ich mich mehrere Male im Raum umsah, konnte ich nicht eine einzige Person entdecken, die ich kannte. So nahm er also meine Hand und führte mich zum Tanz.

Die Menuette waren vorbei, als wir ankamen, da die Hutmacher uns auf unsere Sachen hatten warten lassen.

Er schien sehr darauf zu brennen, ein Gespräch mit mir zu beginnen, aber ich war von einer solch panischen Angst ergriffen, dass ich kaum ein Wort sprechen konnte, und nur die Scham darüber, so schnell meine Meinung zu ändern, hielt mich davon ab, zu meinem Platz zurückzukehren und das Tanzen überhaupt abzulehnen.

Er schien über meine Panik überrascht zu sein, die, glaube ich, nur allzu offensichtlich war. Trotzdem stellte er keine Fragen, obwohl ich fürchte, er muss meine Angst sehr seltsam gefunden haben, da ich es vorzog, ihm den Grund dafür, nämlich dass ich noch nie zuvor getanzt hatte außer mit einem Schulmädchen, nicht zu erzählen.

Seine Art, sich zu unterhalten, war einfühlsam und lebhaft. Was und wie er mit mir sprach, war offen und edel. In seinen Umgangsformen war er höflich, aufmerksam und überaus einnehmend. Seine Gestalt ist äußerst elegant, und seine Gesichtszüge sind die lebendigsten und ausdrucksstärksten, die ich je gesehen habe.

Innerhalb kurzer Zeit gesellte sich Miss Mirvan zu uns, die mit jemandem neben uns tanzte. Aber wie erschrak ich, als sie mir zuflüsterte, mein Partner sei ein Mann von Adel! Dies versetzte mich aufs Neue in Unruhe. Wie sehr, dachte ich, wird er sich beleidigt fühlen, wenn er herausfindet, was für ein einfaches Landkind er mit seiner Wahl beehrt hat! Eines, das in seiner Unwissenheit über die Welt fortwährend fürchtet, etwas Falsches zu tun!

Dass er in jeder Hinsicht so weit über mir stehen sollte, brachte mich völlig aus der Fassung, und Sie können sich vorstellen, dass mein Mut nicht sehr viel größer wurde, als ich eine Dame, während sie an uns vorüberging, sagen hörte, nun beginne der schwierigste Tanz, den sie je gesehen habe.

»Ach herrje«, sagte Maria zu ihrem Tanzpartner, »mit Ihrer Erlaubnis setze ich mich hin bis zum nächsten Tanz.«

»Und ich setze mich auch«, rief ich aus, »denn ich bin sicher, dass ich kaum mehr stehen kann.«

»Aber du musst zuerst mit deinem Partner sprechen«, entgegnete sie, denn er hatte sich zur Seite gedreht, um sich mit einem anderen Herrn zu unterhalten. Ich hatte jedoch nicht genug Mut, ihn anzusprechen, und so trippelten wir alle drei davon und ließen uns am anderen Ende des Raumes nieder.

Aber zu meinem Unglück ließ sich Miss Mirvan gleich darauf überreden, den Tanz doch einmal zu versuchen, und gerade in dem Moment, als sie sich zum Gehen erhob, sagte sie: »Meine Liebe, dort drüben ist dein Partner, Lord Orville. Er geht im Raum umher auf der Suche nach dir.«

»Dann verlass mich doch bitte nicht, meine Liebe!«, jammerte ich, aber sie war verpflichtet zu gehen. Nun war mir unbehaglicher als je zuvor. Ich hätte die ganze Welt dafür gegeben, Mrs Mirvan zu sehen und sie zu bitten, mich zu entschuldigen, denn was, dachte ich, könnte ich schon sagen als Entschuldigung für mein Davonlaufen? Er musste mich entweder für einen Dummkopf oder für halb wahnsinnig halten, denn keiner, der in der großen Welt aufgewachsen und an ihre Sitten und Gebräuche gewöhnt ist, kann sich eine Vorstellung von dieser Art Ängsten wie den meinen machen.

Meine Beunruhigung wuchs, als ich bemerkte, dass er mich überall suchte, und dies mit offensichtlicher Verblüffung und Befremden. Als ich ihn schließlich auf den Platz zukommen sah, an dem ich saß, war ich kurz davor, vor Scham und Verzweiflung zu versinken. Ich hielt es für vollkommen unmöglich, dort sitzen zu bleiben, da mir kein einziges Wort einfiel, das ich hätte sagen können, und so stand ich auf und ging schnellen Schrittes in Richtung Kartenraum mit dem Entschluss, den Rest des Abends bei Mrs Mirvan zu bleiben und überhaupt nicht mehr zu tanzen. Doch bevor ich sie finden konnte, sah mich Lord Orville und kam auf mich zu.

Er bat zu erfahren, ob mir nicht wohl sei. Sie können sich leicht vorstellen, wie verlegen ich war. Ich antwortete nicht, sondern ließ meinen Kopf hängen wie ein Dummkopf und sah auf meinen Fächer. Er fragte mit der respektvollsten, ernsthaftesten Miene, ob er so unglücklich gewesen sei, mich zu beleidigen.

»Nein, ganz und gar nicht!«, antwortete ich, und in der Hoffnung, das Thema zu wechseln und weitere Nachforschungen von seiner Seite zu verhindern, erkundigte ich mich, ob er die junge Dame gesehen habe, die sich mit mir unterhalten hatte.