Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Seit 2020 gibt es nur noch einen Expertenstandard Schmerzmanagement in der Pflege: Er umfasst das pflegerische Wissen zu akuten und chronischen Schmerzen. Und er entstand auf Wunsch der Pflegekräfte, die den Schmerzpatienten das Leben so gut wie möglich erleichtern möchten. Doch auch bei der Neuauflage dieses Buches gilt: Nach wie vor müssen Pflegekräfte die individuelle Schmerzsituation von Patienten und Bewohnern erkennen und systematisch erfassen können. Es gehört zu ihren Aufgaben, zwischen akuten und chronischen Schmerzen zu unterscheiden und individuelle pflegerische Maßnahmen zu planen und dokumentieren zu können. Dieses Buch stellt nicht nur den Expertenstandard zum „Schmerzmanagement in der Pflege“ vor, sondern integriert auch Teile der aktuellen Qualitätsprüfungs-Richtlinien. Viele Fallbeispiele für stationäre, ambulante und teilstationäre Einrichtungen machen das Buch zu einem handlichen und praktischen Ratgeber.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 152
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Stefanie Hellmann ist Diplom-Pflegewirtin (FH), Dozentin, Heimleiterin und staatlich examinierte Altenpflegerin.
Rosa Rößlein ist Gerontologin (M.Sc.), Diplom-Pflegewirtin (FH) und Mitarbeiterin beim Medizinischen Dienst Bayern.
»Ein gutes Schmerzmanagement ist die Basis aller Lebensqualität.«
STEFANIE HELLMANN
pflegebrief
– die schnelle Information zwischendurch Anmeldung zum Newsletter unter www.pflegen-online.de
Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National-bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar.
ISBN 978-3-8426-0882-5 (Print)ISBN 978-3-8426-9156-8 (PDF)ISBN 978-3-8426-9157-5 (EPUB)
3., aktualisierte Auflage
© 2022 Schlütersche Fachmedien GmbH, Hans-Böckler-Allee 7, 30173 Hannover,www.schluetersche.de
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wurde in diesem Buch häufiger die männliche Form gewählt, nichtsdestoweniger beziehen sich Personenbezeichnungen gleichermaßen auf Angehörige des männlichen und weiblichen Geschlechts sowie auf Menschen, die sich keinem Geschlecht zugehörig fühlen.
Autorinnen und Verlag haben dieses Buch sorgfältig erstellt und geprüft. Für eventuelle Fehler kann dennoch keine Gewähr übernommen werden. Weder Autorinnen noch Verlag können für eventuelle Nachteile oder Schäden, die aus in diesem Buch vorgestellten Erfahrungen, Meinungen, Studien, Therapien, Medikamenten, Methoden und praktischen Hinweisen resultieren, eine Haftung übernehmen. Insgesamt bieten alle vorgestellten Inhalte und Anregungen keinen Ersatz für eine medizinische Beratung, Betreuung und Behandlung.
Etwaige geschützte Warennamen (Warenzeichen) werden nicht besonders kenntlich gemacht. Daraus kann nicht geschlossen werden, dass es sich um freie Warennamen handelt. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der gesetzlich geregelten Fälle muss vom Verlag schriftlich genehmigt werden.
Lektorat: Claudia Flöer, Text & Konzept Flöer
Covermotiv: StockVector – stock.adobe.com
Covergestaltung und Reihenlayout: Lichten, Hamburg
Vorwort
1Schmerzmanagement – Vom Erkennen zur Behandlungsplanung
2Das Trio: QPR, Bewertungssystematik und Expertenstandard
2.1QPR Teil 1a – Ambulante Pflegedienste
2.2QPR Tagespflege
2.3QPR vollstationäre Pflege
2.4Auszüge aus den Qualitätsprüfungs-Richtlinien bezogen auf den Expertenstandard Schmerzmanagement in der Pflege
3Der Expertenstandard »Schmerzmanagement in der Pflege«
3.1Erste Ebene: Screening/Assessment
3.1.1QPR Teil 1a – ambulante Pflegedienste
3.1.2QPR Tagespflege/Qualitätsbereich 2
3.1.3QPR vollstationäre Pflege/Qualitätsbereich 2
3.1.4Systematische Schmerzeinschätzung und Differenzierung des Schmerzes
3.1.5Aufgaben der Einrichtung
3.1.6Das Screening am Anfang des pflegerischen Auftrags
3.1.7Assessment mit geeigneten Instrumenten
3.1.8Verlaufskontrolle & komplexe Versorgungssituationen
3.2Zweite Ebene: Planung
3.2.1QPR Teil 1a – ambulante Pflegedienste
3.2.2QPR Tagespflege/Qualitätsbereich 2
3.2.3QPR vollstationäre Pflege/Qualitätsbereich 2
3.2.4Aufgaben der Einrichtung
3.2.5Aufgaben der Pflegefachkraft
3.2.6Individueller Behandlungsplan
3.3Dritte Ebene: Information, Schulung, Beratung
3.3.1Kompetenz der Pflegefachkraft
3.3.2Aufgaben der Einrichtung
3.3.3Pflegefachkraft: Information, Beratung und Schulung
3.4Vierte Ebene: Umsetzung der Schmerzbehandlung
3.4.1Koordination der medikamentösen Maßnahmen durch die Pflegefachkraft
3.4.2Sicherstellung der Durchführung medikamentöser Maßnahmen durch die Pflegefachkraft
3.5Fünfte Ebene: Evaluation
3.5.1Akutschmerzsituation
3.5.2Instabile chronische Schmerzsituation
3.5.3Stabile Schmerzsituation bei akuten oder chronischen Schmerzen und gleicher Therapie
3.5.4Instabile Schmerzsituation bei akuten oder chronischen Schmerzen
4Die Pflegeplanung konkret
4.1Das PESR-Format – kurz vorgestellt
4.2Das PESR-Format – So wenden Sie es an
4.2.1Die Situation: Frau K. und die Arthrose
4.2.2Frau K., die Arthrose und das PESR-Format
5Die strukturierte Informationssammlung (SIS®)
5.1Die Entbürokratisierung der Pflegedokumentation
5.2Aufbau der SIS®
5.2.1Element 1 – Strukturierte Informationssammlung (SIS®)
5.2.2Element 2 – individuelle Maßnahmenplanung
5.2.3Element 3 – Berichteblatt
5.2.4Element 4 – Evaluation
5.3Die SIS® in der Praxis
5.3.1Neuaufnahme in einen ambulanten Pflegedienst
5.3.2Ein halbes Jahr in der stationären Einrichtung
5.3.3Teilstationäre Einrichtung
6Formulierungshilfen bei akuten und chronischen Schmerzen
6.1Formulierungshilfen bei Problemen
6.2Formulierungshilfen bei den Ressourcen
6.3Formulierungshilfen für Ziele
6.4Formulierungshilfen für Maßnahmen
7Formulierungshilfen für die Pflegeplanung bei akuten und chronischen Schmerzen
7.1Morbus Bechterew: Herr O. findet wenig Schlaf
7.2Demenz & Schmerz: Die Pflege von Herrn K
7.3Ulcus cruris venosum: Herr J. hat Schmerzen beim Verbandwechsel
7.4Phantomschmerzen: Herr W. gibt seine geliebten Aktivitäten auf
7.5Gelenkschmerzen: Frau P.’s Tag wird durch Schmerzen bestimmt
7.6Zungengrundkarzinom: Herr B. ist verzweifelt vor Schmerz
7.7Multiples Myelom: Frau L. und die Angst vor Nebenwirkungen
7.8Sturz: Frau W. erlitt zahlreiche Prellungen
7.9Osteoporose: Frau Ä. ist mit der Schmerzsituation unzufrieden
7.10Rheumatische Arthritis: Frau D. kann nicht mehr aktiv sein
Literatur
Register
Akute, chronische oder zu erwartende Schmerzen beeinträchtigen die Lebensqualität der Betroffenen. Gesellt sich zum Schmerz noch ein unzureichendes Schmerzmanagement hinzu, kann es zu physischen und psychischen Beeinträchtigungen und Einschränkungen in der sozialen Teilhabe kommen. Oft haben die Betroffenen das Gefühl, keinen Einfluss auf die Schmerzen nehmen zu können. Sie können kaum noch an einem lebenswerten Leben teilnehmen, ihren Alltag nicht mehr selbstständig fortführen, Kontakte zu anderen Menschen nicht weiterverfolgen. Auch die konkrete Behandlung von Schmerzen ist nach wie vor eine Herausforderung. Manchmal fühlen sich die Betroffenen einem Medizinbetrieb ausgeliefert, der sie nicht ernst nimmt, oder ihre Schmerzen nach »Schema F« behandeln will. Medikamente sind aber nur ein Teil einer guten Schmerzbehandlung. Zu einem Schmerzmanagement gehört mehr.
Pflegefachkräfte spielen beim Schmerzmanagement eine zentrale Rolle. Durch ihre pflegerische Tätigkeit haben sie einen häufigen und intensiven Kontakt zu den Betroffenen. Zu ihren Aufgaben gehört es, Schmerzen rechtzeitig zu erkennen, hinsichtlich ihrer Art zu unterscheiden und gemäß ihrer Intensität einzuschätzen. Gemeinsam mit anderen Berufsgruppen sollen Pflegefachkräfte entsprechende individuelle Maßnahmen planen und durchführen.
Die Basis des pflegerischen Schmerzmanagements ist nun in einem gemeinsamen Expertenstandard zusammengefasst, indem akute und chronische Schmerzen nicht mehr getrennt voneinander gesehen werden. Dadurch werden die Anforderungen an die Pflegepraxis besser berücksichtigt und das Phänomen Schmerz in seiner Gesamtheit betrachtet.
WichtigEin Expertenstandard zum Schmerzmanagement in der Pflege
Der Expertenstandard »Schmerzmanagement in der Pflege« hat zum Ziel, dass jeder Mensch mit akuten, chronischen oder zu erwartenden Schmerzen ein individuelles angepasstes Schmerzmanagement bekommt. Damit soll die Entstehung sowie die Chronifizierung von Schmerzen und schmerzbedingten Krisen vorgesorgt oder Schmerzen beseitigt werden. Gleichfalls sollen durch das pflegerische Schmerzmanagement eine angemessene Schmerzsituation und der Erhalt einer optimalen Lebensqualität und Funktionsfähigkeit erreicht werden.*
* Vgl. DNQP (2020): Expertenstandard Schmerzmanagement in der Pflege. Osnabrück, S. 27
Das pflegerische Schmerzmanagement gehört demnach zu den zentralen Aufgabenbereichen der professionellen Pflege. Die Basis dafür ist ein erfolgreiches Schmerzmanagement in enger Kooperation mit anderen an der Versorgung und Therapie beteiligten Berufsgruppen, dem sog. interprofessionellen Team.
Zielgruppe des Expertenstandards sind Menschen mit Schmerzen jedes Alters. Mit einbezogen sind ebenso Menschen, die nicht dazu fähig sind (aus den verschiedensten Gründen), ihre Schmerzen selbst zu äußern. Ebenso sind in diesem Expertenstandard Kinder und Jugendliche mitberücksichtigt worden.1
Die Pflegefachkraft übernimmt in diesem Kontext entsprechende aufeinander abgestimmte Aufgaben. Sie nimmt am Beginn des pflegerischen Auftrags eine erste pflegefachliche Einschätzung zu Schmerzen, schmerzbedingten Beeinträchtigungen oder zu erwartenden Schmerzen vor (das sog. Screening). Mittels zielgruppenspezifischer Instrumente erfolgt ein Assessment der Schmerzsituation. Die Pflegefachkraft sorgt dafür, dass in komplexen Versorgungssituationen ein*e pflegerische*r Schmerzexpert*in einbezogen wird.
Die Pflegefachkraft beteiligt sich aktiv und zusammen mit den an der Versorgung beteiligten Berufsgruppen und dem Menschen mit Schmerzen, ggf. seinen Angehörigen, an der Entwicklung eines individuellen Behandlungsplans. Das Selbstmanagement des Menschen mit Schmerzen soll gefördert und weitmöglichst erhalten werden. Der Behandlungsplan enthält medikamentöse und nicht-medikamentöse Maßnahmen. Die stets bezogen auf ihre Wirksamkeit im Verlauf der Therapie zu überprüfen sind.2
Durch Information, Schulung und Beratung der Menschen mit Schmerzen und seiner Angehörigen in Absprache mit dem interprofessionellen Team, sowie einer gemeinsamen Maßnahmenplanung und Durchführung, soll das Selbstmanagement gestärkt und gefördert werden. Die Pflegefachkraft koordiniert die Maßnahmen des interprofessionellen Teams und stellt die medikamentösen Maßnahmen auf Basis der ärztlichen Versorgung sicher. Sie erfasst schmerzmittelbedingte Nebenwirkungen, dokumentiert diese, bespricht diese mit dem Menschen mit Schmerzen und den behandelnden Akteuren.
Die Pflegedokumentation ist in diesem Kontext ein wichtiges Handwerkzeug der Pflege, mit dem alle Schritte dieser Prozesse nachvollziehbar beschrieben und dokumentiert werden und für alle an der Versorgung beteiligen Berufsgruppen nachvollziehbar und einsehbar ist.3
Vor dem Hintergrund der externen und internen Qualitätssicherung in der Pflege steigt der Anspruch an die Pflegekräfte, die durchgeführten Pflegeleistungen nachvollziehbar auf Basis der neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse durchzuführen.
In diesem Buch finden Sie deshalb konkrete Vorschläge, Formulierungshilfen und pflegefachliche Unterstützung zum Themenkomplex »Schmerzmanagement in der Pflege«.
Alle Formulierungshilfen für die Pflegeplanung/Tagesstruktur/Maßnahmenplanung sind selbstverständlich Beispiele und müssen daher auf die individuelle Situation des Pflegebedürftigen angepasst werden. Außerdem gehen wir auf die entbürokratisierte Pflegedokumentation – konkret: die strukturierte Informationssammlung (SIS®) – ein.
Wir sind davon überzeugt, dass Sie mit dieser schlanken Form der Dokumentation Ihre fachliche Kompetenz im Rahmen des Pflegeprozesses künftig besser einbringen können.
Konkret bietet Ihnen dieses Buch kompaktes Wissen, das sich schnell und kompetent umsetzen lässt:
• Einbeziehung des Expertenstandards Schmerzmanagement in der Pflege des DNQP
• Impulse für das Schmerzmanagement
• Übersicht über die Bewertungskategorien in den Qualitätsprüfrichtlinien (QPR)
– QPR Teil 1a - Ambulante Pflegedienste
– QPR Tagespflege
– QPR vollstationäre Pflege
• Vorschläge zu Formulierungen in der Pflegeplanung und -dokumentation
• Berücksichtigung der strukturierten Informationssammlung (SIS®)
Unser Ziel ist es, Ihnen einen schnellen Einstieg in die Materie des Expertenstandards zu geben, Sie bei Ihrem Weg zu begleiten und Ihnen bei der Suche nach Formulierungen Hilfen zu geben.
Forchheim, im Herbst 2022
Stefanie Hellmann, Rosa Rößlein
__________________________
1 Vgl. DNQP (2020): Expertenstandard Schmerzmanagement in der Pflege. Osnabrück, S. 14ff
2 Vgl. DNQP 2020, S. 27
3 Ebd.
Schmerz ist ein verbreitetes Phänomen, das in jedem Lebensalter auftreten kann.
Die Diagnose Schmerz wurde im Jahr 2014 annähernd bei 4,05 Mio. Personen in Deutschland gestellt.4 Beschwerden in den Gelenken und Schmerzen zählen weltweit zu den häufigsten Beeinträchtigungen, welche Menschen in der Durchführung ihrer Alltagsaktivitäten einschränken und zudem ihre Lebensqualität negativ beeinflussen können. In der Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS1) wurde festgestellt, dass 29,3 % der befragten Frauen und 24,4 % der befragten Männer unter akuten Gelenkschmerzen in den letzten 24 Stunden litten. Davon betroffen waren bei beiden Geschlechtern am häufigsten die Schulter-, Knie- und Hüftgelenke.5
Schmerzen sind ebenso ein häufiges Symptom bei Tumorerkrankungen. Je nach Stadium der Krebserkrankungen leiden 50 bis 80 % der Patient*innen unter Schmerzen. Davon sind ca. 65 % tumorbedingte Schmerzen.6
Auch viele Bewohner*innen in Pflegeeinrichtungen leiden unter Schmerzen. Dies stellt eine Herausforderung in der Versorgung der Betroffenen Menschen mit Schmerzen dar. Eine Untersuchung der Schmerzsituation von Bewohner*innen in Pflegeeinrichtungen zeigte auf, dass viele zum Erhebungszeitpunkt unter Ruhe- und/oder Belastungsschmerzen litt. Oft traten die Schmerzen in bestimmten Situationen wie z. B. beim Aufstehen, Sitzen, Liegen und Gehen auf. Chronische Schmerzen können folglich zu Beeinträchtigungen von Alltagsaktivitäten, der sozialen Teilhabe und der Lebensqualität führen.7
Eine weitere Herausforderung ergibt sich bei der Erkennung von Schmerzen bei Menschen mit Demenz, da viele Betroffene aufgrund ihrer kognitiven Beeinträchtigungen und sprachlichen Barrieren Probleme haben, sich zu äußern. In der Folge gelingt es ihnen möglicherweise nicht, differenzierte Angaben zur Schmerzintensität, Schmerzdauer und Schmerzhäufigkeit zu machen. Die Gefahr besteht, dass Schmerzen unerkannt bleiben.8
Auch Kinder und Jugendliche leiden oft unter Schmerzen. Chronische Schmerzen sind in der Kinder- und Jugendmedizin ein zunehmendes Problem. Am häufigsten treten chronische Schmerzen als Kopf-, Bauch-, Rücken- und muskuloskelettale Schmerzen auf.9 Kinder und Jugendliche mit chronischen Schmerzen leiden oft im Verborgenen. Es kommt zu Beeinträchtigungen im täglichen Leben, wie z. B. bezüglich des Schulbesuchs (Fehlzeiten), der sozialen Kontakte mit Freunden, dem Nachgehen von Hobbys und Freizeitaktivitäten. Es kann zur Entwicklung von psychischen Komorbiditäten wie z. B. Ängste und Depression kommen. Und Eltern können ihre Arbeit nicht immer nachgehen, da sie sich intensiv um ihr an chronischen Schmerzen erkranktes Kind/Jugendlichen kümmern müssen. Die schmerztherapeutische Versorgung von Kindern und Jugendlichen wird zudem in Deutschland als uneinheitlich bezeichnet.10
Anlässlich des Aktionstags gegen den Schmerz im Jahr 2021 stellt die Deutsche Schmerzgesellschaft fest, dass die Bundesländer (in Deutschland) bei der Stärkung der Schmerztherapie nachbessern müssten. Jeder 4. Erwachsene in Deutschland leidet unter chronische Schmerzen. Für das Gesundheitssystem entstehen dadurch Kosten von etwa 38 Milliarden Euro. Ca. 23 Millionen Deutsche leiden unter chronische Schmerzen, sechs Millionen davon fühlen sich durch die chronischen Schmerzen im Alltagsleben beeinträchtigt.11 Apl. Professor Dr. med. Winfried Meißner, Präsident der Deutschen Schmerzgesellschaft betont: »Die Gesundheitspolitik darf diese Patientinnen und Patienten nicht aus dem Blick verlieren.«12
FazitAkute Schmerzen haben Konsequenzen
Akute Schmerzen wirken sich auf das physische, psychische und soziale Wohlbefinden von Menschen aus. Wenn Schmerzen nicht oder nicht ausreichend gelindert werden kann dies zu erheblichen negativen Auswirkungen führen, angefangen von vorübergehenden Belastungen bis hin zu Minderung der Lebensqualität und langwierigen Beeinträchtigungen der gesamten Lebensumstände. Darüber hinaus besteht die Gefahr der Verzögerung von Heilungs- und Genesungsprozessen und der Chronifizierung.*
* Vgl. DNQP 2020, S. 23
Chronische Schmerzen gehen für viele Menschen mit Ängsten, Bedrohung, Stress und dem Kampf um ein Mindestmaß an Lebensqualität und Lebensfreude einher. Dies sind für die Betroffenen tiefgreifende und umfassende Auswirkungen, so dass der Schmerz in den Lebensmittelpunkt der Betroffenen rückt.13
Abb. 1: Folgen unzureichender Schmerzbehandlung.
Ziel des Expertenstandards Schmerzmanagement in der Pflege ist es, die Entstehung sowie die Chronifizierung von Schmerzen sowie schmerzbedingten Krisen vorzubeugen, Schmerzen zu beseitigen oder zu einer annehmbaren Schmerzsituation zur Erhaltung oder dem Erzielen einer optimalen Lebensqualität und Funktionsfähigkeit beizusteuern.14
Eine akute Schmerzsituation gilt generell als instabil anzusehen. Hier ist das Ziel den Schmerz so schnell wie möglich zu beseitigen oder auf ein individuell subjektiv annehmbares Maß zu reduzieren. Durch ein adäquates Schmerzmanagement sollen die Menschen mit akuten oder zu erwartenden Schmerzen nicht unnötig leiden und keine Chronifizierung des Schmerzes entstehen.
Liegen chronische Schmerzen vor geht es nicht vorrangig um die Schmerzfreiheit, sondern um die Stabilisierung der Schmerzsituation und der Orientierung an den Selbstmanagementkompetenzen des Betroffenen. Wenn die Schmerzmanagementkompetenz des Betroffenen erheblich eingeschränkt ist, soll die Beurteilung der Schmerzsituation anhand von Verhaltensweisen und in Abstimmung mit den pflegenden Angehörigen sowie dem interprofessionellen Team durchgeführt werden. Dies betrifft z. B. Menschen mit Beeinträchtigungen in der Kognition, Kinder inklusive Früh- und Neugeborenen.
Eine stabile Schmerzsituation liegt vor, wenn der Betroffene seine Schmerzsituation subjektiv als annehmbar und nicht veränderungsbedürftig ansieht. Die Zielkriterien für Stabilität orientieren sich dabei immer an der Lebenssituation des Betroffenen. Eine instabile Schmerzsituation besteht, wenn die Schmerzlinderung dauerhaft keine annehmbare Situation erzeugt sowie gesundheits- oder alltagsbezogene Krisen auftreten, die zu einer Einbuße in der Lebensqualität, Funktionalität oder der sozialen Teilhabe führen.15
Der Expertenstandard Schmerzmanagement in der Pflege richtet sich an Pflegefachkräfte ohne spezielle Weiterbildung im Schmerzmanagement. Wenn von den Pflegefachkräften spezielle pflegerische Kompetenzen im Kontext des Schmerzmanagements erwartet werden, wird dies erläutert, wie z. B. die Hinzuziehung von pflegerischen Schmerzexperten in komplexen Versorgungssituationen. Zielgruppe des Expertenstandards sind Menschen mit akuten, chronischen Schmerzen oder zu erwartenden Schmerzen in allen pflegerischen Versorgungssettings.16
Ausdrücklich wird im Rahmen des Schmerzmanagements auf die Zusammenarbeit mit allen an der Versorgung und Therapie beteiligten Berufsgruppen verwiesen. Die Pflegefachkraft übernimmt in diesem Kontext eine wesentliche integrierende und koordinierend Aufgabe. Voraussetzung dafür ist, dass das pflegerische Management der Einrichtungen hierfür ein gewisses Engagement (z. B. Verfahrensreglungen der Zusammenarbeit mit anderen Berufsgruppen) einbringt und die am Schmerzmanagement beteiligten Berufsgruppen zur Kooperation bereit sind. Stichwort ist die gelingende interprofessionelle Zusammenarbeit.17
Die Kriterienebenen des Expertenstandard Schmerzmanagement in der Pflege sind wie nachfolgend abgebildet untergliedert.
Abb. 2: Schritte des Schmerzmanagements laut Expertenstandard.
Das DNQP hat im Expertenstandard »Schmerzmanagement in der Pflege eine Definition von »Schmerz« vorgenommen, die sich auf die Definition der International Association for the Study of Pain (IASP 1979) bezieht.
DefinitionSchmerz
Schmerz ist »ein unangenehmes Sinnes- und Gefühlserlebnis, das mit einer tatsächlichen oder drohenden Gewebeschädigung verknüpft ist oder mit Begriffen einer solchen Schädigung beschrieben wir.«*
* IASP 1979 zit. n. DNQP 2020, S. 66
Schmerz ist vielschichtiges Phänomen, das unterschiedliche psychische, physische, funktionale, soziale sowie spirituellen Dimensionen miteinbezieht. Im Rahmen der Schmerztherapie sind diese Dimensionen zu berücksichtigen. Schmerzen können sich auf das Wohlbefinden, die psychische Gesundheit, das soziale Leben, die Teilhabe sowie auf die ökonomischen Verhältnisse der Betroffenen auswirken.18
Die Definitionen »akuter Schmerz und chronischer Schmerz« werden im Expertenstand, wie folgt beschrieben.
DefinitionAkuter Schmerz
»Akuter Schmerz ist ein plötzlich auftretender und über einen begrenzten Zeitraum andauernder Schmerz, der durch eine tatsächliche oder drohende Gewebeschädigung verursacht wird. Er nimmt eine lebenserhaltende Warn- und Schutzfunktion ein, die sich auch durch physiologische Begleiterscheinungen zeigt. Dazu gehören u. a. Anstieg des Blutdrucks, des Pulses und der Atemfrequenz.«*
* DNQP 2020, S. 23
DefinitionChronischer Schmerz
»Von chronischen Schmerzen spricht man, wenn dieser dauerhaft oder wiederkehrend für mindestens drei Monate vorhanden ist und die akute Warnfunktion der physiologischen Schmerzwahrnehmung fehlt. Wichtig ist, dass dies nicht im Sinne eines exakten Zeitpunktes verstanden wird, sondern der Übergang von akutem zu chronischem Schmerz als fließend und am individuellen Schmerz- und Krankheitserleben ausgerichtet erkannt wird. Eine kontinuierliche Betrachtung der Kriterien »Intensität der Pathologie« und »Dauer« sowie das wechselseitige und dynamische Zusammenspiel physiologischer und psychologischer Faktoren werden als wichtige Besonderheit der Chronifizierung identifiziert.«*
* DNQP 2020, S. 23f
Tabelle 1 zeigt Ihnen einen Überblick über die Charakteristika des akuten und des chronischen Schmerzes.
Tab. 1: Unterscheidung zwischen akutem und chronischem Schmerz*
Akuter Schmerz
Chronischer Schmerz
• plötzliches Auftreten
• hält einen begrenzten Zeitraum an
• Ursache: tatsächliche oder drohende Gewebeschädigung
• Warn- und Schutzfunktion des Körpers
• wird von Symptomen wie z. B. Blutdruckanstieg, Pulsanstieg und erhöhte Atemfrequenz begleitet
• dauerhaft oder wiederkehrend für mindestens drei Monate vorhanden
• akute Warnfunktion der physiologische Schmerzwahrnehmung fehlt
• oft fließender Übergang vom akutem zum chronischen Schmerz
*
Vgl. DNQP 2020, S. 23f
Schmerzen können in nozizeptive, neuropathische und noziplastische Schmerzen unterteilt werden (Tab. 2).
Tab. 2: Unterschiedliche Schmerzarten*
Schmerzarten
Nozizeptver Schmerz
Neuropathischer Schmerz
Noziplastscher Schmerz
• Warnsignal des Körpers, als Resultat einer tatsächlichen oder drohenden Gewebeschädigung
Unterscheidung von:
• Knochen- und Weichteilschmerz
• viszeraler Nozizeptorschmerz (wird als dumpf, schlecht lokalisierbar & im Bauchraum als kolikartig beschrieben
• Schmerzen, die durch eine diagnostizierte Schädigung oder Erkrankung des somatosensorischen Nervensystems verursacht sind
• Lokalisation der Gewebeschädigung oder Erkrankung ist oft unklar
Kennzeichnend:
• spitz, hell, einschießend, elektrisierend und attackenartig
• Schmerzen, welche durch eine veränderte Nozizeption** entsteht.
• Es gibt keinen eindeutigen Beweis für eine vorliegende oder drohende Gewebeschädigung, welche die Aktivierung der peripheren Nozizeptoren bedingt bzw. ohne eindeutigen Beweis für eine Erkrankung oder Läsion des somatosensorischen Systems, die den Schmerz verursacht.
* Vgl. DNQP 2020, S. 66
** Der Begriff Nozizeption beschreibt eine veränderte Schmerzwahrnehmung.
__________________________
4 Vgl. Grobe TG, Steinmann S, Szecsenyi J (2016): Barmer GEK Ärztereport 2016. https://www.barmer.de/resource/blob/1026850/41528a9e5704bb8d47e25e00707af4ba/barmer-gek-arztreport-2016-data.pdf, S. 171
5 Vgl. Fuchs J, Prütz F (2017): Prävalenz von Gelenkschmerzen in Deutschland. Journal of Health Monitoring 2(3):66–71. DOI 10.17886/ RKI-GBE-2017-056. https://edoc.rki.de/bitstream/handle/176904/2786/27awuoEVmBBXs.pdf?sequence=1&isAllowed=y, S, 66f
6 Vgl. Schweitzer E (2018): Epidemiologie. In: Magistrat der Stadt Wien (Hrsg.): Schmerzbericht Wien: https://gesundheitsziele.wien.gv.at/schmerzbericht-wien-2018/, S. 65ff
7 Vgl. Osterbrink J et al. (2012): Die Schmerzsituation von Bewohnern in der stationären Altenhilfe Ergebnisse einer Studie in Münster. In: Schmerz?2012 · 26:27–35 DOI 10.1007/s00482-011-1127-z, S. 27ff
8