FAIRreisen - Frank Herrmann - E-Book

FAIRreisen E-Book

Frank Herrmann

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Beschreibung

Welche Tourismussiegel sind seriös? Welche Reiseveranstalter achten auf die Einhaltung von Menschenrechten? Wie kann ich das CO2 meiner Reise kompensieren? Wie wird meine Kreuzfahrt umweltfreundlicher? Wo bekomme ich ökologisch und fair produzierte Trekkingkleidung? Wer Antworten auf diese und viele weitere Fragen sucht, liegt bei Reisebuchautor und Tourismusexperte Frank Herrmann goldrichtig: Infokästen, Checklisten und ein ausführlicher Serviceteil geben schnell und kompetent Rat. Darüber hinaus ist das Handbuch eine umfassende Quelle der Information für all jene, die sich über die Auswirkungen des Tourismusbooms auf Klima, Umwelt und die Menschen vor Ort informieren möchten – damit Reisen für alle ein Gewinn ist.

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Frank Herrmann
FAIRreisen
Ein Handbuch für alle,die umweltbewusst unterwegssein wollen
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© 2016 oekom verlag MünchenGesellschaft für ökologische Kommunikation mbH,Waltherstraße 29, 80337 München
Umschlaggestaltung: www.buero-jorge-schmidt.deUmschlagabbildung: © NotionPic, shutterstockKorrektorat: Maike SpechtInnenlayout, Satz: Ines Swoboda, oekom verlag
E-Book: SEUME Publishing Services GmbH, Erfurt
Alle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-96006-127-4
Im Buch finden Sie zahlreiche Kästen mit den unterschiedlichsten Informationen rund um faires und grünes Reisen:
Weiterführende und vertiefende Informationen zu einem bestimmten Thema
Interviews mit Expertinnen und Experten aus dem Tourismusbereich
Checklisten für die gelungene Reise
Häufige Fragen und entsprechende Antworten (FAQs)
Unterwegs mit dem Autor
Das Inhaltsverzeichnis hilft Ihnen, die Kästen zu finden: Achten Sie einfach auf die kursiv-grauen Verweise!
Inhalt
Vorwort
Einleitung
Kapitel 1Globaler Tourismus auf Rekordjagd
Tourismus und Migration – auf den Pass kommte es an
Kapitel 2Tourismus – es ist nicht alles Gold, was glänzt
2.1 Einführung
Tourismus, das zweischneidige Schwert
Wegen Überfüllung geschlossen – wie viel Tourismus verkraftet die Welt?
Wachstum ohne Ende – Ressourcenverschwender Tourismus
Kostenfaktor Natur – Tourismus und biologische Vielfalt
2.2 Klima und Umwelt
CO2-Emissionen
Einleitung
Wie berechnet man seine CO2-Emissionen
Ein Riff stirbt
Klimaabkommen – von Kyoto bis Paris
Fliegen – die Achillesferse des Tourismus
Klima, Kompensation und Kommerz
Intelligent fliegen – der atmosfair Airline-Index (AAI)
Das falsche Signal – Luxusreisen im Privatjet
Kreuzschifffahrt – Branchenliebling mit Imageproblemen
Invasion im Inselparadies
»Die bauen lieber eine bordeigene Bierbrauerei«
Wie wird Ihre Kreuzfahrt klima- und umweltfreundlicher?
Emissionsfrei über die Ozeane reisen?
Auto, Bus oder Bahn – was ist der umweltfreundlichste Landtransport?
Wie erzeugen Sie möglichst wenig CO2 im Urlaub
Freiwillige CO2-Kompensation – Ablasshandel, Greenwashing oder sinnvoller Klimaschutz?
CO2-Kompensation in der Praxis – mit myclimate in Vietnam
Welche Reiseveranstalter kompensieren?
Wie finden Sie das richtige Kompensationsangebot?
Märkte, Standards, Zertifikate – freiwillige Kompensation im Überblick
2.3 Menschen
Touristischer Größenwahn in Honduras
Jobs im Tourismus – lange arbeiten, wenig verdienen
Kinderarbeit – ein globales Problem
Die ILO-Kernarbeitsnormen
Eine Seefahrt ist nicht (immer) lustig – Arbeitsbedingungen auf Kreuzfahrtschiffen
Mehr Rechte auf See
Bessere Arbeitsbedingungen im Tourismus – was können wir tun?
Tourismus und Menschenrechte
Gibt es ein Menschenrecht auf Tourismus?
Runder Tisch für mehr Menschenrechte im Tourismus
Hinfahren oder besser nicht?
»Wer sich vorher informiert, hat die schönere Reise«
Sextourismus
Kinderprostitution – Was können wir tun?
»Haltet euch von Sexbars fern«
2.4 Kultur
Einleitung
Alles, nur kein Tourist sein
Internationales Handbuch zu Tourismus und Frieden
Indigene Völker – ist der kulturelle Clash unausweichlich?
Die Rechte indigener Völker
Ländlicher Tourismus – zu selten erfolgreich
Reisen der anderen Art
Respekt – das zwischenmenschliche Bindemittel
Lieber lächeln
Fair reisen im Heiligen Land
Knipsen? Ja, aber mit Respekt!
Der Tick mit dem Stick
Tödliches Missverständnis im Hochland von Guatemala
2.5 Tiere
Großwildjagd – Cecil ist tot
Von der »Streichelfarm« zum Canned Lion Hunting
Orcas, Wale und Delfine – stummes Leid im Betonbecken
Delfinarien – was tun die Reiseveranstalter?
Alternativen zu Delfinarien
Ferien mit Tiefgang
Touristen – Finger weg von Walfleisch!
Touristen schleppen bis zum Umfallen
Boomender Elefantentourismus – wie reagieren große Reiseveranstalter?
Auch Elefanten mögen es fair
Beobachten, essen, ausstopfen
Mauritius – Urlaubsparadies mit Makel
Zu den Menschenaffen reisen – ja, aber …
2.6 Müll
Der Tourismus auf Kuba boomt, der Müll auch
Datenbank zu Meeresmüll
2.7 Wasser
Viel Wasser für den Tourismus, der Rest für die Einheimischen
Der Wasserfußabdruck
Ein Golfplatz, der Trinkwasser raubt
2.8 Berge
Alpen – das Ende der Beschaulichkeit
Berge erleben – fair, grün und klimafreundlich
Outdoorprodukte – Mensch und Natur Gutes tun
Gletschersterben – die weltweite Agonie der Eisriesen
Mount Everest – Irrsinn am höchsten Berg der Erde
Träger – wenig Lust an der Last
Porters Policy – bessere Arbeitsbedingungen für Träger
Unterwegs mit Trägern – hierauf sollten Sie achten
Skitourismus – aufrüsten zur letzten Schlacht
Klima- und Naturschutz – darauf können Sie im Skiurlaub achten
2.9 Städte
Was den Städtetourismus begünstigt
Kapitel 3Tourismus mit Verantwortung
3.1 Ein sozial gerechter, nachhaltiger und umweltverträglicher Tourismus – was ist das?
Wer ist Tourist … und wer nicht?
Sozialer Tourismus – Reisen für alle?
Langsam reisen
3.2 Alles über Siegel, Label, Markenzeichen
Siegelüberblick
Wo gilt welches Tourismussiegel?
3.3 Die wichtigsten Akteure – wer macht was?
Der internationale Rahmen
Globale Tourismusbehörde – die UNWTO
Die deutsche Regierung
Deutsche Verbände und Vereine
Gewerkschaften
»Der Arbeitsdruck wächst«
Tourismuskritische Organisationen
Reiseveranstalter
Corporate Social Responsibility in Zahlen
Reisebüros
Unterkunft
Veganer (und Vegetarier) unterwegs
Die Reise nach innen – spiritueller Tourismus
Das faire Hotelzimmer
Gratis übernachten bei Fremden
Reiseführer und Reisebuchverlage
Reiseportale
3.4. Reiseformen – und wie sie grüner & fairer werden
Geschäftsreisen – Nachhaltigkeit sinnvoll gestalten
Geschäftsreisen mit Verantwortung
Barrierefreies Reisen – Urlaub ohne Hindernisse
Voluntourism – mal eben den Planeten retten
Waisenhaustourismus – nein danke!
Freiwilligenarbeit mit Sinn
Projekttourismus – gut für wen?
Slumtourismus – Armut aus nächster Nähe
Spielzeug, Schreibmaterialien, Sportartikel
Wie gelingt ein Besuch in einem Armenviertel?
Alles inklusive – Urlaub mit Nebenwirkungen
Die Faire Biketour
Kapitel 4Was wir tun können
Was kann man nach der Reise nach- und vorbereiten!
4.1. Vor der Reise: mit Köpfchen in den Urlaub
Reisekataloge und Papierverbrauch – geht es auch anders?
Fünf Faustregeln für faires Reisen
Reisevorbereitung
Die richtige Reiseausrüstung
Wie finde ich faire und grüne Outdoorkleidung?
4.2. Während der Reise: benehmen wie ein Gast
Trinkgeld – lieber zu viel als zu wenig!
Immer im Mittelpunkt: der Reiseleiter
Klimaschutz am Urlaubsort
Umweltschutz am Urlaubsort
Konsum am Urlaubsort
Verhalten am Urlaubsort
Kapitel 5Service: Adressen, Literatur, Webseiten
All-inclusive • Awards/Preise • Barrierefreies Reisen • Berge • Biodiversität • Bundesregierung • Freiwillige Kompensation • Freiwilligenarbeit/Voluntourismus • Geschäftsreisen • Jugendliche/Kinder/Kinderarbeit • Klima und Umwelt • (Kreuz)schifffahrt • Kultur • Menschen/Menschenrechte • Müll • Nachhaltige Reiseportale • Nachhaltiger Tourismus • Outdoor-Kleidung • Projekttourismus • Sextourismus • Siegel • Slow Travel • Städte • Tiere • Tourismuskritische Organisationen • Tourismus mit Verantwortung • Wasser
Über den Autor
Länderreisetipps (online)
Vorwort
Tourismus hat sich vom exklusiven Reisen einiger Privilegierter zu einem Massenphänomen entwickelt und ist in den wohlhabenden Industrieländern zu einem normalen Konsumgut geworden. Tourismus ist heute einer der weltweit größten Wirtschaftszweige und für viele ländliche Regionen und Entwicklungsländer zu einem kaum verzichtbaren Bestandteil ihrer Ökonomie geworden.
Diese Entwicklung wird in Frank Herrmanns vorliegendem Buch mit schlüssigen Zahlen belegt. In erster Linie geht es ihm aber darum aufzuzeigen, dass der internationale Tourismus – neben seinen positiven Aspekten, über die andernorts schon viel geschrieben wurde – auch Schattenseiten hat. Dies belegt er mit einer Fülle von Quellen und pointierten, gut recherchierten Fallbeispielen, die von verbauten Küsten und klimaschädigenden Fernreisen bis hin zur Ausbeutung der eigenen Mitarbeitenden und der Menschen in den touristischen Zielgebieten reichen.
Das Buch belässt es aber nicht bei der Kritik, sondern diskutiert darüber hinaus unter dem Leitbild des Nachhaltigen Tourismus Lösungsansätze und liefert den Leserinnen und Lesern eine Fülle praktischer Tipps und Good-Practice-Beispiele für eine faire und umweltfreundliche Urlaubs- oder Geschäftsreise. Viele Ratschläge lassen sich leicht umsetzen und da wo es wichtig ist, abzuwägen oder genau hin zu schauen, – etwa bei touristischen Ökolabels oder bei der Kompensation von Treibhausgasen – hilft das Buch kompetent weiter.
Ich selbst habe in dem vorliegenden Buch neue Denkanstöße und viel interessantes Material gefunden – und das obwohl ich mich seit über zwei Jahrzehnten als Wissenschaftler und Berater mit nachhaltigem Tourismus beschäftige. Von daher wünsche ich dem Buch, dass es eine weite Verbreitung findet, kontroverse Diskussionen entfacht und zu Verhaltensänderungen anregt.
Prof. Dr. Wolfgang Strasdas
Einleitung
Ob Marco Polo, Humboldt oder Goethe – die Reisenden früherer Jahrhunderte waren umweltschonend und klimafreundlich unterwegs. Kein Wunder: Nachhaltig zu reisen war nicht wirklich schwierig. Aluminiumdosen, Plastikflaschen, Klimaanlagen, Kühlschränke, Schweröl oder Verbrennungsmotoren gab es noch nicht. Man reiste auf Segelschiffen, Pferden und in Kutschen, viel auch zu Fuß, getrunken wurde aus Holzbechern – und all inclusive waren damals nur Sonne, Wind und Moskitos. Die geringen Abfallmengen, die Globetrotter verursachten, waren meist organischer Natur. Sie fielen nicht weiter ins Gewicht.
Das ist heute anders – auch weil Urlauber und Geschäftsreisende in ganz anderen Größenordnungen unterwegs sind: Reisten im Jahr 1970 rund 150 Millionen Menschen ins Ausland, ist diese Zahl mehr als 45 Jahre später auf das Achtfache gestiegen – rund 1,2 Milliarden. Denn nicht nur Europäer oder Amerikaner reisen. Auch immer mehr Russen, Inder, Brasilianer und Chinesen tun es uns gleich. Treffen die Prognosen der Welttourismusorganisation UNWTO zu, werden im Jahr 2030 rund 1,8 Milliarden Menschen im Ausland unterwegs sein. Plus weitere Milliarden von Menschen, die innerhalb ihrer Landesgrenzen reisen.
Der Tourismus boomt weltweit – ungeachtet von Krieg, Terror und Flüchtlingskrisen. Reisen ist ein Massenphänomen geworden, Reisen ist Konsum, für die einen das wohlverdiente Bonbon, für andere Alltag. Und die Branche sorgt für Umsatz: Tourismus hat sich zu einer der größten Industrien der Erde entwickelt. Sie setzt jährlich nach Angaben des World Travel and Tourism Councils (WTTC) weltweit rund zwei Billionen Euro um und erwirtschaftet rund zehn Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts. Damit leistet die Reisebranche in vielen Ländern einen bedeutenden Wirtschaftsbeitrag und schafft etwa 284 Millionen direkte und indirekte Arbeitsplätze – wenngleich überwiegend im Niedriglohnsektor.
Doch mit dem Erfolg wird auch die Kehrseite der wachsenden Touristenströme immer deutlicher sichtbar. Mehr reisen bedeutet, dass Ökosysteme stärker belastet, mehr Ressourcen verbraucht, mehr Klimagase in die Luft geblasen, mehr Abfälle erzeugt, mehr Strom und Wasser verbraucht werden. Die Zunahme an Reisen geht besonders in Entwicklungsländern meist einher mit mies bezahlten Jobs, Landschaftszerstörung, Flächenverbrauch, Abnahme der biologischen Vielfalt, Kinderarbeit und Sextourismus.
Einige der Folgen: In Sri Lanka vertreiben Militärs die Fischer für riesige Hotelanlagen von ihrem Land. Golfplätze und Poolanlagen nehmen Einheimischen in Honduras oder auf Bali das Wasser weg. Vor den Malediven ragt eine Insel aus Plastikmüll aus dem Meer. In Botswana dürfen reiche Jäger Großwild erlegen, die einheimischen Buschleute hingegen nur unter Auflagen auf die Pirsch gehen. Auf dem Mount Everest stapeln sich Müll und Bergsteiger gleichermaßen. Elefanten werden in Myanmar gefangen und nach Thailand gebracht, damit Touristen auf ihnen reiten können. In Barcelona protestieren Einheimische gegen die steigenden Touristenmassen in der Stadt. Immer mehr Kreuzfahrtschiffe sorgen für dicke Luft in Häfen und auf den Weltmeeren, und immer mehr Schneekanonen stemmen sich in Skigebieten verzweifelt gegen die Erderwärmung, die von immer mehr Flugreisen noch beschleunigt wird.
Es ist bitter: Viele ärmere Länder haben angesichts der wachsenden Zahl an Reisenden ihre ganze Hoffnung in die Monokultur Tourismus gesetzt. Bleiben die Besucher aufgrund von Naturkatastrophen, Krieg oder Terroranschlägen weg, fehlen oftmals die Alternativen. Auch weil korrupte Politiker und Militärs Baugenehmigungen für Hotelanlagen und Ferienwohnungen verschachern, Wasservorräte in die touristische Infrastruktur umleiten, den Lebensraum lokaler Minderheiten einschränken. Immer öfter ist der Tourismus an der Verletzung von Menschenrechten beteiligt. Doch mit Tourismus ist viel Geld zu verdienen. Mächtige Touristik- und Baukonzerne wollen und müssen weiter wachsen. Eine Spirale, die nur schwer zu durchbrechen ist. Die keiner der Profiteure wirklich stoppen will.
Wie viel Tourismus verträgt die Erde? Die Grenzen der Belastbarkeit sind vielerorts erreicht, wenn nicht bereits überschritten. Das ist vielen Beteiligten bewusst. Sie fordern ein Umdenken aller Akteure – nicht nur von Touristen, sondern auch von Reiseveranstaltern, Transportunternehmen, Politikern in den Heimatländern der Touristen und Politikern in den Gastländern. Auch Verbände, Nichtregierungsorganisationen, Reisejournalisten, Reisebuchverlage bis hin zu den Textilunternehmen, die uns mit wetterfester Kleidung und Daunenschlafsäcken versorgen, müssen ihren Beitrag zu einem ökologisch tragfähigen, sozial verantwortungsvollen Tourismus leisten. Für diese Kehrtwende sind jedoch neue Rahmenbedingungen auf globaler und lokaler Ebene notwendig.
Soll der Tourismus seiner Verantwortung gerecht werden und auch künftige Generationen ernähren, dann wird er sich vom Tourismus, wie wir ihn heute kennen, deutlich unterscheiden müssen. Der Tourismus der Zukunft ist ökologisch, sozial verträglich, klimafreundlich und politisch korrekt. Er orientiert sich – so die Agenda 2030 für Nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen – an den fünf P’s: people, planet, prosperity, peace, partnership, also den Menschen, der Erde, wirtschaftlichem und sozialem Nutzen, an Frieden und Partnerschaft. Das kann mittel- bis langfristig mit Einschränkungen verbunden sein. Muss es aber nicht. Das zeigen nachhaltige Angebote, die heute schon Reisende begeistern: etwa die mit einem fairen Tourismussiegel ausgezeichnete Backpacker-Lodge in Südafrika. Der lokale Reiseveranstalter in Indien, dessen Einnahmen direkt an die beteiligten Einheimischen fließen. Oder das ländliche Tourismusprojekt in Kambodscha, das nicht nur den Regenwald schützt, sondern auch die dort lebenden Familien in alle Entscheidungsprozesse rund um den Tourismus einbezieht. Doch wir müssen gar nicht so weit reisen. Manches Schöne liegt vor der Haustür: Gehen Sie doch im deutschen Wattenmeer auf die Suche nach den small five, fünf dort vorkommenden Kleintierarten. Finden Sie mithilfe des Eco Guide to mountain resorts Ihr umweltfreundliches Skigebiet in den Alpen. Oder übernachten Sie in einem deutschen Klima-Hotel, das höchsten Öko-Standards genügt.
Doch wie finde ich umweltfreundliche Hotels, Fluggesellschaften, Kreuzfahrtschiffe? Wie kompensiere ich die Klimagase, die meine Reise verursacht? Welche Tourismussiegel sind seriös, welche nur Augenwischerei? Wie komme ich klimafreundlich in die Alpen? Wie gestalte ich meine Geschäftsreisen nachhaltig? Werden auf meiner Urlaubsreise Menschenrechte verletzt? Wo kann ich sinnvoll als Freiwilliger arbeiten, wo Tiere artgerecht beobachten? Wie vermeide ich Müll im Urlaubsland? Wo bekomme ich ökologisch und fair produzierte Trekkingklamotten? Diese und viele weitere Fragen beantwortet das vorliegende Buch – damit Sie einen umweltverträglichen Tourismus auch leben können. Gespräche mit Tourismusexperten und Erlebnisse des Autors ermöglichen zudem spannende Einblicke hinter die Kulissen des weltweiten Tourismus.
Was diesen Ratgeber einmalig und praktisch macht: über einen Shortlink / QR-Code erhalten Sie Zugang zu hunderten fairen und grünen Länderreisetipps (s. Länderreisetipps). Die Liste enthält jede Menge nachhaltige Hotels, Guesthouses und Resorts;

Kapitel 1Globaler Tourismusauf Rekordjagd

Menschen reisen seit jeher. Es ist die Mischung aus Abenteuerlust, Freude am Entdecken und an Neuem, die uns in die Ferne treibt. In früheren Jahrhunderten war Reisen beschwerlich, gefährlich und teuer. Das hat sich in den vergangenen Jahrzehnten grundlegend geändert. Die Welt ist kleiner geworden. Bequeme und günstige Transportmittel bringen uns schnell in jeden noch so entfernten Winkel des Planeten.
Doch noch etwas anderes hat sich geändert: War das Reisen als Selbstzweck einst einer kleinen, betuchten Oberschicht vorbehalten, können sich heutzutage deutlich mehr Menschen einen Urlaub leisten. Heute verreist man, weil man es sich leisten kann und weil man verreisen möchte. Reisen ist Konsum und Statussymbol zugleich. Nach Angaben der Welttourismusorganisationen (UNWTO, s. Globale Tourismusbehörde – die UNWTO) finden mehr als die Hälfte aller internationalen Reisen aus reinem Vergnügen statt.
Und es werden ständig mehr. Von Jahr zu Jahr reisen mehr Menschen rund um den Globus. Große, weltweit agierende Reisekonzerne organisieren nicht nur unsere Trips, sondern auch die Reisen von Chinesen, Russen, Indern, Brasilianern und Südafrikanern. Touristen aus Schwellen- und immer öfter auch Entwicklungsländern tun das, was Menschen in Industrienationen schon seit Jahrzehnten in zunehmend großen Scharen tun: Sie relaxen am Pool und Strand, probieren lokale Spezialitäten, besteigen Berge, treiben Sport, besichtigen Kulturdenkmäler und Museen, shoppen in Städten oder liegen einfach nur in der Hängematte.
Krise hin, Krieg her – der Reisemarkt wächst
Flüchtlingsdrama am östlichen Mittelmeer und auf dem Balkan; Bürgerkriege und Gewalt im Nahen Osten und der Ukraine; Terroranschläge in Frankreich, Belgien, Tunesien, Ägypten, Indonesien, Kenia, der Elfenbeinküste, Mali, Nigeria und der Türkei; Erdbeben in Nepal; Ebola- und Zika-Epedemien; Absturz einer Germanwings-Maschine: Angesichts dieser Schlagzeilen könnte einem schon die Lust am Reisen vergehen. Nicht so den Deutschen. Sie reisten auch 2015 in rekordverdächtigen Zahlen, denn Alternativen zu den Problemgebieten bietet die Welt ja genügend. Die Branche bejubelte bereits Mitte 2015 die gestiegenen Buchungszahlen. Steigende Reallöhne, niedrige Arbeitslosenzahlen, Konsumlaune und günstige Treibstoffpreise begünstigten die positive Entwicklung.
Abbildung 1.1Einnahmen / Ausgaben Deutschlands im internationalen Reiseverkehr, Quelle: Deutscher ReiseVerband
Jeder Deutsche reiste 2015 laut Bundesverband der Deutschen Tourismuswirtschaft (BTW) privat durchschnittlich 20,6 Tage – insgesamt mehr als 1,67 Milliarden Tage und 1,8 Prozent mehr als im Vorjahr. So viel waren die Deutschen bislang noch nie unterwegs gewesen. 69,1 Millionen Reisen über fünf Tage bilanzierte die Reiseanalyse der Forschungs gemeinschaft Urlaub und Reisen (FUR) 2015. Die Ausgaben der Urlaubsreisenden beliefen sich laut DRV 2015 auf 71,5 Milliarden Euro. Hinzu kamen weitere 19,8 Milliarden Euro, die für Kurzreisen von zwei bis vier Tagen ausgegeben wurden. Für 2016 gibt es unterschiedliche Prognosen: Die BAT-Stiftung für Zukunftsfragen stellte in ihrer 32. Tourismusanalyse eine aufgrund von Kriegen, Terroranschlägen und Flüchtlingskrise sinkende Reiseintensität fest – vor allem bei der Altersgruppe 55+. Reisebüros klagten in den ersten Monaten des Jahres 2016 über Buchungsrückgänge. Die Mehrzahl der Branchenkenner glaubt hingegen, dass dem Tourismus auch 2016 ein gutes Jahr bevorsteht – vorausgesetzt, es gibt aureichend sichere Ausweichziele. Denn Reisen hänge von der persönlichen wirtschaftlichen Lage ab, so Prof. Martin Lohmann vom Institut für Tourismus- und Bäderforschung – und die schätzen die meisten Deutschen weiterhin positiv ein.
Abbildung 1.2Die 10 beliebtesten Auslands-Urlaubsreiseziele der Deutschen, Quelle: Deutscher ReiseVerband (Der deutsche Reisemarkt, Zahlen und Fakten 2015)
Die Deutschen reisen am liebsten im eigenen Land. Zu den beliebtesten Reiseländern zählen danach weiterhin Spanien und Italien. Die Türkei wird ihren vierten Platz im Jahr 2016 aufgrund der instabilen innenpolitischen Lage voraussichtlich verlieren. Zu deutlicheren Veränderungen kam es laut Reiseanalyse 2015 hingegen bei den Reisearten: Während Städtereisen im Zeitraum 2005 bis 2015 um 49 Prozent,
Kreuzfahrten auf See um 27 Prozent und Winterurlaub in der Sonne um 24 Prozent zulegen konnten, nahm das Interesse an Fitnessurlaub im gleichen Zeitraum um 34 Prozent, an Gesundheitsurlaub um 30 Prozent und an Winterurlaub im Schnee um sechs Prozent ab. Auf mehr als fünfeinhalb Millionen konnten 2015 hingegen nach DRV-Angaben Fernreisen zulegen – ein Anstieg im Vergleich zum Vorjahr im hohen einstelligen Prozentbereich.
Verändert hat sich auch die Länge der Reisen. Aus den »schönsten Wochen des Jahres« werden immer mehr die »schönsten Tage«. Denn die Deutschen reisen mehr, dafür aber auch kürzer: Laut Tourismusanalyse 2016 der Stiftung für Zukunftsfragen betrug die durchschnittliche Reisedauer 2015 nur noch 12,6 Tage. 1980 waren es 18,2, im Jahr 2000 14,8 Tage. Weniger als zehn Prozent aller Reisen dauern länger als drei Wochen.
Globales Wachstum
Auch international glänzt der Tourismus mit großer Wachstumsdynamik. Nach Angaben der UNWTO reisten 2015 weltweit rund 1,2 Milliarden Menschen – das sind vier Prozent mehr als im Vorjahr. 1950 waren es gerade einmal 25 Millionen Menschen. Hinzu kommt die fünf- bis sechsfache Menge an Inlandsreisen. Und für 2016 rechnet die Branche mit einem weiteren Wachstum des internationalen Tourismus von mindestens vier weiteren Prozentpunkten.
Abbildung 1.3Internationale Touristenankünfte weltweit, Quelle: World Tourism Organization (UNWTO)
Dass der Tourismus boomt, zeigen auch regionale Rekorde: Die Baleareninsel Mallorca hatte im August 2015 mit 1,75 Millionen Besuchern einen neuen Allzeit-Rekord aufgestellt. Ende 2015 rechnete man mit einem Umsatz von mehr als 10 Milliarden Euro – ein Plus von 14 Prozent zum Vorjahr. Zusammen mit dem Festland konnte der spanische Tourismus 2015 mehr als 50 Milliarden Euro erwirtschaften. Die Besucherzahlen stiegen um etwa 5 Prozent zum Vorjahr auf rund 68 Millionen – Bestmarke! Den mit über 19 Millionen Touristen besten Sommer seit 20 Jahren meldete Österreich Ende 2015. Und in Deutschland stieg die Zahl der Übernachtungen das sechste Jahr in Folge und erreichte dem Statistischem Bundesamt zufolge die Bestmarke von 436,4 Millionen.
Jobmotor Tourismus
Der Tourismus ist eine ökonomische Erfolgsgeschichte: Die Reisebranche zählt zu den weltweit wichtigsten Wirtschaftssektoren. Laut UNWTO erwirtschaftet der Tourismus 9,8 Prozent des globalen Bruttosozialprodukts und umfasst 30 Prozent aller weltweiten Dienstleistungen. Vor allem in Entwicklungsländern haben viele Menschen – vor allem viele Frauen – in den arbeitsplatzintensiven Dienstleistungsbranchen Hotellerie oder Gastronomie – erstmals überhaupt einen bezahlten Job oder eine Weiterbildung gefunden. 2015 schuf der Tourismus laut World Travel & Tourism Council (WTTC) weltweit 2,5 Millionen neue Jobs, was zu einem Anstieg der direkten Arbeitsplätze auf 108 Millionen führte. Rechnet man die indirekt durch den Tourismus entstandenen Arbeitsplätze hinzu (z. B. Jobs in Zulieferbetrieben) beschäftigte der Tourismus weltweit sogar jeden elften Arbeitnehmer: rund 284 Millionen Menschen.
Land
Prozent
Land
Prozent
Malediven
32,2
Ägypten
5,2
Bahamas
27,0
Spanien
5,0
Kroatien
13,6
Welt
3,6
Deutschland
6,7
USA
3,6
Thailand
5,8
China
3,0
Indien
5,5
Schweiz
3,0
Österreich
5,3
Türkei
2,2
Tabelle 1.1Anteil der direkten Arbeitsplätze im Tourismus am Gesamtarbeitsmarkt ausgewählter Länder in Prozent (2014) Quelle: World Travel & Tourism Council (WTTC)
Auch Landwirtschaft und Baubranche profitieren in vielen Ländern vom wachsenden Tourismus. Er trägt auch vielerorts dazu bei, Kunst und Kultur des Gastlands zu erhalten und in Wert zu setzen. Wenngleich die unmittelbaren Anrainer von Naturschutzflächen nicht automatisch vom Tourismus profitieren, so hat er doch vielerorts durch den regelmäßigen Besuch in- und ausländischer Touristen Natur- und Tierschutz begünstigt. Auch der Beitrag des Tourismus zur Völkerverständigung darf nicht unterschätzt werden. Er bringt Menschen und Kulturen zusammen, die sich ohne das Reisen wohl kaum begegnet wären.
Wundermittel im Kampf gegen Armut?
Angesichts der positiven Zahlen sind Großorganisationen wie die Weltbank oder die UNWTO überzeugt, dass der Tourismus ein wichtiges Mittel ist, um die Armut auf unserem Planeten zu beseitigen. Sie fördern gezielt touristische Großprojekte in ärmeren Ländern, um dort Arbeitsplätze zu schaffen und die Wirtschaft anzukurbeln. Auf den ersten Blick erfolgreich: Laut Weltbank ist die Zahl der Touristen in Entwicklungsländern kontinuierlich angestiegen. In vielen kleinen Inselstaaten und in Ländern wie Laos, Tansania oder Marokko gehört der Tourismus inzwischen zu den wichtigsten Devisenbringern. Aber auch in Schwellenländern wie Südafrika, Thailand, Brasilien oder Mexiko spielt der Tourismus eine bedeutende Rolle.
Tourismus und Migration – auf den Pass kommt es an
Wer einen deutschen Reisepass besitzt, hat es leicht auf dieser Erde. Dank des dünnen Büchleins kann er laut Visa Restrictions Index 2016 (visaindex.com) visumfrei in 177 Länder reisen. Keine andere Nation genießt so viel Reisefreiheit wie die Deutschen. Davon können Syrer, Afghanen oder Iraker nur träumen – viele von ihnen schaffen es nicht einmal bis in die Türkei. Mit ihren Pässen könne sie lediglich zwei bis drei Dutzend Länder visafrei bereisen. Europäische Länder sind nicht darunter.
Wer vor Krieg, Unterdrückung und Armut flieht, riskiert sein Leben und muss dafür auch noch horrende Geldsummen auf den Tisch legen. Während Mitteleuropäer mit zweistelligen Eurobeträgen in den Süden fliegen, müssen Flüchtlinge vierstellige Beträge für riskante Bootstouren im Mittelmeer aufbringen. Schlepper nehmen ihnen einem FAZ-Artikel vom Februar 2016 zufolge für die weniger als fünf Kilometer auf dem offenen Meer vom türkischen Bodrum zur griechischen Insel Kos in maroden Schlauchbooten rund 1 000 Euro pro Person ab. Europäer kostet die Überfahrt 20 Euro. Diese Fähre dürfen Migranten allerdings nicht benutzen.
Wir sind uns nur selten bewusst, wie gut es uns geht – und wie schwer es anderen gemacht wird, sich frei über Grenzen zu bewegen.
Den Beitrag, den der deutsche Tourismus zur regionalen Entwicklung und lokalen Wertschöpfung in Entwicklungs- und Schwellenländern leistet, soll die Studie Entwicklungsfaktor Tourismus belegen. Der Bundesverband der Deutschen Tourismuswirtschaft (BTW) hat sie Ende 2015 veröffentlicht. Ihr zufolge trugen die 11,2 Millionen deutschen Touristen, die 2012 in Entwicklungs- und Schwellenländer reisten, dort mit direkten Ausgaben von 6,9 Milliarden Euro zum Bruttoinlandsprodukt bei. Hinzu kommen indirekte (zum Beispiel Baubranche und Landwirtschaft) und induzierte Effekte. Letztere beispielsweise dann, wenn die im

Kapitel 2Tourismus – es ist nicht

2.1 Einführung

Der Tourismus schafft Arbeitsplätze, der Tourismus verringert die Armut, der Tourismus erwirtschaftet Devisen, der Tourismus unterstützt regionale Entwicklung und lokale Wertschöpfung: Das predigen Welttourismusorganisation, Weltbank, der IWF und die Regierungen vieler Länder seit Jahrzehnten. Es gibt unzählige Studien, Analysen und Untersuchungen zu den positiven wirtschaftlichen Auswirkungen des Tourismus – und sie haben eines gemein: Sie bilden kein ausgewogenes Bild der Realität ab. Die meisten fokussieren lediglich auf ökonomische Daten, beten Touristenzahlen herunter und rechnen mit dauerhaft gleichmäßigem Wachstum.
So wie auch die am Ende des ersten Kapitels (s. Tourismus und Migration – auf den Pass kommt es an) beschriebene Studie des Bundesverbands der Deutschen Tourismuswirtschaft (BTW), an der Tourism Watch (s. Tourism Watch – Informationsdienst Dritte-Welt-Tourismus) kein gutes Haar lässt. Die Ergebnisse in Bezug auf die sozioökonomischen Folgen des Tourismus seien erschreckend niedrig und die Nichtbeachtung von realen ökologischen Kosten eines der größten Defizite der Studie. Fazit der tourismuskritischen Organisation: »Alle Detailergebnisse der Studie zusammengefasst, bleibt der Eindruck, dass die vorschnelle Gleichsetzung von Tourismus und Entwicklung auf Grundlage der statistischen Analysen eher infrage gestellt als bekräftigt wird.«
Internationale Tourismusverbände rechnen gerne mit Touristenzahlen, die alles andere als genau sind. Denn wie viele Reisende wo und wann ankommen, wird weltweit nicht einheitlich festgestellt. Nicht in jedem Land gibt es zuverlässige Datenerfassungen. »In einigen Ländern kann es zu Mehrfacherfassungen von Touristen kommen, wenn diese auf Rundreisen in verschiedenen Unterkünften einchecken und es keinen Datenabgleich gibt«, sagt Marcus Bauer, Tourismusexperte an der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes. »Darunter leidet natürlich die Aussagekraft der Tourismusstatistik.« Das werde problematisch, wenn die verzerrten Zahlen als Grundlage für Potenzialanalysen und ganze Entwicklungspläne herangezogen werden.
Einseitig gefärbte Tourismusstudien blenden gerne die Kosten der Schäden aus, die der Tourismus vielerorts hervorruft. Aber erst wenn den neu gewonnenen Arbeitsplätzen die verloren gegangenen gegenübergestellt werden, wenn auch Umweltschäden durch Bauaktivitäten und laufenden Betrieb erfasst und wenn beispielsweise Kosten für Vorleistungen bezüglich der touristischen Infrastruktur der jeweiligen Länder und Steuererleichterungen für Investoren berücksichtigt werden, kann man von einer differenzierten Sichtweise der Dinge sprechen.
Aber wie bewertet man qualitative Veränderungen, die bei quantitativen Untersuchungen komplett unter den Tisch fallen? Wie beziffert man den Verlust an Selbstbestimmung, den ein Fischer erleidet, der für ein Tourismusprojekt von seinem Land vertrieben wurde und nun bei diesem als schlecht bezahlter Gärtner arbeitet? Wie berechnet man den Verlust an Lebensqualität von Dorfbewohnern, denen man zwar eine neue Wasserleitung gebaut hat, deren Wasser aber vorzugsweise den Touristen im benachbarten Hotelkomplex zur Verfügung steht? Wie erfasst man die Schäden an Ökosystemen, verursacht durch einen fehlgeleiteten, mangelhaft kontrollierten und überbordenden Tourismus, deren Kosten von der Allgemeinheit geschultert werden müssen? Wie Landschaftsschäden durch Zersiedelung und das Umgehen von Bauvorschriften? Wie die Tatsache, dass zwar Hotels als Folge eines Booms gebaut werden, diese aber nicht notwendigerweise rentabel wirtschaften? Wie positiv ist der Bau von immer mehr All-inclusive-Anlagen zu bewerten, die Investoren, Veranstalter und Touristen glücklich machen, aber für touristische Einrichtungen in der Umgebung oftmals das Aus bedeuten? Sind Zuwachsraten bei Arbeitsplätzen aussagekräftig genug, wenn sich herausstellt, dass es sich meist um befristete Arbeitsverhältnisse mit geringer Qualifizierung im Niedriglohnsektor handelt wie etwa Kellner, Küchenhilfen, Zimmermädchen und Animateure? Wie bewertet man schlecht bezahlte Jobs im Tourismus, bei denen der Arbeitgeber das Trinkgeld als festen Bestandteil des Lohns betrachtet? Und welchen Preis müsste man den Klimagasen geben, die vom Tourismus in immer größeren Mengen erzeugt werden und zu den negativen Folgen des Klimawandels beitragen? Auf all diese Fragen geben heutige Studien, falls überhaupt, nur punktuell Antworten.

Tourismus, das zweischneidige Schwert

Das Sprichwort »Tourismus ist wie Feuer. Du kannst damit dein Essen kochen oder dein Haus abbrennen« bringt es auf den Punkt: Allerdings ist nicht der Tourismus als Prinzip das Problem, sondern das, was wir aus ihm gemacht haben – oder eben nicht machen. »Es ist ein Paradox, dass wir reisen, um die Schönheit und Vielfalt anderer Orte, Menschen und Kulturen kennenzulernen, aber unsere Präsenz dort oft nicht wiedergutzumachende Folgen auf die Ökobalance hat«, sagte Professor Visentin von der Universität Lugano 2015 auf der Expo in Mailand. Oder wie es der Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger formulierte: »Der Tourist zerstört, was er sucht, indem er es findet.«
Die Schattenseiten explodierender Touristenzahlen und von unkontrolliertem Wachstum im Tourismus werden weltweit immer deutlicher sichtbar: wachsende Emissionen durch Auto-, Schiffs- und Flugverkehr, Verschwendung von Wasser, Zerstörung von Naturräumen durch Bebauung, Landvertreibung, Müllberge, Sextourismus, Verlust kultureller Identität, finanzielle Abhängigkeiten, Kinderarbeit, Niedriglöhne, Misshandlung von Tieren, Gigantomanie.
Viele der Probleme von gestern sind immer noch die Probleme von heute – sie haben sich aufgrund der fortschreitenden Globalisierung aber weiter akzentuiert und zum Teil potenziert. Ohne die alten Probleme in den Griff gekriegt zu haben, sind neue hinzugekommen, die zwar bekannt sind, aber von der Öffentlichkeit bislang – wenn überhaupt – nur am Rande wahrgenommen wurden. Etwa die Umweltschäden durch Kreuzfahrtschiffe (s.Kreuzschifffahrt – Branchenliebling mit Imageproblemen). Oder Probleme, die erst seit wenigen Jahren mit dem Tourismus in Verbindung gebracht werden, wie beispielsweise das Thema Menschenrechtsverletzungen (s. Tourismus und Menschenrechte), terroristische Anschläge oder die Flüchtlingskrise. Diese Probleme – ob alt oder neu – werden von den Touristikunternehmen zwar zunehmend mehr oder weniger engagiert angegangen. Doch an erster Stelle stehen für die Firmen weiterhin Profitmaximierung, Marktanteile, Wachstum und Shareholder-Value. Diese Postulate werden nur selten infrage gestellt.
Machtkonzentration
Es ist ein weltweiter Trend: Die Unternehmen werden immer größer, die Machtkonzentration nimmt zu. Ihre Marktmacht nutzen die Konzerne, um die Preise ihrer Lieferanten bis an die Schmerzgrenze zu drücken. Diese wiederum sehen sich gezwungen, die niedrigen Preise weiterzugeben. Das geht zulasten von Arbeitern am Ende der Wertschöpfungskette, und es erschwert die Einhaltung von Umweltstandards. Wer groß und stark ist, hat es leichter, bei Verhandlungen seine Preise und Konditionen durchzusetzen. Diese einfache Erkenntnis hat sich nicht nur die Europäische Union bei ihren bilateralen Handelsabkommen mit Entwicklungsländern, sondern auch der Lebensmitteleinzelhandel längst zu eigen gemacht. Der wird in Deutschland von nur noch fünf Supermarktketten beherrscht (Aldi, Lidl, Rewe, Edeka, Metro). Sie haben nach Angaben der entwicklungspolitischen Organisation Oxfam einen Marktanteil von 90 Prozent. Und sie mischen zunehmend im Tourismus mit. So bieten Discounter wie Lidl und Aldi, aber auch der Einzelhändler Tchibo seit mehreren Jahren Reisen an. Die DER Touristik, eine REWE-Tochter, ist nach eigenen Angaben nach der TUI die Nummer drei der deutschen Reiseveranstalter.
Abbildung 2.1Marktanteile deutscher Reiseveranstalter, Quelle: Deutscher ReiseVerband
Von einer Marktkonzentration wie beim Lebensmitteleinzelhandel ist der deutsche Tourismusmarkt zwar noch ein gutes Stück entfernt. Doch um Marktanteile auszubauen, schlucken auch hier die Großen immer öfter die Kleinen. So hat sich die DER Touristik (s. DER Touristik) 2015 das Veranstaltergeschäft des größten Schweizer Reisekonzerns Kuoni einverleibt. Oder es kommt zu Fusionen wie 2014, als die TUI Group mit der Übernahme der britischen Tochter TUI Travel PLC zum globalen Marktführer im Tourismusgeschäft aufstieg. Bereits 2010 hatte Thomas Cook, zweitgrößter deutscher Reiseveranstalter, den Türkeispezialisten Öger Tours übernommen, bis dahin die Nummer sieben auf der Liste der deutschen Veranstalter. Im Frühjahr 2016 gaben Marriott International und Starwood Hotels & Resorts (u. a. Sheraton, Westin) die Fusion beider Hotelketten bekannt. Mit diesem Zusammenschluss entsteht die größte Hotelgesellschaft der Welt – mit 5 500 Hotels und 1,1 Millionen Zimmern. Bei den Online-Reiseportalen ist inzwischen ein wahrer Kaufrausch zu verzeichnen: 2015 schluckte das 1995 von Microsoft gegründete amerikanische Online-Reisebüro Expedia (unter anderem hotels.com, Travelocity, trivago) den US-Konkurrenten Orbitz Worldwide (u. a. Ebookers) für 1,3 Milliarden US-Dollar und den Wohnungsvermittler Homeaway (fewo-direkt.de) für 3,9 Milliarden US-Dollar. 2016 übernahm die einstige Expedia-Tochter Tripadvisor den europäischen Ferienwohnungsvermittler Housetrip für eine nicht genannte Summe. Ebenfalls 2016 verkaufte TUI Ihr Online-Buchungsportal Hotelbeds für knapp 1,2 Milliarden Euro an den britischen Finanzinvestor Cinven. Und auch Internetgigant Google steht in den Startlöchern: Noch seien die Erlöse durch Werbung größer als potenzielle Provisionseinnahmen, schrieb der Spiegel Anfang 2016. Doch es sei nur eine Frage der Zeit, bis der Suchmaschinenbetreiber selbst mit einem Buchungsportal antrete. In den USA laufen diesbezüglich erste Experimente.
Bis es zu weiteren Fusionen oder Übernahmen kommt, ist es nur eine Frage der Zeit. Ob die beteiligten Unternehmen von den Zusammenschlüssen profitieren, weiß man erst hinterher. Doch Fusionen gehen oftmals einher mit Personalabbau und tief greifenden Umstrukturierungen. Gelegentlich werden die Gewinne solcher Maßnahmen auch an die Kunden weitergereicht, die dann von noch günstigeren Reisepreisen profitieren. Die Zeche zahlen die schwächsten Glieder der Kette, meist einfaches Dienstpersonal. Oder die lokale Wirtschaft und die Umwelt, wenn Politiker beim Bau von All-inclusive-Ferienanlagen in Schwellenländern oder Ländern des Südens beide Augen zudrücken – und Baugenehmigungen erteilen, aber Umweltverträglichkeitsprüfungen »vergessen«.
Wer profitiert vom Tourismus?
Der weltweite Tourismus ist ein bestens organisiertes System. Es hat nicht primär das Wohl der Touristen oder der Einheimischen im Blick. Sondern Gewinnmaximierung. Das meiste Geld verbleibt bei Reiseveranstaltern, Fluglinien und Reedereien aus den Industrieländern. Oder es fließt aus ärmeren Ländern in Form von Devisen beispielsweise für importierte Lebensmittel oder Baubedarf wieder an die Industriestaaten zurück. Vor allem beim Pauschaltourismus bleibt vom Geld der Urlauber wenig in der Region, bemängelt Professor Dirk Reiser, der Nachhaltiges Tourismusmanagement an der Cologne Business School lehrt. »Der Profit darf nicht nur in die eine Richtung gehen«, so der Tourismusexperte in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.
Doch das tut er überwiegend: Nach Untersuchungen der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD) fließen durchschnittlich 50 Prozent der Einnahmen, die Entwicklungsländer durch Tourismus erzielen, wieder ins Ausland ab – überwiegend in diejenigen Länder, aus denen die Reisenden kommen und in denen die von ihnen genutzten Touristikkonzerne sitzen. Diese Rückflussrate (auch Nettodeviseneffekt; im Engl. leakage) definiert die Umweltorganisation Naturfreunde Internationale – respect (s. Naturfreunde Internationale / respect) als den Anteil der touristischen Einnahmen, welcher durch transnational agierende Fluglinien, Hotelketten, Reiseveranstalter oder Kreuzfahrtgesellschaften sowie durch Lebensmittel- und Warenimporte ins Ausland abfließen und damit den Volkswirtschaften der Zielländer nicht zugutekommt. Im Tourismus geht die Weltbank von einer Rückflussrate von bis zu 55 Prozent aus, die britische New Economics Foundation (NEF) kommt in Fallbeispielen auf deutlich höhere Werte. Als Rückflussraten für Thailand, Kuba und Gambia nimmt sie 70 bis 75 Prozent an, für ein Extrembeispiel – All-inclusive-Reisen nach Kenia – gar 85 Prozent. Auf Sickerraten von 42 bis 60 Prozent kommen selbst die kleinen und mittelgroßen deutschen Reiseveranstalter, die das TourCert-Siegel (s. TourCert) verwenden. In einer anonymisierten Aufstellung von mehr als 20 verschiedenen großen Reiseunternehmen durch TourCert (Stand: November 2015) schwankten die Rückflussraten zwischen 38 und 73 Prozent.
Begrenzte Wohlstandseffekte
Das ist alles in allem zu wenig Geld, das zudem meist ungerecht verteilt ist. Der globale Tourismus hat bisher kein Land aus der Armut befreit. Dies ist auch nicht seine primäre Aufgabe. In ihrem Buch Tourism Development – Growth, Myths and Inequalities schreiben die Autoren, »dass es unglücklicherweise nicht das allererste Ziel internationaler Tourismusunternehmen (Hotelketten, Immobilienmakler und Reiseveranstalter) ist, Armut zu reduzieren, sondern ein akzeptables Niveau finanziellen Nutzens beim kleinstmöglichen Risiko zu erreichen«.
Die Auswirkungen des Massentourismus auf den Wohlstand einer unterentwickelten Nation sind begrenzt – wenngleich lokale Kleinunternehmer mit einfachen Herbergen, Souvenirständen, Garküchen oder als fliegende Händler für Strandbedarf oder Ramsch vom Tourismus profitieren. Doch der so oft propagierte trickle down effect – der Sickereffekt von oben nach unten – bleibt aus. In zahlreichen Ländern mit einem hohen Tourismusanteil wie etwa Ägypten, Mexiko oder der Türkei ist Ähnliches zu beobachten: Diese Länder nehmen unter den Entwicklungs- und Schwellenländern zwar Spitzenpositionen ein, was Touristenzahlen und Einnahmen aus dem Tourismus betrifft. Doch haben es ihre Regierungen bislang nur ansatzweise geschafft, den Reichtum gleichmäßiger zu verteilen.
Der Tourismus in großem Stil hat weltweit zwar jede Menge Jobs geschaffen, doch auch hier gibt es krasse Gegensätze. »Einheimische verrichten vor allem einfache Dienstleistungen wie das Putzen, während Ausländer das Management besetzen«, fasst Tourismusprofessor Dirk Reiser die Situation vor allem in Entwicklungs- und Schwellenländern zusammen. Niedrige Löhne und Ausbeutung im Tourismus sind keine Ausnahme, auch nicht in entwickelten Ländern. Nicht immer ermöglichen lokale Veranstalter und Hoteliers es lokalen Angestellten, sich weiterzubilden und in besser bezahlte Positionen aufzusteigen (mehr zu den Arbeitsbedingungen im Tourismus im Kapitel Jobs im Tourismus – lange arbeiten, wenig verdienen).
Abhängigkeiten
»Unter dem Druck von Schuldensanierung und Strukturanpassungen haben sich viele Entwicklungsländer verpflichtet, ihre Wirtschaft immer weiter dem globalen Markt zu öffnen«, heißt es in der Untersuchung Tourismus in Entwicklungs- und Schwellenländern des Studienkreises für Entwicklung und Tourismus (s. Studienkreis für Tourismus und Entwicklung). In der Hoffnung auf schnelle Devisen und unter Auflagen der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds haben viele Länder einseitig auf die Karte Tourismus gesetzt. Regionale und bilaterale Abkommen haben in vielen ärmeren Ländern ausländischen Investoren Tür und Tor geöffnet, die Einkommens- und Selbstbestimmungsmöglichkeiten lokaler Anbieter hingegen beschnitten. So sind in einigen Ländern Abhängigkeiten vom Tourismus entstanden.
Land
Prozent
Land
Prozent
Malediven
41,5
Türkei
4,7
Bahamas
19,4
Deutschland
3,8
Ägypten
12,8
Welt
3,1
Kroatien
12,5
USA
2,6
Thailand
8,6
China
2,6
Spanien
4,8
Indien
2,2
Österreich
4,8
Schweiz
2,1
Tabelle 2.1Anteil der direkten Tourismuseinnahmen am Bruttoinlandsprodukt in Prozent (2014), Quelle: World Travel &Tourism Council (WTTC)
Nach Angaben der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) erreicht der Anteil des Tourismus am Bruttoinlandsprodukt in Entwicklungsländern bis zu 40 Prozent, während es in entwickelten Staaten drei bis zehn Prozent sind. Bereits im Jahr 2000 konstatierte der Journalist Norbert Suchanek in seinem Buch Ausgebucht – Zivilisationsfluch Tourismus: »Heutzutage sind nicht die Reisekonzerne abhängig von einem Reiseland, sondern umgekehrt.« Besonders abhängig vom Tourismus sind Inselgruppen wie die Malediven. Hier waren die direkten Tourismuseinnahmen nach Angaben des World Travel & Tourism Council (WTTC) 2014 für 41,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts verantwortlich, bei den Seychellen für 21,3 Prozent. Zum Vergleich: In Deutschland waren es 2014 laut WTTC 3,8 Prozent, weltweit 3,1 Prozent. Für ein Drittel aller Entwicklungsländer ist der Tourismus die wichtigste Einnahmequelle.
Das bringt zwar dringend benötigte Devisen, um die oftmals horrenden Auslandsschulden zu begleichen. Doch bleiben die Touristen beispielsweise aufgrund von Terrorattacken oder Naturkatastrophen aus, kollabiert die »Monokultur« recht schnell. Besonders Entwicklungsländer, die einseitig auf Tourismus setzen, spielen daher aufgrund ihrer oftmals hohen äußeren Anfälligkeit ein riskantes Spiel. Die Urlauber stört es wenig: Sie reisen einfach ins Nachbarland oder wechseln mal eben den Kontinent.
Terror, Tourismus, Tragödie
Beispiele gibt es zuhauf – gerade in vom Tourismus stark abhängigen Ländern wie Tunesien, Ägypten, der Türkei oder Kenia. In dem ostafrikanischen Land, das in den vergangenen Jahren Ziel mehrerer terroristischer Anschläge war, versucht die Regierung den eingebrochenen Tourismusmarkt mit millionenschweren Finanzspritzen wiederzubeleben. Von 30­ Charter-Airlines, die das afrikanische Land in den vergangenen Jahren anflogen, sind Anfang 2016 gerade einmal drei übrig geblieben. Verringerte Landegebühren in Mombasa und Malindi für Charterflieger im Zeitraum Januar 2016 bis Juni 2018 sollen ebenso für einen Aufschwung sorgen wie ein »Kopfgeld« von 30 US-Dollar für jeden internationalen Passagier, der in Kenia im gleichen Zeitraum landet oder verringerte Eintrittsgebühren für Nationalparks.
In Tunesien blieben die Urlauber nach Terroranschlägen von heute auf morgen weg. Die spanische Hotelkette RIU, an der auch die TUI zu 49 Prozent beteiligt ist, zog sich im September 2015 aus Tunesien zurück. Zuvor hatte ein Attentat im Juni 2015 auf das RIU-Hotel Imperial Marhaba in Sousse, bei dem 38 Menschen starben, zu einem Einbruch der Touristenzahlen geführt. Ebenso wie bereits im März 2015 nach einem Anschlag mit 21 toten Urlaubern im Bardo-Museum in Tunis. 2015 schlossen außer den neun RIU-Anlagen mehr als 70 weitere Hotels ihre Pforten. Tunesische Behörden befürchten den Verlust von rund 50 000 Arbeitsplätzen – das ist jeder achte Job in der Branche. Ein heftiger Schlag für ein Land, in dem der Tourismus rund zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts erwirtschaftet.
Den Rückgang russischer Urlauber bekam auch die Türkei zu spüren. Die Auslastung der Hotelbetten ging nach einer Reisewarnung des russischen Außenministeriums spürbar zurück. Viereinhalb Millionen Russen – die zweitgrößte Touristengruppe nach Deutschland – verbrachten 2014 ihre Ferien in der Türkei. Inzwischen erhalten einige Airlines Kopfgelder von der türkischen Regierung, wenn sie Touristen in die Türkei bringen. Solange aber die politische Lage des Landes weiter instabil ist und weitere Terroranschläge drohen, wird diese Maßnahme den Rückgang der Besucherzahlen nicht aufhalten können. Denn auch deutsche Urlauber, Reiseveranstalter, Reedereien und Fluglinien haben nach diversen Anschlägen – wie zum Beispiel im Januar 2016 in Istanbul – begonnen, der Türkei den Rücken zu kehren.
Am Beispiel der Türkei zeigt sich, dass zukünftig für Touristen das Thema Sicherheit neben Sonne und Strand zu einem immer wichtigeren Kriterium bei der Wahl des Urlaubsorts wird. Das ist gut nachvollziehbar, solange es Anschläge auf Touristen gibt. Nur wenige Reisende setzen sich gerne einem unkalkulierbaren Risiko aus. Kommt es zu weiteren Anschlägen auf Touristen, kann dies zu einem veränderten Reiseverhalten führen. Das macht die Planung der Reiseveranstalter nicht gerade leichter. Auch ihr Geschäft wird riskanter und kurzfristiger. So wie im Sommer 2015, als Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan, Irak und einigen afrikanischen Ländern viele griechische und italienische Inseln geradezu überrannten. Zahlreiche Reisen wurden storniert, viele Kreuzfahrtschiffe blieben und bleiben diesen Gegenden fern. Den Preis für Terror und Flüchtlingskrise zahlen einzelne Destinationen, während vermeintlich sichere Länder – wie zum Beispiel Spanien oder Bulgarien – profitieren.
Auch Naturkatastrophen oder Epidemien haben direkte Auswirkungen auf den Tourismus: So brachte etwa der gewaltige Tsunami, der Ende 2004 mindestens 231 000 Tote forderte, den Tourismus in den betroffenen Regionen vorübergehend ganz zum Erliegen. Und Ereignisse wie das Erdbeben in Haiti 2010 mit Auswirkungen auf den Tourismus in der benachbarten Dominikanischen Republik, die Reaktorkatastrophe in Fukushima 2011, die Ebola-Epidemie in Westafrika 2014, das schwere Erdbeben in Nepal im April 2015 oder der Zika-Virus bringen den Einheimischen nicht nur persönliches Leid. Bleiben die Touristen weg, verlieren zahlreiche Menschen auch ihre einzige Einkommensquelle.
Vertrauen als neue Währung
Ist ein Land zum »touristischen Niemandsland« geworden, so die Süddeutsche Zeitung, ist seine Regierung aufgefordert wieder Vertrauen zu schaffen, um erneut als attraktives Reiseziel Beachtung zu finden. Das gelingt in der Regel nur, wenn die Ursachen beseitigt werden. Glücklicherweise für die betroffenen Länder haben wir alle ein schlechtes Gedächtnis. Oder wir sind Meister im Verdrängen. Denn genauso schnell, wie der Touristenstrom versiegt, erholt er sich oftmals auch wieder. Eine Reisesaison später – vorausgesetzt, die Sicherheit der Touristen ist gewährleistet und die Infrastruktur wiederhergestellt – kommen die Touristen wieder, oftmals angelockt von Schnäppchenpreisen. Die bekommt man in Krisenregionen ohnehin des Öfteren. Um überhaupt noch Touristen anzuziehen, bleibt manchmal nur ein Mittel: Staatliche Subventionen und Preise senken. Mit diesen Mitteln versuchen beispielsweise Ägypten, Kenia oder die Türkei wieder Touristen in ihre Länder zu holen. Doch nur mit Geld lassen sich Terror und Angst nicht besiegen. Und richtig entspannend ist ein Urlaub hinter hohem Stacheldraht und umgeben von bewaffnetem Wachpersonal auch nicht.
Das Reisen von heute hat seine Unschuld verloren. Spätestens seit den Anschlägen auf das World Trade Center in New York am 9. September 2001 ist nichts mehr so, wie es davor war. Wer heute reist, muss – je nach Reiseziel – oftmals schon vor Reisebeginn jede Menge persönlicher Daten preisgeben, konsultiert vor allem bei Trips in Schwellen- oder Entwicklungsländer sicherheitshalber die Reisewarnungen des Auswärtigen Amts und quält sich durch immer langwierigere Sicherheitskontrollen an Flughäfen. Die Zeiten haben sich geändert. Doch anpassungsfähig war der Tourist – und mit ihm der Tourismus – schon immer.

Wegen Überfüllung geschlossen – wie viel Tourismus verkraftet die Welt?

»Voller möchte man sich das nicht vorstellen« – das war nur eine Reaktion deutscher Mallorca-Urlauber im Sommer 2015, als alleine im August 1,75 Millionen Touristen die Baleareninsel stürmten – doppelt so viele, wie auf der Insel Einheimische leben. Ob Venedig, Barcelona (s. Städte), Mallorca, Teneriffa, die Seychellen oder die Inkastadt Machu Picchu in Peru: Viele Reiseziele sind – vor allem in der Hauptsaison – an ihren Kapazitätsgrenzen angelangt.
Denn neben Millionen von Europäern, Nordamerikanern, Kanadiern und Australiern reisen inzwischen auch Millionen von Chinesen, Brasilianern und Indern munter um die Welt. Das ist sicherlich für die Völkerverständigung positiv und, rein wirtschaftlich betrachtet, ein großer Erfolg – vor allem für Fluglinien, Reiseveranstalter und die Reisedestinationen. Doch die Touristenmassen machen den Einheimischen das Leben vielerorts zur Hölle. Sie verbrauchen immense Mengen an Wasser, mehr Nahrung als die Einheimischen, sie hinterlassen Unmengen an Abfall und trampeln Kulturgüter in den Boden. Jede Stadt, jeder Strand, jeder Nationalpark hat eine ökologische Aufnahmegrenze. Wird sie überschritten, dann erodiert die Sehenswürdigkeit, und niemand hat mehr so richtig Spaß, sie zu besichtigen. Sie verbraucht sich, ohne Luft zur Erneuerung zu haben. Tourismusmanager hielten die Berechnung einer solchen Kapazitätsgrenze bislang für überflüssig, viele Entscheidungsträger ignorierten sie einfach.
Kein Wunder: Welche Regierung begrenzt schon freiwillig Touristenströme, wenn sie auf die Devisen aus dem Reisegeschäft angewiesen ist? Mit Beschränkungen und Vorschriften möchte man niemanden vergraulen. Und so lautet die Gleichung fast überall: Je mehr Touristen, desto besser. Doch die vielerorts unreguliert eintreffenden Touristenmassen bereiten immer mehr Reisezielen Kopfschmerzen. Verständlich.
Selbst die Welttourismusorganisation UNWTO sieht das Dirigieren der weltweiten Touristenmassen als eine der größten Notwendigkeiten, aber auch Herausforderungen der Branche überhaupt. Will eine bekannte Destination dauerhaft attraktiv bleiben, muss sie die Touristenströme und die damit einhergehenden ökologischen, sozialen und kulturellen Auswirkungen in den Griff bekommen. An einigen Orten sind daher Begrenzungen der Besucherzahlen im Gespräch. Praktiziert wird dies bereits auf beliebten Wanderwegen wie dem Inkatrail nach Machu Picchu in Peru oder den zu Ecuador gehörenden Galapagosinseln. Im Mai 2016 schlossen Behörden die thailändische Insel Koh Tachai, Teil des Similan Island National Park. Der Grund: Zu viele Touristen.
Venedig ertrinkt im wahrsten Sinn des Wortes in Touristen. Alleine 650 Kreuzfahrtschiffe laufen Jahr für Jahr in die Lagunenstadt ein. Hinzu kommen Millionen Touristen auf dem Landweg. In der Bevölkerung regt sich Widerstand. Tourismus hat viele Venezianer wohlhabend gemacht. Aber es gibt auch viele, die vom Tourismuskuchen wenig oder gar nichts abbekommen und nur unter den negativen Folgen leiden. Ob eine Art Eintrittskarte für den Markusplatz, die Tagestouristen zukünftig kaufen sollen, das Problem lösen wird, ist eher unwahrscheinlich.
Über zu viele Kreuzfahrttouristen klagt selbst die Stadt Regensburg. 1 400 Schiffsanläufe auf der Donau und drei Millionen Tagesgäste machen nicht allen Regensburgern Freude. Die Folge des Booms: eine mit Schiffen dauerhaft zugeparkte Donauseite, Motorlärm, Abgase, Müllcontainer am historischen Uferweg – und seit der Auszeichnung mit dem Welterbe-Prädikat explodierende Immobilienpreise von über 60 Prozent, mehr als in jeder anderen deutschen Stadt.
Sogar im dünn besiedelten Island zeigen sich die Schattenseiten unkontrolliert wachsender Touristenzahlen. Auf der Atlantikinsel ist man eigentlich froh über den Tourismusboom – half er doch dem Land aus der schweren Finanzkrise der vergangenen Jahre heraus. Inzwischen ist der Tourismus noch vor der Fischerei, dem bisher wichtigsten Wirtschaftszweig, zum bedeutendsten Devisenbringer Islands geworden. 1,5 Millionen Besucher erwarten die Isländer 2016. Das ist das Fünffache der Einwohnerzahl und sprengt besonders in den Sommermonaten die Kapazitäten. Es beeinträchtigt zudem die sensible Flora am Polarkreis. Einmal niedergetrampelt, braucht sie Jahre, um sich zu erholen. Auch deswegen denkt die Regierung über die Einführung einer Abgabe für Besucher nach.
Selbst auf Mallorca, der Deutschen beliebtester Ferieninsel, könnten möglicherweise die Touristenzahlen zumindest in den Sommermonaten – wie auch auf allen anderen Baleareninseln – begrenzt werden. Das seit Juni 2015 in Palma regierende linke Parteienbündnis beschloss eine ab 1. Juli 2016 geltende Touristenabgabe von – je nach Art der Unterkunft und der Reisezeit – 0,25 bis zwei Euro pro Tag und Tourist (obwohl die Einführung einer Ökosteuer im Jahr 2002 floppte). Denn 80 Prozent der 14 Millionen Touristen, die die Balearen jährlich besuchen, kommen im Sommer nach Mallorca, Ibiza, Menorca und Formentera. Alle seien sich darüber im Klaren, dass vor allem während der Sommermonate die Aufnahmekapazität der Balearen »total erschöpft« sei, sagte Biel Barceló, Vizeministerpräsident der Autonomen Gemeinschaft in Palma de Mallorca, gegenüber Spiegel online.
Konkreter wurde man auf der Mittelmeerinsel Malta. Sie führte Anfang Juni 2016 eine Umweltgabe von 0,50 Euro pro Person und Nacht (max. 5 Euro) ein.
Und auch im Genussland Südtirol hinterlässt der Tourismus sichtbare Spuren. In einer Rede im Rahmen der Toblacher Gespräche 2015 zählte der Südtiroler Politiker und Historiker Hans Heiss daher die sieben (touristischen) Hauptsünden der Region auf: Grundverbrauch, Landschaftszerstörung, architektonische Genmanipulation, Energiefresserei, erhöhte Bodenpreise, heimliche Überschuldung und falsche Mobilität. Als Therapie empfiehlt Heiss unter anderem, einen Klima-Tourismus zu entwickeln, den Ganzjahrestourismus zu fördern und die Grenzen des Wachstums zu fixieren. Jährlich 30 Millionen Übernachtungen seien genug, so Heiss.
Wachstum ohne Ende – Ressourcenverschwender Tourismus
Die Botschaft ist eindeutig: »Die Ressourcennutzung des Tourismus übersteigt gegenwärtig die natürlichen planetaren Grenzen der Erde«, schrieben die Tourismusexperten Stefan Gössling und Paul Peeters 2015 im Tourism Watch-Newsletter 80. Ob Wasser, Land, Energie oder Nahrung: Wenn wir reisen, verbrauchen wir meist mehr Ressourcen als zu Hause. Selbst wenn diese in Zukunft deutlich effizienter genutzt werden, würde eine solche positive Entwicklung von der noch rascher steigenden Zahl an Reisen und der zunehmenden Reiseentfernung konterkariert, so Gössling und Peeters. Sie haben die Ressourcennutzung des Tourismus in einer Szenarien-Studie untersucht und die Ergebnisse 2015 im Journal of Sustainable Tourism veröffentlicht. Da immer mehr Menschen reisen und zudem der durchschnittliche Ressourcenverbrauch pro Reise zunimmt, werden sich laut Gössling und Peeters die Auswirkungen des Tourismus bezüglich CO2-Emissionen, Wasserverbrauch, Landnutzung und Nahrungsmittelbedarf je nach Wachstumsszenario innerhalb von 25 bis 45 Jahren verdoppeln. Selbst im günstigsten Fall (Abschwächung der Wirtschaft) stiege der Wasserverbrauch des Tourismus zwischen 2010 und 2050 um 92 Prozent an. Im gleichen Zeitraum würde 189 Prozent mehr Landfläche verbraucht. Da wir im Urlaub mehr essen als zu Hause, wird sich Gössling und Peeters zufolge der globale Nahrungsmittelverbrauch im Tourismus von 39,4 Megatonnen 2010 auf 82 Megatonnen im Jahr 2050 in etwa verdoppeln. Für Fernreisen mit Flug- und Kreuzfahrt-Elementen würden unter Umständen mehr als 3 000 Kilogramm Treibstoff pro Tourist verbraucht. Die Wissenschaftler mahnen an, dass der globale Tourismus nicht nur immer weniger nachhaltig ist, sondern gleichzeitig auch immer anfälliger für Störungen.
Wahrscheinlich werden wir uns in den kommenden Jahrzehnten an immer mehr Orten der Erde an Mengenbeschränkungen für Touristen gewöhnen, ja gewöhnen müssen, will man Sehenswürdigkeiten auch für die nachfolgenden Generationen erhalten. Sich dieser Realität zu stellen und sie den Touristen zu kommunizieren wird Aufgabe der jeweiligen Regierungen und der Tourismusindustrie sein. Sie ist unausweichlich. Widerstand seitens der Branche, aber auch seitens der Besucher ist zu erwarten. Wie berechnet man die optimale Zahl für einen sozial- und umweltverträglichen Tourismus? Wer berechnet sie? Und was genau begrenzt man? In Venedig beispielsweise griffe eine Begrenzung der Hotelbetten zu kurz – die meisten Besucher kommen nur tagsüber oder übernachten auf einem Kreuzfahrtschiff. Hinzu kommt, dass Vergleichswerte und Erfahrungen fehlen.
Wer fürchtet, dass dann automatisch die Preise steigen und Tourismus eine elitäre Angelegenheit wird, sei getröstet. Zum einen ist Tourismus vielerorts bereits eine elitäre Angelegenheit. Zum anderen kann man die Preisentwicklung kontrollieren und die Besucher entweder nach dem Prinzip first come, first serve bedienen. Oder beispielsweise einmal im Jahr eine Verlosung starten. Dann hätten reiche wie ärmere Touristen die gleichen Chancen, einen Ort mit beschränkten Besucherzahlen kennenzulernen.

Kostenfaktor Natur – Tourismus und biologische Vielfalt

Die Nachricht macht Mut – und Sorge zugleich: »Seit dem Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung von Rio de Janeiro 1992 hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass biologische Vielfalt lebensnotwendig für die Menschheit ist. Derzeit schwindet diese Vielfalt weltweit so schnell wie nie zuvor und gefährdet die Lebensgrundlagen aller Menschen sowie die wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklungschancen heutiger und zukünftiger Generationen«, heißt es im