3,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 3,99 €
Samantha Hamilton ist auf dem Weg, eine Traumhochzeit zu feiern. Auf einem großen Weingut in Virginia, mit einem liebenden, wunderbaren Mann aus gutem Hause an ihrer Seite und mit der Aussicht auf das ganz große Glück. Dumm nur, dass es nicht Sams Hochzeit ist, zu der sie reist, sondern die ihrer besten Freundin Holly. Als das Brautpaar in spe wenige Tage vor der Trauung kalte Füße bekommt, spurlos verschwindet und einige Tage Bedenkzeit erbittet, muss, um einen Skandal in der Gesellschaft zu verhindern, ein Alibibrautpaar her. Und wer würde sich besser eignen, als die beste Freundin der Braut und der Bruder des Bräutigams. So hat Sam, zuvor noch notorischer Single, bald bald nicht nur einen dicken Klunker an ihrem Finger, sondern mit dem Playboy und Millionär Jack auch einen absoluten Traummann an ihrer Seite. Es dauert nicht lange, bis zwischen Sam und dem attraktiven Womanizer Jack die Funken so richtig zu sprühen beginnen, obwohl Jack zunächst alles tut, um Sam von sich fernzuhalten. Doch schon bald stellen die beiden fest, dass ihre Zuneigung füreinander soviel mehr als nur Show ist. Bis Jack von seiner Vergangenheit eingeholt wird, die droht, das frisch gebackene Glück zu zerstören ...
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Copyright © 2021 by Daniela Felbermayr
2. Auflage 2021
Cover: Daniela Felbermayr unter der Verwendung von Shutterstock
Korrektorat: Sybille Weingrill, SW Korrekturen e.U.
1. Auflage erschienene 2013 unter dem Titel „Bride on Time - Die geborgte Braut“. „Fake Wedding - Marry the Millionaire“ ist die vollständig überarbeitete und neu adaptierte Version der ersten Auflage.
All rights reserved.
No part of this book may be reproduced in any form or by any electronic or mechanical means, including information storage and retrieval systems, without written permission from the author, except for the use of brief quotations in a book review.
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Epilog
Danksagung
Samantha, bist du denn gut am Flughafen angekommen?“
Die Stimme von Sams Mutter klang in etwa so nervös und ängstlich, als wäre Sam nicht von Manhattan nach La Guardia, sondern nach Afghanistan gefahren, um dort den Unruhen entgegenzuwirken.
„Ja, Mom.“
„Und bist du schon aufgeregt? Die Hochzeit rückt immer näher und du bist die Brautjungfer!“
„Ich halte es gerade noch ohne Valium aus mit der Aufregung“, sagte Sam. Es war bisweilen unglaublich anstrengend, mit ihrer Mutter zu telefonieren, weil Choice aus jeder noch so kleinen Kleinigkeit ein richtiges Drama machen konnte – so auch im Fall der Hochzeit von Sams bester Freundin Holly, die in wenigen Tagen ihrem Verlobten Cody das Ja-Wort geben sollte.
„Ach, Kind, ich weiß nicht, wie ich es sagen soll, aber ich mache mir große Sorgen um dich!“ Choice Hamilton klang, als müsste sie ihrer Tochter gleich mitteilen, dass diese nur noch wenige Tage zu leben hätte.
„Du machst dir Sorgen um mich? Warum?“ Sam hörte nur mit einem Ohr hin. Ihre Mutter war von Haus aus unglaublich ängstlich und panisch. Kaum hörte sie die Sirene eines Krankenwagens in ihrem Viertel in Queens, ging sie automatisch davon aus, dass ihrer Tochter, die in Uptown Manhattan lebte, soeben etwas zugestoßen sein musste und sie vermutlich schon im Sterben lag. Sam hatte mit der Zeit aufgehört, sich darüber Gedanken zu machen. So war ihre Mutter nun einmal.
„Warum? Du bist vierunddreißig Jahre alt und noch immer nicht verheiratet. Was soll ich nur mit dir machen, Kind? Ich verstehe nicht, warum sich niemand deiner erbarmt.“
Sam seufzte. Die alte Leier also wieder. Seit sie sich von ihrem Verlobten Wayne – ganz nebenbei wegen unüberbrückbarer Differenzen, Wayne hatte nämlich festgestellt, dass er eher am männlichen, als am weiblichen Geschlecht interessiert war – getrennt hatte, tat ihre Mutter, als wäre sie ein Ladenhüter, den man noch nicht einmal losbekam, wenn man ihn mit Gold behängte.
„Könnte an meiner Mutter liegen, dass sich keiner erbarmt“, flüsterte Sam so leise, dass Choice es nicht verstehen konnte.
„Was sagtest du, Samantha?“
„Gar nichts, Mom.“
„Jedenfalls, wenn das so weitergeht, wirst du als einsame, alte Jungfer sterben!“
„Wahrscheinlich hast du Recht, Mom.“ Sam rollte mit den Augen. Es machte absolut keinen Sinn, zu versuchen, mit ihrer Mutter sachlich zu diskutieren. Choice Hamilton wäre es wohl am Liebsten gewesen, wenn Sam gleich direkt nach der High School den erstbesten Typen geheiratet hätte, der ihr über den Weg gelaufen war.
„Übrigens, dein Vater und ich haben gestern Tom Enderson getroffen.“
„Wen?“
„Tom Enderson, du weißt schon, er hat das Grundstück der Jacksons am Ende der Straße gekauft. Er besitzt mehrere Häuser im Staate New York und zwei Appartements in Manhattan. Er wäre eine sehr gute Partie. Hat mit den Frauen bislang leider kein Glück gehabt, da geht es ihm wie dir. Seine Exfrau hat ihn betrogen und hintergangen. Übrigens fand er das Foto von dir recht nett, das ich ihm gezeigt habe!“
„Mom, Tom Enderson ist zweiundfünfzig Jahre alt, einsfünfzig groß, kahlköpfig und wiegt mit Sicherheit dreihundert Pfund. Es kann doch nicht dein Ernst sein, dass du mich mit ausgerechnet diesem Typen verkuppeln willst!“
„Schatz, du gehst auch schon auf die vierzig zu und darfst nicht wählerisch sein. Tom wäre eine gute Partie und ein toller Ehemann.“
„Der Typ säuft wie ein Loch. Und was heißt übrigens, ich darf nicht wählerisch sein?“ Langsam aber sicher schaffte Choice es doch, Sam aufzuregen. Und das, obwohl sie sich vorgenommen hatte, völlig entspannt zur Hochzeit anzureisen.
„Du gehst auf die vierzig zu und bist immer noch Single, Liebling. Und …“, Choice machte eine Pause, „… du hast Wayne zu einem … Mann … getrieben!“
„Ich bin vierunddreißig und gehe noch lange nicht auf die vierzig zu“, rief Sam aufgebracht, sodass einige Passanten sich zu ihr umdrehten, „und ICH habe nichts damit zu tun, dass Wayne Männer liebt, zum Teufel noch mal!“
„Samantha, beruhige dich doch“, sagte Choice. „Übrigens, solltest du deine E-Mails abrufen, dein Vater hat mir geholfen, etwas einzuscannen, das ich in der Zeitung gefunden habe – ich glaube, es könnte dir für die Hochzeit nützlich sein, wenn du wirklich kein Interesse an Tom Enderson hast.“
Genervt zog Sam ihr iPad aus ihrer Tasche, öffnete das Mailprogramm und wartete, bis ihre Nachrichten abgerufen wurden. Nachdem sie einige Spams gelöscht hatte, stieß sie auf eine Mail mit dem Titel „E-Mail von deiner Mutter“ – Choice hatte es sich zur Angewohnheit gemacht, in die Betreffzeile zu schreiben, dass die Mail von ihr stammte, als würde es nicht reichen, dass der Absender in großen schwarzen fett gedruckten Lettern direkt am Anfang der Nachricht angezeigt wurde.
Der Nachricht war eine PDF-Datei angehängt, die Sam öffnete. Ihre Mutter hatte einen Artikel, eigentlich eine Kleinanzeige aus einem Magazin, ausgeschnitten, mit rotem Filzstift eingerahmt und eingescannt, die für einen Escortservice warb. „Long Island Luxury Escort for Ladies“ schrie die Anzeige in dicken, schwarzen Buchstaben. Darunter posierte ein hemdloser Typ mit Waschbrettbauch und Jeans, deren oberster Knopf geöffnet war und weiße Boxershorts hervorblitzen ließ. Lasziv grinste er in die Kamera und sah dabei irgendwie dümmlich aus. „Attraktive Herren jeden Alters freuen sich, Ihnen besonders schöne Stunden zu schenken. Egal, ob zu einem Essen, einem Theaterbesuch, für den Kurzurlaub oder intime Stunden zu zweit, wir haben den perfekten Begleiter für Sie. Fragen Sie nach unseren Sonderpreisen und unseren besonders günstigen Aboangeboten“ warb die Anzeige weiter. Sam schloss die Augen und begann, ihre Schläfen zu massieren. Womit hatte sie das nur verdient?
„Mutter, schickst du mir tatsächlich eine Anzeige, die Callboys anpreist?“, fragte Sam und war kurz davor, zu explodieren.
„Immerhin hast du keinen Tischherrn auftreiben können und Wayne kommt ja wohl bestimmt auch nicht zur Hochzeit“, sagte ihre Mutter, als wäre es das Normalste der Welt, seine Tochter dazu zu animieren, sich einen Callboy zu mieten. „Du könntest einen auf der Homepage auswählen und er könnte mit uns nach Richmond fliegen. Ich würde dir auch ein bisschen zu seinem Honorar dazugeben!“
Ungläubig starrte Sam ihr Handy an. Ja, ihre Mutter hatte immer schon ein Problem damit gehabt, dass sie mit über dreißig noch nicht verheiratet war, und als Wayne sich geoutet hatte und somit die Beziehung zu ihm zu Bruch gegangen war, war ihre Mutter deprimierter gewesen als sie selbst, doch das alles gab ihr doch nicht das Recht, sie anzustiften, einen Callboy mit auf die Hochzeit ihrer besten Freundin zu nehmen.
„Manchmal frage ich mich echt, ob ich adoptiert bin“, murmelte Sam.
„Was?“
„Gar nichts. Ich muss jetzt Schluss machen, Mom, das Boarding startet gerade“, log Sam. Sie hatte noch fast eine Stunde Zeit, bis sie an Bord der Maschine musste, wollte aber nicht länger mit ihrer Mutter sprechen.
„Überleg dir die Sache noch einmal, Samantha. Wenn du dann alleine bei der Hochzeit herumstehst, während alle anderen in glücklicher Zweisamkeit dort sind, wirst du dich noch grämen!“
„Mach’s gut, Mom“, sagte Sam und legte auf. Ungläubig starrte sie noch einmal ihr Handy an, bevor sie es schließlich in ihrer Tasche verstaute.
Du bist jetzt vierunddreißig Jahre alt und hast nichts weiter vorzuweisen als eine Schachtel Kekse an deiner Seite“, dachte Sam in einem leichten Anflug von Frustration, als sie kurz nach dem unleidlichen Telefonat mit ihrer Mutter an diesem sonnigen Montagvormittag im Wartebereich des La Guardia Airport auf das Boarding wartete. Sie warf einen Blick auf den leeren Plastiksessel, der in aufdringlichem Orange gehalten war und der sich neben ihr befand. Auslöser für ihre Frustrationsattacke war, neben dem soeben geführten Telefonat mit ihrer Mutter, die ihr wieder einmal zu verstehen gegeben hatte, dass sie Mitte dreißig und unverheiratet war, Facebook. Sie hatte sich mit ihrem iPad auf Facebook eingeloggt, um die Zeit totzuschlagen, und entdeckt, dass einer ihrer Kommilitonen aus dem College, zudem einer der Typen, auf die sie damals ein Auge geworfen hatte, sich gerade verlobt hatte. In den vergangenen Wochen und Monaten schien geradezu eine Flut an Hochzeitseinladungen und Verlobungsbekanntgaben losgetreten worden zu sein. Wo man nur hinsah, änderte jemand seinen Namen, weil gerade eben geheiratet worden war, kaufte jemand anderes einen Kinderwagen oder luden die Nachbarn von gegenüber ihr gesamtes Hab und Gut in einen Umzugswagen, weil sie sich ein Haus in der Vorstadt gekauft hatten. Ab und an war es ziemlich frustrierend, mitzuerleben, wie bei anderen alles, was sie anfassten, glatt lief und sie selbst nur auf eine Handvoll vernachlässigbarer Tinderdates zurückblicken konnte, auf die sie im Nachhinein gesehen locker hätte verzichten können.
Zu allem Überfluss war sie nun auf dem Weg nach Virginia, wo ihre beste Freundin Holly ihren Verlobten Cody heiraten würde. Holly war eine jener Frauen, der Leben auf der Überholspur lief. Sie hatte Cody bei einem Meeting im Büro kennengelernt und am Tag nach diesem Meeting hatte ein Bote einen riesigen Strauß Sommerblumen mit einer Einladung zum Essen am darauffolgenden Freitag vorbeigebracht. Seit diesem Tag waren Holly und Cody unzertrennlich und eigentlich war es nur eine Frage der Zeit gewesen, bis die Beiden den Schritt vor den Traualtar wagten. Sam seufzte, wenn sie daran dachte, wie einfach, wie leicht diese ganze Dating-Sache bei anderen lief. Aber auf Hollys Hochzeit war sie nicht eifersüchtig. Holly war ihre beste Freundin seit der Grundschule, als sich die beiden damals eher pummeligen und schüchternen Mädchen in den Garderoben der Turnsäle kennengelernt hatten, wo sie sich beide versteckten, um in Ruhe Mittag essen zu können, und nicht von den anderen Kindern gepiesackt wurden. Holly war immer an Sams Seite gewesen und mit ihr durch dick und dünn gegangen. Sie war hinter ihr gestanden, als Sam Wayne dabei erwischt hatte, wie er mit einem Typen aus dem Fitnessstudio, mit dem er „nur so befreundet“ war, im Bett zugange war, und sie war da, als Sam die erste Nacht allein in ihrer Wohnung verbrachte, nachdem Wayne ausgezogen war.
Hollys Hochzeit würde bestimmt großartig werden. Mit ihrem Verlobten Cody hatte sie den absoluten Jackpot geknackt. Cody sah nicht nur gut aus, er war auch humorvoll, intelligent und lustig. Holly hatte ihr einmal erzählt, er wäre ihr Mann, ihr Liebhaber und ihr bester Freund in einem und genau darum beneidete sie Holly insgeheim. Einen solchen Mann zu finden war vermutlich genauso schwierig, wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Die Hochzeit fand auf dem Landsitz von Codys Eltern statt, die ein großes, international bekanntes Weinimperium besaßen und zu den wohlhabendsten Einwohnern Virginias zählten. Cody Richmond hatte einen wunderbaren Background und eine starke Familie, auf der er sich verlassen konnte, doch das Immobilienimperium, dass er heute leitete, hatte er sich gemeinsam mit seinem um zwei Jahre älteren Bruder aus eigener Kraft aufgebaut. Cody war ein Traummann. Gutaussehen, gebildet, humorvoll und smart. Er war ein echter Kerl, aber doch so sanft, dass er Hollys Hand nahm, bei jeder Gelegenheit, die sich bot. Sam hatte von Anfang an gewusst, dass Cody und Holly füreinander bestimmt waren und als er ihr vor einem Jahr zu ihrem Geburtstag den Antrag gemacht hatte, hatten sie und Sam begonnen, alles Schritt für Schritt zu planen und aufzuschreiben – und diese Märchenhochzeit, von der jedes kleine Mädchen träumt, die die beiden Frauen Schritt für Schritt realisiert hatten und die anfangs so unrealistisch weit entfernt erschienen war, würde nun tatsächlich in fünf Tagen auf Richmond Manor stattfinden. Sam fragte sich, was für Gäste wohl von Seiten der Richmonds eingeladen worden waren. Ganz besonders neugierig war sie ja auf Jack Richmond, Codys älteren Bruder. Obwohl der ebenso in New York lebte, wie Cody und Sam auf praktisch allen Partys und Veranstaltungen gewesen war, die Cody ausgerichtet hatte, hatte sie seinen Bruder noch nicht kennengelernt. Holly hatte ihr erzählt, dass Jack ein absoluter Playboy war, der mit Frauen spielte und sie auswechselte, wie andere Kerle ihre Unterwäsche. Er war mit einundfünfzig Prozent an dem Immobilienunternehmen beteiligt, das er gemeinsam mit Cody aus dem Boden gestampft hatte, richtig viel Geld hatte er aber mit einer Softwarefirma gemacht, die ihm ganz allein gehörte. Jack Richmond rangierte angeblich auf der Liste der reichsten Amerikaner unter den Top Ten, doch er war so verrückt, eingebildet, hochnäsig und abgehoben, dass Cody nur das nötigste mit ihm zu tun hatte. Angeblich hatte er den Bezug zur Realität verloren, so Holly. Behandelte seine Mitmenschen oftmals ziemlich unfair und hatte mit seinen ewigen Eskapaden und Frauengeschichten schon so manch schiefes Licht auf die Familie fallen lassen. Hollys größte Angst war, dass dieser Typ irgendeine billige Bekanntschaft mit auf die Hochzeit brachte, die sich daneben benahm und das Fest zu einem Debakel machte. Es würde jede Menge Presse und sogar ein Fernsehteam vor Ort sein, das sich nur so darauf stürzen würde, würde es einen Skandal bei der Hochzeit geben. Für Sam war diese ganze Welt der High Society noch völlig neu. Natürlich konnte sie nachvollziehen, dass es nervig war, wenn der zukünftige Schwager irgendeine Bordsteinschwalbe mit auf die eigene Hochzeit brachte, die sich daneben benahm. Aber am Ende des Tages würde dieser Ausrutscher auch nicht mehr als eine verwaschene Anekdote sein, an die man sich Jahre später einmal vielleicht mit einem Lächeln erinnerte. Die Richmonds sahen so etwas völlig anders. Eine Hochzeit war nicht nur ein Fest zwischen zwei Liebenden, sondern ein gesellschaftliches Ereignis, bei dem rein gar nichts schieflaufen durfte. Holly hatte Sam erzählt, dass Codys Mutter schon seit Wochen völlig aus dem Häuschen war und sich alles nur noch um die Planung der Hochzeit drehte.
Sam fischte sich, immer noch frustriert, einen weiteren Keks aus der Schachtel, stellte fest, dass es der letzte war, und biss davon ab, während ein Mann sich schräg gegenüber auf einen der Sessel setzte und an seinem iPhone herumspielte. Kauend starrte sie ihn an. Seit sie wieder Single war … quatsch, nein, eigentlich schon viele Jahre davor, als die Kacke mit Wayne begonnen hatte, zu dampfen, stachen ihr Typen wie dieser hier geradezu ins Auge. Groß, sportlich, gut gekleidet, jemand, der Charakter und Stil und ja, auch Sex förmlich ausstrahlte. Ein Businesstyp mit Maßanzug, der ohne Zweifel um seine Anziehungskraft wusste und vermutlich nichts anbrennen ließ. Beim Anblick dieses Kerls wurde ihr ganz heiß. Sie hatte seit der Sache mit Wayne nichts mehr mit einem Mann gehabt, und in den letzten Jahren ihrer Beziehung auch nicht mehr, was auf der Hand lag, wenn einer der Partner homosexuell war und sich das endlich eingestanden hatte. Die wildesten Gedanken breiteten sich in ihr aus. Sie schob den restlichen Keks in ihren Mund und konnte einfach nicht aufhören, diesen makellos schönen Mann gegenüber anzusehen.
„Ist was?“, fragte der Typ just in jenem Moment, als Sam, immer noch starrend, den Keks hinunterschluckte. Offenbar hatte er bemerkt, dass er beobachtet wurde.
Sam verschluckte sich, bekam einen Hustenanfall und lief rot an, versprühte Kekskrümel um sich herum und wollte am liebsten im Boden versinken. Der Typ sah sie an, als wäre sie von allen guten Geistern verlassen und ein Fall für die Klapsmühle. Er schüttelte kurz und abfällig den Kopf, bevor er sich wieder seinem Handy widmete.
Sam sah an sich hinunter. Weit hatte sie es gebracht. Währende alle um sie herum heirateten und Babys bekamen, verlief ihr Leben genauso turbulent als wäre sie ein Twen mitten in der Findungsphase. Sie war vor vier Monaten vierunddreißig Jahre alt geworden, und bis vor einiger Zeit hatte sie tatsächlich ein Leben geführt, wie sie es sich vorgestellt hatte. Sie führte einen kleinen Buchladen in der 44. Straße und hatte sich mit dem Appartement in Downtown, ziemlich nahe am Battery Park, mit Blick auf den Hudson, von dem aus man Liberty Island an klaren Tagen erkennen konnte, einen Traum erfüllt. Als sie Wayne vor mittlerweile neun Jahren kennengelernt hatte, war sie tatsächlich davon ausgegangen, ihren Traummann gefunden zu haben. Hatte sie zunächst tatsächlich heimlich Gästelisten für eine spätere, eventuelle Hochzeit erstellt und sich, wenn sie im Büro hin und wieder ein paar Minuten hatte, nach Hochzeitslocations umgesehen, so hatten schon bald unendliche Spannungen die Beziehung geprägt. Wayne war ein Mann, dem man nichts recht machen konnte. Rein gar nichts. Es gab Tage, an denen er so übellaunig war, dass er förmlich nach einem Grund suchte, um Sam niederzumachen. Sie erinnerte sich an das eine Mal, als sie vergessen hatte, ihre Kuscheldecke auf der Couch zusammenzufalten und sie in dem Stauraum unter dem Sofa zu deponieren, als sie schlafen ging. Als Wayne die Decke am nächsten Morgen auf dem Sofa gefunden hatte, hatte er förmlich durchgedreht. Er hatte herumgeschrien, sie runtergemacht und eine Vase, die auf dem Esstisch stand, wutentbrannt zu Boden geworfen, sodass sie in tausend Stücke zersprang. Jetzt, im Nachhinein betrachtet, war ihr natürlich klar, dass das alles mit seiner Sexualität zusammenhing. Beziehungsweise, dass er sie zu jenem Zeitpunkt noch nicht hatte ausleben können. Wayne war nach strengen katholischen Regeln erzogen worden und er hatte lange Zeit nicht den Mut gehabt, sich vor seinem Vater zu outen, der in ihm immer einen Stammhalter gesehen hatte. Einige Zeit hatte er sogar krampfhaft versucht, ein Mann zu sein, doch je mehr er das probiert hatte – zum Beispiel durch frauenfeindliche Witze, übermäßiges Training im Fitnessstudio und überdurchschnittlichen Bierkonsum, desto unglücklicher war er geworden. Sam selbst war im ersten Augenblick schockiert gewesen, als sie an jenem Nachmittag früher aus dem Laden zurückgekommen war, weil sie noch einen Termin bei ihrem Steuerberater hatte und ihr noch einige Unterlagen dazu fehlten. Sie wollte nur kurz in ihr Büro huschen, den Ordner mit den fehlenden Lieferantenrechnungen einpacken und schon wieder zur Tür hinaus sein, als sie … merkwürdige Laute aus dem Schlafzimmer vernahm. Der erste Gedanke, der ihr kam, war, dass Wayne vielleicht vergessen hatte, das Radio auszuschalten, das er immer brauchte, wenn er sich rasierte und fürs Büro fertig machte. Oder hatte die Putzfrau beim Saubermachen ferngesehen? Nein. Doch nicht im Schlafzimmer, oder? Doch die Laute, die aus dem Schlafzimmer drangen, waren zu seltsam, um sie tatsächlich mit dem Radio oder einer Fernsehsendung in Verbindung zu bringen, es sei denn, jemand sah sich gerade einen Porno an. Sams Kehle schnürte sich zu, bei dem Gedanken, dass ihr langjähriger Partner im Nebenzimmer Sex mit einer anderen Frau haben könnte und für einen kurzen Moment war sie versucht, einfach reißaus zu nehmen, doch das hatte sie nicht übers Herz gebracht. Ihre Beziehung lief schon sehr lange nicht mehr so, wie sie laufen sollte, und wenn daran eine Frau schuld sein sollte, dann wollte sie ihr wenigstens ins Gesicht sehen. Niemals würde Sam den Moment vergessen, als sie die Tür geöffnet und Wayne und seinen Freund Chris in eindeutiger Position überrascht hatte.
Seither – das Beziehungsaus mit Wayne war mittlerweile fast ein Jahr her – hatte es keinen Mann mehr in Sams Leben gegeben. Ja, da waren ein paar ziemlich sinnlose und oberflächliche Tinderdates gewesen, die Sam aber nur noch mehr davor zurückschrecken ließen, ernsthaft einen Mann suchen zu wollen. Die Welt hatte sich in den letzten Jahren, seit sie mit Wayne zusammengekommen war, verändert. Dates fanden eher auf digitaler Ebene statt und orientierten sich nur noch nach Oberflächlichkeiten und stark bearbeiteten Fotos. Und der Tatsache, dass jeder immer und zu jedem Zeitpunkt problemlos austauschbar war. Holly hatte zwar mehrmals versucht, ihr Kollegen von Cody zuzuschanzen, und einmal hatte sie sich sogar auf ein Date mit einem von ihnen namens Bill überreden lassen, doch bis auf einen Abend voller Höflichkeitsfloskeln, einem Teller lauwarmer Pasta und der Tatsache, dass kein richtiges Gespräch in Gang kommen wollte, war nichts gelaufen. Ja, Sam war wohl tatsächlich auf dem besten Wege, eine frustrierte, alte Jungfer zu werden, so wie ihre Mutter längst befürchtete.
„Hey, Wonda-Darling, na, ist meine Prinzessin schon wach?“, sagte Adonis von gegenüber plötzlich in sein Handy und riss Sam damit aus ihren düsteren Gedanken. Er hatte ein charmantes Lächeln aufgesetzt, obwohl Wonda-Darling das gar nicht sehen konnte. Sam rollte mit den Augen. Natürlich hatte der Typ eine Freundin. Hatte sie tatsächlich gedacht, er wäre a) noch zu haben, würde sich b) für eine Größe-vierzig-tragende Mittdreißigerin wie sie interessieren und würde c) ihr auf diesem Flug näherkommen und sie würden in Virginia Hand in Hand als das Pärchen des Jahrtausends aussteigen? Hm, doch, eigentlich hatte sie so etwas in der Art gedacht. Sam neigte nämlich dazu, jede nur mögliche Situation zu romantisieren. Zwar hatte sie seit der Trennung von Wayne – bis auf das von Holly vermittelte mit Bill – kein Date mehr gehabt, aber dennoch rutschte sie immer, wenn sie irgendwo einen attraktiven Mann entdeckte, in diese romantischen Fantasien ab, in denen der attraktive Typ sie anspricht, sie sich auf Anhieb verstehen und in fünfzig Jahren, wenn sie ihren goldenen Hochzeitstag feiern und beide schon fast neunzig sind, von dem schicksalhaften Tag erzählen, als sie sich damals, in grauer Vorzeit, im Aufzug/bei McDonalds/im Supermarkt/beim Zahnarzt und so weiter und so fort kennengelernt hatten. Bislang hatte diese schicksalhafte Begegnung auf sich warten lassen, und genauso würde sie auch jene mit dem unglaublich attraktiven Typen an Gate siebenundzwanzig am La Guardia ad acta legen müssen.
„ICH habe DICH geschafft heute Nacht?“ Adonis lachte ins Telefon. „Ich würde eher sagen, DU hast MICH geschafft!“
Sam versuchte, wegzuhören und sich auf ihre E-Mails zu konzentrieren. Obwohl sie Wonda-Darling gar nicht kannte und Wonda-Darling vielleicht wirklich nett war, war sie eifersüchtig auf sie und konnte sie nicht ausstehen.
„Ich liebe dich auch, Baby“, sagte Adonis, was Sam dazu veranlasste, demonstrativ eine weitere Packung Kekse zu öffnen und sich einen Keks als Ganzes in den Mund zu schieben. Bald würde sie Größe 42 tragen, wenn sie weiter so aß. Und dann 44, schließlich 46 und eines nicht so fernen Tages würde sie wohl nur noch in XXXL-Herrenjogginganzügen herumlaufen und sich, wenn sie sich schick machen wollte, einen bunten Poncho in Übergröße überwerfen. Aber nachdem Wayne, dieser verrückte Fitnessfreak, sie all die Jahre, die ihre Beziehung angedauert hatte, dazu angehalten hatte, bloß keine Kohlenhydrate zu sich zu nehmen und Sport zu treiben, genoss sie ihre neu gewonnene Freiheit – zumindest im Hinblick darauf, dass sie Essen konnte, wonach ihr war.
„Prinzessin, hier kommt gerade ein Anruf rein“, flötete Adonis. „Ich versuche, abzuwimmeln, wer immer da dran ist, und melde mich, wenn ich gelandet bin, ja? Ich liebe dich, Baby!“ Dann drückte er eine virtuelle Taste auf seinem iPhone, hielt es sich erneut ans Ohr und sagte: „Rose, Schatz, ich hab schon zweimal versucht, dich zu erreichen. Hast du eigentlich eine Ahnung, wie sehr du mir letzte Nacht gefehlt hast?“
Sam blickte auf und rollte mit den Augen. „Mistkerl“, flüsterte sie sich selbst zu, war aber offenbar doch so laut, dass die ältere Dame gegenüber sie skeptisch ansah. Sie hatte Adonis völlig richtig eingeschätzt. Ein Schönling-Arschloch. Ein Typ, der nicht nur eine, sondern vermutlich zwanzig Freundinnen, überall in der Stadt verteilt, hatte und es genoss, der Hahn im Korb zu sein. Sie erinnerte sich an ein Date, von dem ihr eine ihrer Kundinnen einmal erzählt hatte. Sie hatte einen wirklich tollen Kerl online kennengelernt und war erst viel später dahintergekommen, dass auch dieser Mann mehrere Eisen gleichzeitig im Feuer hatte. Und dass einige von den Frauen, die er datete, darüber hinwegsahen, dass sie nicht die Einzige waren, solange sie nur hin und wieder an seiner Seite sein konnten. Sam wurde fast übel bei dem Gedanken, wie billig diese Frauen sich bisweilen hergaben.
„O ja, es war wirklich ein anstrengendes Meeting, Schatz“, flötete er weiter. „Ich habe mehrmals versucht, mich kurz hinauszustehlen, um dich anzurufen, aber wir haben durchgemacht bis fast drei Uhr morgens und um diese Zeit wollte ich meine Prinzessin nicht mehr wecken!“
Doppelter Mistkerl. Sogar dieselben Kosenamen verwendete er für die unterschiedlichen Frauen. Und dass er die halbe Nacht durchgemacht hatte, glaubte Sam ihm aufs Wort, immerhin hatte Wonda-Darling ihn ja unglaublich geschafft. Offenbar nahm ihm auch seine Gespielin am anderen Ende der Leitung ab, dass er die ganze Nacht über „gearbeitet“ hatte, von der er sich gerade unter dem Vorwand, einen Geschäftspartner anrufen zu müssen, den er unbedingt noch vor Abflug erwischen wollte, verabschiedete.
Sam widmete sich wieder ihrem iPad, nur um Fotos einer ehemaligen Mitschülerin zu finden, die ihre süße kleine Tochter präsentierte. Sofort hatte sie den Mistkerl gegenüber vergessen. In einigen Jahren, so sagte sie sich immer wieder selbst vor, würden die ersten Scheidungen bekannt gegeben werden, und wenn sie nicht heiratete, würde zumindest der Kelch, ihren Facebook-Status von „verheiratet“ auf „Geschieden“ umzuändern, an ihr vorübergehen. Zugegeben, ein schwacher Trost. Sie grinste in sich hinein, packte ihr iPad weg und machte sich auf den Weg zum Check-in, als dieser aufgerufen wurde.
Der Flug verlief ruhig, und Sam hatte versucht, während des Fluges an der Rede zu feilen, die sie Holly und Cody zu Ehren bei der Trauung vorbringen wollte, kam aber nicht wirklich weiter, sodass sie den Rest der Flugzeit damit verbrachte, „Homescapes“ auf ihrem iPhone zu spielen.
Nach der Landung, und nachdem sie ihren Koffer vom Gepäckband gezogen hatte, reihte sie sich in die schier endlose Schlange von Passagieren ein, die in die Ankunftshalle strömten. Holly hatte Sam versprochen, dass ein Fahrer von Richmond Manor sie abholen und zum Landsitz bringen würde. Eigentlich sollten sie und Cody gemeinsam mit Sam anreisen, doch Cody hatte kurzfristig einen Geschäftstermin wahrnehmen müssen, den er nicht absagen oder delegieren konnte. Holly, die Codys miesen Bruder ungefähr eine Million Mal verflucht hatte, weil der ihm diesen Termin aufgedrückt hatte, wollte die Gelegenheit nutzen und in den beiden Tagen, die sie nun länger in New York bleiben würden, die Hochzeitsvorbereitungen vorantreiben. Sie wollte mit ihrem Vater die Brautrede durchgehen, ihre Mutter und ihre Schwester zur Kleideranprobe begleiten und vor der Hochzeit, die zweifellos aufregend und stressig werden würde, in einem City-SPA noch einmal die Seele baumeln lassen. Sam fühlte sich etwas mulmig, ganz allein auf dem Anwesen von Hollys Schwiegereltern zu sein, bis die beiden zwei Tage später zu ihr stoßen würden, doch sie sagte sich, dass der Tapetenwechsel ihr bestimmt auch guttat. Und wenn seine Eltern genauso nett waren wie Cody selbst, würde Sam keine Probleme damit haben, etwas Zeit mit ihnen allein zu verbringen.
Sams Blick fiel auf all die Fahrer, die in ihren schwarzen Anzügen, zum Teil mit Chauffeursmütze, in Reih und Glied standen und auf ihre Fahrgäste warteten. Einige von ihnen hielten Schilder mit Namen hoch, andere kannten ihre Gäste offenbar und begrüßten sie lächelnd, als sie in der Ankunftshalle ankamen. Einer von ihnen, ein Mann, offenbar in seinen Fünfzigern, mit grauem Haarschopf, einem Schnauzbart und freundlichen blauen Augen hielt ein Schild mit der Aufschrift „Ms. Samantha Hamilton“ hoch.
„Miss Hamilton“, fragte der Fahrer, als er die junge Frau auf sich zusteuern sah.
„Die bin ich.“ Sam lächelte und reichte dem Fahrer die Hand, der sie ebenso freundlich begrüßte.
„Ich freue mich sehr, Sie im Namen der Familie Richmond in Virginia begrüßen zu dürfen“, sagte er, während er ohne zu zögern Sams Koffer nahm. „Die Familie freut sich schon, Sie kennenzulernen, und hofft, dass Sie einen angenehmen Aufenthalt haben werden!“
„Vielen Dank“, sagte Sam und fühlte sich wohl. Sie ahnte, dass es ihr auf Richmond Manor gut gefallen würde und hatte dennoch keine Ahnung, was in den nächsten Tagen auf sie zukommen würde.
„Wenn Sie mir nun zum Wagen folgen möchten“, sagte der Fahrer, nahm ihr Gepäck und setzte sich in Bewegung.
Das Auto – eine Mercedes S-Klasse in Schwarz – befand sich in dem nächst zur Ankunftshalle gelegenen Parkhaus. Der Fahrer hievte Sams Koffer in den Kofferraum, nachdem er ihr die Türe zum Fond aufgehalten und sie eingestiegen war. Auf dem Weg zum Wagen hatte er ihr erklärt, dass sie noch einen weiteren Fahrgast mitnahmen, der sofort eintreffen sollte. Sam grübelte, um wen es sich dabei wohl handeln konnte. Holly hatte nichts davon erwähnt, dass noch jemand gleichzeitig mit ihr anreisen würde, und sie war sich sicher, dass Holly sie informiert hätte, hätte sie Bescheid gewusst. Somit war jemand aus Hollys Familie, entweder ihre Eltern, ihre Schwester oder jemand aus Hollys Büro, schon einmal ausgeschlossen. Womöglich war es jemand aus Codys Familie oder ein Geschäftspartner der Weinkellerei.
„Nein, Cam, ich sagte doch schon, dass dieses Angebot absolut auszuschlagen ist. Wenn Sie meinen, dass Sie es annehmen müssen, dann sollten Sie sich darüber im Klaren sein, dass das die Firma bis zu sechzig Prozent kosten könnte!“
Die Tür wurde aufgerissen, und ein Mann stieg, sein Handy ans Ohr gepresst, schwungvoll ein. Sam erschrak kurz und sah auf, doch der Schreihals mit dem Telefon beachtete weder sie noch den Fahrer, sondern keifte weiter: „Darüber haben wir bereits letzte Woche gesprochen, Cam. Aus meiner Sicht ist das nur ein Lockmittel. Denken Sie tatsächlich, dass Chinacorp. Ihnen zwölf Millionen mehr bietet als die anderen Interessenten? Glauben Sie das wirklich? Wenn der Deal unter Dach und Fach ist, werden die damit anfangen, Mängel aufzuzählen, und Sie werden sich mit einer deutlich niedrigeren Summe abfinden müssen, da die anderen dann bereits abgesprungen sein werden und Chinacorp. bestimmt dafür sorgt, dass angebliche Mängel an potenzielle neue Interessenten übermittelt werden.“
Er machte kurz Pause und hörte zu. Dann schrie er wieder: „Ach, wissen Sie was, ich klinke mich hier aus. Wenn Sie meinen, das Angebot annehmen zu müssen, dann tun Sie es. Aber leben Sie dann auch mit den Konsequenzen und finden Sie sich schon mal damit ab, dass Sie Ihre Brötchen bald als Tankwart an irgendeiner gottverdammten verlassenen Tankstelle verdienen werden.“ Damit beendete er sein Gespräch und verstaute sein Handy in der Innentasche seines Sakkos.
Sam glotzte ihn erschrocken an. Bestimmt war das hier ein Missverständnis. Er hatte wohl den falschen Wagen erwischt oder so. Der Typ, der soeben ins Auto gestiegen und sich über einen angeblich üblen Deal mit einem Unternehmen namens Chinacorp. so dermaßen lautstark aufgeregt hatte, war der Adonis aus der Wartehalle. Er sah sie an und jetzt war es ihr peinlich, dass sie ihn vorhin am Flughafen so angestiert hatte.
„Lassen Sie mich raten, Sie sind Hollys Trauzeugin“, sagte er, jetzt in angenehmer Lautstärke, jedoch nicht gerade in wahnsinnig interessiertem Ton.
„Ja, das stimmt, Samantha Hamilton.“ Sie reichte ihm die Hand, Adonis hingegen hatte mittlerweile wieder begonnen, sie zu ignorieren. Er hämmerte auf dem Display seines iPhones herum, hielt es sich dann ans Ohr und begann, neuerlich hineinzubrüllen.
„Jason, was zur Hölle soll diese Scheiße mit Divintrek!“, schrie er, als sich am anderen Ende wohl jemand gemeldet hatte.
„Es ist mir scheißegal, was Chinacorp. bietet. Du weißt genau, dass das alles scheiße ist, die werden nicht zwölf Millionen über dem Marktwert zahlen. Ich habe Cameron Steigers eben gesagt, dass ich nicht länger an Bord bin, sollte er diesen Deal eingehen!“
Ohne eine Antwort abzuwarten, beendete er das Gespräch und wählte eine neue Nummer. Was für ein gestresster Typ. Diesmal begann er jedoch nicht, durch die Gegen zu brüllen sondern setzte neuerlich dieses gewinnende Lächeln auf, das er bereits am Flughafen zur Schau getragen hatte, als er mit seinen Prinzessinnen telefoniert hatte.
„Ich bin gerade erst gelandet, meine Schönheit“, sagte er und Sam rollte mit den Augen. Was für ein Idiot. „Natürlich nehme ich mir für dich Zeit. Wie sieht es zum Beispiel heute Abend aus?“
Sam klinkte sich aus dem Telefonat aus und zog ihr eigenes Telefon aus der Tasche. Sie stöpselte ihre Airpods ein und entging mit Musik von Ed Sheran dem Liebesgetüdel des umtriebigen Romeos von gegenüber.
Der Wagen verließ das Flughafengelände, durchquerte nach einer Weile die Innenstadt von Richmond (Sam fragte sich die ganze Zeit über, ob Codys Vorfahren wohl die Gründer der gleichnamigen Stadt waren) und fuhr eine ganze Weile lang eine breite, aber ruhige Landstraße entlang, die, je weiter sie von der Stadt entfernt war, in bewaldetes Gebiet überging. Fasziniert sah Sam nach draußen. Wenn man mitten in Manhattan lebte, bekam man von dem, was Mutter Natur so zu bieten hatte, relativ wenig mit, den Central Park mal ausgenommen. Die Sonne schien durch beblätterte Äste, blinzelte mal hier und mal dort durch, tauchte ganze Wegabschnitte in ihr helles, warmes Licht, nur um kurz darauf kühlem, angenehmen Schatten Platz zu machen. Nach einer Weile hielt der Mercedes an. Sam spähte zwischen den Vordersitzen hindurch. Sie hatten vor einem großen, gusseisernen Tor Halt gemacht, das gefühlte vier Meter hoch und vermutlich zehn Meter breit war. Flankiert wurde es von zwei Betonsäulen, auf denen steinerne Löwen saßen, zu deren Füßen Weintrauben lagen, deren Blätter sich um die Beine der Löwen rankten. „Richmond Manor“ war in einem gusseisernen, schwarzen Schriftzug oberhalb des Tores zu lesen. Als die beiden Torflügel sich zur Gänze geöffnet hatten, setzte der Mercedes sich wieder in Bewegung und passierte das Tor. Links und rechts befand sich nach wie vor bewaldetes Gebiet, das allerdings bald weiten Feldern und Wiesen Platz machte, die wiederum kurz darauf in Weinberge übergingen. Sam hatte ihre Musik ausgemacht, um sich völlig auf die Umgebung konzentrieren zu können. Holly hatte immer schon davon geschwärmt, wie schön es auf dem Anwesen von Codys Eltern war, doch dass es so atemberaubend sein würde, damit hatte Sam nicht gerechnet.
„Wow“, entfuhr es ihr. Sie wollte eigentlich nicht allzu beeindruckt vor dem schnöseligen Adonis tun, der sie mittlerweile wieder keines Blickes würdigte, sondern wie hypnotisiert in sein Notebook hämmerte.
„Na, beeindruckt?“ Als sie sich zu ihm umdrehte, bemerkte sie, dass er sein Notebook zugeklappt hatte und sie ansah.
„Nun ja, wenn man die letzten fünfzehn Jahre bis auf den einen oder anderen Strandurlaub in Manhattan lebt, dann ist das hier schon … gewaltig!“
„Ich kann mir gut vorstellen, dass die 08/15-Freundinnen von Holly Anwesen wie das hier nicht gewöhnt sind. Kleiner Tipp von mir: Lassen Sie sich nicht anmerken, wie angetan sie von Richmond Manor sind. Man muss sie ja nicht gleich auf den ersten Blick als absolute Hinterwältlerin enttarnen.“
Sam traute ihren Ohren nicht.