extra 3. Deutschland - Der reale Irrsinn ist überall - Alicia Anker - E-Book

extra 3. Deutschland - Der reale Irrsinn ist überall E-Book

Alicia Anker

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Beschreibung

Wer hat eigentlich die weltweit einzigartige Klangbrücke in Übach-Palenberg in Auftrag gegeben, um sie gleich im Dienste des Lärmschutzes wieder stillzulegen? Warum dürfen Metzger auf dem Wochenmarkt in Celle zwar Leberkäsebrötchen verkaufen, Kunden diese aber nicht auf dem Marktplatz essen? Und weshalb werden so viele Aussichtsplattformen ohne Aussicht gebaut? In diesem Best-of der beliebten Rubrik »Der reale Irrsinn« der Satiresendung extra 3 erfahren wir, wo in Deutschland die Politikbeklopptheit besonders grassiert, welche Böcke von Behörden und übereifrigen Amtsträgern zielgenau geschossen wurden und was aus den Geschichten nach Ausstrahlung bei extra 3 geworden ist. Ein Reiseführer der besonderen Art zu Schildbürgerstreichen und Possen in der ganzen Bundesrepublik. Garniert mit politischer Satire und bissigen Sprüchen von Christian Ehring, Heinz Strunk und Torsten Sträter. Tiefsinnig und hintergründig bringt uns das Team der TV-Show im NDR und Ersten zum Grübeln und zum Lachen.

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Vorwort

Liebe Leserin, lieber Leser,

viele Menschen wollen mit der Wirklichkeit nichts mehr zu tun haben. Sie flüchten sich in Scheinwelten. In Fantasywelten, in Drogenwelten, manche sogar in politische Parteien. Das ist schade, wenn auch psychologisch nachvollziehbar. Diese Menschen fliehen vor der Realität, weil sie ihnen zu bescheuert ist. Allein die Tatsache, dass Donald Trump Präsident der Vereinigten Staaten werden konnte, beweist doch, dass die Realität uns oft verdammt viel zumutet. Und dann gibt es ja auch diesen Satz: »Das Leben schreibt die besten Geschichten.« Ich halte den für Unsinn. Manchmal schreibt das Leben auch einfach nur vollkommen hanebüchene Geschichten. Geschichten, bei denen man ausrufen möchte: »Was soll denn das jetzt bitte schon wieder?« und Angst haben muss, vom vielen Kopfschütteln ein Schleudertrauma zu bekommen.

Trotzdem: Ich finde, es lohnt sich hinzuschauen. Genau hinzuschauen. Das mag eine Berufskrankheit sein. Als Macherinnen und Macher einer Satiresendung sind wir praktisch von Haus aus auf die Absurditäten der Realität geeicht; sie bieten uns das Rohmaterial, aus dem wir unsere Scherze drechseln. Aber auch die schiere, pure, unbehandelte Realität kann ihren Reiz haben. Für genau diese Fälle gibt es bei extra 3 eine eigene Rubrik: »Der reale Irrsinn«.

Aus vielen Gesprächen mit Zuschauerinnen und Zuschauern weiß ich: Es ist wahrscheinlich die beliebteste Rubrik. Es sind diese oftmals kleinen, aber immer realen Geschichten mit dem gewissen »Das-gibt’s-doch-gar-nicht«-Faktor, diese vielen, vielen Fälle von Behördenirrsinn, von Schildbürgerstreichen und Provinzpossen in kleinen und großen Städten, die uns und den extra 3-Fans ganz besondere Freude machen.

So sehr man die Wirklichkeit auch hassen und anklagen kann für den Mangel an Sinn und intelligentem Design, wir sollten nie die Worte des großen Philosophen Berti Vogts vergessen, der einmal gesagt hat: »Die Realität sieht anders aus als die Wirklichkeit.« Ein Satz, der sich vielleicht nicht auf Anhieb erschließt. Aber nachdem ich einige Wochen darüber meditiert habe, hat sich mir seine tiefe Weisheit offenbart. Denn das Reale wirkt ja bisweilen irreal. Die Realität ist oftmals ganz und gar unglaublich.

Das gilt auch und ganz besonders für Deutschland. Dieses eigenartige Land mit seiner sympathischen Regulierungswut. Hierzulande einen Bauantrag für eine Garage zu stellen, ist vom Schwierigkeitsgrad her mit einer Doktorarbeit in Harvard zu vergleichen. Viele große Bauwerke hätte es in Deutschland nicht gegeben. Die wären nie und nimmer genehmigt worden. Die Behausungen der Steinzeitmenschen zum Beispiel. Feuer in einer Höhle ohne Schornstein und CO2-Messung? Können Sie vergessen. Die Höhle wäre nach der deutschen Feuerstättenverordnung sofort geschlossen worden. Oder das Kolosseum in Rom. 50.000 Sitzplätze und keine einzige Toilette. Das hätte nach deutschen Verordnungen um insgesamt 5.000 Dixi-Klos erweitert werden müssen. Oder auch die Pyramiden von Gizeh. Gebäude ohne Fenster! Das hätte kein deutsches Bauamt erlaubt.

Nun sind aber viele Bauwerke und Ausflugsziele durch ihr Scheitern erst berühmt geworden. Der schiefe Turm von Pisa etwa. Wenn der gerade stünde, würde da keine Sau hinfahren. Oder Pompeji. Wer würde von der Stadt reden, wenn Politiker die nicht damals zu nah am Vesuv gebaut hätten? Oder die Insel Giglio. Die hatte monatelang viel mehr Tagestouristen, weil ein wahnsinniger Kapitän damals die Costa Concordia dagegen gesteuert hat.

Berlin mit dem Hauptstadtflughafen natürlich sowieso. Finden wir uns damit ab: Fertig wird der Flughafen nicht mehr. Da wird man nicht fliegen können. Einchecken vielleicht. Man gibt sein Gepäck auf, genießt die Erlebniswelt Flughafen mit Restaurants und Shoppingmalls. Dann geht es zum Gate, da wartet der Bus und fährt Passagiere und Gepäck einfach schnell nach Tegel.

Das ist ja der prominenteste Irrsinn: Der Flughafen in Berlin, von dem man nicht wegfliegen kann. Die U-Bahn in Köln, die Unsummen verschlungen hat und praktisch keine Zeitersparnis bietet. Das Volksparkstadion in Hamburg. Ein Stadion, in dem die Heimmannschaft keinen vernünftigen Fußball spielen kann.

Aber als extra 3-Moderator kann ich Ihnen versichern: Der reale Irrsinn ist überall. Den gibt’s als Flatrate für alle. Es reicht, morgens die Haustür zu öffnen. Ich bin ja der Meinung, dass auf Haustüren eigentlich von innen standardmäßig Warnhinweise angebracht werden sollten: »Achtung! Das Öffnen dieser Tür kann zu Erstaunen und unkontrollierten Lachanfällen führen.«

In diesem Zusammenhang kann ich Ihnen nur raten: Fahren Sie mal in die Orte, die in diesem Buch vorkommen. Machen Sie sich auf die Deutschlandreise zum realen Irrsinn und schauen Sie sich zum Beispiel die Besonderheit in Bad Salzuflens Fußgängerzone an! Oder den Strand von Wilhelmshaven! Oder den Fischbrötchenstand in Stralsund! Diese Orte haben ihren Reiz, den Reiz des Absurden. Und der ist immer eine Reise wert.

Sei es das Grabenlaub, das nicht zum Straßenlaub sortiert werden darf, sei es der Streit über verschiedene Sitzbankmodelle oder seien es Straßen, die eigentlich keiner braucht und keiner will. Böse Menschen sagen: zum Beispiel alle, die nach Bremerhaven reinführen.

Ich bin froh und glücklich, dass 40 dieser Geschichten, an denen viele Zuschauerinnen und Zuschauer schon im Fernsehen ihre helle Freude hatten, nun auch als Buch vorliegen. Den bewährten Satirefachkräften Alicia Anker und Daniel Sprenger gebührt das Verdienst, diese schönen, lustigen, absurden Realsatiren aus heimischer Produktion und mit Echtheitszertifikat noch einmal nachrecherchiert, erweitert, ergänzt und vor allem in Buchform gebracht zu haben.

Wenn Sie wissen wollen, wie Deutschland tickt, wie dieses Land denkt und funktioniert und vor allem: warum nicht, dann sei Ihnen dieses Buch wärmstens ans Herz gelegt.

Viel Vergnügen und Let’s Make Realsatire Great Again!

Christian Ehring

Irgendwo muss dasSteuergeld ja hin

Stadt- und Land­schafts­möblierung

Was den Hamburgern ihre Elbphilharmonie ist, ist den Übach-Palenbergern ihre Klangbrücke. Kennen Sie nicht? Und Sie haben auch noch nie darüber nachgedacht, auf welchem Banktyp Sie sitzen und noch nie etwas vom Grünen C gehört? Dann nehmen wir Sie mit auf eine Reise zu den herausragendsten Beispielen der Stadt- und Landschaftsmöblierung, von Übach-Palenberg tief im Westen bis zum Nord-Ostsee-Kanal. Überall wird die Landschaft aufgewertet, wenn komische Dinge an merkwürdigen Orten platziert werden. Sie hätten keinen Geysir in einer deutschen Fußgängerzone vermutet? Dann waren Sie noch nicht in Bad Salzuflen. Wir schon.

Die Klangbrücke in Übach-Palenberg

Diese Brücke spielt das Lied des Windes. Der Luftzug bringt ihre 3.150 Klangelemente zum Tönen und schafft einen wohlklingenden Erholungsraum für Stressgeplagte. Zumindest in der Vorstellung der Architekten. Mit zusätzlich montierten mehreren Hundert Metallfächern wirkt die Klangbrücke in den Entwürfen zudem wie eine stählerne Reuse, durch die Spaziergänger lustwandeln. Sie sollen den Wohlklang nicht nur hören, sondern ihn fangen wie einen Schwarm wohlschmeckender Fische. »Dies ist ein Unikat, welches weltweit einzigartig ist«, schwärmt Wolfgang Jungnitsch beim Blick auf die Pläne.

Dieses einzigartige Werk entsteht 2008 nicht etwa in New York, Berlin oder Paris, sondern in Nordrhein-Westfalen, inmitten von Weizenfeldern und Wiesen am Rand von Übach-Palenberg, einer Kleinstadt nahe der niederländischen Grenze. Und das nicht einfach nur so: »Diese Brücke hat den Gedanken des Verbindens in sich im Zuge der EuRegionale«, erinnert sich Jungnitsch, der Bürgermeister der Stadt, durch die das Flüsschen Wurm fließt und in der der Übach entspringt. Die EU-Regionale 2008 hatte zum Ziel, im Dreiländereck von Aachen, den Niederlanden und Belgien »wegweisende Projekte« zu fördern.

Die Brücke führt von einer Wiese über eine Straße in einen Park. Wobei der »Gedanke des Verbindens« bei der Klangbrücke nicht im Vordergrund stand, wie Jungnitsch zugibt. Denn es gibt nur rund hundert Meter weiter einen ebenerdigen Eingang in den Park. »Ob die Brücke jetzt hier wäre oder nicht, das würde keinen Besucher vom Park abhalten. Von daher ist eine originäre Notwendigkeit nicht da«, sagt Jungnitsch. Aber so ist es ja oft mit großer Kunst: Sie braucht keinen profanen Zweck, sondern genügt sich selbst.

»Weltweit einmalig«: Eine Klangbrücke gibt es noch nirgends – und nur Kleingeister würden sagen: zu Recht. In Übach-Palenberg hingegen sieht man die Chancen und lässt die Idee 2008 mit viel Geld Wirklichkeit werden.

Außerdem gibt es Zuschüsse – von der EU und vom Land Nordrhein-Westfalen. Die Gesamtkosten der Klangbrücke, die anfangs mit 887.000 Euro kalkuliert waren, liegen am Ende bei 1,2 Millionen Euro. Kennt man ja von anderen Prestigeprojekten wie der Elbphilharmonie. Die Stadt Übach-Palenberg steuert rund 420.000 Euro aus ihrem Haushalt bei. »Es war unsere Hoffnung, dass das mal das Highlight werden kann, um Touristen in unsere Region zu bringen«, sagt Jungnitsch. Doch es kommt anders.

Heute baumeln nur vereinzelt Klangelemente an ihren Stahlschnüren, traurig und verheddert. Touristen sind nicht zu sehen. Und zu hören ist – nichts. Oder? »Wenn man ganz leise ist und bei den Klangelementen mal gut hinhört, dann hört man ein leichtes Klingen und Säuseln.« Jungnitsch muss überdurchschnittlich gute Ohren haben.

Die Gestänge sind größtenteils leer, weil der Klang der Elemente ein nicht unerhebliches rechtliches Problem schafft, das die Eröffnung der Brücke 2009 um einige Monate hinauszögert: »Bei über 3.000 Elementen wäre das Problem gewesen, dass sie in der Summe zu laut geklungen hätten«, erklärt der Bürgermeister. »Ein Lärmschutzgutachten hat dazu geführt, dass nur maximal 65 Elemente aufgehängt werden durften.« Sonst wäre der erlaubte Grenzwert von 39 Dezibel in der Nacht überschritten worden.

Eine weltweit einzigartige Klangbrücke, die nur sehr eingeschränkt klingen darf, weil die Bewohner eines nahe gelegenen Hauses durch das Bimmeln um ihren Schlaf gebracht würden. Das mag man noch als Scheitern einer weltmännisch orientierten Architektur an kleinstädtischen Befindlichkeiten abtun. Doch die Brücke wird zwischenzeitlich zum echten Sicherheitsrisiko: Die Metallfächer lösen sich gleich beim ersten größeren Sturm im November 2009 aus ihrer Verankerung. »Die Elemente verwirbelten und fielen teilweise mit scharfkantigen Spitzen herunter. Ich musste die Straße sperren lassen und habe dann auch alle Elemente abnehmen lassen«, erinnert sich Jungnitsch.

Im Mai 2011 laufen die Übach-Palenberger – und interessierte Touristen – dann endlich über die Brücke, drei Jahre später als ursprünglich geplant. Auch das kennt man von anderen Prestigeprojekten. Die Brücke ist nun fast aller Besonderheiten beraubt – aber sicher. Auch der Lärchenholzbelag ist jetzt bereits erneuert: Er hatte sich nämlich durch Regenwasser verformt. Die Kosten für die Reparaturen trägt die Stadt übrigens allein. Rund 100.000 Euro sind dafür bislang fällig geworden.

Ob Klangbrücke oder Gerippe: »Das eine wie das andere ist irgendwie touristisch interessant«, findet der Bürgermeister.

»Bildlich hat sich die Brücke von einer Reuse zu einem Dinosauriergerippe entwickelt«, sagt Jungnitsch. Und finanziell ist aus der Klangbrücke ohne Klang für die Stadt ein Fass ohne Boden geworden. Denn auch das Gerippe kostet Geld. Es muss als funktionierende Brücke erhalten werden – um jeden Preis. Die Instandhaltung schlägt mit jährlich 15.000 Euro zu Buche, also mit bislang insgesamt etwas über 100.000 Euro. »Lieber diese Mehrkosten in Kauf nehmen als Zuschüsse zurückzahlen«, lautet Jungnitschs Devise. Denn die deutsche Förderpolitik sieht vor, dass die Gemeinde die vom Land erhaltene Summe zurückzahlen müsste, würde die Brücke ihren Zweck nicht mehr erfüllen – etwa, wenn sie gesperrt würde.

Das mit sechzig Millionen Euro verschuldete Übach-Palenberg muss also weiter Geld in Erhaltungsmaßnahmen für ein eigentlich völlig überflüssiges Bauwerk stecken, damit ihr nicht auf einmal die Gesamtkosten in Rechnung gestellt werden.

Aber vielleicht schafft es ja auch das Dinosauriergerippe, Menschenmassen nach Übach-Palenberg zu locken. Bürgermeister Jungnitsch jedenfalls gibt die Hoffnung nicht auf, auch wenn von der eigentlichen Klangbrücke nicht viel übrig geblieben ist: »Das eine wie das andere ist irgendwie touristisch attraktiv.«

Anreise

Die Klangbrücke liegt an der Wurmtalstraße in 52531 Übach-Palenberg zwischen dem Fluss Wurm und dem Willy-Dohmen-Park. Sie ist ganzjährig und ganztägig begehbar, ein kleiner Parkplatz befindet sich davor. Der Willy-Dohmen-Park wurde auf dem Gelände einer ehemaligen Kiesgrube eingerichtet und ist kostenlos zugänglich. Er steht unter Naturschutz.

Der Geysir von Bad Salzuflen

Bad Salzuflen – eine Perle Nordrhein-Westfalens! Seit jeher Thermalbad, seit 2013 sogar anerkannter Kneipp-Kurort. Das Stadtwappen ziert ein Brunnen. Auch dem Stadtunkundigen wird schnell klar: Mit Wasser und dessen fachmännischem Gebrauch kennt man sich hier aus. So zum Beispiel Rolf Oberweis, der Baudezernent der Stadt. Rolf Oberweis hatte eine Weltklasseidee: Er ließ einen künstlichen Geysir bauen. Mitten in die Fußgängerzone von Bad Salzuflen! Ha! Wer hat schon einen Geysir? Also außer den Isländern natürlich.

»Viele Deutsche haben Angst, nicht nur vor überraschenden Wasserfontänen, vor Geysiren in Bad Salzuflen. Nein, die Deutschen haben Angst vor denen, die da kommen. Vor dem Glauben dieser Menschen, vor Gewalt, vor den Kosten. Und diese Ängste, die sind berechtigt. Allein letztes Wochenende kamen wieder Zehntausende in unsere Städte, meistens junge Männer, viele gewaltbereit, beseelt von einem wirren Glauben, und das kostet uns Millionen. Aber genug von der Bundesliga!«

»Wir wollten einen haben mit einem Wow-Effekt, also einen Brunnen, einen Geysir, der alle paar Minuten spritzt«, schwärmt Oberweis. Läppische 40.000 Euro hat das Wasserwunderwerk gekostet.

Und für das Geld bekommen die Bad Salzufler richtig was geboten: Alle vier Minuten schießt der Geysir völlig unvermittelt ziemlich hohe Wasserfontänen in die Luft – mitunter auch auf Passanten. Oberweis freut sich: »Nicht-Salzufler wissen das nicht, gucken vielleicht rein und erleben dann den Wow-Effekt. Einheimische wissen vielleicht schon, wie es funktioniert.« Vielleicht.

Ein Mann und seine Idee: Rolf Oberweis neben seinem Geysir, der hier noch ganz friedlich wirkt.

Es gibt komischerweise auch Einheimische, die den Oberweis’schen »Wow-Effekt« des Geysirs nicht richtig zu schätzen wissen:

»Der ist furchtbar! Ich krieg einen Herzinfarkt!«

»Ich habe hier schon einige Leute nass werden sehen.«

»Der stört die Leute, die erschrecken sich und werden nass gespritzt.«

»Wir haben die Fontäne drei Meter hoch spritzen lassen, also der Geysir ging über drei Meter hoch, dann war aber im Umkreis von sechs Metern alles nass«, erklärt Oberweis. Der umsichtige Baudezernent weiß natürlich, was in so einer Situation zu tun ist. Ein Geländer muss her. Und zwar rund um den Geysir herum. Um Sicherheitsbedenken konsequent auszuräumen und einen gewissen Spritzschutz zu gewährleisten.

Wären da nur nicht wieder diese Bad Salzufler … Denen gefällt der Geysir mit Geländer auch nicht.

»Da fällt man drüber, nachts ist das schlecht beleuchtet, dann rennt man gegen das Geländer – solche Argumente kamen«, erinnert sich Oberweis.

Also Kommando zurück: Das 1.000 Euro teure Geländer wird wieder entfernt und die Spritzhöhe der Wasserwurfanlage auf mickrige 1,50 Meter gekürzt. So hat Rolf Oberweis sich das eigentlich nicht vorgestellt. Aber kehrt nun endlich Ruhe ein?

»Es ist auch passiert, dass die Fontäne gerade kam, und eine Frau mit Rollator ist vor Schreck umgefallen«, sagt Oberweis und fügt an: »Gut, das ist das Leben.«

Genau, das ist das Leben! Zumindest das Leben mit einem Geysir. Ein bisschen vorausschauendes Mitdenken ist da schon erforderlich, findet Oberweis. »Wenn ich auf dem Boden unten eine nasse Zone sehe, dann frage ich mich doch: Was ist das? Warum ist das nass? Und dann guckt man und dann weiß man auch, da ist irgendwas.«

Oberweis demonstriert den »Wow-Effekt«. Man könnte auch sagen: Der Geysir macht sie alle nass. Auch seinen genialen Planer.

Eben. Alles eine Frage der eigenen Aufmerksamkeit. Dass es um just die bei den meisten Bad Salzuflern nicht gut bestellt zu sein scheint, bestätigt der im Laufe der Zeit entstandene Geysir-Beobachtungsposten im nahe gelegenen Café. Hier sitzen die, die das Spektakel kennen und schätzen. Denn immer noch erschreckt und durchnässt der Spritzbrunnen die Passanten in der Fußgängerzone. »Die Älteren wissen gar nicht, dass da Wasser kommt, schon sind sie nass und sind am Schreien, jetzt müssen sie nach Hause zum Umziehen«, lacht ein schadenfroher Cafébesucher. »Ich sitze jeden Tag hier.«

Oberweis’ letztes Zugeständnis an die Bürger seiner ach so wasseraffinen Stadt: Eine Geysir-Countdown-Uhr in Form einer Digitalanzeige soll die Leute auf die nächste Eruption vorbereiten. Wenn es nach Oberweis geht, nicht um sie zu warnen, damit sie sich vor dem herausschießenden Wasser in Sicherheit bringen, sondern um bewusst stehen zu bleiben und den Geysir zu erleben. Und so kehrt hoffentlich endlich Ruhe ein in Bad Salzuflen.

Vielleicht ist die eigentliche Attraktion in der Stadt auch gar nicht der Geysir, sondern der Baudezernent – ein Mann, der mit allen Wassern gewaschen ist.

WAS IST DRAUS GEWORDEN?

In einem Telefongespräch erzählt der immer noch amtierende Baudezernent Rolf Oberweis, der anfangs, sagen wir mal, kein Fan der satirischen extra 3-Berichterstattung über seinen Geysir war, dass die Bad Salzufler heute voll und ganz hinter seinem Brunnen stünden. Sicher, von Zeit zu Zeit werde noch mal einer nass. Aber: »Man kann sich die Innenstadt von Bad Salzuflen gar nicht mehr ohne Geysir vorstellen! Er ist akzeptiert bis zum Gehtnichtmehr.«

Außerdem, so erzählt Oberweis weiter, habe die plötzliche Präsenz des Brunnens in den Medien dazu geführt, dass sogar Touristen seinetwegen die Stadt besuchen: »Eine bessere Werbung für die Stadt kann ich mir nicht wünschen!« Hoffentlich haben die Besucher alle Regenjacken dabei.

Anreise

Der Geysir spritzt in der Fußgängerzone Lange Straße, 32105 Bad Salzuflen.

Das Grüne C

Köln hat seinen Dom, Düsseldorf die Kö und Bonn den Charme der etwas provinziellen ehemaligen Hauptstadt. Da die Stadt nicht allein vom Ruf der Vergangenheit leben kann, hat sie sich einem zukunftsträchtigen Projekt angeschlossen, an dem so namhafte Städte und Gemeinden wie Alfter, Bornheim, Niederkassel, Sankt Augustin und Troisdorf teilhaben. Bei der Erklärung des Projekts gerät Rainer Gleß, Erster Beigeordneter der Stadt Sankt Augustin, ins Schwärmen. »Es verbindet Landschaftsräume und es erschließt Landschaftsräume für Erholungssuchende«, sagt Gleß, während er im Regen auf einem geteerten Weg durch die Hangelarer Heide spaziert. Diese liegt im mittleren Bereich des insgesamt 17 Kilometer breiten Projekts, das sich über den Rhein hinweg erstreckt. »Es soll die Identifikation der Bürgerinnen und Bürger der Region mit ihrem Lebensraum, mit ihrer Landschaft stärker erhöhen, als es bisher der Fall ist.«

»Sieben Millionen Euro hat der Spaß gekostet! Da ist dann aber hoffentlich auch das Koks mit dabei für die Werbefuzzis, die sich das ausgedacht haben.«

Wo jahrzehntelang nur ein stinknormales Netz aus Rad- und Spazierwegen die Städte verband, ist im Zuge des Strukturprogramms Regionale 2010 das »Grüne C« entstanden. So heißt das wegweisende Konzept. »Die Grundform des Grünen C, also des Landschaftsraumes, der miteinander verbunden wird, ist – mit etwas Fantasie – ein auf den Kopf gedrehtes C«, erklärt Gleß und zeigt auf einem Plan die sechs umkreisten Landschaftsräume. Um das C zu erkennen, benötigt man in der Tat recht viel Fantasie.

Wer sich darauf einlässt, dem wird schnell klar, dass die Möblierung der Landschaft im C das A und O ist. Etwa mit den sogenannten Toren, das sind »naturnah gestaltete Orte, die den Übergang vom Wohngebiet in die Landschaft markieren«, wie es auf der Homepage des Grünen C heißt. Die Tore stünden vornehmlich an Engstellen, an denen der zunehmende Siedlungsdruck besonders deutlich werde. »Im eigentlichen Sinne handelt es sich bei den Engstellen um gegenüberliegende Ränder mit mehr oder weniger breitem Zwischenraum«, heißt es weiter. Alles klar? Noch nicht? Die Erklärung geht ja auch noch weiter: »Dieser Zwischenraum soll durch Stärkung der Ränder gesichert werden.« Wem das zu verquast klingt, der war noch nicht selbst vor Ort im Grünen C und hat nicht die pfiffigen Elemente gesehen, die die Planer sich ausgedacht und in der Landschaft platziert haben. Grün ist daran allerdings meist gar nicht so viel, denn die Elemente bestehen in der Regel aus Beton.

Sechs Landschaftsräume – ein Grünes C: Es ist ein Projekt voller wundervoller Orte wie diesem, durch den Rainer Gleß führt.

Beispielsweise die Tafeln im Boden, auf denen Ortsbezeichnungen stehen. Etwa »Rhein« und daneben ein Pfeil in die entsprechende Richtung. »Das weiß nun jeder, dass da hinten der Rhein fließt, dafür braucht man kein Schild«, bemerkt ein Spaziergänger. »Ich denke, es werden relativ wenig Ortsfremde hier spazieren und die Leute, die hier wohnen, wissen ohnehin, wo der Rhein liegt. Insofern hätte man sich das sparen können.«

Aber wieso sparen? Wenn man eh schon extra die alte Asphaltdecke des Fuß- und Radweges aufschneidet, um eine Betonplatte zu verlegen, kann man in die doch auch gleich noch einen Schriftzug hineinfräsen.

Es gibt im Grünen C jedoch auch weniger offensichtliche Gestaltungen. Hinter dem Rhein-Schild steht ein niedriges rechtwinkliges Konstrukt. Ob der Spaziergänger denn wohl auch weiß, was das sein soll? »Ich gehe mal davon aus, dass es Beton ist«, sagt er. So weit, so richtig. Aber was soll es darstellen? »So wie das aussieht, eine Bank. Ich wüsste nicht, was es sonst sein sollte.«

Da springt ihm Rainer Gleß, der Experte fürs Grüne C, gern zur Seite. Für ihn ist völlig klar: Das, was aussieht wie eine Bank, ist definitiv »keine Bank! Das ist das sogenannte C-Signet.« Das sei ein immer wiederkehrendes Symbol für das Grüne C, erläutert Gleß. Ein aus Beton geformtes, rechtwinkliges C – darauf muss man erst mal kommen. Besser könnte man die Menschen nicht darauf hinweisen, dass sie sich im Bereich des Grünen C befinden. Und es funktioniert: »Das wird mittlerweile von den Menschen als solches durchaus wahrgenommen«, ist Gleß überzeugt.

Beeindruckende Betonelemente werten die Landschaft auf. Hier etwa das C-Signet, das eindeutig erkennbar auf das Grüne C hinweist.

»Das ist völliger Blödsinn. Das ist für mich eine Bank«, hält der renitente Spaziergänger dagegen. »Alle anderen Auslegungen wären also wirklich weit hergeholt. Also ich kann kein C daraus erkennen. Dafür muss man schon sehr viel Fantasie haben.« Da ist sie wieder, die Fantasie. Aber die Planer sind durchaus zu Zugeständnissen bereit: »Wenn jemand glaubt, sich auf das Grüne-C-Signet setzen zu wollen, dann bitte schön«, sagt Gleß.

Zum entspannten Sitzen sind jedoch eigentlich die »Stationen« vorgesehen, natürlich auch aus Waschbeton und natürlich auch in der ganz eigenen Form. »Die Seitenansicht der Sitzelemente soll an eine abstrahierte Form des Buchstaben C erinnern«, heißt es auf der Homepage des Grünen C. Die C-Form ist bei den Rastmöglichkeiten so konzipiert, dass eine Bodenplatte, eine leicht schräge Wand und ein Dach das C bilden.

Solch ausgetüftelte Landschaftsmöblierung kostet natürlich auch: 24,6 Millionen Euro, die vom Land, vom Bund und aus dem EU-Fonds für regionale Entwicklung kommen. Gleß hat die detaillierten Zahlen für Sankt Augustin: »Die Gesamtsumme beträgt etwa sieben Millionen Euro. Und die Platzelemente mit allem Drum und Dran kosten etwa zehn Prozent, das macht etwa 670.000 bis 680.000 Euro.«

Der Spaziergänger ist irritiert, als er hört, wie teuer die Platzelemente waren. »Dann fragt man sich natürlich, ob das in den Dimensionen hätte sein müssen«, sagt er, als er zusammen mit seiner Frau auf einem Weg aus Betonplatten zu einem Geländer geht. Die beiden steuern den C-Höhepunkt in Sankt Augustin, ja wenn nicht im gesamten Projekt, an. »Hier befinden Sie sich an einer der wichtigsten Stationen, die das Grüne C begleiten, und zwar der Station Hangelarer Heide«, erklärt Gleß. Das Tableau diene dazu, unmittelbar zur Kante zu gehen und von hier aus den Blick über die ganze Umgebung ein wenig schweifen zu lassen.

Das Besondere an dieser Station: die ausgeprägte Blickbeziehung über die Hangelarer Heide. Von neben der Plattform aus ist die nicht ansatzweise so möglich. Nur identisch.

»Von dieser Station aus hat man eine sehr ausgeprägte Blickbeziehung in Richtung Osten/Südosten«, doziert Gleß. Gegenüber befinde sich der Flugplatz Hangelar, der älteste noch in Betrieb befindliche Flugplatz Deutschlands, »eines der Alleinstellungsmerkmale der Stadt Sankt Augustin. Von daher haben wir, die Planer, uns überlegt, wir wollen das würdigen durch den Bau einer solchen Station.« Genau richtig entschieden, denn der Blick von direkt neben der Station ist zwar identisch, doch die Blickbeziehung sicher längst nicht so ausgeprägt ohne die Station.

»Also ich habe noch niemanden gehört, der gesagt hätte, das hier müsste man haben und das ist ganz toll«, meint der Spaziergänger wenig beeindruckt. Aber nicht verzagen: Es braucht einfach seine Zeit, bis so ein visionäres Landschaftsmöblierungsprojekt in den Köpfen der Menschen angekommen ist. Da müssen die Planer einfach C sein.

Anreise

Das Grüne C ist eine großflächige Landschaftsmöblierung mit eigener Internetseite: www.gruenes-c.de. Hier gibt es viele Infos zum Hintergrund, zu den umgesetzten Bauwerken und ihren Standorten. Ein Highlight des Grünen C, das Plateau Hangelarer Heide mit der ausgeprägten Blickbeziehung, befindet sich am Ende der Straße In den Hasenkaulen, 53757 Sankt Augustin.

Die Fußgänger­brücke in Nürnberg

Im Nürnberger Stadtteil Langwasser führt eine Fußgängerbrücke über die stark befahrene, vierspurige Breslauer Straße. Und die Brücke ist 1a in Schuss. Zugegeben, ein kleines, nicht ganz unwichtiges Detail sticht bei näherem Hinsehen schon ins Auge. Aber »überflüssig«, »nutzlos« und »sinnlos«? Die Nürnberger finden viele gemeine Ausdrücke, um diese besondere Brücke zu beschreiben. Nur, weil sie ein wenig anders ist. Anders als andere Brücken. Dabei hat sie zum Beispiel ganz normale Brückenpfeiler, Stahlseile, die den Gehweg tragen, einen Auf- und einen Abgang, stabile Geländer – eine Brücke halt. Aber ja, es stimmt, auf gewisse Weise ist sie etwas eigen. Weil man sie nicht – wie bei Brücken normalerweise so üblich – nutzen kann, um von A nach B zu kommen. Das ist vielleicht ein wenig ungewöhnlich für eine Fußgängerbrücke. Aber das mag damit zusammenhängen, dass sie – nun ja – keinen Boden hat.

Doch das hat einen guten Grund: Die Stadt Nürnberg hat die Brücke 2007 gesperrt. »Die Bohlen waren zum großen Teil richtig durchmorscht, durchfault«, sagt Christoph Miller von der Stadt Nürnberg. »Dann musste man handeln und diesen Bohlenbelag in der Gänze auch abnehmen.«