Expedition Freiheit - Anna Dell'Anna - E-Book

Expedition Freiheit E-Book

Anna Dell'Anna

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Beschreibung

Expedition Freiheit - Unsere Auswanderung in die schwedischen Wälder erzählt die packende Geschichte einer Familie, die sich während der Corona-Pandemie einem mutigen Neuanfang stellt. Angesichts der unzumutbaren Bedingungen in Deutschland entscheiden sie sich spontan, ihr Leben auf den Kopf zu stellen und in die abgelegenen Wälder Schwedens zu ziehen. Mit packenden Schilderungen und einer tiefen Auseinandersetzung mit der Krise beschreibt das Buch, wie sich die Familie auf eine außergewöhnliche Reise begibt, um in der wilden Natur Schwedens ein neues Zuhause zu finden. Die Herausforderungen der Auswanderung, die Anpassung an ein neues Leben und die Liebe zur Natur stehen im Mittelpunkt der Erzählung. Durch die lebhaften Erzählungen wird der Leser in die Abenteuer der Familie hineingezogen, die sowohl die Strapazen als auch die Freuden eines Neubeginns erleben. Die intensiven persönlichen Erfahrungen bieten einen tiefen Einblick in den Kampf um Freiheit und Selbstverwirklichung in unsicheren Zeiten. Sind Sie bereit, die Reise in die schwedische Wildnis mitzuerleben? Expedition Freiheit ist ein fesselndes Abenteuer, das sowohl das Herz als auch den Verstand anspricht und die Leser dazu einlädt, die eigene Vorstellung von Freiheit und Neuanfang zu hinterfragen.

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Wichtige Hinweise

Die im Buch veröffentlichten Empfehlungen wurden von der Verfasserin sorgfältig geprüft. Eine Garantie kann dennoch nicht übernommen werden. Ebenso ist die Haftung der Verfasserin und ihrer Beauftragten für Gesundheits-, Personen-, Sachund Vermögensschäden ausgeschlossen.

Für meine Kinder

Für Dich, Du freiheitsliebendes Herz

"Mut zur Veränderung führt zu innerem Wachstum.“

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Die Expeditions - Protagonisten

Gedankenkarussell

Good bye Tyskland

Kontrollen

Throwback • Reisegefühle

Ein 5000 Seelen Dorf

Fern - Heim - Weh

Unsere Erfahrungen während Covid-. 19

Covid - 19 und der Grundschüler

Maske, Schule und neue . Regularien

Unsere WG

Verbündete

Das Leben in der WG

Schwedenkrimi

Erschöpfung

Echte Verbindungen

Der Ursprung der Sehnsucht

Resümee von vier Wochen in Schweden

Waldliebe

Mein Leben mit den Pferden

Die Heilung meines . Heimwehs

Das Interview

Energieaufwand bei eigenen . Pferden

.

Etwas über Schweden

Hauskauf in Schweden

Unsere erste Hausbesichtigung

Das Haus am Wald

Schweden für Kinder . und Familien

Förskola

Skola

Autokauf in Schweden

Auch kein Paradies

Naturheilmittel

Chaga

Knoblauch . als Allheilmittel

Die Birke

Wir sind die Ausländer

Fremde

Sprache

Die Härte meines Bullerbüs

Am verlassenen Haus

Die ersten eigenen Hühner

Minus 35 Grad

Wir können sie . nicht alle retten

Zu Besuch in Deutschland

Första resa till Tyskland

Geerdet durch Herausforderungen

Ein Tag an dem nicht alles schief lief

Wenn man den Rutsch zu wörtlich . nimmt

Jänner - Resümee

Dauer - Home - Office als Paar

Nur die Harten kommen in den Garten

Zwischen . Himmel und Erde

Mutter Natur und ihre Jahreszeiten

Willkommen in meinem Kopf

Mutter Sein — Alltag

Erinnerungen

About Slow Living

Eisbaden • lebendig fühlen

Mental Health

Hebammerei

Will ich weiter als Hebamme arbeiten?

Finanzielle . Unabhängigkeit

Hausgeburtsbegleitungen

Schwangerschaftsversorgung

Achterbahn — März und echtes Bullerbü

Annabell

Tine

Mauzi

Mildred

E-Mail vom Gesundheitsamt

Interview mit Noam

Endlich Frühling

Abschließende Worte

Songliste

Danksagungen

Menschen unterstützen Menschen

Unsere Arbeit

Meine Freundschaft zum Illustrator

Über die Autorin

Prolog

„Es ist besser, in Freiheit zu sterben, als in Sklaverei zu leben."

Bob Marley

Für all jene, die den Mut finden, ihre Träume zu visualisieren, Ziele zu setzen und den Weg der Veränderung beschreiten.

Dieses Buch ist den Freiheitspionieren gewidmet – den Suchenden, den Visionären und denjenigen, die dem Frieden nachjagen. Möge euch „Expedition Freiheit“ inspirieren, ermutigen und daran erinnern, dass die Belohnungen der Freiheit oft jenen zuteilwerden, die den Weg des Einsatzes und der Veränderung mit Herz und Hoffnung beschreiten. Für all jene, die das Echte lieben.

Es war eine Zeit, geprägt von Unsicherheit und einem Wandel, den keiner kommen sah. Ein Land, das bereits geschwächt war, fand sich plötzlich in den Fängen von Regularien wieder: Covid-19 legte seine Hand auf Deutschland. Die Straßen waren still, die Menschen trugen Masken, wie ein stummer Ausdruck ihrer Sorgen. Während sich die Welt mit dieser neuen Realität abmühte, spalteten sich die Gesellschaften in Lager, getrieben von Hass und Argwohn unter dem Deckmantel der Solidarität.

Die Masken wurden nicht nur auf Gesichter gelegt, sondern auch auf Ansichten. Der Impfdrang legte sich wie ein Schatten über das geschwächte Land und die Einigkeit, die bereits verblasst war, zersplitterte weiter. In dieser Zeit der Veränderung, der Spaltung und des Drucks, wuchs eine Sehnsucht nach Freiheit – nach einem Leben, welches nicht von Vorschriften und Ängsten erstickt würde. Und so begann die Expedition Freiheit.

In den folgenden Seiten teile ich nicht nur unsere Reise von Deutschland nach Schweden mit, sondern auch die Höhen und Tiefen, die uns dazu trieben. Hier findest du Tipps zum Auswandern, sowie Erfahrungen des Lebens in einer Wohngemeinschaft, die sich zu einer Familie formte, während sich draußen die Welt in Unruhe befand.

Ich berichte von einem Leben im kühlen Norden, mit gesunden Rezepten, die uns wärmten und nährten, und von der Freude, die in der Einfachheit des Lebens und in der Natur zu finden ist. Ich erzähle von unserer Ankunft im Wald, wie ich mir meinen Kindheitstraum „Pferde am Haus“ erfüllte und die ersten eigenen Hühner unseren Hof bereicherten.

Doch dieses Buch ist nicht nur eine Beschreibung idyllischer Momente. Es zeigt Herausforderungen, die das Leben im Wald mit sich bringt, den Balanceakt zwischen dem Einklang mit der Natur und den ständig wechselnden Bedingungen, die uns aus der Komfortzone holten. Es gab Existenzängste, die in uns eindrangen, Jobsuchen, Unfälle und besonders — eine Suche nach dem wahren Selbst.

Es ist das Leben der Freiheit, welches uns herausforderte, uns forderte . Ein Leben, das nicht einfach war, nicht einfach ist, aber welches uns innere Ruhe schenkt. Das Gefühl, endlich angekommen zu sein, trotz der immer wiederkehrenden Ängste und Sorgen, die uns wohl schon in die Babywiege gelegt wurden.

Komm’ mit auf die Expedition Freiheit und entdecke, wie das Leben, welches nach Einsatz verlangt, die wahren Schätze der Freiheit birgt. Erfahre, wie Träume und Visionen durch Visualisierung, Zielsetzung und Durchführung zur Wirklichkeit werden. Entdecke, wie der Mut zur Veränderung honoriert wird — mit Freiheit, innerem Frieden und Selbstbestimmungsrecht.

Die Expeditions - Protagonisten

Noam, 2012 geboren, ist ein abenteuerlustiger und neugieriger Junge. Mit seiner Liebe für Entdeckungen hat er sich von Anfang an für die bevorstehende Reise in die schwedischen Wälder begeistert. Noam liebt es, neue Dinge zu lernen und neue Gegenden zu erkunden, was ihn perfekt für unser großes Abenteuer vorbereitet.

Violetta, mit den Kosenamen Vio oder Letti, ist unsere Jüngste, zum Zeitpunkt der Auswanderung gerade mal 10 Monate alt. Mit ihrem fröhlichen Lächeln und ihrem entschlossenen Wesen bringt sie jede Menge Tatendrang in unser Leben.

Christian, auch Chri genannt, ist mein Mann und unser Fels in der Brandung. Er ist ein sehr anpassungsfähiger Mensch, dessen Durchhaltevermögen und Entschlossenheit uns durch die herausfordernden Zeiten begleiten. Seine Unterstützung und sein handwerkliches Geschick sind unschätzbar für unsere bevorstehenden Projekte.

Und ich bin Anna. Als Mutter und Ehefrau fühle ich die Verantwortung für unsere kleine Familie, während ich gleichzeitig die Träume und Ziele von uns visualisiere.

Unser Entschluss, diesen radikalen Schritt zu wagen, ist getrieben von dem Wunsch, ein freies Leben für unsere Familie zu gewinnen. Gemeinsam bilden wir ein Team, das bereit ist, sich den Herausforderungen eines Neuanfangs zu stellen und die Freiheit zu suchen.

1
Gedankenkarussell

Good bye Tyskland1

Tagebucheintrag vom 05.07.2021

02:17 Uhr an unserem zweiten standesamtlichen Hochzeitstag.

Ich liege hellwach am Boden auf dem Matratzen - Topper. Jener, auf dem ich letztes Jahr Violetta gebar.

Chri's Atem ist rhythmisch bei normaler Lautstärke, die Kinderzimmer - Uhr tickt. Wenn ich ganz kräftig lausche, höre ich auch Violetta’s leises Atmen.

Ich kann nicht schlafen, schließlich begleitete ich Vio von 20:00 Uhr bis 23:30 Uhr ins Einschlaf - Stillen. Ich war ausgeschlafen.

Und außerdem hatten wir gebucht.

Um 0:14 Uhr am 05.07.2021 steht fest:

Die Finnlines - Fähre bringt uns nach Schweden, kommenden Freitag. Quasi gleich. Also noch genau vier Tage, bis wir im Auto Richtung Norden sitzen würden.

Mir rasen all die wilden Gedanken durch den Kopf, die mich die letzten eineinhalb Jahre begleiteten. Seit März 2020 war nichts mehr wie zuvor. Ich fühle mich wie in einem Karussell, mir wird schnell schlecht und die Bilder fliegen an mir vorbei.

Corona. Pandemie. Schwangerschaft. Home Office. Home Schooling. Home Birth. Home Searching. Home Lost.

Inbrünstig hoffe ich auf mein zuverlässiges Gedächtnis, damit ich all die letzten Lebenserfahrungen möglichst wahrheitsgetreu wiedergeben kann. Die Erfahrungen einer Zeit des spürbaren Umbruchs.

Eines ist sicher und ich möchte es an dieser Stelle mit aller Deutlichkeit erwähnen, egal was die nächsten 300 Seiten erzählen:

Ich liebe meine Kinder. Ich liebe meinen Mann. Ich liebe meine Familie. Sie sind das Wertvollste in meinem Leben!

Die Liebe erträgt alles.

Sie wird uns hindurch tragen, koste es, was es wolle.

Wieder zurück auf dem Geburtstopper.

Das Zimmer ist leer. Die Wohnung kahl. Nur noch wenige Dinge stehen unten im Wohnzimmer, die meine Mutter die kommenden Tage abholen wird, sodass die endgültige Schlüsselübergabe erfolgen kann. Wir haben in den letzten 24 Stunden jede Minute mit dem Ausräumen der Wohnung und dem Packen der Autos verbracht.

Heute war es noch einmal sehr emotional. Viele Freunde kamen vorbei, um uns zu verabschieden. Zwischen Kisten und Taschen, aufgewirbelten Erinnerungen und Wollmäusen flossen Tränen der Trauer. Wir wussten nicht, wann wir sie wiedersehen würden.

Irgendwie hallte auch so ein gewisses „ob“, wir sie überhaupt wiedersehen würden, mit. Aber das versuchte ich zu verdrängen. Man muss es ja nicht schwärzer sehen als es vielleicht war.

Kontrollen

Ich weiß nicht, warum das so ist, aber Polizeikontrollen machen mich supernervös. In meinem ganzen Leben hatte ich selten irgendeine Konsequenz bei Kontrollen zu befürchten. Ich bin eher eine der „braven Mädchen“ gewesen.

Doch Kontrolle löst ein Gefühl von Unsicherheit in mir aus. Ich bin überzeugt, dass dies über Generationen infiltrierte Angst sein könnte. Angst, erwischt zu werden. Selbst, wenn man nichts „verbrochen“ hat. Oder wie empfindest Du das?

Unsere Reiseroute führte uns über die A2 und A7, also unsere Heimatautobahnen, Richtung Fähre. Es ging von Travemünde nach Malmö.

Die erste Kontrolle fand am Ticketschalter statt. Zu der Zeit war ein Nachweis eines negativen Covid-19 Tests verpflichtend. Es war der erste und letzte Test, den wir bisher vorzeigen mussten. Wir haben über die gesamte Corona-Zeit etwaige Veranstaltungen, die Tests voraussetzten, boykottiert.

Zur Ausreise blieb uns nichts anderes übrig, als ein solches Exemplar auszustellen. Die Dame am Schalter schaute streng, klassischer Kontrolleur-Style eben. Sie hinterfragte nicht weiter, die Schranke öffnete sich. Puh. Durchatmen.

Bei der Überseefahrt war es für uns als Reisende mit Hund Pflicht, eine Schlafkabine zu buchen. Da die Strecke um die 9 Stunden dauern sollte, passte uns das trotz Tagfahrt sehr gut. So konnten wir uns abwechselnd ausruhen.

Am Abend fuhren wir von der Fähre in die Arme des Zolls. Der Fiat, in dem die Kids und ich fuhren, wurde durchgewunken. Aber Chri wurde mit dem Bulli rausgezogen. Pass und Fahrzeugpapiere wurden eingefordert und insbesondere interessierte die Zollbeamtin sich für den Hundeausweis. Wir hatten Buddy extra für die Ausreise gegen Tollwut impfen lassen. Diese Impfung ist bei Einreise in alle EU-Länder verpflichtend. Außerdem hatten wir ihn beim Zoll vorab angemeldet, welches ebenfalls von einigen Ländern vorgeschrieben wird. Also gab es diesbezüglich nichts zu befürchten. Auch lagen all diese wichtigen Dokumente im Bulli, so hatte ich es vorher organisiert.

Vor lauter Schlafmangel und Situationsnervosität fand Chri den Pass nicht. Er musste aussteigen, kramte in den Seitenfächern und öffnete die Schiebetür, um dort weiterzusuchen. Der Bulli war bis an die Oberkante - Unterlippe voll bepackt. Es wäre ein schier fürchterliches Szenario diesen auspacken und wieder einpacken zu müssen. So erklärte er ihr nebenbei, dass wir die nötige Impfung extra durchgeführt hätten und die Unterlagen vielleicht bei mir im Auto, einige Fahrzeuge hinter ihm, sein könnten. Als die Dame vom schwedischen Zoll sah, wie randvoll der Bulli gepackt war und wie lang die Schlange hinter ihnen wurde, ließ sie Gnade walten und Chri durfte ohne den Ausweis vorzuzeigen, weiterfahren.

Fazit: Wir hätten Buddy praktisch gar nicht impfen lassen müssen. Aber das Risiko würde ich nicht empfehlen einzugehen. Denn kontrolliert haben sie uns, wenn auch nicht gründlich.

Als wir uns wenig später am Straßenrand vom Hafen wiederfanden, klopften unsere Herzen vor Aufregung. Die Luft roch nach Abgasen und Meersalz. Wir waren auf schwedischem Boden. Die erste Etappe war geschafft. Die Expedition Freiheit konnte beginnen.

Throwback • Reisegefühle

„Wir müssen Sicherheit ausstrahlen. Und wenn wir selbst keine haben, Zuversicht."

Wir sind von der Fähre runtergefahren, durch den Zoll gekommen und haben mit einem Regentanz auf schwedischem Boden gefeiert. Nach diesem kurzen Adrenalin-Kick und Navi-Update setzten wir unsere Reise fort. Relativ schnell kamen Gefühle der Trauer zurück. Violetta wurde zunehmend unruhig und wir mussten erneut halten.

Südschweden. Wenige Kilometer von Malmö entfernt, das Wetter grau, die Gegend trist. Keine Hügel aber weite Felder und Regenwolken. Unsere Tränen waren kaum zu sehen, waren unsere Gesichter doch schon nass vom Himmel.

Auf dem Arm beruhigte Vio sich etwas. Ich fühlte mich beklommen. Chri umarmte uns. Ich sah in seine roten, geschwollenen Augen. Er flüsterte mir zu: „Wir müssen Sicherheit ausstrahlen. Und wenn wir selbst keine haben, Zuversicht.“

Noam saß noch im Auto, wartete auf die Weiterfahrt. Was hatten wir uns dabei gedacht? Nun standen wir mit zwei Fahrzeugen voll bepackt, all unserem Hab & Gut, den Kindern und einem treuen Vierbeiner in einem fremden Land. Ohne Sprachkenntnisse. Ohne überhaupt irgendeinen richtigen Plan.

Vio durfte noch etwas auf dem Fahrersitz spielen und Buddy am Feldrand stöbern, bis wir unsere Reise fortsetzten. Schweren Herzens. Übermüdet. Unruhig, was uns in der neuen Umgebung erwarten würde.

Ein 5000 Seelen Dorf

Die Fahrt durch die Nacht war schlichtweg krass. Wir waren so oft sehr müde. Die Straßen langweilig und leer, das Wetter regnerisch. Immer wieder, wenn ich das Gefühl hatte, den vom Regen verschwommenen Rücklichtern des Bullis nicht mehr folgen zu können, rief ich Chri an und wir hielten uns am Telefon gegenseitig wach. Manchmal half das Fenster öffnen, laute Musik hören oder Snacks essen. Schätzungsweise habe ich während der rund 8 Stunden Fahrtzeit mehr als 2500 kcal Schokolade verdrückt. Doch manchmal nützte alles nichts und wir mussten halten und schlafen. Powernaps auf Rastplätzen. Klingt gruselig, war es aber nicht. Ich war zu erschöpft, um mir Sorgen zu machen.

Da wir durch die Nacht fuhren, schliefen die Kinder die meiste Zeit. Ab und an wurde Vio wach und wollte trinken. So musste ich öfters halten, rutschte zwischen den Vordersitzen nach hinten und beugte mich über sie, um zu stillen. Sie war erst 10 Monate alt. Das lange Sitzen im Autositz störte sie ziemlich. Auch, weil sie es gewohnt war zum Pipi machen abgehalten 2 zu werden. Also meldete sie sich natürlich auch, wenn sie mal musste. Die Fahrt zog sich wie ein Kaugummi. Wir wollten schneller sein, waren es aber nicht. Rückblickend verstehe ich nicht, warum wir es nicht ruhiger haben angehen lassen. Doch irgendetwas trieb uns unentwegt voran. Wir waren innerlich unruhig und sehnten uns nach Ankunft.

Ungefähr 30 Kilometer vor dem Ziel mussten wir erneut halten. Die Augen waren so schwer, doch wir freuten uns über das erste Straßenschild mit „Kopparberg“. Der Ort, in dem ein Mietshaus auf uns wartete. Es war gegen 5:30 Uhr am Morgen, die Sicht nebelig und Nieselregen tropfte auf unsere Gesichter. Links von uns lag ein großer See. Wir konnten es kaum glauben, gleich hatten wir es geschafft. Ich fror, doch die frische Luft weckte meinen müden Körper etwas auf. Es mussten um die 15 Grad gewesen sein. Dann ging es weiter. Auf den letzten Metern zum Haus kamen wir an einem kleinen Pferdehof vorbei. Ich freute mich, die Ponys auf den Wiesen grasen zu sehen. Schon witzig, dass zwei Monate später meine eigenen Pferde dort wohnten. Alles fügte sich und alles hatte einen Anfang. Ich kann mich noch immer sehr gut an diesen Blick auf den Hof und die Pferde erinnern.

6:00 Uhr — Wir waren endlich angekommen.

Vor uns stand ein sehr großes, gelbliches Steinhaus. Gleich daneben ein Zweiparteienhaus, ebenso groß mit ähnlich hässlicher Fassade. Also nichts mit typisch Schwedenhaus-Style. Aber das war weniger schlimm, denn wir wussten bereits von Bildern, wie das Haus aussehen würde. Es gab eine andere Problematik:

Wir hatten keinen Schlüssel. Es war vereinbart, dass der Schlüssel hinterlegt werden würde, doch wir fanden keinen. Am Ziel zu sein, aber nicht reinzukommen… Nach einer 28 stündigen Reise, komplett übermüdet und dem starken Drang ein großes Geschäft verrichten zu müssen… Yes, das war meine Situation.

Wie gern ich mich auch einfach in ein Bett gelegt hätte, nach dem Toilettengang, versteht sich. Mir tat alles weh. Es nützte nichts, wir mussten nach einem stillen Örtchen für mich suchen. Die Vermieterin ließ mit einer Antwort auf sich warten. So fuhren wir umher und hielten am Ende einer Wohnsiedlung an einem Weg in den Wald. Dort fand ich Erleichterung.

Witzige Sidenote: Obwohl es bei unserem Mietshaus um die Ecke gewesen sein muss und das Dorf wirklich superklein ist, konnte ich diese Stelle nie wiederfinden. Bis heute, obwohl ich die Gegend dort inzwischen wie meine Westentasche kenne, fehlt mir jegliche Erinnerung an den Platz meines „ersten Geschäfts“ in Schweden. Verrückt, oder? Ich habe grundsätzlich ein super fotografisches Gedächtnis, brauche selten ein Navi, wenn ich eine Strecke nur einmal vorher gefahren bin. Doch vermutlich war ich komplett erschöpft und zu keiner Abspeicherung einer imaginären Orientierungskarte fähig.

Während wir auf eine Antwort von der Vermieterin warteten, erkundeten wir das Dorf. Es schien der Hund verfroren zu sein, niemand war auf den Straßen. Ein kleiner Kiosk hatte geschlossen, der Supermarkt öffnete um 7:00 Uhr. So fuhren wir noch ein wenig umher, um danach ein Frühstück einzukaufen. Ich hoffte auf gute Backwaren, doch dem war nicht so. Ziemlich schnell mussten wir lernen, dass jedes Land seine eigenen Spielregeln in Sachen qualitative Lebensmittel hat. Die wenigen Menschen, die wir trafen, waren sehr ruhig. Alles war sehr leise, das Dorf hatte ein tristes Flair. An mehr erste Eindrücke kann ich mich nicht erinnern.

Aufgrund einer glücklichen Fügung hatte ich in Deutschland bereits Kontakt zu einer deutschen Familie bekommen, die auch nach Kopparberg gezogen waren. Während der Reise schrieb ich mit ihnen und wir bekamen das Angebot, ab 9:00 Uhr zu ihnen kommen zu können, bis der Schlüssel hinterlegt wurde. Wir könnten in ihrem Campingwagen schlafen und die Kinder spielen. Uns blieben nur wenige andere Optionen und der Drang nach einem Erholungsschlaf vereinfachte uns die Entscheidung. Dankend nahmen wir das Angebot an und machten uns auf den Weg. Sie lebten etwas außerhalb der Stadt, oder um ehrlich zu sein: Sie lebten tief im Wald. Anfangs konnten wir nicht glauben, auf der richtigen Route zu sein, denn es war eine kilometerlange Schotterstraße durch das Nirgendwo. Christian echauffierte sich über die Steine, die an die Autos sprangen und ermahnte mich, langsamer zu fahren. Die Nerven lagen blank.

Noam war der Überzeugung einen Bären gesehen zu haben, welcher in Wirklichkeit eine riesige Baumwurzel war. Doch seine Wahrnehmung wollte nicht weichen und so sollte „die erste Bären Sichtung in Schweden“ zum Running Gag werden.

Es war aufregend, keine Frage. Doch ich muss wirklich betonen, dass es vor allem eins war: kräftezehrend. Gefühlt hatte ich keine Energie, um auch nur noch einen Meter zu fahren. Ivo, der Familienvater, kam uns mit seinem Bulli entgegen, so mussten wir nicht länger umherirren, wenngleich wir auf der richtigen Straße waren. Es fühlte sich so viel besser an, hinterherfahren zu können. Die gesamte Strecke von unserem Mietshaus bis zum Ziel im Wald dauerte ungefähr 25 Minuten, fühlte sich aber wie eine Stunde an.

Auf dem Hof unserer zukünftigen Freunde angekommen, konnten wir uns endlich ausruhen. Ich erinnere mich noch sehr gut an das Gefühl, als wir aus dem Auto stiegen: Cathy empfang uns mit offenen Armen und ihre Kinder rannten uns entgegen — ein wirklich herzliches Willkommen. An dieser Stelle nochmal ein großes Dankeschön an Cathy & Ivo für eure Unterstützung. Diese erste Begegnung in einem fremden Land hat uns ein Gefühl von Zuversicht gegeben.

Es war schwül - warm und überall Kriebelmücken. Wir konnten etwas schlafen, doch weckte mich nach kurzer Zeit die stickige Luft im Campingwagen. Die Mittagssonne knallte durch die Scheiben, ich hatte Kopfschmerzen. Wir erhielten endlich eine Nachricht, dass der Schlüssel nun hinterlegt wurde, mit einem genauen Bild dazu. Cathy lud uns noch zum Mittagessen ein und dann ging es endlich in unser neues Zuhause.

Das Haus übertraf all unsere Erwartungen. Wir hatten Bilder von den Räumen gesehen und wurden nicht enttäuscht. Es schien, dass es länger nicht bewohnt worden war, denn es musste noch etwas nachgeputzt werden. Aber die Größe des Hauses und Einrichtung der Möbel bot uns viele Möglichkeiten. Planmäßig sollten wir nicht allein dort leben, sondern erwarteten einige Wochen später noch eine weitere Familie. Dazu habe ich mehr in Kapitel 3 — unsere WG — geschrieben.

Trotz Müdigkeit luden wir Bulli und Auto komplett nach unserer Ankunft aus. An sich eine gute Sache, Dinge direkt zu erledigen. Doch aufgrund der Erschöpfung unterlief uns ein großer Fehler:

Chri legte aus unerfindlichen Gründen den Bullischlüssel auf dem Bullidach ab und vergas ihn dort. Wir suchten wochenlang. Gott sei Dank hatten wir einen Ersatzschlüssel, aber dennoch war es ziemlich ärgerlich. Ihr glaubt nicht, wann wir fündig wurden:

20.09.2021, gute zwei Monate später. Wir sind also mehrere Male kilometerweit mit dem Schlüssel eingeklemmt zwischen Dach und Heckklappe durch die Gegend gefahren. Eines Morgens schaute Chri randomly aus dem Küchenfenster, herunter auf den Bulli, und sah den Schlüssel dort hängen. Die Geschichte war für uns zum Schreien komisch. Oder auch einfach zugehörig zur Kategorie: Gnade. Göttliche Gnade im Leben bei dümmlichen Taten.

Wir fingen an unsere Sachen in dem Haus zu verteilen und versuchten uns die ersten Tage einzuleben. Die Jungs mähten das Grundstück, welches eine Mammutaufgabe darstellte, da das Gras ziemlich hochgewachsen war. Der Garten war verwildert, Violetta und ich pflückten Johannisbeeren. Obwohl das Haus neun Schlafzimmer hatte, schliefen wir zu Beginn in zwei kleinen Räumen, dicht an dicht gedrängt. Es war für mich ein komisches Gefühl in einem so großen Haus in der Fremde allein zu sein. Da ich keinen Rausfallschutz für Vio hatte, legten wir die Matratzen auf den Boden und schliefen dort. Wochen später erkannten wir, wie bequem die Betten waren und schoben diese zusammen. Rückblickend betrachtet haben wir viele Dinge strukturlos gemacht. Wir waren durch den Wind, lebten in den Tag hinein.

Als Familie mit einem Krabbelkind und einem Schulkind ist der Alltag ohnehin schon durcheinander, zumindest für uns. Chri hatte Elternzeit genommen, so konnten wir die Kinder zusammen begleiten und Aufgaben aufteilen. Wir erkundeten die Gegend, gingen das erste Mal im See schwimmen und durch die Wälder spazieren. Die Natur war an vielen Stellen unberührt und verwunschen.

An einem großen See fanden wir ein Hausboot. Ich war mir unsicher, ob wir es betreten sollten, es schien eindeutig privat zu sein. Die Jungs waren sehr neugierig und die Neugierde juckte ihnen unter den Fingern. Plötzlich kam ein Auto angefahren und ich fühlte mich direkt ertappt. Es war tatsächlich der Besitzer des Hausbootes. Er wollte nur eine Flasche Wein holen und lud uns bereitwillig ein, auf sein Hausboot zu gehen und dort im See zu baden. Wir waren begeistert von seiner freundlichen, lockeren Art. Unser erster Kontakt mit einem waschechten Schweden. Wir dachten: So sind bestimmt alle Schweden! Freundlich, offen, locker. Jedenfalls war das ein echt schöner Schwedensommerstart.

Die Tage vergingen wie im Fluge, aber so richtig Struktur hatten wir noch nicht. Mir ging es psychisch oft nicht gut. Zu sehr war ich emotional mit der Auswanderung beschäftigt.

Fern - Heim - Weh

Tagebucheintrag nach einer Woche

Sieben Tage sind bereits vergangen, seit wir final unser Leben umgekrempelt, eingetütet und von Grund auf verändert haben. Von so vielen Dingen getrennt; via Entsorgung, Verschenken und Verkaufen. Von einigen Menschen mit bleischweren Herzen getrennt, etliche Tränen vergossen und doch nochmal andere Möglichkeiten überdacht.

Denn, so ganz genau betrachtet sind die Gründe - unsere Liebe zur Natur, in Ruhe leben können und so - deutlich weniger bedeutsam für diesen unglaublichen Schritt ins Ausland zu gehen. Es ist primär und sekundär die politische Lage in der Heimat und die daraus resultierenden Lebenseinschränkungen, insbesondere für die Kids. Nichts anderes.

Wenn ich könnte, würde ich sofort zurückkehren. Selbst wenn die Rückreise tausende von Euros kosten würde. So sehr fehlen mir meine Vertrauten, wenn gleich auch meine Engsten bei mir sind.

Ich vermisse meine Mama. Ich vermisse mein Pferd.

Ich vermisse meine liebsten Freundinnen und ja, auch unsere Wohnung. Die vertraute Umgebung.

Tagebucheintrag 24.07.2021

Was ist eigentlich schlimmer: Heimweh oder Fernweh?

Wenn ich darüber nachdenke, wie sich unser Zuhause in Porta anhört, die Treppen rauf und runter, die Türen auf und zu. Der letzte Hall, als die Möbel schon weg waren...

Wenn ich mich an den Geruch zurückerinnere...

Wenn ich an die Geburt denke oder auch an die abendlichen Vorbereitungen im kleinen Zimmer...

Wenn ich das Klacken der Terrassentür im Ohr habe, das Rascheln vom Kippendrehen der Nachbarn und Klacken der Box...

Wenn ich Bilder sehe von den Pferden...

ja, dann rollen die Tränen.

Heimat, all das ist Heimat für mich. All das ist weg.

Ich besinne mich aufs Wesentliche; auf meine Kinder und auf meinen

Mann. Sie sind bei mir. Wir sind zusammen.

Ich denke an meine Mutter und wie sie duftet. An meine Freundinnen, an all ihr Lachen, ihre warmen Hände.

Und jetzt sitze ich hier mit dicken Tränen auf den Wangen in einem fremden Land, auf einem fremden Sessel, in einem fremden Haus. Es ist 22:11 Uhr und noch immer sehr hell. Die Dämmerung setzt erst langsam ein.

War all das die richtige Entscheidung?

Ich habe Angst die jeweiligen Gefühle der einzelnen Situationen bei dieser Reise zu vergessen. Die Emotionen rund um unsere Auswanderungen fühlen sich so tiefgehend an.

Das Telefon klingelt: Mein Cousin ruft an. Ich glaube, ich kann Anrufe seinerseits an einer Hand abzählen. Wir sind so weit fein miteinander, haben aber auch keine enge Beziehung. So war ich also sehr verblüfft seinen Namen auf dem Display zu sehen. Er erkundigte sich wie die Lage sei, wie es uns so erginge, in der Fremde. Ehrlich wie ich bin, habe ich ihm von meinem kleinen aktuellen Gefühlstief erzählt. Ich konnte ihn durchs Telefon schmunzeln hören. Emotionen sind nicht so sein Ding. Also klopfte er mir imaginär auf die Schulter und schlug vor, anstelle vom Trübsal blasen doch lieber das Abenteuer zu genießen. Nun, womöglich hatte er recht. Doch konnte ich ebenso wenig glauben, dass er auch nur ansatzweise begreifen konnte, dass diese Reise weniger eine Vergnügungsfahrt für uns war, sondern triftige Gründe uns dazu trieben.

Ich kann mich nicht entsinnen, jemals den Wunsch gehegt zu haben, in den Norden zu ziehen. Generell fühlte ich mich in Deutschland vor 2020 recht wohl. Heimat eben. Natürlich reiste ich gern, vorzugsweise ans Mittelmeer. Doch nun war eben alles anders. Schweden hat den Ruf eines Bullerbü-Lebens, endlosen Wäldern und zahlreichen Seen. Könnte also schlechter sein. Wie auch immer, diese Situation, in einem fremden Haus und Land mit Heimweh zu kämpfen, erdrückte mich beinah. So tief gefühlt und gleichzeitig schnell gelebt hatte ich bislang noch nie.

1 Tyskland ist die schwedische Übersetzung für Deutschland

2 "Abhalten" in der Elimination Communication (EC) bezieht sich darauf, dass Eltern frühzeitig die Bedürfnisse ihres Babys erkennen und es zur Ausscheidung halten, anstatt eine Windel zu verwenden.

2
Unsere Erfahrungen während Covid-19

„Der Kopf ist rund, damit das Denken seine Richtung ändern kann“.

Francis Picabia

Ich schreibe diese Zeilen gute eineinhalb Jahre später. Dennoch kann ich mich extrem gut erinnern und nachfühlen, wie es war. Der letzte Tag in unserem Zuhause in Porta, die letzte Nacht. Es waren nur noch knappe zwei Stunden bis zum Aufstehen. Wir hatten bis auf die letzte Minute gepackt. Der Bulli erwies sich erneut als absolutes Raumwunder, wir bekamen mehr mit als gedacht. Auch der Fiat Punto war bis auf Oberkante-Unterlippe voll. Ein total verrücktes Gefühl mit seinem, ja beinah einzigem Hab und Gut das Land zu

verlassen. Es unterstrich den Begriff „Flucht“. Zugleich schob sich aber auch eine Art Dekadenz unter. Ich vermute „Auf - der - Flucht - Reisende“ nehmen bestimmt nicht so viel Zeugs mit. Genau wusste ich es natürlich nicht.

Dinge wie Fotoalben und Lieblingsmöbelstücke hatten wir bereits bei unseren Eltern eingelagert. Alles, was wir in den nächsten drei Monaten nicht dringend brauchten, blieb in Deutschland. Winterkleidung hatte ich verstaut, sodass sie in Kisten zu gegebener Zeit mit den ersten Besuchern oder der Post zu uns gesandt werden konnten. Ich erinnere mich noch gut an meinen Alltag zwischen Umzugskartons, Baby abhalten und stillen, Dinge auf Vinted posten und nach Eingang der Moneten das Päckchen im Kinderwagen zur kleinen Postfiliale im Dorf chauffieren.

Nach wiederholten Gängen kam es unweigerlich zu einem Gespräch mit der netten Dame, die in ihrem kleinen Laden Second-Hand-Ware verkaufte und diesen als DHL-Filiale nutzte. Sie fragte, wohin die Reise denn gehen würde, als ich erwähnte, dass wir aufgrund eines bevorstehenden Umzugs aussortierten.

Es war eine Zeit, in der ich mich nicht mehr sicher fühlte, meine Meinung, Gedanken oder etwaige Pläne zu teilen. Es war eine Zeit, in der die Regierung zum Verpetzen aufrief, falls der Nachbar sich nicht an die aktuellen Bestimmungen hielt. Sicher, unser Vorhaben war keineswegs gesetzwidrig. Aber unsere Intention womöglich riskant. Riskant geäußert zu werden. Wir würden auffallen, wenn wir es nicht eh bereits waren. Denn wir waren eine der wenigen Familien im Dorf, die zum Beispiel keinen Mundschutz zum Einkaufen trugen. Wir hatten ärztliche Bescheinigungen darüber, dass wir die Maske nicht tragen konnten, um auf der vermeintlich rechtlich sicheren Seite zu stehen. Und ja, tatsächlich hatte jeder von uns einen ärztlich triftigen Grund. Aber ist es nicht perfide, dass man für mögliche Akzeptanz hätte blankziehen und seine Krankengeschichte hätte erzählen müssen? Und auf der anderen Seite, wie schlimm kann es werden, wenn Gründe, die möglicherweise nicht ärztlich abgesegnet werden würden, einfach nicht zählen. Die Freiheit nicht mehr besteht, für seinen eigenen Körper selbstbestimmt Entscheidungen zu treffen? Und das alles unter dem Deckmantel der Solidarität - für den Schutz des Mitmenschen. Man war ein „Superspreader“, wenn man keine Maske trug. Eine Gefahr für Deine Mitmenschen. Eine Gefahr für die Bevölkerung. Ignorant, egoistisch und ganz schnell rechtsradikal. Ja, mit dem Aufbäumen gegen die Regularien der Regierung oder besser: mit dem „Ich - mach - da - nicht - mit“ Sticker auf der Stirn wurde man plötzlich zum Nazi tituliert. Leute, was war da los?

Wie war das nochmal im Jahr 2020, als eine Maskenpflicht und Impfempfehlungen mehr Gewicht bekamen, als die Würde des Menschen?

Vielleicht ist es überheblich von mir oder du empfindest Wut im Bauch bei dem Vergleich der Würde des Menschen und einer Regularie in Form von einer Maskenpflicht.

Es ist nicht so, dass ich keine Angst vor Corona hatte. Natürlich hatte ich Angst. Niemand wusste, was da Anfang 2020 auf uns zukam. Oder besser: niemand wusste, was passierte. Und mit niemandem meine ich besonders Dich und mich. Die Bevölkerung, die Menschen.

Was passiert, wenn man aus Angst handelt? Wie fühlt sich das an, durch seine Ängste missbraucht zu werden? Nichts anderes ist doch passiert: Panikmache sondergleichen. Wenn sich dieser Sturm auf die ersten Monate begrenzt hätte, in denen ja nun wirklich niemand richtig verstand - okay. Absolut menschlich.

Das Ausmaß der Bestimmungen rund um die Covid-19 Geschichte wurde so gravierend, dass Hass und Argwohn, Angst und Panik in die Herzen der Menschen gesät wurden. Spaltung der Gesellschaft, Spaltung von Familien. Und wir alle wissen, wie verwundbar es sich anfühlt, wenn man gespalten ist.

Es muss so um die 24. Schwangerschaftswoche gewesen sein, als ich im WEZ mit Maske unter der Nase einkaufen war. Es war die Zeit der Stoffmasken, also handgenähte mit hübschem Muster, die als zugelassener Schutz galten. Es gab zu dem Zeitpunkt nicht genügend klinische Mundschutze für die ganze Bevölkerung, also machten es sich viele Kleinkunsthandwerker zur Aufgabe selbst Masken zu nähen und zu verteilen. Alles im Namen der Solidarität und des Business, denn etwas Kleingeld sprang dabei auch heraus. Fast so wie bei den Großkonzernen, die später die Masken und Tests verkauften, nur eben in deutlich kleineren Summen.

Natürlich war mir bewusst, wie eine solche Maske zu tragen sei und ich selbst fand es immer unmöglich und finde es nach wie vor Panne, wenn ich sehe, wie manch einer den Mundschutz verwendet. Als Hebamme wurde ich in Sachen Sterilität geschult. Mit Sterilität hatte die Maskenära im Rahmen der Covid-19-Politik leider null zu tun.

Dennoch: Ich war schwanger, deutlich sichtbar, bekam nur sehr schwer Luft unter der Maske und trug sie im Gang der Erdbeermarmeladen kurz unter der Nase. Da kam doch glatt eine andere Kundin mit den Worten: „Na so wie Sie diese tragen, schützt es aber nicht.“ Ich bin immer so baff, wenn Leute mich direkt ansprechen. Ich konnte grad noch so hervorbringen, dass ich schwanger sei, bevor meine Brille beschlug und die Ohren rot vor Scham und Wut wurden. Die Kundin antwortete nur kurz „Achso“ und dampfte ab. Leute, das war nichts Großes. Aber es hat sich fürchterlich angefühlt. Es sollte auch erst der Anfang von Ausgrenzung und Anfeindungen sein.

Kurz vor Geburt unserer Tochter überschlugen sich die Schlagzeilen rund um Kundgebungen und Spaziergängen, die vom Volk aus organisiert und durchgeführt wurden. Man wollte rund um die